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    Buchtipp  1617  0 Kommentare Die infantile Gesellschaft - Seite 2


    Kinder gelten als überlegen, weil sie nicht korrupt seien, sich nicht auf taktische Spielchen einließen, weil sie keine Opportunitätskosten berücksichtigten. Dies zumindest sei die „große Hoffnung der Erwachsenen, die sich auf Kinderaugenhöhe beugen“ (S. 96). Zu Unrecht, so Kissler, berufen sich diejenigen, die so denken, auf den Schweizer Philosophen, Jean-Jacques Rousseau. Er schrieb zwar in seinem Émile: „Liebet die Kindheit, begünstigt ihre Spiele, ihre Vergnügungen, ihren liebenswürdigen Instinkt.“ (S. 23) Aber er meinte auch, es gebe kaum „etwas Abstoßenderes und Unnatürlicheres als den Anblick eines gebieterischen und eigensinnigen Kindes, welches seiner ganzen Umgebung Befehle erteilt“. (S. 90 f.) Anders als zu den Zeiten Rousseaus erscheint das Kind heute als richtende Instanz. „Die heutigen Vulgärrousseauisten wollen sich erziehen lassen zum Kind durch das Kind.“ (S. 91).
    Greta, das Mädchen mit den Zöpfen, wurde von deutschen Bischöfen mit David verglichen, dem Helden und König Israels und die Freitagsdemos mit der biblischen Szene vom Einzug Jesu in Jerusalem (S. 92). Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt meinte, Greta erinnere sie an eine Stelle aus dem Prophetenbuch Amos (S. 93).
    Die Infantilisierung ist jedoch kein deutsches Phänomen, sondern ein weltweites, schließlich traf sich Greta mit Barack Obama, wurde von EU, Davos und der UN eingeladen, und der UN-Generalsekretär Gueterres pries ihren Weckruf. Warum, fragt Kissler, wurde Greta bei den Vereinten Nationen nicht widersprochen? „Weil Emotionen angeblich Authentizität verbürgen, und nach nichts sehnt eine spätmodern erkaltete Gesellschaft sich mehr als nach Authentizität.“ (S. 104). Kindermund tut jedoch nicht immer Wahrheit kund – das, so Kissler, wissen jene Erwachsenen am besten, die sich eine realistische Erinnerung an ihre eigene Kindheit bewahrt haben.
    Man könnte hinzufügen: Donald Trump ist in dieser Hinsicht Greta nicht unähnlich. Oliver Luksic hat unlängst beide in einem lesenswerten Buch verglichen. Trump redet in einer einfachen Sprache, die auch ein Kind verstehen kann. Das kommt offenbar bei vielen gut an. Er wird schnell zornig, ist sofort beleidigt, lässt seine Gesprächspartner nicht aussprechen und hat beim Lügen kein schlechtes Gewissen. Andererseits: Er sagt, was er denkt, und wirkt dadurch gerade wieder authentischer als die anderen Politiker mit ihren Sprechblasen der politischen Korrektheit.

    Rainer Zitelmann
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    Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker, Politikwissenschaftler und Soziologe - und zugleich ein erfolgreicher Investor. Er hat zahlreiche Bücher auch zu den Themen Wirtschaft und Finanzen* geschrieben und herausgegeben, viele davon sind in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. * Werbelink
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    Verfasst von Rainer Zitelmann
    Buchtipp Die infantile Gesellschaft - Seite 2 Alexander Kissler, Die infantile Gesellschaft. Wege aus der selbstverschuldeten Unreife, Harper Collins, Hamburg 2020, 255 Seiten.

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