WDR meint: „Mao hatte echten Weitblick“ - Seite 4
In den 80er-Jahren etablierten sich zunehmend de facto privatwirtschaftlich geführte Unternehmen im Gewand von Kollektivunternehmen, sogenannten COEs (Collective Owned Enterprises) oder TVEs (Township and Village Enterprises). Es ist zu kurz gegriffen, in einem Schwarz-Weiß-Schema zwischen Staats- und Privateigentum zu unterscheiden, denn auch wenn es sich rechtlich um Eigentum einer Stadt oder Gemeinde handelte, wurden diese Betriebe in Wahrheit wie Privatunternehmen geführt.
Kapitalistische Sonderwirtschaftszonen
Das sozialistische System, wonach es ausschließlich Staatseigentum geben dürfe, von einer staatlichen Planbehörde geleitet, wurde von unten mehr und mehr ausgehöhlt. Von großer Bedeutung war die Schaffung sogenannter Sonderwirtschaftszonen. Das waren Gebiete, in denen das sozialistische Wirtschaftssystem außer Kraft gesetzt war und in denen mit kapitalistischen Wirtschaftsformen experimentiert werden durfte. Die erste Sonderwirtschaftszone war Shenzen, die nahe dem damals politisch und wirtschaftlich eigenständigen, kapitalistischen Hongkong lag. Shenzen war das Gebiet, von dem Chinesen illegal in die britische Kronkolonie emigrierten. So wie vor dem Mauerbau immer mehr Menschen aus Ost- nach Westdeutschland flohen, so versuchten auch immer mehr Menschen aus dem sozialistischen China in das kapitalistische Hongkong zu fliehen.
Deng war so klug zu erkennen, dass sich das Problem nicht allein mit der Armee und schärferen Grenzkontrollen lösen ließ. Die Parteiführung der Provinz Guangdong, zu der Shenzhen gehörte, stellte eine Untersuchung über die illegale Emigration an. Sie musste lernen, dass sich die Geflohenen auf der anderen Seite des Shenzhen-Flusses auf dem Territorium von Hongkong ansiedelten, ein eigenes Dorf gründeten und dort 100 Mal mehr verdienten als die Menschen auf der sozialistischen Seite des Flusses.
Deng argumentierte, China müsse dafür sorgen, dass der Lebensstandard auf der chinesischen Seite steige, dann hätten die Menschen keinen Grund mehr, zu fliehen. Shenzhen, das damals weniger als 30.000 Einwohner zählte, wurde zum ersten kapitalistischen Experimentierfeld in China. Die Parteifunktionäre, die in Hongkong und Singapur gesehen hatten, dass der Kapitalismus sehr viel besser funktioniert als der Sozialismus, gestatteten ein marktwirtschaftliches Experiment in dieser Sonderwirtschaftszone.