Bullen, Bären oder beide?
Welche Nadel bringt die Blase zum Platzen? Analyst Hasler warnt: „Es gibt keine günstigen Aktien mehr“
Euphorie, hohe Kurse und eine Weltwirtschaft, die auf die Wiedereröffnung wartet. Ob die Märkte derzeit am Anfang einer neuen Rallye oder kurz vor dem Crash stehen, sorgt bei Analysten für heiße Debatten.
Boom- und Crash-Phasen an der Börse werden traditionell in Form von Bullen und Bären erklärt. Bei dem Versuch, die aktuellen Höchststände einzuordnen, bringen die Analysten der Berenberg Bank nun auch das Känguru ins Spiel. In einer aktuellen Marktanalyse sagen sie für 2021 einen „Kangabull“-Markt voraus. Ein Szenario, in dem der Markt immer wieder Sprünge macht, ein richtiger Absturz aber ausbleibt.
„Wirtschaftliche, politische, Finanzmarkt- und Gesundheits-Risiken sind erhöht und teilweise auch miteinander verbunden“, schreiben die Berenberg-Analysten. Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis seien Wertpapiere nur zwei Mal in der Geschichte teurer als heute gewesen. 1929 und im Jahr 2000.
Eine Analyse des Finanzblogs Current Market Valuation zeigte kürzlich: Der sogenannte „Buffet-Indikator“ – die gesamte US-Marktkapitalisierung im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt – steht mit 224 Prozent auf einem Höchststand.
„Rekord-Liquidität, Rekord-Schulden, Rekord-Preise, Rekord-Risiko“: Dennoch glauben die Experten der Berenberg Bank: Es fehlt derzeit einfach eine Nadel, um die Blase zum Platzen zu bringen. Die Gründe dafür liegen vor allem in dem derzeitigen finanzpolitischen Umfeld: Aktien seien nach wie vor attraktiver als Anleihen, die Geldpolitik unterstützte die Börsenrallye, und viele der hoch bewerteten Unternehmen punkten mit starkem Cash-Flow. Hinzu komme, dass das globale Wachstum 2021 nach dem Abklingen der Corona-Pandemie wieder an Fahrt aufnehmen dürfte. All das seien Anzeichen, dass die Kurse auch 2021 weiter steigen könnten.
Kein Verständnis für diese Einschätzung zeigt Analyst und Gründer von Sphene Capital Peter-Thilo Hasler im Gespräch mit wallstreet:online. „Aktienmärkte sind heute in einem Maße überbewertet, wie wir es in dieser Breite noch nicht beobachten konnten“, sagt Hasler. „Wenn nun behauptet wird, es gäbe keine Nadel, die die Blase zum Platzen bringen könnte, ist eine Form von Hybris, die mich an 2001 oder 2008 erinnert, als Umfragen ergaben, dass Fondsmanager zwar glaubten, die Märkte wären überbewertet, aber gleichzeitig erwartet haben, dass die Rallye vorerst weitergehen würde. Das ist ein in hohem Maße irrationales Verhalten.“
Lesen Sie auch
Anstatt Wachstum sieht Hasler große Ungewissheit auf die Märkte zukommen. Doch die allgemeine Euphorie scheine vielen Anlegern die Sinne zu vernebeln, was der Analyst an den jüngsten Exzessen bei Gamestop, Dogecoin und Co. festmacht. „Fakt ist doch: Trotz der größten fiskalpolitischen Stimuli der Menschheitsgeschichte liegt die Wirtschaft am Boden. Ich glaube, wir können noch nicht einmal ansatzweise einschätzen, wie lange es dauern wird, bis ein Vorpandemiezustand wieder erreicht wird“, meint Hasler. „Andererseits scheinen Aktienmärkte von den Gewinnentwicklungen abgekoppelt zu sein, und weil es keine günstigen Aktien – und Immobilien – mehr gibt, legen sich Anleger kurzerhand andere, dummerweise „wert“-lose Assets ins Depot, von Oldtimern über Ölgemälde bis hin zu Bit- und Dogecoins“, so Hasler.
Einig scheinen sich die Marktbeobachter darin, dass sich für die aktuelle Stimmung an den Märkten nur wenige historische Vergleiche finden lassen. Hasler fühlt sich dennoch an Entwicklungen erinnert, die in der Vergangenheit „kein gutes Ende nahmen. Performance an der Börse ist so ziemlich das einzige, bei dem es nicht auf das Ergebnis ankommt, sondern auf den Prozess“, sagt Hasler. „Der ist bei manchem aber abhandengekommen – oder war nie da. Denn die Leichtigkeit, mit der viele Newcomer gerade ihre Erfolge in den sozialen Netzwerken feiern, ist an der Börse fehl am Platze. Etwas mehr Demut würde so manchem guttun“, warnt der Experte.
Autor: Julian Schick, wallstreet:online Zentralredaktion