So tickt die Börse: "Vertrauen" in vorübergehende Inflation
Die Stimmung der Menschen wird nicht ausreichend berücksichtigt. Vertrauen in ein Wirtschaftssystem ist wichtiger als die Geldpolitik, wenn es um eine Prognose für die Inflation geht.
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Der Begriff "Inflation" wird in den Finanzmedien seit Wochen rauf und runter diskutiert. Doch der wichtigste Begriff in meiner heute gewählten Überschrift ist ein anderer: "Vertrauen".
Vertrauen hat in der Volkswirtschaftslehre noch kaum Eingang gefunden, dabei ist genau das Vertrauen der entscheidende Faktor dafür, ob sich eine vorübergehende Inflation in eine galoppierende
Inflation auswächst. Genauso bestimmt das Vertrauen, ob eine vorübergehende Deflation in eine tödliche Abwärtsspirale mündet.
Wenn wir also abschätzen möchten, wie groß die Gefahr ausufernder Inflationsraten ist, dann müssen wir abschätzen, wie das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Märkte ist. Funktionieren die Märkte?
Werden Angebot und Nachfrage in ein Gleichgewicht gebracht? Oder sind die freien Marktkräfte durch die Politik bereits so weit außer Kraft gesetzt, dass Ungleichgewichte bestehen bleiben?
Bevor wir über das Vertrauen sprechen, möchte ich Ihnen kurz erläutern, warum die Wissenschaft kaum auf diesen Begriff eingehen kann. Der Grund ist ganz einfach: Als Wissenschaft gilt nur das, was
man beweisen oder widerlegen kann. Doch wie möchten Sie die Entwicklung des Vertrauens messen, geschweige denn prognostizieren?
Ich würde mal recht selbstsicher behaupten, dass meine Sentiment-Erhebung, die ich wöchentlich durchführe, dieses Problem am besten angeht. Aus der Anlegerstimmung können wir ablesen, wie die
Marktteilnehmer zum Markt stehen, ob sie Vertrauen in das Finanzsystem und/oder die aktuellen Bewertungen haben, oder nicht. Ich weiß, dass ich mit meiner Umfrage seit Jahren überall, sowohl bei
der Finanzpresse
als auch bei institutionellen Anlegern, offene Türen vorfinde. Das Problem ist also bekannt.
Aber die Interpretation der Umfrageergebnisse ist dennoch eine Geschichte, bei der das Bauchgefühl mitspielt. Völlig unwissenschaftlich! Wissenschaft benötigt Fakten, am liebsten Zahlen oder am
allerbesten Zahlenreihen, die dann linear extrapoliert werden können.
Aber leider funktioniert der Mensch nicht linear, sondern entscheidet häufig aus dem Bauch. Wenn ich sehe, dass die Preise der Gebrauchtwagen um 30% angesprungen sind, dann muss ich zwei
Erklärungsansätze gegeneinander abwiegen: Wenn ich glaube, dass es nur vorübergehend zu wenige Gebrauchtwagen gibt, dann warte ich halt ein paar Monate, fahre meinen alten Wagen halt noch ein wenig
länger, bis sich das Preisniveau wieder normalisiert hat, und kaufe erst nach einer Normalisierung der Märkte einen neuen Gebrauchten.