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    Buchtipp  2636  0 Kommentare Die bundesdeutsche Linke der 70er Jahre - Seite 4

    Was ist geblieben? 
    Der Autor verdeutlicht, warum heute so wenig über die „70er“ gesprochen wird. „Anführer wie Christian Semler, Karl Dietrich Wolff, Joschka Fischer und andere, die in den 70er Jahren das große Wort führten, haben in dieser Zeit keine einzige bleibende politische Idee produziert. Es gibt kein Konzept, keine Schrift und schon gar kein Buch von ihnen, das heute mit Gewinn zu lesen wäre, was einerseits Ausdruck des Halbstarkenverhaltens dieser Generation, andererseits Ausdruck der zunehmenden intellektuellen Verarmung der 70er Jahre ist.“ (S. 426).

    Und was ist aus den einstigen Protagonisten geworden? Manche haben sich in ihre private oder berufliche Nische zurückgezogen, verstehen sich heute noch als links, sind aber teilweise arm und einsam. Andere haben sich hervorragend integriert und bewegen sich „unauffällig in den linksliberalen, ‚rot-grünen’ Gewässern des Kultur- und Medienbetriebes“ (S. 359). Ich selbst – der Rezensent – gehöre indes zur dritten Gruppe, also zu jenen, die in der Wirtschaft Karriere gemacht haben und ebenso zur vierten Gruppe, der „Konvertiten, die heute offen völlig andere, teils konträre Überzeugungen vertreten“ (S.360). Manche wurden Unternehmer oder Vorstand in renommierten Unternehmen, so wie etwa der KBW-Führungskader Hans-Jörg Hager, der Vorstandsvorsitzender von Schenker war. Wahrscheinlich sind es mehr, als man heute weiß. So fehlt z.B. der Name von Thomas Sattelberger, dem Ex-Telekom-Vorstand, der in seiner Jugend im maoistischen KAB/ML sozialisiert wurde. Oder der Name Dieter Bohlen, der in seiner Jugend in der Jugendorganisation der DKP, der SDAJ, aktiv war.

    Der Autor zeigt, wie selbst das Denken der „Konvertiten“ bis heute noch durch die Sozialisation in der maoistischen Szene geprägt wird. Als ich das las, erinnerte ich mich an den Dialog mit einem Bekannten, der vor einigen Monaten zu mir sagte: „Ach so, Sie sind Maoist.“ Ich korrigierte ihn: „Nein, natürlich nicht, ich war Maoist.“ Er widersprach mir: „Nein, wer einmal Maoist war, bleibt immer einer.“ Nun gut, das ist bestimmt überzeichnet, und dennoch gelingt es Gunnar Hinck, direkte und indirekte Prägungen der damaligen Aktivisten nachzuweisen. Es wäre auch merkwürdig, wenn es anders wäre, denn die Erfahrungen in diesen Gruppen waren extrem intensiv, und prägten Menschen in ihren jungen Jahren, wo sie noch stark beeinflussbar sind. Manche schlossen sich ja, so wie ich, schon als Teenager diesen Gruppen an. 


    Rainer Zitelmann
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    Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker, Politikwissenschaftler und Soziologe - und zugleich ein erfolgreicher Investor. Er hat zahlreiche Bücher auch zu den Themen Wirtschaft und Finanzen* geschrieben und herausgegeben, viele davon sind in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. * Werbelink
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    Seite 4 von 5
    Verfasst von Rainer Zitelmann
    Buchtipp Die bundesdeutsche Linke der 70er Jahre - Seite 4 Gunnar Hinck, Wir waren wie Maschinen. Die bundesdeutsche Linke der siebziger Jahre, Rotbuch Verlag, Berlin 2012, 464 Seiten.

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