Buchtipp
Die bundesdeutsche Linke der 70er Jahre - Seite 5
Kritik
An manchen Stellen möchte ich dem Autor dennoch widersprechen. So vermutet er, dass manche ehemaligen Aktivisten über ihre Vergangenheit schwiegen, weil eine Offenlegung der linksradikalen Vita als
Bedrohung der eigenen beruflichen Existenz betrachtet werde. Private Arbeitgeber hätten damit „heutzutage offensichtlich mehr Probleme als der Staat“ (S. 382). Dies entspricht nicht meiner
Erfahrung. Man kann noch so weit Linksaußen gestanden haben – daraus wird nach meiner Erfahrung niemandem in der Wirtschaft ein Vorwurf gemacht. Vielmehr wird das nach dem bekannten Spruch „Wer mit
20 kein Sozialist ist, hat kein Herz, wer mit 30 immer noch einer ist, hat keinen Verstand“ als Jugendsünde sofort verziehen. Jedenfalls viel eher, als wenn jemand in seiner Biografie auch nur
leicht rechts vom CDU-Mainstream gestanden hat.
Auch finde ich das Urteil über einige von mir geschätzte Wissenschaftler und Journalisten – Bernd Ziesemer, Götz Aly, Thomas Schmid – sehr hart und apodiktisch. Ich finde, niemandem sollte man seine Vergangenheit zum Vorwurf machen, wenn er sich selbstkritisch damit auseinandersetzt, was diese Personen getan haben. Viel kritischer würde ich da jemanden wie Claudia Roth sehen, die in dem Buch fehlt. Sie war Managerin einer Rockgruppe, in deren Liedern offen zur Gewalt gegen „Bullen“ aufgerufen wurde und bei deren Konzerten RAF-Flugblätter verteilt wurden. Sie hat sich von dieser Tätigkeit nie distanziert, sondern ist bis heute sehr stolz darauf. Dies trifft auch für deutsche Medien wie den „Spiegel“ zu, der – dies gehört zu den interessantesten Seiten in vorliegendem Buch – Mao Tsetung und die sogenannte „Kulturrevolution“ idealisierend verherrlichte.
Das Buch hätte gewonnen, wenn der Autor sich – wie ein Historiker – stärker darauf beschränkt hätte, zu beschreiben und zu erklären, statt zu urteilen oder zu richten. Trotz dieser Anmerkungen: Dieses Buch gehört zu den wichtigsten Werken über die bundesrepublikanische Nachkriegsgeschichte. Es ist zu hoffen, dass weiter über dieses bislang vernachlässigte Thema geschrieben und geforscht wird. Dem Buch ist eine erweiterte Neuauflage zu wünschen, in dem der Autor weitere Protagonisten und deren Entwicklung beschreibt. Personen wie etwa der ehemalige KBW-Aktivist und heutige Ministerpräsident Winfried Kretschmann spielen heute ja eine größere Rolle als beim erstmaligen Erscheinen dieses wichtigen Buches. Auch unter AfD-Abgeordneten finden sich ehemalige Maoisten, so wie etwa Wolfgang Gedeon (Ex-KPD/ML) im Landtag von Baden-Württemberg. Und wenn die FDP in den Bundestag kommt, wird mit Thomas Sattelberger auch bei den Liberalen ein Ex-Maoist als Abgeordneter vertreten sein.
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