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    FTD +++ NEUER MARKT +++ ENDE EINER EUPHORIE +++ - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 12.03.01 09:27:49 von
    neuester Beitrag 13.03.01 15:57:55 von
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      schrieb am 12.03.01 09:27:49
      Beitrag Nr. 1 ()
      Aus der FTD vom 12.3.2001 www.ftd.de/neuer-markt
      Neuer Markt: Ende einer hausgemachten Euphorie
      Von Christoph Keese, Wolfgang Münchau, Ina Bauer und Tim Bartz

      Der Neue Markt wird vier Jahre alt. Aus diesem Anlass veröffentlicht die FTD eine Serie über Aufstieg und Fall des Wachstumssegments. Teil 1 der neuen Serie.

      Als der Frankfurter Insolvenzverwalter Dirk Pfeil erstmals die Telekommunikations-Firma Gigabell betrat, fragte er nach den Buchhaltungs-Computern. Das am Neuen Markt notierte Unternehmen hatte gerade Zahlungsunfähigkeit angemeldet. Die Angestellten verwiesen Pfeil auf einen Rechner - doch auf dem war die Software nicht installiert. Die stand unausgepackt im Schrank. Im ganzen Unternehmen war kein Computer mit ordnungsgemäßer Buchführung zu finden.

      Der verwunderte Pfeil wollte daraufhin die Rechnungen sehen, die angeblich von Schuldnern nicht bezahlt waren und die als hohe Forderungen in den Büchern standen. Wieder Fehlanzeige: Einen Sammelordner gab es nicht, die Angestellten zogen nur vereinzelte Blätter aus den Schubladen - sie wussten schlicht nicht, wer ihnen wie viel Geld schuldete. Spätestens da wurde Pfeil klar, dass mit dem Neuen Markt etwas nicht stimmt: "Ich dachte, das sind alles Hightech-Unternehmen, die ein schwieriges Genehmigungsverfahren durchlaufen müssen. Und dann finde ich eine Firma, bei der nicht einmal die Buchhaltung läuft."


      Vor vier Jahren, am 10. März 1997, startete in Frankfurt der Neue Markt, und vor genau einem Jahr erreichte er seinen Höhepunkt: Auf 9604,46 Punkte kletterte der Nemax 50 damals. Dann endete die Euphorie in einem Hagel schlechter Nachrichten - es ging bergab. Innerhalb von zwölf Monaten büßte der Index 81 Prozent seines Wertes ein. Manche Investoren konnten noch rechtzeitig aussteigen, doch die meisten verloren viel Geld - auf dem Papier, weil sie ausharrten und jetzt auf fast wertlosen Aktien sitzen, oder real, weil sie ihre Verluste realisierten.



      Geld vernichtungsmaschine Neuer Markt


      Der Crash des Neuen Marktes hat so viel Geld vernichtet wie kein anderes Börsenereignis der deutschen Nachkriegsgeschichte. Vor einem Jahr steckten 234 Mrd. Euro Kapital in dem Segment. Heute sind es nur noch 89 Mrd. - obwohl in diesem Zeitraum 133 neue Unternehmen an den Markt gingen und dabei weitere 13 Mrd. Euro einsammelten. Knapp 160 Mrd. Euro wurden somit entweder abgezogen oder vernichtet.


      Der Fall der Wachstumsmärkte ist auch ein internationales Phänomen. Doch in keinem Land war die Bewegung so extrem wie in Deutschland. Die Nasdaq, der High-Technologie-Markt in den USA, rutschte während der letzten zwölf Monate lediglich um 56 Prozent ab. Der rasante Sturz in Frankfurt ist damit teils ein globales, teils ein spezifisch deutsches Problem.


      Fallen konnten die Deutschen nur so tief, weil sie vorher so hoch gestiegen waren. Nirgendwo war die irrationale Übertreibung so maßlos wie hier zu Lande. Einen ersten Fieberschub erlebte der Neue Markt vom Sommer 1998 bis zum Jahresende. Damals verdoppelte der Nemax seinen Wert, während der Nasdaq Composite nur halb so viel stieg. Dann hielt der Nemax länger als ein halbes Jahr inne; die Amerikaner zogen auf gleiches Niveau nach. Im Herbst und Winter 1999 kletterten beide Märkte weiter, allerdings mit drastischem Skalenunterschied: Die Nasdaq legte um 80 Prozent zu, der Neue Markt verdreifachte seinen Wert nahezu.


      Das war die Extrem-Übertreibung, die sich rächte. Sie beruhte auf einer fundamentalen Fehleinschätzung des Technologie-Booms von 1999. "In dieser Zeit gaben die Firmen viel Geld aus, um das vermeintliche Jahr-2000-Problem zu lösen", sagt Mike Young, Chefstratege für europäische Aktien bei Goldman Sachs in London. "Hinzu kam ein massiver Anstieg der Investitionsausgaben im Telekommunikationssektor." Dies waren Einmaleffekte, die nicht in die Zukunft hätten hochgerechnet werden dürfen.



      Hausgemachtes Problem


      Beide Märkte - der amerikanische und der deutsche - tappten in die gleiche Falle, doch die Deutschen waren um den Faktor 2 euphorischer. Der globale Effekt erklärt etwa die Hälfte des hiesigen Absturzes. Der Rest des Problems ist hausgemacht.


      Für alle Beteiligten hat der Einbruch gravierende Folgen. Mehr als 50 Unternehmen verschoben im vergangenen Jahr ihren Börsengang. Ihnen fehlt jetzt das Kapital für geplantes Wachstum. Beispiel Flachbildschirmhersteller Data Display aus Germering bei München: Das Unternehmen will frühestens im nächsten Jahr herauskommen und hat bis dahin keinen Zugang zu Börsenkapital. Sprecher Armin Polster: "Der Ruf des Neuen Markts hat sehr gelitten. Wir denken jetzt auch über andere Marktsegmente nach."


      Etliche Qualitätswerte wurden in den Strudel gerissen, obwohl sie gute Zahlen liefern. Manche von ihnen erwägen einen Abschied. Computer-Dienstleister IDS Scheer zum Beispiel meldete für das vergangene Jahr 245 Mio. DM Umsatz und 32 Mio. DM Vorsteuerergebnis - eine Steigerung weit über den eigenen Prognosen. Trotzdem fiel der Kurs in den letzten zwölf Monaten um 40 Prozent. Vorstandssprecher Helmut Kruppke: "Das liegt eindeutig am negativen Umfeld des Neuen Marktes. Wir sind in Sippenhaft genommen." Wenn der Firmenwert am Neuen Markt dauerhaft nicht dargestellt werden könne, denke man über einen Ausstieg nach. Ähnlich droht auch Mobilcom-Chef Gerhard Schmid.


      Allerdings sind die Aussteigewilligen derzeit in der Minderheit. Beispiel Aixtron: Der Halbleiter-Zulieferer hat seinen Kurs seit der Emission im November 1997 bis heute mehr als verzehnfacht und zählt damit zu den Stars. Vorstand Kim Schindelhauer: "Der Markt ist eine gute Sache. Es wäre katastrophal, wenn man ihn kaputtredet wegen einiger schwarzer Schafe." So oder ähnlich argumentierten die meisten Unternehmer in den Interviews der FTD.



      Privatanleger sind die Verlierer


      Die größten Verlierer des Neuen Markts sind die Privatanleger. Sie gingen oft nahtlos vom Sparbuch in die Aktie; an einen Markt, der sie vielfach überforderte. Sie wurden Opfer einer Unklarheit, die von Anfang an bestand: Für welche Investoren ist das Wachstumssegment eigentlich gedacht?


      In der Phase vor dem Start diskutierte die Börse das intensiv mit Banken, Politik und Unternehmen. Den Stand der Diskussion kurz vor dem Start fasste die "FAZ" im Januar 1997 so zusammen: "Für den Privatanleger ist das neue Handelssegment nach Ansicht von Experten nicht geeignet. Professionelle Investoren mit großer Kapitalausstattung können hingegen bei einer Investition hohe Renditen einstreichen."


      Allerdings geriet die Deutsche Börse vor dem Start unter Druck. Kritiker warfen ihr vor, die Latten durch Qualitätsprüfungen und Meldepflichten zu hoch zu legen. Noch im März 1997 schrieb der "Spiegel": "Die Kandidaten für den Neuen Markt sind rar" - und würden es auch bleiben. "Wir hatten bis zuletzt gezittert, denn nichts ist schlimmer, als ein neues Produkt zu starten, ohne Kunden zu haben", sagt auch Rainer Riess, heute Head of Primary Markets der Deutschen Börse und damit Chef des Neuen Markts. "Wir waren sehr froh, mit Mobilcom und Bertrandt zwei sehr ordentliche Unternehmen zum Start gefunden zu haben." Wenn schon das Angebot fraglich war, sollte wenigstens die Nachfrage stimmen. Auf die institutionellen Anleger alleine wollte man sich nicht verlassen. Mehr und mehr gerieten die Privatanleger in den Fokus. Damals waren gerade 5,5 Prozent des Geldvermögens der Haushalte in Aktien investiert. Nur 16 Prozent des Aktienumlaufs steckte in Daueranlagen privater Haushalte. Den Rest der Papiere hielten Unternehmen.



      Unberührte Geldquelle anzapfen


      Diese unberührte Geldquelle wollte die Börse anzapfen. Riess: "Es war das erste Mal, dass die Börse an den Privatanleger als Kunden wirklich gedacht hat. Wir haben uns an Anlageberater und Privatanleger gewandt und haben als Medium das Internet intensiv genutzt." Die Stimmung jener Zeit brachte Unternehmer Horst Görtz, Chef des Nachrichtenverschlüsselers Ultimaco, im "Spiegel" auf den Punkt: Angesicht der vielen Milliarden, die in Deutschland jedes Jahr mit "wertlosen Warenterminkontrakten oder Optionsgeschäften" verpulvert würden, wäre es viel klüger, wenn dieses Geld an die Börse flösse. "Wenn wir nur ein Zehntel dieses Risikokapitals mobilisieren können, entsteht ein unglaublicher Dampf, der viele Unternehmen nach oben reißen würde."


      Viel zu wenig fragten sich Banken und Börse: Würde es wirklich gut für Kleinaktionäre sein, massiv in das neue Risikosegment zu investieren? Anders als bei der Nasdaq in den USA warnte von offizieller Seite niemand die Privatanleger. Eine fundamentale Wahrheit blieb dadurch unbeachtet: Man sollte stets nur einen kleinen Anteil seines Vermögens in Wachstumsbörsen stecken. Wer zu viel am Neuen Markt investiert, kann sein Risiko nicht streuen, denn die Unternehmen haben dort per se ein sehr ähnliches Risiko-Chance-Profil. Das haben viele Anleger nicht verstanden. Sie sicherten sich vermeintlich ab, indem sie ihr Geld auf verschiedene Neue-Markt-Aktien verteilten - ein fataler Fehler im Portfoliomanagement, vor dem Banken und Börse sie deutlicher hätten warnen sollen.


      Seit dem Crash sucht die Öffentlichkeit die Schuld vor allem bei Unternehmen und Managern. In der Tat gibt es Betrüger und Größenwahnsinnige am Neuen Markt. Beispiel EM.TV: Mitte Februar 2000 verkaufte Vorstandschef Thomas Haffa außerbörslich 200.000 Aktien und verstieß damit gegen eine Haltefrist, die im Unternehmensbericht vereinbart war. Und noch am 5. November behauptete Haffa auf einem Aktienseminar öffentlich, seine Zahlen seien stimmig. Nur vier Wochen später, am 6. Dezember, bewies sein Quartalsergebnis das Gegenteil.



      Staatsanwälte und Klagen


      Beispiel Metabox: Gegen den Hersteller von Settop-Boxen ermittelt die Staatsanwaltschaft Hannover wegen Kursmanipulation und Kapitalanlagebetrugs. Staatsanwälte im Haus hat auch der bayerische Spezialsoftware-Produzent b.i.s wegen des Verdachts auf Nichtmeldung einer Geschäftsanbahnung. Bei Infomatec wurden zwei Vorstände festgenommen. Anleger verklagen das Unternehmen außerdem, weil es fälschlich Aufträge über 163 Mio. DM gemeldet haben soll.


      Besonders barock führte sich Gigabell-Vorstandschef Daniel David auf. Er jonglierte im letzten Herbst mit zwei potenziellen Investoren - der auf den Bahamas registrierten Briefkastenfirma Costingham und dem italienischen Internet-Anbieter Tiscali. Obwohl er mit keinem der beiden zum Abschluss kam, mietete er ein Schiff auf dem Main und warf eine teure Party. Insolvenzverwalter Dirk Pfeil: "Bei denen ging es immer zuerst ums Feiern. Das konnten die am besten." Die Rechnungen für das schicke Flussfest konnte Gigabell nicht bezahlen. Reeder und Caterer stehen jetzt beim Insolvenzverwalter mit anderen Gläubigern Schlange.


      Ende Februar entzog die Deutsche Börse Gigabell die Zulassung, weil die Firma nach "mehrfacher Ermahnung" keinen Geschäftsbericht zum dritten Quartal vorgelegt hatte. Es war das erste Mal, dass der Neue Markt ein Unternehmen ausschloss. Zwei Wochen später folgte der nächste Schock für Anleger: Software-Hersteller Micrologica stellte Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit.



      Firmen sind nicht das Problem


      Diese Fälle verursachen viel Aufregung, doch sie sind für eine Wachstumsbörse ganz normal. 337 Unternehmen sind derzeit am Neuen Markt notiert. In den vier Jahren des Bestehens stellten mit Gigabell, Letsbuyit.com und Micrologica gerade einmal drei Firmen einen Insolvenzantrag, nur eines wurde ausgeschlossen. Zum Vergleich die Nasdaq: Im letzten Jahr mussten 700 Firmen die Börse verlassen, weil sie pleite waren, ihre Aktie mehr als 30 Handelstage unter 1 $ sackte oder sie gegen eine der vielen anderen Regeln verstoßen hatten.


      Zuletzt bekamen Xpedior, Bluefly und Affinity den Blauen Brief der Börsenverwaltung. 1999 waren es gar 906 von 5068 gelisteten Firmen. Seit vielen Jahren fliegen auf diese Weise rund 20 Prozent der Werte hinaus, während etwa die gleiche Zahl neu zugelassen wird. Übertragen auf den Neuen Markt hieße das: Pro Jahr könnten rund 70 Unternehmen aussteigen. Davon sind die Frankfurter noch weit entfernt.


      Auch ist die Qualität der notierten Werte im Schnitt höher, als die einzelnen Skandale der letzten Zeit vermuten lassen. Firmen wie Teleplan, D. Logistics, Comroad, Qiagen, Aixtron oder Thiel Logistics sind solide und haben ihren Erstkäufern bis heute Geld gebracht. Von den 264 Unternehmen, die in den vergangenen zwei Jahren emittierten, liegen 50 trotz der brutalen Korrektur noch immer satt über ihrer Erstnotiz.


      Die Firmen waren also nicht das größte Problem des Neuen Marktes. Gelitten hat der Markt vor allem unter überhöhten Emissionspreisen und irrationaler Käufernachfrage. Wer trägt daran die Schuld? Sind es die Banken, Analysten und Medien? Wer muss was verantworten? Die Antworten darauf gibt diese Serie.



      © 2001 Financial Times Deutschland
      Avatar
      schrieb am 12.03.01 09:35:37
      Beitrag Nr. 2 ()
      Die Gier der Menschen ist verantwortlich........
      Avatar
      schrieb am 12.03.01 09:53:49
      Beitrag Nr. 3 ()
      M.E. hat der NM keine Zukunft und es ist zum Teil unver-
      antwortlich gegenüber den Aktionären von soliden Firmen
      (ich denke es gibt ca. 40 bis 50 solide Firmen am NM) die
      Aktien in diesem Segment zu belassen und immer wieder ohne
      Grund in Sippenhaft des Gesamtmarktes genommen zu werden.
      Aktien im NM zu emmitieren oder zu belassen; eine echte
      Anti-Shareholdervalue Politik.
      Avatar
      schrieb am 13.03.01 15:57:55
      Beitrag Nr. 4 ()
      Aus der FTD vom 13.3.2001 www.ftd.de/neuer-markt
      Krise am Neuen Markt: Falscher Glaube an eine Neue Ära
      Von W. Münchau & C. Keese, Hamburg, & I. Bauer & T. Bartz, Frankfurt

      Wie die Euphorie entstand und wer sie antrieb - Teil 2 der Serie über den Aufstieg und Fall des Neuen Marktes.

      Vor 13 Jahren führte eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler ein Börsen-Experiment durch. Jeder Spieler bekam Startkapital, das Spiel ging über 15 Runden. Gleich zu Anfang bekamen die Spieler gesagt, wie viel die einzelnen Aktien am Ende Wert sein würden. Die Professoren wollten herausbekommen, ob selbst bei absoluter Sicherheit des Endstandes ein Crash möglich ist.

      Ergebnis: Die Spieler erzeugten stets eine Blase, auf die unweigerlich ein Crash folgte. Erst kauften sie massiv Aktien, dann glaubten sie, rechtzeitig vor den anderen aussteigen zu können. Ein fataler Irrtum - bei überreizten Märkten reicht schon ein kleines Signal für eine Verkaufspanik.



      Mangelnde Erfahrung


      Dieses Ergebnis der experimentellen Wirtschaftsforschung liefert eine zentrale Erklärung, was am Neuen Markt falsch gelaufen ist. Neben der globalen Überbewertung der Technologie-Märkte herrschte in Deutschland eine hausgemachte Euphorie. Mike Young, Chefstratege für Europäische Aktien bei der Investmentbank Goldman Sachs: "Deutsche Investoren handelten weniger intelligent als Amerikaner und Briten, und deutsche Analysten haben die Bewertung der Firmen unkritisch betrachtet." In den USA war die Situation anders: Dort hatten die meisten Privatinvestoren Ähnliches schon einmal persönlich erlebt.


      Die Hochphase der deutschen Euphorie dauerte vom Herbst 1999 bis zum März 2000. In dieser Zeit schwangen sich viele Aktien in abenteuerliche Höhen auf:


      Beispiel Intertainment: Zwischen Februar und Dezember 1999 legte der Film- und Videohändler 595 Prozent zu. Als Begründung reichte den Märkten der Abschluss einiger großer Verträge mit Filmstudios. Die Anleger waren bereit, für die Aktie das 204-Fache des Gewinns zu zahlen, ein astronomischer Wert. Jetzt ist es nur noch 4,7-Fache.


      Beispiel RTV Family Entertainment: Hier schoss der Kurs Ende 1999 sogar auf das 438-Fache des Gewinns. Hauptgrund war die Kooperation mit der kanadischen Firma Nelvana. Niemand wusste jedoch, wie dieses Geschäft auf die Zahlen wirken würde. Rekordhalter war Broadvision, der Hersteller von E-Business-Lösungen. Die Käufer zahlten das 763-Fache des Gewinns. Broadvision kam damit auf einen Börsenwert von 10 Mrd. Euro, dreimal soviel wie Adidas-Salomon.


      Die Börse funktionierte wie ein Schneeballsystem. Wolfgang Gerke, Professor für Börsenwesen an der Universität Erlangen: "Alle sind plötzlich gierig geworden und hatten Angst, hinter den Profiten der Nachbarn zurückzubleiben." Klaus Rainer Kirchhoff, Vorstandsvorsitzender der Kirchhoff Consult in Hamburg: "Die Analysten waren zu euphorisch. Aber am meisten haben Presse und Kleinanleger überzogen."


      Zeitungen und Magazine, Radio und Fernsehen bauten ihre Finanzberichterstattung aus. Unzählige Börsenbriefe und Internetportale kamen auf den Markt. Im Februar 2000 druckte "Das Wertpapier" eine Titelgeschichte mit der Überschrift "Mit 100 Mark zur Million". Die Geheimtipps des Magazins waren: EM.TV, Intershop und Microsoft. Fazit: "Der Börsenboom dürfe aller Voraussicht nach auch in naher Zukunft weitergehen."


      Ein Investment-Profis wie Wassili Papas, Manager des Uni Dynamic Global Fonds sagte noch im März letzten Jahres öffentlich: "Wir werden im Jahr 2000 erst einmal eine Konsolidierung oder Korrektur sehen. Aber dann wieder eine sehr positive Entwicklung. Ich setze auf Techno-Werte."


      Der Internetdienst Meome.de meinte noch im Herbst 2000 in einem Leitartikel: "Von einer fairen Bewertung spricht man bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 90 (sic!)." Ob Nasdaq oder Neuer Markt - hier werde "die Zukunft gehandelt, in der wir leben werden."


      Naive Aussagen wie diese erklären, warum viele Privatanleger den rechtzeitigen Ausstieg nicht schafften. Für sie war der Neue Markt das Symbol einer neuen Ära - die New Economy -, an die sie selbst glaubten. Keiner wollte zugeben, dass er einer altmodische Blase zum Opfer gefallen war. Ein typischer Anfängerfehler: Man redete sich ein, es würde alles besser und gab nicht zu, sich geirrt haben.


      Auch die Analysten waren dem "New Era"-Denken verfallen. Gebhard Klingenstein, Managing Director Equity Sales and Trading, bei Merrill Lynch: "Mir wurde im Januar 2000 klar, dass der Neue Markt überbewertet war. Da fingen Analysten nämlich an, die hohen Aktienkurse mit White Noise zu erklären." Der Begriff White Noise stammt aus der Physik. Damit erklären Wissenschaftler jenen Teil der Bewegung eines Gasmoleküls, den man nicht errechnen kann.



      Unsinnige Erklärungen


      Auf die Aktienmärkte übertragen heißt das: Der Trend der Vergangenheit wird in die Zukunft extrapoliert - mit einer kleinen Bandbreite von Schwankungen und ohne Rücksicht auf Fundamentaldaten. Mit der White-Noise-Erklärung erreichte der Irrsinn seinen Höhepunkt. Nie zuvor war über die Finanzmärkte soviel Unsinn geredet worden wie in der Hochphase dieser Euphorie.


      Unter dem Beschuss von Analysten und Medien wurden immer mehr Deutsche vom Sparbuchinhaber zum Zocker. Zwischen 1997 und 2000 stieg der Anteil der Aktionäre und Fondsbesitzer an der Bevölkerung von 8,9 Prozent auf 19,3 Prozent. Dieser Sprung kam plötzlich. Noch im Februar 1997 hatte Hans Büschgen, Professor für Bankwirtschaft und Bankrecht an der Universität Köln, bemängelt, dass es in Deutschland keine Aktienkultur gibt: "Ein über lange Dauer eingeübtes Anlageverhalten wird sich nicht leicht kurzfristig ändern lassen."



      "Ein Volk von Zockern"


      Da irrte der Professor. "Die Deutschen sind ein Volk von Zockern", meint Markus Straub, Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre. Und Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW), sagt: "Der Deutsche ist im Innersten ein Spekulant. Er liebt das Risiko." Ein Beispiel dafür ist der Erfolg von Optionsscheinen hierzulande. Davon gibt es etwa zehnmal so viele wie Aktien.


      Warnungen ertönten viele, doch die meisten blieben ungehört. Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) zum Beispiel schlug Anfang März 2000 Alarm. "Doch wer damals auf die Euphorie-Bremse trat, wurde als Miesepeter abgekanzelt", sagt Rüdiger von Rosen, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des DAI. "Nichts wird im Wirtschaftsleben so bewusst falsch verstanden wie eine Phase der großen finanziellen Spekulation", schreibt der amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith.


      Fast alle Börsencrashs des 20. Jahrhunderts fanden unter ähnlichen Voraussetzungen statt - zum Beispiel die Einbrüche von 1901, 1929, 1966, und 2000. Meist beginnt eine so genannte Boom-Bust-Phase in einer Zeit stabilen Wirtschaftswachstums. Erst gehen die Gewinne der Unternehmen hoch, dann steigen die Erwartungen der Anleger langsam und die Aktienkurse klettern stetig. Das heizt die Erwartungen weiter an, die Kurse beginnen zu fliegen.


      Plötzlich reichen die traditionellen Bewertungskriterien nicht mehr aus. Theorien von einer Neuen Ära werden populär. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts lösten vermeintliche Kartellgewinne einen Börsenboom aus. In den 20er Jahren glaubten die Leute an eine Ära hoher Produktivität. In den 60er Jahren war es der Irrglaube, Wirtschaftszyklen durch Fiskalpolitik kontrollieren zu können. Und den 90er Jahren die Mär von der New Economy. Früher oder später wurden all diese Theorien von der Wirklichkeit eingeholt.


      "Es ist interessant, dass vor der Weltwirtschaftskrise in den 20er Jahren auch von einer Neuen Ökonomie gesprochen wurde", sagt Wirtschafts-Nobelpreisträger Reinhard Selten von der Universität Bonn. Und es kam dann zu der großen Krise.


      Seltens Argument erinnert an die Warnung von Robert Shiller, Finanzprofessor an der Universität Yale. In seinem Bestseller "Irrational Exuberance" sagte Shiller den Börsenkrach vorher. Sein zentrales Argument: Kurs-Gewinn-Verhältnis und Anteil der Firmenprofite am Volkseinkommen sind über lange Perioden konstant. Wenn sie eine Zeit lang nach oben abweichen, folgt unweigerlich eine Periode des Ausbruchs nach unten. Langfristig liegen die Kurs-Gewinn-Verhältnisse zwischen 10 und 15 - und nicht bei 736 wie im Falle Broadvision.



      Stagnation möglich


      Ökonom Selten hat errechnet, dass es auch nach dem Crash im Nemax 50 nur drei Werte mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis unter 15 gibt. Dabei vergleicht er die Situation am Neuen Markt mit der Autoindustrie zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals gab es sehr viele Hersteller, von denen die meisten bis heute untergegangen sind. Auch im Neuen Markt würden nur wenige überleben.


      Shiller und Selten glauben, dass der Periode der Überschwangs eine längere Pause folgen wird. Selten: "Von 1968 bis 1983 bewegten sich die Aktienmärkte seitwärts. Auch heute kann es sein, dass es zu einer solch langen Stagnation kommen wird."


      In den USA hatte die New Economy einen messbaren Effekt auf die gesamtwirtschaftliche Produktivität. Der blieb in Deutschland und anderen europäischen Staaten jedoch aus. Ray Barrell, Konjunkturchef des National Institute for Economic Research in London, meint, dass die USA durch den Technologie-Sektor einen permanenten und nicht einholbaren Wettbewerbsvorteil gewonnen haben. Auch die Europäische Zentralbank glaubt nicht, dass die New Economy für die europäische Volkswirtschaft ein wichtiger Faktor ist.


      Vor einem Jahr machten Privatanleger etwa 50 Prozent des Handelsvolumens am Neuen Markt aus. Heute sind es nach Schätzungen eher 40 Prozent - Tendenz weiter fallend. In den USA, wo die Aktienkultur viel älter und intensiver ist als in Deutschland, investieren die meisten Privatanleger ohnehin nicht direkt in Aktien, sondern in Fonds. Sie gehen vermeidbaren Risiken eher aus dem Weg. Auch deutsche Privatanleger werden in Zukunft wohl vorsichtiger sein - allerdings vermutlich nur bis zur nächsten Euphorie.



      © 2001 Financial Times Deutschland


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