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    der 60-jährige Krieg - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 24.10.04 13:44:51 von
    neuester Beitrag 24.10.04 22:27:03 von
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      schrieb am 24.10.04 13:44:51
      Beitrag Nr. 1 ()
      Der Dreißgjährige Krieg oder Die Verrohung Lieschen und Otto Müllers (

      (c) Werner Schlegel

      Je länger der Dreißigjährige Krieg dauerte, desto mehr verrohten seine Beteiligten, desto brutaler wurden die in ihm verübten Gräuel. "Die Schweden", ein zusammengewürfelter Heerhaufen längst völlig entwurzelter Landsknechtsöldner zahlreicher Nationalitäten, machten alles nieder, was ihnen im falschen Moment - also praktisch immer - über den Weg lief. Sie drangen in Dörfer und Städte ein und schlachteten die Einwohner ab. Sie folterten, nicht nur um Kenntnis von Gold- und Geldverstecken zu erhalten, sondern aus purer sadistischer Lust am Quälen.
      Das Grauen, dass sie verbreiteten, hielt sich lange im Gedächtnis der Menschen. Noch in den frühen Sechzigerjahren wurde ich im Geschichtsunterricht meiner bayerischen Zwergschule über einige ihrer humanitätsfördernden Erfindungen informiert: Etwa den "Schwedentrunk", also das zwangsweises Einflößen von Jauche. Oder das - auch in der Hexen-Frauenverfolgung gebräuchliche - "Schnüren" und "Trillen", das Einsägen des Fleisches bis auf die Knochen durch Hin- und Herziehen rauer Schnüre um die Extremitäten. Apropos: Kein Zufall, dass einer der letzten, durch besonders bestialische Foltermethoden gekennzeichneten Höhepunkte der so genannten Hexenverfolgung, in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges fiel.

      Neben Johann von Grimmelshausens "Schelmenroman" Simplicissimus brannte nicht zuletzt die kanzelmanifeste Geschichtsschreibung der katholischen Kirche eine Tatsache ins kollektive Volksgedächtnis ein: die Gräueltaten der schwedischen Truppen und ihrer marodierenden Absprengsel. Dabei sah es auf der anderen Seite, bei der kaiserlich-katholischen Soldateska (auf deren Seite Grimmelshausen aktiv war) nicht einen humanitären Deut besser aus. Davon weiss nicht nur die Historie Magdeburgs ein garstig Lied zu singen. Die Stadt wurde 1631 von Tillys Schlächterhaufen niedergebrannt, ihre Einwohner auf die übliche Art "behandelt": Folter, Vergewaltigung, Mord.

      Mord, ein Mord, gilt für uns heutige, so genannte moderne Menschen als zwar menschliche aber illegitime und illegale Grenzüberschreitung, die es zu ahnden gilt. Sie berührt uns mehr oder - meist - weniger. Ansonsten sorgt die staatliche Justiz in vielen Fällen für juristische Aufarbeitung und Sühne. Nicht zuletzt, um uns eben genau daran immer wieder zu erinnern: Wir sind - sozusagen von Natur aus - letztlich alle zum Morden befähigt und lebten deshalb ziemlich schnell in einer Albtraumgesellschaft, wenn Mord legal und legitim wäre, was ja bekanntlich nicht das Gleiche ist.

      Paart sich die Mordtat mit Merkmalen vermeintlich außergewöhnlicher Grausamkeit (vermeintlich, weil der Mensch auch hier zu allem fähig ist) oder richtet sie sich, wie etwa im Falle des Eschweiler Geschwisterpaares Sonja und Tom, gar gegen Kinder, sind wir ernsthaft empört. Dafür sorgen nicht zuletzt unsere multimedialen Boulevardmedien. Sie suhlen sich stellvertretend so sehr in unser aller Entsetzen, dass man sich oft eines Verdachts nicht erwehren kann: Sie wissen nur zu gut um unser aller mordlüsternen Fähigkeiten und betreiben deshalb so erfolgreich ihr blutrünstiges Geschäft, weil sie an unser insgeheimes rationales Entsetzen vor den eigenen Abgründen appellieren.

      Dieses Entsetzen verstummte jedoch rasch, wenn wir statt mit ein, zwei (Kinder)Morden im Jahr tagtäglich damit konfrontiert würden. Wir stumpften ab. Jeden Tag mehr. Solange, bis der Massen-Mord im Wortsinn alltäglich geworden wäre. Und deshalb ist es so elend wichtig, dass Mord auch Mord bleibt. Egal wo er sich ereignet, egal wie und mit welcher Begründung.

      Der Dreißigjährige Krieg begann formal als religiös-fundamentalistische Auseinandersetzung zwischen katholischen und protestantischen deutschen Herrschern (und war - im europäischen Maßstab betrachtet - zunächst lokal begrenzt). Natürlich wissen wir heute, dass einige Kriegsbeteiligte diesen "Grund" nur zitierten, um rein machtpolitische Interessen zu verfolgen. Aber das gilt letztlich für jede kriegerische Auseinandersetzung der Menschheitsgeschichte. Welch formales Etikett ihnen auch immer aufgeklebt wurde, die heimlichen innersten Gründe waren stets die Urmotive des simplen Eroberungskrieges: Macht und Profit vermehren. Je einfacher sich dies mit Begriffen wie "Ehre des Vaterlandes", "Glaubensfrage" oder "humanitäre Notwendigkeit" verschleiern lässt, desto schneller und leichter lassen sich Kriege begründen und vor allem: führen.

      In den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges, der - zu Recht oder Unrecht sei dahingestellt - immer mal wieder als "einer der verheerendsten in der europäischen Geschichte" (Microsoft-Encarta) bezeichnet wird, spielten die ursprünglichen Gründe praktisch keine Rolle mehr. Und von einer lokalen Begrenzung war schon nach wenigen Jahren nicht mehr die Rede gewesen. Stattdessen hatte sich Herrscher um Herrscher an der jeweiligen "Koalition der Willigen" beteiligt. Für sie war der Krieg lediglich machtpolitisches Instrument - für ihre Untertanen dagegen das nackte Grauen.

      Besonders auf dem Land, fernab der befestigten Städte, war am Ende niemand mehr seines Lebens sicher. Alte und Junge, Frauen und Männer, sie alle lebten in einer Zeit des Terrors. Praktisch täglich mussten sie damit rechnen, das irgendeiner der kleinen, umherziehenden marodierenden Haufen ihr Dorf, ihren Weiler überfiel, sie abschlachtete und ihre Häuser zerstörte. Gräueltaten empfanden sie als "Normalität" - sie kannten letztlich nichts anderes mehr.

      Nun gibt es eine Auseinandersetzung, die schon länger andauert, als der Dreißigjährig Krieg - nämlich fast doppelt solange. Sie begann lokal begrenzt, weitete sich später auf immer mehr Staaten aus und erfasst nun langsam aber sicher die ganze Welt. Geschichte wiederholt sich nicht, sagte einst ein kluger Mann. Vielleicht deshalb begann dieser bald sechs Jahrzehnte währende Krieg deshalb nicht - wie einst der Dreißgjährige - als religiös begründeter Konflikt. Aber er scheint nun, nach unendlich langer Zeit, weltweit in einen solchen zu münden.

      Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist im jeweiligen staatlichen Existenzrecht des anderen begründet. Aber ob wir es wahr haben wollen oder nicht, im Rahmen seiner langen Entwicklung hat er immer mehr Länder indirekt und direkt beeinflusst. Der Kampf um die Existenzberechtigung eines jüdischen und palästinensischen Staates scheint spätestens seit dem Jahre 2001 in eine Kriegsfront Juden- und Christentum versus lslam zu mutieren. Und niemand kann in diesem Krieg mehr sicher sein, dass er nicht irgendwann, irgendwo in die Luft gesprengt, in Grund und Boden gebombt oder sonst wie massakriert wird.

      Übertreibung? Wir sollten die Angehörigen fragen. Die der Toten von Srebrenica und die der vergewaltigten Tschetscheninnen. Die Angehörigen oder schwerst verletzt Überlebenden irgend eines in Israel gesprengten Busses oder die der Toten von Faludscha. (Dort legte am vergangenen Freitag eine abgeworfene 1000-Kilobombe der USA-Luftwaffe ganze Straßenzüge in Trümmer und zerfetzte eine unbekannte Zahl von Menschen, ohne dass dies unsere TV- und Hörfunknachrichten einer Erwähnung für wert befanden). Die Angehörigen der Kriegstoten im Kosovo, der Urlaubsopfer von Dschjerba und Bali, der Pendlerfamilien von Madrid. Sie alle sind Opfer dieses (über) 60-jährigen Krieges, in dessen Verlauf die Fronten verschwommen sind, immer mehr zerfaserten. Machtpolitische Interessen führten über Jahrzehnte zu wechselnden Unterstützungskoalitionen der jeweiligen Seite. Bei Europäern - mit Ausnahme vielleicht Frankreichs - und den USA überwog stets die Unterstützung Israels, bei den meisten arabischen und islamischen Staaten sowie den ehemaligen sozialistischen Ländern die der Palästinenser.

      Die Welt veränderte sich seit Beginn dieses nunmehr - nimmt man die israelische Staatsgründung vom 14. Mai 1948 als Ausgangspunkt - fast 56 Jahre währenden Konflikts. Wie im Dreißigjährigen Krieg wechselten Verbündete die Fronten, wurden Freunde zu Feinden und am wichtigsten: Stumpften wir alle ab. Mit jedem Jahr, dass dieser mal offen mal latent ausgetragen Krieg anhielt, gewöhnte der Rest der Welt sich mehr daran. Und mit jedem Jahr seiner Dauer brutalisierte er sich stärker. Kämpften erst (arabische) Armeen gegen eine (israelische) Armee und Soldaten gegen Soldaten, waren es bald Freischärler gegen Soldaten und Soldaten gegen Zivilisten. Noch später waren es Freischärler gegen Zivilisten, und Siedler gegen Freischäler, zuletzt selbstmörderische Familienväter, die andere Familienväter, -mütter und Kinder töten und eine Regierung, die die Ermordung eines querschnittgelähmten Krüppels im Rollstuhl anordnet, ohne dass ein Schrei der Empörung durch die Welt fegt. Stattdessen sehen wir stets stillschweigend zu - und weg. Mit verheerenden Folgen für uns alle.

      Die serbische Großmachtpolitik eines Slobodan Milosevic wäre ohne diesen bald zweimal dreißigjährigen Krieg ebenso wenig möglich gewesen, wie der NATO-Angriffskrieg gegen das kommunistische Jugoslawien. Der iranisch-irakische Krieg, mit seiner nach dem Motto "der Feind meines Feindes ist mein Freund" vorgenommenen Unterstützung beider Seiten durch die jeweiligen israelisch-palästinensischen Sympathisanten ebenso wenig, wie der zwangsläufig darauf folgende Golfkrieg II, der wiederum den dritten nach sich zog. Und im Windschatten der Golfkriegs-Kombatanten konnte sich ungerügt der Massenmord in Tschetschenien entwickeln. So greift ein Kriegsrad ins andere.

      Die Aktivisten sind längst so abgestumpft wie wir. Als Folge davon werden die kriegerischen Aktionen (egal, wer letztlich dafür verantwortlich zeichnet) immer skrupelloser, brutaler, gnadenloser. Wir haben uns daran gewöhnt. Auch daran, dass Mord nicht mehr Mord genannt wird. Unsere Medien umschreiben staatlich angeordnete Morde (also ein Verbrechen!) schlicht als "Tötung", "Liquidierung" oder - als wäre das Opfer ein rechtskräftig verurteilter Mörder - "außergerichtliche Hinrichtung" (ARD/ZDF/RTL/SAT 1). Die Ermordung von Zivilisten im Irak wiederum wird simpel als "Bekämpfung von Terroristen" dargestellt. Wer Bomben auf Wohnhäuser wirft "bringt die Demokratie", wer sich bewaffnet dagegen wehrt ist Terrorist - das ist Orwell at it`s best.

      "Die Hölle, das sind die anderen", schrieb Jean Paul Sartre in Ekel . In der Tat. Genau so, wie einst die kaiserlich Katholischen von ihren Kanzeln herab den Terror der protestantisch Schwedischen verkünden ließen und Stillschweigen über ihren eigenen wahrten, ist heute wieder Mord und Terror stets das, was die anderen begehen. Und wo wir schreien müssten, beschäftigten wir uns mit Superstarsuche und Fußballergebnissen. Es scheint nichts mehr zu geben, was uns zum Schreien bringt. Weder Mord und Totschlag, noch bedrohliche geschichtliche Parallelen. Etwa wenn in diesem Land (wie am 16. April geschehen) aller Gläubigen in einer Bochumer Moschee nach dem Freitagsgebet polizeilich kontrolliert, registriert und fotografiert werden. Man stelle sich diese Maßnahme nach einem christlichen Gottesdienst am Sonntag oder - um den Wahn-Sinn in seiner ganzen Dimension deutlich zu machen - vor einer jüdischen Synagoge vor. "Die Hölle, das sind die andern".

      "Richten wir uns also auf einen Dritten Dreißigjährigen Krieg ein", schrieb mir vor kurzem der zurzeit in den USA weilende Schriftsteller Jürgen Lodemann (Siegfried und Krimhild/Klett Cotta) in einer E-Mail. Sorry , aber wir sind schon seit fast zweimal 30 Jahren mitten darin. Und die dadurch bedingte Verrohung von Lieschen und Otto Müller ist sehr weit fortgeschritten. So weit, dass wir alle möglicherweise demnächst in einem Meer von Blut baden, wenn wir nicht endlich aufwachen und weltweit vernehmlich zu schreien beginnen: "Es reicht! - egal welche Gründe wer auch immer dafür nennt!"
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      schrieb am 24.10.04 14:00:58
      Beitrag Nr. 2 ()
      Selbst wenn ich den einleitenden Artikel wohlwollend betrachten würde, könnte ich diesen Zusammenhang nicht nachvollziehen:
      Zitat:
      " Die serbische Großmachtpolitik eines Slobodan Milosevic wäre ohne diesen bald zweimal dreißigjährigen Krieg ebenso wenig möglich gewesen, wie der NATO-Angriffskrieg gegen das kommunistische Jugoslawien. "

      Hä? Ich dachte immer, daß Menschen es auch schaffen, sich gegenseitig aus Machtgier und falschem Geschichtsverständnis sowie "historischen Gebietsansprüchen" (z.B. Kosovo) umzubringen, wenn Israelis und Palästinenser zufällig gerade mal nichts damit zu tun haben.
      Übrigens gab es auch mal einen "Hundertjährigen Krieg" (der mit Unterbrechuungen 115 Jahre dauerte und so ungefähr zwischen 1370 und 1480 stattfand), in dem es im wesentlichen um die Erbfolge- und Besitzansprüche der englischen Könige auf französische Ländereien ging. Damals glaubte auch niemand an einen Frieden zwischen Franzosen und Engländern und noch Jeanne d`Arc ging von einer ewigen Feindschaft zwischen beiden aus.
      Ich glaub`, damit hatten die Israelis und die Palästinenser aber gerade zufällig nichts zu tun, oder?
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      schrieb am 24.10.04 22:27:03
      Beitrag Nr. 3 ()
      Was will der Autor uns suggerieren? Vor 1948 hätte es weniger und harmlosere Kriege gegeben? Man sollte die Buchstabensammlung in #1 gar nicht weiter kommentieren. Selten eine dermaßen monokausale Denke erlebt.


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