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    Die Einmachglasrepublik - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 30.07.08 12:27:47 von
    neuester Beitrag 03.08.08 16:28:01 von
    Beiträge: 10
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      schrieb am 30.07.08 12:27:47
      Beitrag Nr. 1 ()
      Obamodern oder alt-deutschig?


      Barack Obama tritt auf wie ein Lewis Hamilton der Weltpolitik. Als Popstar erobert er die Sympathien der Deutschen in Formel-1-Geschwindigkeit. Denn Obama verkörpert nicht nur den Gegen-Bush, das gute Amerika, den schwarzen Kennedy. Vor allem hat er etwas, was in Deutschland fast verloren scheint: Modernität.

      Es gab einmal eine Zeit, da wollten auch hierzulande alle modern sein. Vorne dran, innovativ. Am besten Avantgarde. Jeder wähnte das Morgen an seiner Seite. Vorbei. Heute versinkt alles in der Gestern-Sehnsucht. Der Denkmalschutz – der geistige wie architektonische – blüht. In Innenstädten werden Schlösser wieder aufgebaut, in der Mode spukt Retro-Kult, in den Köpfen vagabundieren Sehnsüchte nach der guten alten Zeit, und in der Politik überbieten sich alle in Konservierungsversprechen.

      Als wären wir eine Einmachglasrepublik, muss alles bewahrt werden: der Sozialstaat, die Pendlerpauschale, die Mitte, der Kündigungsschutz, das Klima. Kurt Beck will wie Helmut Kohl sein, Gabriel spielt Schröder, Steinmeier kopiert Weizsäcker, Schäuble 2008 wiederholt Schäuble 1988, Trittin imitiert Fischer, Gesine Schwan mimt Annemarie Renger, Günter Grass will Brecht sein, Martin Walser wie Thomas Mann, Jogi Löw will wie Klinsmann sein. Als wären wir die lebenden Zitate unserer selbst.

      Das wahre Erfolgsgeheimnis von Angela Merkel liegt darin, dass sie in einer Republik von Gestrigkeiten einen Funken Modernität verkörpert – als erste Kanzlerin nämlich den weiblich-emanzipatorischen. Ihr ist es mit Ursula von der Leyen gelungen, in der Integrations- und Familienpolitik ein Stück am Modernisierungsrad zu drehen, das ansonsten in Deutschland allenthalben angehalten wird.

      Die politischen Programme unserer Parteien lesen sich heute wie paraphrasierte Geschichtsbücher. Die Grünen wollen die Natur und ein Lebensgefühl der späten siebziger Jahre konservieren. Die CDU will „Werte bewahren“ und einen Stimmungs-Cocktail aus fünfziger und achtziger Jahren. Die Linkspartei strebt ganz in die Mottenkiste der Geschichte und will am liebsten die DDR in einer Light-Version zurückhaben. Und die SPD, die einstige Fortschrittspartei, ist zur konservativsten Kraft des Landes mutiert. Sie sieht sich – Seit an Seit mit den dinosaurierhaften Gewerkschaften – als Bestandswahrerin der rheinischen Bundesrepublik. Ihr mentaler Horizont ist ungefähr das Jahr 1975. Bis dahin kämpfte sie für Fortschritt, für Atomkraftwerke, für Autobahnen und Großtechnik. Doch irgendwann in den Siebzigern kam ihr die Moderne abhanden wie anderen Leuten Stock oder Hut. Seither lebt die SPD das Mind-Set von 1975 wie in einer Wiederholungsschleife der Zeitansage.

      Der Niedergang der Sozialdemokratie hat darum nur vordergründig mit Schröders Agenda oder Becks Provinzialität zu tun. In Wahrheit hat die Partei den Zukunftsglauben verloren. Dabei gab es einmal eine Zeit, da nannten sie ihre Zeitung Vorwärts, und sie glaubten „Mit uns geht die neue Zeit“. Heute wollen sie rückwärts, bremsen, und die neue Zeit der Globalisierung geht irgendwie immer mit den anderen.
      Das politische Problem, das sich bei alledem in Deutschland auftut: die SPD ist nicht alleine. Niemand in Berlin will jung sein und sich mit der Moderne verbünden. Die Gesellschaft aber treibt eben diese immer weiter voran. Der wirtschaftliche, der technologische und soziale Wandel gewinnt sogar an Fahrt, während die Politik immer retardierender auftritt. Vieles von der Politikverdrossenheit, von der neuen Skepsis an der Zukunftsfähigkeit der Demokratie rührt daher, dass die Politik milchglasig wirkt und permanent signalisiert, im Morgen lauerten nur Gefahren, die man bändigen muss.

      Das geistige Inventar unserer Republik beinhaltet inzwischen einen tief sitzenden Kulturpessimismus nach dem Motto: „Fortschritt ist der Tausch eines Missstandes gegen einen anderen.“ Im Moment halten wir es daher schon für Fortschritt, wenn wir beim Rückwärtslaufen nicht hinfallen.

      Verräterisch ist das Lieblingswort unserer politischen Klasse: Nachhaltigkeit. Denn es macht das „Halten“ zur Kernvokabel, zum Ziel allen Tuns. Eigentlich müssten unsere Politiker „Vordringlichkeiten“ adressieren, das tut aber keiner mehr. Schon das Wort Fortschritt ist nachhaltig verschwunden. Auch die Wortarten des politischen Sprechens haben sich verschoben. Während einst, in dynamischen Zeiten, die Verben, die Tatworte also, das Vokabular prägten (würde heute jemand wagen, mit der Brandt-Vokabel „wagen“ Wahlkampf zu machen?), wurden in der Verlangsamungsphase des Bewusstseins die verschönernden Adjektive dominant. Heute ist alles substantivisch, also statisch: Sicherheit, Mitte, Gerechtigkeit, Machbarkeit.

      Wenn aber die Politik den Fortschritt, die Moderne, die Dynamik alleine der Wirtschaft überlässt, dann erwachsen daraus systematische Entfremdungen. Das Leben in Sphären völlig unterschiedlicher Geschwindigkeiten zerstört auf Dauer den Konsens darüber, wie beweglich eine Gesellschaft sein sollte. Bislang reagiert unser System auf diese Entfremdungen mit buchstäblich re-aktionärer Kritik an der Wirtschaft. Denn die ist leicht, wenn man sie mit den Klischees uralter Kapitalismuskritik anfüttert. Sie führt aber am Problem vorbei. Nicht der soziale Status unserer Ordnung ist umstritten, es ist der dynamische Status, um den es geht. Irgendjemand sollte das Einmachglas mal öffnen.

      Wolfram Weimer ist Chefredakteur von Cicero.


      http://www.cicero.de/1725.php?ress_id=18&kol_id=10698
      Avatar
      schrieb am 30.07.08 12:40:42
      Beitrag Nr. 2 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 34.613.622 von Blanchefort am 30.07.08 12:27:47netter artikel,
      aber was hilfs, wenn die demokratie ihre macht zu gunsten der bürokratie abgegeben hat. dieser selbstläufer ist keinesfalls mehr aufzuhalten und nährt sich durch sich selbst.
      Avatar
      schrieb am 30.07.08 12:44:11
      Beitrag Nr. 3 ()
      Man kann das ganze auch kurz zusammenfassen:

      Deutschland wird seinen Wohlstand unter heutigen Voraussetzungen nicht halten koennen und liebt trotzdem das Vorhandene, den Status quo. Es scheut den Wandel, der ueberall auf der Welt umsich greift und die, von Deutschland nicht zu veraendernden Gegebenheiten, die trotz alledem auf uns und unseren Wohlstand einen nicht zu unterschaetzenden Einfluss haben, in einer Weise veraendert die normalerweise ein schnelle, effektivess und flexibles Handeln erfordert.
      Avatar
      schrieb am 30.07.08 13:53:24
      Beitrag Nr. 4 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 34.613.787 von Juling am 30.07.08 12:44:11Wenn Erdplatten aufeinanderstoßen, kann es zu langsamen Verschiebungen kommen, oder wenn es sperrig wird, entlädt sich der Druck eruptiv. Die deutsche Neigung, die Realität zu ignorieren und sich in Musikantenstadel Welten zu absentieren, umrahmt vom Gefühl der Gleichheit und sozialen Sicherheit, jahrzehntelang vom Nachtwächterstaat garantiert, könnte ein Maß annehmen, die unsanfte Landungen vorproduziert.
      Avatar
      schrieb am 30.07.08 13:54:57
      Beitrag Nr. 5 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 34.613.622 von Blanchefort am 30.07.08 12:27:47#1

      "...Barack Obama tritt auf wie ein Lewis Hamilton der Weltpolitik..."

      Sowas nennt man wohl "latenten Rassismus"...

      :eek:

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      schrieb am 30.07.08 14:02:26
      Beitrag Nr. 6 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 34.614.405 von Blanchefort am 30.07.08 13:53:24So siehts aus...

      könnte ein Maß annehmen, die unsanfte Landungen vorproduziert.

      Hat es meiner Meinung nach schon gemacht, von daher wirds auf alle Faelle darauf hinauslaufen...
      Avatar
      schrieb am 30.07.08 14:15:29
      Beitrag Nr. 7 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 34.613.787 von Juling am 30.07.08 12:44:11Wie sollte sich Deutschland denn wandeln ?
      Mach mal ein paar Vorschläge.
      Avatar
      schrieb am 30.07.08 15:08:56
      Beitrag Nr. 8 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 34.614.617 von hausbesetzer am 30.07.08 14:15:29Gerne.

      Momentan befinden wir uns in folgender problematischen Sitaution. Es gibt einen weltweiten Wettbewerb um (investitions)Gelder, damit um Arbeit und letztendlich um Wohlstand. Deutschland leigt in bestimmten Bereichen schon zurueck, in anderen koennen wir uns noch, aufgrund von in der Vergangenheit geschaffenen Strukturen, behaupten. Aber auch dort wird sich mehr und mehr angenaehert, die "Konkurenz" nimmt nunmal unglaubliche Anstrengungen in kauf, waehrend Deutschland auf dem Bestehenden beharrt, sich nicht bewegt und am besten noch gleichzeitig Wohltaten vollfuehren moechte.
      Wenn wir ersteinmal abgehaengt sein sollten, wird es aber ein fuer alle mal mit wohltaten vorbei sein. Ein Sozialsystem oder auch gutes Bildungssystem brauch nunmal Gelder um zu existieren. Und die werden in dem masse wie sie gebraucht wuerden nicht mehr vorhanden sein, der Wohlstand und damit die Handlungsfaehigkeit wird abnehmen.

      Was muss sich also aendern, letztendlich muss deutschland Wettbewerbs bzw. auch invotionsfaehiger (letzteres kann man nie weit genug ausbauen) und flexibler werden.

      Wir braeuchten Reformen in so gut wie allen Gebieten.

      Das wichtigste Gebiet ist die Bildungspolitk. Sie ist der groesste Garant dafuer, das hochlohnarbeitsplaetze gehalten und ausgebaut werden. Somit ein entscheidender wirtschaftlicher Faktor. Gleichzeitig ist sie auch der wichtigste Sozialpolitische Faktor, weil sie der einzige Garant fuer Chancengleichheit sein kann.
      Hier muss das bestehende System komplett geaendert werden, da neue Probleme wie fehlende Grundlagen die frueher in der Familie gelegt wurden immer haeufiger zutage treten.
      Hier muss daher unglaublich viel Geld investiert werden. Dieses Geld wird momentan in anderen Bereichen angelegt.

      Ob es nun Sozial, Verteidigungs oder Entwicklungshilfepolitik ist. Alles muss zusammengeschrumpft und unnoetige Buerokratie abgebaut werden. Gerade im Sozialsystem eine ungeheure Aufgabe, gerade mit Blick auf die Demographieaspekte und die vielen erworbenen Rechte auf Gelder die ab einem bestimmten Zeitpunkt gezahlt werden muessen, eine Reform wird dadurch unglaublich erschwert...

      Das Arbeitsrecht muss mehr auf die Beduerfnisse der Unternehmen, die ihre Gelder hier investeren wuerden zugeschnitten werden. Auch hier sind nunmal wichtige kriterien zur Standortqualitaet zu finden. Es sollte auf ein notwendiges und sinnvolles mindestmass reduziert werden. Das heisst nicht das wir uns dem Standart von Entwicklungslaendern anschliessen sollten, es gibt nur viele Bereiche die einfach nicht nottun. Die durch Gesetze untermauerte Macht der Gewerkschaften sollte beschraengt werden, soetwas wie Mitbestimmung gehoert auf den Muellberg der Geschichte...

      Das Steuerrecht muss radikal vereinfacht, die Europapolitik geeandert werdeun und so weiter, es gibt sehr viele Felder, wovon ich zu Beginn klar eine Prioritaet gesetzt habe...
      Avatar
      schrieb am 30.07.08 15:13:44
      Beitrag Nr. 9 ()
      Herzlichen Glückwunsch !
      ich bewundere jeden , der so zuversichtlich für Deutschland ist , wie ihr !;)
      Avatar
      schrieb am 03.08.08 16:28:01
      Beitrag Nr. 10 ()


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