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    Bush hat gelogen............. - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 11.10.02 18:14:55 von
    neuester Beitrag 15.10.02 13:08:40 von
    Beiträge: 26
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      schrieb am 11.10.02 18:14:55
      Beitrag Nr. 1 ()
      Topstorys
      Wallungen des Tiefsinns
      Hanspeter Born

      Ist Amerika so schlimm? Notizen zum deutsch-europäischen Urschrei gegen die Vereinigten Staaten.


      Schlagwörter und Phrasen: Antikriegsdemonstration von Schülern am 8. Oktober in Berlin.
      Vor zwei Monaten eröffnete Spiegel online ein Diskussionsforum unter dem Titel «Die Irak-Frage – was gebietet die Solidarität?». 14000 Wortmeldungen sind eingegangen, welche die in Deutschland herrschenden Ansichten zur amerikanischen Irak-Politik wohl ziemlich treu widerspiegeln. Die folgenden, aus den Diskussionsbeiträgen der ersten beiden Tage zeigen, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine mittlerweile entlassene Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin in ihren kritischen Bemerkungen bloss laut sagten – und dies erst noch in abgemilderter Form –, was viele ihrer Landsleute denken:

      «Bush hat gelogen, als er behauptete, er hätte keine Angriffspläne. Mit Lügnern, Betrügern und Kriegstreibern kann es keine Solidarität geben.»

      «Der grösste Waffenproduzent weltweit, atomar, biologisch, chemisch und konventionell, will anderen Staaten Gleiches verwehren. Der Bock als Gärtner. Es darf gelacht werden.»

      «Der Durchschnittsamerikaner glaubt wie seine Präsidenten und Regierungen, die Welt sei dazu da, um amerikanische Interessen zu bedienen und zu erfüllen. Dumme Egoisten denken nur an sich und bezahlen letztlich sehr teuer dafür, weil sie keine echten Freunde haben... Das World Trade Center und die 3000 Toten sind nur der Vorschuss... Der Krieg kehrt nach Hause zurück!»

      «Hussein war wirklich dumm, Uno-Inspektoren ins Land zu lassen, die zur Hälfte aus amerikanischen Spionen bestehen, wie bereits schon mal geschehen. Diese sauberen Herren hatten damals Angriffsziele ausspioniert...»

      «Dieser Krieg ist pure amerikanische (Family Bush?) Rachsucht und Auswuchs der neuen amerikanischen Machtfantasien, und wir sollten tunlichst die Finger davon lassen.»

      «Wenn’s im Irak kein Öl gäbe, würden sich die USA doch gar nicht über einen ‹Tyrannen› aufregen. Im Gegenteil...Tyrannen werden gefördert, solange sie dem ‹Interesse› der USA dienlich sind. Freiheit, Recht und Demokratie für die jeweilige Bevölkerung – fuck it!!»

      «Nach dem ‹Sieg› wird ein Marionettenregime unter Duldung der Pax Americana eingesetzt, das strategische, geopolitische und wirtschaftliche Interessen der USA sichert (Öl, Märkte, Bodenschätze). Wie naiv muss man eigentlich sein, dieses immer wiederkehrende Konzept nicht zu erkennen und sich von wohlfeilen Propagandafloskeln über Uno-Beschlüsse, Menschenrechte, Völkerrecht und ähnliche Papiertiger einlullen zu lassen, mit denen sich die USA den Hintern abwischen, wenn sie ihren geostrategischen und machtpolitischen Interessen zuwiderlaufen, die sie propagandistisch instrumentalisieren, um ihre wahren verbrecherischen Absichten zu verschleiern.»

      Der Ton dieser Wortmeldungen ist äusserst heftig und die Argumentation einseitig. Die Möglichkeit, dass die Amerikaner guten Glaubens und aus andern als verwerflichen Motiven handeln könnten, wird nicht einmal erwogen. Die Frage stellt sich, wieso die Deutschen die amerikanische Irak-Politik derart scharf verurteilen.

      Ein pazifistisches Volk

      Die Deutschen stehen wegen der beiden von ihnen verschuldeten Weltkriege und wegen des preussischen Militarismus im Ruf, ein kriegerisches Volk zu sein. Das stimmte immer nur sehr bedingt und ist heute unrichtiger denn je. Völker werden von ihrer Geografie und Geschichte geprägt. Deutschland litt unter der «furchtbar gepressten» und «oft verzweifelten» Lage inmitten Europas.

      Im Dreissigjährigen Krieg verwüsteten mordende und brandschatzende Heere grosse Landstriche Deutschlands. Blutdurst, Zerstörungswut, Hunger und Seuchen dezimierten die deutsche Bevölkerung von 21 auf 13,5 Millionen und hinterliessen tiefe soziale und psychische Wunden. Friedenssehnsucht bestimmte fortan das Fühlen der Deutschen. Es stimmt zwar, dass die Künstler, Dichter und Denker den Ausbruch des Ersten Weltkriegs euphorisch feierten, aber eine Mehrheit des Volkes begegnete ihm mit Bangigkeit.

      Die gleichen Deutschen, die Hitler noch 1938 zugejubelt hatten, zogen ungern in den Krieg. Die Schlächterei im Ersten Weltkrieg und die Gräuel des Zweiten – vor allem die strategische Bombardierung der Städte durch die Engländer und Amerikaner, die hohe Opfer unter der Zivilbevölkerung forderte, und der schreckliche russische Marsch auf Berlin – haben den Deutschen die letzten Reste von Kriegsbegeisterung ausgetrieben. Sie sind ein pazifistisches Volk geworden.

      Die Abscheu vor dem Krieg und das Mitleid mit einer leidenden Zivilbevölkerung bilden die eine Komponente der gegenwärtigen, jede amerikanische Militärintervention gegen Irak ablehnenden Stimmung in Deutschland. Die andere Komponente ist ein tief sitzender, in den letzten drei Jahrzehnten zunehmend virulent gewordener Antiamerikanismus.

      Es gibt gute Gründe für Kritik an Amerika, seiner Geschichte, seiner Gesellschaft und seiner Politik, und die beissendste Kritik kommt oft aus Amerika selber. Die Sklaverei, die Rassendiskriminierung, die Ausrottung der Indianer, der sorglose Umgang mit der Umwelt, das Rechtssystem mit der Todesstrafe, die Auswüchse des amerikanischen Kapitalismus, die oft grobschlächtige Aussenpolitik, das amerikanische Sendungsbewusstsein – all dies kann und soll die Amerikakritik hinterfragen. Antiamerikanismus ist nicht Amerikakritik. Es ist eine automatische, reflexartige, aus Ressentiment geborene Verurteilung und Verunglimpfung alles Amerikanischen.

      Antiamerikanismus findet sich bei vielen Nationen, die einer ehemaligen eigenen Führungsrolle nachtrauern oder sich als Opfer amerikanischer Herrschsucht empfinden. Aus oft analysierten Gründen ist der Antiamerikanismus in der arabischen und islamischen Welt weit verbreitet. In Frankreich und England rümpft man herablassend über fehlendes Feingefühl der als Barbaren empfundenen Amerikaner die Nase. Man schüttelt den Kopf über ihre soziale Rückständigkeit und ihren naiven Moralismus. Bei Engländern wie bei Franzosen dämpft eine verstohlene Bewunderung für amerikanische kulturelle Leistungen den Antiamerikanismus. Ein Verteidiger französischer Zivilisation wie der ehemalige Kulturminister Jack Lang wettert zwar gegen die Monopolisierung der Kinos durch Hollywood, hat aber immer gestrahlt, wenn er amerikanischen Modeschriftstellern, Kultregisseuren oder einer Filmstarlegende das Ehrenlegionbändchen anheften durfte. Nicht vergessen ist in Frankreich wie in Grossbritannien auch die Waffenbrüderschaft in zwei Weltkriegen und die amerikanische Marshallhilfe.

      Verspätetes Nationalgefühl

      Im Vergleich zur britischen und französischen Variante ist der deutsche Antiamerikanismus emotionaler und gehässiger. Wie anderen missfallen den Deutschen der Materialismus und die angebliche Kulturlosigkeit der Amerikaner, aber ihre Ablehnung amerikanischen Tuns und Denkens sitzt tiefer. Für die Deutschen mit ihrem historischen Hang zum Absoluten und ihrem Gemeinschaftsfimmel sind Lebenseinstellung und Weltanschauung der Amerikaner, ihr Pragmatismus und ihr Individualismus wesensfremd.

      Frankreich und England waren schon im 16. Jahrhundert gefestigte Nationen, die «ver- späteten» Deutschen entwickelten erst im 19. Jahrhundert ein Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit. Deutsche Identität definierte sich gegen Napoleon, Frankreich, französische Sittenverderbnis, Ränkespiel, überhaupt alles Französische. Die Romantik und der Idealismus, die lange das deutsche Denken bestimmten, waren antirationalistisch, antiaufklärerisch, antidemokratisch und antiwestlich.

      Frankreich wurde als Feindbild später von der beneideten Weltmacht und verachteten Krämernation England abgelöst. Amerika war zwar einzelnen deutschen Intellektuellen wie Heinrich Heine suspekt, wurde aber weitherum als Land der unbegrenzten Möglichkeiten bewundert. Die Wildwestromane Karl Mays, die ein zwar bloss im Kopf des Autors existierendes Amerika aufleben liessen, waren ungemein populär. Mit dem Ersten Weltkrieg und dem als nationale Demütigung empfundenen Frieden von Versailles änderte sich die deutsche Einstellung zu Amerika. Hitlers Ansicht, wonach Präsident Woodrow Wilson als Marionette des «internationalen Leihkapitals» und der «Kapital- und Trustdemokratie» das amerikanische Volk in den Krieg getrieben habe, war weit verbreitet. Der sich durch die gesamte heutige deutsche Irak-Diskussion ziehende Topos, wonach wirtschaftliche Interessen die amerikanische Politik bestimmen, findet sich schon bei Hitler: «Die Amerikaner stellen alles über das Geschäft. Geld bleibt Geld, auch wenn es mit Blut getränkt ist. Amerika hätte zugegriffen, mit oder ohne U-Boot.» Die von den USA ausgehende Weltwirtschaftskrise verschärfte den Antiamerikanismus. Die Tatsache, dass die USA dann ein zweites Mal einen grossen Krieg gegen Deutschland gewannen, war nicht dazu angetan, die Popularität der Amerikaner bei den Deutschen zu fördern.

      Der Historiker Hagen Schulze formulierte schon 1985: «Gegen Amerika, das ist die grosse deutsche Erfahrung des 20. Jahrhunderts, ist keine Politik zu machen, nur mit den Vereinigten Staaten gemeinsam. Das wird kompensiert durch ein tief wirkendes, oft genug höhnisch ausgespieltes kulturelles Überlegenheitsbewusstsein: Amerika – das ist das Land der seelenlosen Arbeitsmaschinen, der Rationalisierung aller Lebensbereiche, des hemmungslosen Pragmatismus, der Entwertung aller Ideale, das Land der Wolkenkratzer, von Coca-Cola und Hamburgers, aber ohne Geist, ohne Kultur, ohne Moral: mit einem Wort, der französische Erbfeind des 19. Jahrhunderts in zeitgemässer Maskierung.»

      Ehrfurchtsloses Ungeheuer

      In einer Studie über das amerikanische Wirtschaftssystem in der Sicht der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts kommen Iris Sommer und Karsten Hellmann zum Schluss, dass die meisten der begutachteten deutschen Autoren ein «vernichtendes Urteil über Amerika und sein Wirtschaftssystem aussprechen»: «Beinahe ausnahmslos stereotypisieren sie den ‹Amerikaner› als habgieriges, geld- und erfolgsüchtiges, asoziales, ehrfurchtsloses Ungeheuer, welches seine Wirtschaft, seine Mitbürger, die amerikanische Gesellschaft und die Umwelt an den Rand des Abgrunds gebracht und ein verachtenswertes System errichtet hat.» Die beiden Paderborner Nationalökonomen werfen den deutschen Kritikern – unter ihnen viele angesehene deutsche Publizisten – Oberflächlichkeit und Unwissenschaftlichkeit vor: «Immer und immer wieder lassen sie sich von endlosen Aufzählungen von Schlagworten, Phrasen und Gemeinplätzen mitreissen.» In der deutschen Amerikakritik stellten die Autoren der Studie «trotz geringer Abweichungen» einen hohen Grad an Ähnlichkeit in den Erklärungen, Haltungen und Meinungen fest.

      Mit der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Kriegs ist Deutschland nicht länger auf amerikanischen Schutz angewiesen und muss sich auch nicht mehr als Musterschüler gebärden. Die deutsche Kritik an Amerika, die sich schon immer durch Hohn und Häme ausgezeichnet hat, muss sich nicht mehr zügeln. Die amerikanische Aussenpolitik wird mit der Aggressionspolitik der Nazis und Bush mit Hitler verglichen. Damit relativiert man die Verbrechen des Dritten Reichs. Wenn auch die Amerikaner Genozid begangen haben – an Indianern, an Japanern mit dem Abwurf der Atombombe –, dann wiegt der Holocaust weniger schwer.

      Der Antiamerikanismus kommt oft im Mantel rationaler Kritik daher. Ein Beispiel aus dem Internetforum:

      «Die USA hatten noch nie etwas gegen Terroristen, Diktatoren, Folterer und Menschenrechtsverletzer (auch nicht gegen Besitz und Einsatz von ‹Massenvernichtungswaffen›;), so-lange sie für sie ‹gearbeitet› haben. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Nur sind die USA heute in der unvergleichlich privilegierten Position, nicht nur kraft militärischer Überlegenheit die Welt aus der Ära ‹Verrechtlichung› internationaler Beziehungen in die graue Vorzeit des ‹Rechts des Stärkeren› zurückzubomben, sondern vor allem mit dem 11.09.01 eine Legitimation für einen Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug unter dem Vorwand der ‹Terrorismusbekämpfung› (was das ist, definiert das Weisse Haus) geschaffen zu haben, die die Welt wie paralysiert zusehen lässt, während die Politik der USA immer mehr an die des Dritten Reiches vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert: Wie wurde doch noch der Überfall auf Polen im Grossdeutschen Rundfunk legitimiert? ‹Seit 4 Uhr 30 wird zurückgeschossen.› » Bei allen Vorbehalten, die gegenüber der amerikanischen Irak-Politik erlaubt sind: Kann man wirklich ernsthaft von einem geplanten «Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug» reden? Haftet dieser und den andern eingangs zitierten Wortmeldungen nicht eine gewisse Masslosigkeit an?

      Abscheu vor der Vernunft

      Friedrich Nietzsche behauptete, dass der «ganz grosse Hang der Deutschen gegen die Aufklärung» ginge, weil ihnen «der Kultus des Gefühls anstelle des Kultus der Vernunft» angedient worden sei. Im deutschen Idealismus zählte nicht die «Welt, wie sie ist», sondern «die Welt, wie sie sein soll», die gute Absicht, nicht pragmatische Einsicht. In Krisenzeiten haben sich die Deutschen immer wieder vom Politischen – dem «starken, langsamen Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmass» (Max Weber) – abgewendet und sind in utopische Heilserwartungen geflüchtet.

      Dieses deutsche Sonderbewusstsein, die Abscheu vor der Vernunft, die Verachtung des Common Sense, der Hang zum Absoluten widerspiegelten sich schon im 19. Jahrhundert in der öffentlichen Debatte. Politische Auseinandersetzungen waren Glaubenskriege, und es herrschte ein ideologisch aufgeladener Kampf zwischen Konservativen, Katholiken, Sozialdemokraten und Liberalen. Die deutsche Presse war eine Kampfpresse, der es weniger um die Darstellung von Sachverhalten als um die Diffamierung und Erledigung des Gegners ging. In der Weimarer Republik setzte sich diese Tendenz noch schärfer fort. Der grosse Künstler George Grosz schrieb: «... wie ein brodelnder Kessel war die Hauptstadt unserer neuen deutschen Republik. Wer den Kessel heizte, sah man nicht: man sah ihn nur lustig brodeln und fühlte die immer stärker werdende Hitze. An allen Ecken standen Redner. Überall erschollen Hassgesänge. Alle wurden gehasst... Es war eine Orgie der Verhetzung...» Es folgte das Dritte Reich mit seiner einmaligen Propagandamaschine, in der die Realität vollends der Lüge weichen musste.

      Auch die Medien eifern mit

      Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg glich sich der politische Diskurs und damit auch die Berichterstattung der Presse dem westlichen Muster an. Alte Gewohnheiten sind aber schwer auszurotten, und bis heute ist im deutschen Journalismus das beharrliche Aufspüren von Fakten und die sorgfältige Abwägung von Argumenten eher die Ausnahme als die Regel. Der Hang, den Gegner schlecht zu machen, scheint oft unwiderstehlich und ist in der Irak-Debatte besonders auffallend. Nicht nötig, sich mit den Argumenten der amerikanischen Politik auseinander zu setzen; es genügt, deren Vertreter zu veräppeln und zu verhöhnen.

      Nicht untypisch ist die Wortwahl im für die deutsche Denkweise ziemlich repräsentativen Spiegel: «Meinungsumfragen zufolge ist der Durchschnittsamerikaner nicht so kriegslüstern wie seine Regierung» heisst doch im Klartext, dass Bush und seine Leute «kriegslüstern» sind, also an einem Krieg ihre Lust haben. «Saddam und Al Kaida: US-Regierung bastelt an neuer Verschwörungstheorie» lautet eine Überschrift. Die Worte «basteln» und «Verschwörungstheorie» geben zu verstehen, dass es keinen Zusammenhang gibt zwischen Saddam und al-Qaida und dass die amerikanische Regierung lügt. Mit dem Titel «Irak-Krieg: Töten für den Dow» wird angedeutet, dass die von der amerikanischen Regierung vorgegebenen Gründe für einen Krieg gegen Saddam wirtschaftliche Interessen verschleiern. Ein anderer Titel lautet: «Massenvernichtungswaffen: Die Doppelmoral der Bush-Krieger».

      Die ganze Irak-Berichterstattung des Spiegels zeichnet sich durch die Verwendung stark aufgeladener Ausdrücke wie eben «Bush-Krieger» aus: «Der Präsident und seine Berater schwingen die Patriotismuskeule gegen jeden, der es wagt, Kritik am Krieg anzumelden.»

      Wir alle sind aufgerufen, uns über die Irak-Politik der Administration Bush Gedanken zu machen. Was bezweckt sie? Verstösst sie gegen das Völkerrecht? Wird sie nicht den Nahen Osten ins Chaos stürzen? Die Diskussion ist aber nur sinnvoll, wenn sie fair geführt wird und sich an Tatsachen hält.

      Die politische Tradition und Denkweise wie auch der öffentliche Diskurs ist in der Schweiz anders als in Deutschland. Der deutschschweizerische Journalismus lehnt sich zwar in vielen Belangen an den deutschen an, aber er war schon immer nüchterner und weniger ex-trem. Die freiheitsdurstigen Kinder Zwinglis hatten schon immer einen andern Geist als die obrigkeitsgläubigen Kinder Luthers und die Aufklärung ist an der Schweiz nicht vorbeigegangen.

      Antiamerikanismus hat bei uns keine eigenständige Tradition und hat sich erst mit dem Vietnamkrieg eingeschlichen. Wir sollten uns hüten, in der Irak-Diskussion die Deutschen nachzuäffen und in einen unreflektierten Antiamerikanismus zu verfallen.

      Quelle:
      http://www.weltwoche.ch
      Avatar
      schrieb am 11.10.02 18:26:09
      Beitrag Nr. 2 ()
      Was ist die Lüge, was die Wahrheit?

      Ist die Wahrheit nur eine gute Lüge?

      Nichts ist, wie es ist... ;)
      Avatar
      schrieb am 11.10.02 18:41:51
      Beitrag Nr. 3 ()
      #1,

      sehr guter artikel, bringt vieles auf den punkt!
      Avatar
      schrieb am 11.10.02 19:02:34
      Beitrag Nr. 4 ()
      neben den freiheitsdurstigen kindern zwinglis hat man vor lauter bemühen, den bushisten gerechtigkeit widerfahren zu lassen, den fakt vergessen, dass auch ein calvin zur schweizerischen tradition gehört. daher das bemühen des herrn redakteurs im artikel die beschränkung auf die deutschschweizer zu vermerken?

      ...Antiamerikanismus hat bei uns keine eigenständige Tradition und hat sich erst mit dem Vietnamkrieg eingeschlichen

      wie übel, dass der eine oder andere schweizer student nicht umhinkam, gegen den krieg in vietnam a bizzli zu demonschtrira. ist das vorauseilender gehorsam, dass wir uns davon nun implizite distanzieren? tut uns leid, uns schweizern, war nicht so gemeint, wir waren schon damals gegen die demonstranten und wir ändern ungern unsere position. man kann ja nie wissen, nicht wahr?

      die mahnende stimme der vernunft, die sich hier aufschwingt, hat sich zur verbindung von blut und geld, die die schweiz am leben hält, sicher in ähnlichen wohlgesetzten worten geäußert: geld? blutig? in der schweiz? da chönt mir nur verneinen. bi uns wird es vorher g`waschen. da chlebt kei blut mehr am geld :) und nazis? waren wir nie :laugh: die nazistische tradition des sogenannten antiamerikanismus kann bi uns nit gewesse si.

      die schweiz wäscht eben weisser :laugh:
      Avatar
      schrieb am 11.10.02 19:18:05
      Beitrag Nr. 5 ()
      #1

      hervorragende analyse.

      bei aller berechtigten kritik am system bush. die abneigung gegen die usa geht weit über bush hinaus, und war auch gegen carter und clinton vorhanden, wenn auch in abgeschwächter form.

      deutschland hat anti-amerikanische vorurteile, und pflegt diese.

      ich halte die deutschen für ein volk, das einen hang zur erschaffung von feindbildern hat.
      war es vor 100 jahren der franzmann, vor 70 jahren der jude, so ist es seit 68 "der ami".

      zurecht gibt es vieles an den usa zu kritisieren. aber den meisten kritikern geht es garnicht um´s detail, sondern um´s draufhauen.
      menschenrechtsverletzungen, kriege, diskriminierungen, betrügereien.............wenn es von den usa ausgeht, gibt es empörte reatkionen.

      schweigen hingegen bei den mauermorden mitten in deutschland, bei den greuel der taliban, beim hände abhacken in saudi-arabien, bei den ehefrauenmorden in indien, bei der ausrottung von indigenen völkern.
      solche verbrechen werden entweder ignoriert, oder sogar als kulturelle eigenheit mit "verständnis" betrachtet - insbesondere von der deutschen linken.

      solche einseitigkeit in der kritik erfüllt den tatbestand der diskriminierung.

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      schrieb am 11.10.02 19:22:42
      Beitrag Nr. 6 ()
      zurecht gibt es vieles an den usa zu kritisieren. aber den meisten kritikern geht es garnicht um´s detail, sondern um´s draufhauen.

      und wie unterscheidet man das eine vom anderen?
      und wie unterscheidet sich da "der schweizer" von "dem deutschen"?
      Avatar
      schrieb am 11.10.02 19:40:22
      Beitrag Nr. 7 ()
      denali,

      ich halte die deutschen für ein volk, das einen hang zur erschaffung von feindbildern hat.

      dein eigenes feindbild moslems, dass du an anderer stelle genüsslich auslebst, hast in deiner aufzählung natürlich geflissentlich weggelassen.
      Avatar
      schrieb am 12.10.02 20:19:10
      Beitrag Nr. 8 ()
      antigone,

      mit ein bischen nachdenken könntest du dir deine fragen aus #6 auch selbst beantworten. genügend text wäre alleine in #1 vorhanden.

      aber wo der wille fehlt, kommt auch der verstand nicht weiter.

      stattdessen nimmst du (ausserhalb jeglicher verantwortung) lieber die position der absoluten moralinstanz ein.
      Avatar
      schrieb am 12.10.02 20:35:04
      Beitrag Nr. 9 ()
      ospower
      was könnte man nicht alles, wenn man denn wollte bzw. könnte. frag doch mal denali ob er nicht will oder nicht kann :laugh:

      .... stattdessen nimmst du (ausserhalb jeglicher verantwortung) lieber die position der absoluten moralinstanz ein....

      interessantes wortgeklüngel. sprichst du innerhalb jeglicher verantwortung? :laugh::laugh:
      der hinweis auf unangenehme wahrheiten ist, das geb ich gerne zu, gelegentlich störend.
      Avatar
      schrieb am 12.10.02 21:11:14
      Beitrag Nr. 10 ()
      antigone,

      der liebe denali hat mir seine korano-phobie nochmals per boardmail zu vermitteln versucht. meinte es gehöre nicht zum thema.

      wie kommst du drauf, dass du mich störst?

      hätte ich ohne dich je erfahren, dass der schnee auf den alpen auch nicht im reinsten weiss erstrahlt?

      und versteht es sich da nicht beinahe von selbst, dass - im angesicht eines grauen flecks auf den gipfeln - auch die söhne zwinglis gefälligst die schnauze zu halten haben, wenn die mutter der unschuld das wort ergreift?

      ich stör dich nicht weiter.
      Avatar
      schrieb am 12.10.02 21:40:45
      Beitrag Nr. 11 ()
      Wieso hat ?
      Er lügt ständig, schon wenn er Mund aufmacht.

      gruß
      rudi
      Avatar
      schrieb am 12.10.02 22:08:17
      Beitrag Nr. 12 ()
      ospower
      wenn dir deine motive, dich zu äußern, noch durchschaubar sind, dann ist es wenigstens für dich ein gewinn :)




      Antiamerikanismus ist nicht Amerikakritik. Es ist eine automatische, reflexartige, aus Ressentiment geborene Verurteilung und Verunglimpfung alles Amerikanischen.

      aha :) da definieren wir ein bisschen ex kathedra und schon haben wir festgestellt, wo allein der gegner zu verorten ist. er betreibt natürlich keine amerikakritik (wie wir, wenn wir es denn überhaupt wagen würden zu tun), er ist per definitionem antiamerikaner. so einfach ist das.

      Der Hang, den Gegner schlecht zu machen, scheint oft unwiderstehlich und ist in der Irak-Debatte besonders auffallend. Nicht nötig, sich mit den Argumenten der amerikanischen Politik auseinander zu setzen; es genügt, deren Vertreter zu veräppeln und zu verhöhnen.

      behauptungen, die unterstellen, genauso würde vorgegangen. natürlich nur beim gegner, man selbst dagegen nimmt für sich das gegenteil in anspruch. es sollen assoziationen geweckt werden, die den anderen beschädigen, damit man im besseren licht erscheint. damit betreibt der autor genau das geschäft, dass er den vermeintlich anderen vorwirft.

      Wir alle sind aufgerufen, uns über die Irak-Politik der Administration Bush Gedanken zu machen. Was bezweckt sie? Verstösst sie gegen das Völkerrecht? Wird sie nicht den Nahen Osten ins Chaos stürzen? Die Diskussion ist aber nur sinnvoll, wenn sie fair geführt wird und sich an Tatsachen hält.

      ja, das sind wir allerdings. fragen, die allenthalben gestellt werden. und die wir besser nicht beantworten, sonst könnten wir ja wirklich mal was inhaltliches sagen, anstatt zu schwadronieren und erneut zu konnotieren, andere führten sie nicht fair.. dagegen die pure behauptung:

      Die politische Tradition und Denkweise wie auch der öffentliche Diskurs ist in der Schweiz anders als in Deutschland. Der deutschschweizerische Journalismus lehnt sich zwar in vielen Belangen an den deutschen an, aber er war schon immer nüchterner und weniger extrem. Die freiheitsdurstigen Kinder Zwinglis hatten schon immer einen andern Geist als die obrigkeitsgläubigen Kinder Luthers und die Aufklärung ist an der Schweiz nicht vorbeigegangen.

      Antiamerikanismus hat bei uns keine eigenständige Tradition und hat sich erst mit dem Vietnamkrieg eingeschlichen.(!!!!!!!!) Wir sollten uns hüten, in der Irak-Diskussion die Deutschen nachzuäffen und in einen unreflektierten Antiamerikanismus zu verfallen.


      fazit: da wird nur behauptet und konnotiert, das ist kein seriöser journalismus, sondern der versuch, sich in zutiefst scheinheiliger art von etwas abzusetzen, was schlecht fürs image oder geschäft sein könnte - das ist nicht lauter, das ist das inhaltlich nichtssagende vorführen anderer, um selbst besser wegzukommen.

      vor dem hintergrund scheint es mir allerdings wichtig, dass die calivinische tradition keine erwähnung findet. die ist nämlich schlechterdings mit freiheit kaum zu assoziieren. bei allem `tiefsinn`, den der autor vorgibt zu kritisieren und doch beim eigenen gründeln eher zur verdunklung denn zur erhellung des sachverhaltes beiträgt, vergisst er eben diesen calvinismus mit seiner nähe zum christlichen fundamentalismus der bushgang - das ist alles andere als zufällig.
      Avatar
      schrieb am 12.10.02 23:50:25
      Beitrag Nr. 13 ()
      antigone,

      aus dem folgenden satzt findest du vielleicht ein stück meiner motivation, sofern sie überhaupt über das uns hier alle eigene mitteilungsbedürfnis hinausgeht!

      Die politische Tradition und Denkweise wie auch der öffentliche Diskurs ist in der Schweiz anders als in Deutschland.

      der stellt nämlich keinesfalls eine blosse behauptung, sondern eine erfahrungstatsache dar, nicht nur für die schweiz, sondern für alle länder die ich schon bereist habe.

      die schuld für das elend der ganzen welt monokausal an einem auserkorenen übel (juden, moslems, amerika, konzerne weltverschwörung) festzumachen und dies dann ultimativ zu "beweisen" ist in der tat ein in deutschland besonders ausgeprägtes phänomen, das weit über die global verteilten glaubenskriege hinausgeht. und hier am board, da kommen alle varianten, mit sämtlichen stilblüten, so richtig schön zum ausdruck.

      tu es dir einfach mal an und höre dir einfach mal ne woche lang nur die andere seite an (cnn, bbc und was es sonst noch alles gibt).

      ich weis ja, es wär ne unzumutbare seelenfolter für dich. doch halte ich deine selbstgerechtigkeit für gross genug, dass ich nicht befürchte, deine überzeugungen ernsthaften schaden nehmen.

      du könntest dann jedoch zumindest feststellen, nachhilfe an politschem diskurs von deutschen/europäischen friedensbewegten, wie du´s an anderer stelle vorgeschlagen hast, benötigen die mit sicherheit nicht.

      die alternative ist natürlich, weiter zu beweisen, was für dich sowieso schon längst bewiesen ist.

      guet´s nächtli
      Avatar
      schrieb am 13.10.02 00:12:31
      Beitrag Nr. 14 ()
      @ ospower
      dein textzitat sagt nur eines: anders. na gut. und? wie, ist damit nicht gesagt. und zwar weder für dort noch für da. dem stellst du die schon von auryn benutzte floskel von der monokausalität entgegen, - und schon haben wir wieder das rezept, das bereits der autor des weltwoche-artikels zur grundlage seines traktats machte. hier: monokausal (ganz schlecht!) gegen - und was anderes ist es nicht: inhaltsleer. dort: amerikakritik gegen antiamerikanismus. was ist damit bewiesen? nichts - wortgeklüngel halt.

      da lob ich mir artikel, die ross und reiter nennen und nicht im seichten ungefähren bleiben, weil sich journalisten entschlossen haben, besser nichts zu sagen als in irgendeiner weise gegen etwas zu verstossen, das als allgemeiner konsens schon voraussetzt wird. die art von nichtssagendem andeutendem journalismus braucht kein mensch. es sei denn der herr journalist, um seine brötchen mit buchstabensalat weiter zu verdienen. oder der herr verleger, um sein geschäft im dienste der leere von gefälligen sätzen weiter zu betreiben.

      mit inhalten, wie sie im folgenden artikel vorgetragen werden, lohnt es dagegen, sich auseinanderzusetzen.


      DIE GLAUBENSGEMEINSCHAFT USA UND IHRE KETZER
      Wer nicht für uns ist, ist gegen uns

      DIE Popularität von US-Präsident George W. Bush ist nach wie vor ungebrochen. Trotz immer neuer Skandale in der New Economy halten sich die Vertreter der Demokratischen Partei mit Kritik zurück. Die rhetorische Polarisierung, die im Gefolge des 11. September die Welt schlagartig in gut und böse, amerikanisch und antiamerikanisch, abendländisch und islamisch aufteilte, schweißt die politische Klasse enger zusammen als je zuvor. In dieser Atmosphäre werden Kritiker als Ketzer verdächtigt, die nicht nur die Regierungspolitik in Frage stellen, sondern das ganze Wertesystem der Vereinigten Staaten. Dass auch linke Intellektuelle so argumentieren, belegt den Konformitätsdruck, der seit dem 11. September übermächtig geworden ist. Dieser Druck entspringt auch dem Selbstverständnis einer Gesellschaft, die sich stets als die beste aller Welten imaginierte.
      Von DANIEL LAZARE *
      * Journalist. Autor des Buches "The Frozen Republic. How the Constitution Is Paralyzing Democracy", New York (Harcourt Brace) 1996.

      Es war eine kleine, aber vielsagende Begebenheit. Am 28. Februar dieses Jahres erklärte Tom Daschle, Vorsitzender der Mehrheitsfraktion im Senat, gegenüber Journalisten, bevor er und seine demokratischen Senatorenkollegen mehr Geld für Präsident Bushs "Kreuzzug gegen den Terrorismus" bewilligen könnten, müssten sie "ein klareres Bild" gewinnen, wo dieses immer weiter ausufernde Unternehmen am Ende hinführe. Der Präsident wappne sich für den Krieg gegen den Irak und sehe den Konflikt in Afghanistan offenbar noch keineswegs als beendet an. Doch ein paar Aufgaben, stellte Daschle fest, seien noch immer nicht erledigt, vor allem habe man Ussama Bin Laden noch nicht gefangen, das aber sei doch das eigentliche Ziel des Krieges: "Die Amerikaner sind nicht sicher, bevor wir der al-Qaida nicht das Rückgrat gebrochen haben, und das ist noch nicht geschehen."


      Damit hat der demokratische Führer im Senat zum ersten Mal, wenn auch in mildem Ton, die Kriegspolitik des Weißen Hauses anzuzweifeln gewagt. Die Antwort der Republikaner ließ nicht auf sich warten. Tom Davis, Abgeordneter aus Virginia im Repräsentantenhaus, warf Daschle vor, "unseren Feinden Beistand und Hilfe zu leisten". Und Trent Lott aus Mississippi, Vorsitzender der republikanischen Minderheit im Senat, fragte aufgebracht: "Wie kann es Senator Daschle wagen, Präsident Bush zu kritisieren, während wir Krieg gegen den Terrorismus führen, zumal da wir unsere Soldaten noch im Felde haben? Er sollte nicht versuchen, das Land zu spalten, während wir uns einig sind." Der berüchtigte Rechtsaußen Tom DeLay, republikanischer Fraktionsvorsitzender im Repräsentantenhaus (in dessen Büro als Symbol seiner Macht zwei lange Bullenpeitschen an der Wand hängen), fasste die Reaktion der Republikaner in einem einzigen Wort zusammen: "Widerlich."


      Wie aber reagierte Daschle auf diese Attacke gegen das Recht auf demokratische Diskussion? Nach ein paar Stunden gab sein Büro eine Presseerklärung heraus, die glattweg bestritt, dass Daschle die Politik des Präsidenten in Frage gestellt habe: "Einige Leute fanden es angebracht, die Bemerkungen von Senator Daschle über den Krieg gegen den Terrorismus als Kritik an Präsident Bush hinzustellen. Tatsächlich ist dem Wortlaut keinerlei Kritik an Präsident Bush oder seinem Feldzug gegen den Terrorismus zu entnehmen." Die Demokraten unterstützten die Ausweitung der Militäraktionen so entschieden - und so blindlings - wie zuvor.(1)

      Es ist nicht so, dass es in Washington überhaupt keine politischen Kontroversen mehr gäbe, obwohl ein flüchtiger Beobachter diesen Eindruck haben könnte. Die demokratischen Kongressmitglieder kritisieren die Regierung heftig wegen ihrer geschäftlichen Beziehungen zu Enron, wegen ihrer Pläne, Ölbohrungen in der Arktis zu erlauben, oder wegen ihrer kaum verhüllten Opposition gegen eine Reform der Wahlkampffinanzierung. Beim Thema Krieg endet ihre Kritik allerdings definitiv. Aus dem Vietnamkrieg schien man dereinst die Lehre gezogen zu haben, dass der Kongress die militärischen Abenteuer der Regierung genau unter die Lupe nehmen sollte. Aber Präsident Bushs Ankündigung, gegen mutmaßliche Al-Qaida-Kämpfer in circa sechzig Ländern in aller Welt Krieg zu führen, erfolgte ohne jede Kontrolle durch die Legislative.(2)

      Der Kongress hat den Präsidenten zwar ermächtigt, gegen die für den Angriff auf das World Trade Center Verantwortlichen "alle notwendigen und angemessenen Mittel" einzusetzen. Aber daraufhin hat Bush drei Staaten - Irak, Iran und Nordkorea -, die nach allen verfügbaren Indizien mit den Ereignissen des 11. September nichts zu tun haben, kurzerhand gleichsam den Krieg erklärt. Und der Kongress hat sich, als hätte es den jahrzehntelangen Kampf um die Sicherung der bürgerlichen Freiheiten nie gegeben, dem Druck des Weißen Hauses gebeugt und einem Gesetzespaket zugestimmt, das sich USA Patriot Act nennt. Nach diesem neuen Gesetz kann ein Staatsanwalt eine Person schon deshalb der Unterstützung des Terrorismus beschuldigen, weil sie an eine Stiftung gespendet hat, die der IRA nahe steht (oder früher vielleicht dem südafrikanischen ANC).(3 )Die demokratischen Kongressabgeordneten haben, von ein paar Hinterbänklern abgesehen, nicht einmal aufgemuckt.


      Der Kongress kuscht
      DIE Weigerung der Regierung, die Genfer Konventionen auf die mutmaßlichen Al-Qaida-Mitglieder anzuwenden, die im "Camp X-Ray" von Guantánamo festgehalten werden, führte im Ausland zu heftigen Debatten, doch in den USA regte sich kaum jemand darüber auf. Und es gibt zwar ein paar Demokraten, die an einigen Aspekten der geplanten Invasion im Irak herumkritteln, aber keiner wagt die Invasion als solche in Frage zu stellen. Auch hat sich niemand aus der demokratischen Parteiführung für die über siebzig Immigranten eingesetzt, die im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Twin Towers noch immer im Gefängnis sitzen, obwohl man ihnen nur eine Verletzung der Visabestimmungen vorhalten kann.


      Dasselbe gilt für die Pläne der Regierung, die angeklagten Terroristen vor militärische Sondergerichte zu stellen und für den Anspruch der Regierung, Al-Qaida-Mitglieder selbst nach einem Freispruch zeitlich unbegrenzt in Haft zu halten. Zu alledem hat der Kongress beredt geschwiegen. Und auch ein Bericht der New York Times über das Todeslager in Shibarghan mit 3 000 Taliban-Gefangenen, das von den afghanischen Verbündeten der US-Truppen betrieben wird, war den Demokraten keinen Kommentar wert.(4)

      Die politische Auseinandersetzung ist "bis auf weiteres" ausgesetzt. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld warnt allerdings schon, der Krieg gegen den Terrorismus könnte so lange dauern wie der Kalte Krieg. Die USA stehen zwar nicht kurz vor einer Diktatur, doch das politische Klima ist so konformistisch, unterwürfig und autoritär geworden, wie es vor dem 11. September kaum vorstellbar gewesen wäre.


      Der Angriff auf das World Trade Center und das Pentagon hat Tendenzen, die in der US-Politik bereits seit Ende der Siebzigerjahre kräftig entwickelt waren, einen weiteren enormen Schub gegeben. 1980 hatte die Wahl Ronald Reagans ins Weiße Haus einen Rechtsruck gebracht, der die Gesellschaft weithin paralysierte. Die Republikaner gingen - obwohl sie seitdem viele Wahlen verloren haben - aus allen Auseinandersetzungen immer stärker und selbstbewusster hervor.


      Die Demokraten dagegen machten mit den konservativen Kräften ihre Kompromisse oder versuchten sie sogar rechts zu überholen, wie etwa in Sachen Abschaffung der Sozialhilfe aus Bundesmitteln. Der Niedergang der Demokraten war vollends besiegelt, als Al Gore darauf verzichtete, den Kampf um die Präsidentschaft im Kongress auszutragen, nachdem der republikanisch gefärbte Supreme Court George Bush den Wahlsieg zuerkannt hatte. Der Tiefpunkt war erreicht, als führende demokratische Kongressmitglieder im Gefolge des 11. September eine neue Ära überparteilicher Zusammenarbeit ausriefen und sich beim globalen Kreuzzug gegen den Terrorismus zum Schulterschluss mit dem Präsidenten bekannten.


      So kann der Einsturz der Twin Towers beinahe als Metapher für den Niedergang der US-amerikanischen Demokratie herhalten. Nach dem terroristischen Angriff war es angesichts der gigantischen Welle des Patriotismus nahezu unmöglich, in realistischer Weise die Frage zu erörtern, wie die Politik der USA womöglich den Terrorismus gefördert bzw. zum wachsenden Antiamerikanismus im Ausland beigetragen hat. Die Nation schien sich in ihrem Urteil einig: Amerika hatte auf keinen Fall Schuld, und wer auch nur leise etwas anderes andeutete, stand auf der Seite des Feindes.


      In Texas wurde der Kolumnist einer Zeitung gefeuert, weil er schrieb, Bush sei nach dem Angriff "im Lande herumgeflogen wie ein ängstliches Kind" (tatsächlich wurde über das neunstündige Verschwinden des Präsidenten am 11. September niemals völlige Aufklärung gegeben). Bei einer TV-Talkshow wurde einem Studiogast fast das Mikrofon abgedreht, als er meinte, das Wort "Feigling"( )sei doch wohl, ohne dass er Bush zu nahe treten wolle, höchst unpassend für Leute, die vollgetankte Flugzeuge in Wolkenkratzer steuern. Der Präsident war tapfer, die Flugzeugentführer waren Feiglinge, Ende der Debatte. Bei der Semestereröffnungsfeier einer kalifornischen Universität im Dezember 2001 wurde ein Redner niedergeschrien, als er anzudeuten wagte, der Antiterror-Kreuzzug könnte womöglich die bürgerlichen Freiheitsrechte beeinträchtigen.(5)

      Natürlich hätte eine derart nihilistische und massenmörderische Aktion in jedem Land Erbitterung und Wut ausgelöst. Aber in den USA reagierten führende Politiker und Intellektuelle - einschließlich der selbst ernannten Linken - auf die Attacke in einer Weise, die fast zwangsläufig den gefährlichsten Tendenzen dieser Gesellschaft Vorschub leistet. Es ist eine Sache, wenn George W. Bush verkündet, wer Amerika nicht liebe, müsse einfach böse sein, denn Amerika stehe für "die Freiheit und Würde jedes Menschenlebens"(6). Aber es ist eine andere Sache, wenn prominente Linksintellektuelle ihre radikaleren Kollegen der "Schadenfreude" bezichtigen - ihnen also vorwerfen, sich an Leid und Schmerz von anderen US-Bürgern zu ergötzen -, nur weil diese geäußert hatten, der US-Imperialismus könnte irgendwie der al-Qaida in die Hände gearbeitet haben.


      Solche linken Patrioten verfolgen eine doppelte Strategie. Zum einen erklären sie, der Terrorismus sei das Böse schlechthin, und wer das nicht sofort kapiere, sei ein moralischer Idiot, ein Feigling oder ein Apologet der al-Qaida. Zum anderen verweisen sie auf die reaktionäre Qualität des islamischen Fundamentalismus und halten damit schon die fortschrittliche Natur der US-Gesellschaft für erwiesen. Wenn Amerika verhasst ist, so deshalb, weil es für gewisse Kräfte im Nahen Osten zu frei und zu dynamisch ist. Seine Schuld besteht allenfalls darin, viel zu gut zu sein. Indem Bin Laden gegen Amerika Krieg führt, richtet sich dieser gegen die Freiheit, den Individualismus und all die anderen guten Dinge, für die Amerika steht. Dagegen sind die USA völlig berechtigt, tonnenweise Bomben abzuwerfen, auch wenn ein paar unschuldige Zivilisten im Weg stehen - denn schließlich verteidigen sie die liberalen Werte.


      Paul Berman, Mitherausgeber der sozialdemokratischen Zeitschrift Dissent, Empfänger des mit 260 000 Dollar dotierten "Genie"-Preises der MacArthur-Stiftung und Bewunderer des "Neuen Philosophen" André Glucksmann, publizierte einen Monat nach dem Massaker einen Aufsatz. Darin argumentierte er, al-Qaida sei aus dem Totalitarismus des 20. Jahrhunderts erwachsen, und was Leute wie Hitler, Stalin und Bin Laden gemeinsam hätten, sei ihr gemeinsamer Hass auf den westlichen Liberalismus, wie ihn die Vereinigten Staaten verkörperten. Berman wörtlich: "Das Verbrechen Amerikas, sein wahres Verbrechen, ist es, Amerika zu sein. Das Verbrechen besteht darin, die Dynamik einer sich ständig wandelnden liberalen Kultur hervorzubringen … Das Verbrechen Amerikas ist es, zu demonstrieren, dass die liberale Gesellschaft wächst und gedeiht und die antiliberalen Gesellschaften nicht. Das ist die Peitsche, die antiliberale Bewegungen in die Raserei treibt. Amerika sollte im Nahen Osten wie überall sonst auch eine besonnene Politik betreiben, aber kein Grad der Besonnenheit kann gegen diese Art von Feindschaft etwas ausrichten."(7)

      Berman räumt zwar ein, man müsse nicht alles bewundern, was die USA tun, aber er erklärt ihre Missetaten für irrelevant, denn es seien ja gerade die positiven Errungenschaften der USA, die im Nahen Osten die antiamerikanischen Gefühle nähren. Deshalb könne kein noch so radikaler Kurswechsel der US-Außenpolitik die Feindschaft des arabischen Lagers abschwächen. Das ist natürlich ein bequemes Argument für die Vertreter des Status quo. Warum die Politik ändern, wenn sich die Völker ohnehin beklagen? Also kann man auch weiterhin die israelische Politik in den besetzten Gebieten unterstützen oder trotz der wachsenden Erbitterung im Nahen Osten das Embargo gegen den Irak fortführen.


      Der Soziologe Todd Gitlin von der New York University nahm eine ganz nüchterne Feststellung von Edward Said, publiziert wenige Tage nach dem 11. September im Londoner Observer, zum Anlass für eine wütende Denunziation. Nachdem Said beschrieben hatte, welch "dramatische Schreckensbilder" und "sinnlose Zerstörung" er in New York gesehen hatte, argumentierte er, dieses Ereignis habe sich nicht in einem Vakuum abgespielt, und die USA befänden sich "fast ständig im Krieg oder in irgendeiner Art von Konflikt mit einem Teil der islamischen Welt".(8)

      Auf diesen Satz bezog sich Gitlins bittere Replik in der linksliberalen Monatszeitung Mother Jones: "Als ob die USA ständig einen Konflikt vom Zaun brechen würden; als ob man die Unterstützung der USA für den Oslo-Friedensprozess - wie begrenzt sie auch sein mag - einfach beiseite wischen könnte; als ob die Verteidigung der muslimischen Bevölkerung in Bosnien und im Kosovo - wie schrecklich auch einige ihrer Konsequenzen seien - identisch wäre mit der in Vietnam und Kambodscha praktizierten Kanonenboot-Diplomatie."(9)

      Offenbar ist es also nicht gestattet, einige der Missetaten der USA zu erwähnen, ohne sofort auch die guten Taten hinterherzuschieben. Wenn Amerika gut ist - und diese Annahme ist ein Axiom des politischen Lebens, der Urquell des eigenen moralischen Anspruchs -, dann müssen Leute wie Said auf diese positiven Errungenschaften verweisen, um ihre Loyalität zu beweisen.


      Ein weiteres Beispiel ist Christopher Hitchens, Kolumnist der linken Halbmonatszeitschrift The Nation. Er argumentierte auf derselben Linie, um Noam Chomsky zu brandmarken. Dieser hatte die unverzeihliche Sünde begangen, die zutiefst reaktionäre Natur des fundamentalistischen Islamismus zu verurteilen, aber es nicht dabei zu belassen. Er wies nämlich auch darauf hin, dass die CIA und ihre Verbündeten Bin Laden zum Kampf gegen die Sowjettruppen in Afghanistan rekrutiert und dass dessen Anhänger an mehreren terroristischen Operationen in Russland und auf dem Balkan mitgewirkt haben. Im Übrigen merkte er an, auch die harte Behandlung der Palästinenser durch Israel und das US-Embargo gegen den Irak habe zum Hass gegen die Vereinigten Staaten beigetragen. Mit anderen Worten, Bin Laden hasse die USA nicht nur wegen ihrer Demokratie, sondern auch wegen ihrer Missetaten.


      Für Hitchens ist eine solche ausbalancierte Sichtweise empörend: "Die Bomber von Manhattan stehen für einen Faschismus mit islamischem Gesicht, und es macht keinen Sinn, dies euphemistisch zu überspielen. Leichtfertige Sprüche nach dem Motto ,So fällt eben alles auf den Urheber zurück` sind das moralische Äquivalent zu dem hasserfüllen Müll, den [die fundamentalistischen TV-Evangelisten] Falwell und Robertson absondern, und sie zeugen von etwa demselben geistigen Tiefgang. Jeder anständige und besorgte Leser dieser Zeitschrift hätte in einem dieser Flugzeuge sitzen können, oder in einem dieser Gebäude - und damit meine ich sogar das Pentagon."(10 )Wer al-Qaida zu verstehen versucht, zeigt Verständnis für die Terroristen. Deshalb muss man sich zwangsläufig mit George Bush solidarisieren und kann den "islamischen Faschismus" nur noch in metaphysischen Kategorien wahrnehmen.


      Die Intellektuellen lassen sich das Denken verbieten
      DIESE Beispiele waren nicht nur beiläufige Bemerkungen verbitterter Individuen, sondern Teil eines konzertierten Bemühens, die Debatte nach dem 11. September so zu kanalisieren, dass fortschrittliche Intellektuelle keine andere Wahl hatten, als den Bush-Kreuzzug gegen den Terrorismus zu unterstützen oder zumindest nicht dagegen zu sein. Dasselbe gilt für Vorstellungen wie die, dass Terrorismus stets böse und zu verurteilen sei und dass ihn alle Menschen gemeinsam bekämpfen müssten. Oder wie es Bush in seiner berühmten Rede vom 20. September formulierte: "Entweder bist du für uns, oder du bist für die Terroristen."


      Dieser Satz hätte nicht dieselbe Wirkung erzielt, wenn nicht führende Intellektuelle sich beeilt hätten, mit aller Eloquenz die These zu verteidigen, dass Terrorismus und amerikanischer Liberalismus diametrale Gegensätze seien. Berman jedenfalls fand die Bush-Sätze vom 20. September "bewundernswert" - "eine ernsthaft vorgetragene und realistische Darstellung der komplexen Natur des Feindes". Die Lösung für das Problem des Terrors erfordere, "gewaltige Veränderungen in Bereichen der politischen Kultur der arabischen und islamischen Welt … Diese Transformation wird eine sehr breite Palette von Aktionen seitens der liberalen Welt erfordern - militärische und Kommandoaktionen wo nötig und möglich, aber auch ständige Überwachung, ökonomischen Druck und vieles mehr."(11)

      Da Terrorismus als ein Produkt ausschließlich des Nahen Ostens wahrgenommen wird, hat der liberale Westen also die Aufgabe, ihn durch schonungslosen Einsatz militärischer und ökonomischer Druckmittel zu vernichten. Ganz ähnlich argumentierte nach dem 11. September Michael Walzer, Mitherausgeber der Zeitschrift Dissent: Der Terrorismus sei deshalb so einmalig böse und daher im westlichen Sinne unethisch, weil er bevorzugt auf unschuldige Zivilisten ziele. Diese Menschen, meint Walzer, "haben dasselbe Recht auf ein langes Leben wie jeder andere Mensch, der nicht aktiv an einem Krieg beteiligt war oder andere Menschen versklavt oder sich an ethnischen Säuberungen oder brutaler politischer Unterdrückung beteiligt hat. Es handelt sich hier um das Prinzip der Immunität von Nichtkombattanten, das nicht nur für den Krieg, sondern für jede anständige Politik ein entscheidender Grundsatz ist. Wer dieses Prinzip für einen Augenblick der Schadenfreude aufgibt, entschuldigt nicht einfach den Terrorismus, er gehört bereits zu den Anhängern des Terrors."(12)

      Walzer erhebt mithin den Vorwurf der "Schadenfreude" gegen weite Teile der Linken, die angeblich in Ussama Bin Laden einen Verbündeten im antikapitalistischen Kampf sehen, weil er ein weltbekanntes Symbol US-amerikanischer Wirtschaftsmacht zerstört hat. Nur: Wo sind die Linken, die so verrückt wären, den fundamentalistischen saudischen Millionär als Verbündeten in ihrem Kampf für den Fortschritt zu sehen?


      Als ich Walzer in einem Interview nach einem Beispiel für "linke Schadenfreude" fragte, verwies er auf Robert Fisk, den langjährigen Nahostkorrespondenten des Londoner Independent, und seinen kurz nach dem 11. September in The Nation veröffentlichten Artikel. Darin argumentierte Fisk, die USA könnten realistischerweise nicht davon ausgehen, im eigenen Lande auf Dauer von gewaltsamen Aktionen verschont zu bleiben, nachdem sie so viele Gewaltaktionen im Nahen Osten gefördert hätten: "Fragen Sie Menschen in den arabischen Ländern, wie sie auf den Tod tausender Unschuldiger reagieren, und er oder sie wird antworten, wie es jeder anständige Mensch tun sollte, dass dies ein furchtbares Verbrechen ist. Aber sie werden auch fragen, warum wir diese Worte nicht für die Sanktionen benutzen, die etwa einer halben Million irakischer Kinder das Leben gekostet haben. Oder warum wir uns nicht empört gezeigt haben, als 1982 bei der israelischen Invasion im Libanon 17 500 Zivilpersonen umkamen."(13)

      Hier handelt es sich nicht um Schadenfreude, sondern um den Versuch, den Amerikanern klar zu machen, dass nicht jeder, der sie nicht mag, lediglich von Neid auf ihre Freiheit oder ökonomische Potenz besessen ist. Dass es vielmehr auch Leute gibt, die gute Gründe haben, sich über die unheilvolleren Aspekte der US-Außenpolitik zu empören.


      Zwischen den hier zitierten Meinungen und der Tatsache, dass es im US-Kongress keine oppositionellen Stimmen gibt, besteht ein komplexer Zusammenhang. Dabei gibt es eine Denkschule, die davon ausgeht, dass den Abgeordneten das Gerede der Intellektuellen ohnehin völlig egal sei, da sie sich nur für die Stimmung in ihrem Wahlbezirk und für die kleine Zahl reicher Spender interessierten, deren Geld sie für den Wahlkampf brauchen. Doch so simpel funktioniert die Politik in den Vereinigten Staaten nicht. Mangels starker Parteien - die tatsächlich kaum mehr als genossenschaftliche Vereinigungen für freischaffende Politiker darstellen - sind Thinktanks, organisierte Interessengruppen und intellektuelle Zeitschriften wichtiger, als man meinen möchte. Sie haben die Aufgabe, politische Themen zu formulieren, und zwar lange bevor sie die Legislative beschäftigen. Deshalb waren die Kräfte, die Bushs Feldzug gegen den Terrorismus unterstützen, so sehr bemüht, die Debatte zu ihrem Vorteil einzugrenzen und bestimmte Fragen von vornherein außen vor zu halten. Das Wesen des Terrorismus, die Instrumentalisierung von Leuten wie Bin Laden, die lange Bilanz der Unterstützung religiöser Fundamentalisten - solche Themen kommen in der öffentlichen Diskussion nicht mehr vor.


      Zwar hat der 11. September das politische System der USA im innersten Kern erschüttert, doch die ideologische Kontrolle war rasch wieder hergestellt, obwohl das Verhalten von Präsident Bush in den ersten Tagen nach der Attacke nicht gerade beruhigend wirkte. Je mehr er sich auf seine Machorhetorik verlegte (mit Forderungen wie: die Täter müssten "tot oder lebendig" ergriffen und in ihren Verstecken "ausgeräuchert werden"), desto mehr schien er sich in Wirklichkeit "wie ein verängstigtes Kind" zu verhalten. Erst als Bush in seiner Fernsehansprache vom 20. September eine glaubwürdige Vorstellung gab, konnten die politischen Auguren und Meinungsmacher aufatmen. Der Chef hatte wieder alles im Griff. In einem quasi religiösen System, das auf dem Glauben an den Präsidenten und an die Verfassung basiert, war das Vertrauen wieder hergestellt. Die Diskussion über die Notwendigkeit einer militärischen Reaktion wurde im Keim erstickt. Verhindert wurde aber auch eine kritische Analyse des Beitrags, den die USA selbst zur Entstehung von al-Qaida geleistet hatten. Die einzige Diskussion, die noch gestattet war, bezog sich auf die Frage, ob man den Krieg auf Afghanistan beschränken oder auf andere Länder ausdehnen solle.


      Ganz ähnlich lief es bei der neuen "Nuclear Posture Review" des Pentagon, also der veränderten Doktrin hinsichtlich des Einsatzes taktischer Atomwaffen gegen nichtatomare Mächte wie Irak, Iran und Nordkorea. Diese neue Position stellt den radikalsten Wandel der US-Atomwaffenstrategie seit Hiroshima und Nagasaki dar. Sie macht für die kommenden Jahre den Einsatz taktischer Atomwaffen sehr viel wahrscheinlicher. Nachdem man für Milliarden Dollar atomare Sprengköpfe entwickelt hat, die verstärkte, mehrere hundert Meter tief in die Erde vergrabene Bunkeranlagen zerstören können, könnte das Pentagon eine solche Waffe im Fall eines Krieges mit dem Irak jetzt auch einsetzen. Doch diese essenzielle Frage wurde im Kongress ebenfalls nur gedämpft diskutiert. Zwar erklärte Dianne Feinstein, demokratische Senatorin aus Kalifornien, Amerika drohe selbst zum Schurkenstaat zu werden, weil es die Absicht habe, sein nukleares Arsenal für neue Ziele einzusetzen, doch der demokratische Mehrheitsführer Tom Daschle weigerte sich, die neue Doktrin zu kommentieren. Dagegen befürwortete der demokratische Senator Bob Graham aus Florida die Pläne des Pentagons. Der Vorsitzende des Senatsausschusses für nachrichtendienstliche Angelegenheiten meinte: "Es gibt gegen die US-Interessen eingestellte Staaten und Gruppen, die den Eindruck gewonnen haben, die Vereinigten Staaten seien ein Papiertiger." Deshalb erschien Graham die neue Linie des Pentagon als "Schritt in die richtige Richtung".(14) Um zu zeigen, dass Amerika kein Papiertiger ist, muss man zur Not eben auch mal ein paar atomare Granaten abschießen.


      Je stärker die Vereinigten Staaten militärisch mobilmachen, desto entschlossener muss dem amerikanischen Volk eine simple und schematische Weltsicht nahe gebracht werden: Gut gegen Böse, westlicher Liberalismus gegen islamistischen Terrorismus oder, in der primitivsten Fassung: "wir" gegen "sie". Nuancierte und ausgewogene Urteile und Verständnis für wechselseitige Bedingtheiten werden ausgelöscht, damit am Ende nur eine Sichtweise übrig bleibt. Um diese Weltsicht zu unterstützen, muss jeder, der sie auch nur im Ansatz in Frage stellt, als Parteigänger des Feindes an den Pranger gestellt und damit aus der Gemeinschaft der Gläubigen verstoßen werden.


      Die "Gerechtigkeit dieses Landes" wird siegen
      ALLE Nationalstaaten institutionalisieren ihre nationalen Egoismen, doch die Vereinigten Staaten tun dies in ganz besonderem Maße. Das erklärt sich zum einen aus der Geografie. Im Norden und im Süden grenzen die USA an Staaten, die militärisch unbedeutend sind, im Osten und Westen schwimmen nur die Fische. Wenn dieser Staat die Weltmeinung ständig missachtet, so deshalb, weil er glaubt, damit durchzukommen. Aber es gibt einen zweiten Grund, und der ist ideologischer Natur. Die USA sind in einzigartigem Maße ein Staat, der sich selbst erfunden hat. Die seit 1787 weitgehend unveränderte US-Verfassung ist ein utopisches Dokument, das darauf abzielt, das politische System auf einige wenige gültige Prinzipien zu reduzieren. Diese Prinzipien sollten laut Verfassungspräambel die Vereinigten Staaten in eine immer "vollkommenere Union" verwandeln.


      Aus dieser Besonderheit der Verfassung ergeben sich einige Konsequenzen, was die Selbstwahrnehmung des Landes betrifft und den Platz, den es sich in der Welt zuschreibt. Weil ihre Gründungsprinzipien als unbezweifelbar richtig gelten, haben alle nachfolgenden Generationen die selbstverständliche Pflicht, diese Prinzipien für immer aufrechtzuerhalten. Und weil sie gerecht und moralisch sind, folgt daraus, dass die USA unmöglich etwas Unrechtes tun können, so lange diese Prinzipien konsistent angewendet werden. Daraus folgt weiter, dass Ausländer, die anderen Prinzipien anhängen, entweder zu bemitleiden oder zu verunglimpfen sind. Schon in den 1790er-Jahren bemerkte ein europäischer Besucher, der Duc de Liancourt, die Amerikaner seien davon überzeugt, "dass außer in Amerika nichts Gutes getan wird und niemand über einen Funken Verstand verfügt; dass die Weisheit, die Fantasie, der Genius Europas bereits im Verfall begriffen sind"(15).


      Bill Clinton hat zwei Jahrhunderte später das nationale Glaubensbekenntnis wie folgt formuliert: "Es gibt nichts Schlechtes an Amerika, das nicht durch das Gute an Amerika geheilt werden könnte."(16) Für die Vereinigten Staaten gibt es also keinen Grund, für die Probleme, die zu Hause anliegen, nach Antworten außerhalb des Landes zu suchen.


      Nach dieser Logik hat die al-Qaida am 11. September nicht nur an die 3 000 Menschen umgebracht. Ussama Bin Laden und seine Anhänger haben nicht nur den USA den Krieg erklärt. Aus Sicht der Amerikaner galt ihre Kriegserklärung vielmehr den ewig gültigen Prinzipien von Gerechtigkeit und Freiheit, die Amerika verkörpert und auf die sich die Größe Amerikas gründet. Die al-Qaida hat nicht nur einige Gebäude in Manhattan zerstört, sondern der Glaubensgemeinschaft Amerika eine schwere Wunde zugefügt. Und deshalb muss nicht nur sie verfolgt und vernichtet werden, auch dem Glaubensgesetz Amerikas muss Genugtuung widerfahren. Amerika muss obsiegen, damit die Gerechtigkeit triumphieren kann. George W. Bush hat es in einer Rede in Atlanta am 31. Januar 2002 so ausgedrückt: "Wenn du die Werte, die uns teuer sind, nicht treu im Herzen bewahrst, dann bist auch du auf unserer Liste der Verdächtigen. Die Leute fragen, was bedeutet das? Es bedeutet, dass sie gut daran tun, ihr Haus in Ordnung zu halten, das bedeutet es. Es bedeutet, dass sie gut daran tun, das Recht zu respektieren. Es bedeutet, dass sie gut daran tun, Amerika und unsere Freunde und Verbündeten nicht zu terrorisieren. Wenn nicht, wird auch sie die Gerechtigkeit dieses Landes ereilen."


      Die politische Diskussion in den Vereinigten Staaten dreht sich heute, fast ein Jahr nach dem 11. September, um einen einzigen Punkt: wie sicherzustellen ist, dass dieser Gerechtigkeit - nach amerikanischer Definition selbstverständlich - Genüge getan wird.


      aus dem Engl. von Niels Kadritzke

      Fußnoten:
      (1) Zitate aus Washington Post vom 1. März 2002.
      (2) Vgl. Philip Golub, "Vereinigte Staaten: Die Exekutive marschiert", Le Monde diplomatique, Januar 2002.
      (3) Vgl. Ronald Dworkin, "The Real Threat to US Values", The Guardian (London), 9. März 2002, und Michael Ratner "USA: An der Heimatfront", Le Monde diplomatique, November 2001.
      (4) Dexter Filkins, "Marooned Taliban Count Out Grim Hours in Afghan Jails", The New York Times, 14. März 2002.
      (5) Timoths Egan, "In Sacramento, a Publisher`s Question Draws the Wrath of the Crowd", The NewYork Times, 21. Dezember 2001.
      (6) Zitat aus der Rede zur Lage der Nation vor dem Kongress am 29. Januar 2002.
      (7) Paul Berman, "Terror and Liberalism", The American Prospect, 22. Oktober 2001.
      (8) Edward Said, "Islam And the West Are Inadequate Banners", The Observer, 16. September 2001.
      (9) Todd Gitlin, "Blaming America First", Mother Jones, Januar/Februar 2002.
      (10) Christopher Hitchens, "Against Rationalization", The Nation, 8. Oktober 2001. Chomskys hat seine Position zum 11. September dargelegt in "Der Terror und die Fehler der Vergangenheit", Le Monde diplomatique, Oktober 2001.
      (11) Paul Berman, a. a. O., Anmerkung 7.
      (12) Michael Walzer, "Excusing Terror: The Politics of Ideological Apology", The American Prospect, Oktober 2001.
      (13) Robert Fisk, "Terror in America", The Nation, 1. Oktober 2001.
      (14) Siehe Los Angeles Times vom 13. März 2002.
      (15) Zitiert nach Henry Adams, "History of the United States of America During the Administrations of Thomas Jefferson", New York (Library of America) 1986, S. 108.
      (16) Zitiert nach: Todd S. Purdum, "Facets of Clinton", The New York Times Magazine, vom 19. Mai 1996.


      Le Monde diplomatique Nr. 6822 vom 9.8.2002, 740 Zeilen, DANIEL LAZARE
      Avatar
      schrieb am 13.10.02 01:01:20
      Beitrag Nr. 15 ()
      antigone,

      ich weis nicht woran es liegen mag, aber die vorwürfe "traktat" und "wortgeklüngel" wollen nun grade aus deinem süssen munde (oder sollte ich gar von schwertgosch reden) so widerwillig in mein ohr eindringen.

      hat dir der buchstabensalat deines counter-traktats irgend was bewiesen, was du nicht ohnehin schon für bewiesen hieltst?

      hättest du meinen rat befolgt und mal auf cnn umgeswitched, dann wär dir zumindest ne beissende satire über gwb nicht entgangen.

      bei allem bockmist von kleineren und grossen schweinereien, welche us-policy schon begangen hat und auch begeht:

      wenn es hart auf hart kommt, in sachen freiheit und mehr noch in sachen toleranz, bin ich zweifelsfall innerlich amerikaner, brite, franzose und schäme mich zusehends mehr für deutsche politik, deutscher zu sein.
      Avatar
      schrieb am 14.10.02 09:24:50
      Beitrag Nr. 16 ()
      ospower. apropos, deutschland. heine hatte da auch schon seine bedenken. damals allerdings war der deutsche michel unterthan spätabsolutistisch regierender fürsten ;)

      na, dann schau mal schön weiter cnn. und falls du dich entschliessen solltest: wenn es hart auf hart kommt, kriegst du es bei cnn amerika sowieso nicht mit. :)


      Mehr Hitze als Licht
      Craig Morris 14.10.2002
      Ein ausgestiegener Insider der TV-Welt in den USA macht sich Gedanken ob des Hauptprodukts der US-Medien seit dem 11. September.

      Danny Schechter, Chefredakteur von MediaChannel und früherer Produzent bei ABC und CNN, macht seit Jahren nur noch unabhängige Dokumentarfilme und benutzt seine Webseite, um Zeitungsberichte aus dem Ausland in die USA zu "schmuggeln". Seit dem 11. Sept. untersucht er "wie ein Besessener" die Medienlandschaft.

      An Printmedien aus den USA kommt man in Deutschland leicht heran, aber obwohl es technisch einfach wäre, läuft kein einziger US-Sender bundesweit in Deutschland. Selbst CNN International ist auf das Ausland zugeschnitten - und läuft in den USA gar nicht; dort sieht man stattdessen das ganz andere "CNN". Weil Rupert Murdoch Kirchs Imperium übernehmen wollte, durften wir für eine kurze Zeit per Satellit Murdochs "FOX News" sehen. Wer das Glück hatte, sich diesen Kanal anzuschauen, weiß, warum Tony Blair Schröder davor gewarnt hat, Murdoch ins Land zu lassen.

      Einen Einblick in die amerikanische TV- und Print-Welt liefert Danny Schechter in seinem im September erschienenen Buch "Media Wars: News at a Time of Terror ", in dem er fragt, ob der 11. September auch die Medien in den USA verändert hat. Seine Antwort ist ein qualifiziertes Nein.

      Vor dem 11. September 2001 beherrschte der Sex-Skandal um den hierzulande völlig unbekannten Politiker Gary Condit (Democrat) die Schlagzeilen. Nachrichten übers Ausland machten nur rund 10% der Nachrichten aus, und die handelten meistens von Naturkatastrophen oder oberflächlich von kriegerischen Auseinandersetzungen (z.B. im Nahen Osten). Der Begriff "infotainment" stand für eine Berichterstattung, die sich mit Vorliebe Themen wie "In welcher Stadt sind die Menschen am dicksten" und "Hai-Attacke vor Floridas Küste" widmete. Medienkritiker Larry Gelbart nannte das US-Fernsehen a weapon of mass distraction (etwa "Massenzerstreuungswaffe "), und Schechter selbst pflegte zu sagen: "The more you watch, the less you know."

      Who do we bomb, where do we invade, who do we go after, how do we do it, where do we start? Where do we start?
      Die Eingangsfrage, die Aaron Brown von CNN (nebenbei: nicht "CNN International" ) an U.S. General a.D. Wesley Clark stellte

      Für eine kurze Zeit änderte sich das Bild. Nach dem 11.9. stand das Ausland im Rampenlicht. Doch die Perspektive blieb gleich: Der Blick auf das Ausland war vorwiegend negativ beladen, und der Krieg gegen den Terror sorgte bei den Auslandsberichten für den nötigen Bezug zu den USA. Lediglich 7% der Kommentatoren im Fernsehen sind laut Schechters Analyse als Kritiker der Bush-Regierung einzustufen. Und während FOX News (unter der Leitung vom ehemaligen Republican-Berater Roger Ailes) der Konkurrenz CNN vorwarf, die Taliban "zu fair" zu behandeln, fand Schechter keinen Unterschied zwischen den Sendern: Bis zu 77% der Kommentatoren äußerten überhaupt keine Kritik an der Bush-Regierung. Nicht verwandte Auslandsthemen wie etwa die Wirtschaftkrise in Argentinien seien daneben fast untergegangen.

      Dabei sind auch wichtige Inlandsthemen untergegangen: Als der Enron-Skandal endlich im US-Fernsehen kam, machte er nur 6% der Sendezeit der abendlichen Nachrichtensendungen aus - weniger als die Berichte über eine Frau in Houston, die ihre Kinder ertränkte. Die Journalisten machten sich zwar Gedanken über die Veränderungen in ihrer Berichterstattung, aber auf eher banale Art: Etwa ob ein TV-Moderator die US-Fahne als Stecker anhaben sollte. Grundlegende Kritik wurde selten geäußert, und selbst wenn wurde sie völlig ignoriert, etwa als CBS-Moderator Dan Rather folgendes sagte:
      "There was a time in South Africa that people would put flaming tires around people`s necks if they dissented. And in some ways the fear is that you will be necklaced here, you will have a flaming tire of lack of patriotism put around your neck.... Now it is this fear that keeps journalists from asking the toughest of the tough questions."

      Das sagte Rather im Interview mit der BBC. Laut Schechter ist das Interview weder im US-Fernsehen gesendet worden, noch wurde es im Fernsehen oder in einer großen Zeitung kommentiert. Schechters Fazit ein Jahr nach dem 11.9.2001:
      "The [TV] networks, in effect, were staffed for a pre-September 11th world and basically remain so."

      Manche persönlichen Erfahrungen des Filmemachers sind auch interessant. So wollte er ein "Making Of" über das Musikvideo "We Are Family" unter der Regie von Spike Lee zugunsten der Opfer des 9.11. drehen. Doch als die Liste der Nutznießer plötzlich der eingeladenen Komödiantin Joan Rivers zu "breitgefächert" schien, verließ sie das Studio unversehens, jedoch nicht ohne "Fuck World Peace" ausgerufen zu haben. Durch ihre verbalen Angriffe in der Presse schreckte sie noch andere Stars davon ab, an dem Video teilzunehmen, und drohte Schechter mit Prozessen, falls er ihren Ausspruch in seinem Film bringt. Damit sie nicht missverstanden werde, ließ sie verlauten, sie habe eigentlich gesagt: "Fuck the Muslims".

      "Americans do not know that they do not know"
      Leider sind solche aufschlussreichen Anekdötchen selten in Schechters Buch, das passagenweise aus Auszügen aus seinem weblog The News Dissector besteht. Das Buch schwankt stark zwischen statistischer Analyse und persönlich Erlebtem und listet nicht genug treffende Beispiele für die bewusste Irreführung der US-Bevölkerung auf, um seine wenigen allgemeinen Urteile über die US-Medien zu untermauern. Ohne genügend solcher handfesten Beispiele wirkt aber selbst eine Schlussfolgerung, die man in jeder Medienkritik findet, wenig überzeugend: nämlich, dass die US-Medien ihr Publikum als Konsumenten statt als Bürger sieht.

      Dabei gibt es genug Desinformation zu entlarven. Zum Beispiel geben US-Kommentatoren oft zu, die USA hätten die Taliban unterstützt, behaupten aber, das habe nur dem Ziel gedient, die Sowjetunion aus Afghanistan zu vertreiben - ähnlich argumentiert kein Geringerer als Samuel Huntington, Autor des vielzitierten Buchs "Kampf der Kulturen". Tatsächlich sind die Taliban erst 5 Jahre nach Abzug der UdSSR überhaupt militärisch aktiv geworden, und selbst dann hatten viele von ihnen keine Kriegserfahrungen. Im Krieg gegen die UdSSR haben die USA die Mudschaheddin unterstützt. Die Clinton-Regierung hat ab 1994 die Taliban unterstützt, um den Westen Afghanistans zu stabilisieren, damit dort eine Pipeline gebaut werden kann.

      Eine weitere Lüge, die in den US-Medien kursiert: Die neue Behauptung der Bush-Regierung, Saddam Hussein hätte 1998 die UN-Inspektoren des Landes verwiesen. Hat er nicht, sondern Clinton hat sie heimgerufen, damit sie die bevorstehende Bombardierung heil überstünden (www.fair.org/activism/unscom-history.html). Diese Fehlinformation hat mittlerweile auch in Deutschland Beine: Unser lieber Cherno hat sie kürzlich im Morgenmagazin nachgeplappert.

      Und die Desinformationskampagne geht weiter: Über die 350.000 Demonstranten, die Ende September in London gegen den Alleingang der USA gegen den Irak protestierten, berichteten die großen US-Zeitungen entweder gar nicht, oder sie sprachen flüchtig von "Tausenden Demonstranten ". So schützt die US-Presse die Amerikaner vor den Protesten im Ausland.


      Stenographie statt Journalismus
      Eine neue Schlussfolgerung Schechters scheint mir aber wichtig: US-Journalisten haben sich so stark zum Sprachrohr der US-Regierung gemacht (Schechter spricht von "Stenographie statt Journalismus" ), dass sie im Ausland nicht mehr als neutrale Beobachter angesehen werden - und deshalb öfter umgebracht werden. Das Pentagon soll laut Schechter sogar einmal eine Pressekonferenz abgesagt haben, weil CNNs Wolf Blitzer so schön in Schlips und Anzug die US-Politik vor der US-Fahne vorgetragen hätte.

      Wer mehr erfahren will, kann neben Schechters Weblog auch www.fair.org und Media Tenor besuchen. Der Präsident von Media Tenor hat ein informatives Vorwort zu Schechters Buch geschrieben, in dem die Medien in den USA, England, Südafrika, und Deutschland verglichen werden. Deutschland schneidet gut ab - and that`s the bad news.
      heise.de
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      schrieb am 14.10.02 10:11:00
      Beitrag Nr. 17 ()
      keine angst, ich kenne schon unterschiedliche regionalausgaben von cnn.

      dass wir hier wie offiziell wie in anderen medien, auch eine massive propaganda-kampagne erleben bestreite ich doch gar nicht! (abgesehen davon, hat "der feind" auch seine propagandamaschine)

      unabhängig davon, muss man sich den konflikten stellen.

      die beantwortung der frage, ob saddam mal für die cia gearbeitet hat, löst das problem, dass beinahe täglich was/jemand anderes in die luft fliegt nicht!!
      Avatar
      schrieb am 14.10.02 10:24:00
      Beitrag Nr. 18 ()
      nix neues im Westen ?


      Es ist den USA streng verboten, mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten


      US-Senat verabschiedet den "American Servicemembers` Protection Act" - Notfalls mit Gewalt gegen das Recht

      SPIEGEL-online titelte am 12. Juni 2002: "US-Kongress droht Niederlanden mit Invasion". Worum es geht? Die US-Administration behält sich Schritte jeglicher Art vor für den Fall, dass ein oder mehreren US-Bürger wegen des Verdachts, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder andere Kriegsverbrechen begangen zu haben, vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag der Prozess gemacht wird. Das ICC wird im Juli 2002 seine Arbeit aufnehmen, nachdem eine ausreichende Zahl von Staaten (mindestens 60) das entsprechende Statut ratifiziert haben. "Heute sind mehr als 60.000 amerikanische Soldaten auf der ganzen Welt in dem Krieg gegen den Terror stationiert - über 7.000 in Afghanistan, andere auf den Philippinen, im Jemen und der Republik Georgien ...", sagte Präsident Bush in seiner Rede zur Einrichtung eines neuen Ministerium für "innere Sicherheit" am 6. Juni. Da kann es natürlich schon vorkommen, dass mal ein GI in den Verdacht gerät, es mit der Genfer Konvention nicht so genau zu nehmen. Und damit er dann nicht unversehens in Den Haag landet, wird vorsorglich gedroht: notfalls sei man bereit, auch militärische Mittel einzusetzen, um die eigenen Boys vor einer solchen Schmach zu bewahren. Wem das alles zu weit hergeholt erscheint, der lese nachfolgenden Beitrag aus dem Internetdienst "Telepolis"

      http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/UNO/asap.html
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      schrieb am 14.10.02 10:27:17
      Beitrag Nr. 19 ()
      ospower
      die fundamentalisten beider lager geben sich nichts. das traurige aber ist, dass der 11.9. den wettlauf in den untergang nur beschleunigt. der bushistische imperialismus der usa nimmt totalitäre züge an, zerstört oder instrumentalisiert in seinem gottesgnadentum sämtliche völkerrechtlichen institutionen und gibt den fundamentalisten islamistischer prägung, die nichts als faschisten sind, täglich neue nahrung und vice versa.
      Avatar
      schrieb am 14.10.02 10:55:00
      Beitrag Nr. 20 ()
      antigone,

      zunächst mal, den takt haben hier die fundis der anderen seite vorgegeben.

      und da musste militärisch reagiert werden im finstersten nest (afghanistan). da gab es kein vertun. auch völlig unabhängig davon ob bin laden persönlich dafür verantwortlich war oder nicht.

      kein präsident einer weltmacht hätte sich da hinstellen können und sinngemässe sagen: "leute da haben uns ein paar irre beinahe geplättet, holt mal schaufel und eimer. shit happens, euer george".

      das geht nicht!!!

      und wenn du ehrlich bist, musst du zugeben, dass das volk in afghanistan schon seit mehr als 20 jahren einen brutalen (bürger)krieg HAT(TE). "mehr krieg" hat also der durchschnittsafghane mit der aufräumaktion nicht bekommen.

      und die beantwortung der frage, dass die cia in den 20jahren eine dieser zig bürgerkriegsfraktionen unterstützt hat, führt auch nicht daran vorbei, dass dem so oder so mal ein ende bereitet werden musste.

      ähnlich ist das mit saddam. da wurden früher auch viele fehler und fehleinschätzungen begangen. aber in irgendeiner form muss man auch diesen irren handeln.

      es gibt gewiss auch gute gründe gegen diesen krieg (der gravierendste ist das völkerrecht). aber eine weiter fehleinschätzung kann man sich bezüglich dieses zeitgenossen auch nicht mehr leisten.

      natürlich gibts auch im umfeld bush hardliner, die mir auch suspekt sind, die auch schon religiöse züge haben.

      aber glaube mir, dass us-machtsystem hat genügend sicherungssysteme die verhindern, dass einzelne von denen amok laufen.

      und das, was wir auf der internationalen bühne grade erleben (sicherheitsrat, haltung dieser/jener) ist eben ein poker mit höchsteinsatz auf allen seiten um das "wie".

      einzig die deutschen haben sich in ihrer mischung aus einfalt und grosskotzigkeit selbst in jegliche hinsicht aus dem spiel geschossen.
      Avatar
      schrieb am 14.10.02 11:09:42
      Beitrag Nr. 21 ()
      ospower.
      deine argumentation greift zu kurz, es geht nur vordergründig um den irak bzw. um korrekt zu bleiben: die ölvorräte der region, es geht vielmehr um die rettungsversuche eines wirtschafts- und gesellschaftssystems, das wie alle hegemonialmächte in der geschichte an seiner hybris zerbrechen wird. die sogenannten selbstregulierungsmechnismen, vergiss es, die usa sind so schwach wie nie in ihrer geschichte, das ist der hintergrund, vor dem sich die zerstörung aller seit dem westfälischen frieden historisch mühsam entwickelten nationaler und internationaler rechtssysteme abspielt und das ist es, was uns zutiefst bestürzen muss.
      Avatar
      schrieb am 14.10.02 11:28:56
      Beitrag Nr. 22 ()
      antigone,

      die reihenfolge der (jeder, nicht nur der us) (gross)machtpolitik ist:

      1) grundsatzfragen
      (gesellschaftliche werte, innere sicherheit/stabilität, nichterpressbarkeit ect.) dies bildet die basis, um überhaupt erst an 2) und 3) zu denken, bzw. zu ermöglichen.

      2) langfristige (geo) strategische interessen

      (die sich mit 1) und 3) überschneiden)

      3) (kurzfristige) wirtschaftliche interessen.

      das es dabei nicht immer nach der reinen lehre der gerechtigkeit zugeht, ist durchaus beklagenswert, aber sicher nicht in gänze zu vermeiden.

      so gesehen geht es hier natürlich auch um öl. nur öl greift hier zu kurz. ginge es nur hierum, hätte man nie mit saddam gebrochen. man hätte munter mit ihm weiter-dealen und seinen ölhan bis zum anschlag aufdrehen können. (wieso kompliziert wenn´s einfach geht?)

      und glaube mir weiter, die us werden gerade in sachen irak-öl für sie schweine-teure kompromisse zugunsten russland, china france machen müssen um nicht als die buh-männer der welt dazustehen. das geschäft wird also diesbezüglich eher mässig für sie ausfallen.

      was meinst du wohl, wieso hier im sicherheitsrat alle mächte mit maximalpositionen pokern?

      meinst du ernsthaft, man führt aufwändige schweineteure kriege nur aus jux und dollerei?
      Avatar
      schrieb am 14.10.02 12:20:30
      Beitrag Nr. 23 ()
      meinst du ernsthaft, man führt aufwändige schweineteure kriege nur aus jux und dollerei?

      :confused: hab ich das behauptet? aber die frage, warum man solche kriege führen muss, ist damit nicht beantwortet...

      und sie liegen in der struktur des wirtschaftssystems...

      erstmals gepostet am 30.11.2001
      Andre Gunder Frank:

      Überdehnung der US-Ökonomie & Militärisch-Politischer Rückstoß?

      »Wenn der IWF recht hätte, dann könnte irgendwann um die Mitte nächsten Jahres ein globaler ökonomischer Wiederaufschwung beginnen. Aber für die zweitgrößte Wirtschaft der Welt, Japan, lautet die Prognose viel schlechter. Japan befindet sich jetzt zum vierten Mal in zehn Jahren in der Rezession, und zwar einer verlängerten; sowohl in diesem als auch im nächsten Jahr wird eine Schrumpfung des BSP erwartet. Die Ökonomen sind sich darüber einig, daß die Probleme Japans (und die anderer >National<-Ökonomien) sehr ernst sind und von den Instanzen der Wirtschaftslenkung weit radikaleres Handeln erfordern als bisher aufgebracht worden ist.« (Zitiert nach einem Bericht des Economist.)

      Die Vorhersagen des IWF und auch jene der OECD und der US-Regierung liegen jetzt nicht richtig und haben nie richtig gelegen, wie jeder Vergleich zwischen ihren veröffentlichten (und auch ihren unveröffentlichten?) Vorausschätzungen und dem anschließenden wirklichen Weltgeschehen beweist. Sie sind immer über-optimistisch gewesen, weil Über-Optimismus in ihre Instrumente der Erhebung und Vorausschätzung eingebaut ist, und sei es deswegen, weil ihnen politisch-ökonomische Gründe die Vermeidung von Realismus und unrealistische Prognosen auferlegen. Denn sie sind dazu bestimmt, einesteils als sich selbst erfüllende Prophezeiungen zu wirken und sollen anderenteils dazu dienen, die politische Unterstützung für die Fortdauer ihrer Existenz zu erhalten. Der IWF - de facto ein Arm des US-Finanzministeriums, aber niemandem gegenüber verantwortlich außer dem US-Finanzministerium selbst - verfügt allerdings über einige Macht, Vorhersagen zu treffen; diese sind zu Teilen self-fulfilling für amerikanische und einige andere Interessen des Big Business: Sie können zum Versenken von Währungen, Wirtschaften und Einkommen insbesondere in der »dritten« und nun auch der einstigen »zweiten« Welt führen, auf deren Kosten sich die Wirtschaften der Ersten Welt - durchaus die erste, doch in einem anderen Sinn - zur Erzielung eines Großteil ihres eigenen relativen Wohlstandes stützen (siehe weiter unten).

      »Noch niemand hat bisher die Vermutung vorgebracht, daß Amerika unter einer Deflation leidet, die eine Abwärtsspirale fallender Preise, schrumpfender Nachfrage und finanzieller Engpässe auslösen kann: ein Teufelskreis, den Amerika zuletzt in den 1930ern erlebte. Policymakers, die weise sein wollen, werden jedoch das Risiko nicht ignorieren.« (Zitiert nach einem Bericht des Economist.)

      Ich und James Tobin (Autor des Vorschlags der Tobin-Steuer) haben schon Mitte der 80er Deflation öffentlich vorhergesagt, »weise« Ideologen haben dieses Risiko ignoriert (nicht wirklich das Risiko, aber dessen notwendige Folge) und ihre Politik zur Bekämpfung der Inflation fortgesetzt. Nichtsdestoweniger sind seitdem die Rohstoffpreise scharf und beständig gefallen. Darüber hinaus wirkt weltwirtschaftlich betrachtet eine Inflation der jeweiligen nationalen Währungen (Pesos, Rubel) und in der Folge deren scharfe Abwertung gegenüber der Weltwährung Dollar de facto im Verhältnis als beträchtliche Deflation im Rest der Welt. Das hat ihre Preise herabgedrückt und ihre Exporte für diejenigen verbilligt, die deren Waren - im Wert der Währungen der Exportländer ausgedrückt - mit Dollars kaufen, also in erster Linie Verbraucher, Produzenten und Kapitalanleger in den Vereinigten Staaten und von (!) den Vereinigten Staaten aus. Diese (Besitzer von Dollarvermögen) können - was kaum je erwähnt wird - den Rest der Welt aufkaufen mit Dollars, die lediglich das Drucken und das In-Umlauf-Bringen »kosten«, was für die in Amerika Ansässigen praktisch eben keine Kosten bedeutet. (Die $100-Dollar-Note ist das weltweit verbreitetste Bar-Zahlungsmittel; die ganze russische Wirtschaft wird damit am Laufen gehalten und es befinden sich zweimal [jetzt?] dreimal so viele außerhalb wie innerhalb der USA in Umlauf.) Der amerikanische Aufschwung, Wohlstand und daran anschließend der »ausgeglichene« Bundeshaushalt der Jahre 1992-2000 während der Regierung Clinton waren entgegen populistischen Behauptungen jener Regierung nur ein zeitliches Zusammenfallen. Der 8 Jahre andauernde Wohlstand der Vereinigten Staaten ruhte ganz auf dem Rücken der schrecklichen Depression, Deflation und merklicher Zunahme der Armut im Rest der Welt (während dieses einen Jahrzehnts sank die Lebenserwartung in Rußland um 10 - zehn - Jahre, die Säuglingssterblichkeit, Trunksucht, Verbrechen und Selbstmord nahmen zu wie nie zuvor in Friedenszeiten. Seit 1997 sank das Einkommen in Indonesien auf die Hälfte herab und war Ursache für die sich seither fortschleppende politische Krise).

      Dies alles führt unter anderem zu folgenden Konsequenzen: Die USA exportieren von hier nach draußen die Inflation, die ansonsten durch die hohe Geldversorgung und -vermehrung im nationalen Kreislauf entstehen würde, weswegen es sich bei der niedrigen Inflationsrate im eigenen Lande keineswegs um das Wunder der »richtig angepaßten« Geldpolitik der FED handelt. Die USA sind in der Lage gewesen, zweierlei zugleich zu erreichen, nämlich einmal ihr Haushaltsdefizit und das Defizit ihrer Handelsbilanz mit billigem Geld abzudecken, während sie zum andern, bedingt durch Deflation/Abwertung anderswo in der Welt, wie ein Magnet spekulatives Finanzkapital - sowohl in amerikanischem als auch in ausländischem Besitz - angezogen haben. Dieses Kapital hat US Treasury Certificates gekauft (und dadurch das Ansteigen des US-Haushaltsdefizits angehalten), ist in die Wertpapiere der Wall Street gegangen und hat damit den Bullenmarkt und zuletzt die Blase der 1990er gefüttert. In der Folge hat dieses Kapital sowohl den spekulativen und auf Vermögensillusionen gegründeten Wohlstand von Amerikanern und anderen Aktienanlegern erhöht, gestützt und verbreitet, was wiederum vermöge dieses illusorischen »Wohlstandseffekts« erhöhten Verbrauch und erhöhte Investitionen angetrieben hat.

      Der darauf folgende und gegenwärtig anhaltende Bärenmarkt ist dennoch ein sattes Profitgeschenk für Unternehmen, die ihre Aktien zu Hausse-Preisen ausgegeben und verkauft haben und nun ihre eigenen Aktien zu Schnäppchenpreisen zurückkaufen können (wenn sie noch genügend Cash Flow haben?). Für sie stellt dies enorme Gewinne auf Kosten der Kleinaktionäre dar, die nun notgedrungen ihre auf Tiefpreise abgesunkenen Anteile verkaufen (müssen?).

      Der Wohlstand in den USA steht jetzt auf des Messers Schneide einer nicht nur im Innern instabilen enormen Unternehmens- und Verbraucherverschuldung (Kreditkarten, Hypotheken und andere). Die Vereinigten Staaten sind auch immens verschuldet gegenüber ausländischen Vermögensinhabern von US Treasury Certificates und Wertpapieren der Wall Street und gegenüber anderen Forderungen und Eigentumstiteln, sowohl bei ausländischen Zentralbanken, die ihre Reserven in US Dollar gehalten haben, als auch bei anderen Inhabern von US-Schuldverschreibungen (wie Fannie Mae und anderen quasi-staatlich garantierten Schuldverschreibungen). Das Fazit dieser Lage ist, daß genau die Politik der USA, die so viel zur Destabilisierung in vielen Bereichen der Welt beigetragen hat (z. B. bei der Destabilisierung Südostasiens, wodurch das japanische ökonomische und finanzielle System noch mehr unterhöhlt wurde als es ohnehin schon vor den Ereignissen des Jahres 1997 war), nun den Moment heraufbeschwört und wahrscheinlich macht, daß besonders die japanischen und europäischen Gläubiger der US-Schuld ihre Eigentumstitel versilbern müssen, um ihre eigenen instabiler werdenden ökonomischen und finanziellen Systeme zu stützen.


      Die Ökonomie der Vereinigten Staaten seit Volcker

      Eine andere größere Folge ist, daß die US- (und mit ihnen die Welt!-)Wirtschaft sich nun in einer Zwangslage befinden, aus der sie sich mit großer Wahrscheinlichkeit weder durch den Rückgriff auf keynesianische Kreditschöpfung noch auf makroökonomische Wirtschaftspolitik zur Stützung der amerikanischen und westlichen bzw japanischen Wirtschaft in einer Form befreien kann, wie sie Carter und Reagan angewandt haben. Der militärische Keynesianismus, als Monetarismus nach der Methode von Friedman und Volcker und der Angebotsmethode auf Basis der Laffer-Kurve verkleidet, wurde 1977 von Carter begonnen und 1979 mit voller Kraft in Gang gesetzt, als der von Carter ernannte Paul Volcker die FED leitete. Dieser Volcker kehrte im Oktober 1979 die Geldpolitik der Federal Reserve von hoher Geldversorgung und niedrigem Geldzins vollständig um mit dem Versuch einer drastisch verminderten Geldversorgung und hohem Zins (auf 20 Prozent Geldzins!), um den Dollar aus seiner Hinfälligkeit in den 1970ern zu retten und ausländisches Kapital in die armen USA zu ziehen. Damit hatte er dann auch Erfolg. Zur selben Zeit begann Carter dann mit dem militärischen Keynesianismus im Juni 1979 durch Aufhebung der Detente von Nixon und Breschnew und dem zweiten kalten Krieg, der mit der Einführung von um 3 Prozent (inflationsbereinigt) steigenden Militärausgaben für alle NATO-Mitglieder und dem »zweigleisigen« Stationierungsvorhaben von schnellen ballistischen (d.h. hochfliegenden) Pershing-Raketen und langsamen (in niedriger Höhe fliegenden) Cruise Missiles in Deutschland begann und eine stärkere Stellung im Rüstungs(kontroll)wettlauf mit der Sowjetunion bewirken sollte.

      Die angebliche Wiederauslösung des kalten Kriegs durch die sowjetische Invasion in Afghanistan im Dezember 1979 ist von Anfang an ein US-Mythos gewesen, weil Carter diesen bereits im Juni 1979 (gleich nach Paraphierung des SALT-2-Abkommens ) begonnen hatte und die Sowjets erst im Dezember 1979 in Afghanistan einmarschierten. Ich persönlich habe immer die Auffassung vertreten, daß dieser Einmarsch eine sowjetische Reaktion, die sich zum Teil auf die - wie sich herausstellte: falsche - Annahme gründete, daß die USA die Eskalation bereits auf die höchstmögliche Stufe gehoben hätten.

      Die Hoch-Eskalation der USA kam unerwartet, sollte aber zum Teil (so mein Argument) dazu dienen - wie auch der Schwenk zu einer rechten Wirtschaftspolitik - der Herausforderung durch Ted Kennedy bei der bevorstehenden Kandidatennominerung der Demokratischen Partei den Wind aus den Segeln zu nehmen. Brzezinski enthüllt uns nun, daß er die Lage in Afghanistan bewußt geschürt und umzudrehen versucht hat, um die Sowjetunion zu einer Reaktion zu provozieren und damit eine Gegenvergeltungsmaßnahme der USA zu rechtfertigen, was ihm ja auch gelungen ist.

      In einem Wort, der zweite kalte Krieg und der Militärkeynesianismus wurden von Carter begonnen (im Vereinigten Königreich wurde der Thatcherismus 1976 vom Labour-PM Callaghan eingeführt). Star Wars und Reaganomics waren nur deren Fortsetzung und Eskalation. Das erstere Vorhaben wurde dafür entworfen, die SU in den Bankrott zu zwingen und das Letztere, um nicht nur die USA, sondern auch die ganze westliche - also auch die europäische und japanische - Weltwirtschaft nach der Rezession von 1979-1982 zu stützen. Beide politische Vorhaben waren zwar erfolgreich, doch wurde der Bankrott der USA selbst nur vermieden, weil die Zwillingsdefizite in Handel und Haushalt durch den Kapitalzufluß aus Schuldendiensten ausgeglichen wurden, die den lateinamerikanischen Ländern abgezwungen wurden (ein Ergebnis wiederum der von Volcker durch Heraufschrauben der Geldzinsen von nahezu nichts auf 20 Prozent hervorgerufen worden war). Hinzu kamen massive Kapitalzuflüsse aus Europa und Japan - besonders zum Kauf von Treasury Certificates. Damit erfolgte die Verwandlung der USA vom größten Gläubiger der Welt, die sie noch 1985 waren, in den größten Schuldner seit dem Jahre 1986.

      Ohne diese Entwicklungen wären die Vereinigten Staaten mit einer endlosen Inflation zahlungsunfähig geworden, so wie es der SU widerfuhr, welche allerdings niemanden hatte, der für ihre Zahlungsverpflichtungen Sicherheit leistete. Darüber hinaus wurden die Außenhandelsguthaben der SU in den 1980ern nach dem scharfen Rückgang der Weltmarktpreise für Öl und Gold zunichte gemacht, aus denen die SU 90 Prozent ihrer Deviseneinnahmen bestritt. Als Nettoimporteur von Öl haben die USA - wenngleich auch nicht die dort ansäßigen Ölinteressen - umgekehrt daraus einen Vorteil gezogen.

      Warum erzähle ich diese alte Geschichte jetzt? Weil heute und morgen die USA für sich und ihre Verbündeten dasselbe tun müßten, es jetzt aber nicht können! Die USA könnten (sollten? müssen??) nun versuchen, eine Ausgabenleistung großen Ausmaßes für sich und ihre Alliierten (jetzt abzüglich Japans, aber plus Rußland) zu wiederholen, um mit diesen Aufwendungen die gegenwärtige Rezession, die sich zur Depression zu vertiefen droht, abzuwenden. Die USA würden dann erneut zu einem riesigen keynesianischen Defizit umschwenken und dafür (mit dem 11. September als Vorwand für wahrscheinliche militärische Ausgaben) reflationierende Maßnahmen anwenden. Außerdem könnten die USA, um ihre jetzt enorme und noch wachsende Auslandsverschuldung zu begleichen, auf eine inflationäre Verringerung dieser Belastung durch den anwachsenden Schuldendienst verfallen. Doch auch das letztere Vorgehen könnte - im Unterschied zur oben zusammengefaßten vorangegangenen Periode - nicht die Erzeugung eines weiteren Super-Handelsbilanzdefizits verhindern. Besonders dann nicht, wenn die Binnennachfrage weiter sinkt, dagegen der Druck der Exporteure auf den »Nachfragemarkt der letzten Zuflucht« weiter steigt.

      Jedoch wird es diesmal keine Kapitalzuflüsse aus dem Ausland zur Rettung der US-Ökonomie geben. Der Abwertungsdruck auf den Dollar gegenüber anderen Währungen wird vielmehr im Gegenteil den Zunder für eine Kapitalflucht aus den USA liefern, die Flucht des Anlagekapitals sowohl aus US-Staatsanleihen als auch aus Wall-Street-Papier, mit einschneidenden Kursverlusten an den Aktienbörsen im Gefolge. Das Resultat werden weiterer Preisverfall und Deflation im Weltverhältnis zu Weltbedingungen sein, obwohl die US-Ökonomie im Inland eine Inflation erlebt.

      Der Preis des Öls ist noch eine andere Mücke in der politisch-ökonomischen Salbe, deren Ausmaße und Bedeutung im umgekehrten Verhältnis dazu steht, wie heilsam oder schädlich die Salbe selber ist. Und die ist heute wenig heilsam und bereits am Verderben. Der Weltölpreis ist immer ein zweischneidiges Schwert gewesen, dessen beide Seiten mit Hilfe erfolgreicher alternativer Maßnahmen der Wirtschafts- und Preispolitik stumpfer gemacht werden konnten. Auf der einen Seite benötigen Ölförderländer und ihre Unternehmensinteressen einen Mindestpreis für Produktion und Distribution ihres Öls, statt es unter der Erde zu lassen und weitere produktive Investitionen in die Ölförderung auf bessere Zeiten zu verschieben. Daher ist ein hoher Ölpreis wirtschaftlich und politisch existenzwichtig für Staaten wie Rußland, den Iran und besonders Saudi-Arabien, aber auch für die Ölinteressen in den USA.

      Auf der anderen Seite ist ein niedriger Ölpreis gut für Öl importierende Länder und deren Verbraucher, deren Verbrauch auch die Produkte anderer Öl importierender Länder einschließt, womit zum Beispiel in den USA die makroökonomische Politik gestützt wird. Dieser Tage scheint der Ausgleich von hoch und niedrig bei ungefähr US$ 20 für ein Faß zu liegen - zum gegenwärtigen Dollarkurs! Niemand scheint jedoch zur Zeit in der Lage zu sein, den Ölpreis auf diesem Niveau festzuschreiben. Der gegenwärtig ausgetragene Konflikt um den Ölpreis, seit langem nicht mehr allein eine Sache innerhalb der OPEC, ist entstanden zwischen den OPEC-Staaten, die nur noch etwa 40 Prozent der Weltversorgung verkaufen und anderen Erzeugern, darunter Rußland, die heute 60 Prozent der Weltversorgung bestreiten. Dieser Marktanteil umfaßt aber auch die USA, die sowohl ein bedeutender Erzeuger als auch ein großer Aufnahmemarkt für Öl sind, wenngleich dieser sich immer mehr nach Ostasien verlagert. Eine Rezession in beiden Märkten und ein daraus resultierender Verfall der Nachfrage nach Öl zieht dessen Preis nach unten.

      Aber sowohl reflationierende als auch inflationäre Maßnahmen in den USA mittels keynesianischer Ausgabenmaßnahmen vermögen dem Ölpreis nicht länger, nicht heute und nicht morgen, einen Boden einzuziehen. Nur eine Nachfrage, die von einer echten Erholung gebildet würde, was die Wirtschaftspolitik derzeit nicht leisten kann, ein künftiger Aufschwung der Weltwirtschaft sowie eine Drosselung der Ölförderung könnten den Ölpreis wieder anheben oder wenigstens ein weiteres Fallen des Ölpreises verhindern - und seine deflationäre Sogwirkung auf das Fallen anderer Preise. Eine weitere Deflation hingegen wird die Belastung der ohnehin immens überschuldeten Ökonomien in den USA, Rußland und Ostasien, die einiger europäischer Länder und der Dritten Welt nicht zu erwähnen, vergrößern.

      So geht von der politischen Ökonomie des Öls noch eine zusätzliche deflationäre Wirkung aus. Dies wird - es beginnt bereits - das auf Ölexporte angewiesene Rußland beträchtlich schwächen. Doch dieses Mal werden diese Wirkungen auch die Ölinteressen in den USA und ihre Partner in Übersee erfassen, besonders Saudi-Arabien und den Persischen Golf. Tatsächlich hat auch der niedrige Ölpreis in der saudischen Ökonomie in den 90ern einen Übergang von Boom zu Flaute bewirkt. In der Mittelklasse hat dies bereits zu Arbeitslosigkeit und erheblich fallenden Einkommen geführt, die zur Ausbreitung von Unzufriedenheit geführt hat und sich gerade zu einer Zeit verstärkt, in der die saudische Monarchie mit stabilitätsgefährenden Problemen eines Generationenübergangs konfrontiert ist. Obendrein würde ein niedriger Ölpreis neue Investitionen unattraktiv machen und zur Verschiebung sowohl von Investitionen als auch neuer Ölproduktion führen. Die möglichen Gewinne von Neuerschließungen und neuen Pipelines in Zentralasien würden entfallen.

      All diese gegenwärtigen Schwierigkeiten und Entwicklungen drohen nun, der US-amerikanischen politischen Ökonomie und Finanz im heimischen Bereich wie auf internationaler Ebene den Boden zu entziehen (oder werden es tun?). Schutz bieten den Vereinigten Staaten allein noch die zwei Säulen, die vor langer Zeit mit der »Neuen Weltordnung« von Bush Senior nach seinem »Golfkrieg« gegen den Irak und nach Auflösung der Sowjetunion 1991 errichtet worden sind. Bush Junior versucht sich nun an der Konsolidierung der neuen Weltordnung seines Vaters (ohne Zweifel auch mit dem Letzteren als einer Macht hinter dem Thron). Ein Anfang dazu ist der Krieg gegen Afghanistan (und vielleicht einmal noch gegen den Irak) und die Bemühung von Bush-Putin, nun auch eine Entente USA/Rußland zu bauen - oder eine Achse?


      Zwei Säulen

      Die beiden Säulen dieser neuen Weltordnung bleiben dieselben: 1) der Dollar als internationale Reservewährung und Zahlungsmittel und 2) die stetige Bereitschaft der Militärmacht der USA, dem Rest der Welt zu zeigen, wer der Herr ist. Abgedeckt wird das durch den Vorwand »humanitärer Interventionen«, mit der auf diesem Rest der Welt bis zur Zerstörung herumgetreten wird wie im Krieg der NATO gegen Jugoslawien, und mit der »Verteidigung der Zivilisation« durch die Vernichtung zweier ihrer wertvollsten Errungenschaften, des internationalen Rechts und seiner Institutionen außen und der freiheitlichen Demokratie und der Bürgerrechte innen.

      Freilich steht die Dollarsäule nun unmittelbar vor dem Einsturz, wie schon nach dem Vietnamkrieg, wenngleich sie seither durch drei Jahrzehnte der Ausbesserungsarbeiten standgehalten hat. Wie wir aber gesehen haben, gehen den USA nun die Stützmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Dollarsäule aus. Einziger Notbehelf wäre nun kurzfristiges Geldpumpen und -drucken von immer mehr US-Dollars zur Bedienung der Schulden, womit eine bedrohliche Inflation erzeugt würde. Diese würde zugleich die Standfestigkeit der Säule unterhöhlen und soviele Risse entstehen lassen, daß die Unterstützung, die für diese Säule erzwungen wird, nur noch mehr geschwächt würde.

      Damit bliebe die Militärsäule als einzige zur Stützung der politischen Ökonomie und Gesellschaft der USA übrig. Aber diese und das Vertrauen darauf birgt ihre eigenen Gefahren. Sichtbar demonstriert wurde dies bereits in den Fällen Irak, Jugoslawien und nun Afghanistan, aber auch für alle anderen, denen damit bedeutet wird, wie man nach den Regeln der USA in ihrer neuen Weltordnung zu spielen hat, wenn man nicht dasselbe Schicksal wie jene Länder erleiden will. Nun geht aber die politische Erpressung zur Teilnahme an der neuen Weltordnung nach US-Bedingungen weiter und greift über auf Verbündete, insbesondere der NATO und Japan. So wurde es durchexerziert im Golfkrieg (die andern Staaten zahlten die Aufwendungen der USA, so daß dabei noch ein Nettogewinn heraussprang), im Krieg der USA gegen Jugoslawien, in den die NATO-Mitgliedsstaaten zur Teilnahme hineingeschmeichelt wurden, und nun durch den Krieg gegen Afghanistan als Teil eines »Pronunciamento«, in dem die Ausdrucksweise (von John Foster Dulles aus der Frühzeit des kalten Krieges) verwendet wird: »Ihr seid entweder für uns oder gegen uns«. Dennoch kann dieses Sich-Verlassen auf die Strategie der militärisch-politischen Erpressung die Vereinigten Staaten in den Ruin treiben, wenn die einstürzende Dollarsäule dieser zweiten keine Stütze mehr gewährt. Somit kann dies sehr wohl mit dem Begriff von Paul Kennedy die »Überdehnung« der USA nach sich ziehen oder nach der Bezeichnung von CIA und Chalmer Johnson den »Rückstoß« auslösen.

      In einfachem Deutsch zusammengefaßt sind den Vereinigten Staaten nur noch zwei Vermögen übriggeblieben, zwar beide für die ganze Welt ausschlaggebend, aber vielleicht ebenso ungenügend. Diese beiden Vermögen sind der Dollar und die militärisch-politische Macht. Für das erste Vermögen steht fest, daß die Kettenbriefpyramide der spekulativen Blase und des Ansaugens von Kapital sei es aus dem Ausland oder aus den Kleinanlegerschichten in den USA zusammengefallen ist.

      Die zweite Säule kommt nun verstärkt zur Anwendung, um weltweit der neuen Ordnung Geltung zu verschaffen, am augenfälligsten vielleicht derzeit in dem Versuch einer Entente zwischen Rußland und den Vereinigten Staaten statt (oder zur Erreichung?) einer Verteidigung gegen eine Entente zwischen Rußland/China (und vielleicht Indien?). (Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien stieß Bewegungen gegen die letztere Variante an, der Krieg gegen Afghanistan befördert die erste Variante.)

      Gott/Allah möge verhüten, daß irgendeine davon noch ihr heiliger Krieg gegen den Islam uns alle in die Luft sprengt oder andere dazu provoziert, das zu besorgen.

      Wie auch immer, die imperiale politische und militärische Erpressung der USA könnte zum Rückstoß gegen die Vereinigten Staaten selber führen - nicht jedoch wegen deren Stärke, sondern aus Schwäche.


      ----------
      Dieser Kommentar war zunächst nur als Beitrag zum Forum des World System Network bestimmt. Der Redaktion schien er aber so wichtig, daß wir ihn hier auch deutsch zugänglich machen.

      http://www.studien-von-zeitfragen.de/Weltfinanz/Blowback/blo…
      Avatar
      schrieb am 14.10.02 13:03:36
      Beitrag Nr. 24 ()
      antigone,

      mal abgesehen davon, dass es ne zumutung einem so ne schwarte als diskussionsbeitrag um die ohren zu hauen (buchstabensalat), ist die daraus folgende erkenntnis bestenfalls trivial.

      selbst mal unterstellt, es wäre alles richtig was da steht. das ist doch geistige onanie für den wissenschaftlichen elfenbeinturm. keine basis für praktische alltagspolitik.

      "es liegt am wirtschaftssystem"

      eine scheindebatte.

      haben wir vielleicht ne brauchbare alternative?

      brauchen sich etwa nur noch alle good and bad guys dieser welt an einen tisch zu setzen, den bestand gleichmässig zu verteilen und in friede und gerechtigkeit nach lehrbuch neu beginnen?

      alleine über den punkt "gerechtigkeit" würde niemals eine einigung erziehlt. die würden pallawern bis zum sankt nimmerleinstag.

      soll ich dir auch ein paar geistreiche endlostexte um die ohren hauen?

      diskussion als wettbewerb, wer die geistreichsten texte und autoren findet?

      ne, is mir zu blöd.
      Avatar
      schrieb am 14.10.02 13:17:13
      Beitrag Nr. 25 ()
      na ja, dann lassen wirs halt.

      politische debatte, die sich ihrer grundlagen nicht versichert und vor jedem genauen hinschauen immer schon unter dem verdikt steht, konkrete handlungsanweisung für den tag zu liefern ist mir zu kurz gedacht. die art von schlagabtausch brauch ich nicht. ich dachte, bei deiner kritik an unserem gerhard, trifft das auch für dich zu ;) diese art der auseinandersetzung endet dort, wo wir schon sind. dazu hab ich keine lust. insofern sind wir uns einig.
      Avatar
      schrieb am 15.10.02 13:08:40
      Beitrag Nr. 26 ()
      DEFLATIONSGEFAHR

      Deutschland und die japanische Krankheit

      Von Carsten Matthäus

      Die Bundesregierung und die Europäische Zentralbank haben sich mit ruhiger Hand in eine fast ausweglose Situation manövriert. Die Angst vor einer Deflation wird größer.

      Berlin/Frankfurt am Main - Es werde sich zeigen, "dass wir unseren Konsolidierungskurs sehr klar einhalten", sagte Bundesfinanzminister Hans Eichel. Zur Belebung des Wachstums, so der Minister, werde der strikte Sparkurs allerdings etwas gelockert.
      Wie genau die deutsche Wirtschaft angekurbelt werden soll, das wollte aber weder Eichel noch irgendein anderer Teilnehmer der Koalitionsrunde genau sagen. Ein paar Steuerschlupflöcher sollen gestopft werden, ein paar Subventionen will die Koalition kürzen und mehr in Bildung, Forschung, Arbeit und Verkehr investieren. Man sprach von einer "moderaten Kurskorrektur".

      Dass dies angesichts der dramatischen konjunkturellen Situation nicht genug ist, war wohl auch den rot-grünen Verhandlungspartnern bewusst, denn man startete gleich noch einen Hilferuf: "Diese Politik bedarf auf europäischer Ebene allerdings einer geldpolitischen Ergänzung, die zu mehr Investitionen und damit zu mehr Wachstum führt", heißt es in dem Entwurf des Koalitionsvertrages.

      Weniger gewählt ausgedrückt bedeutet dieser Satz nichts anderes als eine Schuldzuweisung. Die Europäische Zentralbank und ihr Chef Wim Duisenberg hätten die Zeichen der Zeit wohl noch nicht erkannt und müssten nun endlich die Leitzinsen senken.

      Der Appell aus Berlin wird am Frankfurter Euro-Tower allerdings abtropfen - die EZB ist schon satzungsmäßig dazu verpflichtet, ihre Entscheidungen unabhängig von politischen Begehrlichkeiten zu treffen. Letzte Woche hatte Duisenberg die Hoffnung auf schnelle Zinssenkungen auch noch einmal zerstreut: "Die Geldpolitik ist keineswegs ein Hindernis für die Rückkehr zu mehr Wachstum", sagte der EZB-Chef, die momentanen Zinssätze halte er für angemessen. Und er vergaß es auch diesmal nicht, "mit Besorgnis" auf die schleppenden Strukturreformen in einigen Euro-Ländern hinzuweisen und diese als die eigentliche Wachstumsbremse hinzustellen.

      Gegenseitige Schuldzuweisungen und Untätigkeit waren schon einmal dafür verantwortlich, dass eine große Volkswirtschaft in eine lang anhaltende Krise rutschte: Als der japanische Aktienmarkt 1990 um rund 40 Prozent einbrach, reagierten Politiker und Notenbanker zu spät und trieben das Land damit in die Deflation, aus der die Wirtschaft seitdem nicht mehr herauskommt.

      Nach Ansicht des "Economist" ist die Gefahr, dass auch Amerika und Europa von der japanischen Krankheit heimgesucht werden, so hoch wie seit 1930 nicht mehr. Ein besonders hohes Deflations-Risiko sieht das britische Wirtschaftsmagazin für Deutschland, aus drei Gründen:


      Die Zinssätze der EZB sind zwar für die Euro-Zone angemessen, nicht aber für Deutschland. Während Duisenberg seine Zinspolitik an einer Inflation von 2,2 Prozent (Durchschnitt aller Euro-Länder) orientiert, lag die Teuerungsrate in Deutschland gerade noch bei 1,0 Prozent. Nach Berechnungen des "Economist" läge ein angemessener Leitzins für Deutschland bei rund zwei Prozent und nicht bei den 3,25 Prozent der EZB.

      Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt lässt der deutschen Bundesregierung zu wenig Spielraum. Angesichts der rigiden Spar-Vorgaben, die deutsche Politiker maßgeblich durchgesetzt haben, ist an eine stärkere Verschuldung wie beispielsweise in den USA nicht zu denken. Auch einer Abwertung der eigenen Währung ist seit der Einführung des Euro der Weg verstellt.

      Das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist in Gefahr. Die Prognosen für dieses Jahr bewegen sich zwischen 0,1 Prozent und 0,5 Prozent Wachstum. Allerdings ist selbst diese zarten Zunahme der Wirtschaftsaktivität nicht sicher. Schuld daran ist die Produktionslücke. Diese volkswirtschaftliche Maßzahl gibt an, wie stark die tatsächliche Auslastung der Produktionsfaktoren von der möglichen Auslastung abweicht. Ein positiver Wert bedeutet, dass die Produzenten auf Überkapazitäten sitzen. Nach Angaben des "Economist" liegt Deutschland hier mit rund 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinter Japan an zweiter Stelle der sieben größten Industrieländer. Zum Vergleich: Die Produktionslücke der USA liegt bei etwa einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

      Auch deutsche Ökonomen sind angesichts der massiven Konjunkturprobleme alarmiert. Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchener ifo-Instituts hält den geldpolitischen Kurs der EZB für "zu restriktiv". Er hält eine schnelle Zinssenkung der EZB für geboten, um die Gefahr eine Deflation abzuwenden. Rüdiger Pohl vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle befürchtet ein endgültiges Abwürgen der Konjunktur, wenn der Staat weiter spart. Unter der Parole "Der Pakt ist tot" forderte er ein Ablegen der wirtschaftspolitischen Daumenschrauben aus Brüssel.

      Gegen die Sorge, dass es in Deutschland ganz so schlimm kommen kann wie in Japan, sprechen jedoch auch drei gewichtige Argumente. So ist erstens nicht zu erkennen, dass die Löhne in Europa in naher Zukunft sinken werden. Steigen sie weiter - wie mehrheitlich erwartet - so wird dies auch wieder die Teuerung anheizen. Zweitens ist die Situation der Europäischen Banken zwar schlecht, von einem Desaster japanischen Ausmaßes sind sie jedoch noch weit entfernt. Drittens wird es voraussichtlich nicht zu einer massiven Konsumzurückhaltung kommen, wenn das Aktienvermögen sinkt. Eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung ergab, dass die Einzelhandelsumsätze in Deutschland bei einem Rückgang des Aktienvermögens um 10 Prozent gerade mal um 0,5 Prozent sinken.

      Ein weiterer Lichtblick kommt von der EZB. Guy Quaden, Belgiens Zentralbankchef und EZB-Ratsmitglied hält eine baldige Leitzinssenkung für denkbar. Er sagte im Gespräch mit der belgischen Tageszeitung "Le Soir": "Wenn es so aussähe, dass eine Senkung der EZB-Zinsen bei der Reduzierung des vorhandenen Pessimismus helfen könnte, dann würde ich sie nicht ausschließen."
      spiegel.de


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