checkAd

    "Journalisten bewegen Aktienkurse" - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 20.04.00 09:25:58 von
    neuester Beitrag 20.04.00 11:23:24 von
    Beiträge: 2
    ID: 122.237
    Aufrufe heute: 0
    Gesamt: 335
    Aktive User: 0


     Durchsuchen

    Begriffe und/oder Benutzer

     

    Top-Postings

     Ja Nein
      Avatar
      schrieb am 20.04.00 09:25:58
      Beitrag Nr. 1 ()
      Hallo,
      ganz interessanter Artikel in der Süddeutschen von heute:
      -----------------------------
      SZ vom 20.04.2000 Wirtschaft


      Insider-Regeln für Journalisten
      Die Versuchung des schnellen Geldes
      SZ-Umfrage: Die meisten Medien bauen auf Abschreckung per Gesetz / Manche Wirtschaftsblätter ziehen die Grenzen enger

      Journalisten bewegen Aktienkurse. So schrieb der Internet-Börseninformationsdienst Neuer-Markt-Inside Online Mitte Januar, die Aktie des kleinen Münchner Medienunternehmens Cross IT.Media sei eine „unentdeckte Perle“. Er setzte für das Papier, das damals bei 3,50 Euro notierte, ein Kursziel von 12 Euro – binnen zwei Tagen schoss die Notierung auf 20 Euro nach oben. Harte Nachrichten haben oft die selben Folgen: Beipielsweise berichtete die Süddeutsche Zeitung als weltweit erstes Medium, BMW stehe kurz vor dem Ausstieg bei Rover. Am nächsten Handelstag kletterte die Notierung des Münchner Autobauers um fast 14 Prozent.

      Angesichts dieser Macht könnte bei Böswilligen der Verdacht aufkeimen, Wirtschaftsredakteure hätten einen einträglichen Nebenerwerb – nach dem Motto: Ich kaufe die Papiere vorab und verwandle die Kurssprünge in bare Münze. Gerüchte gibt es viele, doch in welchem Umfang solches Fehlverhalten geschieht, ist umstritten. Einerseits sagt der Chefredakteur einer Wirtschaftszeitschrift, die Branche sei „versaut“, andererseits mag sein Kollege bei einer Tageszeitung nur an das Fehlverhalten von „einigen wenigen“ glauben.

      Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel, das so genannten Insiderfälle verfolgt, hat jedenfalls erst in einem einzigen Fall Anzeige gegen einen Journalisten erhoben: gegen Egbert Prior, Herausgeber und Chefredakteur des Börsenbriefes Prior-Börse. Er war Dauergast in der 3sat Börse, eines der populärsten TV-Magazine zum Thema Geldanlage, bewertete dort Aktien und erhielt durch seine treffsicheren Tipps so viel Ansehen, dass viele Anleger seinen Empfehlungen folgten. So hatte er Anfang 1998 die Neuen-Markt-Werte SCM Microsystems und MobilCom positiv besprochen, was die Kurse dieser Titel nach oben trieb.

      Der Fall Prior und die Folgen

      Doch hatte Prior die Aktien kurz zuvor privat gekauft. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt warf ihm daraufhin vor, er habe in der Erwartung, dass seine Tipps zu Kurssprüngen führen werden, geordert und deshalb einen ungerechtfertigten Vorteil erhalten. Das Oberlandesgericht Frankfurt lehnte allerdings die Eröffnung eines Prozesses ab. Wichtigste Begründung: Es könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, dass Prior sich zum Zeitpunkt der Aktienkäufe schon entschlossen hatte, die Papiere zu empfehlen.

      Trotz dieses – mittlerweile rechtsgültigen – juristischen Fehlschlags hat der Fall weit reichende Konsequenzen, denn das Frankfurter Gericht bestätigte grundsätzlich eine lange umstrittene Rechtsauffassung des Bundesaufsichtsamtes. Demnach liegt eine Straftat vor, wenn drei Dinge zusammenkommen: Jemand kauft oder verkauft ein Wertpapier; er plant, bald eine Wertung dieses Titels abzugeben; es ist zu erwarten, dass diese Besprechung den Kurs maßgeblich beeinflussen wird. Laut Wertpapierhandelsgesetz, dem Kodex für Insider-Vergehen, sind Empfehlungen hingegen nur dann explizit unter Strafe gestellt, wenn sie auf Grund einer „nicht öffentlich bekannten Tatsache“ ausgesprochen werden. Ob die Planung eines Tipps schon eine solche Tatsache ist, blieb offen.

      Ein anderer Sachverhalt war jedoch spätestens mit Einführung des Gesetzes im Jahre 1994 klar: Journalisten – auch wenn sie nicht ausdrücklich erwähnt werden – machen sich strafbar, wenn sie berufsbedingt an Informationen herankommen, die erheblichen Einfluss auf Kurse haben könnten, und dies für Orders ausnützen – egal, ob auf eigene oder fremde Rechnung. Wer dagegen verstößt, muss mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldbuße rechnen.

      Wie eine SZ-Umfrage unter wirtschaftlich besonders relevanten Medien ergab, halten die meisten die vorhandenen Regeln für genügend. Das gilt beispielsweise für die Nachrichtenagentur dpa, die Magazine Der Spiegel, manager-magazin, Finanztest, Focus, Focus Money, für die Tageszeitungen Süddeutsche Zeitung, Die Welt und Börsen-Zeitung sowie für das ZDF. Überall dort gibt es allenfalls erklärende Zusätze zu den Arbeitsverträgen, die jedoch die Rechtslage eher verdeutlichen als erweitern. So heißt es immer wieder, Zuwiderhandlungen seien mit arbeitsrechtlichen Folgen bis hin zur fristlosen Kündigung bedroht. Solche Zusätze gibt es auch bei den Nachrichtenagenturen Reuters und vwd, die Frankfurter Allgemeine Zeitung war generell zu keiner Stellungsnahme bereit. Bei einer Reihe von Umfrage-Teilnehmern sind die Grenzen allerdings enger gefasst. So ist es bei den Publikationen aus dem Hause Gruner+Jahr (G+J) – zu ihnen zählen Capital, Stern und Impulse – jeder Mitarbeiter verpflichtet, sich die Teilnahme an so genannten Friends-and-Family-Programmen von einem Vorstand genehmigen zu lassen. Dabei handelt es sich um die privilegierte Zuteilung von Aktien bei Neuemissionen. Noch einen Schritt weiter gehen die G+J-Produkte Börse Online und Financial Times Deutschland (FTD). Bei Börse Online dürfen Aktien, die ins Musterdepot der Anlegerzeitschrift aufgenommen werden, von Mitarbeitern frühestens am Erscheinungstag der Ausgabe privat geordert werden.

      Bei der FTD darf ein Angestellter generell nicht ordern, wenn er „vor kurzem über dieses Wertpapier oder dessen Emittenten etwa veröffentlicht hat oder in der nahen Zukunft beabsichtigt, etwas zu veröffentlichen“, heißt es in einem Vertragszusatz. Außerdem solle er vor einer Order „überprüfen, ob er dieses Wertpapiergeschäft auch vornehmen würde, wenn sämtliche dieses Geschäft betreffenden Hintergründe und Informationen der Öffentlichkeit bekannt wären“. Bei Bedenken sei der Chefredakteur „unverzüglich“ zu informieren. Über das Gesetz hinaus gehende Regelungen gibt es auch bei den Springer-Produkten Euro am Sonntag und Finanzen. Nach Angaben des stellvertretenden Chefredakteurs von Euro am Sonntag, Marc Reisner, gilt der Grundsatz , „dass kein Redakteur über eine Aktie schreibt, die er besitzt oder deren Kauf oder Verkauf er plant“. Zudem seien alle Mitarbeiter verpflichtet, eine Woche vor und eine Woche nach der Berichterstattung über eine Aktie mit ihr keinen Handel zu treiben. Bei den Fernsehsendern n-tv und N24 dürfen laut deren Auskunft keine Bewertungen oder Empfehlungen für einzelne Aktien abgegeben werden.

      Die wohl schärfste Regelung hat die Verlagsgruppe Handelsblatt, zu der unter anderem die Tageszeitung Handelsblatt sowie die Magazine Wirtschaftswoche, DM und Telebörse gehören. Dort gibt es nach Worten des Verlags-Justiziars Georg Wallraf seit einigen Jahren die Zusatz-Regelung für Arbeitsverträge, wonach Redakteure ihre Wertpapiere mindestens nach Maßgabe der gesetzlichen Spekulationsfrist halten müssen – derzeit sind das zwölf Monate. Es sei geplant, den Vertragszusatz für Handelsblatt-Redakteure ab 1. Mai zu modifizieren. Demnach sollen Journalisten, die eine bestimmte Branche betreuen, offen legen, ob sie Aktien von börsennotierten Branchenvertretern besitzen. Wenn das der Fall sei, so Wallraf, müssten die Mitarbeiter die Papiere entweder innerhalb eines Jahres verkaufen oder die Zuständigkeit für die Sparte abgeben. Die Neuerungen sollen sukzessive auch bei anderen Publikationen der Gruppe eingeführt werden.

      Rechtliche Probleme sind bei dieser Forderung offenbar nicht zu erwarten. Zwar könne der Arbeitgeber vermutlich keine Offenlegung von Wertpapierdepot-Bestandteilen erzwingen, meint Gerda Theile, Juristin beim Deutschen Journalisten-Verband. Doch enthalten nach ihren Worten die meisten Verträge bei Medien einen Passus, wonach Redakteure auf andere zumutbare Arbeitsplätze versetzt werden dürfen.

      Die angestrebten Neuerungen beim Handelsblatt wären offensichtlich eine Premiere in der bundesdeutschen Medienlandschaft: Bei keinem Teilnehmer der Umfrage wird bislang der Depotbestand von Mitarbeitern überprüft. Generell vertrauen die Verantwortlichen nach eigener Auskunft darauf, dass die angedrohten straf- und arbeitsrechtlichen Konsequenzen sowie die Standesethik Insider-Vergehen verhindern. Zuwiderhandlungen sind, wie es nahezu einhellig heißt, bislang nicht bekannt geworden. Lediglich ein Sprecher von Gruner+Jahr erklärt, bei einem Mitarbeiter eines – ungenannten – Mediums der Gruppe sei es zu einer „sofortigen Vertragsauflösung“ gekommen. Der Journalist habe dem Vernehmen nach gegenüber Kollegen erzählt, dass er sich am Friends-and-Family-Programm eines Börsenneulings beteiligt hatte. Obwohl der Mann „ohne Arg“ gehandelt habe, sagt der Verlagssprecher, habe dies „zu solchen Irritationen geführt, dass der Vertrag gelöst wurde“.

      Heikle Nebenbeschäftigungen

      Ebenfalls nicht um gesetzlich verbotene Geschäfte mit Wertpapieren ging es beim Ausstieg von Manfred Schumacher bei Focus Money, einem Schwesterblatt des Nachrichtenmagazins Focus (der Chefredakteur verließ seinen Posten nur Tage, nachdem das Anlegermagazin Ende März gestartet war). Vielmehr war öffentlich geworden, dass der Journalist im Aufsichtsrat des Neuen-Markt-Mitglieds Metabox sitzt und seine Frau die „Schumacher‘s AG für Finanzmarketing“ betreibt, die Aktiengesellschaften berät. Focus teilte daraufhin mit, Schumacher habe das Blatt auf eigenen Wunsch verlassen, weil er „auch nur den Anschein einer Interessenskollision und entsprechende Verdächtigungen ausschließen“ wolle.

      Hätten Schumacher wegen seines Aufsichtsratsmandats arbeitsrechtliche Probleme gedroht, wenn er nicht von selbst gegangen wäre? Das ist unklar: Zwar ist es bei leitenden Angestellten üblich, dass Nebentätigkeiten, zu denen auch ein Sitz im Aufsichtsrat zählt, ausdrücklich genehmigt werden müssen. Doch äußert sich weder der Verlag zu Einzelheiten seiner Vertragsgestaltung, noch ist zu erfahren, ob Schumacher eventuell eine solche Sondergenehmigung bekommen hatte. Für tarifgebundene Redakteure bei Zeitungen und Zeitschriften jedenfalls gilt laut Manteltarifvertrag: Nebentätigkeiten sind nur dann zulässig, wenn sie den „berechtigten Interessen des Verlages nicht abträglich“ sind. Nach Ansicht von Experten ist damit beispielsweise alles verboten, was der Glaubwürdigkeit einer Publikation schadet. Was das konkret bedeutet, hänge allerdings vom Einzelfall ab. Ins Gerede gekommen ist derzeit etwa das ZDF, dessen „heute-journal“-Moderator Alexander Niemetz wegen zufällig bekannt gewordener Nebentätigkeiten derzeit pausieren muss.

      Fachleute verweisen zunehmend auf steigende Ansprüche der Leser und Zuschauer an die Neutralität von Wirtschaftsmedien. Sie vermuten daher, dass immer mehr Häuser interne Regeln – ob zu Wertpapierbesitz oder zu Nebentätigkeiten – aufstellen und die vorhandenen verschärfen werden. Und auch der Deutsche Presserat will sich im Mai mit der Frage beschäftigen, ob die im Pressekodex festgeschriebenen publizistischen Grundsätze angesichts der neuen Gefahren und Versuchungen noch angemessen sind.

      Martin Reim/Silvia Liebrich
      ---------------------------
      Good Trades
      Lo
      Avatar
      schrieb am 20.04.00 11:23:24
      Beitrag Nr. 2 ()
      Ein ebenfalls interessanter Artikel aus der Frankfurter Rundschau vom 18.04.2000:

      Erst selber kaufen, dann berichten?

      Über Wirtschaftsjournalismus, Insidergeschäfte und den fehlenden Verhaltenskodex

      Von Volker Lilienthal (epd)

      Focus-Money, das neue Börsenblatt von Burda, war erst fünf Tage auf dem Markt - schon musste Chefredakteur Manfred Schumacher gehen. Der Spiegel hatte berichtet, dass Schumacher im Aufsichtsrat der börsennotierten met@box AG aus Hildesheim sitzt und dass sich seine Frau Claudia mit eigener PR-Agentur für die Image- und Kurspflege von Aktiengesellschaften einsetzt. Zwei Kunden der Agentur seien früher in Focus als "Mann mit Durchblick" bzw. "Champion aus der Provinz" gerühmt worden.

      Und das neue Magazin, das von Schumacher geführte Focus-Money, wollte seine Leser unabhängig und neutral über Geldanlagen informieren? Schon am nächsten Tag meldete Burda, Schumacher habe das Blatt "auf eigenen Wunsch" verlassen (die FR berichtete). Der Burda-Vorstand habe den Rücktritt mit Bedauern und Respekt entgegengenommen, um auch nur den "Anschein einer Interessenkollision und entsprechende Verdächtigungen auszuschließen". Schumachers Verzicht auf den Posten sei ein Beispiel für die Branche, meinte Focus-Chefredakteur Helmut Markwort in einem Interview mit dem Fachblatt Werben & Verkaufen - damit hat er verdammt Recht. Denn Schumachers Fall ist nur ein aufgedecktes Exempel für ein chronisches Problem, das wächst, seit Aktienbesitz kein Minderheitenprivileg mehr ist.

      Selbst das Massenblatt Bild treibt seine Leser inzwischen in das Lotteriespiel mit den Aktien. Und im Fernsehen bietet die 3sat-Börse selbst ernannten Aktien-Experten wie Bernd Förtsch ein Forum, um Kurse von Orchideen-Aktien derart zu pushen, dass die Direkt Anlage Bank in großformatigen FAZ-Anzeigen wirbt: "Die Tipps der 3sat-Börse und Telebörse vom Freitag setzen Sie jetzt schon samstags um." Eine Erfolgsgarantie gibt es dabei nicht. 3sat-Zuschauer, die beispielsweise nach der Sendung am 4. Februar bei Edel Music zugriffen, erlebten nur ein Wochenend-Hoch von 60 Euro. Längst ist die in 3sat empfohlene Aktie auf 30,80 Euro gefallen. In einem Internet-Forum schimpfte ein enttäuschter Anleger: "Was hier abläuft, ist langsam kriminell." Solche Sendungen müssten verboten werden, "weil die ,Gurus` garantiert keine Verluste machen". Peter Nemec, der Moderator und Erfinder der 3sat-Börse, mahnt seine Gäste inzwischen, sich bei der Nennung von kaufanreizenden Kurszielen zurückzuhalten: "Bitte kein Kursziel, sonst krieg ich die Krise," warf er in der Sendung vom 10. März dazwischen.

      Seit die Börse boomt und Aktienkauf zum Volkssport wird, sind Wirtschaftsjournalisten in der permanenten Versuchung, Aktien zu empfehlen, die sie selbst besitzen, oder frische Unternehmensnachrichten zu Kauf oder Verkauf zu nutzen, bevor ihre Leser davon erfahren. Dabei helfen ihm die neuen schnellen Kommunikationsmöglichkeiten -- Aktienkauf per Internet-PC und WAP-Handy. Nach dem Hintergrundgespräch mit AG-Vorständen: erst mal selber kaufen, dann berichten?

      Konflikte um Aktienbesitz von Journalisten gibt es nicht nur in Deutschland: Im Januar hat das britische Boulevardblatt The Mirror zwei Börsenkolumnisten entlassen, weil diese selbst Aktien von Unternehmen besessen hatten, die sie ihrer Zeitung als heiße Tipps empfohlen hatten - Schleichwerbung zum eigenen Geldvorteil. Auch Mirror-Chefredakteur Piers Morgan hatte Aktien besessen, die sein Blatt zum Kauf empfahl. Morgan rettete sich, indem er die Wertpapiere schnell verkaufte und den Erlös einem wohltätigen Zwecke spendete.

      So genannte "Insidergeschäfte" sind auch den Journalisten von Reuters, der international führenden Finanzagentur, verboten. Zuwiderhandlung gegen den Kodex gilt als Entlassungsgrund. Der britische "Press Council" hat diplomatisch gefordert, Journalisten sollten nicht Informationen "for their own profit" nutzen, bevor auch die Öffentlichkeit in den Besitz der Informationen gelangen könne. Klar ist für den "Press Council" auch: Journalisten sollten nicht über Aktien schreiben, an denen sie selbst oder ihre Angehörigen nennenswerte Pakete halten. Sie sollten insbesondere nicht in zeitlicher Nähe zu eigenem Kauf oder Verkauf sich öffentlich über die betreffenden Aktiengesellschaften äußern.

      Länger zurück liegt eine Affäre in der Schweiz: 1989 ließen sich die Chefredakteure von Bilanz und Finanz und Wirtschaft 500 bzw. 300 Aktien eines börsennotierten Immobilienhändlers zuschanzen, als "Geschenk oder zu einem Vorzugspreis", wie der Schweizer Presserat später feststellte. Das Selbstkontrollgremium entschied in dem Streitfall, Medienschaffende sollten Informationen, die sie von Berufs wegen erhalten und die noch nicht öffentlich sind, nicht zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil nutzen.

      Journalisten könne allerdings nicht "verboten" werden, Vermögen auch in Form von Aktien oder Immobilien zu besitzen. Wenn das der Fall sei, sollten sie ihre berufsrelevanten Besitzverhältnisse aber "gegenüber ihrer (Stamm-)Redaktion offen legen". Das gilt beispielsweise auch beim Wall Street Journal.

      Als Konsequenz aus der Schweizer Aktien-Affäre hat sich Bilanz einen eigenen Verhaltenskodex verordnet. Darin wird verlangt: "Der Mitarbeiter (. . .) unterlässt es insbesondere, über Gesellschaften zu schreiben, an denen er Anteile besitzt."

      Hier zu Lande dagegen musste erst der Chefredakteur von Focus-Money straucheln, bevor das Thema branchenintern diskutiert wurde. "In Deutschland fehlt das Unrechtsbewusstein", sagt dazu Telebörse-Chefredakteur Roland Tichy. Unterentwickelt ist das journalistische Fingerspitzengefühl dafür, dass Unabhängigkeit und Neutralität schon in dem Moment tangiert werden, in dem ein Redakteur als geldanlegender Privatmann am Gedeihen eines bestimmten Unternehmens interessiert ist. Weil das Unrechtsbewusstein fehlt, so Tichy weiter, brauche es "strenge Regeln". Die zu erfinden und zu erlassen sei gleichwohl schwer, weil sie eingreifen würden in die Arbeitsvertragsebene und das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter (wozu das Recht zu besitzen gehört). Im Verbund mit der Handelsblatt-Gruppe, in der die Telebörse erscheint, will Tichy dennoch versuchen, einen Kodex aufzustellen.

      Einstweilen gibt es bei der Telebörse ein elektronisches "Orderbuch". Redakteure und Mitarbeiter schicken ihrem Chefredakteur eine interne E-Mail, in der sie kundtun, welche neuen Aktien sie gekauft haben. Die Ordermenge müssen sie nicht angeben. Tichy trägt`s ins kodierte und nur von ihm einsehbare Orderbuch ein - und hat dann, so sagt er, ein Auge auf die Berichterstattung der betreffenden Kollegen. Die Wirtschaftspresse boomt, immer neue Anleger-Titel kommen auf den Markt, und alle haben sie ein latentes Insider-Problem. Die neue Financial Times Deutschland (FTD) hat im Wesentlichen die britischen Regeln übernommen, wonach der Mitarbeiter keine Wertpapiere kaufen darf, über die er "vor kurzem" oder "in naher Zukunft" berichten will. Empfindet ein Redakteur einen Interessenkonflikt, muss er den Chefredakteur informieren. "Wer sich nicht daran hält, begeht Vertragsbruch", so die FTD-Position.

      Beim Aktien Research, dem neuen Börsen-Blatt aus dem Springer-Verlag, dürfen Redakteure zugreifen, sobald ihre eigenen Kauftipps am Kiosk auch für andere verfügbar sind. Ähnlich ist es bei Börse Online, dem Konkurrenzprodukt aus dem Hause Gruner + Jahr. Streng gibt sich Waldemar Schäfer, der Chefredakteur des Handelsblatts: "Wer über ein Unternehmen regelmäßig schreibt, sollte von dieser Firma keine Aktien besitzen". Sehr viel weicher hört sich da Capital-Chef Ralf-Dieter Brunowosky an: "Ein Wirtschaftsjournalist, der keine Aktiengeschäfte macht, versteht nichts davon".

      [ document info ]
      Copyright © Frankfurter Rundschau 2000
      Dokument erstellt am 18.04.2000 um 22:02:46 Uhr
      Erscheinungsdatum 18.04.2000

      ----
      Ebenfalls GUTE GESCHÄFTE!


      Beitrag zu dieser Diskussion schreiben


      Zu dieser Diskussion können keine Beiträge mehr verfasst werden, da der letzte Beitrag vor mehr als zwei Jahren verfasst wurde und die Diskussion daraufhin archiviert wurde.
      Bitte wenden Sie sich an feedback@wallstreet-online.de und erfragen Sie die Reaktivierung der Diskussion oder starten Sie
      hier
      eine neue Diskussion.
      "Journalisten bewegen Aktienkurse"