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    Aktuelles Arbeitsrecht:  4636  1 Kommentar Home-Office-Pflicht - besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Hoffentlich auch die richtigen?

    Einschätzungen von Rechtsanwalt Steffen Hahn, Wirtschaftsjurist (Univ. Bayreuth), Fachanwalt für Arbeitsrecht, Wirtschaftsmediator.

    Herr RA Hahn ist Gründer und Inhaber der Kanzlei Hahn in Viersen (www.kanzlei-hahn.net)

    Die Verordnung wurde ohne Hinzunahme des deutschen Bundestags beschlossen – ist hier überhaupt die rechtliche Grundlage gegeben?

    Die Einführung der Home-Office-Pflicht lief ungewöhnlich für eine Entscheidung dieser Tragweite. Schließlich hat der Bundestag noch kurz zuvor davon abgesehen, ein förmliches Gesetz mit dem Inhalt einer Home-Office-Verpflichtung zu beschließen. Der Bundesminister Hubertus Heil hat am 21.01.2021 von seinem Recht, eine Arbeitsschutzverordnung zu erlassen, Gebrauch gemacht. Das ist auch sein gutes Recht - nach § 18 Abs. 3 des ArbSchG, der ihm „in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite“ ohne Zustimmung des Bundesrates eben dieses Recht gewährt. Der Bundestag hat nur einen Monat zuvor, am 22.12.2020, diesen § 18 Abs. 3 ArbSchG überhaupt im Rahmen des sogenannten Arbeitsschutzkontrollgesetzes erschaffen, dessen erster Zweck eigentlich die Herstellung sicherer Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie war. Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen - und alles hängt offenbar im Moment mit allem zusammen!

    Die Verordnung ist am 27.01.2021 in Kraft getreten und gilt zeitlich begrenzt bis zum 15.03.2021. Dass die „Home-Office-Pflicht“ per Verordnung eingeführt wurde, ist gar nicht unproblematisch. Eigentlich müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß einer erteilten Verordnungsermächtigung gesetzlich - vom Parlament abgesegnet - definiert sein. § 18 Abs. 3 ArbSchG spricht davon, dass der Bundesarbeitsminister ohne Zustimmung des Bundesrates „spezielle Rechtsverordnungen“ zu erlassen, die freilich regeln sollen, „welche Maßnahmen der Arbeitgeber zu treffen hat und wie sich die Beschäftigten zu verhalten haben“, um die „sich aus dem Arbeitsschutzgesetz ergebenden Pflichten zu erfüllen“. Freilich ist eine recht weite Umschreibung - allerdings zählt die Home-Office-Pflicht ohne Frage zu einer Maßnahme, die man in Zeiten der Pandemie als Arbeits-Gesundheitsschutz- bzw. Arbeitsschutzmaßnahme ansehen kann. Insofern ist die Verfassungsmäßigkeit der Verordnung mit guten Argumenten zu vertreten.

    Zum Inhalt:

    Neben Aufforderungen zur Gefährdungsanalyse durch den Arbeitgeber (Dokumentationspflicht beachten!), einer Vorgabe zur Höchstzahl von Personen in einem Raum und der Bereitstellungspflicht von FFP2-Masken sind sicherlich diese beiden Absätze der Kern der Verordnung:

    „(3) Betriebsbedingte Zusammenkünfte mehrerer Personen sind auf das betriebsnotwendige Minimum zu reduzieren und nach Möglichkeit durch die Verwendung von Informationstechnologie zu ersetzen. […]

    (4) Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen.“

    Herr Hahn, auch eine Woche nach verordneter Home-Office-Pflicht existieren noch viele Fragezeichen. Worin sehen sie derzeit die größten Unsicherheiten?

    Der Gesetzgeber, sprich der Bundesminister für Arbeit und Soziales, nimmt hier in dem oben aufgeführten „Kern“ der Verordnung ausdrücklich und klar Arbeitgeber in die Pflicht. Sie sollen ihre Unternehmen, wo es nur möglich ist, technologisch modernisieren und die Arbeit digitalisieren. Arbeitgeber, die Arbeitnehmer im Bereich der Büroarbeit oder ähnlichen Tätigkeiten (laut Bundesministerium Tätigkeiten, die auch von zu Hause per IT erledigt werden können) beschäftigen, müssen Home-Office anbieten (jedenfalls mindestens bis zum 15.03.2021), wenn keine betriebsbedingten Gründe, die zwingend sind, entgegenstehen.

    Was sind zwingende betriebsbedingte Gründe? Natürlich ist dies noch unklar. Rechtsprechung gibt es hierzu bisher keine.

    Das Bundesministerium selbst weist darauf hin, dass natürlich Tätigkeiten in der Produktion von Gütern, Präsenzdienstleistungen (mir fallen etwa die Pflege oder IT-Services ein), im Handel (Verkäufer), oder der Logistik (Warentransport, Lagerarbeiten) nicht der Home-Office-Pflicht unterliegen. Dann, so das Ministerium, wenn die Betriebsabläufe und Wertschöpfungsketten durch Home-Office erheblich eingeschränkt oder nicht mehr aufrecht erhalten werden können, soll die Home-Office-Pflicht nicht gelten. Das betrifft übrigens auch Bürotätigkeiten. Hier kann es ja sein, dass die Post präsent im Betrieb geöffnet und weitergeleitet werden muss oder dass Schalterdienste erbracht werden müssen. Denkbar erscheint es ferner, dass Aspekte des Datenschutzes oder des Schutzes von Betriebsgeheimnissen im Home-Office nicht gewährleistet sein könnten, so das Ministerium.

    Ganz spannend ist die Frage, ob ein Arbeitgeber einwenden kann, er sei schlicht technisch nicht in der Lage, die Home-Office-Pflicht einzuhalten. Der Gesetzgeber sieht dies als „faule Ausrede“ an und will auch hier, dass die Unternehmen massiv investieren. So führt das Bundesministerium aus:

    „Technische oder organisatorische Gründe, wie z.B. die Nichtverfügbarkeit benötigter IT-Ausstattung, notwendige Veränderung der Arbeitsorganisation oder unzureichende Qualifizierung der betroffenen Beschäftigten können i.d.R. nur vorübergehend bis zur Beseitigung des Verhinderungsgrunds angeführt werden.“

    Geld hat man zu haben, so das Ministerium. Ob dies so haltbar ist und auch gerichtlicher Kontrolle standhält, sei ausdrücklich dahingestellt. Aus juristischer Sicht ist ein solcher impliziter Investitionszwang per Einzelverordnung jedenfalls zweifelhaft, sodass die tatsächliche Mittellosigkeit eines Betriebs ein gutes Argument für die Nichteinführung der Home-Office-Pflicht sein dürfte. Es gilt aber der zentrale Hinweis: Diese Gründe und die Abwägung zur (Nicht-)Einführung von Home-Office sind zu dokumentieren!

    An wen kann ich mich als Arbeitnehmer eigentlich wenden, wenn mein Arbeitgeber gegen die Verordnung verstößt? Und mit welchen Konsequenzen müssen Arbeitgeber rechnen?

    Das Ministerium geht richtiger Weise weiter davon aus, dass eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Durchführung und Umsetzung der Home-Office-Pflicht erforderlich sind. Freilich muss der Arbeitgeber erklären können, warum er ein Angebot des Arbeitnehmers, die Arbeit nun im Home-Office umzusetzen, nicht annehmen will. Umgekehrt kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch nicht per Weisung dazu verpflichten, seine Tätigkeit im Home-Office aufzunehmen. Es ist eine Einigung erforderlich.

    Wenn ich als Arbeitnehmer nicht einverstanden bin:

    Als Arbeitnehmer kann man den Arbeitgeber nicht per Klage dazu zwingen, eine Home-Office-Tätigkeit anzubieten. Der Arbeitnehmer wird angehalten, entsprechend § 17 Arbeitsschutzgesetz dem Arbeitgeber den Vorschlag zu machen, die Tätigkeit im Home-Office auszuüben. Dies soll eine innerbetriebliche Kommunikation als Brücke und ein Lösungsinstrument vorhersehbarer Streitigkeiten sein. Allerdings ist absehbar, dass dies nicht immer funktioniert. Läuft zum Beispiel eine Frist ab (ich würde eine Woche als vernünftig auffassen), kann man sich als Arbeitnehmer an die zuständige Arbeitsschutzbehörde wenden(https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arbeitsschutz/arbeitsschut ...) und sich dort beschweren. In Nordrhein-Westfalen ist dies etwa die jeweilige Bezirksregierung als Aufsichtsbehörde.

    Die Aufsichtsbehörden dürfen dann Auskunft verlangen, warum die Home-Office-Lösung nicht umgesetzt wird und sie dürfen Anordnungen und Weisungen gegenüber dem Unternehmen erteilen, um das Home-Office, wenn angezeigt, durchzusetzen. Bei einer Widersetzung drohen sogar Bußgelder in Höhe von bis zu EUR 30.000,00.

    Ob dies tatsächlich ein effizienter Weg ist, um das „Recht auf Home-Office“ durchzusetzen, ist offensichtlich fragwürdig. Aber:

    Es ist durchaus denkbar, dass ein Arbeitnehmer seine Tätigkeit im Betrieb mit der Begründung verweigert, der Arbeitgeber sei gesetzlich verpflichtet, Home-Office als Arbeitsschutzmaßnahme einzuführen. Kommt es dann zum Ernstfall und weiterem Streit, wird der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen und es ist eine Sache des Arbeitsgerichts, festzustellen, ob nun wirklich zwingende betriebliche Gründe gegen die Home-Office-Pflicht entgegenstanden oder nicht.

    Besteht ein Betriebsrat, hat er ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von Home-Office für die Belegschaft. Auch hieraus können sich arbeitsrechtliche Spannungen und Fälle für die Arbeitsgerichtsbarkeit ergeben, wenn keine Beteiligung stattfindet oder die Betriebsparteien keine Einigung erzielen.

    Inwiefern dürfen Arbeitgeber eigentlich ihre Mitarbeiter im Home-Office kontrollieren?

    Das Arbeitsverhältnis gilt mit allen Rechten und Pflichten, gleichen Aufgaben, Arbeitszeiten, gleicher Entlohnung im Home-Office weiter. Das bedeutet, dass natürlich auch das Weisungs- und Direktionsrecht des Arbeitgebers weiter besteht. Der Arbeitgeber bleibt auch weiter zum Beispiel der Datenschutzverantwortliche und natürlich weiter der Vertragsverantwortliche in der Haftung gegenüber Auftraggebern. Das bedeutet, dass er im Rahmen seines Direktionsrechts ein Überwachungsrecht haben muss, um diesen Pflichten gerecht werden zu können. Der Arbeitgeber darf natürlich während der Arbeitszeit den Mitarbeiter anrufen, Arbeitsanfragen und Sachstandsanfragen machen und seine Weisungen durch Arbeitsergebnisse und Arbeitsbelege kontrollieren. Es erscheint sinnvoll, dass diese Zusammenhänge im Rahmen einer Home-Office-Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat einvernehmlich geklärt werden. Hier können datenschutzrechtliche Fragen geklärt und auch die konkreten Einzelnutzungen ganz bestimmter Arbeitsgeräte (Dienst-Tablet; Diensthandy; Dienstlaptop; technische Verbindung zum Server; zu nutzende Software…) geklärt werden. Tatsächlich gehen manche Arbeitsrechtler so weit und schlagen vor, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ein Zutrittsrecht in die Wohnung gewährt. Ich stimme dem zu - im Rahmen einer sogenannten Duldungserklärung, um dem Arbeitgeber die Erstbegehung des Arbeitsplatzes zu Hause zu ermöglichen. Dies ist auch zum Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer (Ergonomie…) durchaus geboten, § 3 Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung.

    Übernimmt der Arbeitgeber auch Kosten, die für die Umstellung auf Home-Office notwendig sind?

    Der Arbeitgeber ist im Verhältnis zum Arbeitnehmer arbeitsrechtlich der „fürsorgende Patron“, der einerseits mit der Arbeitskraft der oder des Beschäftigten einen wirtschaftlichen Gewinn erzielen darf und soll, andererseits aber auch die Kosten hierfür zu tragen und Fürsorge zu wahren hat. Daher muss der Arbeitgeber die Kosten für die Umstellung auf Home-Office einschließlich aller technischen Anschaffungen tragen. Wenn der Arbeitnehmer seinerseits Ausgaben im Arbeitsverhältnis tätigt, hat er - wenn er diese Ausgaben für erforderlich halten durfte - einen Kostenerstattungsanspruch. Natürlich darf der Arbeitnehmer nicht ohne Rücksprache ein „Upgrade der Betriebsausstattung“ durchführen und hiernach den Arbeitgeber zur Kasse bitten, wenn nicht ganz besondere Umstände des Einzelfalls dies zwingend erforderlich machen.

    Die Frage ist insofern sehr berechtigt, als hier Streit „in der Luft liegt“. Schließlich kann es sein, dass ein Arbeitnehmer zur ordnungsgemäßen Durchführung seiner Arbeit im Home-Office noch zusätzliche Arbeitsmittel (z.B. einen ergonomisch vertretbaren Arbeitsplatz/Stuhl) unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Lage benötigt. In einem solchen Fall halte ich es beispielsweise zwingend, dass der Arbeitgeber die Kosten trägt.

    Zusammenfassend gilt für mich, dass das „Recht auf Home-Office“ in der neuen Verordnung des Ministers angedeutet, berührt, in den politischen Raum geworfen, aber nicht ohne weiteres eingeführt wird. Die Verordnung erreicht einen gesteigerten Druck auf Arbeitgeber und öffnet die Türe für die Beschäftigten, ihrerseits das Home-Office im Einzelfall einzufordern. Andererseits würde ich nicht damit rechnen, dass etwa die Bezirksregierungen in NRW bei einer Weigerungs- und Verzögerungstaktik des Arbeitgebers bis zum 15.03.2021 jeden einzelnen Betrieb ins Visier nimmt und im Eilverfahren mit Bußgeldern überzieht. Dies halte ich doch für eine überzogene Erwartungshaltung. Wohl aus diesem Grund schreibt das Ministerium auch, dass die Verordnung „zunächst“ bis zum 15.03.2021 befristet sei. Wie es weiter geht? Eine offene, spannende Frage. Jedenfalls benötigt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Zustimmung des Bundesrates, wenn die Verordnung auch außerhalb der COVID-19-Pandemie gelten soll.






    Seyit Binbir
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    Seyit Binbir ist Börsenexperte und Wegbereiter vieler Unternehmen im digitalen Sektor. Seine Erfahrungen und Analysen veröffentlicht er als Redakteur in verschiedenen Börsenpublikationen, damit auch andere von seiner Leidenschaft für Aktien profitieren.
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    Verfasst von Seyit Binbir
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