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    Das war mein Urlaub (mit Herrn S.) - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 29.08.03 16:21:20 von
    neuester Beitrag 29.10.03 20:55:30 von
    Beiträge: 64
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      schrieb am 29.08.03 16:21:20
      Beitrag Nr. 1 ()
      Wie ich überhaupt auf die Idee gekommen bin mit Herrn S. in einen Urlaub zu fahren - das frage ich mich! Wahrscheinlich war es allein seine Idee anders kann es wirklich nicht gewesen sein. Ich kenne nämlich keinen Menschen, der sein ganz privates Chaos so systematisch mit unnachgiebiger Penetranz verbreitet, wie er das tut. Klar in jedem von uns wohnt ein klein wenig Unordnung aber dieser Mensch, mit dem ich eine Urlaubsreise unternommen habe, trägt das Chaos einer mittelgroßen Kreisstadt in sich und genauso wie eine Stadt wächst, so verbreitet sich sein "System" wie er es nennt und auch eingestandenermaßen selbst kennt, überall dort, wo er sich aufhält. Zur Zeit bezeichnet Herr S. sich selbst als obdachlos und wohnt in Zimmern die Freunde von für ihn bereithalten. Obdachlos ist weil seine Wohnung abgebrannt ist. Das war - wohlgemerkt - letzten Dezember der Fall und seltsamerweise war nicht er die Brandursache, sondern ein durchgedrehter Spastiker mit Dauerhusten eine Etage unter ihm, der, weil das Öl zum Heizen ausgegangen war, elektrisch geheizt hat, d.h. mit drei leistungsstarken Heizgeräten bei einer Verkabelung, die so ca. aus den 20er Jahren abstammen musste. "Kein Problem" höre ich noch Herrn S. sagen "ich schlafe und wohne auch im Auto". Da habe ich wirklich nichts dagegen, solange das Auto in dem er wohnt und schläft nicht meins ist. Ich halte bei dem Gedanken kurz inne und denke an die Reise, die ich mit ihm vorhabe, schließlich wollen wir nicht nur nach Budapest, sondern noch viel weiter in den unbekannten und unerforschten Osten.
      Herr S. stammt aus einem Kuhdorf in Süddeutschland und spricht perfektes Hochdeutsch, ist etwa in den Mittdreißiger Jahren und sieht aus, als hätte er die 40 schon längst hinter sich gelassen. Sobald er jedoch den Mund aufmacht und gestikulierend redet, macht er den Eindruck eines zufriedenen Vorruheständlers mit Beamtenpension, der sich seines Lebensabends erfreut. Nicht selten wirkt er auch mit seiner Sprache und seinem Gebahren wie ein französischer Aristokrat, der durch die geschickte Wahl seiner Verstecke den Verfolgungen während der französischen Revolution entkommen konnte und hernach immer wieder das beschwerliche Schicksal der historischen Geschehnisse für seine Armut verantwortlich macht, was natürlich um so grotesker wirkt wenn er sich inmitten seiner Müllberge und Sperrmüllansammlungen wegen irgendeines philosophischen Problems ereifert oder seine Beziehungen zu anderen Menschen bis ins kleinste Detail auseinandersetzt. Hauptberuflich - es ist klar dass man von einem solchen Menschen schwerlich die Ausübung eines Berufes verlangen kann - verdient Herr S. seine Brötchen mit dem Ausfahren von Pizzen und als "Pharmanutte" wie er sich selbst zu nennen pflegt. Pharmanutten verdienen ihr Geld mit dem Testen von Medikamenten: "Wer Glück hat, kommt in die Placebo-Gruppe". Herr S. empfindet die dafür erforderlichen Krankenhausaufenthalte als Erholungskuren.
      Wie zu erwarten war, verschiebt und verzögert sich unsere Abreise endlos um Stunden, ja sogar Tage.
      Als erstes wollen wir auf ein Festival in Budapest, das sogenannte Inselfestival, weil von vielen Seiten Empfehlungen an uns herangetragen wurden.
      F.f.
      Avatar
      schrieb am 29.08.03 18:23:35
      Beitrag Nr. 2 ()
      alles in ordnung mir dir, schauspieler ?
      Avatar
      schrieb am 29.08.03 19:57:50
      Beitrag Nr. 3 ()
      ja, jacco, zum Glück ist bei mir alles in Ordnung. Es hätte aber auch anders kommen können!
      Avatar
      schrieb am 29.08.03 23:13:42
      Beitrag Nr. 4 ()
      Mach mal weiter, Schauspieler! Da kommt doch noch was...?
      Avatar
      schrieb am 30.08.03 02:19:19
      Beitrag Nr. 5 ()
      Es kommt dick, TeleGraf! Ganz dick, verlass dich drauf! Aber wo war ich stehengeblieben? Ach ja, wir wollten zum Inselfestival in Budapest. Aber noch war nicht alles geklärt, denn eventuell könnten wir die Fahrkosten noch weiter minimieren, in dem wir noch jemand anderen mitnehmen könnten. Und bei dem waren wir gerade, als sich unsere Abfahrt verzögerte. Ich muss noch dazu sagen, dass es sich bei Herrn S. um einen jener Mammutsparer handelt, die ich nie begreifen werde. Dieser Mensch macht sich Gedanken wo er Geld sparen könnte - es ist einfach unfassbar! Dabei sind die Geldbeträge mit denen er sich beschäftigt stellenweise so klein, dass eine halbe Stunde irgendeines Aushilfsjobs ein Vielfaches abwerfen könnte, was Herrn S. jedoch nicht davon abhält tagelang über solche Einsparmöglichkeiten zu sinnieren. Wahrscheinlich ist das Faulheit in ihrer pursten Ausprägung oder einfach nur Langeweile, anders kann ich mir das alles nicht erklären. Klar, dass er sich seines Obdachlosenstatusses brüstet und keinerlei Motivation verspürt sich eine Wohnung zu suchen. Von meinen kraftraubenden Anstrengungen ihn davon abzuhalten in meine Wohnung einzuziehen möchte ich gar nicht erst reden. Wenn Herr S. einmal kostenloses Blut geleckt hat, dann ist der Ofen aus! Nur so sind auch die enormen Mengen an Sperrmüll zu erklären, die er als nützliche Dinge bezeichnet, die "man immer mal brauchen kann". Während ich warte werden Anrufe gemacht, ob und ja und wie und wer noch und wann und nein. Ich will endlich los. Der andere ist ein Krsna-anhänger und kocht auch solches Essen, das er dann auf irgendwelchen - hauptsächlich Musik - Veranstaltungen verkauft. Das ist genauso ein Sparer, wenn auch nicht auf so ausgeprägtem Niveau. Der Krsna-anhänger überlegt tatsächlich ob er sich nicht das Ticket für das Festival knicken und sich irgendwie reinschmuggeln kann: "Für so was bezahl ich doch nüscht!" Das macht er dann auch, in dem er sich unter die Kochplatte eines Campingbusses verkriecht, aber erst einen Tag später und nicht mit uns. Über so viel Einsparungen staunt Herr S. und was ihn von solch drastischen Maßnahmen abhält sind die ständige Angst auf dem Festival ohne Ticket erwischt zu werden, denn Herr S. wird immer erwischt. Zu diesem Zeitpunkt hätte mir eigentlich ein Licht aufgehen müssen! Aber das sage ich jetzt - im Nachhinein. Da weiß man ohnehin immer alles besser.
      Noch zwei Dinge muss ich zum besseren Verständnis über Herrn S. loswerden bevor, ich mich anschicke die Reise und ihre Ereignisse selbst zu schildern. Zum einen ist das die banale Tatsache, dass Herr S. einer der unpraktischsten Menschen ist, die ich kenne. Er definiert faktisch für mich den Begriff "unpraktischer Mensch". Wahrscheinlich entsteht die ihn umgebende phänomenale Unordnung durch den Umstand, dass er eine Suchphobie hat. Nur so kann ich mir den Schweiß und die panischen Bewegungen erklären, die sich wunderbar an ihm beobachten lassen, wenn er genötigt ist, etwas in seinem Kram zu suchen. Dieser Mensch fährt seit drei Jahren ohne Fahrerlaubnis, aber nicht, weil er keine hat, sondern weil er sie irgendwann früher einmal verlegt oder verloren hat! Unfassbar auch, wie er es schafft, dieses Dokument bei jeder Polizeikontrolle glaubhaft aufs Neue zu suchen. Ist es vielleicht im Handschufach? Oder unter dem Sitz? Oder inmitten all des Gerümpels, das sich in seinem Auto befindet? Keine Ahnung...3 Jahre sind eine lange Zeit...
      Was ich zum anderen noch erwähnen muss ist das Aussehen von Herrn S. Dass er aussieht wie Mitte 40 und das Gebahren eines wohlbedachten Rentners hat, habe ich ja schon erwähnt. Umso erstaunlicher ist eigentlich wie er das schafft! Denn seine Frisur ist unfreiwillig die eines Punkers oder besser: die eines entlaufenen Knastbruders oder noch besser: die eines auf der Flucht befindlichen Verbrechers. Das weiß auch Herr S. und weil ihm nach einem Autounfall, bei dem er mit seinem Kopf gegen die Frontscheibe geprallt ist, eine häßliche Narbe mitten auf dem Kopf übrig geblieben ist - und man ihm im Krankenhaus daraufhin die Stelle kahlrasiert hat - trägt er nur noch solchen Mützen die höchstens zwielichtige Gestalten des Nachts in irgendwelchen Hafengegenden tragen, was ihn nur noch verdächtiger erscheinen lässt. überhaupt ist `verdächtig` das beste Adjektiv, was Herrn S. am treffendsten beschreibt. Keiner weiß für was und keiner weiß warum und genau deswegen wird er auch dauernd erwischt, egal ob er sich etwas zu Schulden kommen lässt oder nicht.
      Sind wir schon losgefahren? Ja, wir fahren jetzt Richtung Dresden und danach zur tschechischen Grenze.

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      Avatar
      schrieb am 30.08.03 03:28:26
      Beitrag Nr. 6 ()
      Avatar
      schrieb am 30.08.03 18:54:58
      Beitrag Nr. 7 ()
      Mach mal weiter, Schauspieler! Das wird bestimmt lustig!

      Viele Grüße
      Graf T
      Avatar
      schrieb am 03.09.03 20:42:25
      Beitrag Nr. 8 ()
      Also wir sind losgefahren. Nachts. Ich hätte es wissen müssen, dass Herr S. der schlechteste Beifahrer der Welt ist, denn er ist ja auch der unpraktischste Mensch, den ich kenne. Das eine schließt das andere praktisch mit ein. Keine 100 Kilometer und wir hatten uns fett verfahren. Eigentlich ging das gar nicht, aber wir haben das trotzdem geschafft. Als wir endlich in der Tschechei waren, dachte ich, wir hätten das gröbste überstanden, aber ich habe mich natürlich geirrt.
      Wie schon gesagt, schleppte Herr S. sein herausragendes System der Unordnung mit in mein Auto, wo er sich daran machte, ob des langen Reiseweges, sich darin häuslich niederzulassen. Natürlich hat er das nicht gesagt, aber ich habe das gesehen. Überhaupt lässt sich Herr S. überall dort häuslich nieder, wo er sich längere Zeit aufhält. Am schlimmsten, so finde ich, sind dabei seine liegengelassenen ausgekauten Kaugummis. Wenn man die nicht im Auge behält, verkleben die einfach alles. "Den werfe ich nicht weg! Nach dem Essen nehm ich den wieder in meinen Mund!" - das sind seine Worte, die allerdings so gut wie niemals den Tatsachen entsprechen. Nach geraumer Zeit klebt alles voller Kaugummis und - das muss ich zugeben - zuweilen sind die Orte der Aufbewahrung durchaus kreativ zu nennen. Am schlimmsten jedoch traf mich der Kaugummischlag, als ich die Spuren von Herrn S. tagelang nach einem Aufenthalt in meiner Wohnung fand: auf dem Handtuchhalter in meinem Bad fand ich ein klebriges Etwas das ich nach kurzem Schock als genau ein solches Relikt identifizieren und beseitigen musste. Auf dem Handtuchhalter! Ich konnte meinen Augen wirklich kaum trauen...
      Klar, dass in meinem Auto daraufhin striktes Kaugummiverbot galt! Erstaunlicherweise hielt er es sogar ein! Was uns aber nicht vor weiterem Schaden beschützen sollte....
      Ein etwas mulmiges Gefühl beim Heranfahren an eine Grenze hat man ja jedes mal irgendwie. Vor allem dann, wenn unklar ist, wie weit die jeweiligen Kontrollen ausgeweitet werden. Oder anders ausgedrückt: wer kommt schon gern ins Fadenkreuz oder in den Verdacht von Zollbeamten? Ich schätze mal niemand und selbst derjenige, der gar nichts dabei hat, also nichts zu fürchten braucht, hat ein mulmiges Gefühl, eventuell doch irgendwie verdächtig rüberzukommen und sich den Groll der Zollbeamten zuzuziehen. Bei der ganzen Grenzsteherei und Kontrolliererei musste ich immer unwillkürlich an Heine denken, wie er in seiner Postkutsche durch die deutschen Ländchen von Grenze zu Grenze kutschierte und mit deutscher Gründlichkeit untersucht und begutachtet wurde. Ich konnte den Mann vollkommen verstehen, wie er darüber abgekotzt hat und auch genau, was ihn so daran aufgeregt hat: was zum Kuckuck kann denn in der Privatspäre eines Menschen so wichtig sein, dass es länderübergreifendes Interesse weckt? In meinen Augen steckt da eine große Portion Voyerismus und eine Art sadistische Machtausübungskomponente seitens der ausführenden Organe und Personen dahinter.
      Fakt: die Grenzen öden mich tierisch an und der kleine dicke Zollbeamte hätte uns beinahe fast durchgelassen, ja wir waren praktisch schon im Niemandsland zwischen der Slowakei und Ungarn, als er von seinem kleinen Campingstuhl auf dem er saß - war es wirklich ein Campingstuhl? - gerade noch hörbar in unsere Richtung rief: "Stop!"
      Avatar
      schrieb am 03.09.03 20:58:49
      Beitrag Nr. 9 ()
      Und weiter? :eek:
      Avatar
      schrieb am 03.09.03 22:05:17
      Beitrag Nr. 10 ()
      Avatar
      schrieb am 04.09.03 21:33:59
      Beitrag Nr. 11 ()
      Wir hätten getrost weiterfahren können, denn die slowakische Grenze hatten wir im Prinzip schon überquert. Ich glaube nicht, dass man auf uns geschossen hätte und selbst wenn, hätten wir immer noch bequem anhalten und glaubhaft machen können, wir hätten nichts von der Aufforderung anzuhalten gehört. Der kleine dicke Zollbeamte mit dem schwarzen Schnauzbart hätte sich in seinem Campingstuhl wieder zurückgelehnt und sich geärgert und hätte gedacht: `nächstes mal rufe ich ein wenig eher stop!` und alles wäre harmonisch und friedlich geblieben. Aber so ist das nun mal: Ich war sensibilisiert für Grenzen und wahrscheinlich hätte ich sogar auf die Bremse getreten, wenn er nur den Geburtstag seiner Mutter in den Bart genuschelt hätte, damit der ihn nicht vergisst. Na gut, wir bremsen und stehen und der Dicke steht auf und kommt von hinten an mein Auto heran, meine Fensterscheibe ist heruntergekurbelt und mein Kopf lugt aus dem Auto heraus. Mit kleinen aber energischen Schritten nähert er sich unserem Wagen. Weil die hinteren Fensterscheiben verdunkelt sind, kann er auf den ersten Blick nichts erkennen und dann der übliche Wink: aussteigen und den Kofferraum öffnen! Wenns weiter nichts ist - das mache ich gerne. Der kleine Dicke hat ein sonniges Gemüt, was ich vollkommen in Ordnung finde und beinahe ist er mir sogar sympathisch. Aber er scheint Erfahrung zu haben und zu wissen was er will: Ein kurzer Blick ins Innere meines Autos und in den Kofferraum und er zeigt zielgerichtet auf einen Rucksack von mir und auf den von Herrn S.
      Mir fährt der Schreck in die Glieder! Warum zeigt das Arschloch genau auf meinen Rucksack, der doch viel weiter hinten liegt, überhaupt nicht benutzt, kein Stückchen auffällig, völlig unscheinbar, ja fast ungebraucht, sauber, eventuell mit ein paar Klamotten darin - und so war es ja auch! Trotzdem bin ich gelähmt und mein Herz steht still. Denn im Tragegurt in einer Art Geheimfach befindet sich ein kleines Tütchen mit grünen Kräutern darin, von denen ich weiß, dass sie den Zollbeamten gar nicht gefallen werden. Blitzschnell muss ich reagieren: Kann ich es riskieren, dass der uniformierte Dicke das Geheimfach findet? Ich selbst habe erst nach Monaten bemerkt, dass mein Rucksack noch ein kleines Täschchen beheimatet und fand die Idee dort Dinge zu verstauen äußerst witzig. Die Situation in der ich mich jetzt befand, war allerdings alles andere als witzig, so viel war klar! Wenn ich dem Zöllner ohne mit den Knien zu zittern in die Augen schauen wollte, dann musste das Tütchen dort verschwinden! Herr S. lief schon mal die paar Meter zur Station zurück, während ich die Zeit nutzte, mich um das Fahrzeug zu kümmern: Ich nahm meinen Rucksack und setzte mich ins Auto und kurbelte mein Schiebedach zu, während es in meinem Hirn tackerte und rackerte: wohin damit! wohin damit! wohin damit!
      Als ich ausstieg und die Tür meines Autos zuschlug war das Problem zwar nicht ganz gelöst, wohl aber zeitweise. Irgendwo auf der Rückbank oder im hinteren Fußraum lag jetzt ein Tütchen, in dem sich ein grünes Kraut befand, dass den Zöllnern und wahrscheinlich überhaupt allen Beamten in der gesamten Welt nicht gefallen würde.
      Und nicht gerade leichten Schrittes aber doch um eine zentnerschwere Last erleichtert näherte ich mich dem schmalen langen Tischchen gleich neben dem Kontrollhäuschen, wo schon Herr S. und der kleine Dicke auf mich warteten...
      F.f.
      Avatar
      schrieb am 05.09.03 04:50:50
      Beitrag Nr. 12 ()


      :D
      Avatar
      schrieb am 14.09.03 18:03:02
      Beitrag Nr. 13 ()
      Ja und! Wie jetzt, Schauspieler? Oder wars das schon! Kann ich ja nicht glauben...
      Grüße
      Graf T.
      Avatar
      schrieb am 17.09.03 01:44:30
      Beitrag Nr. 14 ()
      Lägen alle diese Ereignisse nicht so weit zurück, ich könnte nicht unbefangen davon reden. Ich weiß, das klingt etwas absonderlich, aber noch immer komme ich von einem Gefühl nicht los, dass mich ein Haus mit vergitterten Fenstern einfangen will. Erst der gewisse Abstand verleiht mir Sicherheit darüber Worte fallen zu lassen. Es war alles der reinste Horror und angefangen hat es genau so:
      Als ich zum Untersuchungstisch kam, war der Dicke mit leicht in den Nacken geschobener Mütze und ansatzweise vewilderten Haaren darunter schon dabei, den schwarzen Rucksack von Herrn S. auszupacken. Er selbst hat natürlich nichts angefasst aber dennoch bestimmte er jedesmal aufs neue, was der nächste Gegenstand dieses absurden Rucksackinhalts war, der das schräg unter das Dach der Zollstation hereinfallende Sonnenlicht sehen sollte. Ich konnte nicht fassen, was da vor mir lag und immer mehr den Tisch bevölkerte. Sicher, in der näheren Umgebung von Herrn S. waren all diese Gegenstände und Reste von Gegenständen normal, wenn man sich schrittweise daran gewöhnen konnte und wusste, wie sich die Welt des Herrn S. aufspannt und wie sie zu Stande kommt. Der Dicke begann nach anfänglichem Staunen und Stirnerunzeln Witze zu machen, die mir gar nicht behagen wollten, auch wenn sich Herr S. vehement dagegen wehrte, wie man sich eben nur gegen Witze wehren kann, die eine höhere Instanz macht. Ich weiß nicht mehr, was sich alles genau im Rucksack von Herrn S. befand und selbst wenn ich es wüsste, mir würden ganz einfach die Mittel fehlen, die Wirkung zu beschreiben, die jene Kollision der S`schen Welt mit dem Horizont eines Zollbeamten verursachte.
      Ich versuchte mich kurz in den Dicken hineinzuversetzen und sah etwas schreckliches: Dieser Rucksack, der Inhalt dieses Rucksacks ist der eines Junkies! Und zwar eines Drogenjunkies, der kurz davor steht in seine ganz persönliche irreale Welt einzutreten und das offenbar mit den schlimmsten illegalen Drogen, die sich ein Gesetzeshüter nur vorstellen kann, d.h. vollkommen unvorstellbar, genauso wie die katastrophale Unordnung, die mittlerweile den ganzen länglichen Tisch eingenommen hat.
      Die Erkenntnis, dass ein solcher Rucksack nicht nur den Verdacht nährt, der Besitzer könnte mehr dabei haben als eigentlich erlaubt ist, sondern gleichsam eine Garantie ist mehr zu finden, traf mich wie ein Schlag! Auch wenn jetzt mein Rucksack dran war und von den dicken Glupschaugen kontrolliert wurde - er würde mein Tütchen finden! Nicht, weil er nach etwas von mir suchen würde, wohl aber nach etwas von Herrn S., was aber für mich in dem Moment vollkommen gleichgültig war.
      Jetzt begann ich mich zu fragen, was wohl passieren würde, wenn sie die grünen Kräuter finden würden...
      Avatar
      schrieb am 17.09.03 08:59:55
      Beitrag Nr. 15 ()
      bitte weiterschreiben, scheint noch sehr spannend zu werden
      Avatar
      schrieb am 18.09.03 03:35:05
      Beitrag Nr. 16 ()
      Mir wurde immer mehr klar, dass ich mich auf verlorenem Posten befand und das einzige was mir blieb, war zu hoffen. Hoffen dass der saubere und aufgeräumte Inhalt meines Rucksacks den neugierig gewordenen Zollbeamten besänftigen würde. Hoffen, dass ihm klar werden würde, wir seien nur zwei gewöhnliche Touristen auf der Durchreise, nichtsahnend, nichtswissend, alles in allem ein bisschen komisch aber doch vollkommen normal: ein paar T-Shirts, ein paar zusammengerollte Socken, sauber in einer Plastiktüte. Er hätte dran riechen können, er hätte seine wohlige Freude damit gehabt, so sauber war alles! Aber ach! Der kleine dicke Zollbeamte, der wahrscheinlich Familienvater war und nach Feierabend von seiner Frau mit einem warmen Essen empfangen wurde, war gar nicht bei der Sache. Er konnte einfach nicht - wie vermutlich kein zivilisierter normaler Mensch - den Inhalt des ihm dargebotenen S`schen Rucksacks verdauen. Stattdessen schielte er zu dem schwarzen Exemplar und beobachtete Herrn S. beim Einpacken, während ich nicht wusste, ob es nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, dass er dabei gar nicht das kleine Geheimfach im Trageriemen meines Ruckbeutels fand, d.h. dort wo mein grünes Tütchen zuerst war.
      Was die allgemeine Stimmung betraf: von nun an gings auf allen Seiten damit rapide bergab. Etwa so, wie auf dem höchsten Punkt am Anfang einer Achterbahnfahrt, nur mit dem Unterschied dass deine Augen verbunden sind und du kein Ende der Talfahrt siehst, sondern nur spürst, dass etwas in dir immer schneller und immer tiefer fällt.
      Wir marschierten zusammen zum Auto, nachdem ich meinen Rucksack wieder schön zusammengepackt hatte. Warum der kleine Dicke mit uns zum Auto wackelte, hätte mir eigentlich ein Rätsel sein sollen. Wahrscheinlich dachte ich, er wolle sich von uns verabschieden, uns zum Abschied nochmal winken, uns freundlich und herzlich "tschüß" auf slowakisch zurufen. Aber statt das zu tun - es traf mich wie ein Stromschlag von 12V - wollte er lieber einen freundlichen Blick in unser Auto werfen (warum sage ich eigentlich "unser" Auto?). Ich fluchte innerlich, denn es schien wirklich als träte das schlechtmöglichste aller Ereignisse ein. Aber auch noch ein Funken alberner Hoffnung glühte in mir, er würde nichts finden. Was da jedoch wirklich in mir glühte, so kann ich jetzt im nachhinein sagen, war die pure Dummheit als Selbstschutz. Und genau diese Dummheit legte ich an den Tag und in mein Gesicht, als der Dicke mit dem Tütchen aufgeregt triumphierend in der Luft herumwedelte und dabei kleine Sprünge veranstaltete. Aber der Dicke hatte zwei Gesichter und das andere Gesicht des Dicken hielt mir das Tütchen vor die Nase und fragte mich im tiefdringenden Befehlston bei gleichzeitig tiefem In-die-Augen-Schauen: "Wem ist das?" Aber weil ich ja gar nicht verdächtig war, musste der Dicke das auch gleichzeitig Herrn S. fragen - mit einem Wort: Der Dicke war überfordert! Und erhielt von mir als Antwort ein Achselzucken. Herr S. reagierte gar nicht und unterstrich damit meine und seine Ahnungslosigkeit. Daraufhin fing der Dicke an, sich aufzupumpen um noch viel dicker zu werden als er eigentlich schon war. Dabei wurde sein Gesicht ganz rot und sogar die Haare seines Oberlippenbartes standen aggressiv nach vorne gerichtet auf ihrem roten Untergrund, wie ein anschwellender Hahnenkamm oder giftige Stacheln. Viel konnte man beim besten Willen nicht entziffern, was er dabei lautmäßig von sich gab, nur die Worte "Big Problem" wiederholte er so oft, dass selbst Außenstehende sie vernehmen konnten...
      Avatar
      schrieb am 18.09.03 08:51:54
      Beitrag Nr. 17 ()
      bin schon gespannt wie es weiter geht.
      Avatar
      schrieb am 18.09.03 11:31:41
      Beitrag Nr. 18 ()
      wie geht es weiter ???????????????
      Avatar
      schrieb am 19.09.03 04:08:37
      Beitrag Nr. 19 ()
      Seltsame Veränderungen gingen jetzt vor sich. Weil der Dicke so rot und richtig fett und aufgepumpt war, wirkte er eher wie ein wildgewordenes Schwein, als ein Wesen mit menschlicher Ausstrahlung. Dann kamen noch seine quikenden Geräusche hinzu und perfekt war das Schwein in Uniform. Die einzige Veränderung, die ich jedoch nie so richtig verstehen kann, ist, dass der Dicke als Schwein gar nicht mehr so dick wirkte, sondern eher normal. Gar nicht so wie ein fettes Schwein oder so.
      Warum das Schwein so quikte wurde immer klarer: das "große Problem" war im Anmarsch! Eher klein von Wuchs, kurz geschnittene pechschwarze Haare, die Hose in festgeschnürte Stiefel gesteckt; die Schritte, die er machte viel zu groß für seine kleinen Beine, kurz gesagt: ein kleiner Mann mit starkem Geltungsdrang. Die Beschreibung "Minirambo" würde wohl am besten auf ihn passen. Einem Menschen, mit einer schrecklicheren Mischung von Eigenschaften kann man im Prinzip nicht begegnen, jedenfalls nicht, wenn man Wert auf körperliche Unversehrtheit legt. Denn jeder kann sehen, dass er "Mini" ist, dass er aber auch "Rambo" ist, muss er immer wieder zeigen. Kaum war Minirambo da und davon unterrichtet, dass niemandem von uns das corpus delicti gehören wollte, hatte auch schon Herr S. zwei Ohrfeigen im Gesicht. Er hatte Pech, weil er gleich neben ihm stand. Das ging natürlich zu weit und der lautlos gelähmte Protest stand Herrn S. ins Gesicht geschrieben. Protest gefiel Minirambo aber nun gar nicht! Also nahm er seine durchtrainierten Füße und trat damit Herrn S. so schnell in die Beine, dass der gar keine Zeit hatte um noch einen verwunderten Blick in die Runde zu werfen. Noch ein paar kräftige Tritte und Herr S. war quer über das Auto gelehnt. In Schräglage und mit ausgestreckten Armen und Beinen. Ich stand wie angwurzelt da und hatte das Schwein völlig vergessen, so sehr fesselte mich der Anblick von der herausbrechenden Brutalität dieses kleinen durchtrainierten Mannes. Mit wem glaubten hier diese Leute, es zu tun zu haben?
      Jetzt fiel der Blick auf mich, denn Herr S. war vollständig auf Waffen abgetastet. "Du leckst mich am Arsch!" dachte ich, als ich mit Riesenschritten an Rambo vorbeimarschierte und meinen Körper in genau derselben Schräglage ans Auto gelehnt postierte, wie der es von Herrn S. war. Jetzt hatte Minirambo keine Angriffsfläche mehr und ich war gespannt, was passieren würde. Ein Tritt irgendwo hin und wir wären in einer verdammt beschissenen Lage gewesen, in den Händen von Prügelknaben, irgendwo an einer Grenze mitten in der Pampa. Ich weiß nicht warum, aber es kam kein Tritt, obwohl ich wartete.
      Rückblickend passt dies alles wunderbar ins Geschehen: Nichts passierte nämlich so, wie ich darauf wartete.
      Avatar
      schrieb am 20.09.03 01:38:24
      Beitrag Nr. 20 ()
      Ja Minirambo hat mich nicht getreten und mich auch nicht in irgendeiner Weise mißhandelt. Stattdessen hat er bildlich gesprochen meinen Arsch geleckt. Das war nun mal so.
      Seitdem ich hier angefangen habe, meine Urlaubserlebnisse mit Herrn S. niederzuschreiben, frage ich mich immer mehr, warum ich das eigentlich tue. Sicher, ich könnte mit der Beschreibung der katastrophalen Lebensumstände von Herrn S. und wie sie mit den meinigen kollidierten und immer noch kollidieren ein zehnbändiges Werk verfassen und würde immer noch zu keinem Ende gelangt sein, aber das ist es nicht. Mein Bestreben, ein 10-bändiges Werk zu verfassen ist nicht so groß. Es musste also etwas anderes sein und ich glaube herausgefunden zu haben, was für mich der Antrieb ist, hier bzw. generell darüber zu schreiben.
      Und wenn ich jetzt den Begriff Schicksal in den Mund nehme, dann nur, um damit eine ganz besondere Art faszinierender Erklärungslosigkeit zu umschreiben. Denn genau die ist es, die mich weiterschreiben lässt und die mich alle Geschehnisse nocheinmal erleben lässt, gerade mal so, als wäre alles erst eben geschehen. Und sie ist es auch, die mich damals an dieser Grenzstation befallen hatte und von der ich mich nun in genauso faszinierender Weise in einem Meer aus Buchstaben loszuwinden suche, denn eins dürfen wir nicht vergessen: Erklärungslosigkeit wird allgemein, so faszinierend sie auch sein mag, als eher unangenehmes Gefühl wahrgenommen.
      Avatar
      schrieb am 20.09.03 02:38:59
      Beitrag Nr. 21 ()
      Herr S. und ich saßen in getrennten Autos, als wir nach Bratislava zurückfuhren. In der Zwischenzeit war unser Tütchen gewogen worden und die Stelle an der es auf dem Boden in meinem Auto gefunden wurde, einmal von Minirambo und von der Polizei mit einer Videokamera gefilmt. Es stellte sich heraus, dass sich in dem Tütchen sage und schreibe 2,1 Gramm angefunden hatten. Zusätzlich wurden vom Fundort Bilder gemacht wo kleine Blechschilder mit Nummern darauf die Fundstücke zuordnen ließen. Wir hatten zwar nur ein Fundstück, aber ich fand es interessant diese Vorgehensweise mal hautnah miterleben zu dürfen, denn so etwas kannte ich nur aus den vielen Kriminalserien im Fernsehprogramm. Natürlich wurde nach dem ominösen Fund erst richtig kontrolliert. Beamte mit übergezogenen Gummihandschuhen begutachteten jeden einzelnen Krümel in unserem Auto, wobei ich nicht genau weiß, ob sie jedesmal bei einer solchen Prozedur Gummihandschuhe tragen oder dies nur getan haben, weil sie der Zustand, in dem sich das Innere unseres Wagens befand, so sehr abschreckte. Sie hatten jedenfalls viel zu tun, denn Herr S. hatte in dem Wagen schon unübersehbare Spuren hinterlassen. Der Dicke, inzwischen wieder normal geworden, hatte sich unserem restlichen Gepäck gewidmet. Herr S. hatte seine Perplexität erstaunlich gut überstanden und wahrscheinlich hat er nicht einmal Schmerzen von den Schlägen und Tritten verspürt, da sie so unerwartet und aus heiterem Himmel kamen, dass sein Bewusstsein nicht schnell genug war auch nur irgendwas zu registrieren. Und gleich nach dem Rambo-Einsatz des Minimenschen hatte ich zugegeben, dass das Tütchen mir sei. Woraufhin mich natürlich der Dicke mit noch leicht schweinischen Zügen im Gesicht fragte, ob noch mehr davon im Auto sei. Ich sagte mit einer Bestimmtheit "Nein, da ist nicht mehr." zu ihm, dass ich heute davon ausgehen muss, dass sie deswegen nicht mehr gefunden hatten, weil ich sagte, dass nichts weiter da sei. Ich habe ihm natürlich nicht gesagt, dass ich noch ein weiteres Tütchen dabei hatte, das allerdings von der Größe und vom Umfang her eher Beutelchen genannt werden müsste, denn darin befand sich das achtfache der Menge, die bei uns gefunden wurde (Als Herr S. im Nachhinein davon erfuhr, tippte er sich nur sichtlich sprachlos an den Kopf, was umso verwunderlicher ist, da Herr S. sonst so gut wie nie sprachlos ist, woraufhin ich erwidert hatte, dass vor uns ein langer Urlaub lag und ich außerdem einem guten Freund in Not versprochen hatte, etwas für ihn mitzubringen). Dieses größere Tütchen also verbrachte die ganze lange Zeit des Wartens und des Suchen eingewickelt in frisch gewaschen Strümpfen. Den zusammengerollten Knäul hielt der Dicke sogar in der Hand nur irgendetwas hielt ihn davon ab, alle meine Strümpfe zu entpacken und aufzurollen, denn da tastete er nur. Und weil nichts weiter da war und alles andere in Arbeit ausgeartet wäre, ertasteten seine dicken Finger eben nichts. Meine eigene Ruhe, die ich dabei ausstrahlte, ist mir bis heute ein Rätsel. Aber ich drängte den Dicken nicht, noch lenkte ich ihn ab. Ich ließ ihn einfach machen und von irgendwo her wusste ich, dass er es nicht finden würde. Und so ist es auch gekommen. Und während der Dicke so weiter suchte, rückten in der Zwischezeit ganz andere Dinge ins Visier der Ermittlungen: Bücher! Herr S. hatte neben den vielen anderen Sachen, die er immer so mit sich führt, auch ein Buch von einem durchgeknallten Sektengründer dabei, für das sich die Beamten sichtlich zu interessieren begannen, was Herrn S. unangenehm berührte. Er erlitt einen kleinen Schock, als er sah, dass auch ich ein Buch über Aleister Crowley und eines über Satanismus in meinem Auto mit mir führte, die ich schon fast vergessen geglaubt hatte, weil sie wie das Ersatzrad für mich mittlerweile zum Wagen gehörten, immer in dem schlechten Gewissen, die ausgeliehenen Exemplare demjenigen zurückzugeben, dem sie eigentlich gehörten. Schnell war eine Liste mit Symbolen darauf zur Hand, woraufhin unsere Bücher danach untersucht wurden. So konnte man uns nicht einordnen.
      Avatar
      schrieb am 20.09.03 11:25:44
      Beitrag Nr. 22 ()
      ...bin auf die Fortsetzung gespannt!!!:)
      Avatar
      schrieb am 20.09.03 18:17:00
      Beitrag Nr. 23 ()
      Naja Zelda$. Im Knast scheint er nicht gelandet zu sein. Oder gibts da in der Slowakei I-netanschluss in den Zellen?
      :D
      Avatar
      schrieb am 22.09.03 15:33:27
      Beitrag Nr. 24 ()
      Bratislava ist keine schöne Stadt. Irgendwo - ich glaube es war in einem Lonely-Planet-Reiseführer - hatte ich mal gelesen, dass die Lage dieser Stadt alle möglichen kriminellen Schiebereien begünstigt: ein paar Kilimoter westlich liegt Wien, die ungarische Grenze ist nicht weit und auf der anderen Seite der Stadt ist gleich die Grenze zur Tschechei. Alles innerhalb von 50-100 km. Ein idealer Zufluchtsort für zwielichtige Subjekte aller Art. Ich erinnere mich noch, wie ich Herrn S. auf unserer Durchfahrt diesen Umstand mitteilte, er es einfach so hinnahm und nun mussten wir selbst dabei zusehen, wie wir zu genau solchen kriminellen Subjekten wurden. Ich war stinksauer, dass es überhaupt so weit gekommen war. Der Dicke hatte uns nämlich - entweder aus Unwissenheit oder aus Absicht um uns ruhig zu halten - etwas ganz anderes erzählt. "Ahhh ein paar Formulare und Unterschrift und dann weiterfahren nach Ungarn. Aber nicht zurückkommen!" hörte ich ihn noch in seinem gebrochenen Deutsch großtuerisch deklarieren. Die Aufforderung in die zivilen Polizeiautos zu steigen, überraschte uns daher enorm. Aber auch hier beschwichtigten uns die Helfershelfer von Minirambo, die mit uns fuhren: "Nur zu Vernehmung nach Bratislava". Vorbei erstmal der Traum vom Festival, das derweil ohne uns stattfinden musste. Ich war noch so naiv und rechnete mit 1-2 Stunden, vielleicht konnten wir ja noch spät Abends ein paar Konzerte mitnehmen? Schließlich war Samstag, und die Samstagabende waren generell nicht zu verachten.
      Es mochte wohl ca 17 Uhr gewesen sein, als wir auf dem Rückweg nach Bratislava waren und die Nachmittagssonne hüllte sich schon in ihr abendliches Gewand von dunklerwerdendem Licht. Mit von der Partie waren noch drei andere deutsche Jugendliche aus dem Harz, alle im Alter von 20-21 Jahren, wie wir später in Gesprächen herausfanden. Man sah ihnen ihre Berufe nicht an: einer war Tischler, einer LKW-Fahrer und der letzte war Verkäufer von Spielzeugeisenbahnen. Bei ihnen fand man 48 Gramm Shit, d.h. einen riesigen Brocken Haschisch und eine Wasserpfeife. Sie wollten sich eine schöne Zeit am Balaton machen und von dem Insel-Festival in Budapest, wo wir hin wollten, hatten sie noch nie was gehört. Während wir Mittags an der Grenze ankamen und auf das "Stop" vom Dicken reagierten, harrten sie bereits seit 5 Stunden der Dinge, die da kommen sollten. Ich wollte mit diesen Leuten nicht quatschen, nicht mit so einer großen Menge in einen Topf geworfen werden. Ich wollte ganz einfach nicht nach Bratislava! Auf subtile Weise tat ich meinen Unmut kund: Einer von Minirambos Freunden sprach offenbar besser Deutsch als alle anderen und ich fragte ihn, was dies und das auf slowakisch heißt. Als ich wusste, was "danke" heißt, wiederholte ich dieses Wort solange, bis wir ins Herz der endlosen Plattenbauten vorgedrungen waren und dort vor dem äußerlich nicht erkennbaren Polizeirevier ausstiegen.
      Avatar
      schrieb am 23.09.03 00:19:41
      Beitrag Nr. 25 ()
      Wir waren jetzt also 5 Bösewichte die alle in der gebohnerten Eingangshalle darauf warteten, was weiter passieren würde. Es war dunkel, nirgends war eine Lampe eingeschaltet und für einen kurzen Moment kamen mir Zweifel an der Echtheit dieses Polizeireviers und an all diesen komischen Leuten, die eigentich Beamte sein sollten, die aber etwa im selben Alter wie Herr S. und ich ohne einen Plan herumstanden und so aussahen, als ob sie selbst nicht wüssten, was als nächstes an der Reihe war. Vielleicht war das ganze nur ein Fake um uns auszurauben? Das wäre eine zu dreiste Nummer gewesen und "außerdem hätten die vom Zoll da bestimmt nicht mitgemacht", so beruhigte ich mich.
      Wir fuhren jetzt mit dem Fahrstuhl in irgendeine obere Etage des mehrstöckigen Gebäudes, mit uns die vier Bewacher und Minirambo selbst, alle sind von der Grenzstation mitgekommen und das Verhältnis war sogar freundlich zu nennen, Scherze wurden gemacht. Dann waren wir da. Ein langer, schon wieder frisch gebohnerter und glänzender Flur mit vielen Türen. In eine der Türen gingen wir hinein. Wir betraten alle miteinander einen kleinen Vorraum - hier waren unschwer zwei geschlossene schwere Türen als Zellentüren auszumachen. Der Vorraum war so klein, wir standen alle dicht gedrängt darin. Als letzte traten unsere Begleiter ein so dass sie den Ausgang versperrten. Ihre Gesichtszüge und der Tonfall ihrer Stimmen bekamen hier in diesem Vorraum etwas abartiges. So, als ob sie komplett andere Menschen waren, die wir überhaupt nicht kannten und mit denen wir nie Scherze gemacht hatten. Unmißverständlich wurde uns klar gemacht, dass wir den Inhalt unserer Hosentaschen, sowie die Schnürsenkel unserer Schuhe abzugeben hatten. Mir wurde sofort klar, dass das ein sehr schlechtes Zeichen war und gar nicht darauf hindeutete, dass diese Angelegenheit mal schnell vom Tisch ist. Offenbar waren jetzt gruppendynamische Prozesse innerhalb unserer vier Bewacher ausgebrochen, denn irgendwie schienen sie sich gegenseitig darin übertrumpfen zu wollen, uns möglichst schlecht und streng zu behandeln. Auch Herr S. spürte, dass diese Behandlung und das Abgeben unserer privaten Sachen kein gutes Omen war und als er sehr harrsch aufgefordert wurde auch noch seinen Gürtel abzugeben, fing es an in ihm zu kochen. Armer Herr S. denn schließlich hatte er mit der ganzen Sache ja gar nichts zu tun. Es war nicht sein Tütchen was gefunden wurde und was Drogen generell betrifft, da reichen ein zwei Gläser Bier aus, um ihn aus dem Gleichgewicht zu werfen. Wenn er in den Jahren seit ich ihn kenne, mal an einem Joint gezogen hat, dann war das schon viel! Mit Recht fühlte er sich ungerecht behandelt, denn er war so unschuldig, wie man sich das nur denken kann. Zum Glück konnte ich ihn gerade noch so beruhigen, denn jetzt ein lautstarker Protest oder irgendeine andere Form von Widerrede wäre Öl ins Feuer des gruppendynamischen Prozesses gewesen. Blutige Nasen und andere Tritte hätten so ihre Berechtigung erhalten.
      So war ich froh, als ich endlich mit Herrn S. in einer Zelle war und die Tür hinter uns ins Schloß fiel.
      Aber ich war nur wenige Sekunden froh, denn dann versuchte ein in mir stattfindender Bewusstwerdungsprozeß in ganz kleinen Schritten zu erfassen, wo wir eigentlich gelandet waren...
      Avatar
      schrieb am 23.09.03 16:48:25
      Beitrag Nr. 26 ()
      ich bitte um eine fortsetzung, dankeschön
      Avatar
      schrieb am 23.09.03 16:53:11
      Beitrag Nr. 27 ()
      Hier kommt eine Fortsetzung, Tueser:

      Ich konnte beim besten Willen nicht mehr genau sagen, wann die schwere Eisentür hinter uns zugeschlagen wurde. War es eben, vor ein paar Sekunden oder schon vor einer Stunde! Es hätte auch ein geschlagener Tag sein können, so fühlte ich mich. Dieses Geräusch erfüllte immer noch den abgeschlossenen Raum in dem wir uns befanden und wollte nicht abklingen. Krach! Von außen wurden zwei Riegel nachträglich zur Sicherung vorgeschoben, so als ob diese Tür nur alle paar Jahre geöffnet wird und in der Zwischenzeit so fest verschlossen bleibt, wie sie es jetzt war. Krach! Meine Augen suchten fieberhaft die neue Umgebung ab. Sie suchten nach etwas bei dessen Anblick sie gerne veweilen mochten und das sie nicht daran erinnerte, in welcher misslichen Situation wir uns befanden. Vergeblich! Überall wo ich hinblickte wurde ich daran erinnert, dass ich in einer Gefängniszelle war: Ich sah die Schrauben, mit denen Tisch, Stuhl und Bett am Boden festgeschraubt waren. Krach! Ich sah die verhasste graue Tür mit einem Guckloch darin und ich wagte mir nicht sie bis ins Detail zu betrachten, da ich Angst hatte, sie könnte sich nicht mehr öffnen, wenn ich sie nur einen Moment zu lange ins Visier nehme. Krach. War es wirklich diese Tür, die eben diese Geräusche von sich gegeben hatte? Krach. Ich sah das eingemauerte Waschbecken ohne Wasserhahn und ich sah die Videokamera, die in der oberen Ecke unserer Zelle hing und die auf uns drohend herabblickte. Ich wurde hundemüde, besser: meine Augen wurden hundemüde. Doch das Geräusch der zugefallenen Tür versetzte den Rest meiner physischen Existenz in absolute Alarmbereitschaft und in höchste Erregung. Blutige Nasen hatten wir nicht, aber die Tatsache, dass wir uns aus diesem Raum nicht aus freien Stücken wegbewegen konnten, sondern dabei vom Wohlwollen jener ekligen Gestalten abhängig waren, die uns gerade eben hier hinein gestoßen hatten, war mehr als ein Schlag ins Gesicht und die daraus resultierende Verletzung auch schwerwiegender als die einer blutigen Nase.
      Vor ein paar Stunden saßen wir noch fröhliche Dinge erwartend im Auto, gewisse Zeitvorstellungen und Pläne im Kopf, einfach gesprochen: Wir hatten einen Urlaub vor uns! Was wir jetzt vor uns hatten, war mit Sicherheit alles andere als Urlaub. Ich gab mir Mühe, realistisch zu denken. Aber war denn das hier, wo wir uns gerade befanden, realistisch? Langsam konnte ich nachvollziehen, was es bedeutet und wie es dazu kommen kann, dass Leute wahnsinnig werden. Bitterer Hass stieg meine Kehle empor und wollte das mich bedrückende Gemisch aus Hilflosigkeit und Verzweiflung verdrängen. Ich begann jetzt mit dem schlimmsten zu rechnen, um mich emotional darauf einzustellen. Einen Tag in so einer Zelle, zwei Tage... und langsam verstand ich, warum uns die Schnürsenkel abgenommen wurden. Ein Grund mehr, die Wärter zu hassen. Einen Monat? Ein Jahr? Niemals! Wie schnell ich wohl mit dem Kopf gegen die Wand rennen müsste, um danach tot umzufallen....?
      Solche Gedanken schossen mir durch den Kopf und die waren genauso real, wie die Umstände und die Umgebung in denen ich mich befand. Herr S. und ich wechselten nur wenige Worte. Wir wussten, dass uns zugehört wurde. Er hatte nichts zu befürchten, das war klar. Nur ich saß in der Scheiße und mir kam es so vor, als hätte man mich an der Grenze und hier vor der Zelle gründlich mit Scheiße eingeschmiert und ich müsste jetzt irgendwelche Leute die mich verhören wollten, davon überzeugen, dass ich wie ein Blumenbeet an einem sonnigen Frühlingstag rieche...

      F.f.
      Avatar
      schrieb am 25.09.03 11:10:07
      Beitrag Nr. 28 ()
      bin schon gespannt wie es weiter geht
      Avatar
      schrieb am 25.09.03 12:39:28
      Beitrag Nr. 29 ()
      leider zu langatmig :D
      Avatar
      schrieb am 25.09.03 13:07:45
      Beitrag Nr. 30 ()
      #28 nicht nur Du, Tueser, auch ich warte auf die Fortsetzung.



      #29 aber ortlepp, man kann doch nicht dauernd hecheln ;) bzw dazu ist doch der Urlaub und die fetten, bauchnabelgepierceten Engländerinnen da.:D



      @Schauspieler
      Dann lass` Dich bzw Dir mal diesen Thread nicht sperren/löschen bevor die Geschichte abgeschlossen ist bzw schreib` auf Vorrat und poste es hintereinander, dann besteht für mich Hoffnung, daß ich es komplett sehn kann auch wenn ich vielleicht genug Phantasie hätte mir mein eigenes Ende zu denken. Noch etwas, warum findet man Dich über die Usersuche eigentlich nicht???(fiel mir vor ein paar Tagen auf als ich diesen Thread suchte weil ich gucken wollte ob`s inzwischen weiterging. Fand ihn dann schließlich über einen andren User der hier gepostet hat) U-suche findet auch heut` nur das...

      Suche nach Schauspieler (User)

      Alle Threadtitel (Seitenansicht) Postings Ansicht Autor Letzte Antwort
      Es wurden leider keine Übereinstimmungen gefunden.



      ...bzw das:

      Username: Schauspieler
      Registriert seit: 18.05.2000 [ seit 1.225 Tagen ]
      User ist momentan: Offline
      Letztes Login: nie
      Threads:
      Postings:
      Interessen: keine Angaben



      Naja, an der Lösung des DB-Probs wird ja fieberhaft durch überaus sinnvolle und berechtigte Neuregelungen gearbeitet und wenn man hier im Thread auf Deinen Nick klickt, bekommt man auch alles richtig angezeigt, das ist doch schonmal was.
      Avatar
      schrieb am 25.09.03 15:07:57
      Beitrag Nr. 31 ()
      @ 29 ...absolut nicht!!!
      Versuche einfach schneller zu lesen, wenn du willst. Geschrieben ist der Urlaubsbericht bisher jedenfalls super.

      Also bitte nicht ändern, Schauspieler.

      Zelda
      Avatar
      schrieb am 26.09.03 02:56:02
      Beitrag Nr. 32 ()
      Ok, auf einfachen Wunsch gibts jetzt was langatmiges zu lesen. Falls irgendwann mal der User "Seance" hier posten sollte, da bin ich schon gespannt drauf!

      Ich glaube, ich muss nicht dazu sagen, dass ich mich in der Zelle nicht sonderlich gut gefühlt habe. In fact - würde der Engländer sagen - I felt very sick. Ich war todmüde und konnte nicht schlafen. Es fiel mir schwer, das alles zu fassen und ich konnte mir partout nicht erklären, wie ich hier her gekommen war. Für mich war klar, dass ich ohne das Chaos von Herrn S. nicht hier gelandet wäre. Der Standpunkt von Herrn S. war für mich natürlich genauso nachvollziehbar. Er war selbstverständlich der Meinung, ohne mich und meinen waghalsigen Versuch ein Tütchen grüner Kräuter über viele Grenzen zu schmuggeln, müsste er nicht auf dem Bett einer Zelle im Revier der slowakischen Polizeibehörden seine Zeit zubringen. Es war ein Dilemma! Und zwar eines, das nur schwer zu akzeptieren war, ohne gleich in sinnlose Schuldzuweisungen zu verfallen. Dieses Thema flackerte in unseren Unterhaltungen schon des öfteren seit dem Fund an der Grenze auf. Und um ehrlich zu sein - eben jenes Thema ist bis heute noch nicht ganz abgehakt und wie es den Anschein hat, wird es das wohl auch nicht in absehbarer Zeit. Ich war noch nie ein Freund von fruchtlosen Schuldzuweisungen, aber wenn es um Ursachen ging und geht, lasse ich mir nur schwerlich reinreden. Es sei denn jemand hat Argumente, die mich überzeugen, doch das Argument von Herrn S. lag ja auf der Hand, genauso wie meins übrigens. Wäre jeder von uns für sich allein nach Budapest gereist - es wäre nie zu einem solchen Zwischenfall gekommen! Aber für solcherart Überlegungen war nicht die Zeit sondern es war an der Zeit uns mit vereinten Kräften aus dem Schlamassel zu ziehen.
      Doch anstatt frischen Mut zu schöpfen, verließen mich alle Sinneskräfte. Ich saß auf dem festgeschraubten Stuhl der gleich neben dem festgeschraubten Tisch stand und schloß meine Augen. Mein Innerstes versuchte auf Hochtouren die Geschehnisse zu verarbeiten und in dem einen Moment fühlte ich mich stark wie ein ausgewachsener Holzfäller, der ohne Mühe Stuhl und Tisch aus seiner Verankerung herausreißen könnte, um mich gleich darauf im nachfolgenden Moment wie ein hilfebedürftiges Kleinkind zu fühlen, das gerade taumelnd versucht die ersten Schritte im Leben zu meistern. Mein eigenes Befinden wurde mir dergestalt immer fremder, dass ich schließlich meine ganze Aufmerksamkeit den sich mir darbietenden Phänomenen der innersten organischen Abläufe meines Körpers und meiner Wahrnehmung widmete. Zeit genug dazu hatte ich ja, wie mir schien und obendrein sollte das wohl alles nötig sein, damit mein Kopf und meine Gedanken wieder einigermaßen klar und gefasst sein konnten. Ich spürte unendlich viele kreisende Wirbel in mir, ohne genau zu wissen, was da in mir wirbelte und kreiste. Mir war, als wollten alle diese Bewegungen mein Innerstes ans Tageslicht befördern, es aus mir herausschleudern, weg! Immer tiefer und immer mehr nahmen sie aus mir heraus, doch wegschleudern konnten sie es nicht. Denn meine Haut wirkte als Begrenzung und so blieb alles an ihr kleben und haften - von innen! Bald fühlte ich mich leer und meine Haut brannte vor Schmerz. So etwas hatte ich noch nie an mir gespürt und ich kann nicht sagen, dass es sich sonderlich angenehm angefühlt hat. Ich war jetzt nicht mehr als eine dünne zerbrechliche Begrenzung zweier leerer Räume, denn die Zelle, in der wir uns nun mal befanden, war bis auf Herrn S. und die wenigen Möbelstücke genauso leer wie ich. Ich bin fest davon überzeugt: wäre einer der Büttel zu diesem Zeitpunkt in unsere Zelle gekommen und hätte mit einem scharfen Messer meine Haut angeschnitten, um nachzusehen, was sich wohl in mir befindet - er hätte vor Entsetzen einen vollkommen leeren Raum vorgefunden! Keine Organe, Kein Herz, kein Magen, keine Knochen, keine Muskeln, keine Lunge, kein Fleisch - einfach Nichts! Das Nichts in mir hatte sich so stark ausgedehnt und so viel Raum in mir eingenommen, dass es alles Lebensnotwendige verdrängt hatte, hin zur Haut, hin nach außen.
      Ich bin mir nicht sicher ob das überhaupt nachzuvollziehen ist, was ich hier aufschreibe. Denn gewöhnlich hat der Mensch keine Sinnesorgane in seinem Inneren. Dort gibt es nichts zu tasten, nichts zu sehen, eventuell und maximal ein vages Gefühl von stattfindenden emotionalen Schwankungen, mal abgesehen von etwaigen krankheitsbedingten Schmerzen, mit dem sich das eine oder andere Organ ins Bewusstsein ruft. Aber ohne Krankheit gibt es kein örtliches Empfinden für jedwedes Innere. Jede Nahrung verschwindet, nachdem sie im Mund geschmeckt hat, heruntergeschluckt wird und später ein Sättigungsgefühl vermittelt, auf Nimmerwiedersehen. Sieht man vom Sättigungsgefühl und vom Geschmackserlebnis ab, könnte man genausogut Brot, Suppe, Braten und alle anderen Leckereien zum Fenster hinaus werfen. Natürlich - wird jetzt der kluge und aufmerksame Leser einwerfen - verschwindet die Nahrung nicht auf Nimmerwiedersehen, sondern erscheint als Abfallprodukt ein wenig verändert und vollkommen seiner Energie beraubt wieder in der Schüssel beim Klogang. Doch dort ist es genauso! Was seinerzeit vollkommen unbeachtet verschwunden ist, taucht jetzt - o Wunder! - genauso aus dem Nichts wieder auf, ohne bewusstes Zutun und aus heiterem Himmel. Und was war in der Zwischenzeit? Es kümmert uns mit Recht nicht! Es funktioniert und das ist gut so.
      Es mochten wohl gut zwei Stunden vergangen sein, als sich jemand an den Riegeln der Tür zu schaffen machte...
      Avatar
      schrieb am 26.09.03 13:34:56
      Beitrag Nr. 33 ()
      schön, dass du schon gespannt bist, ssp!
      Ich hab deinen letzten eintrag noch gar nicht gelesen, schreibe einfach die 27 weiter.

      Ich versuchte, Worte oder wenigstens ein Gefühl aufkommen zu lassen, die meiner Verfassung nahe kommen konnten. Mein Zustand war alles andere als normal menschlich und trotzdem nur allzu menschlich. Ich war meiner Freiheit beraubt und das auch noch auf unbestimmte Zeit. Freiheit -das klang hier wie ein Zauberwort, und selbst mein kleiner Zeh stimmte in die sehnsüchtige Hymne, die in mir auf das Freisein anschwoll, mit ein. Es war, als würde der Ruf nach ihr wie ein Echo in mir hin und her schwingen. Ich war so unglaublich eng, wie dieses Loch hier, und deshalb entstand in mir ein furchtbar lautes Getöse, das mit einer Hymne nichts mehr zu tun hatte. Die Vorstellung, jetzt nicht hier, sondern in Budapest unter vielen Leuten zu sein, die nicht auf eine so widerliche, groteske Art, wie diese Gesetzeshüter, ihren Spaß hatten, kam mir noch unwirklicher vor, als ein Traum. Ich guckte Herrn S. an. Er schlief schon. Das war o.k., er hatte ja erst mal nichts zu befürchten. Und selbst wenn, wären es Befürchtungen ganz ins Blaue hinein. Ich für nmeinen Teil musste mich mit tatsächlichen Begebenheiten rumschlagen. Allmählich stieg Wut auf Herrn S. in mir auf. Nicht darauf, dass er so war, wie er war. Auch nicht darauf, dass er ganz sicher seinen Anteil an der Misere hatte, sondern nur darauf, dass er ausgerechnet jetzt hier ruhig atmend neben mir lag. Ich fühlte mich geradezu genötigt, die selbe Haltung einzunehmen, damit meine sichtbare Unruhe nicht noch zu meinen Ungunsten ausgelegt werden konnte. Als ich dann mit geschlossenen Augen da lag, konnte ich die ganze Zeit nicht vor der immer wieder zurück kehrenden Frage ausweichen, was eigentlich passiert wäre, wenn ich das Tütchen nicht aus seinem Versteck herausgeholt und im Auto liegen gelassen hätte. Vielleicht dies, vielleicht das. Scheiße. Vielleicht wollten Minirambo und das Hausschwein nur mal wieder zuschlagen. Jeder eben mit seinen Mitteln. Vielleicht hätten sie den ganzen Wagen demontiert, und wir würden auch dort nur beschissen rumsitzen und warten. Aber da würde es immerhin eine Tür geben, die dem Druck nachgeben und einfach aufgehen würde. Die wollten uns ficken, so oder so! Auch wenn sie am Ende gar nichts gefunden hätten, hätten sie immerhin so viel Aufwand betrieben, das ihre Meinung von uns schon allein deshalb glasklar war. Und das bedeutete im Grunde nicht weniger, als das unsere ganze Erscheinung ihnen nur so subtil, aber immerhin, Angst machte. So, als wären wir ein Phantom des Bösen, dem man so schnell es ging, einen Denkzettel verpassen mußte. Aber war ich böse? Nur wegen 2,1 Gramm in der Tasche? Mal abgesehen, dass man nach Plato, dem großen, wenn nicht gar größten Philosophen gar nicht frei zum Bösen, sondern wirklich frei nur zum Guten sein konnte, und ich also nur für den Fall böse zu sein, mich dafür nicht mal vor mir selbst zu verantworten hätte, hatte ich doch rein gar nichts wirklich Schlimmes getan. Und trotzdem lag ich in dieser Machtmühle und fühlte mich, als wäre ich keinen Pfifferling mehr wert. Wie sollte ich nach frischen Blumen duften können, wo alles hier zum Erbrechen stank? Ich, als Veilchen inmitten dieser abgestandenen Höllenluft. Am Ende würden sie mich noch verurteilen, nur weil ich gut rieche. Man mußte manchmal nur anders sein, das reichte 100 mal aus, für einen stattlichen Grund.
      Avatar
      schrieb am 26.09.03 15:32:46
      Beitrag Nr. 34 ()
      Hallo Seance :)

      Danke für dein kurzes Zwischenspiel, ich hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet! Jetzt haben wir durch Zufall am gleichen Punkt mit unseren unterschiedlichen Fortsetzungen der Geschichte angeknüpft. Du hast dich in mich hineinversetzt und was ich von dir lesen kann - das bist du! So wollte ich dich schon immer mal kennenlernen! :)
      Kannst du auch eine Differenz zwischen uns feststellen? Du bist wesentlich aggressiver als ich, auch verzweifelter insgesamt extremer obwohl du doch gar nicht dort warst sondern ich.
      Wie kommt das? Deine Emotionen versuchen auch zu sortieren: in Gut und Böse, wobei die Verallgemeinerung schnell auf der Hand liegt...
      Ich bin bestrebt, diese Differenzen zwischen uns abzubauen. Von einem Gelingen verspreche ich mir einzigartiges Lustempfinden. Ob dies hier dazu die Plattform sein wird oder ob wir etwas anderes finden, werden wir sehen. Ich sehne mich so nach deinen Buchstaben! Dies hier ist unser Geheimnis: schreib so viel und so oft und was du willst - ich werde alles von dir gierig in mich aufsaugen!
      Scheiß auf die Geschichte! Wenn uns langweilig ist, können wir sie fortsetzen.
      Schreib!

      freudig erregt
      Schauspieler
      Avatar
      schrieb am 30.09.03 08:33:22
      Beitrag Nr. 35 ()
      wann gibt es denn eine fortsetzung?
      Avatar
      schrieb am 01.10.03 20:35:52
      Beitrag Nr. 36 ()
      :cool:
      Avatar
      schrieb am 04.10.03 03:16:29
      Beitrag Nr. 37 ()
      Für dich schreibe ich weiter, Seance! Für dich erst habe ich angefangen, Gesprochenes und Gedachtes in Buchstaben festzuhalten. Und als ich das bemerkte, hatte ich mich schon daran gewöhnt. Du kannst jederzeit die Geschichte fortsetzen oder ausbauen, wie dir beliebt.
      Ich lese dich, wie mich selbst, d.h. wie jemanden, der seine eigenen Zeilen gelesen hat und darüber schreibt, ohne zu wissen, dass sein Gelesenes, von ihm selbst stammt.
      Wagst du dieses Experiment?
      Avatar
      schrieb am 04.10.03 04:11:49
      Beitrag Nr. 38 ()
      Hatte sich wirklich jemand an den Riegeln der Tür zu schaffen gemacht? Es musste so gewesen sein, denn nun war Herr S. gar nicht mehr in meiner Zelle sondern der mir etwas suspekt erscheinende junge LKW-Fahrer. Dass er diesen Beruf ausübte, erfuhren wir allerdings noch später. Auf irgendeinem Festival oder in Deutschland auf einer x-beliebigen Party wäre mir nicht suspekt sondern sympathisch gewesen. Und obwohl ich viel darüber nachgedacht habe, warum das so ist, bin ich zu keinem schlüssigen Ergebnis oder zu einer erhellenden Erklärung gekommen. Es mag wohl unter anderem an seinen recht eindrücksvollen Tätowierungen gelegen haben: einer seiner Ellenbogen zum Beispiel war das Zentrum eines über Unter- und Oberarm gespannten Spinnennetzes - was auf mich großen Eindruck machte, wegen des gelungenen Einfalls.
      Jetzt erst fiel mir auf, dass die Tür nicht geöffnet und dann wieder geschlossen sein konnte! So leise sollte dieses monströse Ungetüm zurück ins Schloss fallen können? Diese Tür hatte sich nicht geöffnet und wurde wieder geschlossen, aber trotzdem war nicht mehr Herr S. in meiner Zelle!
      Die Müdigkeit presste sich jetzt in meinen ganzen Körper. War das in "Lost Highway" nicht ähnlich? Dort transformierte sich auch in einer Gefängniszelle ein Mensch in einen ganz anderen! Ich hatte diesen Film nie ganz verstanden, aber genauso unverständlich war mir die Situation in der ich mich gerade befand! Zum Glück war das dort in einer Einzelzelle und der Verurteilte hatte den Tod vor sich. Aber hatte ich hier nicht auch den Tod vor mir und was wenn ich gar nicht da war, sondern nur ein Beobachter dieser ganzen Szenerie? Mir wurde bewusst, dass ich mich in allerlei Gedankengänge verstieg, die nichts mehr mit der Realität zu tun hatten.
      Das war jetzt, wo die Verhöre anstanden, gar nicht so gut, denn glaubwürdig sollte ich schon sein, wenn mich unzählige Augenpaare auf einmal betrachteten und die Schlüssigkeit meiner Argumente durchleuchteten. Einziger Trost in dem Moment war für mich, dass der transformierte Gefängnisinsasse in "Lost Highway" sofort entlassen wurde, weil er ja nicht der war, der hingerichtet werden sollte...
      Avatar
      schrieb am 04.10.03 22:25:21
      Beitrag Nr. 39 ()
      Avatar
      schrieb am 05.10.03 00:06:16
      Beitrag Nr. 40 ()
      Meine Beziehung zu Herrn S.

      Als ich neulich Herrn S. darauf ansprach - wir wohnen in getrennten Städten treffen uns aber doch hin und wieder - dass ich unsere Urlaubserlebnisse öffentlich niederschreibe und er nicht sonderlich gut dabei wegkommt, hat er das ziemlich gelassen hingenommen, da ihn so etwas nicht merklich berührt. Als er nach der Überschrift fragte unter das geschieht und ich ihm wahrheitsgemäß sagte: "Das war mein Urlaub (mit Herrn S.)" verlangweilte sich seine Mine und er war sichtlich enttäuscht. Ich glaube, ich konnte sogar eine Spur Verachtung in seinem Blick erkennen. Stattdessen schlug er den Titel "Wegen der Drecksau war ich im Knast!" vor und ja! Nach einiger Überlegung sah ich ein, dass dies durchaus auf uns beide zutraf und somit eine viel passendere Überschrift gewesen wäre. Die "Drecksau" wäre aus meinem Blickwinkel natürlich er gewesen und aus seiner Sicht selbstverständlich ich, denn so war es ja auch! In dieser Äußerung zeigte sich das reißerische tierische Wesen von Herrn S. Aus lauter Boshaftigkeit vergleichen wir uns oft mit Tierarten, die unsere Wesenszüge widerspiegeln, auch wenn Herrn S. das bei mir nicht gelingt. Er jedenfalls hat die Wesenzüge einer Hyäne und das durch und durch! Interessanterweise musste er sich das vor mir eingestehen als ich ihn damit konfrontierte - der Vergleich war einfach zu treffend!
      Eine andere Verstiegenheit von Herrn S., die nichts mit seiner Hyänenhaftigkeit zu tun hat, ist seine - aus medizinischer Sicht - bedenklich zu nennende Idee, eine Lebens- oder Imageberatung zu gründen. Er meint nämlich die Probleme anderer Leute viel einfacher lösen zu können, als seine eigenen. Nur um ihn nicht zu verletzen schlug ich vor, dies doch nur auf telefonischem Weg zu besorgen, denn gerade stellte ich mir Kunden vor, die in seinem Obdachlosendomizil auf der Matte stehen, in mitten all dieser Müllberge, überquellenden Aschenbecher und mit Matratzen zugelegten Sperrmüllresten, bestehend aus alten defekten Radios, Fernsehern, Garderoben, Stühlen, Lampen....dazwischen etliche Gegenstände und Kleidungsstücke mit Kaugummi verschmiert und verklebt.....
      Es erstaunt mich immer wieder an Herrn S. dass ihn es nicht erstaunt, mit welcher Ernsthaftigkeit er den hirnverbranntesten Ideen nachjagt, und zwar solchen, die schon im Ansatz zu 100% vom Scheitern durchsetzt sind.
      Aber wie heißt der Spruch so schön? "Man muss nehmen, was kommt" und da meine Rollen und Angebote als Schauspieler mich zunehmend langweilten und Herr S. das wusste, kam er vor unserem "Urlaub" auf mich mit einem Angebot zu. Er meinte zu mir: ich hätte nur eine Rolle zu spielen, alles andere übernähme er. Naja, ich war wie immer knapp bei Kasse, wusste um die Vertrauenswürdigkeit von ihm und dass er wahrscheinlich noch abgebrannter war als ich. Die Gedankengänge seines Vorschlags waren mir nicht neu, denn ich hatte schon davon gehört. Und zwar sollte ich - seinem Vorschlag zufolge - einen Schachspieler spielen!
      Die Idee dazu war folgende:
      Fernab großer Schachereignisse - einer Weltmeisterschaft etwa oder einer öffentlichen Landesmeisterschaft - verdienen sich die besten Spieler als sogenannte "Hazzler" ein gewisses Zubrot in den Kneipen und Gaststätten der Umgebung, in denen öffentlich Schach gespielt wird und die von den örtlichen Matadoren dominiert werden. Oft übersteigen dabei die gewetteten Summen ein Vielfaches der Preisgelder, die offiziell erlangt werden können. Der Hazzler geht dabei wiefolgt vor: Er weiß, dass er so gut ist, dass er jeden x-beliebigen Spieler schlagen kann, weil er jeden Spieler persönlich kennt, der besser ist als er selbst. Er sucht sich also ein Cafe oder eine andere Örtlichkeit von der er weiß, dass dort um Geld Schach gespielt wird. So einen Ort muss er natürlich finden. Hat er ihn gefunden spielt er dort um einen kleinen Betrag gegen irgendjemanden und versucht während der Partie ausfindig zu machen, wer sich für den stärksten Spieler in der Gegend hält und ob der bereit wäre, ein Spielchen zu wagen, gegen den entsprechenden Einsatz natürlich. Der Platzhirsch wird angerufen oder ist schon da und lässt sich natürlich herausfordern. Erst wird um einen kleinen Betrag gespielt. Und damit sich der Lokalmatador sicher fühlt, gewinnt er "ganz knapp" und "mit Glück". Dann, je nach Stimmung, werden die Beträge größer. Dann liegt es an dem Hazzler selbst, bei welcher Summe er zuschlägt und einfach gewinnt. Mehrere tausend Euro Gewinn sind so keine Seltenheit.
      Das alles war mir bekannt und einige Wochen vor unserer Abreise stand Herr S. vor mir, erzählte mir eben das, was ich schon wusste und schlug mir vor, dass wir so zusammen etwas Geld verdienen könnten, denn er wüsste wo solche Orte wären, wo um Geld Schach gespielt würde und er wüsste auch, wo demnächst einige hochrangige gut besetzte Turniere stattfinden würden. Mein Einwand ich sei Schauspieler und kein Schachspieler und dass meine Kenntnisse im Schach sehr begrenzt seien, ignorierte er mit den Worten: "Dann spielst du eben einen Schachspieler! Bereite dich drauf vor, als ob du dich auf irgendeine Filmrolle oder eine beim Theater vorbereitest - das kannst du doch wohl, oder?" Ja klar konnte ich das, aber das war nicht der Punkt, so fand ich! Irgendwas schien Herr S. da zu verwechseln, irgendeinem Irrtum schien er zu unterliegen. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, sagte er noch: "Was ist denn dabei? Wir machen Urlaub und fahren ins Ausland und nebenbei verdienen wir so noch ein bisschen Geld!" - Ja, das klang wirklich verlockend! Und einleuchtend!
      Dass uns der Zoll dann so in die Quere kommen musste, war natürlich nicht vorgesehen...
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      schrieb am 05.10.03 05:37:35
      Beitrag Nr. 41 ()
      @ 38 Schauspieler

      Ja, das war Fred Madison, der sich in der Gefängniszelle in Pete Dayton vewandelt hat. Klasse Film!

      Hier sehen wir noch Fred Madison, zum Tode verurteilt in seiner Zelle:


      Dann verändert sich sein Gesicht und alles andere zu Pete Dayton:


      was dann so aussieht:



      Pete Dayton wird dann aus der Gefängniszelle entlassen.
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      schrieb am 06.10.03 01:58:14
      Beitrag Nr. 42 ()
      Danke, A.Crowley. Schauspieler weiß deine Bild-Erläuterungen sicher zu würdigen. Mir jedenfalls gefallen sie gut. Doch weiter mit den Schilderungen.

      Der Beginn der Verhöre

      Nach endloser Zeit öffnete sich die schwere Zellentür. Draußen war es schon lange dunkel geworden, wie ich durch unser kleines Zellenfenster hatte beobachten können. Kein Zweifel - es war nicht Herr S. der mit mir in einer Zelle war sondern der ellenbogenbespannte LKW-Fahrer. Vermutlich wurden die beiden gegeneinander ausgetauscht, um zu sehen, welche Veränderungen das in der Kommunikation mit sich bringen würde. Ich konnte gar nicht fassen, dass ich diesen Raum jetzt - wenn auch nur auf unbestimmte Zeit - verlassen sollte. Ich war froh dass endlich etwas passierte, aber eilig hatte ich es nicht, denn ich wurde mitten aus meinen Gedanken herausgerissen. Ich musste die ganze Zeit an Dr. B. denken, jenen Helden aus der Zweigschen Schachnovelle, der monatelang in ein Hotelzimmer von den Nazis eingesperrt ein Schachbuch fand und dort alle Partien im Kopf nachspielte und schließlich so endete, dass er im Fieberwahn gegen sich selbst spielte. Hier hatte ich kein Schachbuch und klare Gedanken konnte ich auch nicht so richtig fassen, bildete mir aber ein, meine Zeit dann wohl ebenso nutzen zu wollen.
      Die Idee von Herrn S. als geschauspielerter Hazzler Geld mit Schachspielen zu verdienen, hatte sich natürlich wie von selbst ad acta gelegt. Jetzt gab es wichtigeres zu tun, was aber nicht minder nach der Notwendigkeit einer Strategie schrie.
      Interessanterweise wurden uns bis dahin noch keine Rechte oder so verlesen, wie man das aus Filmen kennt. Etwa wie "Sie haben das Recht die Aussage zu verweigern, aber alles was sie sagen...usw." Darauf wartete ich noch, denn meine Strategie war einfach. Von Deutschland her wusste ich, dass ermittelnde Polizeibehörden nur belastendes Material sammeln, wenn einmal feststeht, dass wie in diesem Fall, die grünen trockenen Krümel in meinem Besitz waren. Also eisern die Aussage verweigern, egal was kommt. Klar, wenn sie prügeln wollen, werde ich dann wohl von ganz alleine meinen Mund aufmachen. Aber ich setzte auf Sittlichkeit und nur eine irrationale diffuse Angst rechnete mit körperlichen Repressalien.
      Von den Prügelknaben war keiner mehr zu sehen, als ich in Begleitung von zwei Uniformierten erst in den Fahrstuhl zurück und dann noch weiter nach oben in einen anderen langen gebohnerten Flur gebracht wurde. Minirambo und seine Gefährten hatten wohl schon Feierabend. Es war ein schönes Gefühl, sich "frei" bewegen zu können. Von Herrn S. und allen anderen Mitgefangengenommenen war weit und breit nichts zu sehen.
      Was ich erwartete war klar: Wenn Verhöre durchgeführt werden sollten, dann konnte das nur mit Hilfe eines Dolmetschers geschehen. Ich war mir bewusst, dass vieles hier auf einer zwischenmenschlichen Ebene der Sympathie von statten ging. D.h. wenn der Dolmetscher und ich uns unsympathisch sein sollten, wären das ganz schlechte Karten für mich.
      Warum wurde mir nicht die Möglichkeit gegeben zu telefonieren? Brauchte ich in meiner Lage etwa keinen Anwalt?
      Avatar
      schrieb am 10.10.03 16:11:00
      Beitrag Nr. 43 ()
      Sorry für die kleine Verspätung, weiter gehts im Text.

      Die Dolmetscherin, der Major und ihr Anwalt (Teil 1)

      Natürlich brauchte ich einen Anwalt. Das hat mir der Major aber erst später gesagt. Genauso wie er mir erst später gesagt hat, warum und als was ich eigentlich vernommen wurde. Aber alles der Reihe nach!
      Noch bevor ich das Verhörzimmer betrat, sah ich sie im Türrahmen stehen: eine winzige blond gelockte ältere Frau, so etwa um die 50-55 Jahre. Sie schaute mich mit großen Augen an und ich sie, als wir uns das erste mal sahen. Ihre Augen waren so groß, dass sie fast das ganze Gesicht bedeckten. Ich ging auf sie zu und weil ich selbst von großer und kräftiger Statur bin, wirkte sie je näher ich ihr kam mit ihrer ganzen Erscheinung wie ein Wurzelzwerg auf mich. Ihre Körperhaltung war genauso wie ihr übriges Gesicht eingefallen und sie deutete mit dem Arm eine Bewegung an, dass ich ins Vehörzimmer eintreten solle. Oh nein! Sollte das etwa meine Dolmetscherin sein? Langsam sah ich, was ihre gebückte Haltung verursachte. Sie hatte wohl einen Körperfehler bzw das, was der Volksmund einen ausgeprägten Buckel nennt. Von unten schaute sie an mir herauf und sagte in langsamem und sehr deutlich gesprochenem Deutsch "Guten Tag!" zu mir und reichte mir ihre Hand nach oben. Ihre Stimme war warm und weich und fast schon fürsorglich. Ich nahm ihre Hand und ergab mich wie betäubt meinem Schicksal. Diese Frau hier war meine Kontaktperson zur Außenwelt, mein Sprachrohr in die slowakische Staatsmaschinerie, die gerade angefangen hatte sich in Gang zu setzen und die, so fühlte ich, mich mit ungeheuerlichem Druck in eine dieser schrecklichen Zellen pressen wollte, die ich gerade verlassen hatte. Ich musste natürlich herausfinden, wie sehr sie dieser Maschinerie zugehörig war und wie sehr sie selbst bestrebt war, diesen Druck auf mich weiterzuleiten. Frau Gravanska, so war glaube ich ihr Name, setzte sich auf einen Stuhl, der neben dem stand auf dem ich mich setzen sollte und hatte wenn man sie so ansah, jeglichen Anschein der Wurzelhaftigkeit verloren. Eine ganz normale Frau auf einem ganz normalen Stuhl. Fast wollte sie schon einen attraktiven Eindruck auf mich ausüben. Jetzt erst sah ich, dass noch jemand im Raum war. Frau Gravanska deutete im Sitzen auf die Person hinter dem Tisch und sagte in meine Richtung "Das ist der Major. Er wird die Vernehmung machen."
      Der Major war ca. 45 Jahre alt und machte einen fast offenherzigen, aber dennoch unterwürfigen Eindruck auf mich. Er sah mich nur kurz an und tat sehr beschäftigt, so dass ich, als ich endlich auf meinem Stuhl saß, genug Zeit hatte, ihn zu mustern. Seine Hände waren voller goldener Ringe und an seinem Hals prangte eine dicke goldene Kette. Was zum Kuckuck war das für ein Major! Das was er tat und wie er aussah, wollten in meinen Augen einfach nicht zusammenpassen! Dem Aussehen nach hätte er locker ein Zuhälter sein können, so protzig, wie der sich mit Schmuck behangen hatte. Stattdessen saß er aber Samstagabend auf einem rollenden Bürostuhl hinter einem veralteten PC und tippte im Einfingersuchsystem irgendein Dokument ab, das auf dem Tisch lag. Ich beschloß für mich im Stillen, dem Major nicht über den Weg zu trauen und mich an Frau Gravenska zu halten.
      Als er Frau Gravenska ein Papier reichte, sah er mich an und lächelte dabei. Ihr Mine verfinsterte sich und sie machte sich daran, mir zu erklären, was die Zeilen auf dem Papier zu bedeuten hatten. Ich sah sie ungläubig an und wartete darauf, dass sie mir erklärte, dass ich keine Aussage zu machen brauchte...
      Avatar
      schrieb am 11.10.03 00:44:01
      Beitrag Nr. 44 ()
      Hallo Seance :)
      Avatar
      schrieb am 13.10.03 20:40:55
      Beitrag Nr. 45 ()
      Ich gebe zu, es wird bzw wurde etwas langatmig. Vielleicht ist diese Begebenheit nicht Stoff genug für eine kurze Geschichte dieser Art.
      Eine Fortsetzung gibts nur auf Wunsch.
      S.
      Avatar
      schrieb am 13.10.03 20:54:02
      Beitrag Nr. 46 ()
      wunsch...;)
      Avatar
      schrieb am 15.10.03 07:42:40
      Beitrag Nr. 47 ()
      ich wünsch mir eine fortsetzung
      Avatar
      schrieb am 16.10.03 02:36:58
      Beitrag Nr. 48 ()
      extra für dich, tueser! :) und natürlich auch für xylo! aber wenns recht ist, verzichte ich auf groß- und kleinschreibung und schreibe durchweg klein. ist viel bequemer so.

      die dolmetscherin, der major und ihr anwalt (fortgesetzt)

      "schach matt!" sagte herr s. zu mir mit einem gehässigen lachen in seinen gesichtszügen, obwohl er natürlich genau wusste, dass es nicht so war. wir spielten schach auf einem balkon in der abendsonne. er konnte wirklich nicht sehr gut spielen aber naja. längst waren wir in transsylvanien angekommen und auch schon ein paar tage da und hatten sowohl das inselfestival als auch den slowakischen knast hinter uns gelassen. allerdings wollte uns nicht so recht klar werden, wie und was da eigentlich passiert ist, dort bei den verhören und in der zelle und an der grenze mit all den grenzern und kontrollen und repressalien...
      die dolmetscherin, frau gravenska, hatte zufälligerweise ein jahr in der stadt gewohnt und gelebt in der ich gerade wohne, was natürlich schon mal eine gemeinsame basis schaffte. den rest der zeit in deutschland hatte sie in einer stadt elektrotechnik studiert, die ich selbst sehr gut kenne weil freunde von mir dort genau das gleiche studiert haben und ich öfter mal auf besuch war. trotz all dieser gemeinsamkeiten die sich im laufe unserer interaktion peu a peu den weg ans tageslicht bahnten, konnte ich dennoch nicht sagen, dass sie uneingeschränkt auf meiner seite gewesen wäre. kurz gesagt: mein plan, keinerlei aussage machen zu müssen, scheiterte an ihrer übersetzerischen leistung. ich weiß natürlich nicht, was auf den endlosen papieren über die ich unterwiesen wurde haargenau stand, aber wie auch immer - sie gab mir zu verstehen, dass ich eine aussage machen müsste. eine andere möglichkeit gäbe es nicht und das gesetz schriebe das auch so vor. nun gut, ich machte also eine aussage, die der major mit seinen zwei fingern in einer endlosen zeit in den rechner eintippte, der direkt neben ihm stand. während dieser zeit fragte ich sie, was denn nun eigentlich weiter passieren könnte und dass wir ja eigentlich auf dem weg nach budapest seien um ein festival zu besuchen und ob wir das noch erreichen könnten. "Naja" sagte sie "wir müssen sehen, was der Staatsanwalt dazu sagt." "Und" meinte ich, "was wird wohl dazu sagen?". ihr gesicht wurde recht ernst und ein leichter schleier von trauer legte sich darüber. dann sagte sie mir, dass auf mein vergehen zwei jahre zuchthaus stehen, aber weil ich hier gut kooperieren würde und überhaupt wenn ich mich gut führen würde, müsste ich nur ein jahr absitzen. ich verstand alles haargenau, weil sie ja meine einzige kontaktperson war und ich mich auf sie eingestellt hatte und war einem hörsturz nahe. zwar verstand ich alles haarklein, aber ich begriff nicht. was hatte sie gerade gesagt? "nur ein jahr"? vor meinem mund fiel eine klappe herunter. durch dieses organ würde kein wort mehr herauskommen und meine hand würde hier niemals einen stift anfassen und irgendwas unterschreiben, von dem behauptet wurde, ich hätte es ausgesagt. ich fragte sie sinngemäß, ob sie verrückt sei, noch irgendetwas von mir zu verlangen. in der zwischenzeit war der major mit seiner tipperei fertig und übergab ihr das dokument, damit ich alles vorschriftsgemäß unterschreiben konnte. als sie übersetzte wusste ich, wohin der hase läuft. der schmierige major mit dem aalglatten gesicht und der ausgeprägten eitelkeit hatte sich nur die rosinen meiner angaben herausgepickt, die wirklich kein gutes bild von mir entwarfen. jemand der so was ausgesagt, den hätte selbst ich problemlos hinter gitter gesperrt. mit bitterer enttäuschung und unter anhaltendem kopfschütteln gab ich das dokument zurück und gab zu verstehen dass ich nicht gewillt bin meine eigene hinrichtung zu befürworten. das was da geschrieben stand, war verdammt heiß! es konnte mich ein jahr meines lebens kosten! die schäden, die mir ein knastaufenthalt in der slowakei in bratislava zugefügt hätten gar nicht mitgerechnet. ein zuckerschlecken wäre das sicher nicht geworden! der major wurde bösartig als er sah wie ich auf sein geschriebenes reagierte. offenbar fühlte er sich in seiner kompetenz angegriffen, die dinge wahrheitsgemäß und richtig wiederzugeben. scharfe töne wechselten zwischen ihm und meinem deutschsprachigem rettungsanker mit den blonden haaren. beinahe flehend gab sie mir zu verstehen, dass ich eine aussage machen müsse, wobei ich aber darauf bestand gar nichts mehr auszusagen und auch nie etwas ausgesagt zu haben, d.h. alles was auf dem zettelchen da stand im prinzip null und nichtig sei. jetzt wurde auch frau gravenska böse und gab mir auf umwegen zu verstehen, dass die aussage nicht mehr zu verändern sei. ich erinnerte sie an ihre belehrung, die sie kurz vorher hielt und in der sie mir klar machte, dass ich sehr wohl meine aussage verändern könnte. "nun" sagte ich " ich möchte sie so verändern, dass alles rausgestrichen wird, was da steht." interessanterweise lachte frau gravenska an dieser stelle obwohl das von meiner seite aus gar nicht als witz zu verstehen war. mir war die sache todernst. gutmütig gab sie mir zu verstehen, dass ich nur noch details hinzufügen könne, nicht aber noch irgendetwas wegstreichen. was gesagt sei, sei nun mal gesagt. der major schaute uns während dieser zeit eindringlich und erwartungsvoll an und wartete auf ein ergebnis unserer unterredung. ich schaute ihn ungläubig an und konnte das alles gar nicht fassen! sollte ich jetzt einen streit vom zaun brechen und mich gegen meine einzige unterstützung stellen die ich in meiner verlorenen situation hatte? jetzt fing der major an in milden tönen auf mich einzureden um mich zur einsichtigkeit zu bewegen. schließlich sei es nur gut, wenn ich eine aussage machen würde. was sollte ich machen? ich versuchte mit zusätzlichen aussagen darauf hinzuweisen, dass es wirklich nicht klar war und ich nicht wüsste, ob das tütchen mein eigentum wäre. klar, in deutschland rauche ich ab und zu einen joint aber da ist das auch straffrei und eine kleine menge kann man da ruhig dabei haben aber ob ich das tütchen dahin gelegt hatte, das konnte ich nicht mehr mit hundertprozentiger genauigkeit sagen. schließlich lag es ja mitten im auto und nicht irgendwo versteckt, was ja jeden zollbeamten irgendwie verwirrt, wenn die sachen nicht versteckt sind. mir schmeckte das alles nicht und am liebsten hätte ich keine aussage gemacht anstatt dieser windigen argumentation. aber der major und frau gravenska hatten so auf mich eingeredet, dass ich es für besser hielt, ihnen nicht zu widersprechen. ich erwartete natürlich eine verbesserung meiner lage durch meine geständigkeit und mit einem sehr komischen gefühl unterschrieb ich den wisch, der mir jetzt "verbessert" vorgelegt wurde. während ich unterschrieb, schaute ich nicht auf das papier sondern dem major in die augen. ich sah, wie ihm ein stein vom herzen fiel als er das ersehnte dokument endlich in den händen hielt. offenbar hatte ihn etwas erfolgreich gemacht.
      jetzt wurde ich aus dem verhörzimmer hinaus geleitet und auf dem weg hinaus sagte der major fast beiläufig zu mir und auch auf deutsch: "jetzt brauchen sie einen anwalt!"
      was?! wieso jetzt erst!? er hatte mich reingelegt, soviel wurde mir klar....
      Avatar
      schrieb am 16.10.03 06:51:21
      Beitrag Nr. 49 ()
      danke für die fortsetzung, bin schon gespannt auf die nächste.
      Avatar
      schrieb am 18.10.03 03:35:30
      Beitrag Nr. 50 ()
      die dolmetscherin, der major und ihr anwalt (das ende der verhöre)

      alles war wie in einem schlimmen traum, der nicht aufhören, sondern immer schlimmer werden wollte und ans aufhören war überhaupt nicht zu denken - das war ja das schlimme. mir war gar nicht bewusst, dass ich nicht wieder zurück in die zelle geschafft wurde, sondern jetzt auf dem langen gebohnerten flur warten durfte. wie immer wusste ich nicht was los war und so war ich natürlich daran interessiert herauszufinden, was als nächstes passieren würde. frau gravenska, die dolmetscherin, huschte aus dem verhörzimmer hinaus und wieder hinein. das konnte ich sehen, weil ich mich auf mehreren stühlen breit machte, die unweit des zimmers mich als einzigen benutzer hatten. ich konnte mich nicht entscheiden auf welchen der stühle ich mich setzen wollte und so wechselte ich alle paar minuten unter rastlosem aufstehen und mit ein paar schritten umherlaufend unaufhörlich meine sitzposition. mal wollte ich frau gravenska erwischen, doch schwups war sie schon wieder im zimmer oder hinter irgendeiner anderen tür wieder verschwunden. jetzt war sie wieder der kleine bucklige zwerg, der mich von unten herauf anschaute, mit eingezogenem kopf und ich konnte mich gar nicht daran erinnern, dass sie vor wenigen minuten noch die anziehung einer ganz normalen frau auf mich ausgestrahlt hatte. ich sprang mehr als einmal auf um sie zu erwischen und als es mir glückte sagte sie, dass alles sehr gut sei und alles in ordnung kommen würde, ich solle mir um gottes willen nur keine sorgen machen. alle warteten jetzt nur auf den anwalt, der in ein oder zwei stunden eintreffen sollte. aha, ich sollte also einen pflichtverteidiger bekommen, d.h. noch so eine unbekannte und unberechenbare größe wurde in den entscheidungsprozeß eingeführt, dessen ausgang mir immer ungewisser wurde. "ein jahr bei guter führung" diese bemerkung, so kurz und lapidar von ihr dahingesagt, hatte gesessen. was verstand denn frau gravenska unter "gut"? war für sie vielleicht gut, wenn ich nur ein halbes jahr in einer dieser räudigen zellen zubringen musste? oder nur einen monat?
      ich atmete tief durch und bemerkte durch ein fenster nach draußen schauend, wie mich alle guten geister verließen. wir mochten etwa im 4. oder 5. stock sein und draußen war ein fluß sichtbar, der an beiden seiten mit gepflasterten wegen eingefasst war, die von laternenlicht beschienen wurden, weil es so ca 22:00 sein mochte und es schon sehr dunkel war. der fluß war nicht besonders breit, etwa 20m, aber dennoch groß genug, dass viele abendspaziergänger die beiderseitigen wege zum promenieren nutzten. mich überkam eine unbändige sehnsucht an dieser stimmung teilhaben zu wollen und der gedanke, nicht selbst entscheiden zu können dort oder irgendwo anders zu sein, ließ mich sehr wehmütig werden. dort draußen an dem fluß spazierte die freiheit entlang! so als ob sie mir sagen wollte: "sieh her -hier bin ich und du bist dort, wo ich nicht bin!" ich beobachtete die menschen genauer und konnte sehen, dass viele pärchen darunter waren oder solche die es werden wollten und die miteinander scherzten und kokettierten. auch ein vereinzeltes hübsches mädchen konnte ich ausmachen, das mich zu interessieren begann, aber wie weit weg war das alles!
      ich konnte mir das nicht mehr länger mit ansehen, wie außenstehende leute ihre freiheit genossen und ich mit dem verlust derselben so stark konfrontiert war, dass ich wieder nicht recht wusste, was ich von all dem denken und was ich von allen vorkommnissen halten sollte. ich wusste nur, dass ich aufgehört hatte zu hoffen, weil alle meine hoffnungen seit dem fund an der grenze immer zum gegenteil geführt hatten. ich stand auf und spazierte den flur entlang. wieviele verschlossene türen mochten das wohl sein? 50? 100? weil nur aus dem verhörzimmer des majors licht in den flur schien und ansonsten kleine flimmerlichter an den wänden für helligkeit sorgten, war es recht dunkel und ich trat an eine der vielen türen heran. "aha" dachte ich mir "hier arbeitet auch ein major" das konnte ich zumindest an dem namenschild darauf erkennen. und aus lauter neugier und langer weile schritt ich zur nächsten tür um auch dort nachzuschauen. wieder ein name, über dem "major" stand. so ging ich zur nächsten "majortür" und zur übernächsten und noch zu vielen weiteren türen, hinter denen tagsüber in der woche wohl immer majore ihrer dienstpflicht nachgingen. alles majore hier! was ist das für ein flur? was ist das für ein gebäude? jeder, der hier arbeitet, ist ein major! ich sank kraftlos wieder zurück auf einen meiner stühle und schaute mit noch sehnsüchtigerem blick aus dem fenster in die freiheit, die ich für lange zeit nicht mehr wieder sehen oder genießen würde können.
      jetzt! endlich passierte wieder etwas das mich aus meiner lethargie riss! ich wurde wieder ins verhörzimmer hineingerufen und sah weiter abseits und am rand im raum einen jungen mann ende zwanzig in einem trainingsanzug sitzen, mit einer sporttasche zwischen den beinen. frau gravenska stellte mir meinen anwalt vor und der major tippte wieder in zeitlupe irgendetwas in seinen rechner ein. aha, du bist das also. ich war gespannt was er für mich unternehmen würde und musterte ihn, als ich von der hellen deutlichen stimme mit diesem leicht ungelenkigen akzent in deutsch daran erinnert wurde, was jetzt hier passieren sollte. sie machte mir klar, dass ich beim ersten mal als zeuge vernommen wurde, jetzt aber als beschuldigter. das gefiel mir natürlich nicht, aber was sollte ich machen? frau gravenska übersetzte jetzt die fragen des majors und ich stellte fest, dass es genau dieselben waren, die er mir das erste mal schon stellte. ich kam mir leicht veralbert vor. der major schien zu bemerken, dass ich nicht ganz verstand, was vor sich ging und fragte mich wie zum hohn, ob ich eventuell veränderungen an meiner aussage machen wolle. "ja! alles wegstreichen du idiot!" schrie ich ihn innerlich an, wusste aber, dass das eher ein akt der verzweiflung als eine vernünftige handlungsweise war. und wahrscheinlich hätte ich ihn angeschrien wenn mir nicht vorher die glorreiche idee gekommen wäre meinen rechtsbeistand nach dessen meinung zu den aussagen und den folgenden konsequenzen zu fragen. bis jetzt saß mein pflichtbeistand nämlich einfach nur tatenlos und scheinbar unbeteiligt abseits auf seinem stuhl und bedauerte vermutlich heute abend aufs polizeirevier gerufen worden zu sein, anstatt seinem sport in ruhe weiter nachzugehen. nachdem frau gravenska übersetzt hatte, stand er auf und nahm mit einer sehr kompetenten ausstrahlung einsicht in die bisher fabrizierten unterlagen. ich fragte ihn ganz konkret, wann ich wieder auf freiem fuss sein könne.
      irgendetwas, ich kann nicht genau sagen was, hatte sich im raum verändert. der major, frau gravenska und mein pflichtverteidiger unterhielten sich angeregt auf slowakisch, während ich nur wenige fetzen davon übersetzt bekam. mir schien, als arbeiteten alle drei fieberhaft daran mir zu helfen. ich wertete das als gutes zeichen, aber genausogut hätte ich in noch tiefere verzweiflung fallen können, denn offenbar war meine lage so schlecht, dass sich die drei über die richtige hilfe die sie mir zuteil kommen lassen wollten nicht so recht klar werden konnten. wenn ich mich jetzt an diese szenen zurückerinnere kommt es mir so vor, als sei ich schon gar nicht mehr anwesend gewesen, denn meine rolle verschwand zunehmend, etwa so, als ob ich zu einer nebensache geworden wäre. zu etwas, das man nur noch abhaken muss, ein klarer fall, eine erledigung. und so war es auch. ich wusste nicht so recht wie mir geschah, unterschrieb noch allerhand papiere, die den vorgang festhielten und die sich zu mehr und mehr zu einem daumendicken stapel anhäuften. dann wurde ich wieder auf den flur entlassen. ich wusste immer noch nicht was los war.
      Avatar
      schrieb am 18.10.03 15:15:50
      Beitrag Nr. 51 ()
      Bahh das kann sich doch kein SChwein mehr durchlesen! Ist viel zu viel!
      :D
      Avatar
      schrieb am 18.10.03 15:21:45
      Beitrag Nr. 52 ()
      ich find s noch immer interessant. Vielleicht auch berufsbedingt...;)
      Avatar
      schrieb am 18.10.03 15:32:35
      Beitrag Nr. 53 ()
      Wieso das denn, xylo :confused: Arbeitest du etwa beim ZOll oder bist ein auch ein Major? :eek: :eek:
      Avatar
      schrieb am 18.10.03 16:08:12
      Beitrag Nr. 54 ()
      ..in der Verfolgung von Straftätern im weiteren Sinne...
      Avatar
      schrieb am 20.10.03 06:29:39
      Beitrag Nr. 55 ()
      ja xylo - lies dir nur alles durch und verfolge das ganze. vielleicht kannst du am ende ja deine meinung dazu äußern. würde mich interessieren. aber für jetzt geht es weiter im text.

      das schicksal von herrn s.

      natürlich schossen mir allerhand gedanken durch den kopf während und zwischen all den ganzen befragungen und übersetzungen und überhaupt während all diesen wirrungen. mir war klar, dass auch herr s. befragt werden würde und während dieser ganzen zeit wusste ich nicht, wo oder was mit ihm passiert. ich wusste nicht, ob wir parallel vernommen wurden oder ob er schon vernommen war und ich alles bestätigen musste, was er gesagt hatte und mich dadurch in widersprüche verstricken konnte. darüber wurde mir gar nichts mitgeteilt und ich meinerseits fragte auch nicht danach, obwohl es mich schon sehr interessierte. ich weiß nicht was es war, dass das dreiergespann - ich nenne das mal so - bestehend aus frau gravenska, dem major und meinem verteidiger dazu veranlasste, mich mit aller kraft aus den mühlen der justiz zu reißen, so dass am abschluss nachdem alle papiere abgehakt und unterschrieben waren und alle formulierungen vom major gefunden wurden, von denen er glaubte, der staatsanwalt könnte auf seine empfehlung hin gar nichts anderes tun, als es zu keinem verfahren kommen zu lassen, was hieße, das wir auf freiem fuß wären. teilweise freute sich der major wie ein kleines kind über gewisse passagen die er formulierte und ließ sich von den übrigen anwesenden dafür feiern und lobpreisen. ich wusste nicht, ob es gut war, was da passierte, aber ich ließ es geschehen. eine anderen wahl so schien mir, hatte ich ohnehin nicht. aber wenn ich "wir" schreibe und damit herrn s. und mich meine so muss ich dennoch eingestehen, dass es zum damaligen zeitpunkt kein solches gab. für herrn s. bestand zu keiner zeit eine wirkliche gefahr noch länger in haft zu bleiben, gegen ihn lag ja nichts vor, er war lediglich zeuge. natürlich wäre er mein erster kontakt zur außenwelt gewesen, wenn ich doch hätte länger einsitzen müssen und wenn alles anders gekommen wäre. so hatten wir uns das zumindest ausgemalt und uns das im nachhinein gegenseitig bestätigt, d.h. genauso sah es zum damaligen zeitpunkt auch herr s. dennoch: wer sagt denn, dass die behörden das damals genauso gesehen haben mussten? schließlich bin ich ja von meiner klaren aussage an der grenze, das tütchen wäre meins, abgerückt und hatte dann unter dem enormen druck und ohne jegliches schlechte gewissen gelogen und behauptet, ich wüsste auch nicht, wo das tütchen her komme. vielleicht, ja, eventuell, nein, oder doch nicht? nein bestimmt nicht denn ein klares ja hätte mir nicht meine freiheit zurück gebracht, sondern im gegenteil ein mehr an prozeduren und formularen und all dem notwendigen dingen, die passieren müssen, wenn man einmal in der hand der polizei ist, die etwas bei einem gefunden haben, dessen herkunft unbedingt geklärt werden muss. ich hätte alles gesagt und obendrein auch noch mir selbst geglaubt, wenn ich der meinung gewesen wäre, es würde mich aus den fängen dieses apparates befreien.
      ich lief gerade vorbei an den vielen majorstüren zum äußersten ende des langen flures, der zwei knicke machte, so dass man ihn nicht vollends überblicken konnte und hatte schon meine schnürsenkel wieder und auch meine persönlichen dinge, weil ich von dort stimmen hörte und mir frau gravenska bedeutete, ich solle dort warten, weil man da auch rauchen könne. eine zigarette! welch ein genuss nach all diesen ganzen torturen! der zufall wollte es, dass ich dort die anderen drei verhafteten vor einer tür fand. sie wurden dort parallel zu mir vernommen und warteten. die armen kerle! :( ich konnte ihnen ansehen, wie sie hofften und darauf vertrauten, dass wohl nichts schlimmes passieren würde. sie gaben alle der reihe nach zu, dass es ihrs war, was gefunden wurde, offenbar noch nicht bewusst, was das alles bedeutete. wenn ich schon geschwitzt hatte und gar nicht so recht wusste, warum mich das schicksal nicht noch schlimmer ereilte, ihnen riet ich ohne dass vorher die botschaft davon wüsste kein sterbenswörtchen zu verlautbaren. und während wir uns so miteinander unterhielten und jeder der drei abwechselnd zum verhör musste, hörte ich noch etwas anderes, lautes, ohne dass ich genau wusste, warum mir diese stimme so bekannt vorkam und woher diese geräusche überhaupt kamen. dann machte es klick und ich begriff! was ich da hörte war die stimme von herrn s! aber warum so laut? wo war er? ich ging in richtung der geräusche und sah, dass sie aus dem verhörzimmer kamen, in welchem ich vorher meine schweren stunden verbracht hatte - am anderen ende des flurs! erst im nachhinein erfuhr ich von dem großen auftritt des herrn s. seine stunde hatte geschlagen und die des majors und all der anderen beteiligten auch. herr s. war verärgert und machte seinem unmut auf seine ganz persönliche art und weise luft. er als unbeteiligter und unschuldiger hatte nämlich die ganze zeit während meine verhörungen stattfanden allein in der zelle zugebracht. als ich das erfuhr war das selbst für mich ein starkes stück, denn ich war nicht davon ausgegangen, dass sie ihn bis zum schluss schmoren lassen würden. herr s. hatte sehr darunter gelitten sich nicht artikulieren zu können, weil ja niemand da war, der ihn verstehen konnte und selbst wenn jemand da gewesen wäre hätte wahrscheinlich niemand auf ihn gehört. doch jetzt, war er eigens dazu da, dass er etwas sagte und andere ihm zuhörten. zuerst ließ er frau gravenska, den major und den rechtsanwalt wissen, dass er kein vertrauen zu ihnen hat. mit recht übrigens, wie ich meinte. dann holte er aus und sagte, man wisse ja wie das im osten so läuft mit korruption und misshandlungen und so und betonte dabei aber scharf, dass er natürlich nicht die anwesenden meine. ein typisches vorgehen von herrn s.: er eklärt oft unbewusst, wie er etwas NICHT meint und das oft sehr ausführlich, mit dem effekt, dass seine gesprächspartner sich - je länger die erklärungen dauern - ganz unwillkürlich und sei es auch nur vollkommen theoretisch, darüber gedanken machen, warum er es denn gerade so nicht meinen sollte und wie es denn wäre, wenn er es doch so meint. und überhaupt - wenn er es nicht meint - warum dann die ganzen erklärungen? nun ja - typisch herr s! seiner tonlage nach musste er ganz schön gewettert haben, auch wenn man ihn wahrscheinlich direkt dabei befragt hätte, wohl einfach nur geantwortet hätte, er müsse laut und deutlich sprechen, damit man ihn auch richtig versteht. dann sagte er - was ja auch die wahrheit ist - dass er noch nie drogen genommen hätte und wenn sie ihm nicht glauben wollten, man könne ihm getrost blut abnehmen und überhaupt verstehe er gar nicht warum er da sitze. sein verhör dauerte keine halbe stunde und die sache war gegessen.
      Avatar
      schrieb am 20.10.03 15:44:54
      Beitrag Nr. 56 ()
      .gern, aber sag mir, wann das Ende erreicht ist...

      Bisher als Zwischenfazit: das kommt mir durchaus realistisch vor, was da über die Verhöre und einiges weitere steht, aber noch keine Details....
      Avatar
      schrieb am 20.10.03 17:42:15
      Beitrag Nr. 57 ()
      Spannend wie ein guter Roman. :)
      Avatar
      schrieb am 22.10.03 07:32:18
      Beitrag Nr. 58 ()
      naja wir wollen mal nicht gleich übertreiben, nelloz. mit einem roman kannst du das nicht vergleichen. eher mit einer schreibübung zu einem roman. und das ist es ja vielleicht tatsächlich...?
      xylo das merkst du dann schon selbst, wenn das ende erreicht ist. bald sind wir da. zur erinnerung: noch sind wir im polizeigebäude in bratislava, wenige kilometer entfernt von der grenzstation, wo mein auto abgestellt ist. die vernehmung von herrn s. ist zu ende, seine schnürsenkel hat er noch nicht erhalten.

      das komische ende einer episode

      die slowakei ist nicht gerade dafür bekannt, besondere aushängeschilder zu haben. man kennt höchstens bratislava, weiß eventuell dass dort eine burg in der stadt ist - die ich selbst nie zu gesicht bekommen habe. eventuell weiß man noch, dass ein paar schöne gebirge dort zu hause sind wie die hohe tatra etwa und nur wer sich ein wenig auskennt, weiß, dass andy warhols (urspr: andrej warhola) eltern aus einem kuhdorf im äußersten osten der slowakei entstammen und er dort sogar noch verwandte hat, die sich um ein museum und etwas nachlass kümmern. er selbst hatte seine herkunft immer verschwiegen, so als ob er sich seiner schämen würde. für meinen geschmack existierte dieses land immer im schatten der tschechei, welches ein prag und eine moldau sein eigen nennen darf, die unzähligen bierbrauereien wie plzen und ceske budovice natürlich nicht zu vergessen...
      im prinzip nur ein transit-land auf den wegen deutschland-österreich-tschechei-ungarn mehr ist die slowakei nicht für mich und viele andere neben mir sehen das sicher ebenso. allein schon der name "slowakei" erinnert ein wenig an "wallachei", d.h. dort wo die hotten totten und das ausgeprägte chaos zu hause sind (auch wenn die hotten totten ein afrikanischer stamm sind und gar nichts mit osteuropa am hut haben).
      sehr salopp und außerordentlich hochnäsig formuliert waren wir also da, um den hottentotten ein wenig recht und "deutsche ordnung und gründlichkeit" beizubringen. gerade herr s. dürfte das so gesehen haben, obwohl er einer der allerletzten sein dürfte, dem das - wenn das überhaupt jemandem obliegt - zustehen könnte.
      offenbar hatte herr s. einen enormen eindruck auf unsere dolmetscherin frau gravenska gemacht. sie kümmerte sich jetzt wirklich rührend um uns! als auch herr s. seine schnürsenkel und seine persönlichen sachen zurückerhalten hatte, gingen wir mit ihr nach mehrmaliger absprache mit dem major und dem rechtsanwalt nach draußen und wurden so in die freiheit entlassen. niemand war mehr da, der uns bewachte oder auf uns aufpasste, welchen schritt wir als nächstes machen würden. keine nacht in meinem leben war so schön wie diese! wir traten aus dem gebäude heraus und liefen langsam die treppen hinunter und die kühle nachtluft war wie ein geschenk für mich! ich atmete tief durch und das licht der straßenlaternen erleuchtete die umgebung schöner, als es das sonnenlicht am tag davor vermochte. mit uns frau gravenska, die uns ein taxi besorgen wollte. die abschiedsatmosphäre war so herzlich, dass, wenn ich heute daran zurückdenke, noch immer vollends von der mit wucht hereinbrechenden intensität überwältigt bin. wir umarmten uns beim abschied nicht ohne eine einladung von frau gravenska, die darauf unbedingt darauf bestand, dass wir sie besuchen müssten, wenn wir wieder in bratislava wären. fast schon war die stimmung intim zu nennen und als herr s. und ich dann endlich im taxi saßen, nachdem sie dem fahrer eindeutig und mehrmals unseren bestimmungsort mitteilte und auch den preis ausgehandelt hatte, sahen herr s. und ich uns ungläubig an und wunderten uns, wie so etwas zu stande kommen konnte. wir wussten beide nicht zu sagen, was passiert war! und so tauschten wir uns gegenseitig aus, was wir in den verhören zu protokoll gegeben hatten, da vorher keine gelegenheit dazu war. herr s. fiel aus allen wolken und war unglaublich stutzig, dass ich nicht unsere anhalterstory ausgesagt hatte. eine rafinesse, die ich mir noch an der grenze einfallen ließ, als uns die fragen der zollbeamten bombardierten und wir noch eine menge zeit hatten einander abzusprechen. mir war klar, dass unbedingt die herkunft des kleinen tütchens grüner kräuter zu klären war denn darauf zielten alle fragen ab und so erfand ich eine anhalterin, die wir mitgenommen hatten (obwohl das natürlich für jeden normalen menschen angesichts des von herrn s. verursachten chaoszustandes in meinem auto absolut absurd erscheinen musste - für anhalter egal welcher art, war einfach kein platz darin). trotzdem erinnerte ich mich zu diesem zeitpunkt einer recht seltsamen begegnung, die eigentlich keine richtige begegnung war, aber an die ich mich wohl deshalb erinnerte, weil sie so seltsam war: auf unserem weg kurz vor prag sahen wir mitten in der nacht eine einsam frau stehen, die eine sonderbar mystische ausstrahlung hatte. sie stand einfach so mitten in der pampa am straßenrand und schien wohl zu trampen (eine erscheinung, die in osteuropa wesentlich häufiger anzutreffen ist, als in vergleichbaren westlichen regionen, auch geben hier die anhalter oft einen geringen obolus fürs mitnehmen...). allerdings schien sie auch wieder nicht zu trampen, denn als sie unser auto erkannte, wendete sie ihren kopf ab, als ob sie etwas schreckliches gesehen hätte und vergrub ihn in ihren händen. da herr s. und ich das beide mitbekommen hatten, war die erscheinung der frau gesprächsthema für mindestens die nächste halbe stunde unserer fahrt. wie es der zufall wollte, d.h. auf grund des fehlenden pragmatismus von herrn s., verfuhren wir uns kurz darauf wieder nicht unerheblich, weil wir feststellten, dass die straßen immer schlechter und die beschilderung immer seltener wurde. also wieder zurück! und nach einer weiteren halben stunde und nachdem wir wieder irgendwo den weg zu schildern gefunden hatten auf denen ausgeschildert stand, wo wir hin wollten, begegneten wir der anhalterin erneut! (herr s. beschwerte sich natürlich bei mir oder ganz allgemein über die mangelhafte beschilderung aber er war auch nicht in kiev, wo ich immer korrekt nach beschilderung mindestens eine geschlagene stunde im kreis gefahren bin) diesmal sah sie uns an: eine gestalt von etwa 30-40 jahren, dunkle kurze haare und ein tuch übergeworfen, das prinzipiell an eine zigeunerin erinnert, beherrschten ihre großen augen für einen moment vollkommen das innere unseres autos und damit unsere stimmung. ich war zu gelähmt um anhalten zu können, vielleicht weil ich wusste, dass gar kein platz mehr bei uns war, um sie mitzunehmen. diese frau hatte etwas diabolisches - da waren herr s. und ich uns vollkommen einig! vielleicht war das der grund warum herr s. und ich keinerlei schlechtes gewissen hatten ihr das tütchen einen halben tag später unterzujubeln. wer von den beamten konnte sie schließlich belangen? um so verwunderlicher war es für mich, dass herr s., der einer der verskrupeltsten menschen ist, dem ich je auf diesem planeten begegnet bin, so ohne weiteres zustimmte. der zweck heiligt anscheinend immer die mittel! obwohl ich mir immer noch nicht so genau sicher bin, ob herr s. nicht sein moralisches gewissen nur als instrument zur durchsetzung seiner ureigensten interessen benutzt....
      jedenfalls hatten wir noch an der grenze während der endlosen wartestunden ausgemacht, dass wenn es hart auf hart kommt, wir nicht wissen wo das tütchen herkommt - vielleicht war es ja von der anhalterin? immerhin - möglich war das ja...
      nunja, während meiner vernehmungen erschien es mir alles andere als angebracht die schuld nur allzu durchsichtig auf jemand anderen abzuwälzen. schließlich hatte ich ja vorher ausgesagt, das tütchen wäre mir gewesen. als mir frau gravenska klar machte, dass das gleichbedeutend mit zwei jahren haft wäre - ok bei guter führung nur eins - konnte ich diese aussage natürlich nicht mehr aufrecht erhalten. herr s. im gegenzug verwies in mehreren nebensätzen auf die ominöse anhalterin, was allen beteiligten wohl die sache erheblich erleichterte.
      das alles haben wir, herr s. und ich, auf der fahrt zurück zur grenzstation im taxi ausgetauscht und das entsetzen im gesicht von herrn s. als ich ihm klar machen musste, dass nur er die geschichte von der anhalterin erzählt hatte, war nicht schlecht. er, das unschuldslamm, hätte die ganze geschichte auch erfinden können um sich herauszureden, nicht ich! wie dem auch war - das war alles nicht von belang, da wir auf dem weg zurück waren und sowohl das vernehmungszimmer mitsamt dem major und seiner langweiligen tipperei, als auch die zellenerfahrung schon so weit weg war, dass jede erinnerung schon nichts mehr realistisches hatte.
      jetzt sagte der taxifahrer, dass wir da wären, doch nirgendwo sahen wir die grenzstation, die wir in erinnerung hatten! was wir sehen konnten, war eine schmale straße in schlechtem zustand mit einer überdachung die allenfalls assoziationen an eine schlechtbesuchte tankstelle zu tiefsten sozialistischen zeiten aufkommen ließ. der taxifahrer wollte natürlich seine 15 euro haben, die mit ihm vereinbart worden waren, nur war das nicht jener ort, den wir angestrebt hatten. er hatte uns tatsächlich zu einer grenzstation gefahren, nur nicht zu der, welche für uns interessant war und wo unser auto stand! die junge kontrolleurin bzw die zollbeamtin, die auch mühelos eine tankstellenwärterin hätte abgeben können, verriet uns dass wir an der alten grenzstation seien und die neue nur 3 km weiter "drüben" liegen würde, allerdings müssten wir dazu über ungarisches gebiet gehen, was der taxifahrer natürlich nicht mit machte. nun gut, die verhandlungen mit dem taxifahrer ergaben, dass der weg dahin auf slowakischem gebiet ca. 20 km ausmachte, was bedeutete, wir hätten weitere 15 euro zu zahlen. der supersparer herr s. ließ dabei natürlich nicht mit sich reden und offen gestanden musste ich ihm in diesem fall beipflichten. wir fragten also höflich, ob wir die grenze auch zu fuß passieren könnten und uns wurde der wunsch gewährt. dem taxifahrer sagten wir ade und passierten die grenze zu ungarn zu fuß. was für ein weg und was für unterschiede zwischen den grenzstationen! während die alte grenzstation eine spur hin und eine zurück hatte, konnte die neue station locker 10 spuren in beide richtungen haben. als wir auf die station von der ungarischen seite aus zuliefen wurde uns nicht unerheblich mulmig zumute. hatte man hier schon kenntnis von unserer freilassung? wurde das auto erneuten kontrollen unterzogen und man fand noch restliche bestände der grünen kräuter, die zweifellos gefunden werden konnten? von weitem sahen wir schon die massiven überdachungen und als uns ein grenzer näher kommen sah und uns mit sperrangelweitem mund minutenlang entgegenstarrte bevor er uns auf slowakisch etwas entgegnen konnte, wussten wir, dass es vielleicht besser gewesen wäre mit einem taxi und ganz offiziell anzukommen. zum glück konnten wir uns verständlich machen und nachdem die sache vom chef abgesegnet worden war - hier waren keine minirambos und dicke zollbeamte mehr da, weil sie sicher zum selben zeitpunkt zu hause vor dem fernseher schliefen oder ähnlichen tätigkeiten nachgingen - hatten wir wie durch ein wunder unseren autoschlüssel wieder. allgemeines kopfschütteln durch alle dienstgrade hindurch ernteten wir für unser "zu fuß"-aktion. dabei musste es frau gravenska gewesen sein, die für unseren falschen bestimmungsort gesorgt hatte, warum das konnte ich bis heute nicht ganz erschließen. man konnte spüren, dass für die zollbeamten welten einstürzten! die offenbar verhafteten kamen ohne alles von der seite der grenze, von der sie niemand losgelassen hatte und wo sie eigentlich hin wollten.
      als wir endlich wieder im auto saßen und uns wenige meter im niemandsland von unseren erlebnissen erholten, konnten wir unser glück noch gar nicht fassen. während wir - vor allem ich - vorher noch in einer welt gelebt hatten, in der ein einjähriger gefängnisaufenthalt zumindest im bereich des möglichen geschwebt hatte, waren wir nun so frei irgendwohin zu gehen oder zu fahren, wie man nur sein konnte.
      die ungarische grenze war ein kinderspiel und als wir endlich auf dem weg nach budapest in der morgendämmerung waren konnte ich es mir nicht nehmen lassen mir eine zigarette mit grüner kräuterfüllung anzuzünden, die der dicke und auch die anderen zollbeamten mit handschuhen nicht gefunden hatten. es war göttlich - wir waren tatsächlich auf dem weg nach budapest!!!
      Avatar
      schrieb am 25.10.03 17:48:50
      Beitrag Nr. 59 ()
      wann gehts weiter? ich brenne schon darauf weiter zu lesen.
      Avatar
      schrieb am 26.10.03 17:36:51
      Beitrag Nr. 60 ()
      up
      Avatar
      schrieb am 27.10.03 12:41:47
      Beitrag Nr. 61 ()
      Gehts überhaupt noch weiter???
      Avatar
      schrieb am 29.10.03 06:32:52
      Beitrag Nr. 62 ()
      ich hoffe schon dass es weitergeht
      Avatar
      schrieb am 29.10.03 18:05:01
      Beitrag Nr. 63 ()
      für mich ist hier erst mal schluss. leider, falls sich einige mehr erhofft haben. es gäbe zwar noch einiges zu erzählen, was aber nicht dieselben wogen geschlagen hat, wie dieses ereignis, welches ich ausführlich geschildert habe und welches ich für mich festhalten wollte.
      die sache hatte für uns übrigens, wenn ich mal von den unangenehmen knasterfahrungen absehe, keinerlei konsequenzen (der rechtsanwalt hat mir einige wochen später zwar noch ein schreiben zugeschickt, aber das war vollkommen auf slowakisch, ich weiß also nicht, was drin steht)
      was meinst du zu der ganzen sache, xylo? ein kommentar von dir ist mit sicherheit interessant!
      vielleicht geht es hier weiter: Thread: Wer hat DIESE Frau dort hin gestellt?????????????????????????????????????????????????
      aber wenn, dann wohl erst mal "hinter verschlossenen türen" d.h. unter ausschluss der öffentlichkeit
      Avatar
      schrieb am 29.10.03 20:55:30
      Beitrag Nr. 64 ()
      ..ja, hab ich mir schon gedacht, dass jedenfalls der "strafrechtliche" Teil des Urlaubs nun sein Ende gefunden hatte.

      Und ich finde das ganze ziemlich realistisch und gut wiedergegeben, was die Verhörsituationen betrifft, wobei natürlich in Deutschland ein paar Dinge ein bißchen anders sind. Für so eine Menge Haschisch würde man wohl kaum derart behandelt werden und ob man überhaupt von der Polizei in dieser Weise behandelt wird, wenn man dazu keinen Anlass gibt, das kann man zumindest in Frage stellen.

      Die Verhörsituation selbst kann ich mir aber sehr gut in dieser Form auch hier vorstellen, wobei es eben genau die "Besonderheit" ist, dass für die meisten "Normalbürger" das etwas völlig heftiges, existenzbedrohendes und Angst einflößendes ist - und für die Beamten (Polizei, Staatsanwalt, Gericht) eben der Beruf, Routine, Alltag, ein Fall von vielen. So ähnlich geht es ja auch vielen Ärzten bei üblen Krankheiten und sonstigen Berufen....

      Die Divergenz zwischen dieser völlig verschiedene Situation an beiden Seiten des Tisches wurde m.E. hier sehr gut deutlich.


      Soviel erstmal....bei weiteren Fragen oder Ideen gern auch mehr....;)


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