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    Diese Mauer wird immer stehen - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 13.08.01 12:17:16 von
    neuester Beitrag 15.08.01 14:03:59 von
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      schrieb am 13.08.01 12:17:16
      Beitrag Nr. 1 ()
      Die DDR ließ Kinder von Republikflüchtlingen zwangsadoptieren / Von Wulf Schmiese


      BERLIN, 12. August. Die Mauer bleibt. Eine Wiedervereinigung gab es nicht und wird es nie geben für die Familie Grübel. "Die DDR hat uns unsere beiden Kinder geraubt", sagt Otto Grübel, der Vater. "Wir werden sie nie mehr wiederbekommen." Im Sommerurlaub 1974 wähnten sie sich schon im Westen - alle vier. Wochenlang waren sie die Wälder zwischen der Tschechoslowakei und Bayern abgewandert, hatten einen Fluchtplan, der sicher schien. Er scheiterte, weil ein tschechischer Freund sie verpfiff. Otto und Bärbel Grübel wurden festgenommen, nach Ost-Berlin überstellt, wo sie ins Gefängnis kamen. Ihre Kinder Ota und Jeannette, damals vier und fünf Jahre alt, blieben ihnen noch vier Tage lang; dann kamen sie in ein staatliches Heim.

      "Das Wegnehmen der Kinder war die brutalste Form der Folter", sagt Mechthild Günther, Historikerin im Zeitzeugen-Büro der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, dort, wo einst die zentrale Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit war. Hier saßen auch Eltern ein und verloren ihre Kinder für immer, weil sie die eingemauerte DDR hatten verlassen wollen. "Eine mißglückte Flucht ließ die Familie platzen", sagt Günther. "Was aus diesen Menschen wurde, ist nicht sehr freundlich. Die ich kenne, sind noch immer krank, kaputt. Sie kommen mit ihrer Vergangenheit nicht klar."

      Wie viele Familien durch den Mauerbau, durch Flucht und Fluchtversuche zerrissen wurden, ist bis heute nicht geklärt. Vor vierzig Jahren hatte DDR-Staatschef Walter Ulbricht sich der Forderung des Westens strikt verweigert, daß Familien zusammengeführt würden, die durch die plötzliche Grenzschließung getrennt worden waren. Nur Kinder bis zu sechs Jahren, die während des 13. August 1961 vom Wohnsitz der Eltern entfernt ihre Ferien verbracht hatten, durften nach Hause zurück - in den Osten wie in den Westen. In einem "Weißbuch über die Fluchtbewegung aus der Sowjetzone", das der Minister für gesamtdeutsche Fragen, Ernst Lemmer, drei Wochen später herausgab, konnte über das Schicksal der älteren Kinder nur gemutmaßt werden. Es seien wohl "Zehntausende", sagte Lemmer, die fortan von ihren Eltern getrennt lebten. Wo jedoch, das wußten häufig selbst die Eltern nicht.

      Ein Jahrzehnt später zeigte sich, daß Lemmer die Anzahl wohl überschätzt hatte. Jedenfalls ermittelte das Ministerium für innerdeutsche Fragen, wie es inzwischen unter Lemmers Nachfolger Egon Franke hieß, daß noch etwa 2000 Minderjährige auf die Ausreise warteten. Erst nach der Unterzeichnung des Grundlagenvertrags für "gutnachbarliche Beziehungen" im Dezember 1972 war die DDR bereit, nach und nach die Mauerkinder, aus denen inzwischen Jugendliche geworden waren, zu ihren Eltern zu lassen.

      Republikflüchtlingen aber, die es nur bis in die Grenzanlagen geschafft hatten, brachte diese deutsch-deutsche Entspannung nichts. In ihren Fällen handelte die DDR so unbarmherzig, wie es ihr selbst vollkommen überzeugte Antikommunisten nicht zugetraut hätten. 1975 kam es deshalb zu einem innerdeutschen Eklat. Der bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel konnte eine Meldung des Nachrichtenmagazins "Spiegel" kaum glauben, "daß DDR-Behörden jetzt den Versuch der Republikflucht mit Familienstrafe ahnden. Sie geben Kinder von Eltern, die bei der Flucht ertappt wurden, zur Adoption frei." Im Begriff, den Leiter der Ständigen Vertretung der DDR in der Bundesrepublik, Michael Kohl, zum Antrittsbesuch zu empfangen, suchte Goppel Aufklärung im Ministerium für innerdeutsche Fragen. Doch dort war man bis zu jenem Montag so ahnungslos gewesen wie er selbst. Goppel weigerte sich, Kohl zu empfangen, wenn er "eine solche Ungeheuerlichkeit, wie sie die zivilisierte Welt seit Himmler nicht mehr erlebt hat", nicht umgehend dementiere. Der DDR-Gesandte schimpfte zwar reflexhaft über "schmutzige Verleumdung" - aber zu einem Dementi brachte er es nicht.

      Die Nachricht stimmte und sie traf auch zu für Ota und Jeannette Grübel. Ohne die inhaftierten Eltern zu benachrichtigen, waren die zwei Krippenkinder einem staatstreuen Ehepaar in Eisenhüttenstadt zugeführt worden. Deren Namen führten sie nun und vergaßen ihren eigenen. "Das neue Heim wählte in solchen Fällen die Stasi gewissenhaft aus", sagt die Historikerin Günther. "Die Empfänger der Kinder waren in der Regel verläßliche Mitarbeiter des MfS." Verantwortlich für die Zwangsadoptionen war Margot Honecker, die Ministerin für Volksbildung. Ihr unterstanden die "Jugendhilfen", wie Jugendämter in der DDR hießen, die Sorgerechtsfragen, Unterbringung in Heimen und Adoptionen regelten.

      Nur Kinder bis zu sechs Jahren

      durften nach Hause zurück

      Die Eltern Grübel verkaufte die DDR 1975 an die Bundesrepublik - für die damals üblichen 40 000 Westmark pro Kopf, doch die Kinder waren nicht im Preis inbegriffen. "Wir dachten, jetzt kommen unsere Kinder natürlich wieder zu uns und alles wird gut", sagt Otto Grübel. "Aber alles ist schiefgegangen; in ganz tragischer Weise." Seine Tochter und sein Sohn waren vollends verschollen in der DDR. Kein Anwalt und kein Bundesminister schien in der Lage, die Suche der Grübels erfolgreich werden zu lassen.

      Auch die von Erich Honecker im selben Jahr auf der KSZE-Gipfelkonferenz in Helsinki gegebene Zusicherung, "so zügig wie möglich" und "in positivem und humanitärem Geist Gesuche von Personen" zu behandeln, "die mit Angehörigen ihrer Familie zusammengebracht werden möchten", verpflichtete die DDR zu nichts. Denn das Unrecht der Zwangsadoption von Kindern geflüchteter oder nach Fluchtversuchen inhaftierter Eltern war konsequent umgesetztes Familienrecht der DDR. Für Eltern war es dort nach Artikel 38 der DDR-Verfassung "vornehmste Pflicht", ihre Kinder "zu staatsbewußten Bürgern zu erziehen". Kinder sollten "zu bewußten Gestaltern der sozialistischen Gesellschaft heranwachsen", schrieb das Familiengesetzbuch vor. Bei "schwerer schuldhafter Verletzung der elterlichen Pflichten" könne "als äußerste Maßnahme das Erziehungsrecht entzogen werden", drohte der Staat ganz unverblümt.

      Schon vor dem Mauerbau wurde auf dieser Grundlage Eltern das Sorgerecht entzogen, die bei ihrer spontanen Flucht auf die anschließende Familienzusammenführung vertraut hatten. "Da Sie die DDR illegal verlassen haben", schrieb 1960 der Rat des Kreises Görlitz einer geflohenen Mutter, "besteht keine Gewähr, daß Ihre Tochter zu einem brauchbaren Mitglied unserer Gesellschaft erzogen wird. Daher ist Ihnen das Sorgerecht und somit das Aufenthaltsbestimmungsrecht für Ihre Tochter entzogen worden." Wenn sie ihr Kind wiederhaben wolle, könne sie in die DDR zurückkommen, heißt es in dem Brief. Ein Paar aus Berlin-Pankow, das nach geglückter Flucht 1969 tatsächlich zurückkam, wurde umgehend inhaftiert und drei Jahre später in den Westen abgeschoben - ohne seine Kinder.

      Der Beweis dafür wurde 1991 im Keller der einstigen "Jugendhilfe" des Bezirks Berlin-Mitte gefunden. Dort lagen jene DDR-Akten unter Zeitungspapier, die bewiesen, daß es Zwangsadoptionen aus rein politischen Gründen gab. "Wir waren vollkommen schockiert, daß die DDR ein wirklich so perverser Staat war, wie wir bis dahin nur vermutet hatten", erinnert sich der damalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel. "Da wußten wir: Der Staat DDR war regelrecht ein Kidnapper", sagt Thomas Krüger. Er, der heute die Bundeszentrale für politische Bildung leitet, war damals Jugendsenator von Berlin und deshalb zuständig für den Fund. Krüger richtete eine "Clearingstelle" ein, an die sich Betroffene aus ganz Deutschland wenden konnten, um die Zwangsadoption annullieren zu lassen - wenn es nicht längst zu spät war, weil die Kinder erwachsen waren. 170 Eltern hätten sich gemeldet, sagt Krüger. In sieben Fällen sei eine Zwangsadoption als "politischer Willkürakt" eindeutig nachzuweisen gewesen. In den anderen Fällen habe sich die DDR auf den "Asozialenparagraph" bezogen. Danach waren Kinder zur Adoption freigegeben worden, die zu verwahrlosen drohten, weil ihre Eltern sich nicht um sie kümmerten. "Doch sieben Fälle sind Beweis genug, daß in der DDR totalitäre Fürsorge herrschte", sagt Krüger. Und es könne durchaus sein, daß die tatsächliche Anzahl politischer Zwangsadoptionen noch größer ist.

      Grübels hatten sich nicht an die "Clearingstelle" gewandt, um ihre Kinder zu finden. Einem Freund, freischaffender Künstler wie Otto Grübel auch, sei es nach dem Mauerfall gelungen, den Ost-Berliner Anwalt Wolfgang Vogel zum Reden zu bringen, sagt Grübel. Als langjähriger DDR-Unterhändler für humanitäre Fragen habe Vogel seit 14 Jahren gewußt, wo Ota und Jeannette lebten, und es nun verraten. "Wir sind da sofort hin, in diese Stasi-Siedlung." Der Mann, den die inzwischen erwachsenen Kinder "Papi" nannten, habe geweint, "bitterlich und voller Schuld", sagt Grübel. "Wir mußten das arme Schwein trösten, obwohl wir selbst am Ende waren." Aus dem Mädchen Jeannette war eine fremde Frau geworden, aus ihrem jüngeren Bruder ein fremder Mann, der nicht mehr Ota hieß. "Sie haben uns nicht erkannt", sagt ihr Vater. "Die ganze Welt stimmt seitdem nicht mehr." Getroffen haben sich die Grübels und ihre Kindern noch oft; wirklich einander wiedergefunden aber nicht. "Verarbeitung ist nur ein Wort", sagt Otto Grübel. "Es gibt sie nicht."

      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.08.2001, Nr. 186 / Seite 3
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      schrieb am 13.08.01 14:29:10
      Beitrag Nr. 2 ()
      Erst an solchen Einzelfällen kann man ein Regime in seiner Unmenschlichkeit begreifen.
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      schrieb am 13.08.01 15:07:50
      Beitrag Nr. 3 ()
      Wegen "versuchter Republikflucht" wurden rund 60000 Menschen inhaftiert.

      An der Grenze wurden 1.300.000 Minen vergraben. Gut 30.000 sind bei den Räumungen nicht gefunden worden. Zum großen Teil Holzkastenminen aus den sechziger Jahren, die als verrottet gelten. Aber auch eine unbekannte Zahl in Plastikgehäusen, die ohne weiteres 80 Jahre überdauern.
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      schrieb am 15.08.01 13:45:46
      Beitrag Nr. 4 ()
      Trotzdem läßt man ungeniert zu, daß die SED heute mit einem Schwulen in Berlin offen über eine Regierungsbeteiligung nachdenkt. Was zählt heute eigentlich....?
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      schrieb am 15.08.01 14:03:59
      Beitrag Nr. 5 ()
      @GranSasso, in Demokratien gibt es demokratische Parteien. Wenn es in Deutschland eine SED gibt, dann sind wir halt keine Demokratie mehr.

      Keine Demokratie mehr, und dann auch noch Schwule ......


      technostud


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