Analysten: Gute Märchenerzähler - 500 Beiträge pro Seite
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Montag, 10. Februar 2003
Analysten: Gute Märchenerzähler
von Raymond DeVoe
Das Gefühl der Schadensfreude ist mir fremd - auch dann, wenn es darum
geht, die Prognosen der Wall Street "Analysten" der letzten 3 Jahre zu
begutachten. Allerdings sollte man schon betonen, dass die
Finanzpresse schlicht und einfach total daneben liegt, wenn es um
Prognosen über den Aktienmarkt oder die gesamte Wirtschaft geht. Auch
ich lag in der Vergangenheit mit meinen Vorhersagen oft nicht richtig,
und ich weiß, wie weh das tun kann.
Zum Beispiel sagte ich den Bärenmarkt zu früh voraus. Weil ich ein
"Value"-orientierter Analyst bin, wies ich zu früh auf die sich
entwickelnde Manie und die Spekulationsblase hin. Als ich noch jung
und wenig erfahren war, hatte ich mehrere Spekulationsblasen
mitgemacht - mit der Folge, dass ich im folgenden Abschwung meinen
Einsatz jedes Mal fast komplett verlor. Nachdem die Kurse aber 18
Jahre lang fast nur gestiegen waren (1990-1991 gab es eine kleinere
Unterbrechung), gab es nur wenig Analysten, die eine vergleichbare
Erfahrung wie ich gemacht hatten.
Um zu illustrieren, wie falsch die Analysten lagen, hat Jim Stack von
InveTech Research eine Liste der Prognosen prominenter Analysten
zusammengestellt. Er verglich ihre Prognosen für die
12-Monats-Entwicklung von Dow Jones und Nasdaq zu Jahresbeginn 2001
und 2002 mit der tatsächlichen Entwicklung. Diese Liste wurde im
Barron`s Magazin (Ausgabe vom 6. Januar 2003) veröffentlicht.
Die Namen der Analysten dieser Liste sind an der Wall Street weithin
bekannt. Auf die Liste kamen alle Analysten, die in der Fernsehshow
"Wall Street Week with Louis Ruckeyser" ihre Vorhersagen abgeliefert
hatten. Anfang 2001 stand der Dow Jones bei 10.768,86 Punkten, und
JEDER der Analysten auf der Liste prognostizierte weiter steigende
Kurse. Die Prognosen: Im Top wurden 13.170 Punkte vorhergesagt, im Low
11.400. Tatsächlich beendete der Dow Jones das Jahr mit 10.021,50
Zählern. Der Median der Prognosen lag bei 12.100 Punkten - damit wurde
ein Plus von 12,2 % für 2001 vorhergesagt. Tatsächlich stand der Dow
Jones zu Jahresende 2.079 Punkte oder 17,2 % unter dem Median der
Prognosen.
Beim Nasdaq lagen die Analysten noch mehr daneben. Die Prognosen für
2001: Die optimistischste Vorhersage lag bei 4.600 Punkten, die
niedrigste bei 2.250. Der Median lag bei 3.000 Zählern. Tatsächlich
ging der Nasdaq mit 1.950 Punkten aus dem Jahr - was 35,1 % unter dem
Median der Prognosen lag. 2002 war das Ergebnis vergleichbar. Nehmen
wir nur den Dow Jones: Der Median der Prognosen lag 2.858 Punkte oder
25,5 % über dem tatsächlich erreichten Wert.
Dieses Mal soll allerdings alles anders sein. Der Dow Jones hat
letzten Oktober ein Tief erreicht - aber ich bezweifle, dass ein neuer
Bullenmarkt begonnen hat.
Übrigens ist die gerade beschriebene katastrophal schlechte
Prognosefähigkeit der 22 untersuchten Analysten keineswegs auf diese
beschränkt. Die Financial Times schrieb am 2. Januar 2003 über die
britischen Analysten einen kritischen Artikel: "Man sollte hoffen,
dass die Analysten die Richtung des Marktes korrekt prognostizieren
würden - zumindest für einen bestimmten Zeitraum. Leider war dies in
den drei Jahren seit dem 31. Dezember 1999 nicht der Fall ... Keiner
der Analysten sagte korrekt die Richtung des britischen Aktienmarktes
voraus. Alle lagen falsch, und die Genauigkeit ihrer Prognosen
verschlechtert sich."
Das Wall Street Journal hat am 2. Januar die Prognosen von 55
Analysten für das laufende Jahr veröffentlicht. In der Vergangenheit
hatten diese 55 Analsten nicht besonders gut abgeschnitten. Nur ein
oder zwei von ihnen prognostizierten die Rezession, die im März 2001
begann. Und die Prognosen für 2003 unterscheiden sich kaum von denen,
die im Januar 2002 abgegeben wurden. Mir fällt auf, dass besonders die
Möglichkeit steigender Zinsen überhaupt nicht gesehen wird.
Nur einer der 55 - nämlich A. Gary Shilling - rechnet für dieses Jahr
mit einer Rezession. Es ärgert mich, dass mögliche Veränderungen von
den restlichen 54 nicht berücksichtigt werden. Die meisten von ihnen
prognostizieren eine Erholung bei den Investitionen, aber fast jeder
Quartalsbericht, den ich lese, spricht von Ausgabenkürzungen bei den
Investitionen. Und in fast jedem Sektor gibt es Überkapazitäten. Ich
sehe deshalb keinen Grund, warum die Investitionen steigen sollten, da
ja auch die Gewinnmargen unter Druck stehen und die Entlassungen hoch
bleiben. Gleichzeitig haben die Unternehmen kaum
Preisgestaltungskraft.
Auch die Business Week hat in ihrer Ausgabe vom 31. Dezember 2002 die
Prognosen von 67 Analysten veröffentlicht. Nur 3 dieser 67 "Experten"
erwarten im laufenden Jahr für den Dow Jones weitere Verluste, und nur
2 rechnen damit, dass der Nasdaq Composite das Jahr niedriger beenden
wird. Die Prognosen für das US-Wirtschaftswachstum liegen zwischen
1,5 % und 4,8 %, aber 50 der Analysten rechnen mit einem Wert zwischen
3,0 % und 3,6 %. Bei den anderen Schätzungen lagen sie fast überall
gleich: Die US-Inflation wird ihren Schätzungen nach bei 2,2 % liegen,
die kurzfristigen Zinsen bei 2,0 % und die langfristigen Zinsen
(10jährige Staatsanleihen) bei 4,8 %. Die Arbeitslosenrate bei 5,7 %.
Ich denke, dass diese Analysten am wahrscheinlichsten mit ihren
Prognosen für die Inflationsrate und die Zinssätzen fürchterlich
falsch liegen werden.
Nicht nur die Analysten und Ökonomen lagen in den letzten 2 Jahren mit
ihren Prognosen daneben. In der New York Times gab es am 2. Januar
2003 einen Artikel von James Ledbetter, der zeigt, "wie die
Journalisten der New Economy diese selbst zerstörten", indem sie die
Gesellschaften dieser New Economy kritiklos bejubelten und nicht mehr
nach den zugrundeliegenden Fundamentals und Details gruben. Genau
dieses Bejubeln ist es, was die Leute bei CNBC getan haben - und immer
noch tun.
Warum lagen die Analysten denn nun so extrem daneben? Nun, ein Teil
von ihrem Optimismus kann darauf zurückgeführt werden, dass ihre Jobs
zwangsläufig einen solchen zur Schau getragenen Optimismus erfordern.
Hinzu kommt, dass viele von ihnen noch nie einen Bärenmarkt erlebt
hatten und deshalb keine Erfahrung mit diesem Phänomen hatten.
Aber keiner der 22 Analysten, die ich zu Beginn dieses Artikels
erwähnte, prognostizierte auch nur die Richtung, in die sich der Markt
entwickeln würde, richtig ein. Auch die Financial Times zieht ähnliche
Schlüsse: "Die Genauigkeit ihrer Prognosen verschlechtert sich." Nur
drei der 55 vom Wall Street Journal befragten Analysten sagten Anfang
2001 einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes während mindestens
eines Quartals voraus." Es ist bekannt, dass es zu einem solchen
Rückgang kam.
Was mich stört, ist die Tatsache, dass diese Analysten die "besten und
die strahlendsten", die bestbezahltesten, die bestmotiviertesten und
die fähigsten ihrer Zunft sind. Hoffentlich sieht es bei der
Wirtschaftspolitik besser aus. Bis jetzt hat die Fed allerdings auf
jede Krise immer nur mit Zinssenkungen reagiert und das System mit
Liquidität überschwemmt. Aber die 12 Zinssenkungen der letzten 12
Jahre haben nicht zu einer vernünftigen Erholung der Wirtschaft
geführt.
Und was jetzt - wo die Leitzinsen schon bei nur noch 1,25 % stehen?
Was werden die Politikberater jetzt vorschlagen? Alles, was wir tun
können, ist abwarten ... und hoffen, dass die Entscheidungsträger
lernen, die Empfehlungen ihrer "Experten" mit einer gesunden Skepsis
sehen.
Analysten: Gute Märchenerzähler
von Raymond DeVoe
Das Gefühl der Schadensfreude ist mir fremd - auch dann, wenn es darum
geht, die Prognosen der Wall Street "Analysten" der letzten 3 Jahre zu
begutachten. Allerdings sollte man schon betonen, dass die
Finanzpresse schlicht und einfach total daneben liegt, wenn es um
Prognosen über den Aktienmarkt oder die gesamte Wirtschaft geht. Auch
ich lag in der Vergangenheit mit meinen Vorhersagen oft nicht richtig,
und ich weiß, wie weh das tun kann.
Zum Beispiel sagte ich den Bärenmarkt zu früh voraus. Weil ich ein
"Value"-orientierter Analyst bin, wies ich zu früh auf die sich
entwickelnde Manie und die Spekulationsblase hin. Als ich noch jung
und wenig erfahren war, hatte ich mehrere Spekulationsblasen
mitgemacht - mit der Folge, dass ich im folgenden Abschwung meinen
Einsatz jedes Mal fast komplett verlor. Nachdem die Kurse aber 18
Jahre lang fast nur gestiegen waren (1990-1991 gab es eine kleinere
Unterbrechung), gab es nur wenig Analysten, die eine vergleichbare
Erfahrung wie ich gemacht hatten.
Um zu illustrieren, wie falsch die Analysten lagen, hat Jim Stack von
InveTech Research eine Liste der Prognosen prominenter Analysten
zusammengestellt. Er verglich ihre Prognosen für die
12-Monats-Entwicklung von Dow Jones und Nasdaq zu Jahresbeginn 2001
und 2002 mit der tatsächlichen Entwicklung. Diese Liste wurde im
Barron`s Magazin (Ausgabe vom 6. Januar 2003) veröffentlicht.
Die Namen der Analysten dieser Liste sind an der Wall Street weithin
bekannt. Auf die Liste kamen alle Analysten, die in der Fernsehshow
"Wall Street Week with Louis Ruckeyser" ihre Vorhersagen abgeliefert
hatten. Anfang 2001 stand der Dow Jones bei 10.768,86 Punkten, und
JEDER der Analysten auf der Liste prognostizierte weiter steigende
Kurse. Die Prognosen: Im Top wurden 13.170 Punkte vorhergesagt, im Low
11.400. Tatsächlich beendete der Dow Jones das Jahr mit 10.021,50
Zählern. Der Median der Prognosen lag bei 12.100 Punkten - damit wurde
ein Plus von 12,2 % für 2001 vorhergesagt. Tatsächlich stand der Dow
Jones zu Jahresende 2.079 Punkte oder 17,2 % unter dem Median der
Prognosen.
Beim Nasdaq lagen die Analysten noch mehr daneben. Die Prognosen für
2001: Die optimistischste Vorhersage lag bei 4.600 Punkten, die
niedrigste bei 2.250. Der Median lag bei 3.000 Zählern. Tatsächlich
ging der Nasdaq mit 1.950 Punkten aus dem Jahr - was 35,1 % unter dem
Median der Prognosen lag. 2002 war das Ergebnis vergleichbar. Nehmen
wir nur den Dow Jones: Der Median der Prognosen lag 2.858 Punkte oder
25,5 % über dem tatsächlich erreichten Wert.
Dieses Mal soll allerdings alles anders sein. Der Dow Jones hat
letzten Oktober ein Tief erreicht - aber ich bezweifle, dass ein neuer
Bullenmarkt begonnen hat.
Übrigens ist die gerade beschriebene katastrophal schlechte
Prognosefähigkeit der 22 untersuchten Analysten keineswegs auf diese
beschränkt. Die Financial Times schrieb am 2. Januar 2003 über die
britischen Analysten einen kritischen Artikel: "Man sollte hoffen,
dass die Analysten die Richtung des Marktes korrekt prognostizieren
würden - zumindest für einen bestimmten Zeitraum. Leider war dies in
den drei Jahren seit dem 31. Dezember 1999 nicht der Fall ... Keiner
der Analysten sagte korrekt die Richtung des britischen Aktienmarktes
voraus. Alle lagen falsch, und die Genauigkeit ihrer Prognosen
verschlechtert sich."
Das Wall Street Journal hat am 2. Januar die Prognosen von 55
Analysten für das laufende Jahr veröffentlicht. In der Vergangenheit
hatten diese 55 Analsten nicht besonders gut abgeschnitten. Nur ein
oder zwei von ihnen prognostizierten die Rezession, die im März 2001
begann. Und die Prognosen für 2003 unterscheiden sich kaum von denen,
die im Januar 2002 abgegeben wurden. Mir fällt auf, dass besonders die
Möglichkeit steigender Zinsen überhaupt nicht gesehen wird.
Nur einer der 55 - nämlich A. Gary Shilling - rechnet für dieses Jahr
mit einer Rezession. Es ärgert mich, dass mögliche Veränderungen von
den restlichen 54 nicht berücksichtigt werden. Die meisten von ihnen
prognostizieren eine Erholung bei den Investitionen, aber fast jeder
Quartalsbericht, den ich lese, spricht von Ausgabenkürzungen bei den
Investitionen. Und in fast jedem Sektor gibt es Überkapazitäten. Ich
sehe deshalb keinen Grund, warum die Investitionen steigen sollten, da
ja auch die Gewinnmargen unter Druck stehen und die Entlassungen hoch
bleiben. Gleichzeitig haben die Unternehmen kaum
Preisgestaltungskraft.
Auch die Business Week hat in ihrer Ausgabe vom 31. Dezember 2002 die
Prognosen von 67 Analysten veröffentlicht. Nur 3 dieser 67 "Experten"
erwarten im laufenden Jahr für den Dow Jones weitere Verluste, und nur
2 rechnen damit, dass der Nasdaq Composite das Jahr niedriger beenden
wird. Die Prognosen für das US-Wirtschaftswachstum liegen zwischen
1,5 % und 4,8 %, aber 50 der Analysten rechnen mit einem Wert zwischen
3,0 % und 3,6 %. Bei den anderen Schätzungen lagen sie fast überall
gleich: Die US-Inflation wird ihren Schätzungen nach bei 2,2 % liegen,
die kurzfristigen Zinsen bei 2,0 % und die langfristigen Zinsen
(10jährige Staatsanleihen) bei 4,8 %. Die Arbeitslosenrate bei 5,7 %.
Ich denke, dass diese Analysten am wahrscheinlichsten mit ihren
Prognosen für die Inflationsrate und die Zinssätzen fürchterlich
falsch liegen werden.
Nicht nur die Analysten und Ökonomen lagen in den letzten 2 Jahren mit
ihren Prognosen daneben. In der New York Times gab es am 2. Januar
2003 einen Artikel von James Ledbetter, der zeigt, "wie die
Journalisten der New Economy diese selbst zerstörten", indem sie die
Gesellschaften dieser New Economy kritiklos bejubelten und nicht mehr
nach den zugrundeliegenden Fundamentals und Details gruben. Genau
dieses Bejubeln ist es, was die Leute bei CNBC getan haben - und immer
noch tun.
Warum lagen die Analysten denn nun so extrem daneben? Nun, ein Teil
von ihrem Optimismus kann darauf zurückgeführt werden, dass ihre Jobs
zwangsläufig einen solchen zur Schau getragenen Optimismus erfordern.
Hinzu kommt, dass viele von ihnen noch nie einen Bärenmarkt erlebt
hatten und deshalb keine Erfahrung mit diesem Phänomen hatten.
Aber keiner der 22 Analysten, die ich zu Beginn dieses Artikels
erwähnte, prognostizierte auch nur die Richtung, in die sich der Markt
entwickeln würde, richtig ein. Auch die Financial Times zieht ähnliche
Schlüsse: "Die Genauigkeit ihrer Prognosen verschlechtert sich." Nur
drei der 55 vom Wall Street Journal befragten Analysten sagten Anfang
2001 einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes während mindestens
eines Quartals voraus." Es ist bekannt, dass es zu einem solchen
Rückgang kam.
Was mich stört, ist die Tatsache, dass diese Analysten die "besten und
die strahlendsten", die bestbezahltesten, die bestmotiviertesten und
die fähigsten ihrer Zunft sind. Hoffentlich sieht es bei der
Wirtschaftspolitik besser aus. Bis jetzt hat die Fed allerdings auf
jede Krise immer nur mit Zinssenkungen reagiert und das System mit
Liquidität überschwemmt. Aber die 12 Zinssenkungen der letzten 12
Jahre haben nicht zu einer vernünftigen Erholung der Wirtschaft
geführt.
Und was jetzt - wo die Leitzinsen schon bei nur noch 1,25 % stehen?
Was werden die Politikberater jetzt vorschlagen? Alles, was wir tun
können, ist abwarten ... und hoffen, dass die Entscheidungsträger
lernen, die Empfehlungen ihrer "Experten" mit einer gesunden Skepsis
sehen.
Interessanter Text. Wobei Analysten generell optimistisch in die Zukunft blickenund dis schon 1996 taten. Mich fasziniert der Gedanke, dass niemand mit einer Inflation rechnet, aber die Rentenmärkte geben den Analysten soweit recht.
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