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    Raubtierkapitalismus ? - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 03.09.02 17:21:29 von
    neuester Beitrag 17.09.02 23:45:37 von
    Beiträge: 13
    ID: 628.311
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      schrieb am 03.09.02 17:21:29
      Beitrag Nr. 1 ()
      Aus der Welt der Wirtschaft: “Raubtiere” fallen Kapitalismus an

      1. Der “Spiegel” wusste es schon vor 2 Wochen: Der Kapitalismus ist in ein neues Stadium eingetreten. Die Titelzeile lautete: “Der neue Raubtierkapitalismus – mit Gier und Größenwahn in die Pleite”

      http://www.spiegel.de/sptv/thema/0,1518,208528,00.html" target="_blank" rel="nofollow ugc noopener">
      http://www.spiegel.de/sptv/thema/0,1518,208528,00.html

      und darunter ging es weiter:

      “An der Börse herrscht Flaute, beinahe wöchentlich gibt es neue Meldungen über Unternehmen, die eben noch glänzende Ertragszahlen meldeten und nun vor der Pleite stehen. Fassungslos müssen die Anleger zusehen, wie sich ihre Ersparnisse und Rücklagen fürs Alter auflösen. Die Schuld daran tragen skrupellose Manager, die mit Gier und Größenwahn einen entfesselten Raubtierkapitalismus etabliert haben, in dem nur noch das Recht des Stärkeren zu gelten scheint. Mit Bilanzfälschungen und einer offen an den Tag gelegten Selbstbedienungsmentalität verspielen sie das Vertrauen in das amerikanische Wirtschaftsmodell – mit verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft.”

      Die “verheerenden Folgen” zeichneten sich dann letzten Montag ab, als die Kurse – nach Bekanntgabe der Worldcom-Pleite – ordentlich purzelten, und die Kommentatoren waren sich einig: Die Wirtschaft befindet sich in der Hand von “Strauchdieben” und ähnlichen zwielichtigen Gestalten aus der Welt der Raubtiere. Ob diesen Kommentatoren in ihrem Zorn auf “skrupellose Manager” so richtig bewusst ist, was für ein verheerendes Zeugnis sie damit der Börse oder auch gleich dem ganzen Kapitalismus, den sie doch zugleich als die vernünftigste Wirtschaftsweise loben, ausstellen?

      Hacken wir nicht groß darauf herum, dass diese “skrupellosen Manager” bis vor kurzem noch die absoluten Helden der Börse waren und die von ihnen geführten Unternehmen – z.B. Enron, Worldcom, Xerox – zu den “Top-Adressen” zählten, deren Aktien man unbedingt in seinem “Portfolio” haben musste. Wenn sie beim Erfolg ihrer Unternehmen selbst ordentlich mitverdienten, nahm ihnen das nicht nur keiner übel, es wurde im Gegenteil als Beweis und Belohnung für einen Manager-Charakter genommen, der mit Leib und Seele in seiner Aufgabe aufgeht, also sich energisch, mit allen Wassern gewaschen und im Zweifelsfall auch skrupellos in der Konkurrenz durchsetzt. Wenn dies nun alles aber bloßer Schein gewesen sein soll, wenn die Unternehmen bloß missbraucht wurden, nämlich als “Selbstbedienungsläden” für eine “Selbstbedienungsmentalität”, und wenn das alles mit einem simplen Trick namens “Bilanzfälschungen” geklappt hat, wie steht es denn dann um die berühmte “Effizienz” der Börsen? Und dann auch gleich um die “Effizienz” des Kapitalismus – der soll doch in den Börsen sein oberstes und wichtigstes “Lenkungsorgan” haben, ein “Organ”, das mit unglaublicher Präzision und Geschwindigkeit unglaubliche Kapitalströme in die Ecken der Welt verschickt, wo sie am meisten Ertrag abwerfen. Und dieses kapitalistische Haupt- und Zentralorgan steckt dann ein paar blenderischen Gierhälsen, bloß zum Zwecke ihrer persönlichen Bereicherung, unglaublich viel Geld zu, so dass es schließlich darüber selbst – wie es so schön heißt – “ins Taumeln gerät”?

      Schade, dass das alles nicht stimmt – wenn der Kapitalismus tatsächlich so ein Laden wäre, wo ein paar raffgierige Gesellen mit “verheerenden Folgen” alles durcheinander bringen können, dann wäre er ja wunderbarerweise schnell am Ende. “Raubtiere” dieser Art lauern doch an allen Ecken und Enden und man könnte denen die Aufgabe überlassen, diesen Laden zuzumachen. Dass das alles nicht stimmt, merkt man schon an dem kleinen Schwindel, mit dem der “Spiegel” anfängt. Er erwähnt, dass “an der Börse Flaute herrscht”, aber nur, um davon weg- und zu den Bösewichtern hinzukommen. Diese Flaute herrschte ja schon vor Bekanntwerden der “Bilanzfälschungen”, seit Monaten ist die Börse auf einem massiven Abwärtstrip. Also stellt sich die Frage doch anders. Nicht, was Worldcom etc. angerichtet haben, sondern, warum eigentlich diese Worldcoms aufgeflogen sind bzw. was das angeblich “Gefälschte” an ihren Bilanzen gewesen sein soll.

      2. An den Börsen notierte Gesellschaften wollen für die Realisierung ihrer Geschäftsaussichten Geldkapital an sich ziehen. Das haben die Börsianer – und es sind sie, die eben diese Geschäftsaussichten beurteilen. Dass diese Unternehmen Gewinne, und zwar nicht von schlechten Eltern, vorzuweisen haben, ist nur die Voraussetzung – entscheidend für den “Börsianer” ist, welche künftige Entwicklung er diesen Unternehmen zutraut. Deswegen erlebte z. B. kürzlich der “Neue Markt” wegen eines ihm zugesprochenen “Wachstumspotentials” seinen rasanten Aufstieg. Die Börse stellt nämlich einen Vergleich zwischen Wachstumsaussichten aller möglicher Unternehmen an, und zwar nicht nur zwischen denen, die innerhalb einer Kapitalsphäre konkurrieren, sie stellt auch einen Vergleich zwischen Kapitalsphären und deren Wachstumsaussichten überhaupt an. Bei diesem Dauervergleich zwischen lauter einzelnen Kapitalgesellschaften ist sie ständig auf der Suche danach, wo der Kapitalismus gerade am wachstumsträchtigsten ist. Bis vor kurzem wurde das etlichen der Gesellschaften am ehesten zuge­traut, die jetzt von nichts anderem als von “Gier und Größenwahn” getrieben gewesen sein sollen. Und stark wurden sie, die jetzt ihre Stärke angeblich als verwerfliches “Recht des Stärkeren” missbrauchen, durch nichts anderes als durch die Anlagen der Börsianer.

      Die Kehrseite davon: Wenn die Börsen sich ein Bild machen, welche Aktiengesellschaften sich in Zukunft am meisten hervortun werden, dann ist darin auch eingeschlossen: Diese Gesellschaften sind den Kalkulationen der Börse unterworfen. Dann hängt ihre Kreditwürdigkeit und damit auch ihr weiteres Vorankommen davon ab, ob sie sich mit ihren Wachstumsaussichten glaubwürdig darstellen und sich im Vergleich der Wachstumsaussichten, wie ihn Börsianer anstellen, bewähren. Um bei den Börsen einen guten Eindruck zu machen, muss natürlich jede Menge teurer Schnickschnack her, aber die toughen “Analysten”, “Charttechniker”, und wie sie sonst heißen, wollen letzten Endes “harte Fakten” sehen, und das heißt: Bilanzen. Gott sei Dank sind Bilanzen kein unverrückbares Regelwerk, nicht einfache Abrechnungen des vergangenen Geschäftsjahres, sondern bieten reichlich Möglichkeiten der “Gestaltung”. Und die sind nun mal so auszuschöpfen, dass die Aussichten der Firma, die die Börsianer ja wissen wollen, im rosigsten Licht erscheinen. Da wird eine geplante und erst noch durchzuziehende Kapitalaufnahme auch schon mal als Guthaben verbucht. Ees versteht sich von selbst, dass man negative Punkte nicht besonders hervorhebt. Die werden ja, wenn die Kapitalanleger betört, die Investitionen getätigt werden und der Geschäftserfolg realisiert wird, von eben dem gnädig zugedeckt. Erst recht bei einem beginnenden Abschwung muss sich das Management darauf verstehen, die Bilanz regelgerecht und auch mal regelwidrig “schön zu rechnen”. Wenn schon “Betrug”, dann muss man sagen: ein systemimmanenter. Beziehungsweise: Ein “Betrug”, den die Börse, solange sie “im Aufwind” ist, regelmäßig honoriert, weil sie ja auf das Wachstum setzt. – Hacken wir nicht darauf herum, dass die “Analysten” und “Charttechniker” zu der Zeit mit den Bilanzen, die jetzt als gefälscht entlarvt worden sind, regelmäßig sehr zufrieden waren ...

      Das ändert sich freilich, wenn “an der Börse Flaute herrscht”. Die herrscht, weil ihr Rundumblick ergibt: Sehr viele früher einmal geglaubte und mit Kredit geförderte Geschäftsaussichten bewahrheiten sich nicht – so registriert sie Krise. Das heißt für sie: Die Kreditwürdigkeit der Unternehmenslandschaft ist generell gesunken und das macht sie generell skeptisch. Eben deswegen wird aber auch die Kreditwürdigkeit allgemein herabgesetzt, d. h., die Börse verallgemeinert die Krise, setzt sie durch, in der sich nun alle Unternehmen zu bewähren haben. Dies tun die Börsianer schlicht dadurch, dass sie ihrem eigenen “Wachstumsoptimismus” nicht mehr glauben und auf “Baisse” umschalten. Dann kriegen die Unternehmen auch das Kapital nicht mehr, das sie brauchen, um ihre Geschäftsaussichten zu realisieren. Das hat die Folge, dass aller schon aufgenommene Kredit das Versprechen nicht mehr einlöst, mit dem er geworben und auf das hin er vergeben wurde. Dann verkörpert dieser Kredit nicht mehr die Aussicht auf gute Geschäfte, sondern ist bloß noch ein Haufen unbedienbarer Schulden. In Wahrheit “erschüttern” also nicht böse Machenschaften die Börse, es ist genau umgekehrt: Die Börse entzieht ihrer eigenen Grundlage, ihrem in den Aktiengesellschaften steckenden Geldkapital, das “Vertrauen”, und dann und darum werden bislang ganz übliche und geschätzte Verfahren zum “Betrug” und vormals “weitsichtige Geschäftsleute” zu “skrupellosen Managern” und “Strauchdieben”.

      3. Das Verfahren ist so alt wie der Kapitalismus selbst. Niemand leugnet, dass er so manche unschöne “Begleiterscheinung” hat. Krisen z. B. treten regelmäßig auf und regelmäßig leiden die Leute darunter – in diesem Fall “die Anleger, die fassungslos zusehen müssen, wie sich ihre Ersparnisse und Rücklagen fürs Alter auflösen”. Das wird dann bedauert – aber ein Grund für Systemkritik hat das niemals zu sein. Niemand will erklären, warum in diesem System Krisen – samt ihrer Opfer – notwendigerweise immer wieder auftreten. Gefragt ist vielmehr das Gegenteil, nämlich eine Abweichung vom Kapitalismus. In der Krise werden Schuldige gesucht, die sich an der vernünftigsten aller Wirtschaftsweisen – dem Kapitalismus – versündigt haben. Da müssen dann Leute am Werk gewesen sein, die aus sehr persönlichen Gründen ihre Pflicht verletzt haben, den Reichtum der Börsianer zu vermehren. Kritische Geister wie die vom “Spiegel” werden dann sogar schöpferisch. Nicht, um ihren Lesern zu erklären, warum und wie die angeprangerten Praktiken, die sich von den im Boom gelobten gar nicht so sehr unterscheiden, zum Kapitalismus gehören. Managerqualitäten, die im Boom noch als “clever”, “erfolgreich”, “zukunftsträchtig” gelobt wurden, verraten jetzt “kriminelle Energie”. Ganz normale Geschäftsstrategien werden zu “Auswüchsen” erklärt. Und die Spiegel-Abteilung Formulierungskunst erfindet für den aufgedeckten Sündenpfuhl ein schiefes Bild: “Raubtierkapitalismus”. Was sie aufgedeckt haben, ist nicht der Kapitalismus, sondern eine perverse Abweichung davon. Raubtiere in Menschengestalt waren da am Werk.

      Und was hat der viel beschworene fassungslose Anleger davon, dessen Ersparnisse und Rücklagen fürs Alter sich auflösen? Er weiß, wem er böse sein kann. Das rettet zwar seine Rente zwar auch nicht, aber dem moralischen Gemüt ist doch wenigstens gedient – bis zum nächsten Mal.

      |Gegenstandpunkt|
      Avatar
      schrieb am 03.09.02 17:34:33
      Beitrag Nr. 2 ()
      Gut gebrüllt Löwenguerilla
      macht Spaß, Deine Analysen zu lesen
      Roelsa
      Avatar
      schrieb am 03.09.02 17:40:42
      Beitrag Nr. 3 ()
      Die Raubtiere haben jahrelang alle Beutetiere weggefressen.

      Jetzt gibt es keine Beute mehr - sie sind unter sich und beginnen sich zu kanibalisieren.

      Und der letzte der über bleibt wird kläglich verhungern.


      Wir stehen vor Veränderungen die sich heute noch niemand richtig vorstellen kann/will.

      Der Untergang des Osten war nur der Anfang einer Weltveränderung. Der Westen folgt nun dem Osten in einer höchst bizarren Situation.
      Avatar
      schrieb am 03.09.02 18:00:38
      Beitrag Nr. 4 ()
      KAPITAL = KAPITAL
      GELD = GELD
      OSTEN = OSTEN

      ich bin ich
      und du bist du :)
      Avatar
      schrieb am 03.09.02 18:00:58
      Beitrag Nr. 5 ()
      ....Ich kenne kein Raubtier, daß so gierig oder so größenwahnsinnig, wie der Mensch ist.

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      schrieb am 03.09.02 18:05:08
      Beitrag Nr. 6 ()
      #4
      Unser Egon, einfach gewaltig!
      Avatar
      schrieb am 03.09.02 18:13:43
      Beitrag Nr. 7 ()
      @ Rudra

      Weil der Mensch das gefährlichste aller Raubtiere ist.
      Er stiehlt und tötet aus Lust, Gier, Neid, Sport, Hass.
      So wird es sich selbst entfernen.
      Avatar
      schrieb am 03.09.02 18:31:11
      Beitrag Nr. 8 ()
      GI analysiert den Kapitalismus wie Karl der Wiedergeborene - daß es eine reine Freude ist!

      Hat er es aufgegeben nicht vorhandene Faschisten zu jagen?

      Obwohl - Rainer und Co haben sich ja redlich bemüht welche zu schnitzen.
      Avatar
      schrieb am 03.09.02 19:22:07
      Beitrag Nr. 9 ()
      Ein Guerilla analysiert nicht ... :mad:
      Ein Guerilla LÄßT analysieren ... :D
      Avatar
      schrieb am 04.09.02 15:18:32
      Beitrag Nr. 10 ()

      Der alltägliche Kapitalismus

      Wie der Normalfall zum "Event" wird.

      Es gibt schon seltsame Zufälle in diesem unserem Lande. Da kriegen wir, unmittelbar bevor bedeutende soziale Einschnitte in´s Haus stehen und zu einem Zeitpunkt, da die Verbündeten der Berliner Republik endlich die Rendite für ihre - zum Teil nur unter Schmerzen gegebene - Zustimmung zur deutschen Einheit einfordern, eine strategische "Reformregierung", deren einzige historische Mission darin besteht, Deutschland wieder zu einem wertvollen Glied der imperialistischen Gemeinschaft zu machen, und schon muß sie in einer Serie von verlorenen Wahlen den Preis bezahlen. Aber immer , wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her. In diesem Fall eine ausgewachsene Spendenaffäre: das "System Kohl". Da hat der dicke Helmut, dessen welthistorische Verdienste natürlich unbestreitbar sind, also "Anderkonten" unterhalten. Er hat das Parteispendengesetz umgangen (durch Stückelung), womöglich Steuern hinterziehen lassen, die Rechenschaftspflicht umgangen bzw. falsche Bericht vorgelegt (vorlegen lassen), sich persönliche Seilschaften (Loyalitäten) unterhalten und da und dort Gelder entgegen nehmen lassen, bei denen man sich schon fragt, ob sie einzig und allein der "staatsbürgerlichen Bildung" zu Gute kamen. Walter Leisler Kiep ist mit im Spiel und eine Reihe niederer Chargen. Andere sollen davon gewußt haben. Wieder andere machen einen auf Hase. Alles sehr aufregend. Schon vorher hatte Glogowski, der sich in aller Unschuld seine Hochzeit hatte sponsern lassen, den Löffel abgegeben. Sein Nachfolger heißt Gabriel. Mehr weiß man nicht und es ist auch nicht nötig. Gleichzeitig ist auch die SPD voll involviert. Schatzmeisterin Wettig-Danielmeier hat sinnvollerweise gleich zugegeben, daß die Stückelung von Parteispenden, d.h. das bewußte Unterlaufen des Parteispendengesetzes auch in der SPD üblich war (und ist). SPIEGEL und FOCUS, WELT am SONNTAG und andere decken immer neue Skandale auf. Am liebsten im Lager des Gegners, aber auch gern da, wo es gerade passt. Fast bedauert man, daß FDP, Grüne und PDS nicht adäquat mitspielen dürfen. Linke Zyniker werden das alles nur abtun. Alles nur für die Galerie. Ganz so einfach geht es nicht. Immerhin ist auf eine ähnliche Art das italienische Parteiensystem zusammen gebrochen. Nicht, daß daraus gerade ein revolutionärer Schub entstanden wäre, dafür sorgte allein schon die PDS (Partito democratico della sinistra), aber immerhin: Democrazia christiana, PSI und PCI haben das zeitliche gesegnet. So unmöglich , wie die deutsche Linke, die glaubt, mit dem Entstehen von Grünen und PDS schon das revolutionäre Geschehen für mindestens zwei Generationen erlebt zu haben und jetzt in Ruhe und Frieden vor sich hinwerkeln möchte, ist der Zusammenbruch (de facto freilich nur ein Formwandel) des bundesdeutschen Parteiensystems nicht.

      Allerdings fragt man sich, was ist eigentlich das Skandalöse an den aufgedeckten Skandalen? Es gab schon früher jede Menge Präzedenzfälle: von Fibag, über Flick bis zu den Amigos des Max Streible. Wer sich ein bißchen umhört, weiß auch genau, wirklich überrascht sind doch eigentlich die wenigsten. Gewiß, es ist ein Unterschied, ob an Stammtischen etwas gemutmaßt wird oder ob Fakten auf dem Tisch liegen. Aber was ist der Kern der Überraschung, die keine ist? Die Erfahrung, daß alles genauso ist, wie man schon immer vermutete?

      Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland sind originärer Bestandteil dieses Systems und bei allem Respekt vor der Flexibilität, der Integrationsfähigkeit, schon längst sind die Eliten von Politik, Wirtschaft, Militär und Kultur eine einzige Nomenklatura, funktional getrennt, aber mehr als verfilzt. Militärs werden Politiker (Schönbohm, Bastian) Wirtschaftler Politiker und vice versa (Friderichs, Fugmann-Heesing usw.). Nur mit der Kultur hapert´ s da und dort. Kein Wunder. Welcher Politiker kann schon singen und so toll war der Fernsehfilmauftritt von Gerhard Schröder (praktischerweise in der Rolle des Gerhard Schröder) auch wieder nicht. Aber sonst? Schließlich arbeitet die Politik (zugegeben etwas abgedroschen) im Auftrag des Kapitals, mit dem Auftrag , die Erfordernisse, die in der Gestalt von Sachzwängen präsentiert werden, publikumswirksam zu verkaufen. Diejenigen, die wider den Stachel löcken, werden integriert, neutralisiert und ggfs. Auf natürlichem Wege ausgeschieden. Eigentlich könnte man ruhig ein bißchen zynisch sein und den Stier bei den Hörnern packen.

      Warum sollten eigentlich die, die bestimmen, wo´s lang geht, ihrem Personal nicht auch die Spesen zahlen. Oder die Gehälter. Das wäre nur recht und billig. Und immerhin, dann könnten wir uns die Diäten und all das ganze Zeug sparen. Schließlich ist Sparen doch angesagt, oder?

      Noch besser wär´s, unsere (?) Parteien gingen den Weg der Fußball-Bundesliga. Sie würden Aktiengesellschaften und ließen sich sponsern. Schöner Gedanke. Dann Hieße es im Fernsehen: Der SPD-Parteitag wurde Ihnen präsentiert von der VOLKSWAGEN AG, BAYER LEVERKUSEN und KÖNIG-PILSENER. Kanzler Schröder wurde eingekleidet von Wolfgang Joop.

      Warum eigentlich nicht?

      Quelle: © Philosophischer Salon
      Avatar
      schrieb am 04.09.02 23:10:34
      Beitrag Nr. 11 ()

      Profit kontra Klima

      Tag für Tag Schreckensmeldungen! Sintflutartige Überschwemmungen wie kaum zuvor, zugleich auf drei Kontinenten. Allbekannt ist, dass Abgase von Industrie und Verkehr am Himmel über uns Schutzschichten zerstören. Das abschirmende Ozonloch weitet sich aus. Klimaerwärmung, Eisberge an den Erdpolen schmelzen ab. Doch nicht wirklich Wirksames geschieht seitens der Regierenden. Unsägliche Profitgier der weißen Mini-Minderheiten bleibt bestimmend. Unter solchen Bedingungen wandelt sich rasch zunehmende Produktivität in Destruktivität. Selbstmörderische Rationalisierung ist angesagt. Massenarbeitslosigkeit wird zur Normalität mit Teilzeitjobs als Vorstufe.

      Ein Katastrophen-Jahrhundert droht. Marode Billig-Schiffe mit Gift- oder Petrolladungen kentern, verseuchen Meere und rotten ganze Populationen von Fischen und Seevögeln aus. Bei Autounfällen und Flugzeugabstürzen sterben jährlich mehr Menschen als in mittleren Kriegen. BSE-verdächtiges Fleisch darf im- und exportiert werden, obgleich die Sterberate Kreuzfeldt-Jacob-Kranker steil ansteigt. Weil AIDS-Medikamente aus den westlichen Industriestaaten in Afrika unbezahlbar sind, drohen dort ganze Regionen von Menschen weitgehend leergefegt zu werden. Außerdem sterben in der sogenannten Dritten Welt jährlich Millionen den Hungertod. Mit all dem Schrecklichen ist nur auf einen Ausschnitt hingewiesen.

      Die profitable Konsumdiktatur ist längst außer Rand und Band geraten. Wir stehen an der Schwelle der Selbstzerstörung. Die geldhörigen Medien, anstatt laut zu warnen, lenken auf Sex and Crime ab. So kann die Regierung Schröder-Fischer zum Beispiel konzerngenehm vornehmlich den Auto- und Flugverkehr fördern und die naturfreundlicheren Bahnen angesichts steigender Defizite verkommen lassen. Bedrohliche Dioxinemissionen werden Augenzwinkernd hingenommen, gefährlichen Treibgasen wird immer noch weitgehend freier Lauf gelassen, dem beängstigenden Durcheinander im erdrundweiten Zirkulationsprozeß wird kaum begegnet.

      Die jetzt nach langer Pause anstehende Welt-Klimakonferenz wird keine einschneidenden Ergebnisse erbringen können. Naturwissenschaftler sitzen nicht an ausschlaggebenden Hebeln. Die Auswirkungen der spätkapitalistischen Bedingungen eskalieren zur Menschheitsbedrohung. Nur Umkehr der gesellschaftlichen Verhältnisse kann Entlastung und Rettung bringen. Die irrsinnige Verschwendung von unersetzlichen oder knappen Rohstoffen müsste gestoppt werden. Das Hochjubeln überflüssigen Verbrauchs durch meist unehrliche und zudem teure Werbekampagnen dürfte nicht fortgesetzt werden.

      Niemand wird durch Besitz von zwanzig oder dreißig Paar Modeschuhen glücklicher. Im Gegenteil, erschreckend zunehmende Selbstmorde von Wohlstandsbegünstigten oder die Lawine von Beziehungstrennungen zeigen, das herrschende System wirkt letzthin nicht nur zerstörerisch, sondern macht auch noch krank. Gelingt es in der Perspektive nicht, der ins Extreme gesteigerten globalisierten Profitwirtschaft ein Ende zu setzen, wird die Menschheit, werden mit ihr die einzelnen Individuen in Abgründe stürzen. Klimawechsel ist in jeder Beziehung geboten.

      © Philosophischer Salon
      Avatar
      schrieb am 04.09.02 23:17:19
      Beitrag Nr. 12 ()
      Gut!!
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 23:45:37
      Beitrag Nr. 13 ()

      Der reale Stamokap in Berlin

      Sage noch einer, die Theorie des "Staatsmonopolistischen Kapitalismus", in den 70er Jahren im Umfeld der DKP und der linken Strömungen der SPD sehr populär, sei falsch gewesen. Wer das behauptet, mag sich nur die Situation in Berlin ansehen. Dort haben die regierenden Parteien SPD und PDS jetzt beschlossen, der im Prinzip gescheiterten Bankgesellschaft Berlin mit einer Bürgschaft unter die Arme zu greifen und bis 2030 (!) für alle Verluste aus dem Immobiliengeschäft gerade zu stehen. Dieser Beschluß sei "ohne Alternative" gewesen, heißt es.

      In gewisser Hinsicht stimmt das, denn es ist längst ein Ordnungsprinzip der kapitalistischen Wirtschaft geworden, daß Gewinne möglichst privatisiert, Verluste aber, so sie einen bestimmten Umfang erreichen, "sozialisiert" werden. "Risikoabschirmung" nennt sich das im Berliner Falle.

      Die Situation ist grotesk und wird noch absurder dadurch, daß es ein offenes Geheimnis ist, daß die Abgeordneten, die in Berlin über das Schicksal der Bankgesellschaft abzustimmen hatten, in den seltensten Fällen genau gewußt haben, worüber sie eigentlich abstimmen und was sie real zu entscheiden haben. Das lag zum einen an der sicher komplizierten Materie, aber auch daran, daß die Banken sehr wohl darauf geachtet hatten, das Informationsmonopol über die Angelegenheit zu behalten. So wurde das Bankgeheimnis, ansonsten in allen möglichen Fällen durchlöchert wie ein Schweizer Käse, in diesem Falle absolut gesetzt. Was für eine Demokratie, in der die Abgeordneten nur einen Teil der Unterlagen, der zudem von den Banken ausgewählt wurde, einsehen durften und auch das nur unter allerstrengsten Sicherheitsvorkehrungen. Bedenklich auch die nicht unerhebliche Ziffer an Abgeordneten, die selbst in verschiedene Fonds investiert hatten und nun gewissermaßen in eigener Sache abzustimmen hatten, von der politischen Bundesprominenz ganz zu schweigen. Absurd, aber doch alles andere als unnormal. Hübsch auch das Gespreize der CDU. Deren Politiker, allen voran der frühere Pate Landowsky, maßgeblich für das Desaster verantwortlich waren, ebenso - das soll nicht vergessen werden - die Elite der SPD, die jetzt so tut, als wäre sie überhaupt erst vor einem Jahr gegründet worden.

      Finanzsenator Thilo Sarrazin, das ist der, der Berliner Sozialhilfeempfängern selbst die gesetztlich vorgeschriebene Leistungen kürzen will, erklärte, wahrscheinlich brauche das Land Berlin ja gar nichts zu zahlen. Es handele sich schließlich nur um eine Bürgschaft. Das kann man getrost vergessen: Berlin wird zahlen und zwar jahrzehntelang in Milliardenhöhe, in jedem Fall mehr als die gesamten Schulden der Kirch-Gruppe betragen.

      Doch was heißt hier Berlin? Wir alle? Anfangen müssen jetzt erst einmal die Beschäftigten der Bankgesellschaft. Geschäftsleitung, Personalräte und Ver.Di haben jetzt eine Reduzierung der Kosten um 300 Millionen Euro bis 2005 vereinbart. Dazu kommt eine Reduzierung der Stellen von 10 500 auf 6 500, inclusive "betriebsbedingter Kündigungen", wenn eine "sozialverträgliche" Regelung nicht möglich ist. Das 14.Monatsgehalt ist schon gestrichen, alles, was nicht direkt tarifvertraglich geregelt ist, steht auf dem Prüfstand, zu deutsch: fällt also weg. Und der Landeshaushalt wird auf Jahre hinaus belastet mit Kosten, die höher sind als die gesamten sowjetischen Staatsschulden an Deutschland, deren weitgehender Erlaß jetzt von Kapitalseite so lautstark bejammert wird.

      Was wäre denn so schlimm daran gewesen, wenn die Bankgesellschaft Berlin pleite gegangen wäre? Sonst sind es doch gerade die Verfechter der "reinen Marktwirtschaft", die die Insolvenz gescheiterter Unternehmen so lautstark bejubeln. Dann hätte man eben eine neue Gesellschaft gegründet, die genau die zwei Aufgaben gehabt hätte, die einer landeseigenen Bank eigentlich zukommen: sicheres und kostengünstiges Institut für die kleinen und mittleren Anleger bzw. Entwicklungsbank zur Förderung der wirtschaftlichen Belange im Land und Umgebung. Kein Kleinsparer oder auch mittelständischer Betrieb hätte auf sein Geld verzichten müssen, wenn man es nur gewollt hätte. Hat man aber nicht, sondern stattdessen etwas anderes: gutes Einvernehmen mit den Bankern, den Anlegern, aber auch Angst vor der Hysterie, die die kapitalhörigen Medien mit Sicherheit entfacht hätten. Vor allem aber auch: die Täter schützen, denn die sitzen ranghoch in den eigenen Reihen.

      Möglich, daß eine solche Entwicklung die rot-rote Koalition in Berlin hinweggefegt hätte. Und auch die Chancen für ähnliche Projekte in Sachsen-Anhalt oder gar im Bund vermindert hätte.

      Wäre das so schlimm gewesen?

      Zahlen werden jetzt andere: die Beschäftigten, die Steuerzahler und alle die, die in Bereichen leben und arbeiten, wo gekürzt werden kann. Und das sind natürlich die Schwächsten. Wie immer.

      Quelle: © Philosophischer Salon e.V, Berlin


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