checkAd

    Mein Testament - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 08.02.03 14:00:17 von
    neuester Beitrag 10.05.03 13:04:05 von
    Beiträge: 2
    ID: 693.630
    Aufrufe heute: 0
    Gesamt: 354
    Aktive User: 0


     Durchsuchen

    Begriffe und/oder Benutzer

     

    Top-Postings

     Ja Nein
      Avatar
      schrieb am 08.02.03 14:00:17
      Beitrag Nr. 1 ()
      Mein Testament



      In Erwartung jener Stunde, die man halt nicht vorher kennt,
      Nehm‘ ich mir Papier und Feder und beginn‘ mein Testament.
      Schreibe meinen letzten Willen, doch ich hoffe sehr dabei,
      Daß der Wille, den ich schreibe, doch noch nicht mein letzter sei.
      Aber für den Fall der Fälle halte ich ihn schon bereit,
      Dabei täte mir der Fall der Fälle ausgesprochen leid.

      Meinen Nachlaß zu verwalten, geb‘ ich dir allein Vollmacht,
      So weiß ich, daß mit dem Nachlaß keiner keinen Unfug macht.
      Geh‘ zunächst zum Biergroßhändler, der schon schluchzt und lamentiert,
      Weil er mit mir eine Stütze seines Umsatzes verliert.
      Schenk‘ ihm all die leeren Flaschen, die bei uns im Keller steh‘n,
      Mit dem schönen Posten Leergut wird es ihm schon besser geh‘n.

      Was danach an guten vollen Flaschen noch im Keller ist,
      Die vermach‘ ich Euch, Ihr Freunde, die Ihr sie zu schätzen wißt.
      Als Dank für die guten Stunden, die ihr mir gegeben habt,
      Als Dank dafür, daß Ihr heut‘ noch hinterm schwarzen Wagen trabt.
      Ich vermach‘ Euch Faß und Flaschen, Euch zum Wohle, mir zum Trost.
      Ich hätt‘ gerne mitgetrunken, leider geht‘s nicht, na denn Prost.
      Alles, was ich an irdischen Gütern habe, Hund und Haus,
      Vermach‘ ich Dir, meine Freundin, mache Du das Beste draus.
      Und erscheinen Dir die Räume plötzlich viel zu eng und klein,
      Öffne den Freunden die Türen, und das Haus wird größer sein.
      Verschenke, was immer Du verschenken willst vom Inventar,
      Sei mit denen, die Dich bitten, großzügiger, als ich es war.

      Meine Träume, meine Ziele, sind bei Dir in guter Hand,
      Die, die ich so gut geliebt hab‘, wie ich es nun mal verstand.
      Ich wollte die Welt verbessern, ohne viel Erfolg, scheint mir,
      Mach Du, wo ich aufhör‘, weiter, und vielleicht gelingt es Dir.
      Das wird Dich darüber trösten, wenn ich nicht mehr bei Dir wohn‘,
      Dann werd‘ wieder die Glücklichste, die Schönste bist Du ja schon.

      Meine Verse, meine Lieder, gehör‘n Dir ja ohnehin.
      Die, die mich so sehr geliebt hat, mehr vielleicht, als ich‘s verdien‘.
      Denn durch dich hab‘ ich, wenn heut‘ schon meine letzte Stunde kommt,
      Viel mehr als nur jenen Teil vom Glück gehabt, der mir zukommt.
      So bedaur‘ ich eins in jener Stunde nur, daß offenbar
      Uns das Los von Philemon und Baucis nicht beschieden war.
      Aber eines freut mich doch, wenn ich heut‘ sterbe, ungeniert
      Hab‘ ich meine Widersacher doch noch einmal angeschmiert.
      Denn ich hör‘ die Lästermäuler Beileid heucheln und sogar
      Murmeln, daß ich stets der Beste, Liebste, Allergrößte war.
      Euch, Ihr Schleimer, hinterlaß‘ ich frohen Herzens den Verdruß,
      Daß man von dem frisch Gestorb‘nen immer Gutes sagen muß.

      Mein Vermächtnis ist geschrieben, klaren Kopfes bis zuletzt,
      Ich laß‘ noch Platz für das Datum, den Rest unterschreib‘ ich jetzt.
      Dieser ist mein letzter Wille, doch ich hoffe sehr dabei,
      Daß der Wille, den ich schreibe, doch noch nicht mein letzter sei.
      Wär er‘s doch, schreib‘ auf den Grabstein, den ich mir noch ausbeding‘:
      „Hier liegt einer, der nicht gerne, aber der zufrieden ging“.

      R.Mey
      Avatar
      schrieb am 10.05.03 13:04:05
      Beitrag Nr. 2 ()
      Mein Berlin
      Reinhard Mey
      Ich weiß, daß auf der Straße hier kein einz`ger Baum mehr stand.
      Ruinen in den Himmel ragten, schwarz und leergebrannt.
      Und über Bombenkratern hing ein Duft von Staub und Ruß.
      Ich stolperte in Schuhen, viel zu groß für meinen Fuß,
      neben meiner Mutter her, die Feldmütze hinter den Ohr`n,
      es war Winter `46, ich war vier und hab` gefror`n,
      über Trümmerfelder und durch Wälder von verglühtem Stahl.
      Und wenn ich heut` die Augen schließe, seh` ich alles noch einmal.

      Das war mein Berlin.
      Den leeren Bollerwagen übers Kopfsteinpflaster zieh`n.
      Das war mein Berlin.

      Da war`n Schlagbäume, da waren Straßensperren über Nacht,
      dann das Dröhnen in der Luft, und da war die ersehnte Fracht
      der Dakotas und der Skymasters, und sie wendeten das Blatt,
      und wir ahnten, die Völker der Welt schauten auf diese Stadt.
      Da war`n auch meine Schultage in dem roten Backsteinbau,
      lange Strümpfe, kurze Hosen, und ich wurd` und wurd` nicht schlau.
      Dann der Junitag, als der Potsdamer Platz in Flammen stand,
      ich sah Menschen gegen Panzer kämpfen mit der bloßen Hand.

      Das war mein Berlin.
      Menschen, die im Kugelhagel ihrer Menschenbrüder flieh`n.
      Das war mein Berlin.

      Da war meine Sturm- und Drangzeit, und ich sah ein Stück der Welt,
      und kam heim und fand, die Hälfte meiner Welt war zugestellt.
      Da war`n Fester hastig zugemauert und bei manchem Haus
      wehten zwischen Steinen noch die Vorhänge zum Westen raus.
      Wie oft hab ich mir die Sehnsucht, wie oft meinen Verstand,
      wie oft hab ich mir den Kopf an dieser Mauer eingerannt.
      Wie oft bin ich verzweifelt, wie oft stand ich sprachlos da,
      wie oft hab ich sie geseh`n, bis ich sie schließlich nicht mehr sah!

      Das war mein Berlin.
      Wachtürme, Kreuze, verwelkte Kränze, die die Stadt durchzieh`n.
      Das war mein Berlin.

      Da war`n die sprachlosen Jahre, dann kam die Gleichgültigkeit,
      alte Narben, neue Wunden, dann kam die Zerrissenheit.
      70er Demos und die 80er Barrikaden, Kreuzberg brennt!
      An den Hauswänden Grafitti: "Steine sind kein Argument!"
      Hab ich nicht die Müdigkeit und die Enttäuschung selbst gespürt?
      Habe ich nicht in Gedanken auch mein Bündel schon geschnürt?
      All die Reden, das Taktieren haben mir den letzten Nerv geraubt,
      und ich hab doch wie ein Besses`ner an die Zukunft hier geglaubt.

      Das war mein Berlin.
      Widerstand und Widersprüche, Wirklichkeit und Utopien.
      Das war mein Berlin.

      Ich weiß, daß auf der Straße hier kein einz`ger Baum mehr stand,
      Ruinen in den Himmel ragten, schwarz und leergebrannt.
      Jetzt steh` ich hier nach all den Jahr`n und glaub es einfach nicht,
      die Bäume, die hier steh`n sind fast genauso alt wie ich.
      Mein ganzes Leben hab` ich in der halben Stadt gelebt?
      Was sag ich jetzt, wo ihr mir auch die andre Hälfte gebt?
      Jetzt steh` ich hier und meine Augen sehen sich nicht satt,
      an diesen Bildern, Freiheit, endlich Freiheit über meiner Stadt!

      Das ist mein Berlin.
      Gibt`s ein schön`res Wort für Hoffnung, aufrecht gehen, nie mehr knien!?
      Das ist mein Berlin.


      Beitrag zu dieser Diskussion schreiben


      Zu dieser Diskussion können keine Beiträge mehr verfasst werden, da der letzte Beitrag vor mehr als zwei Jahren verfasst wurde und die Diskussion daraufhin archiviert wurde.
      Bitte wenden Sie sich an feedback@wallstreet-online.de und erfragen Sie die Reaktivierung der Diskussion oder starten Sie
      hier
      eine neue Diskussion.
      Mein Testament