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    US Präsidentschaftswahlen - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 23.11.00 13:50:42 von
    neuester Beitrag 23.11.00 15:07:32 von
    Beiträge: 7
    ID: 306.746
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      schrieb am 23.11.00 13:50:42
      Beitrag Nr. 1 ()
      Sorry, das ich nochmal mit diesem blöden Thema komme,
      aber was ist denn nun Stand der Dinge.

      Es hieß doch eigentlich, daß die Frist für die Auszählung
      der Stimmen am Montag endet, egal ob bis dahin alles noch
      mal "per Hand" gezählt wurde oder nicht.

      Jetzt höre ich wieder ein Gerücht, die Demokraten könnten
      dagegen wieder Widerspruch einlegen und sozusagen per ge-
      richtlicher Verfügung, das Auszählen a l l e r Stimmen er-
      wirken, was dann ja noch mal ein paar Tage dauern könnte.
      (vermutlich bis kommenden Mittwoch).
      Ist sowas zu erwarten? Oder ist Montag mit einer Entschei-
      dung zu rechnen.
      Auch wenn es Stimmen im Board gibt, die der US-Wahl keine
      so große Bedeutung bezüglich der momentanen Situation an der
      Börse zugestehen, bin ich doch der Meinung, daß eine Ent-
      scheidung der Präsidentenfrage doch zumindest "marktberuhi-
      gend" wäre.
      Grüsse
      SoS
      Avatar
      schrieb am 23.11.00 13:55:51
      Beitrag Nr. 2 ()
      @ SonofSam...leider wahr und auch möglich...kommt immer darauf an...WIE die Gerichte entscheiden werden.
      Vor allem können die immer weiter gehen..von einer Instanz zur nächsten. Das Thema ist mit Sicherheit noch lange nicht durch. Beide haben Alles zu verlieren oder zu gewinnen.
      Da wird keiner kampflos aufgeben.
      Da beide Kandidaten nicht der Mehrheit der Amis gefallen...haben wir diese vertrackte Situation.

      gruss Dallas
      Avatar
      schrieb am 23.11.00 14:01:29
      Beitrag Nr. 3 ()
      So gering kann die Bedeutung für die Börsen nicht sein.
      Im ntv-Bericht von der Nasdaq konnte man gestern sehen, welche Auswirkung jede einzelne Nachricht hat. In diesem Fall liess die Nachricht, dass ein Bezirk nicht mehr weiterzählen will, die Kurse sofort steigen. Als dann bekannt wurde, dass Gore gerichtlich dagegen vorgeht, ging es direkt wieder runter. Sagenhaft!

      Gruß, The Mess
      Avatar
      schrieb am 23.11.00 14:04:38
      Beitrag Nr. 4 ()
      Da die Gerichte die Verfassung beugen, denn sonst dürfte eine Handauszählung garnicht stattfinden, wäre doch auch die Möglichkeit gegeben, daß Billy eine dritte Amtszeit bekommt.

      Gruß Rolf, der behalten will
      Avatar
      schrieb am 23.11.00 14:22:33
      Beitrag Nr. 5 ()
      @alle

      solange hier keine Entscheidung gefallen ist, investiere ich
      äusserst ungern.
      Freitag ist, wegen der verkürzten Handelszeiten, wohl auch
      nur mit einem schwachen Markt mit geringen Umsätzen in den
      Staaten zu rechnen.
      Wenn es eine signifikante Wahrscheinlichkeit geben würde,
      daß wir spätestens Dienstag einen neuen US-Präsidenten
      sehen, würde ich mich Freitag wieder positionieren.
      Bei der Hängepartie bleib ich mal lieber draussen.
      Ausserdem muß man wohl auch den Nahen Osten "im Auge" be-
      halten, da könnte schon das nächste Ungemach drohen.
      Tschau, SoS

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      Avatar
      schrieb am 23.11.00 14:45:41
      Beitrag Nr. 6 ()
      Teil 1


      Kann diese Wahl zur einer werden

      US-Wahlsystem: ein Rezept zum Chaos

      Die Weltöffentlichkeit lacht über das US- Wahldebakel und die Amerikaner fragen sich immer drängender: Wie konnte das passieren? Die Zeitung "USA Today" gab am Dienstag die Antwort: "Unser Wahlsystem ist ein Rezept zum Chaos."

      Das Durcheinander beginnt mit den verschiedenen Systemen, die zur Stimmabgabe genutzt werden. Sie reichen vom traditionellen Bleistiftkreuz auf dem Wahlzettel über die in Florida zur zweifelhaften Berühmtheit gekommenen Stanzen bis zu modernen elektronischen und computergestützten Wahlmaschinen. Es gibt auch kein einheitliches Wahlgesetz in den USA. Die 50 Bundesstaaten und mehr als 3000 Counties (Bezirke) haben alle eigene Regeln. "Bis auf die Müllabfuhr ist kaum eine öffentliche Aufgabe so dezentralisiert wie die Wahlorganisation", sagt Norman Ornstein vom wirtschaftsnahen American Enterprise Institut.

      So gibt es von Staat zu Staat verschiedene Öffnungszeiten der Wahllokale, die äußerst unterschiedlich mit Personal und Ausrüstung ausgestattet sind. In vielen Städten mussten Wähler bis zu drei Stunden warten, ehe sie ihre Stimme abgeben konnten. Vor allem Ältere und Kranke gaben bald auf. Viele andere hatten schlicht nicht die Zeit zu warten. Denn Wahlen finden in den USA traditionell an einem Dienstag statt, dem früheren Markttag in vielen ländlichen Gegenden.

      Arbeitgeber sind zwar gehalten, ihren Beschäftigen Zeit zum Wählen einzuräumen, aber das ist nicht immer der Fall. "USA Today" beschreibt den Fall eines Mechanikers aus Florida, der angewiesen wurde, während seiner 30-minütigen Mittagspause zu wählen. Dafür musste er aber einen Weg von 30 Meilen (knapp 50 Kilometer) und zurück fahren. Die von Bezirk zu Bezirk verschieden gestalteten Stimmzettel sind ein weiteres Problem.

      Also wird nicht nur in Florida weiter gezählt und gestritten. In New Mexico sind gerade wieder 500 zusätzliche Stimmen für den Demokraten Al Gore gefunden worden. In New Hampshire ist der Vorsprung des Republikaners George Bush durch die Korrektur von Computerfehlern um 1000 Stimmen kleiner geworden. In Colorado dauert die Auswertung der ausschließlich per Briefwahl abgegebenen Stimmen weiter an. Es gibt Hinweise, dass manche Wähler zwei Briefe geschickt haben. In einem Bezirk von Michigan wurde tagelang ein Unentschieden zwischen Gore und Bush gemeldet. Nun fand sich noch eine Stimme für Gore.

      Herausstechend ist aber doch die Nachricht aus dem Allegheny- Bezirk in Pennsylvania. In dem aus dem 18. Jahrhundert stammenden Wählerverzeichnis wurden 890.000 Wähler geführt - 775.000 von ihnen sind entweder tot oder verzogen.

      Quelle: Holger Schmale, dpa

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      Teil 2


      Präsidentschaftswahlen und kein Ende

      Wer immer gewinnt, es wird ein Bastard sein


      Terry J. Allen

      Terry J. Allen ist Reporter aus dem US-Bundesstaat Vermont, der Text wurde als Kommentar des Bostoner Z-Net veröffentlicht

      Die nicht enden wollende achtzehnmonatige Präsidentschaftskampagne war ein von Robotern dargebotenes Menuett, die chaotische, weil nicht vorgesehene Nachwahlperiode nimmt sich dagegen wie ein Festgelage, eine ausgelassene Surprise-Party aus. Alle atmen auf: welche Erlösung. Schade nur, dass eine von diesen beiden mediokren Gestalten gewinnen muss. Die gute Nachricht jedoch ist, dass der Sieger des Endkampfs von Florida – wo zurzeit Hundertschaften von WahlhelferInnen, misstrauisch beäugt von republikanischen und demokratischen AufseherInnen, aus abgerissenen Kartonfetzen und halbbatzig gestanzten Lochkarten den «Wählerwillen» erraten müssen – von einem grossen Teil der Bevölkerung als illegitimer Präsident betrachtet werden wird. Dies ist nur gerecht, denn das wäre so oder so der Fall gewesen, auch ohne die Nachwahlkrise in Florida, die einige zu einer Verfassungskrise hochstilisieren wollen.

      Die Kampagnen von George W. Bush und Al Gore waren auf Hochglanz polierter Leerlauf, keine Leidenschaften, keine Inhalte, keine Überzeugungen. Es ging einzig darum, sich an den Meistbietenden zu verkaufen, indem man sich bei den Interessensgruppen anbiederte und der Macht des Geldes unterwarf. Drei satte Milliarden sollen die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen insgesamt gekostet haben, mehr als das anderthalbfache der Wahlen von 1996. Der ganze aufwendige Wahlvorgang – Primärwahlen, Parteikonvent, Händchen drückende Rundreisen – hatte herzlich wenig mit dem «Volkswillen» zu tun, das kalkulierte Parteiprogramm beider Kandidaten war so berechnend und artifiziell wie ein Schlossgarten voller beschnittener Bäume. Denn das System ist längst fest in den Händen der Eliten und des Big Business, welche die ganze abgefuckte Show choreografieren und finanzieren.
      Diesmal jedoch geriet das System just im entscheidenden Moment ausser Kontrolle. Und auf einmal realisierten Millionen von Menschen zu Hause und im Ausland, denen die USA ihr System unermüdlich als das perfekte Modell anpreisen, dass die Art und Weise, wie die «grossartigste Demokratie der Welt» ihre Führer auswählt, nur geringfügig demokratischer ist als ein Hahnenkampf.

      Mit der ganzen pneumatischen Anziehungskraft einer Massenkarambolage auf der Autobahn bietet der «Kampf ums Weisse Haus» richtig guten derben Spass und erweist sich in all seinen amüsanten Facetten als Wohltat fürs Land, vor allem im Hinblick auf die leider nur allzubald erfolgende, unausweichliche Auflösung des Dramas: dann nämlich, wenn eine dieser beiden Figuren sich im Oval Office installieren wird.

      Je länger die Krise andauert, desto besser. Zwar ist es nicht gerade eine Neuigkeit, dass das US-amerikanische Wahlrecht mit seinem «Electoral College», seinen angeblich das Volk repräsentierenden Elektoren hoffnungslos überaltert und zutiefst undemokratisch ist. Doch für einmal ist diese Information brandaktuell. Die Kandidaten und ihre nach Tallahassee vorgeschickten Jagdhunde kleiden sich ins superpatriotische Gewand und verkaufen jegliches eigennützige Manöver in diesem Endspurt als ihre totale Hingabe ans Volk, als altruistische, einzig dem Wohl des Landes dienende Geste. Bush sülzt, dass er «dem Volk vertraut», dass er «der Weisheit der Menschen vertraut», während Gore allen Ernstes davon faselt, dass es ihm «nicht um den Wettstreit, sondern einzig um die Demokratie» gehe. – Gibt es jemanden in Spuck- und Brechdistanz eines Fernsehapparats, der noch nicht gecheckt hat, dass das «Beste für das Land» tout par hasard genauestens mit den jeweiligen strategischen Bedürfnissen der Kandidaten übereinstimmt?

      Die zwei Heuchler zu nennen, hiesse freilich, den wahrhaften Heuchlern dieser Erde Unrecht zu tun, haben Letztere doch wenigstens Prinzipien, die sie verraten. Bush und Gore jedoch sind bloss zwei egomane Opportunisten. Bush etwa liess blitzschnell sein leitmotivisches «Vertrauen ins Volk» zugunsten von Maschinen und Staranwälten fallen, die per Gerichtsurteil Nachzählung von Menschenhand zum Stillstand bringen sollten. Er verriet dabei sogar seine eigene Arbeit, hatte er doch vor drei Jahren als Gouverneur von Texas ein Gesetz unterschrieben, welches im Fall einer umstrittenen Abstimmung eine manuelle Nachzählung empfiehlt. Dafür warf er sich, noch bevor alle Stimmen in Florida ausgezählt waren, den präsidialen Mantel um, indem er seine Berater in den Gouverneurspalast in Austin beorderte und gezielt Namen seines «Übergangsteams» durchsickern liess, derweil er seine Gattin mit «First Lady Bush» titulierte.

      Gore seinerseits, der grosse, eine Valium-Gelassenheit ausstrahlende Stoiker, der seine nackte Ambition hinter dem dringenden – freilich erst bei Kampagnen-Halbzeit entdeckten – Bedürfnis, «für das Volk (zu) kämpfen», kaschierte, liess sich vornehmlich in seiner Washingtoner Residenz ablichten, wo er Kennedy-mässig eine kecke Runde Ball mit seiner Grossfamilie spielte, während seine Frontkämpfer – darunter die Crème der demokratischen Rechtsvertreter – vollmundig vor einem «überstürzten Urteil» (rush to judgement) warnten, dargeboten mit einem Unterton erlittenen Unrechts und möglicher Verschwörung.
      Und um alles mit der notwendigen Schwergewichtigkeit zu umgeben, holten beide Equipen zwei – seinerzeit nicht sonderlich erfolgreiche – Aussenminister a. D. aus der Versenkung, das Bush-Lager James Baker, das Gore-Lager Warren Christopher, die sich staatsmännisch-weisshaarig vor den Kameras zu gebärden und zitierbare Statements abzugeben hatten.

      Das Nachwahl-Spektakel ist für den Politjunkie das Pendant zum 0.-J.-Simpson-Prozess mit einem unter einem Berg von Klagen, Einsprachen und Appellen begrabenen und unter einem Ameisenhaufen von umstrittenen Stimmzetteln versteckten endgültigen Urteil, welches letztlich davon abhängt, wem es in diesem gnadenlosen Propagandakrieg gelingt, das «Wohl des Landes» häufiger und andächtiger heraufzubeschwören. Doch vergraben in diesem Trümmerhaufen eines missratenen Wahlgangs in Florida liegt auch eine ganze Menge nicht zu verachtender Volksweisheiten: Das «Electoral College» ist eine fundamental elitäre Institution, ausgeheckt von schnöseligen Gründervätern, um dem Pöbel eine direkte Kontrolle zu verwehren. Und trotz der Kopf-an-Kopf-Rennen in einzelnen Bundesstaaten lernten wir auf anschauliche Weise (dank der rund um die Uhr am Bildschirm ausgestrahlten detailgenauen Tabellen), dass eben nicht jede Stimme zählt, weil nicht jede Stimme gezählt wird. Dass die Wahlresultate ungenau sind und sich Voreingenommenheit, ja sogar Betrug bemerkbar machen. Dass die Zahl der UrnengängerInnen, die aufgrund von fehlbehandelten, unklaren oder unleserlichen Stimmzetteln ihr Wahlrecht nicht ausüben können, nur insofern beachtenswert ist, als sie diesmal überhaupt eine Nachricht wert waren. Die Gerichte und die Aufsichtsbehörden sind oft genauso parteiisch wie die Politiker, denen sie verpflichtet sind. Und das Gewicht, das man diesmal der Briefwahl aus Übersee inklusive jener der Streitkräfte, beizumessen gezwungen war (in Kalifornien etwa rechnet man mit einer Million BriefwählerInnen) veranschaulicht bloss, wie wenig Bedeutung diesen in der Vergangenheit beigemessen wurde.

      Doch viel beunruhigender sind Berichte – nicht zuletzt auch aus den nunmehr im Rampenlicht stehenden Wahldistrikten West Palm-Beach, Broward und Dade in Florida –, nach denen eine beachtliche Zahl von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Vorstrafenregisters oder als Folge behördlicher Schikane (etwa eine zufällig in der Nähe eines Wahllokals errichtete Polizeisperre zur angeblichen Festnahme eines flüchtigen Verbrechers oder das Einfordern von gar nicht benötigten Ausweisen und Angaben im Wahllokal selber) am Abstimmen gehindert wurden.

      Und während des gesamten Wahlgangs stimmte der Medienchor stets das immer gleiche Lied an, hörte man eine Nacht lang Falschmeldungen über Wahlergebnisse und musste man die austauschbare Parade von Experten über sich ergehen lassen, welche das Land als «zutiefst» geteilt beschrieben, wobei «zutiefst» irgendwie mit genau geteilt gleichgesetzt wurde. Dabei war die Mehrheit der AmerikanerInnen noch nie so geeint wie in dieser todlangweiligen Wahlperiode, geeint in ihrem fehlenden Enthusiasmus für beide Kandidaten. So brachte am Wahltag selber diejenige Hälfte der stimmberechtigten Bevölkerung, welche sich der Stimme enthielt, ihre Meinung genau so deutlich zum Ausdruck wie die andere Hälfte, die zu den Urnen ging.

      Wenn die endgültigen, amtlich bestätigten Wahlergebnisse endlich vorliegen, werden die Politiker und Politkommentatoren unweigerlich die daraus zu lernende Lektion lauthals verkünden: Dass das System – abgesehen von einigen notwendigen technischen Korrekturen – tadellos funktioniere. Wo doch die Schlussfolgerungen viel vernünftiger wären, dass das Electoral College, die indirekte Volkswahl, abgeschafft gehört; dass die Wahlkampagnen von der öffentlichen Hand finanziert werden und sämtliche Kandidaten kostenlos in Rundfunk und Fernsehen für sich werben können sollten, dass der ungebührliche Einfluss des «Corporate America» auf die Politik ein Ende nehmen muss.

      Die «Election 2000» ist eines jener einschneidenden historischen Ereignisse wie der Vietnamkrieg oder Watergate, welche das Wunschbild der Bevölkerung von den Politikern als Diener der Öffentlichkeit und einer dem Volk verpflichteten Regierung jäh zerstörte. Trotz einer gegenteiligen hartnäckigen Medienpropaganda und trotz der hochtrabenden Versprechen der PolitikerInnen wird diese Wahl bei den meisten einen schalen Geschmack hinterlassen in der Überzeugung, dass der Präsident kein wirkliches Mandat erhielt. Einigen wird klar sein, dass die Anomalie dieser Wahl nicht so sehr in der Tatsache der präsidialen Illegitimität lag, sondern in der Tatsache, dass dies so offensichtlich wurde. Bleibt abzuwarten, ob diese Erkenntnis zu Zynismus und Resignation führt oder Aktivismus hervorruft, ob man sich damit begnügt, einen Sündenbock für das Fiasko zu finden oder zu radikalen Reformen schreitet.
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      Teil 3





      NEUES AUS ABSURDISTAN!

      Loch oder Nicht-Loch?

      Alle Welt schaut auf Florida: Die Nachzählung der Stimmkarten entscheidet über das Schicksal der Weltmacht Amerika

      Ein Republikaner krabbelt über den Boden. Akribisch klaubt er Konfetti-Schnipsel auf: Hunderte winzige Pappquadrate, die unter Tischen und Stühlen verstreut liegen. Wie Hostien hält er sie zwischen Daumen und Zeigefinger hoch, verstaut sie in einem braunen Briefumschlag, versiegelt diesen, schreibt "Beweismaterial" darauf und hält ihn der Kontrollbeamtin, einer Demokratin, triumphierend vors Gesicht. "Mrs. Burton", zischt er, "wir sehen uns vor Gericht!"

      Denn für den Republikaner ist die konfiszierte Konfetti-Sammlung nichts Geringeres als Nachweis nachträglich manipulierter Stimmkarten. "Ein Indiz möglichen Wahlbetrugs", wird er später sagen. Carol Burton, Regierungsbevollmächtigte für den Landkreis Palm Beach, zuckt allerdings nur müde die Schultern: "Soll das Konfetti doch fallen, wo`s fällt."

      Zwei Wochen nach dem US-Wahldebakel. Wir befinden uns im geografischen Herzen der Affäre: in West Palm Beach an Floridas Ostküste, in einer fensterlosen, unterkühlten Aula am Flughafen, die sonst als Hurrikan-Warnzentrale dient. 60 Freiwillige sitzen hier an langen Resopaltischen und halten Lochkarten vors Neonlicht. Einzeln und nacheinander, insgesamt 462.657 Stück. Eine Sisyphos-Arbeit. Im Zeitlupen-Tempo inspizieren sie die Karten. Sichten sie, drehen sie, wenden sie, betasten sie. Manche beschnuppern sie wie Wein. Und verteilen sie dann, unter notarieller Aufsicht, auf drei Stapel: "Gore", "Bush", "fraglich". Demokratie zum Anfassen - wortwörtlich: Dass da schon mal ein paar Kartonreste unter den Tisch fallen, darf einen nicht wundern.

      Ach was: Gar nichts darf einen mehr wundern in West Palm Beach. Denn in der beschaulichen Rentner- und Millionärs-Kolonie wird, wie uns Lochkartenzähler Charles Anderson zur Lunchpause aufklärt, neuerdings "richtig Geschichte gemacht". Da hat der Mann nicht Unrecht: Das Schicksal der Nation liegt in Händen dieser übernächtigten Wahlhelfer, die nun den in Pappe gestanzten Wählerwillen "interpretieren" müssen, auf dass endlich der neue Präsident ermittelt werde. Dabei gewinnt jede Kleinigkeit staatstragenden Wert: Karten, Löcher und Konfetti.

      Das Leben ist manchmal besser als jede Satire. Vor allem also hier in Florida, dem Epizentrum des US-Wahlbebens, wo ein paar jüdische Omis in himmelblauen Zuckerwatte-Perücken aus Versehen für einen schlechten Hitler-Imitator stimmten. Und so, zwischen Brotzeit und Bingo, mal eben das politische Gebälk einer Supermacht zum Knarren brachten.

      Eine Parabel von den Fußangeln der Demokratie, wie sie nirgends besser geschrieben werden könnte als in Florida, dem Staat der Surfer, Senioren und Sonnenstiche. Eine Parabel, die allein schon von ihren filmreifen Darstellern lebt - besonders von den Frauen, deren Namen längst zum Vokabular des mündigen US-Bürgers gehören. Katherine Harris: Floridas Innenministerin und Vize-Wahlkampfchefin George W. Bushs, die sich, einen Botschafterposten im Visier, mit allen Mitteln zu profilieren versucht, indem sie Al Gore um den Wahlsieg bringt. Theresa LePore: die Wahlbeauftragte, die über ihren Privatentwurf einer seniorenfreundlichen Stimmkarte zur allseitigen Persona non grata wurde und seither bußfertig Stahlkisten mit den inkriminierten Formularen durch die Verwaltungsflure schleppt. Carol Roberts: Regierungsbevollmächtigte mit Jackie-O.-Brille und "Tootsie"-Raucherstimme, die notfalls "in den Knast gewandert" wäre, um die Stimmen-Nachzählung zu erzwingen.

      Doch auch die Männer sind nicht ohne. Nehmen wir Kendall Coffey, Al Gores Chef-Kläger in Florida. Den Ex-Bezirksstaatsanwalt von Miami nennen sie hier nur "Pitbull": ein Spitzname, den er sich im Nightclub "Lipstick" verdiente, wo er sich 1996, über einer 900-Dollar-Magnumflasche Dom Perignon, erfolgreich gegen die Avancen einer Stripperin zur Wehr setzte - mittels eines gut gezielten Bisses. Coffey verlor seinen Job, eröffnete eine Privatkanzlei und verdiente sich die telegenen Sporen, indem er den Flüchtlingsjungen Elián González zurück nach Castros Kuba klagte. Oder Coffeys Gegenspieler Barry Richard: langjähriger Demokrat im Parlament von Tallahassee, bis heute Mitglied der demokratischen Partei - und trotzdem jetzt ein knallharter Bush-Anwalt. Stunden-Honorare von 500 Dollar überbrücken alle Parteigrenzen.

      Hinzu kommen farbige Statisten wie etwa die Gelegenheits-Gauner Mark Richter und Steven Solomon. Die klauten in Palm Beach eine komplette Wahlmaschine, Baujahr 1978, im Glauben, sie samt Original-Stimmkarte übers Internet-Auktionshaus E-Bay verhökern zu können, Mindestgebot 20.000 Dollar: "Besitzen Sie ein Stück Zeitgeschichte!" Statt an den Kurator des National Museum of American History, der sich vor Ort interessiert zeigte, verkauften sie das Gerät aber dummerweise an zwei Undercover-Polizisten.

      Only in Florida. "Florida spinnt", weiß der Historiker Paul George - selbst aus Miami. Da war es nur eine Frage der Zeit, dass die Geschicke des Landes eines Tages an jenem Landzipfel hängen würden, für den Internet-Kolumnist Andrew Leonard jetzt anregte, ihn "einfach abzuschneiden, um unsere Verluste zu verringern".

      Denn immer schon sind die Psychosen der Nation unterm Brennglas der Sonne Floridas schneller entflammt als anderswo. Florida, "Sammelbecken gesellschaftlicher Außenseiter", wie Miamis Stadt-Chronist Carl Hiaasen schreibt - Außenseiter, die es nur hier zu etwas bringen konnten. Der Bürgermeister von Miami etwa, dessen Wählerlisten 17.000 Tote umfassten. (Beliebter Trick: Auch diesmal gingen in Fort Lauderdale und Miami 39 Mörder und Dealer zur Wahl, obwohl ihnen der Urnengang gesetzlich verboten war.) Oder die Bezirksrätin von Volusia, die ihren Wählern in einer TV-Talkshow eröffnete, sie sei durch Außerirdische vom Krebs geheilt worden. Die Ratschefin von Hialeah, die einen Untergebenen anheuerte, ihren geschiedenen Mann umzubringen. Der Regierungsbeauftragte, der an Miamis Biscayne Boulevard mit einer Prostituierten Crack rauchte, derweil sein Dienst-Mercedes gestohlen wurde.

      Fasziniert schaut die Welt also nun auf eine hitzeglühende Industrie-Brache wenige Meilen außerhalb der glasverspiegelten Downtown von West Palm Beach. Hier, zwischen der Striptease-Bar "Meerjungfrau" und dem Schusswaffen-Club, befindet sich das Emergency Operations Center: das Schaltzentrum der Kommunalverwaltung im Falle eines Hurrikans. Das hat die Behörde diesmal dankenswerter Weise zur Bewältigung des Desasters aus Menschenhand verfügbar gemacht.

      DIE STIMMKARTENZÄHLER IM WUNDERLAND DER TECHNIK

      Drinnen herrscht die Zucht eines Rekrutenlagers. Die Stimmkarten-Zähler - Angestellte der Stadt, die ein 15-minütiges Training absolviert haben - sitzen in Zweier-Teams vor Papierstapeln. Hinter ihnen je ein Ombudsmann der Demokraten und der Republikaner (damit keiner mogelt), selbst wiederum von rotierenden Anwälten beäugt. Gezählt wird in zwei Sieben-Stunden-Schichten am Tag, Stundenlohn 7,50 Dollar, Durchschnitts-Zähltempo im Saal: 400 Karten pro Stunde. Smalltalk ist untersagt, ebenso abfälliges Grimassenschneiden und Essen am Arbeitsplatz. Wer aufs Klo muss, hebt die Hand.
      "Dies ist meine Patriotenpflicht", sagt Zählerin Debbie Bradley. 1000 Wahlkarten habe er gestern gezählt, berichtet Kollege Gary Dernlan stolz, ein Angestellter der Wasserbehörde. "Und nicht ein einziger hängender Chad!" "Chads" sind die ausgestanzten Pappreste der Lochkarten; selbst Fernsehzuschauer in Weißrussland wissen ja längst zwischen "hängenden" (nicht ordentlich gestanzten) Chads und "schwangeren" (nur ausgebeulten) Chads zu unterscheiden.


      Dafür sorgt der Medienzirkus, der draußen campiert: Hunderte Ü-Wagen, Wohnbusse, Zelte. Lokale Reporter-Stars richten ihre vom Diesel-Dunst malträtierten Föhnwellen. Wir erkennen die fesche Suzanne Malveaux vom Kabelsender MSNBC, der sich über die höchsten Quoten seiner Geschichte freut. Und, in einem Regiestuhl ruhend, die bärbeißige CNN-Justiz-Expertin Greta van Susteren, die ihre Karriere der Mutter aller Medien-Spektakel verdankt: dem O.-J.-Simpson-Prozess. Und da noch ein vage vertrautes Gesicht, das wir erst nach einer Weile einordnen können: Donato Dalrymple - jener zwielichtige Exilkubaner, dem ein FBI-Einsatztrupp bei der berüchtigten Razzia von Little Havanna den kleinen Elián González aus dem Arm riss. "Ich bin hier, um Bush zu unterstützen", sagt Dalrymple, angesichts einer Kamera in rhythmischen Sprechgesang fallend: "Go, Bush! Go, Bush!"

      Dalrymples Rufe stoßen aufs freudige Echo von etwa 100 Republikanern aller Altersklassen, die gegen die Handzählung protestieren. Von grün uniformierten Sheriffs bewacht, marschieren sie auf dem Gehweg hin und her: 20 Schritte hin, 20 Schritte her. Sie tragen handgemalte Schilder ("Gore ist ein Nazi"; "Gott hat das letzte Wort"; "Wo bleibt die Neuauszählung der Lottozahlen?") und johlen in den Feierabendverkehr, der mit herzlichem Hupen antwortet.

      Selbst Hotdog-Verkäuferin Laura Levelle ("Wurst-Special": 3,75 Dollar) hat ein Plakat an ihrem Ofenstand, in dem sie sich als Sympathisantin von Innenministerin Harris bekennt. Eine Gesandtschaft des Florida Prayer Network aus Tallahassee betet für baldige Beilegung des Konflikts, aus den Sprüchen Salomons zitierend: "Wenn der Gerechten viel sind, freut sich das Volk; wenn aber der Gottlose herrscht, seufzt das Volk." Ein Mann schwingt die konföderierte Sezessions-Flagge. "Frohe Weihnachten aus Palm Beach", steht auf den Plakaten eines Pärchens in Nikolauskostümen. Und die Angestellte Alicia Sheerin hat sich als riesiger roter Filzstift verkleidet - nicht aus politischer Überzeugung, sondern als PR für ihre Filzstift-Firma.

      Demokratie zum Anfassen. In Florida ist das Leben eben immer besser als Satire. Bleiben Sie dran, rät Miamis Chronist Carl Hiaasen allen Interessierten: "Nach unserer jüngsten Geschichte zu urteilen, sind weitere bizarre Wendungen zu erwarten."

      Quelle: Die Woche > von Marc Pitzke <


      Cpoon
      Avatar
      schrieb am 23.11.00 15:07:32
      Beitrag Nr. 7 ()
      @ all...das ganze Wahldebakel ist eigentlich nur noch *peinlich*...DIE Welt und Hightech Macht...und die ganze restliche Welt LACHT...

      gruss Dallas...die auch lachen würde...wenn ihr Depot nicht so angefressen aussehen würde...:(


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