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    wer vierzig tage - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 07.03.02 12:47:28 von
    neuester Beitrag 25.09.03 08:19:23 von
    Beiträge: 17
    ID: 562.204
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      schrieb am 07.03.02 12:47:28
      Beitrag Nr. 1 ()
      mit leuten zusammenlebt, wird einer von ihnen (arabisches sprichwort)

      ...... italien kann uns nicht gleichgültig sein... wir werden uns entscheiden müssen, ob wir im europäischen haus mit berlusconi oder benigni leben wollen. metaphorisch gesprochen......



      07.03.2002 11:00

      Italien

      Berlusconi contra Benigni

      Benigni mit Eiern bewerfen - diese konstruktive Art der Meinungsäußerung schlägt der Chefredakteur einer Zeitung vor, die Berlusconis Frau gehört.


      (SZ vom 7.3.2002) - In dem Film "Das Leben ist schön" spielt Roberto Benigni einen Halbjuden, der mit seinem Sohn in ein KZ gesteckt wird und die schreckliche Situation erträglich gestaltet, in dem er sich über sie lustig macht. Manchmal funktioniert das.

      Das Schreckliche kam für den Oscarpreisträger aber auch in Gestalt von Silvio Berlusconi daher. Und wie im Kino bekämpft Benigni den Ministerpräsidenten und Außenminister mit seiner besten Waffe, der Komik. Berlusconi werde einen deutschen Schäferhund zum Verteidigungsminister bestellen, prophezeite er vor der Parlamentswahl im vergangenen Jahr.

      Viele Italiener haben gelacht, vielleicht zu wenige, Berlusconi nicht.

      Jetzt kündigte Guiliano Ferrara, Chefredakteur der Mailänder Tageszeitung Il Foglio an, Benigni beim Schlagerfestival in San Remo mit Gartenfrüchten zu besudeln. Il Foglio gehört Veronica Lario, Berlusconis zweiter Frau. Berlusconi gehört ein landesweiter privater Medientrust, er hat die politische Macht und die Kontrolle über das öffentlich- rechtliche Fernsehen RAI.

      Humor allein wird vermutlich nicht mehr reichen, um sich mit der Gefahr auseinanderzusetzen, die von so einem Regierungschef ausgeht.
      Avatar
      schrieb am 07.03.02 13:04:00
      Beitrag Nr. 2 ()
      Die Italiener können ja bei der nächsten Wahl eine andere Parlamentsmehrheit herstellen. :confused:
      Avatar
      schrieb am 07.03.02 13:59:22
      Beitrag Nr. 3 ()
      Einer meiner Lieblingsfilme :D
      Avatar
      schrieb am 07.03.02 19:18:24
      Beitrag Nr. 4 ()
      M A F I A

      Paten im neuen Gewand

      Früher hantierte die sizilianische Mafia mit Dynamit, heute regelt sie ihre kriminellen Geschäfte online. Die Cosa Nostra bekämpft den Staat nicht mehr, sondern geht in ihm auf

      Von Walter de Gregorio
      Antonio Ciavarello sah seinen Schwiegervater erstmals nach der Hochzeit. Eine Stunde durfte er mit ihm reden, umarmen konnte er ihn nicht. Vier Zentimeter dickes Panzerglas trennten ihn von seinem neuen Papa. Die kurze Besuchszeit im Gefängnis genügte immerhin, um ein klares Urteil zu fällen. "Diese Augen, dieser Blick - mein Schwiegervater strahlt eine Wärme aus, die ich nie zuvor bei jemandem erlebt habe." Alles hatte Antonio versucht, dass der Schwiegerpapa bei der Hochzeitsfeier dabei sein konnte - hatte verschiedene Anwälte eingeschaltet, dem Gefängnisdirektor in Ascoli Piceno und der Staatsanwaltschaft in Palermo Briefe geschickt mit Kopien ans italienische Justiz- und Innenministerium. "Die Behörden zeigten kein Herz", sagt Ciavarello.
      Die Hochzeit zu verschieben hätte nichts gebracht. Theoretisch kommt Ciavarellos Schwiegervater ums Jahr 3500 frei. Zwanzig lebenslängliche Haftstrafen muss er, von Italiens Karikaturisten sinnigerweise Godot genannt, wegen mehrerer Dutzend Morde absitzen. Bis zu seiner Verhaftung im Januar 1993 galt er als capo dei capi, als oberster Boss der sizilianischen Mafia, welche die Paten selbst Cosa Nostra nennen, "unsere Sache". Salvatore Riina - für Freunde schlicht Onkel Totò oder Totò u` curtu, Totò der Kurze, geheißen - war in den Augen der Strafbehörden der Gewalttätigste von allen. Sowohl das Bombenattentat auf Richter Giovanni Falcone im Mai 1992 als auch jenes auf Richter Paolo Borsellino wenige Wochen danach gehen auf sein Konto. Ganz zu schweigen von unzähligen Mordanschlägen in Zusammenhang mit internen Machtkämpfen rivalisierender Mafiaclans.

      Die Fahnder sind überzeugt, dass auch Ciavarello, der Schwiegersohn des Paten, früher oder später in den Sog der Cosa Nostra gezogen wird - wenn dies nicht schon lange geschehen ist. Viele in Italien glauben, das Geld sei der Grund, sich der Mafia anzuschließen. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Antonio Ciavarello wurde ein Ehrenmann, weil er zuvor in Palermo ein Herr Niemand war. Nachher hätten, wo auch immer er hinging, die Leute ehrfürchtig den Kopf gesenkt. Für ihn habe dieser Respekt keinen Preis gehabt. Ciavarello nennt heute niemand mehr Baccalà e salsiccia, Stockfisch und Wurst, obwohl er nach wie vor 150 Kilo wiegt. Jetzt ist er der Schwiegersohn des Paten, stellt sich als Tony vor und nicht mehr als Tonino.

      "Ich kann nicht für die Fehler anderer büßen", sagt er im Black & White-Pub, der am Dorfeingang von Corleone liegt. Vor acht Jahren hat er seine Frau, Maria Concetta, in ebendiesem Pub kennen gelernt, wo er jetzt für das Gespräch - "ohne Aufnahmegerät" - bereitsteht. Zum Interview bringt er einen Freund mit; Tony sei ein guter Junge, sagt der gleich ungefragt, ohne dass klar wäre, wer er ist. Die wahren Mafiosi, so der Freund weiter, seien die Politiker, die es Tony verbieten, ein normales Leben zu führen. "Ich habe nichts verbrochen, außer die Tochter Riinas zu heiraten", ergänzt Ciavarello, der zuckerfreien Eistee bestellt. Keines der Getränke, die er während des einstündigen Gesprächs am Tisch konsumiert, bezahlt er. Ein souveräner Blick Ciavarellos zum Mann hinter dem Tresen genügt, und auch der Versuch des Besuchers, wenigstens seine Zeche zu begleichen, scheitert. "Ich regle das mit Tony", sagt der Kassierer standhaft.

      Als Ciavarello die Tochter des Paten erstmals zum Sonntagsspaziergang ausführen durfte, wusste er, dass dies Konsequenzen haben würde. Nicht nur die Blicke der famiglia weiß er seither auf sich gerichtet, sondern auch die der Polizei. Ciavarello studierte am Musikkonservatorium in Palermo und war der Einzige seiner Klasse, der eine persönliche "Eskorte" besaß - immer zwei Zivilfahnder im Gleichschritt mit ihm. Inzwischen hat Tony die Trompete an den Nagel gehängt. Er arbeitete als Gelegenheitsmechaniker und ließ sich zum Informatiker ausbilden.

      Vor zwei Jahren hat er mit Schwager Giuseppe Riina, dem jüngeren von Totòs zwei Söhnen, ein Ersatzteillager für Traktoren in Corleone übernommen. Das Geschäft lief ganz ordentlich, bis die Handelskammer Anfang dieses Jahres den beiden Jungunternehmern die Lizenz entzog. Sie hätten ein Antimafiazertifikat vorweisen müssen, das ihnen die Behörden verweigerten.

      Der Grund für die Ablehnung ist im letzten Semesterbericht der nationalen Antimafiabehörde DIA nachzulesen, der im Dezember 2001 der parlamentarischen Sicherheitskommission zur Prüfung vorgelegt wurde. "Die Mafia", steht darin, "setzt seit geraumer Zeit auf eine neue Strategie. Ziel ist es, die totale Unsichtbarkeit der Organisation zu erreichen. Keine Gewaltakte, die Aufsehen erregen. Kein Verhalten, dass Verdacht schöpfen lässt." Um diese Strategie zu verfolgen, hält der Bericht fest, umgebe sich die Mafia immer häufiger mit Leuten, die von den Sicherheitsorganen nicht erfasst werden, weil sie in keinem Strafregister aufgeführt seien. "Diese Strohmänner sind meistens gebildet, haben beste Kenntnisse der modernen Technologie, führen ein unauffälliges Leben", heißt es weiter. Ganz normale Leute also. Leute wie Antonio Ciavarello.

      Drei Jahre lang wurde Ciavarello von der Staatsanwaltschaft in Palermo unter Hausarrest gestellt. Er durfte morgens nicht früher als um sieben aus dem Haus und abends nicht später als um acht wieder zurückkehren. Bei jedem Ortswechsel musste er die Polizei benachrichtigen. Die Behörden waren sich sicher, dass er als Postbote Informationen an untergetauchte Mafiamitglieder der Riina-Familie weiterleiten würde. Deshalb griffen sie zu dieser Präventivmassnahme, die rechtlich gesehen zweifelhaft ist, die aber die italienischen Antimafiagesetze durchaus zulassen.

      Nichts haben die Fahnder entdeckt. Auch die Wanzen, die sie in Ciavarellos Auto, in seiner Wohnung und im Black & White-Pub installierten, brachten nichts. Bei Ciavarellos Vermählung waren die Beamten mit Kameras und Mikrofonen dabei - es war das erste Mal, dass die Familie eines Mafiapaten eine Hochzeit öffentlich feierte.

      An jenem 6. September letzten Jahres, als in der Dorfkirche zu Corleone Antonio Ciavarello der Tochter des Paten das Jawort gab, fehlte neben Schwiegerpapa Riina auch Giovanni, sein älterer Schwager. Schon mit 18 war er straffällig geworden: Schlägereien, Erpressung, Hehlerei. Heute ist er 25 und sitzt eine lebenslängliche Haftstrafe ab. Knapp 20 war Giovanni, als er seinen ersten Mord verübte. Den Körper des Opfers löste er in Säure auf. Die anderen drei Morde hat er "nur" in Auftrag gegeben. Beim Prozess plädierte sein Anwalt deshalb für Strafmilderung - ohne Erfolg. Vor drei Monaten entsprach das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft und sperrte Giovanni für den Rest seines Lebens weg.

      Die Zeit der großen Ballerei ist in Corleone vorbei. Zwischen 1943 und 1961 wurden noch 52 Morde begangen und eine unbestimmte Anzahl Verbrechen, die als lupara bianca bezeichnet werden, als "weiße Schrotflinten". Das sind Morde, bei denen die Leiche nie gefunden wird. Dem Dorf brachte es den Beinamen Tombstone (Grabstein) ein, und den Hollywood-Regisseuren und Mafiaromanciers lieferte der Ort farbige Vorlagen. Heute ist Corleone, das man von Palermo aus über eine gewundene Landstraße in einer halben Stunde erreicht, zumindest dem Anschein nach ein Dorf wie jedes andere. In den Vitrinen der Geschäfte liegen die neuesten Gucci-Brillen, und die Buchhandlung an der Piazza legt selbstbewusst Bücher zur Mafia aus. Nur hinter der Fassade stimmt die Idylle nicht. Jedes Haus, bestätigen Fahnder hinter vorgehaltener Hand, ist direkt mit dem Polizeikommando verkabelt - es gibt hier mehr Wanzen als Menschen.

      "Die Mafia ist ein historisches Phänomen, das einen Anfang hat, eine Entwicklung und ein Ende. Heute sind wir fast am Ende angelangt." Mit diesen Worten eröffnete UN-Vizegeneralsekretär Pino Arlacchi im Dezember 2000 den UN-Kongress zur Organisierten Kriminalität in Palermo. Am Tag nach seiner Rede korrigierte er sich. Die Mafia sei vorübergehend inaktiv, könne aber jederzeit wieder aufblühen. Einen weiteren Tag später korrigierte er sich abermals. Die Mafia habe gar nie aufgehört zu existieren, sondern sei lediglich ruhiger geworden. Inzwischen hat Arlacchi sein UN-Mandat abgegeben, und der Streit um die wahre Natur der Mafia ist seither nicht abgeklungen. Für die einen ist die Ruhe ein klares Zeichen für die Krise, in der sich die Mafia befindet. Für die anderen bedeutet es das Gegenteil: Die Mafia hat gemerkt, dass sie auf Samtpfoten mehr erreicht als mit Dynamitstangen.

      Für Palermos Oberstaatsanwalt Piero Grasso steht fest: "Die Mafia fühlt sich heute stark wie nie. Sie muss nicht mehr zur Gewalt greifen, um ihre Geschäfte zu tätigen." Die neue Mafia besinne sich, paradoxerweise, auf alte Werte: Sie verschwinde vordergründig aus dem öffentlichen Leben, weil sie gemerkt habe, dass die großen Attentate vor allem ihr selbst geschadet haben. Der Wille der Bevölkerung, sich gegen die Mafia aufzulehnen, sagt Grasso, sei nie so groß gewesen wie nach der Ermordung der beiden Richter Falcone und Borsellino vor zehn Jahren. "Heute erleben wir eine Rückkehr zur Antike, ein Revival der alten Strategien, der alten Denkmuster, des alten Verhaltenscodex: Infiltrieren und koexistieren statt von draußen den Staat und die Gesellschaft frontal zu bekämpfen - so lautet das Losungswort des neuen Jahrtausends."

      Keiner verdeutlicht diesen Wandel besser als Bernardo Provenzano. Das mag erstaunen, Provenzano ist 69 Jahre alt. Seit der Verhaftung Riinas 1993 ist er die Nummer eins der sizilianischen Mafia. Wie Riina gehört er der alten Garde an, wie dieser stammt er aus Corleone.

      Im Gegensatz zu Riina hat er aber dazugelernt, gilt heute als moderat, soweit dies in der Cosa Nostra möglich ist. In den fünfziger Jahren war er ein zuverlässiger Killer, der sich mit seiner Skrupellosigkeit beim Mafiaclan von Luciano Liggio Ruhm und Respekt verschafft hatte. Provenzano wurde "`u tratturi" genannt, weil er wie ein Traktor funktionierte. Kein Hindernis, das ihn aufhielt, kein Pflaster, auf das er sich nicht wagte. Sein letzter Mordanschlag, der aktenkundig ist, reicht fast vierzig Jahre zurück. Seither ist der Traktor erfolgreich auf der Flucht - selbst für italienische Verhältnisse ein Rekord.

      An jenem 9. Mai 1963, als er das letzte Mal öffentlich gesehen wurde, sollte Provenzano im Auftrag Liggios ein Mitglied des rivalisierenden Navarra-Clans umbringen. Der Anschlag misslang. Vier Monate später starb der Mann bei einem anderen Anschlag. Die Fahndung konzentrierte sich auf Provenzano. Obwohl er in den folgenden Jahren heiratete, zwei Kinder zeugte, die in einem öffentlichen Spital zur Welt kamen und beim Geburtenregister in Corleone ordnungsgemäß eingeschrieben wurden, fehlt von Provenzano bis heute jede Spur. Das letzte Fahndungsfoto stammt aus dem Jahre 1959. Selbst sein Bruder Sergio, der seit über dreißig Jahren in Nordrhein-Westfalen lebt, behauptet, er würde ihn nicht mehr erkennen. "Ich habe ihn nie mehr gesehen, seit ich Sizilien verlassen habe."

      Zur Silvesterparty waren Provenzanos Frau und ihre beiden erwachsenen Kinder aus Corleone angereist. Eingeschleuste Spitzel hatten zuvor gemeldet, auch der Traktor wolle nach Deutschland kommen. "Gesetzt den Fall, dass er sich nicht als Tischbombe verkleidet hat", erklärte einer der italienischen Untersuchungsrichter später lakonisch, "haben wir nicht den geringsten Hinweis gefunden, dass Bernardo Provenzano sich bei seinem Bruder aufgehalten hätte." Nicht wenige sahen sich in ihrer Überzeugung bestätigt, dass der flüchtige Mafiaboss gar nicht mehr lebt und der Mafia wie auch manch korruptem Politiker als Alibi diene, um die Fahndungen in die falsche Richtung zu leiten. Der ehemalige Pate Tommaso Buscetta, der große Kronzeuge bei den Maxiprozessen von 1986, erklärte schon vor Jahren: "Ich glaube nicht, dass der italienische Staat wirklich die Absicht hat, die Mafia zu bekämpfen."

      Immer wieder haben sich die verschiedenen Sicherheitsorgane, die sich um die Mafia kümmern, selbst bekriegt, was Buscettas Verdacht bestärkt. Es gab Suspendierungen vom Dienst, mysteriöse Todesfälle von Informanten und manch undurchsichtiges Veto aus dem Innenministerium. Zuletzt sorgte ziemlich genau vor einem Jahr die Verhaftung Benedetto Speras für interne Querelen. Dieses Mal war es die Spezialeinheit der Polizei, DIA, die Provenzano auf den Fersen war. Als die Agenten das Bauernhaus in Mezzojusto bei Corleone stürmten, waren neben Spera, der rechten Hand des Paten, zwei weitere hochkarätige Mafiosi anwesend. Nur der Chef selber fehlte. Die Carabinieri-Einheit ROS beschuldigte ihre Kollegen von der Polizei, ihnen mit der überhasteten Aktion monatelange Arbeit vermasselt zu haben. Innenminister Enzo Biano musste abermals als Schlichter intervenieren. Immerhin konnten die Fahnder neben der Verhaftung der drei flüchtigen Mafiosi verschiedene Briefe sicherstellen, die für Provenzano bestimmt waren.

      Die Briefe hatten Provenzanos Ehefrau Saveria sowie der ältere Sohn Angelo geschrieben. Während sich die Frau des Paten um die Gesundheit ihres an den Nieren schwer erkrankten Gatten kümmerte und ihn ermahnte, "immer warme Wollsocken zu tragen", erläuterte Angelo verschiedene Investitionen, die er tätigen wollte. "Wenn du einverstanden bist, rede ich mit 512151522 191212154 darüber." Die ältere Mafia-Generation sprach bei ihren verschlüsselten Gesprächen von "Filet" und "Hammelkeule"; der Nachwuchs verwendet schlichte Zahlenkombinationen. Als erste Reaktion auf die Briefe wurde der Familie Provenzano die Wäscherei geschlossen, die sie im Zentrum Corleones, gleich neben dem Polizeikommando, betrieb. Nach Erkenntnissen der Behörden sollen dort nicht nur Leinentücher und Bettlaken gewaschen worden sein. Wer hinter den Zahlenkombinationen steckt, bleibt allerdings ein Rätsel.

      Mitte Januar dieses Jahres schließlich nahm die Squadra Mobile in Palermo 28 Personen fest, die, so die Staatsanwaltschaft, zum engeren Kreis von Provenzano gehören. Alle Verhafteten haben einen tadellosen Leumund. Der eine besitzt die Autofahrschule Primavera im Zentrum der Stadt, ein anderer ist Krankenpfleger im städtischen Spital, eine Dritte arbeitet als selbstständige Anwältin, deren Vater pensionierter Vermessungsingenieur des nationalen Straßenamtes Anas und deren Mutter Hausfrau ist. Die mamma war es auch, die durch eine Unachtsamkeit die Verhaftungswelle auslöste. Zermürbt von der ständigen Angst, entdeckt zu werden, sprach sie zu ihrem Ehegatten, ohne zu wissen, dass sie abgehört wurde: "Wenn Santa Barbera ein Mann mit Eiern wäre, würde sie sich der Polizei stellen. Sie hat nichts mehr zu verlieren, sie liegt im Sterben. Damit würde sie viele Familienväter entlasten, die durch sie in Gefahr sind."

      Santa Barbera ist einer der Codenamen für Provenzano. Der pensionierte Ingenieur Pino Lipari hat über Jahre für den Paten die so genannten appalti kontrolliert, die Vergabe öffentlicher Bauaufträge. Das System ist so einfach wie effizient: Beteiligt ist ein Softwarespezialist, der die Ausschreibung manipuliert, ein Postbeamter, der die eingeschriebenen Briefe zurückhält, ein Funktionär, der das "richtige" Anforderungsprofil definiert - am Ende sind nur Bauunternehmen in der Auswahl, die mit der Mafia zusammenarbeiten. Die Provision beträgt 30 Prozent des Auftragsvolumens. Um den Verlust zu kompensieren, werden die Rechnungen aufgeblasen und erstklassige Preise für drittklassige Qualität bezahlt. Zement, Eisen, Stahl kaufen diese Bauunternehmen bei Firmen, die ebenfalls von der Mafia kontrolliert werden.

      "Ich habe oft mit irritierender Bewunderung und Neid feststellen müssen", schrieb Richter Giovanni Falcone kurz vor seiner Ermordung, "wie ungemein funktional und effizient die Ehrenwerte Gesellschaft im Vergleich zu unserem Staat funktioniert." Zwischen 1988 und 1998 ging über die Hälfte der gesamten Unterhaltsarbeiten für Siziliens Straßen an die Mafia. Die A 19 von Palermo nach Catania und die A 29 von Palermo nach Trapani wurden komplett von ihr gebaut. In den nächsten Jahren will Rom fünf Milliarden Euro in Siziliens Infrastruktur investieren, und die Agenda 2000 verspricht weitere Geldströme aus der EU-Kasse. Provenzano, den sie inzwischen auch Buchhalter nennen, hat klare Order durchgegeben: Abtauchen und ruhig bleiben. Die so genannte legale Mafia muss alles vermeiden, was die Öffentlichkeit aufschreckt und den Staat zur Repression zwingt.

      Und auch der Staat scheint sich mit der Mafia zu arrangieren. Im August vergangenen Jahres erklärte Pietro Lunardi, Italiens Minister für Infrastrukturen: "Wir müssen mit der Mafia zusammenleben." Viele sahen in dieser Aussage die Absicht der Regierung Berlusconi, den Kampf gegen die Mafia aufzugeben. Lunardi selbst erklärte einer empörten Öffentlichkeit, dass er nicht zynisch sein wollte, sondern ehrlich. Es stellte sich heraus, dass sogar der Bau der modernen Glas-Stahl-Konstruktion in Palermo, in welcher die Uno über die Mafia beriet, von ebendieser kontrolliert worden war. Und nicht nur dies. Von Anwaltsprüfungen über die Zulassung an Universitäten und Spitälern bis zur Einstellung von Theaterkomparsen hat die Cosa Nostra alles in der Hand. Das Teatro Greco in Syrakus konnte bis zum April letzten Jahres, als die Polizei den Vorhang zog, keine Glühbirne kaufen ohne das Einverständnis der Paten. Die Maskenbildner, die Hostessen, die Parkwächter, die Putzequipe - alles wurde von der Ehrenwerten Gesellschaft organisiert. Selbst die Kissen, auf die sich die Gäste setzten, um den Hexametern Ovids zu lauschen.

      Den größten Erfolg hat die Mafia gegenwärtig mit einem neuen Geschäftsbereich. Nicht mehr die klassischen Wirtschaftszweige wie Drogenhandel, Waffenschieberei und Menschenschmuggel allein, sondern die so genannte Ecomafia bringt Geld: illegale Mülldeponien, der Transport hoch toxischer Abfälle und der Handel mit nichtgenormten oder verbotenen Baumaterialien. Während eines abgehörten Gesprächs zwischen zwei Mafiosi fällt der sinnige Satz: "Trasi munnizza e nasci oro" - "Aus Abfall wird Gold". Dazu kam in den letzten Jahren noch der illegale Handel mit exotischen Tieren und geraubten Kunstgegenständen. Von 1996 bis 2000 betrug das geschätzte Handelsvolumen dieser neuen Aktivitäten, an denen die sizilianische Mafia maßgeblich beteiligt ist, 60 Milliarden Euro.

      "Der ständige Wandel ist die eigentliche Konstante der Mafia", sagt Umberto Santino, der sich seit 30 Jahren mit den sozialen und ökonomischen Metamorphosen der Cosa Nostra beschäftigt. Zusammen mit seiner Frau führt Santino in Palermo das Centro Impastato, das größte Privatarchiv zum Thema Mafia. Der Name des Archivs stammt von Giuseppe "Peppino" Impastato, dem Sohn eines Mafioso und Enkel eines Paten. Peppino Impastato wollte beweisen, dass es auch anders geht. Er hatte sich von seinem Umfeld emanzipiert und in Cinisi, seinem Heimatdorf, mit der Ehrenwerten Gesellschaft angelegt - zuerst via Privatradio, dann mit Flugblättern und Umzügen. Für die linksradikale Partei Democrazia Proletaria kandidierte Pippino fürs Regionalparlament, um den Kampf gegen die Mafia innerhalb der Institutionen weiterzuführen, und wurde am 9. Mai 1978 auf Befehl seines Onkels Tano Badalamenti umgebracht.

      "Der Name Impastato ist Programm", sagt Umberto Santino. Die Wandregale in seinem Arbeitszimmer quellen über von Büchern über die Mafia und Antimafia; einige dieser Werke hat er selber verfasst. Obwohl er als unbestrittener Fachmann gilt, hat Santino Mühe, Verleger und Sponsoren zu finden. Das Dokumentationszentrum Impastato finanziert sich durch die freiwilligen Beiträge von rund hundert Gönnern. Von der öffentlichen Hand hat er bis heute keine Unterstützung bekommen. "Ich bin keiner für Cocktailpartys", sagt er. Wer sich die Zeit nimmt, seine Bücher zu lesen, wird merken, dass es wohl kaum jemanden gibt, der so detailliert Bescheid weiß über die Mafia wie Santino. Aber vermutlich auch keinen, der so rigide und unversöhnliche Positionen vertritt wie er. "Wahrheiten kann man verdrehen, Fakten nicht", sagt Santino. Wenn man der Mafia heute den Puls fühlen wolle, sagt er weiter, müsse man mehr denn je den Politikern auf die Finger schauen, vor allem Regierungschef Berlusconi. Der habe den Italienern während des Wahlkampfs das Paradies versprochen - geschaffen habe er ein Paradies nur für Mafiosi.Das sei, so Santino, keine Meinung, sondern Tatsache. "Was heute in Italien geschieht, ist die Legalisierung der Illegalität." Die Attacken der Regierung auf die Justiz, die Einführung neuer Gesetze, die den illegalen Geldtransfer ins Ausland unter Amnestie stellen und Bilanzfälschung nur noch als einfaches Vergehen ahnden, sowie die Erschwerung der internationalen Rechtshilfe legten einen Humus, auf dem sich in erster Linie das Organisierte Verbrechen wohlfühle: "Der ethische Standard ist mit Berlusconi klar nach unten gedrückt worden."

      Das innige Verhältnis zwischen Mafia und Politik ist nicht neu. Heute aber wird dieses Verhältnis weniger durch Interaktion als vielmehr durch Vereinnahmung bestimmt - die Mafia bekämpft den Staat nicht mehr, sondern geht in ihm auf. Die Regierung ihrerseits bewegt sich inzwischen so, dass sie der Mafia nicht mehr in die Quere kommt. Es scheint eine Art unausgesprochenes Gentlemen`s Agreement zu sein: Du lässt mich machen, dafür lasse ich dich in Ruhe. Die neue Mafia hat die alte dabei nicht etwa ersetzt, sondern diese hierarchisch überholt, oben die neue, unten die alte, wobei das Ziel dasselbe bleibt: der absolute Vorrang des Eigeninteresses vor dem Gemeinwohl. Genau das also, was die Regierung um Premier Berlusconi der Bevölkerung bisher vorgelebt habe, wie der ehemalige Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, meint.
      Die moderne Mafia sei weniger gewalttätig als die alte, dafür aber schwieriger zu bekämpfen.

      Umberto Santino teilt Orlandos Einschätzung, auch wenn er den Politikern, ob von rechts oder links, grundsätzlich misstraut. Viele Legendenbildungen seien, abgesehen von den Medien, den professionisti dell`antimafia zu verdanken, den Berufspolitikern der Antimafia. Den Ausdruck hatte der sizilianische Schriftsteller Leonardo Sciascia erstmals in den achtziger Jahren verwendet und damit eine hitzige Debatte über die rechtschaffenen Absichten der Antimafiapolitiker ausgelöst. Gemäß Sciascia, der mit Mafiaromanen wie Il giorno della civetta (Der Tag der Eule) und A ciascuno il suo (Jedem das Seine) internationalen Ruhm erlangte, verfolgten die selbst ernannten Kämpfer wider das Unrecht in erster Linie nicht das Ziel, die Mafia zu entlarven, sondern sich selbst ins Rampenlicht zu rücken.

      Neben den Wunden, die diese Polemik in den Reihen der Antimafia nach Sciascias Tod hinterließ, blieben viele Fragen zurück, auf die das heterogene Volk der Antimafiakämpfer nach wie vor Antworten sucht: Was ist die Mafia? Wie funktioniert sie? Vor allem: Wie ist sie zu bekämpfen? Für Santino, den Forscher, steht unzweifelhaft fest, dass das größte Pfund der Mafia die Ignoranz der Menschen ist. "Nur Aufklärung und Informationen können den Mythos der Cosa Nostra und somit die Mafia selbst zerstören", sagt Santino. Die Geschichte der Antimafia sei von verklärten Bildern geprägt, von Halbwahrheiten und Erfundenem. Im Bewusstsein vieler ist die Antimafiabewegung eine neue Erscheinung, die spätestens nach den Anschlägen von 1992 auf Falcone und Borsellino richtig aktiv geworden ist. Doch das, sagt Santino, seien alles Kleinigkeiten im Vergleich zu den großen Bauernaufständen Ende des 19. Jahrhunderts, den fasci siciliani, als sich Hunderttausende auflehnten und über Jahre hinweg dem mafiosen Landadel Paroli boten. Für das Selbstbewusstsein der jungen Generation sei diese historische Erkenntnis fundamental. "Sizilien", meint Santino, "ist nicht nur Mafia. So alt wie die Ehrenwerte Gesellschaft ist auch die andere Gesellschaft, die ehrliche, die unsere."

      War der Staat wirklich daran interessiert, die Paten zu fangen, hat er wirklich alles darangesetzt? Als am 19. Juli 1992 an der Via D`Amelio in Palermo eine Autobombe explodiert, die ihren Bruder, den Richter Paolo Borsellino, und fünf seiner Leibwächter tötet sowie vier Wohnblocks niederreißt, weilt Rita Borsellino auf dem Land. "Ich habe mich bis zu diesem Zeitpunkt nur um meine Kinder und meine Arbeit gekümmert", sagt die gelernte Apothekerin. Die Nachbarn informieren sie über den tragischen Vorfall. Ihr Bruder wollte an diesem Tag noch schnell der Mutter einen Besuch abstatten. Immer weniger fand er Gelegenheit dazu. Knapp zwei Monate zuvor war Richter Giovanni Falcone umgebracht worden. Ihm bleibe nicht mehr viel Zeit, hat Richter Borsellino seiner Schwester Rita nach dem Tod des Kollegen Falcone mit sicherem Instinkt vorhergesagt.

      "Paolo arbeitete wie ein Wahnsinniger", erinnert sich Rita Borsellino. Er habe noch möglichst viel erledigen wollen, bevor sich die Mafia auch ihn holen würde. Sie habe aber nie gedacht, dass es so schnell passieren könnte. Ganz im Gegensatz zu den beiden ermordeten Richtern, die ihrem Schicksal mit Sarkasmus entgegensahen. Wenige Monate vor seinem Tod gab Giovanni Falcone dem Journalisten Marcelle Padovani ein ausführliches Interview, in welchem er folgende Anekdote erzählt: "Eines Abends kommt Borsellino zu mir nach Hause und sagt: Giovanni, du musst mir unbedingt die Zahlenkombination deines Safes geben. Ich frage, wieso? Damit ich das Schließfach aufmachen kann, wenn sie dich umbringen." Das Interview, in Buchform erschienen, schließt mit dem Satz: "In Sizilien bringt die Mafia die Diener des Staates um, die dieser Staat nicht zu schützen imstande war."

      Rita Borsellino hat lange über diesen Satz von Falcone nachgedacht und gemerkt, dass er so nicht stimmt. "Der Staat hat gar nie versucht, seine Diener zu schützen, weil er es nicht wollte", sagt sie.
      Wie sonst sei es zu erklären, dass der Oberpate Totò Riina, seit 25 Jahren auf der Flucht, nur wenige Monate nach den von ihm in Auftrag gegebenen Attentaten auf die Richter Falcone und Borsellino plötzlich geschnappt wird? Heute ist Rita Borsellino eine führende Aktivistin im Kampf gegen die Mafia. Ihre Apotheke, wo sie zum Gespräch geladen hat, ist ein Nebenerwerb geworden. Sie redet mit ruhiger Stimme, aber dezidiert und hart. Zwischen Schachteln von Antibiotika und homöopathischen Heuschnupfenmitteln sagt sie Worte, die nicht zu ihrem sanften Gesicht passen wollen: "Sie haben meinen Bruder umgebracht, aber nicht seine Ideale." Sie nähre keinen Hass gegenüber den Killern, sondern fühle Mitleid für Menschen, die derart tief gefallen sind: "Der Hass schaltet den Kopf aus. Um die Mafia zu bekämpfen, braucht es ihn aber ganz besonders."

      Fast zeitgleich mit Rita Borsellino hat eine zweite Frau, Maria Maniscalo den Kampf gegen die Mafia aufgenommen, allerdings aus politischer Überzeugung. Seit 1993 ist die Sozialdemokratin Bürgermeisterin in San Giuseppe Jato, dem Heimatdorf von Giovanni Brusca und anderen Mafiapaten. 184 Mafiafamilien gibt es in Sizilien offiziell, denen insgesamt 3201 Ehrenmänner angehören. 172 dieser Mafiosi stammen alleine aus diesem Dorf hinter den Hügeln Palermos. Das sagen die Statistiken. Die Bürgermeisterin sagt: "Die Zahlen sind Unsinn. Es geht nicht um Ziffern, sondern um Mentalität."

      In den siebziger Jahren hat der deutsche Soziologe Heiner Hess die These aufgestellt, bei der Mafia handele es sich mehr um eine Lebenseinstellung als um eine Organisation. Heute ist diese These überholt. Die Mafia ist eine international tätige Holding mit klarer Hierarchie und festen Strukturen.

      Der letzte Semesterbericht der DIA für die parlamentarische Sicherheitskommission gibt klare Auskünfte über die Wandlung der archaischen Mafia zur Elite-Organisation. Immer häufiger, heißt es dort, werden Elemente im Umkreis der Ehrenwerten Gesellschaft lokalisiert, die einen Universitätsabschluss besitzen und eine langjährige erfolgreiche Berufskarriere hinter sich haben. Oft treten diese Kaderleute selbst in den Rang von Paten, was vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Die so genannten colletti bianchi, die Mafiosi im Anzug, können jahrelang miteinander kommunizieren, ohne sich je zu sehen. Der rituelle Kuss der Mafiosi ist Geschichte. Die Piazza als Treffpunkt existiert nicht mehr. Heute ist die Piazza virtuell, und die Bügelfalten-Mafiosi sind online miteinander verbunden. Der eine sitzt in Palermo, der andere in Frankfurt oder Zürich.

      Die Bürgermeisterin von San Giuseppe Jato sieht es anders. "Nur in einem entsprechenden soziokulturellen Kontext", sagt Maria Maniscalo und rückt ihre feine Brille dezent zurecht, "kann eine solche Organisation überhaupt funktionieren." Die scheinbar überholten Thesen des deutschen Soziologen Heiner Hess über die Mafia als Lebenseinstellung stimmen ihrer Ansicht nach im Grundsatz eben doch. "Die Menschen müssen merken, dass es sich lohnt, für ihr Recht einzustehen, ohne dabei das Leben zu riskieren." Wie schwierig das ist, hat sie selber erfahren. Die Aktenberge auf ihrem Mahagonitisch, die in rotes Leder gefassten Gesetzesbücher in den Vitrinen hinter ihrem Rücken, die italienische und europäische Flagge rechts und links von ihrem Pult - alles scheint eine Nummer zu groß zu sein für die 55-jährige Juristin. Ihre Brille aus feinem Horn, ihr kariertes Deuxpièces, ihre perfekt gepflegten Hände - so dezent modisch sie aussieht, so fragil erscheint sie im Kampf gegen das Verbrechen. Doch der Eindruck täuscht.

      Alles haben die Onkel und Paten in den letzten Jahren versucht, um ihren Willen zu brechen. Maria Maniscalo hat sich nie beugen lassen. Eines Nachts wurde ihr Auto verbrannt, sie und ihr Ehemann bekamen Morddrohungen. Nachdem in San Giuseppe Jato sowohl in der Schule als auch im Lebensmittelladen Bombendrohungen für Massenpanik sorgten, hat sich die Bevölkerung langsam von ihr abgewandt. Alles sei nur ihre Schuld, wurde hinter vorgehaltener Hand gelästert. Wäre sie nicht so starrköpfig, heißt es im Dorf, ginge es auch den Bewohnern von San Giuseppe Jato besser. "Heute versuchen viele meiner Wähler, mir aus dem Weg zu gehen aus Angst, mit mir gesehen zu werden." Eine Haltung, die sie verstehen kann, aber dennoch als feige verurteilt.

      Angst um ihr Leben hat die Bürgermeisterin nicht. Sie weiß, dass die Strategie der Mafia heute eine subtilere ist. Der Gegner wird nicht physisch eliminiert, sondern sozial isoliert. Dass man sie auf anonymen Plakaten als Dorfnutte bezeichnet, sei das geringste Übel. Härter seien die Versuche des Rufmords an ihr und ihrer Familie. Ihr Ehemann Mimmo Giannopolo, ebenfalls Sozialdemokrat, ist Bürgermeister von Caltavuturo, einem Nachbardorf von San Giuseppe Jato. Letztes Jahr beschuldigte ihn ein mit der Polizei kollaborierender Mafioso, mit der Ehrenwerten Gesellschaft zusammenzuarbeiten. Maria Maniscalo weiß, dass dies nicht stimmt. Und auch viele Bürger von Caltavuturo wissen es. Mimmo Giannopolo hat sich während seiner Amtszeit durch einen rigorosen Kurs gegen die Mafia profiliert. Allein der Zweifel aber, dass er vielleicht doch übergelaufen sein könnte, ist sein und auch ihr politischer Tod und beider soziale Isolation.

      Das Mandat von Bürgermeisterin Maria Maniscalo läuft kommenden Mai definitiv ab. Sie kann sich nicht mehr zur Wiederwahl stellen. Könnte sie es doch, davon ist sie überzeugt, würde sie in der jetzigen Situation chancenlos bleiben. Leute wie sie sind nicht mehr beliebt. "Der Wille, sich aufzulehnen, hat in den letzten Jahren deutlich nachgelassen", sagt sie. Der Staat lasse im Kampf gegen die Cosa Nostra die Zügel schleifen, der Bürger habe resigniert. Und doch scheint die Hoffnung nicht ganz verflogen zu sein, wie gerade das Beispiel der Kooperativen in San Giuseppe Jato und anderen fünf Gemeinden, darunter Corleone, zeigt. Auf Initiative von Rita Borsellino wurden im Juli 1995 Unterschriften gesammelt für ein Gesetz, das die kostenlose Nutzung konfiszierter Mafiagüter verlangt. Das Gesetz kam zustande, und 175 Hektar Land stehen heute verschiedenen Kooperationen kostenlos zur Verfügung.

      Antimafia heißt vor allem Perspektiven bieten und Arbeitsplätze garantieren. Das Ziel der Kooperativen ist es, dereinst einen Agrotourismus anzubieten. Der Weg dorthin ist nicht einfach. Als die erste Pachtübergabe konfiszierter Mafiagüter bekannt wurde, zerstörten in derselben Nacht Unbekannte den ganzen Baumbestand des betreffenden Gutes. 270 Olivenbäume wurden mit Motorsägen gefällt. Finanziell fällt der Schaden nicht ins Gewicht: Zwischen 1992 und 2000 wurden in Italien illegal erworbene Grundstücke im Gesamtwert von 1,5 Milliarden Euro konfisziert. Die Paten werden deshalb nicht verarmen. So modern und diversifiziert die neue Mafia heute auch arbeitet, ihre einträglichste Einnahmequelle ist die alte geblieben.

      Die Erpressung von Schutzgeldern betraf von 1995 bis 1999 insgesamt 140 000 Unternehmer und Kaufleute, die zusammen zwei Milliarden Euro bezahlten. Damit ist der Verlust durch die konfiszierten Güter mehr als kompensiert. Und wer die Schutzgelder nicht zahlen kann, wer sich verschuldet hat oder große illegale Investitionen plant, taucht in die Unterwelt ab und nimmt Geld auf zu Bedingungen, die die Mafia diktiert. 700 000 Personen, rechnet die Finanzpolizei für denselben Zeitraum vor, sind "Opfer" von Wucherern geworden. Der Organisierten Kriminalität brachte es 23 Milliarden Euro in die Kassen.

      Die Mafia ist in Sizilien heute vordergründig nicht mehr zu spüren. Man sieht sie nicht, man hört sie nicht. Palermo, vor zehn Jahren im Belagerungszustand, ist heute eine blühende Stadt mit Straßencafés und vielfältigem Kulturangebot. "Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich eine Zeit voraussage, in welcher alle Strukturen des Kampfes gegen die Mafia aufgelöst werden", resümiert Oberstaatsanwalt Piero Grasso, der in jener "doppelten Realität" die eigentliche Gefahr für die Zukunft sieht: "Man wird auf das Ende des kriminellen Notstandes anstoßen und den Sieg der Normalität bejubeln. Mit der Pax Mafiosa kann der Staat endlich das definitive Ende einer Epoche erklären; keine bewaffneten Eskorten mehr, keine Bunker, Metalldetektoren und gepanzerten Fahrzeuge. Die ungelösten Rätsel werden ein für alle Mal begraben werden, und niemand wird merken, dass die Mafia noch existiert."

      DIE ZEIT 08/2002
      Avatar
      schrieb am 02.08.02 08:36:51
      Beitrag Nr. 5 ()
      02.08.2002 07:30

      Italien

      Senat in Rom billigt umstrittenes Justizgesetz

      Nach einer stürmisch geführten Debatte hat der italienische Senat ein umstrittenes Gesetz verabschiedet, von dem Ministerpräsident Silvio Berlusconi in einem laufenden Korruptionsprozess profitieren könnte.


      Der Entwurf wurde mit den Stimmen von Berlusconis konservativer Regierungskoalition mit einem Votum von 162 gegen neun angenommen. Viele Senatoren der Mitte-links-Opposition verließen vor der Abstimmung aus Protest den Saal.

      Die Abgeordnetenkammer, in der die Regierung ebenfalls über eine ausreichende Mehrheit verfügt, wird das Justizgesetz nach der Rückkehr aus der Sommerpause im September beraten. Das Gesetz räumt Angeklagten künftig die Möglichkeit ein, um Annullierung oder Verlegung ihres Verfahrens an ein anderes Gericht zu ersuchen, wenn sie das bisherige Gericht für befangen halten.

      Berlusconi will nach Brescia

      Gegen Berlusconi läuft derzeit vor einem Mailänder Gericht ein Verfahren wegen Bestechung von Richtern in den 80er Jahren. Der Regierungschef und Medienmogul hat wiederholt seine Unschuld beteuert und erklärt, er sei das Opfer linker Staatsanwälte.

      Berlusconis Anhänger argumentieren, das neue Gesetz sei notwendig, um in solchen Fällen die Beschuldigten vor unbegründeten Anklagen zu schützen. Da das Gesetz auch für laufende Verfahren gilt, könnte Berlusconi davon profitieren. Seine Verteidigung hatte bislang vergeblich versucht, den Prozess ins benachbarter Brecia zu verlegen.

      Vor dem Senatsgebäude protestierten am Mittwoch und Donnerstag tausende Menschen gegen die Gesetzesänderung.

      (sueddeutsche.de/AP/dpa)

      die legalisierte mafia sucht sich zukünftig gerichtsstandort und richter selbst aus.

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      Avatar
      schrieb am 02.08.02 09:09:31
      Beitrag Nr. 6 ()
      P O L I T I K

      Aufruhr um Gesetz für Berlusconi


      Italiens Ministerpräsident hat sich von der konservativen Regierungskoalition im Senat ein Gesetz absegnen lassen, von dem er persönlich profitiert. Nach teilweise tumultartigen Szenen wurde der Entwurf für das umstrittene Justizgesetz am späten Donnerstagabend mit 162 gegen neun Stimmen angenommen. Viele Senatoren der Mitte-links-Opposition hatten den Saal vor der Abstimmung aus Protest verlassen.

      Mit dem Gesetz wird Angeklagten künftig die Möglichkeit eingeräumt, um Annullierung oder Verlegung ihres Verfahrens an ein anderes Gericht zu ersuchen, wenn sie das bisherige Gericht für befangen halten. Dies könnte Silvio Berlusconi in einem laufenden Korruptionsprozess zugute kommen. Der italienische Regierungschef muss sich vor einem Mailänder Gericht wegen Bestechung von Richtern in den 80er-Jahren verantworten. Seine Verteidiger haben bislang vergeblich versucht, den Prozess ins benachbarte Brescia zu verlegen.

      Nach der Rückkehr aus der Sommerpause muss noch die Abgeordnetenkammer über das Gesetz beraten. Auch dort verfügt Berlusconi über eine Mehrheit.

      Hundertschaften der Polizei hatten das Senatsgebäude in Rom bereits am Donnerstagmorgen abgeriegelt. Tausende Menschen protestierten am Abend vor dem Senat gegen das Gesetz.

      Berlusconi und die Spitze des Oppositionsbündnisses Ulivo hatten sich vor der Senatssitzung in noch nie dagewesener Art und Weise beschimpft. „Die Parole der Opposition lautet `Lügen, lügen, lügen`“, schäumte Berlusconi über den Widerstand der Opposition gegen ein Gesetz, „das mich gar nicht betrifft“. „Betrügen, betrügen, betrügen“ sei das Motto Berlusconis, entgegnete der Chef der Linksdemokraten, Piero Fassino.

      „Schande, Schande, Schande“, riefen die Demonstranten vor dem Senat. Antonio di Pietro, der ehemalige Staatsanwalt, der die Anti-Korruptionskampagne „Saubere Hände“ geleitet hatte, hielt eine Brandrede gegen Berlusconi mit dem Fazit: „Das ist wie in Chile“.

      Berlusconi hatte schon im Vorjahr, wenige Monate nach seinem Wahlsieg, ein Gesetz durchgebracht, das seine Position vor Gericht erheblich verbesserte. Bilanzfälschung wurde als Straftat beseitigt. Damit wurden einige Prozesse gegen Berlusconi wegen genau dieses Deliktes entschärft worden.

      02.08.02, 8:15 Uhr
      Avatar
      schrieb am 05.08.02 08:05:46
      Beitrag Nr. 7 ()
      05. August 2002




      ITALIEN

      Das Gröbste überstanden

      Regierungschef Berlusconi lässt Gesetze maßschneidern, um Strafverfahren zu entgehen. Seine Anwälte sitzen als Abgeordnete im Parlament.


      Drinnen, im römischen Senat, ging es vorigen Donnerstag hoch her: "Schande", brüllten die einen, "Lügner", die anderen. Draußen vor den Türen skandierten Tausende aufgebrachter Bürger "Mafiosi" und "Widerstand".

      Nur einer verstand die ganze Aufregung nicht. Silvio Berlusconi hatte sich um das Gesetz, das seine Koalitionsmehrheit mit Brachialgewalt durch den Senat peitschte, überhaupt nicht gekümmert - das jedenfalls sagte er. Weder habe er begriffen, warum seine Leute es so eilig hatten, noch, warum die Opposition so tobte. Es seien "keine persönlichen Interessen im Spiel". Wer anderes behaupte, lüge.

      Da wird die Überraschung groß sein, wenn Italiens Regierungschef feststellt, dass der Gesetzentwurf Carrara-Cirami - wie üblich benannt nach den Volksvertretern, die den Vorschlag formell einbrachten - ihm große persönliche Erleichterung verschaffen kann: in Mailand, vor Gericht.

      Dort steht Berlusconi nämlich unter der Anklage, er habe 1986 bei der Übernahme der Lebensmittelkette SME Richter bestochen. In einem Parallelverfahren wird das auch seinem früheren Anwalt, dem späteren Verteidigungsminister und heutigen Abgeordneten Cesare Previti vorgeworfen. Der Berlusconi-Getreue soll zwischen 1988 und 1990 einen Richter mit üppigen Geldspenden überzeugt haben, den Erwerb des größten italienischen Buchverlags Mondadori durch Berlusconis Fininvest juristisch abzunicken.

      Der Prozess schleppt sich seit Jahren dahin. Die Verteidigung spielt auf Zeit. Die Angeklagten sind praktisch immer verhindert, durch ihre parlamentarische Arbeit für das Wohl der Nation. In Italien, das ist der Hintergrund, läuft die Verjährungsfrist auch während des Verfahrens weiter, anders als in Deutschland.

      Aber die Mailänder Richter hielten gegen die Top-Anwälte Berlusconis und Previtis Kurs. Anfang November, so ließen sie kürzlich durchblicken, sei mit ihrem Urteil zu rechnen. Und das, darin sind sich Prozessbeobachter einig, könne für die Angeklagten kaum positiv ausfallen.

      Deshalb tat Eile Not. In Mailand, spielten die Anwälte ihre letzte Karte, sei die Justiz nicht unparteiisch und fair, sondern voreingenommen. Sie beantragten, das Verfahren abzubrechen und im nahen Brescia neu zu beginnen. Darüber muss nun der Oberste Gerichtshof entscheiden.

      Gleichzeitig wurde das Parlament aktiv, in dem Berlusconi-Advokaten als Abgeordnete sitzen, so etwa der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Gaetano Pecorella. Bei "berechtigtem Verdacht" auf Voreingenommenheit des Gerichts, formulierten die Justizreformer die Strafprozessordnung um, könne jeder Angeklagte fortan andere Richter verlangen, bei denen er mit einer "verständnisvolleren Beurteilung" rechnen dürfe. Also ein Neuanfang vor neuen Richtern: Für Berlusconi und Previti wäre damit das Prozessende durch Verjährung quasi garantiert. Roms Premier hätte juristisch das Gröbste überstanden.

      Ein paar Mal stand der reichste und umstrittenste Mann des Landes schon mit einem Bein im Knast. Dreimal wurde er verurteilt, zu sechs Jahren und fünf Monaten insgesamt: wegen illegaler Parteifinanzierung, Bestechung von Finanzbeamten und Bilanzfälschung. Jedes Mal rettete Berlusconi sich auf dem Instanzenweg. Mal gab es einen Freispruch, mal eine Verjährung.

      Als er voriges Jahr in den römischen Regierungssitz Palazzo Chigi einzog, liefen noch vier Verfahren. Drei erledig- ten sich, weil die Berlusconi-Mehrheit im Parlament die einschlägigen Strafbestimmungen zur Bilanzfälschung strich. Was in den USA gerade auf eine Kriminalitätsstufe mit Terroranschlägen gestellt wird, wurde in Italien zum Kavaliersdelikt.

      Anfang des Jahres sperrte sich die neue Mehrheit in Rom auch gegen einen europaweit gültigen Haftbefehl. Und die Vorschriften, um ausländische Beweismittel, etwa Kontoauszüge von Schweizer Banken, in Gerichtsverfahren einzubringen, wurden so kompliziert, dass grenzüberschreitende Ermittlungen gegen Italiener schier unmöglich sind. Natürlich habe das nichts damit zu tun, dass auch die spanische Justiz gegen Berlusconi ermittelt.

      Beim Kauf von Anteilen an der Fernsehgesellschaft Telecinco soll der Medienzar gegen Steuer- und Kartellgesetze verstoßen haben. In 64 Briefkastenfirmen in Steueroasen, so die Ermittler, habe Berlusconi rund eine halbe Milliarde Euro Schwarzgelder versteckt.

      Alles Unsinn, hält der Premier dagegen. "Rote Roben" wollten ihn "aus dem Amt jagen". Gegen diese "Kommunisten" lässt Berlusconi sein Medienimperium tagtäglich schießen. 90 Prozent der Fernsehprogramme kontrolliert er, als Eigentümer von Mediaset oder als Oberinstanz der staatlichen RAI. Dort wurden zwei prominente Berlusconi-Kritiker gerade abserviert.

      "Ich bin kein Diktator", versichert der immer lächelnde, immer gebräunte Regent. Er regiere doch nur "mit dem gesunden Menschenverstand eines Familienvaters".

      Auch die Rechtsänderung, die vorigen Donnerstag so viel Aufruhr verursachte und im September in die Abgeordnetenkammer des römischen Parlaments kommt, stärke doch nur "ein fundamentales Bürgerrecht". Er selbst, seine persönlichen Interessen, versichert Berlusconi mit festem Blick in die Kameras, seien da völlig "außen vor".

      HANS-JÜRGEN SCHLAMP
      spiegel.de
      Avatar
      schrieb am 16.09.02 21:21:53
      Beitrag Nr. 8 ()
      Ringelreihen in Rom
      "Festa di protesta" führte über 500.000 Berlusconi-Gegner zusammen. Die Bürgerbewegung "Girotondi" organisiert für Italiens Linke den Protest
      aus Rom MICHAEL BRAUN

      Mit einem Paukenschlag hat sich die Protestbewegung gegen Silvio Berlusconi nach der Sommerpause zurückgemeldet: Deutlich mehr als eine halbe Million Menschen strömten am Samstag in Rom auf der Piazza San Giovanni zur "Festa di protesta" zusammen. Nicht die Parteien der Mitte-links-Opposition oder die Gewerkschaften hatten das Meeting organisiert, sondern die im letzten Frühjahr entstandene Bürgerbewegung der "Girotondi", der "Ringelreihen für die Demokratie".

      Angestoßen von Künstlern wie dem Filmregisseur Nanni Moretti und von Intellektuellen, wurden die "Girotondini" sofort als Bewegung des "reflektierenden Mittelstands" klassifiziert, sprich der gebildeten Besserverdienenden. Die waren am Samstag in der Tat zuhauf auf der Piazza San Giovanni: die noch durch die 68er Erfahrung gegangenen Lehrer, Anwälte, Wissenschaftler etc., die mit den Girotondi nach Jahren politischer Abstinenz wieder zum Engagement zurückgefunden haben.

      Doch die Demo wurde vor allem deshalb zum vollen Erfolg, weil es der Bewegung gelang, in allen Segmenten der Bevölkerung zu mobilisieren. Vom jungen Globalisierungskritiker über den Büroangestellten und die Fabrikarbeiterin bis zum Rentner waren alle da. Das Gleiche gilt für die parteipolitischen Sympathien: Fahnen von Rifondazione Comunista wehten neben denen der Linksdemokraten.

      Gekommen waren aber keineswegs bloß die unentwegten Anhänger der Mitte-links-Parteien. So mancher auf dem Platz bekannte reumütig, er habe noch vor einem Jahr "die größte Dummheit meines Lebens begangen" und Berlusconi gewählt.

      In nur sieben Monaten sind die "Girotondini" damit zu einer politischen Größe geworden, an der die Mitte-links-Parteien nicht vorbeikommen. Ihren Auftakt nahm die Bewegung im Februar bei einer anderen Kundgebung gegen Berlusconi. Damals standen alle Oppositionschefs auf dem Podium. Vor ihnen verloren sich gerade mal 5.000 Demonstranten und am Ende las Nanni Moretti den Mitte-links-Chefs die Leviten: Mit dieser kraftlosen, zerstrittenen, ihrer Wählerschaft entfremdeten Führungsriege werde die Linke noch auf Generationen verlieren.

      Diesmal kamen mehr als 500.000, auf dem Podium sprachen ausschließlich Vertreter der Bürgerbewegung, und die Chefs der Oppositionsparteien waren zwar auch alle wieder da, aber sie mussten sich mit der Rolle gewöhnlicher Demonstranten zufrieden geben.

      Dennoch weisen Nanni Moretti und Co alle Gerüchte von sich, sie könnten nach dem Sensationserfolg zur Gründung einer neuen Partei schreiten. Um die feste Etablierung der Bewegung neben den Parteien geht es ihnen, um so Druck auf die Opposition auszuüben. Druck, der darauf zielt, einen kompromisslosen Konfrontationskurs gegen Berlusconi durchzusetzen.

      Im Mittelpunkt der Kritik steht dabei Berlusconis Umgang mit Justiz und Medien. Gerade in diesen Tagen paukt die Rechtskoalition das direkt vor der Sommerpause schon im Senat verabschiedete Gesetz durch die zweite Parlamentskammer, das Berlusconi und seinen in Mailand Mitangeklagten ermöglichen soll, die dortigen Prozesse per Verlegung an einen anderen Gerichtsstand abzuwürgen. Die Oppositionsparteien haben deshalb jetzt reichlich Gelegenheit, ihren unzufriedenen Wählern neue Entschlossenheit zu demonstrieren. Und die Girotondini haben reichlich Gelegenheit, zu neuen Protestaktionen zu mobilisieren.

      Die Erwartung, dass Italien ein heißer Herbst bevorsteht, erscheint umso realistischer, als zugleich auf einem anderen Feld die Mobilisierung gegen Berlusconi weitergeht: Der Gewerkschaftsbund CGIL wird in den nächsten Tagen das Datum des Generalstreiks festlegen, mit dem er im Oktober gegen die Aufweichung des Kündigungsschutzes mobil machen will. Zu den Gewerkschaftskundgebungen dürften dann auch wieder viele derer stoßen, die am Samstag dabei waren.

      taz 16.9.2002
      Avatar
      schrieb am 23.09.02 13:07:39
      Beitrag Nr. 9 ()
      23. September 2002, 02:04, Neue Zürcher Zeitung


      24 Jahre Haft für Andreotti beantragt

      Perugia, 22. Sept. (apa) Vor dem Berufungsgericht in Perugia hat die Staatsanwaltschaft im Mordfall Mino Pecorelli 24 Jahre Haft für den früheren italienischen Regierungschef Giulio Andreotti beantragt. Dieselbe Strafe wurde auch für fünf weitere Verdächtigte gefordert; es handelt sich um die Mafia-Bosse Gaetano Badalamenti, Giuseppe Calò, Michelangelo La Barbera und Massimo Carminati sowie um den früheren Minister Claudio Vitalone. Sie wurden von der Staatsanwaltschaft als Auftraggeber des Mordes bezeichnet. Der Journalist, der Andreotti in seinen Artikeln öfters Verbindungen zur Mafia vorgeworfen hatte, war 1979 umgebracht worden.

      Der heute 83 Jahre alte, siebenmalige Regierungschef war in erster Instanz im September 1999 vom Vorwurf entlastet worden, Auftraggeber der Ermordung des Journalisten gewesen zu sein. Der frühere Ministerpräsident steht seit April 2001 auch in Sizilien vor dem Berufungsgericht. 1999 war er in erster Instanz von einem Gericht in Palermo vom Verdacht freigesprochen worden, der Mafia anzugehören.
      nzz.ch
      Avatar
      schrieb am 05.10.02 01:06:48
      Beitrag Nr. 10 ()
      For4Zim, man könnte auf die Idee kommen, Antigone würden die demokratischen Mechansimen halt nicht ausreichen, wenn sie die Dinge einmal nicht in ihrem Sinne lenken würden :laugh::laugh::laugh:

      MfG
      Ingmar (KCD)
      Avatar
      schrieb am 05.10.02 02:16:53
      Beitrag Nr. 11 ()
      antigone, ich habe 15 Jahre mit einem Kollegen jüdischer Herkunft zusammengearbeitet.
      Werde ich jetzt auch einer von denen?
      Wenn ja, dann hätte ich ja nichts mehr auszustehen.

      Oder geht das nur auf Antrag?

      Wenn ja, wo kann ich den stellen?

      1/8 bin ich ja schon - aber Bruchrechnung erkennen die ja nicht an.

      Hat mich auch bisher nicht gestört.

      Denn von meinem Freund Karl Marx habe ich schließlich gelernt, daß wir uns vom Judentum emanzipieren müssen.

      (Den Begriff gab es damals schon, nicht erst seitdem die US-Esters ihn in eindeutig zweideutiger Absicht den europäischen Frauen in die Bäuche implantiert haben.)
      Avatar
      schrieb am 11.10.02 16:35:53
      Beitrag Nr. 12 ()
      10. Oktober 2002, 18:41, NZZ Online


      Italiens Abgeordnetenkammer entscheidet zu Gunsten Berlusconis
      Prozesse können verlegt werden
      Die italienische Abgeordnetenkammer hat am Donnerstag ein Gesetz verabschiedet, das die Verlegung eines Prozesses ermöglicht. Das umstrittene Gesetz wurde von der Mitte-Links-Opposition bekämpft, weil sie vermutet, dass es Ministerpräsident Berlusconi dient, laufende Korruptionsprozesse hinauszuzögern.




      Mehr zum Thema


      Korrespondentenbericht: Privatfeldzug Berlusconis




      (sda/apa/dpa) Die italienische Abgeordnetenkammer hat am Donnerstag ein umstrittenes Gesetz verabschiedet, das die Verlegung eines Prozesses ermöglicht, wenn der Verdacht auf Voreingenommenheit des Gerichts besteht. Für das Gesetz stimmten 306 Abgeordnete, dagegen 262.

      Erfolglose Mitte-Links-Opposition
      Die Mitte-Links-Opposition hatte mit Obstruktionsmitteln versucht, die Verabschiedung des Gesetzes zu stoppen, das ihrer Ansicht nach Ministerpräsident Berlusconi die Verlegung seines laufenden Korruptionsprozesses von Mailand auf ein anderes Gericht ermöglichen würde. Die Opposition bezeichnete die Billigung des Gesetzes als «Geschenk» der Mitte-Rechts-Allianz für Berlusconi. Parlamentarier der Opposition schwenkten eine italienische Fahne und schrien «Schande, Schande».

      Das Gesetz war bereits im Juli vom Senat, der ersten Parlamentskammer, verabschiedet worden und hatte heftige Proteste ausgelöst: Demonstrationen hatten vor dem Senat stattgefunden. Am 14. September hatten wieder Tausende Personen in Rom gegen die umstrittene Vorlage demonstriert.

      Der Regierungschef und Grossunternehmer Berlusconi ist in Mailand angeklagt, vor seinem Einstieg in die Politik einen Richter bestochen zu haben. Bei einer Verlegung des Berlusconi-Prozesses droht nach Ansicht von Experten, dass dieser wegen Verjährung eingestellt werden muss.
      nzz.ch
      Avatar
      schrieb am 11.10.02 17:11:38
      Beitrag Nr. 13 ()
      @ for4zim
      genau. wir machen es uns gerne einfach. bequemlichkeiten jeder art haben was für sich. :D

      @ bucket
      von idee sprichst du? ist das nicht anmassung? ansonsten, völlig klar, dass dir wahlen ausreichen. das ist der beweis für demokratie. am besten mit schwarzem oder berlusconibraunem ergebnis. wenns dir rot erscheint, wäre allerdings nochmal drüber nachzudenken. mindestens. :D

      @ amtmannn
      die emanzipation des menschen und sein begehr nach freiheit ist in der tat wesentlich älter als die im neusprech auf den hund gekommene begrifflichkeit nahelegt. dagegen speit man nach erfahrungen er letzten jahre unwillkürlich beim begriff republikaner. haben die mit den anderen vielleicht was zu tun? mit sicherheit jedoch nicht im ursprünglichen sinne. seit bush kommt man aus dem speien gar nicht mehr heraus. hat das der begriff verdient? ist der unschuldig? sicher. aber die sprache gegen den strich zu bürsten und genau hinzuschaun, welche vokabel man in den mund nimmt bzw. ausspricht, sollte pflichtübung werden. auch wenns im sumpf der allgemeinen vorbereitung der endgültigen verblödung als tropfen auf den heißen stein erscheint.

      wenn alles andere im politischen raum so einfach wäre, wie das ausfüllen eines antrags, müsste man glatt einen antrag zur beantragung der einführung der flächendeckenden versorgung der bevölkerung mit anträgen stellen, um die beantragung zur allumfassenden bevorratung der bevölkerung mit anträgen voranzubringen und könnte damit das elend des politischen und gesellschaftlichen unverstandes anträglich aus der welt schaffen.
      Avatar
      schrieb am 12.10.02 09:22:09
      Beitrag Nr. 14 ()
      12. Oktober 2002, 02:05, Neue Zürcher Zeitung


      Berlusconi missbraucht seine Macht

      Italien hätte eine ganze Reihe drängender Probleme zu lösen. Rentensystem, Bildungswesen und Gesundheitsversorgung warten seit langem auf Reformen, über die allerdings kaum jemand redet. Auch der von der Regierung Berlusconi versprochene Modernisierungsschub ist nicht in Sicht. Der Haushalt befindet sich in einer bedenklichen Schieflage, und während der Mezzogiorno auf den Aufschwung wartet, streicht die Fiat weitere Arbeitsplätze. Regelmässig branden überdies Wellen von Immigranten illegal an die Küste. Vorzuweisen hat die Regierung bis jetzt kaum mehr als einen lauen Kompromiss in der Arbeitsmarktreform. Der Regierungschef freilich setzt ganz andere Akzente: Ende August erklärte er persönlich das sogenannte Gesetz Cirami, benannt nach dem Senator, der es initiiert hatte, zu einer politischen Priorität.

      Hatte der Senat die Vorlage unmittelbar vor den Sommerferien in einem Tempo durchgepeitscht, als befände sich die Republik in einem Notstand, stand ihm diese Woche die Abgeordnetenkammer in nichts nach. Brennt denn die Frage, ob Angeklagte künftig im Fall von Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters eine Verlegung ihres Prozesses beantragen dürfen, den Italienern unter den Nägeln? Zweien von ihnen gewiss. In Mailand treten gerade zwei Prozesse in die Schlussphase, in denen Ministerpräsident Berlusconi und sein Handlanger und Weggefährte, der Abgeordnete Previti, zu den Angeklagten gehören. Die Versuche, den Prozess zu verhindern, scheiterten bisher; tritt das neue Gesetz rechtzeitig in Kraft, böte es neue Munition.

      Wäre das Cirami-Gesetz ein Einzelfall, könnte man allenfalls das Bemühen darin sehen, einem Angeklagten zu dem unbestrittenen Recht auf eine saubere Beurteilung seines Falles zu verhelfen. Dieser Vorlage sind seit dem Machtantritt Berlusconis jedoch zahlreiche andere «Modifikationen» von Rechtsnormen vorangegangen, die alle nur einen Schluss zulassen: Berlusconi soll sich den Griffen der Justiz entziehen können. Interpretationsspielräume hat man kaum mehr, nachdem die Verjährungsfristen gewisser Straftaten verkürzt, die Strafmasse bestimmter Delikte reduziert worden sind, die internationale Rechtshilfe erschwert worden ist und Berlusconi überdies lange der Regelung über den EU-Haftbefehl getrotzt hat. Den Parlamentariern aus dem Regierungslager, die in diesem unwürdigen Spiel mitmachen, steht die Scheinheiligkeit ins Gesicht geschrieben.

      Es ist spätestens dieses unselige neue Gesetz, das den Machtmissbrauch des italienischen Ministerpräsidenten offen an den Tag legt. Er sieht sich als Ausnahme von der Regel, wonach jeder vor dem Gesetz gleich sei, und er hat die Macht, diese Ausnahmeregelung durchzusetzen. Geht es um seine eigenen Interessen, ist Berlusconi bereit, demokratische Grundsätze zu ignorieren, und dazu gehört auch die Gewaltentrennung. Und anstatt das Justizsystem zu stärken - es gäbe in Italien einiges zu tun - und dem Rechtsstaat Nachdruck zu verleihen, höhlt er diesen systematisch aus.

      Der Schaden, den Italien allein dadurch erleidet, dürfte nachhaltig sein. Zu einer Gefahr für das Land könnte Berlusconi jedoch werden, wenn jene, die ihm Schranken setzen könnten, weiterhin schwach bleiben. In den eigenen Reihen erreicht die Unzufriedenheit ab und zu den Kulminationspunkt, ebbt aber meistens wieder ab. Die Vergiftung des politischen Klimas und die Verlotterung der politischen Sitten verunmöglichen inzwischen jede politische Diskussion; die jüngste Parlamentsdebatte war ein einziges Trauerspiel. Von einer Opposition kann man kaum noch reden. Das Mitte-Links-Lager bleibt undiszipliniert und zerstritten, es hat keine Führung und keine Antworten auf die Politik Berlusconis. Die neue ausserparlamentarische Opposition drückt mit ihren Ringelreihen ihrerseits nur Hilflosigkeit aus.

      Bliebe nur noch der Staatspräsident, der bisher offene Differenzen mit Berlusconi zu vermeiden suchte. Ciampis mahnende Worte haben beim Regierungschef indessen weder Mässigung noch Einsicht bewirkt, und jede Unterschrift unter ein umstrittenes Gesetz kam einer Bestätigung Berlusconis gleich. Unterschreibt der Staatspräsident auch das Cirami-Gesetz, löst er vielleicht ein Problem Berlusconis. Er würde aber zu einem anderen Problem Italiens beitragen, das Berlusconi heisst.
      nzz.ch
      Avatar
      schrieb am 06.07.03 13:23:56
      Beitrag Nr. 15 ()
      Berlusconi will noch mehr Macht

      Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi strebt eine Verfassungsreform an, die seine Macht stärken soll. Der Regierungschef soll demnach künftig auch das Recht bekommen, selbstständig Minister zu ernennen und zu entlassen und das Parlament aufzulösen. Derzeit liegen diese Kompetenzen noch beim Staatspräsidenten.
      Volk soll Ministerpräsidenten wählen
      Zudem soll der Ministerpräsident künftig vom Volk direkt gewählt werden. Die rechtsgerichtete Nationale Allianz (AN) habe als wichtigster Koalitionspartner von Berlusconis Forza Italia den Reformplänen bereits zugestimmt, berichteten italienische Medien....

      t-online.de

      berlusconi will sein ermächtigungsgesetz.
      ganz wie sein grosses vorbild..
      Avatar
      schrieb am 22.07.03 21:06:22
      Beitrag Nr. 16 ()
      22.07.2003 18:15

      "Bislang gefährlichste Lex Berlusconi"
      Mediengesetz in Italien im Parlament – Massive Proteste und Kritik der Opposition - Foto

      Vor dem römischen Parlament standen am Dienstagvormittag die Senatoren der Opposition mit umgehängten Schildern, auf denen sie die Zukunft des italienischen Informationsangebots ausmalten: "Berlusconi-Fernsehen total – der Premier und nur der Premier auf allen Kanälen gleichzeitig."

      Das am Dienstag verabschiedete Mediengesetz ist "ein Machwerk, das nur für Silvio Berlusconi und seine Privatunternehmen gemacht wurde – die bislang gefährlichste Lex Berlusconi", sagte etwa der linksdemokratische Fraktionschef Gavino Angius.

      Auf der nahen Piazza Navona demonstrierten die Bürgerbewegungen, für die das neue Gesetz das Monopol von Berlusconis Mediaset-Gruppe zementiert, anstatt dieses – wie vom Staatspräsidenten und vom Verfassungsgericht angemahnt – zu lockern und anderen Interessenten den Einstieg in den Fernsehmarkt zu ermöglichen. Einem Regierungsmitglied, das die Verwaltung seiner Unternehmen einem Geschäftsführer anvertraut, kann künftig kein Interessenkonflikt mehr vorgeworfen werden. Berlusconis Mediengesellschaft Mediaset kontrolliert bisher drei landesweit ausgestrahlte TV-Kanäle. Die öffentlich-rechtliche RAI hingegen soll zerschlagen werden.

      Dass das Gesetz Berlusconi zudem den Einstieg in den Tageszeitungsmarkt erleichtert, bringt die Verleger auf die Palme; Verlegerchef Luca Cordero di Montezemolo befürchtet, dass durch die vorgesehene Ausdehnung der TV-Werbezeiten auch viel weiteres Kapital vom Printbereich hin zum Fernsehen fließen wird.

      Berlusconi selbst hielt sich zurück, nur im Nachrichtenmagazin "Time" sagte er während seines USA-Besuchs, als liberaler Unternehmer mische er sich nie in innere Angelegenheiten seiner Redaktionen ein. (Andreas Feichter aus Rom/DER STANDARD, Printausgabe vom 23.7.2003)
      standard.at
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      schrieb am 25.09.03 08:19:23
      Beitrag Nr. 17 ()
      24.09.2003 21:18

      "Ein Alarmruf gegen das Schweigen"
      Italien: Ein Eklat bei Verleihung des Campiello- Literaturpreises sorgt für Diskussionen

      Für den Präsidenten der Region Venetien und Berlusconi-Intimus Giancarlo Galan war es ein "Hinterhalt nach leninistischem Vorbild". Für den Schriftsteller Luigi Malerba eine "befreiende Aktion":

      Dass der Dichter Eduardo Sanguineti die feierliche Verleihung des Campiello-Preises in Venedig zu einer Attacke gegen Silvio Berlusconi nutzte, hat in Italiens Kulturszene lebhafte Diskussionen ausgelöst. Schauplatz des Zwischenfalls war der Festsaal des Dogenpalastes, wo der 73-jährige Genuese den Preis für sein Lebenswerk entgegennahm.

      Vom Moderator nach der Rolle der Intellektuellen befragt, nutzte Sanguineti das Scheinwerferlicht der Liveübertragung zu einem eindringlichen Appell an Staatspräsident Carlo D`Azeglio Ciampi, über die "Beachtung der antifaschistischen Verfassung" zu wachen.

      "Italien erlebt eine kritische Phase seiner Geschichte. Jener Mann, der Giacomo Matteotti ermorden und den größten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, Antonio Gramsci, einkerkern ließ, wird wieder salonfähig", warnte Sanguineti in Anspielung an Berlusconis Mussolini-Verharmlosung.

      Ein Teil der Prominenz rückte verlegen auf den Sesseln, andere applaudierten. Senatspräsident Marcello Pera demonstrierte deutliche Verärgerung: "Wir leben in einem freien und demokratischen Land, dessen Geschichte nicht dazu benützt werden darf, Barrieren zu errichten." Pera und Sanguineti gingen nach der Zeremonie grußlos aneinander vorüber. Der Campiello-Preis hatte seinen Eklat.

      Während der Präsident der Region vor Wut schäumte, fand der Philosoph Umberto Galimberti durchaus Anlass zur Genugtuung: "Die Intellektuellen schlafen. Dabei ist dringend eine Mobilisierung erforderlich." Der von Fotografen umringte diesjährige Campiello-Hauptpreisträger Marco Santagata sah keinen Grund zur Aufregung. Sanguineti habe "Selbstverständliches" gefordert, meinte der Universitätsprofessor aus Pisa, dessen Roman Der Meister der bleichen Heiligen mit dem begehrten Preis ausgezeichnet wurde.

      Die Reaktion von Senatspräsident Pera fand er "enttäuschend": Statt als Philosoph habe er ausschließlich als Politiker gesprochen. "Goldrichtig" fand Autor Luigi Malerba den von Sanguineti gewählten Anlass. "Echt gekonnt war das."

      "Privilegiert"?

      Eine Sicht der Dinge, der Erri De Luca nicht zustimmen mochte: "Ein so mondänes Ereignis scheint mir der falsche Ort für politische Appelle. Dafür gibt es Kundgebungen, Zeitungen, Veranstaltungen." Vom geforderten Aufbruch der Intellektuellen hält er wenig: "Wir sind doch bereits eine privilegierte Kaste. Da braucht es keine Appelle an die Politik", meint der Neapolitaner, der in Europa zu den meistgelesenen italienischen Autoren gehört.

      Sind Italiens Intellektuelle müde? Hat der Rückzug ins Privatleben begonnen? "Weder noch", findet Mario Andrea Rigoni. "Sie sind vor allem vermessen." Der bekannte Essayist und Yale-Professor will den Intellektuellen "keine Sonderrolle in der Gesellschaft zubilligen".

      Im Corriere della Sera lieferte er sich einen Schlagabtausch mit dem Autor Antonio Tabucchi, der sich für einen prominenten Intellektuellen eingesetzt hatte: Adriano Sofri. Der sitzt nach dubiosen Prozessen als vermeintlicher Auftraggeber eines vor 31 Jahren begangenen politischen Mordes im Gefängnis. Tabucchi wertet diesen Umstand als "skandalös und beschämend" und beruft sich auf "die öffentliche Meinung und das Gewissen der Bürger."

      Für Rigoni ist die "Wut und Empörung" Tabucchis Ausdruck von Hybris: "Ist die Justiz zu verdammen, wenn sie unsere Freunde verurteilt, und zu verteidigen, wenn sie Gegner ins Gefängnis steckt?" Die Anmaßung liege bereits im Tonfall: "Der Intellektuelle hat bei der Beurteilung von Sachverhalten keine größere Kompetenz oder Glaubwürdigkeit als der Normalbürger", gibt sich Rigoni überzeugt.

      Sofri selbst mischt im Gezänk nicht mit. "Er ist einer der führenden Intellektuellen Italiens und trägt sein Schicksal mit größter Würde", urteilt Corriere-Chefredakteur Stefano Folli in einem Amnestie-Appell. Doch Justizminister Roberto Castelli zeigt sich unnachgiebig. Tabucchi zum Verhalten des Lega-Hardliners: "Italien ist kein Rechtsstaat mehr."

      Die Diskussion über die Rolle der Intellektuellen in der Politik dauert noch an, da gibt ein neues Phänomen Rätsel auf. Ein beispielloser Kulturrausch hat die Italiener erfasst. In der Mailänder Kirche S. Maria della Grazie lockte der Dante-Experte Vittorio Sermonti mit einer Lesung aus der Göttlichen Komödie mehrere Tausend Menschen an. Sein Auftritt musste über Lautsprecher auf den Platz vor der Kirche übertragen werden.

      Massen-„Phänomen"

      45.000 zahlende Zuschauer drängten sich beim Literaturfestival in Mantua. Alle 200 Veranstaltungen waren ausverkauft. Nicht nur jene mit Nobelpreisträger Imre Kertész – auch die Lesung der pakistanischen Parsi-Autorin Babsi Sidhwa. Hunderte stellten sich geduldig für ein Autogramm von Jonathan Franzen an. In Rom strömten Tausende zu einer Lesereihe in der Maxentius-Basilika am Forum. Paul Auster war beeindruckt: "Ein Phänomen."

      Fast 50.000 Zuhörer bevölkerten am letzten Wochenende Modena. Der ungewöhnliche Anlass: das Festival della filosofia. Auf der sonnendurchfluteten Piazza Grande, in Kirchen, Innenhöfen und in den Nachbarorten Carpi und Sassuolo lauschten Tausende andächtig den Ausfühungen von Peter Sloterdijk Massimo Cacciari, Agnes Heller und Saskia Sassen.

      "Was ist los? Ist der kollektive Wahnsinn ausgebrochen?", fragt der Corriere verunsichert. "Die Menschen" – mutmaßt die Zeitung – "haben von Politik und Alltagschronik die Nase voll und suchen Antwort auf wesentliche Sinnfragen."

      Das Linksblatt L’Unitá gewinnt dem "Phänomen" schon konkrete Hoffnungen ab: "Wird das Schlagerfestival von San Remo durch Andrea Camilleri und Massimo Cacciari abgelöst?" (DER STANDARD, Printausgabe, 25.9.2003)


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