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    Der Spieler - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 28.11.03 00:55:42 von
    neuester Beitrag 28.11.03 06:00:00 von
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      schrieb am 28.11.03 00:55:42
      Beitrag Nr. 1 ()
      Der Spieler

      Peter hat Ökonomie studiert, seinen Doktor gemacht, einen guten Job gefunden
      und eine Familie gegründet.Heute lebt er hauptberuflich vom Pokerspiel.



      Text: Lukas Lessing Foto: Markus Rössle



      ----- Das „Kadlitz“ ist kein typisches Kasino. Eine Fensterreihe lässt Blicke hinaus in den wuchernden Garten und das Tageslicht herein in die teppichbodenbelegten Räume. Freilich kümmert sich niemand drinnen um die reifen Kastanien draußen, aber ein Zeichen ist es doch. Dass die Welt rundherum nicht vergessen ist, dass es dort noch Tage und Nächte gibt. Dieser Tag geht bald zu Ende nach einer endlosen Nacht, doch die Pokerrunde drischt unverdrossen Karten. Ohne Alkohol, aber mit literweise Kaffee und stangenweise Zigaretten ausgestattet. Ab und zu ein Sandwich oder eine Gulaschsuppe.
      Mahmet versinkt im eigenen Qualm, Kugelfisch zählt und schichtet und zählt und schichtet seine Jetons. Der Sektionschef ist fahl vor Ernst. Fast alle hier rufen sich mit Spitznamen. „Kugelfisch“ steht für den dicklichen Chinesen, „Sektionschef“ für den Beamten im korrekten Anzugshemd. „Einstein“ ist ein Antiquitätenhändler mit hohem Haaransatz und zitternden Händen. Peter, 36 Jahre alt, hat keinen Spitznamen. Er rutscht während des Spiels ein wenig mehr auf seinem Stuhl hin und her als notwendig. Müde sieht er aus, aber konzentriert. Er ist ein bisschen ungeduldig, denn nach fast 30 Stunden macht das Non-Stop-Spiel keinen Spaß mehr, sondern ist nur noch Arbeit.

      Beim Pokern ist er nicht wirklich gut. Und wundert sich selbst, dass er trotz vieler Fehler gewinnt

      Aber Peter kann nicht aufstehen und weggehen. Peter ist mit rund 8000 Euro im Minus. Das geht nicht, denn Peter spielt beruflich. Muss nicht nur sich durchbringen, sondern auch seine Frau sowie ihr gemeinsames Kind. Das Gartenhäuschen am Stadtrand muss auch bezahlt werden. Die Wohnung in der Innenstadt. Der BMW und der Jeep Cherokee. Die gemeinsamen Urlaube, die Umbaupläne. Nein, er kann erst aufstehen, wenn er auf null steht. Mindestens. Also bestellt er noch einen Kaffee und Jetons für 500 Euro.
      Das Buy-In, das nötige Startkapital, beträgt 600 Euro. Die kleine Wette, wie der niedrigste Einsatz genannt wird, geht zwar nur über 30 Euro, die große über 60, doch wer hier in einem Schwung weniger als 500 Euro in Jetons wechselt, macht sich lächerlich. Nur in Fünfhundertern, den höchsten Euronoten. So muss das laufen am Tisch. Cool. Goldketten, Rolex und Siegelring sind obligatorisch.
      Alle haben sie, außer Peter. Halbweltthemen, Puffgehabe, auch wenn manche gar keine Puffs von innen sehen. Peter etwa. Auch das neueste Handy ist nötig. Das legt jeder vor sich auf den Spieltisch. Falls in einem der knapp zwei Dutzend anderen Kasinos Wiens ein besseres Spiel läuft, denn Spieler sind flüchtige Gesellen. Ist anderswo mehr los, sind sie fort. Hat sie ihr Glück verlassen, bleiben sie sitzen.
      Das Spiel heißt Texas Hold’em und funktioniert mit fünf gemeinsamen Karten, zu denen jeder Spieler noch zwei weitere Hole-Cards erhält, um daraus die höchste Kombination zu legen. Irgendwann gestern Nachmittag hatten sie beschlossen, diese Poker-Version zu spielen. Die gilt in Österreich wie Pokern überhaupt als Geschicklichkeitsspiel, weshalb jeder ein Kasino eröffnen kann, der eine Lizenz zum Kartenverteilen hat. Nur reine Glücksspiele wie Roulette oder Baccara fallen unter das Monopol. Das üben die staatlichen Casinos Austria aus und exportieren ihr Know-how mit großem Erfolg ins Ausland, vor allem in ehemalige Ostblockstaaten, aber auch in die Schweiz (Casino Bern) oder nach Australien.
      Kasinos sind für Peter nicht interessant, denn mit Glücksspielen lässt sich bekanntlich kein Geld verdienen. Genauso wenig wie mit Pokerautomaten. „Die Software ist schon zu gut“, sagt er. Maschinen sind nicht beherrschbar. Anders als das Pokerspiel mit Menschen, bei dem man, wenn man sehr gut ist, regelmäßig gewinnt. Was bei Peter aber nach eigener Einschätzung nicht der Fall ist: „Beim Pokern bin ich in nix wirklich gut“, sagt er, „ich spiele zu viele Hände aus. Meine Risikofreude ist zu groß. Aber oft kann ich trotz meiner vielen Fehler gewinnen. Das wundert mich selbst.“
      In der vergangenen Nacht waren es zu viele Fehler. Oder Fehleinschätzungen der Gegner. Aber Mahmet einzuschätzen ist auch wirklich nicht leicht. Der iranische Ex-Wasserballspieler mit den behaarten Riesenpranken und dem Goldgehänge hat ein undurchdringliches Pokerface. Er sagt stundenlang kein Wort, und wenn er mal spricht, dann macht er nur ein paar kurze Bemerkungen. Im Übrigen verzieht er keine Miene – auf eine Art, die den anderen suggeriert, sie wüssten, wie es um das Blatt in seiner Hand steht. Dabei irren sie sich meistens.
      Auch Mahmet ist Profi-Spieler. Allerdings keiner, der sein Wissen aus Büchern hat, sondern einer, der kein anderes Instrument kennt als seinen Bauch. Außer Peter sitzt nur Mahmet schon seit fast 30 Stunden, seit Beginn der Partie, am Tisch. Nicht, weil er verloren, sondern weil er gewonnen hat. Weil er mehr gewinnen will.

      Ein 3500-Euro-Gehalt als Banker ist lächerlich, wenn man in einer Nacht 8000 Euro verspielt

      Peter sitzt an derselben Tischseite wie Mahmet, die im Halbstunden-Rhythmus wechselnden „Dealer“, wie die Croupiers hier heißen, dazwischen. Keiner sieht den anderen an. Zumindest nicht so richtig. Alle sehen auf die Karten und die Jetons. Bei den beiden Profis hat die Spieler-Grundregel „Weak means strong“ keine Bedeutung mehr, denn sie wäre zu einfach: gute Miene zu schlechten Karten, schlechte Miene zu den guten. Das funktioniert nur bei Anfängern.
      Peter ist im Gegensatz zu Mahmet kein Bauch-, sondern eher ein Kopfspieler. Sagt er. Als Student hatte er mit dem Spielen um Geld begonnen. Backgammon im Kaffeehaus. Bei den ersten Pokerpartien betrug der Einsatz pro Partie einen – damals noch – Schilling. An einem Abend gab es nicht mehr als 400 Schilling zu verlieren, rund 30 Euro. Die verlor Peter regelmäßig, weil er nicht spielen konnte. Also beschloss er, sich den Einsatz zurückzuholen. Früher oder später. Denn das, was ihm am Spieltisch gelang, „das konnte unmöglich alles sein“. Er empfand das sehr deutlich. Also ließ er sich vom Gambler’s Bookshop in Las Vegas einen Schwung Bücher über Poker zuschicken und vertiefte sich in die Lektüre.
      Die zweite Hälfte seines Betriebswirtschaftsstudiums finanzierte er sich dann durch das Spiel. Als promovierter Wirtschaftswissenschaftler bekam er damals, das war 1996, leicht einen Job in einer Wirtschaftsprüferkanzlei, dann bei einer großen österreichischen Bank. Den füllte Peter lustlos aus und konnte ihn sich bald nicht mehr leisten: „Es ist lächerlich, einen Monat für knapp 3500 Euro zu arbeiten und in einer Nacht 8000 Euro zu verlieren.“ Ärgerlich auch, dass er sich das Geld nicht zurückholen konnte, weil die Öffnungszeiten der Bank nicht mit dem Marathon am Spieltisch zusammenpassen wollten.
      Also beschloss Peter vor drei Jahren, mit diesem in seinen Augen finanziell gefährlichen Unsinn namens geregeltem Bürojob aufzuhören und seinen Lebensunterhalt erst mal auf zwei Säulen zu stellen: die Börse und das Pokerspiel. Als Startkapital nahm er einen Kredit auf, teilte das Geld zwischen New Economy und Pokertisch, um bald darauf entsetzt festzustellen, dass das Kartenspiel im Vergleich zur Weltwirtschaft eine ziemlich berechenbare Sache ist. Seine Aktien waren trotz glänzender Prognosen und unzähliger positiver Expertenmeinungen bald weniger wert als das Papier seiner Depotauszüge.
      Dann lernte Peter seine Frau kennen und bekam zwei finanzielle Probleme auf einmal: ein Kind und die drängenden Rückzahlungsraten für den Kredit, beide konnte er fortan nur noch aus einer Quelle bedienen – aus den Spielgewinnen. „Es war die härteste Zeit meines Lebens“, erinnert er sich, „jeden Tag mit dem Gefühl im Kasino, gewinnen zu müssen, und am nächsten Morgen die Gewinne sofort auf die Bank zu tragen. Heute frage ich mich, wie ich das geschafft habe.“
      Ach ja, die Frau. Und das Kind. Eigentlich wollten Alexandra und er heute Nachmittag Spielzeug einkaufen für den zweiten Geburtstag des Sohnes Leo und dann gemeinsam zu Abend essen. Aber dafür ist es zu spät, und die Karten kommen zäh. Peter hat erst 2000 Euro der Schadenssumme wettgemacht. Am Handy erklärt er seiner Frau einfühlsam die Situation. Was nicht notwendig ist, weil Alexandra sofort versteht: Der Spieltisch geht vor. Das ist Einsicht ins Notwendige – der Bankangestellte kann während seines Dienstes auch nicht shoppen gehen.
      Also setzt sich Alexandra ins Taxi und kommt schnell vorbei, um das Auto zu holen, damit sie den kleinen Leo von der babysittenden Omi abholen kann. Es ist eine merkwürdige Szene, als Alexandra mit ihren Tüten aus dem pädagogisch wertvollen Spielzeugladen ins Kasino kommt und Peter herzlich begrüßt. Das hat keine Routine, Peters Frau im Kasino. Kommt nur alle paar Jahre vor. Aber jetzt braucht sie den Autoschlüssel. Und erzählt ihm während des Spiels gleich etwas von ihrem Tag, was er abgelenkt, aber erfreut zur Kenntnis nimmt. Sie zeigt ein neues blechernes Aufziehtier vor und lässt es fröhlich am Rande des Pokertischs paradieren.
      Da müssen sogar hartgesottene Spieler lächeln, aber aus der Ruhe bringen lassen sie sich nicht. Könnte ja eine hammerharte Finte Peters sein. Schließlich sind sie anderen zwischenmenschlichen Umgang gewohnt.

      „Das sind die glücklichsten Momente, wenn ich die Gegner erkenne. Wenn ich weiß, was los ist.“

      Charly etwa, der Oberösterreicher, der erst vorhin wieder an den Spieltisch zurückgekehrt ist. Frisch geduscht und nach zwei Stunden Pause leicht erholt von seinem mehr als 24-stündigen Einsatz zuvor. Mit einem dicken Päckchen Fünfhunderter hinter fahrigen Händen, die pausenlos Chips umstapeln. Charlys superblonde Freundin wartet inzwischen ein paar Tische weiter, weil sie mit ihm essen gehen will. Wartet. Und wartet.
      Aber Charly kommt nicht los. Eine Runde noch, noch eine. Weil es gerade gut geht. Leise nähert sich seine Freundin, murmelt ihm leicht gereizt etwas von Hunger ins Ohr. Er wird unwirsch, sie zieht sich wieder zurück. Pokerspieler brauchen geduldige Frauen. Frauen, die selbst pokern, sind selten. „Frauen riskieren zu wenig“, sagt Peter, „sie geben sich nicht ganz dem Spiel hin.“ Alexandra sieht das genauso: „Ich hätte am Spieltisch einen Herzinfarkt nach dem anderen“, sagt sie. „Bei diesen Geldbeträgen. Und bei den tausend teuren Entscheidungen, die man Minute für Minute fällen muss.“ Genau darin liegt für ihn der Reiz des Spiels. Diese Wachheit, Da-Sein, Entscheiden, Verfügen. Der Kampf: Eine Gruppe von Menschen an einem Tisch, der eine belauert den anderen. Und natürlich das Geld. Das viele Geld.
      Alexandra verabschiedet sich, fährt nach Hause. Ein neuer Spieler kommt, Ernstl. Scarface, vernarbtes Gesicht, lange, feingliedrige Hände, die die Jetons ununterbrochen von einem Haufen auf den anderen wirbeln. Ernstl blufft sofort, spielt aggressiv, erhöht immer, so weit es das Limit zulässt. Die Partie gewinnt an Drive. Mahmet muss einen Fünfhunderter nach dem anderen einlösen. Auch Peter kommt wieder in Fahrt. Er gewinnt nur jede zweite, dritte Partie, doch die Jetons stapeln sich bei ihm. Hunderter auf Hunderter fließt zu ihm zurück.
      „Das sind die glücklichen Momente“, sagt er später, „wenn ich die Gegner erkenne. Wenn ich weiß, was los ist. Wenn das Spiel kristallklar vor mir liegt, kann ich auch mit einem Ass gewinnen.“ Aber er kann nicht aufstehen, obwohl das die Warner immer meinen: Wenn du gewonnen hast, musst du gehen. Sofort. Kugelfisch macht das so. Ist aber nicht gut für den Ruf in der Spielergemeinde, in der jeder jeden kennt. Zumindest die Profis. Und die Freiberufler oder Gewerbetreibenden, die Zeit und Geld zum Spiel haben. Die Autohändler, die Handwerker, die Kaufleute, die Wirte. Die Chinesen mit ihrem immer größeren Anteil an der Spielergemeinde. „Die spielen alle“, sagt Peter, „und immer besser. Die haben das Spielen im Blut.“
      In dieser Gemeinde muss jeder jeden akzeptieren, sonst kann man nicht tage- und nächtelang an einem Tisch sitzen. Freundschaften entstehen so nicht, aber Beziehungen. Außerdem hat jeder Spieler seinen Stil. „Mein Stil ist es nicht, Gewinne einfach wegzutragen“, sagt Peter, „auch wenn das klug wäre. Aber ich merke immer mehr, dass ich meinen Stil spielen muss, sonst geht nichts.“ Selbstanalyse eines Spielers.
      Wir sitzen auf der Terrasse des kleinen Sommerhauses der Spielerfamilie, mitten in den buschigen Wäldern an der Wiener Peripherie, Blick auf Stadt und Fluss unten im Tal. Hat doch noch bis weit nach Mitternacht gedauert gestern Abend, und Peter musste sich mit einem Minus von gut 3000 Euro geschlagen geben. Was soll’s, es gab Schlimmeres. Vor ein paar Wochen hatte er die schwerste Verlustserie seiner Laufbahn und verlor binnen eines Monats zwei Drittel seines Vermögens. Dabei wollten sie das Häuschen ausbauen. Das muss warten.

      Die Profis leben von Laien, die das Spiel nicht kapieren, hoch setzen und ihr Unglück beklagen

      Aber nicht mehr allzu lange. Peter möchte noch bis 40 hauptberuflich spielen. Sein erklärtes Ziel: bei den besten Partien der Welt mitzuspielen, in Paris, in Las Vegas. Demnächst in Amsterdam, in Basel. Bei den großen Turnieren, wo es Preisgelder von 150000 Euro gibt. In Wien liegt das Limit bei 30000 Euro. „Auf diesem Weg muss ich natürlich auch mit Verlusten rechnen“, sagt er. „Dazu gehört, auch mal 20000, 30000 an einem Abend zu verlieren. Nur wer das kann, kann gewinnen.“ Und kräftig Trinkgeld geben, Gewinne begießen, das Geld loslassen. „Sattelfest“ sein bei den großen Partien, so nennt er das, technisch und psychisch. Wenn er das ist, vielleicht mit 40, kann er immer noch eine Firma gründen. Aber spielen wird er, bis er vom Hocker fällt, so viel ist klar. Bis dahin heißt es lernen. Aber nicht nur das.
      „Beim Gewinnen brauchst du einen guten Lauf“, sagt er. „Ohne Glück geht auch für den besten Spieler nichts.“ Seine Frau wundert sich: „Aber geh, du liest doch die Bücher, du studierst Partien …“ Peter winkt ab. Natürlich, die Bücher, ein ganzes Regal voll. Aber Spieltheoretiker ist er nicht. Er analysiert keine Partien am Computer, er stellt keine Wahrscheinlichkeitsrechnungen an. Das ist nicht seine Art. Nur Excel-Dateien über Gewinn und Verlust führt er. Das hat er im Studium gelernt.
      Vielleicht hat er seinen vermeintlich rationalen Zugang zum Poker auch ein bisschen rausgestellt, um seine Frau zu beruhigen. „Natürlich mache ich mir manchmal Sorgen“, sagt sie, „wenn er eine längere Pechsträhne hat. Immerhin hängen wir alle von ihm ab. Dann denke ich, dass bei meinem Job früher auch nicht weniger Glück dabei war.“ Bevor das Kind kam, hatte sie mit einem Partner eine gut gehende Agentur, Corporate-Design-Entwürfe für japanische und deutsche Firmen, Arbeit rund um die Uhr.

      Seine Frau tröstet sich mit dem Gedanken, dass auch normale Jobs einer Pokerpartie gleichen

      Wenn sie heute noch so arbeiten würde, bekämen sich die beiden so gut wie nie zu Gesicht, von dem Kind gar nicht zu reden. Ein Glücksspiel war die angeblich so seriöse Werbearbeit sowieso. Wenn bei einem Auftraggeber der Werbeleiter ausgetauscht wurde, war der Kunde weg und jahrelange Aufbauarbeit über Nacht futsch. Verloren. Wie eine Pokerpartie, bei der der höchste Einsatz flöten geht und den Erlös von Tagen harter Arbeit binnen 30 Sekunden pulverisiert.
      Eine halbe Minute, länger dauert keine Partie. Gestern Nacht lagen immer nur ein paar hundert Euro im „Pot“, auf dem Jetonhaufen einer Spielrunde. Klingt nicht viel, doch die rasende Geschwindigkeit des Spiels bringt den Cash-Flow. „Du sollst nicht ewig lang denken“, sagt Peter. Alle 30 Sekunden ein paar hundert Euro erleichtern den schlechteren Spieler in weniger als einer Stunde um ein paar Tausender. Geschah gestern Abend auch. Das war Peters Glück. Ein Klempnermeister, der nicht regelmäßig spielt, aber doch einiges an Geld mitbrachte.
      Wenn so einer am Spieltisch auftaucht, frohlocken die Profi-Spieler, denn von solchen Leuten leben sie. Von Spielern, die nicht professionell spielen, aber hoch. Die beschimpfen dann den Dealer, beschweren sich über ihr schlechtes Blatt, knallen wütend die Karten auf den Tisch, beklagen ihr Unglück und verlieren doch nur, weil sie nicht genau wissen, wann sie mitgehen sollen und wann passen: weil es ihnen an Wissen über das Spiel fehlt. „Wenn du dich an einen Tisch setzt, und du siehst kein Weh, dann bist du’s selber. Und damit in höchster Gefahr“, sagt Peter. „Weh“ ist der wienerische Ausdruck für Versager.
      Heute Abend wird sich Peter in diese Gefahr begeben, sehenden Auges. Im Concord Card Casino, einem der größten Privatkasinos Europas, halbwegs unter der Stadtautobahn und der Einflugschneise des Flughafens gelegen, findet eine 150-300er Partie Omaha-Hi-Lo-Split-8-or-better statt. Mindesteinsatz 150 Euro, erhöhen auf 300 Euro. Jeder Spieler muss wie immer das Zehnfache der großen Wette vor sich auf den Tisch legen, um zum Spiel zugelassen zu werden, also 3000 Euro.
      Mithaben sollte man aber 10000 oder besser 12000 Euro, um nicht in Bedrängnis zu kommen. Hier gehen alle 30 Sekunden ein paar tausend Euro über den Tisch, wer nicht aufpasst, ist binnen Minuten fünfstellige Beträge los. Bürgerliche Existenzen sind bei solchen Partien schon innerhalb weniger Stunden zerbrochen. Heute werden die besten Spieler der Stadt dabei sein. Leute, die schon hunderttausende im Spiel gewonnen haben. Eine Herausforderung für Peter.
      Das Handy klingelt immer wieder. Betreiber anderer Kasinos rufen an, laden Peter zu ihren Spielen heute Abend ein. Zu kleineren Spielen. Manche bieten ein wenig Geld, damit Peter kommt. Denn einer wie er sorgt für höhere Einsätze. Die bringen höhere Anteile für das Kasino, das direkt nach jeder Partie kassiert. Bei kleinen Spielen gute 150 Euro pro Stunde pro Tisch. Doch diese Angebote nimmt Peter nie an, denn für ihn muss klar sein, auf welcher Seite er steht: auf der der Spieler, nicht der der Kasinos.
      Dabei wäre es vernünftiger, heute zu so einer Partie zu gehen, bei der auch schlechtere Spieler dabei sind. Dort ist zwar nicht so viel zu holen, weil viel niedriger gespielt wird, das dafür sicher. „Aber ich bin nicht nur Profi, sondern auch Spieler“, sagt Peter.
      Auch ihn reizt das Risiko. Auch er kann nicht von den Karten lassen. „Länger als zwei Wochen waren wir noch nie im Urlaub, dann fängt’s bei mir zu kribbeln an.“ Abgesehen von halb dienstlichen Spielausflügen nach Las Vegas, Paris oder an den Kärntner Wörthersee, zur Touristensaison, wenn die Urlauber dort sind. Wie im vergangenen Sommer. Das war keine glückliche Woche. Regen und 10000 Euro minus. Die er sich Gott sei Dank in der letzten halben Stunde des Aufenthaltes zurückholen konnte. Den See bekam Peter kaum zu Gesicht. Macht aber nichts. „Ich kann ohnehin nicht urlauben, ich bin Spieler.“ -----|

      brandeins.de
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      schrieb am 28.11.03 06:00:00
      Beitrag Nr. 2 ()
      :cool:

      Hammer, was es heut´ noch so alles gibt.


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