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    Fleißig, hungrig, zahnlos - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 24.03.04 22:09:15 von
    neuester Beitrag 28.03.04 12:28:44 von
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      Avatar
      schrieb am 24.03.04 22:09:15
      Beitrag Nr. 1 ()
      SPIEGEL ONLINE - 24. März 2004, 11:19
      URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,291820,00.html
      Amerikas Unterschicht

      Fleißig, hungrig, zahnlos

      Von Matthias Streitz

      Jeder kann es nach oben schaffen, mit harter Arbeit und etwas Glück - lautet das amerikanische Credo. Unsinn, sagt Pulitzer-Preisträger David Shipler. In einem Buch über Amerikas versteckte Armut zeigt er: Selbst die Fleißigsten aus der Unterschicht haben kaum noch Chancen auf sozialen Aufstieg.



      AP
      Angestellte bei Wal-Mart: "Am Boden der Arbeitswelt leben Millionen im Schatten des Wohlstandes"
      Caroline Payne hat keine Zähne mehr im Mund. Das ist auch ihre eigene Schuld, aber nicht nur. Die meisten Zähne hat sie verloren, als sie in Florida von der Sozialhilfe lebte. Sie verrotteten einfach, vereiterten. Einen Zahnarzt konnte sich Payne nicht leisten. Eine Krankenversicherung sowieso nicht.

      Irgendwann beschloss Caroline Payne, sich die restlichen Zähne ziehen zu lassen. Sie wollte gern ein Gebiss. Die staatliche Gesundheitsfürsorge Medicaid aber zahlte nur für besonders Bedürftige - für Menschen ganz ohne Zähne. Zwei zermürbende Stunden lang saß Payne im Zahnarztstuhl.

      Jetzt hat sie ein Gebiss, aber es passt nicht. Sie muss würgen, sobald sie es einsetzt. Eine Reparatur würde 250 Dollar kosten - zu teuer. Caroline Payne, um die 50, findet aus der Armut nicht heraus, in die sie gestürzt ist - obwohl sie ein College-Degree nachgemacht hat, wieder arbeitet. In einem Wal-Mart räumt sie Ware in Regale. "Ich arbeite mir den Arsch ab", sagt sie. Aber immer, wenn sie sich für bessere Posten bewirbt, werden andere vorgezogen - Jüngere, Attraktivere.




      Ein amerikanisches Urideal versagt

      "Wäre Caroline nicht arm gewesen, hätte sie ihre Zähne nicht verloren. Hätte sie ihre Zähne nicht verloren, würde sie nicht arm bleiben", schreibt der Journalist und Autor David K. Shipler. Zwischen 1999 und 2003 hat er Caroline Payne immer wieder interviewt, über Geldnot mit ihr gesprochen, über Schulden - und ihre Träume von einer anständigen Betreuung für die geistig behinderte Tochter Amber.



      Shipler-Buch The Working Poor: "Obwohl niemand die Regierung so nötig braucht wie die Armen, haben sie wenig Einfluss auf die Politik"
      Carolines Geschichte und die Dutzender anderer Frauen und Männer der Unterschicht erzählt Shipler auf 300 Seiten in seinem Buch The Working Poor, das gerade in den USA erschienen ist. Seine Recherche führte ihn ins ländliche Kentucky, in Slums und Kinderkliniken der Metropolen Boston und Washington, DC. In North Carolina besuchte er Wanderarbeiter aus Mexiko, zu Dutzenden in Baracken gepfercht. In Los Angeles traf er Näherinnen aus Vietnam, die in engen sweat shops Kleider für Designer fertigen.

      Ein Panorama der Not in der reichsten Volkswirtschaft der Welt. Manche der Männer und Frauen, über die Shipler schreibt, hat er sechs Jahre lang immer wieder gesprochen. Sie arbeiten für 6,75 Dollar pro Stunde als Kellner, für 165 Dollar die Woche als Kinderpflegerin. Manche gehören Minderheiten an. Andere sind weiß wie Caroline Payne.

      "Work doesn`t work" heißt ein Schlüsselkapitel. Shiplers These: "Die amerikanische Doktrin, dass harte Arbeit Armut heilt", funktioniere nicht mehr wie einst. Die Distanz zwischen den Schichten, ohnehin größer als in Europa, wachse - und der soziale Aufstieg sei oft unmöglich, selbst für die Fleißigen. Über 42 Millionen US-Bürger gelten offiziell als arm, zuletzt mit leicht steigender Tendenz. Viele von ihnen haben einen Job oder zwei, wie die Menschen in Shiplers Buch. Sie leiden in der Rezession, im Boom geht es ihnen kaum besser. Shipler will wissen warum.

      Shiplers Stil zeugt davon, dass er zwei Jahrzehnte als Reporter für die "New York Times" gearbeitet hat. Er lässt lieber Details für sich sprechen, als dass er Lehrsätze aufstellt. Trotzdem werden in den elf Kapiteln Mechanismen deutlich, die soziale Mobilität verhindern - die dazu führen, dass die Armen nie in ein eigenes Haus ziehen, sondern höchstens in einen Wohnwagenpark.



      SPIEGEL ONLINE
      Sozialwohnungsblöcke in der New Yorker Südbronx: "Armut führt zu Gesundheits- und Wohnproblemen. Schlechte Behausung und Gesundheit führen zu Versagen in der Schule. Schulischer Misserfolg führt zu Armut"
      "Armut ist eine blutende Wunde. Sie lockt Raubtiere an", schreibt Shipler etwa in einem Kapitel über Kredithaie, Scheck-Einlösefirmen und andere dubiose Finanzdienstleister. Dazu zählt er die Kette H&R Block, deren Filialen sich oft in den siechen Vierteln der Großstädte finden. H&R Block gewährt Kunden, die dringend auf eine sicherere Steuerrückzahlung warten, einen Vorschuss. Die Bearbeitungsgebühr: bis zu 50 Dollar für 200 Dollar bar.

      Solche Angebote für "Quick Cash" und "Easy Money" häufen sich gerade in den wenig privilegierten Distrikten. Die Verlockung zum Schuldenmachen ist immens, gerade in einer Kultur, die den Konsum vergöttert. Kreditkartenfirmen haben immer weniger Hemmungen, auch Kunden mit jämmerlicher Bonität einen Dispo-Rahmen zu gewähren. Dafür kassieren sie dann Zinsen von 23,99 Prozent per annum. Schon 16-Jährige bekommen Angebote.

      Kein Geld für Milch, aber für Ozzy Osbourne

      Shipler will wachrütteln mit seinem Buch. "Es ist Zeit, sich zu schämen", heißt der letzte Satz. Der Vorwurf richtet sich auch gegen die Regierung Bush. Sie strich eine Kindergeld-Pauschale für die meisten Familien mit einem Einkommen unter 26.625 Dollar, sie beschränkte Gratis-Mahlzeiten für Kinder in Schulen noch weiter.



      DPA
      Obdachlose Familie in Texas: "Weil die Probleme miteinander verkettet sind, müssen es auch die Lösungen sein. Ein Job allein ist nicht genug. Krankenversicherung allein ist nicht genug. Gute Behausung allein ist nicht genug."
      Trotzdem ist "Die arbeitenden Armen" kein ideologischer, klassenkämpferischer Traktat. Die Ursachen der Armut sind laut Shipler diffus und vielfältig - es sei schwer, einzelne Schuldige auszumachen. Auch den Armen gibt Shipler eine Mitschuld an ihrer Misere - so wie Willie und Sarah Goodell, die 161 Dollar für ein Ozzy-Osbourne-Konzert "übrig" haben, aber angeblich kein Geld für eine Krankenversicherung.

      Kaum Verständnis zeigt Shipler für Konzerne wie Wal-Mart, die Angestellte in dead-end jobs mit miserablen Aufstiegschancen festhalten und zugleich Milliardenprofite einfahren. In einer Passage fragt Shipler einen Filialleiter, ob es nicht möglich wäre, Menschen wie Caroline Payne ein paar Dollar mehr pro Stunde zu zahlen. Doch, antwortet der - die Gewinne würden wohl ausreichen. "Aber wir müssten bei anderen Dingen sparen. Vielleicht können wir dann nicht mehr die ganzen hübschen Ballons überall im Geschäft aufhängen."

      Pro und contra Clinton

      Mit The Working Poor, seinem vierten Buch, hat sich Shipler wieder eines wuchtigen Themas angenommen. In "Land der Fremden" schrieb er über das Misstrauen zwischen Schwarzen und Weißen in Amerika. In "Araber und Juden" behandelte er Hass und Bürgerkrieg im Nahen Osten. Dafür gewann er 1987 den Pulitzer-Preis.



      AP
      Mexikanische Erntearbeiter in Kalifornien: "Wenn Einwanderer zu uns kommen, schaffen sie Inseln des Elends inmitten der wogenden Wellen des Wohlstandes"
      Mit der Arbeit an seinem neuen Band begann Shipler 1997, kurz nachdem die Regierung Bill Clintons die Sozialhilfe-Bestimmungen reformiert hatte. Die Zeit, in der Arme sich auf staatliche Gelder verlassen können, wurde auf ein Maximum begrenzt - danach müssen sie sich Arbeit suchen. Viele Demokraten warfen Clinton vor, gefühlskalt zu handeln. Er habe sich die Inhalte des Gesetzes von den Republikanern diktieren lassen.

      Auch Shipler findet, dass Clintons Reform "Millionen in die Not gedrückt hat". Er zeigt aber auch ihre positiven Seiten. In einem Trainingscenter in Washington DC sah er, wie Obdachlose und einstige Dauerbezieher von Sozialhilfe auf die Arbeitswelt vorbereitet wurden. Viele dieser Frauen und Männer haben zum ersten Mal gelernt, jeden Tag pünktlich zu kommen. Sie haben trainiert, ihrem Chef in die Augen zu blicken, wenn er mit ihnen spricht. Viele haben Würde und Selbstbewusstsein gewonnen - auch wenn sie weniger verdienen als zehn Dollar die Stunde.

      Wie viele von ihnen hat auch Caroline Payne ihren Traum vom Wohlstand noch nicht aufgegeben. In ihrer E-Mail-Adresse nennt sie sich "luckylady". Weil sie kein Auto hat, geht sie bei jedem Wetter und jeder Tageszeit zu Fuß zum Dienst, ohne zu klagen. 6,25 Dollar pro Stunde bekommt sie am Anfang bei Wal-Mart, später wird der Lohn um 55 Cent erhöht.

      Ein großer Schritt ist das nicht. Schon bei einem ihrer ersten Jobs, in einer Feuerzeug-Fabrik in Vermont, hatte Caroline sechs Dollar pro Stunde verdient.

      Das war Mitte der siebziger Jahre.


      --------------------------------------------------------------------------------

      © SPIEGEL ONLINE 2004
      Avatar
      schrieb am 24.03.04 22:24:01
      Beitrag Nr. 2 ()
      Mitte der siebziger Jahre hatte man hier etwas 10-15 DM Brutto, also wo ist da der Unterschied ?

      Hab das schonmal falsch gebracht, aber Sozi war da nicht.

      Allerdings sind wir bald in 2004 weiter unten als die mitte der siebziger, ODER ?


      Man kann immer viel über andere motzen, aber realistisch sollte mann schon bleiben.

      Selbst auf heutige Verhältnisse übertragen, falls wieder jemand was hat:

      Hier bekommt jeder Essen, Trinken Unterkunft wenn er sich an die Regeln hällt !

      J.R.
      Avatar
      schrieb am 24.03.04 22:27:52
      Beitrag Nr. 3 ()
      #1
      Na und ???
      In ein paar Jahren sieht es Zahnmäßig bei uns ganz genau so aus!!!
      Avatar
      schrieb am 24.03.04 22:56:18
      Beitrag Nr. 4 ()
      # 3

      nein, schon ab dem 1. Mai

      Ganzes Gebiss, halber Preis
      AUS BERLIN UND STETTIN KIRSTEN KÜPPERS UND
      BERND HARTUNG (FOTOS)
      Und als plötzlich an einem Montagmorgen um zehn vor acht diese fremde Frau am Frühstückstisch ihres Reihenhauses in Berlin-Reinickendorf sitzt, weiß Erika Kaiser nicht mehr, ob das wirklich eine gute Idee war mit der Zahnbehandlung in Polen. "Guten Morgen, ich bin Frau Stepniewska", hatte die Frau gesagt, als sie mit einem Rollkoffer vor der Tür stand. Sie hatte gelächelt und mit den Absätzen ihrer hohen Schuhe gewippt.

      Das Internet hat Frau Stepniewska zu Erika und Klaus Kaiser geführt. Genauer gesagt, hat die Angelegenheit mit dem Unfall ihren Anfang genommen. Mit dem Vorfall mit dem Hund und dem Zahn von Klaus Kaiser. Die Kaisers heißen in Wirklichkeit anders, aber Erika Kaiser arbeitet im öffentlichen Dienst, und sie fürchtet, "das Ganze könnte nach hinten losgehen".

      Der Unfall war eher eine Kleinigkeit: Klaus Kaiser hatte Einkäufe in den Kofferraum geräumt, einer der Hunde war an ihm hochgesprungen, Mann und Hund stießen mit den Köpfen zusammen. Hinterher wackelte im Mund von Klaus Kaiser ein Zahn. Eineinhalb Jahre ist das her. Der Anfang einer Entwicklung, an deren Ende Kaiser sagt: "Ich bin fertig mit deutschen Zahnärzten. Die sehn mich nie wieder!"

      Kaiser hat das Internet durchsucht, er hat Frau Stepniewska und ihre Firma "Medi-Invite" gefunden. Fotos von einer gepflegten Klinik zogen über den Bildschirm, sie liegt in Stettin, auch eine Preisliste gab es. "Um die Hälfte ist das da billiger als bei uns", erklärt er. "Ich hab angerufen und einen Termin gemacht. Ganz einfach."

      Jetzt sitzt Frau Stepniewska bei ihnen zu Hause am Tisch. Natürlich mögen es manche Leute ungewöhnlich finden, wenn man einen Zahnarzt im Ausland besucht und von einer Vermittlerin dorthin eskortiert wird. Aber in diesem Fall sieht die Angelegenheit doch sehr vertrauenerweckend aus, findet Kaiser. Frau Stepniewska ist extra aus Hannover gekommen, um ihren neuen Kunden in die Klinik zu begleiten, außerdem muss sie gerade sowieso nach Stettin, eine echte Polin, 40 Jahre alt, mit Schminke auf den Lidern und schwarz gefärbten Haaren. Kaiser lacht und guckt auf den Rollkoffer.

      Seine Frau schweigt und hält die Hunde fest. Eine Zurückhaltung, mit der sich Kaiser jetzt nicht aufhalten kann, er sieht auf die Uhr, schnappt den Rucksack mit den Röntgenbildern. Es ist sein privater Protest, der hier beginnt. Seine Frau ist vielleicht nicht begeistert, aber Kaiser vollzieht heute seinen persönlichen Austritt aus dem deutschen Gesundheitssystem, er wird ihn sich nicht kaputtmachen lassen von irgendeinem Zweifel. Er fährt jetzt mit dieser Frau Stepniewska nach Polen und einer schmerzfreien Zukunft entgegen. Er ruft: "Ich bin zuversichtlich", und läuft zum Parkplatz. Die Vermittlerin klettert in seinen blauen Caravan, Kaiser winkt. Die Haustür klappt zu.

      "Vorher waren meine Zähne ja in Ordnung", erklärt er im Auto. Klaus Kaiser ist 53 Jahre alt und eigentlich keiner, der offen rebelliert. Als Ausdruck seiner gesellschaftskritischen Haltung arbeitet Kaiser als Tischler in einer sozialen Einrichtung. Er raucht selbst gedrehte Zigaretten, hat eine Tätowierung auf dem Unterarm, in den Ferien fährt er auf dem Motorrad durch Italien - solche Sachen. "Ich kann eine Menge aushalten", sagt er knapp.

      Aber sein alter Zahnarzt hat ihm vier Zähne gezogen, eine kippelnde Prothese in den Mund gebaut und eine Wurzelbehandlung verpasst. Kaiser hat viele Packungen Schmerztabletten geschluckt, sein Zahnarzt hat ihm eine Gaumenplatte eingesetzt, die ihn verrückt gemacht hat, und nachdem ihm ein anderer Arzt alles wieder rausgerissen hat, sagte Kaiser vor einem halben Jahr: "Ich brauch erst mal eine Auszeit!"

      Es ist kurz nach neun, an den Straßen klebt noch Frost. Der Caravan rollt an leeren Feldern und Wäldern aus dünnen Bäumen vorbei, es geht der Grenze entgegen. Kaiser ist noch nie in Polen gewesen. Aber bei Usedom, wo sie im Urlaub waren, gibt es einen Polenmarkt. Kaiser hat eine Jeans gekauft für zehn Euro. "Das muss man sich mal vorstellen: zehn Euro!", ruft er. Frau Stepniewska sitzt auf der Rückbank und lächelt still.

      Iwona Stepniewska lebt seit 17 Jahren in Deutschland, sie wohnt alleine mit ihrer Tochter in Hannover. Von Beruf ist Stepniewska Informatikerin. Im letzten Jahr wurde sie arbeitslos. Daraufhin hat sie eine Werbefirma gegründet und nebenbei mit der Vermittlung von Zahnbehandlungen und Schönheitsoperationen in Polen begonnen. Mit der Klinik in Stettin hat sie ausgehandelt, dass sie für jeden vermittelten Patienten eine Provision bekommt. Seit Januar läuft das Geschäft gut. Es ist wohl auch die Unzufriedenheit der Deutschen mit ihrer Gesundheitsreform, die sie jetzt bei Stepniewska anrufen lässt, dauernd, selbst spät in der Nacht und am Sonntag, sagt sie. "Auf einmal beginnen die Leute nachzudenken, ob sie sich nicht auch in Polen behandeln lassen können."

      Die Deutschen haben viele Fragen: Ob die Klinik neu ist, die Geräte modern sind, die Ärzte qualifiziert, was ein Brustimplantat kostet. Die Mieten sind in Polen niedriger, auch die Kosten für Personal, das macht eine Behandlung günstiger. "Ich will den Leuten nichts aufschwatzen", sagt Stepniewska, "aber wenn sie wollen, organisiere ich alles." Es ist die entschlossene Hilfsbereitschaft einer allein erziehenden Mutter, die merkt, dass sie mit ihrer Geschäftsidee den richtigen Riecher hatte.

      Um kurz vor elf steht Klaus Kaiser mit beiden Beinen auf polnischem Boden und ist restlos begeistert: "Also, super!" Sie sind an Baumärkten und Fast-Food-Filialen vorbeigefahren, an Stettiner Plattenbauten. Sie sind in einem der vielen Kreisverkehre falsch abgebogen und haben doch noch die Klinik gefunden.

      Frau Stepniewska hat ihren Rollkoffer über das Pflaster gezerrt, und jetzt sind sie in einer Umgebung angekommen, die überzeugt: Die Klinik ist ein moderner Flachbau, die Möbel sind sehr neu, im Behandlungszimmer läuft Musik von Eros Ramazotti, ein Mitarbeiter bringt Kaffee. Die Ärztin ist eine wunderbar strenge, junge Frau, die in Rostock Zahnmedizin studiert hat und fehlerloses Deutsch spricht. Und als Kaiser erzählt: "Ich wollte die Gaumenplatte in den Kanal schmeißen, es war der totale Horror", lacht sie einmal sogar.

      Es ist aber auch so, dass der Mund von Klaus Kaiser ein schwieriger Fall ist. Die Untersuchung dauert lange. Es müssen Röntgenbilder gemacht werden, ein Zahn hat Karies, die Kieferknochen sind nicht sehr stabil. Zwei Zähne müssen wahrscheinlich raus. Die Ärztin bespricht sich mit dem Kollegen.

      In diesen Pausen steht Kaiser auf, vertritt sich die Beine. Die Räume der Praxis liegen still da. Keiner, der die Gediegenheit stört. Um einen umfassenden Service zu garantieren, werden keine anderen Patienten behandelt, wenn deutsche Kunden kommen, hat Frau Stepniewska erzählt. Etwa viermal die Woche sei das der Fall. So herrscht eine Leere, die etwas Privilegiertes hat. Nur im Treppenhaus steht ein Grüppchen deutscher Patientinnen, die zur Abteilung Plastische Chirurgie gehören. Sie stehen im kalten Flur und rauchen gegen die Angst. Klaus Kaiser stellt sich dazu und raucht mit.

      Die Behandlung erreicht ihren Höhepunkt, als die Zahnärztin einen Abdruck von Kaisers Zähnen macht. Sie schiebt ihm eine kleine Schaufel mit grüner Masse in den Mund. Dann rechnet sie die Kosten vor, eröffnet Kaiser, dass eine Summe von etwa 12.000 Euro auf ihn zukommt, wenn er sich für die Lösung mit den Implantaten entscheidet. Kaiser schnauft leise, er kann nichts sagen. Wegen der grünen Masse im Mund. Vielleicht ist das ein Glück. 12.000 Euro für eine Zahnoperation ist eine Rechnung, die auch euphorische Menschen erschüttern kann. Selbst wenn sich in diesem Moment bei Kaiser ein Gefühl von Unsicherheit anzuschleichen drohte, hat die erzwungene Stillhaltezeit das Schlimmste verhindert. "Hört sich gut an", sagt Kaiser, als er wieder sprechen kann.

      Und spätestens, als sich dann alle wie alte Bekannte die Hände schütteln, Kaiser 20 Euro fürs Röntgen bezahlt hat und im Kopf noch einmal durchgerechnet hat, dass die Implantate in Deutschland doppelt so teuer wären, als Frau Stepniewska ihm eine gute Heimreise wünscht und die Ärztin verspricht, den Kostenvoranschlag zu schicken, da ist Kaiser schon sehr entschlossen wiederzukommen. Und wenn Polen erst zur EU gehört, muss seine Kasse für eine Behandlung in Stettin den gleichen Anteil zahlen wie für einen Zahnarztbesuch in Deutschland. Kaiser findet: "Das macht die Sache noch besser."

      Auf der Autobahn kommt die Entspannung. "Bisschen nervös ist man immer vorm Zahnarzt", gibt Kaiser zu. Er schaltet die Heizung ein. Eine warme Zufriedenheit legt sich über den Nachmittag, ein angenehmes Einverständnis mit sich, den polnischen Nachbarn, der dortigen Gesundheitsversorgung, überhaupt dem ganzen Land. "Wahnsinn", ruft Kaiser, als der Caravan an den Lastwagenschlangen an der Grenze vorbeizieht. "Wahnsinn!" Er nestelt sein Handy aus dem Rucksack und ruft in Reinickendorf an. "Hallo, ich bins! Ich wollte nur sagen, alles in Ordnung, ich bin jetzt wieder auf deutschem Gebiet!"

      taz Nr. 7318 vom 25.3.2004, Seite 7, 300 Zeilen (TAZ-Bericht), KIRSTEN KÜPPERS
      Avatar
      schrieb am 24.03.04 23:07:25
      Beitrag Nr. 5 ()
      @Jacky (#3)

      In ein paar Jahren sieht es Zahnmäßig bei uns ganz genau so aus!!!

      Stimmt nicht - Sozialhilfeempfänger bekommen immer noch einen super Zahnersatz finanziert. Nur der Arbeitnehmer ist der Depp. Er zahlt den größten Teil selbt. :mad:

      Leistung wird wieder einmal bestraft :mad: :mad: :mad:

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      Avatar
      schrieb am 24.03.04 23:07:26
      Beitrag Nr. 6 ()
      Bei nicht stabilen Kieferknochen halten Transplantate nicht!
      Avatar
      schrieb am 24.03.04 23:08:54
      Beitrag Nr. 7 ()
      kniebeisser
      das ist schon oder wird demnächst geändert!
      Avatar
      schrieb am 24.03.04 23:20:33
      Beitrag Nr. 8 ()
      Wenn ich den Stettiner-Beitrag richtig verstanden habe, braucht Herr Kaiser 4 Implantate!
      Hab mich eben auf www.implantate.com kundig gemacht. Da werden Preise ab 1.000,- bis max. 2.000 genannt, wobei letzterer sehr überhöht ist! Knochenaufbau muss extra bezahlt werden. Eine Patientin zahlte für ein Implantat oben und eines unten 1.400 und 1.200,- Euro!

      Rauchern wird übrigens von Implantaten, zumindest in Deutschland, abgeraten aus Gesundheitsgründen!

      Könnte es sein, dass sich Frau Stepniewska hier hinter einer ID verbirgt :D
      Avatar
      schrieb am 24.03.04 23:25:19
      Beitrag Nr. 9 ()
      dieser Herr-Kaiser-Beitrag ist typisch! Auf dem Motorrad durch Italien,
      ich unterstelle, er hat auch noch ein Auto,
      aber für die Zähne kein Geld!
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 08:57:51
      Beitrag Nr. 10 ()
      Kniebeisser #5

      Das war einmal !!!!
      Im Moment ist den Kassen keinMittel und keine Ausrede zu dumm , auch wenns illegal ist, sich um jeden, noch so kleinen Zahnersatzantrag zu drücken!!!

      Stella.#8 + 9
      Vollkommen richtig!!
      In Deutschland hat jeder für alles Geld . Auto , Urlaub usw. , nur für die Zähne nicht!!
      Und man glaub nicht, wieviele es noch gibt, die eine Zahnbürste nur aus der TV-Werbung kennen!!
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 09:08:38
      Beitrag Nr. 11 ()
      Wenn man Sozialhilfe bekommt, verrotten einfach die Zähne:laugh: :laugh: :laugh:
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 09:19:28
      Beitrag Nr. 12 ()
      Stephen

      Quatsch !!!!
      Eine Zahnbürste und Zahncreme kann sich JEDER leisten!!!( mann muß nur wollen!!)
      Mit welchem Recht können manche "Oralsäue", für die Zähneputzen ein Fremdwort ist, verlangen, daß die Allgemeinheit später für eine teure Sanierung aufkommt ???ß
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 09:20:52
      Beitrag Nr. 13 ()
      Und ausserdem bekamen bis jetzt ausgerechnet die Sozialhilfeempfänger und die sog. Härtefälle den besten Zahnersatz!!!!!
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 10:19:38
      Beitrag Nr. 14 ()
      #12 so in etwa war mein Beitrag gemeint;)

      vielleicht liegt es aber auch nicht an der Sozialhilfe sondern an Florida:eek:
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 10:45:13
      Beitrag Nr. 15 ()
      Liegt weder an der Sozialhilfe, noch an Florida, sondern nur an der Mentalität, Erziehung, und eben daran, daß man ja bis jetzt alles bezahlt bekam.

      Ein Beispiel vom letzten Jahr :

      Frau in den 50igern, nur Schrott im Mund,Zahnbürste - was ist das denn ???- braucht eine Generalsanierung, lt. Kostenvoranschlag ca. 3000 € Eigenanteil.
      Darauf diese Frau : Ja , das machen wir, aber erst im Herbst, da bin ich arbeitslos und Härtefall und muß nichts dazu bezahlen. Aber dann will ich etwas gescheides haben und nicht nur was einfaches!

      Ohne weitere Worte!!!!
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 13:18:46
      Beitrag Nr. 16 ()
      Das ist aber nicht die Mehrheit :mad:
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 13:20:02
      Beitrag Nr. 17 ()
      Stella
      Das ist die Einstellung der Mehrheit !!!!!
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 13:27:27
      Beitrag Nr. 18 ()
      JACKYONE
      Es mag die Einstellung vieler sein, fragt sich nur, ob die das auch umsetzen.

      Andererseits, wenn man die Einkommen der Arzt-Verbandsfunktionäre liest, ist es irgendwie auch verständlich.
      Mich hat sehr überrascht weniger das Jahressalär als die Höhe der Aufwendungskosten, die
      zum größten Teil 50.000 Euro/Jahr überschreitet. Indirekt belasten die Kosten ja auch die die Versicherten.
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 13:30:49
      Beitrag Nr. 19 ()
      Stella
      Das hat mich auch überrascht.
      Wird aber, denke ich, von den Beiträgen der Ärzte( die sind nicht gerade gering) bezahlt, nicht von den Versicherten
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 13:50:08
      Beitrag Nr. 20 ()
      JACKYONE
      ich unterstelle, dass diese Kosten in die Gebührenordnung einfließen und somit indirekt der Patient damit belastet wird.
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 15:07:28
      Beitrag Nr. 21 ()
      So gesehen, werden die Steuern der Ärzte auch von den Patienten gezahlt:rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 17:11:44
      Beitrag Nr. 22 ()
      JACKYONE
      mittlerweile schließe ich bei Ärzten nichts mehr aus!
      Mir scheint dass das eine der korruptesten Berufsgruppen
      überhaupt ist. Heute habe ich gelesen, dass ein Chefarzt
      eine Fettleber an zwei Patienten transplantiert hat,
      beide sind verstorben. Einem Verstorbenen hat er noch
      ca. 35.000,- Euro nachberechnet, obwohl die Operation
      mit 140.000,- bereits pauschal bezahlt wurde.
      Seiner Klinik ist er die Honorarerstattung schuldig
      geblieben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

      Es vergeht kaum eine Woche, wo nicht wieder irgendwo
      ein schwarzes Schaf in der Ärzteschaft gefunden wird,
      dies hat aber meistens zur Folge, dass weitere schwarze
      Schafe entdeckt werden.

      Na ja, verglichen mit Florida-Rolf ist das wohl harmlos :D
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 18:41:27
      Beitrag Nr. 23 ()
      ja. jetzt sind an der deutschen Misere schon ihre Ärzte schuld :laugh:

      Komisch, daß nur die Rechtsanwälte und die Politiker hierzulande die ehrlischsten sind :D
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 20:25:03
      Beitrag Nr. 24 ()
      Stella

      Schwarze Schafe gibt und gab es immer und überall - leider.
      Bei Ärzten nicht mehr oder weniger wie überall. Nur passen halt die Ärzte gerade vorzüglich in die politische Landschaft.
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 20:32:42
      Beitrag Nr. 25 ()
      jau, JACKYONE und Florida-Rolf auch!
      Ich frag mich nur, wer mehr Geld kostet,
      10 Florida-Rolfs oder 10 korrupte Ärzte!
      Avatar
      schrieb am 27.03.04 20:42:44
      Beitrag Nr. 26 ()
      Stella
      Du vergleichst Äpfel mit Birnen.
      Abgesehen davon war Floridarolf m.E. kein schwarzes Schaf, vielleicht ein cleveres, aber kein schwarzes. Er hat eben die (leider) bestehenden Möglichkeiten ausgenutzt.

      Aber es ist müßig, darüber zu streiten, ob jetzt 10 kriminelle Ärzte oder 10 korrupte Politiker, oder 10 kriminelle Bauunternehmer oder 10 Al Capones den größeren Schaden anrichten.
      Wir brauchen Kontrollen und andere Möglichkeiten ALLES DIESES zu unterbinden.
      Avatar
      schrieb am 28.03.04 12:08:08
      Beitrag Nr. 27 ()
      JACKYONE
      Kontrollen "blasen" die Verwaltung auf,
      was wir brauchen sind lückenlose Gesetze!
      Avatar
      schrieb am 28.03.04 12:28:44
      Beitrag Nr. 28 ()
      Müssen die dann nicht kontrolliert werden???:eek:


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