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    BFH: \"Alte\" Speku-Verluste sind von Amts wegen festzustellen! - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 26.10.06 22:07:34 von
    neuester Beitrag 28.10.06 12:38:58 von
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      schrieb am 26.10.06 22:07:34
      Beitrag Nr. 1 ()
      BUNDESFINANZHOF


      Beträgt die positive oder die negative Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, jeweils mehr als 800 DM (410 €), ist eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vom Amts wegen durchzuführen.




      EStG § 46 Abs. 2 Nr. 1


      Urteil vom 21. September 2006 VI R 47/05


      Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 3. November 2003 16 K 2522/01 E
      (EFG 2005, 1875)


      Gründe


      I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Sie reichten ihre Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1996 und 1997 am 20. März 2000 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) ein. Neben den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit erklärten sie Verluste des Klägers aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 21 506 DM für 1996 und 28 593 DM für 1997 sowie Kapitalerträge in Höhe von 1 985 DM für 1996 und 10 238 DM für 1997. Die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft wurden gesondert festgestellt. Für 1996 erklärten die Kläger außerdem Einkünfte aus Spekulationsgeschäften in Höhe von 487 DM (Kläger) und 701 DM (Klägerin). Später gaben sie noch sonstige Einkünfte des Klägers nach § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus der Vermietung eines PKW an, die sie für 1996 auf 1 842 DM und für 1997 auf 964 DM bezifferten.

      Das FA lehnte die Durchführung der Einkommensteuerveranlagungen ab.

      Die Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1875 veröffentlichten Gründen ebenfalls keinen Erfolg. Da neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit andere, nicht dem Lohnsteuerabzug unterliegende Einkünfte von saldiert nicht mehr als 800 DM erzielt worden seien, komme nur eine Antragsveranlagung in Betracht. Die Steuererklärungen seien jedoch nicht innerhalb der Antragsfrist beim FA eingegangen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren.

      Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts.

      Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil sowie den Bescheid vom 22. Mai 2000 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. April 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, sie für die Veranlagungszeiträume 1996 und 1997 zur Einkommensteuer zu veranlagen.

      Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen, bis das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über die Normenkontrollverfahren in den Ausgangsverfahren VI R 46/05 und VI R 49/04 entschieden hat.

      II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz sind die Kläger zur Einkommensteuer für die Veranlagungszeiträume 1996 und 1997 zu veranlagen.

      1. Der Senat hat die von den Klägern erhobenen Verfahrensrügen geprüft. Er erachtet sie nicht für durchgreifend und sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO).

      2. Die Revision hat jedoch mit der Sachrüge Erfolg.

      Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Veranlagung von Amts wegen nach § 46 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alternative EStG vor. Nach dieser Vorschrift wird die Veranlagung durchgeführt, wenn die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, mehr als 800 DM beträgt.

      a) Die Einkünfte i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG bestimmen sich nach Grund und Höhe nach Maßgabe der §§ 2 bis 24 EStG (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. April 1961 VI 246/60 U, BFHE 73, 113, BStBl III 1961, 310, 311, und vom 12. Februar 1976 IV R 8/73, BFHE 118, 209, BStBl II 1976, 413; Schmidt/ Glanegger, EStG, 25. Aufl., § 46 Rz. 51; Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 46 Rdnr. B 7; Blümich/ Heuermann, § 46 EStG Rz. 57). Danach liegen grundsätzlich auch Einkünfte vor, wenn die Erwerbsaufwendungen die Erwerbseinnahmen übersteigen. Der Begriff "Einkünfte" umfasst nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 2 EStG --auch ohne ausdrückliche tatbestandliche Anordnung-- nicht nur die positiven, sondern auch die negativen Einkünfte, also den Verlust und den Werbungskostenüberschuss (vgl. bereits BFH-Urteil in BFHE 73, 113, BStBl III 1961, 310, m.w.N.; Kirchhof, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 2 Rdnr. B 66 ff., m.w.N.). § 2 Abs. 3 EStG knüpft daran an, fasst die Beträge der Einkünfte aus den einzelnen Einkunftsarten in einer Summe zusammen, gibt damit dem Verlustausgleich die Rechtsgrundlage und setzt zugleich auch die Möglichkeit einer negativen Summe der Einkünfte voraus.

      Die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, kann ebenfalls positiv oder negativ sein. Auch der Wortlaut des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG enthält keine ausdrückliche Beschränkung auf die positive Summe der Einkünfte. Dagegen unterscheidet das EStG für andere Konstellationen durchaus zwischen der positiven und der negativen Summe der Einkünfte. In § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) setzt der Gesetzgeber in Satz 1 noch positive und negative Einkünfte voraus, verwendet dann aber in den folgenden Sätzen neben dem Begriff der "Summe der Einkünfte" die Begriffe "Summe der positiven Einkünfte", "negative Summen der Einkünfte" und "Summe der negativen Einkünfte". § 24a Satz 1 EStG spricht ausdrücklich von der "positiven Summe der Einkünfte". In § 39a Abs. 1 Nr. 5b EStG wird hinsichtlich des Freibetrags, der auf der Lohnsteuerkarte vom Arbeitslohn abzuziehen ist, unter anderem die "negative Summe der Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3, 6 und 7" genannt. Das EStG enthält damit eine differenzierte Terminologie zu den Maßgrößen der Einkünfte. Dieser Wortlaut deutet darauf hin, dass dann, wenn das Gesetz --wie in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG-- nicht ausdrücklich bestimmt, dass nur die positive oder nur die negative Summe der Einkünfte gemeint ist, § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nach seinem Wortlaut an den Regelfall anknüpft und deshalb die positiven und die negativen Einkünfte umfasst.

      Die systematische und teleologische Auslegung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG bestätigt dieses Normverständnis. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG soll der Vereinfachung dienen (BFH-Urteil vom 10. Januar 1992 VI R 117/90, BFHE 167, 152, BStBl II 1992, 720; Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 46 EStG Anm. 75; Blümich/ Heuermann, § 46 EStG Rz. 53; vgl. auch BTDrucks 11/2157, S. 164; kritisch Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 46 Rdnr. B 6). Aus dem systematischen Zusammenhang, in dem § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG steht, ergibt sich, dass es der Gesetzgeber zur Verfahrensvereinfachung beim Lohnsteuerabzug belassen will (§ 46 Abs. 4 Satz 1 EStG), wenn nicht --in den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG genannten Veranlagungsfällen-- eine Korrektur dieses Verfahrens erforderlich ist.

      Ziel der nach § 46 Abs. 2 EStG durchzuführenden Veranlagung ist die Herstellung steuerlicher Gleichheit zwischen allen Steuerpflichtigen durch Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer (vgl. auch Beschluss des BVerfG vom 13. Dezember 1967 1 BvR 679/64, BVerfGE 23, 1, BStBl II 1968, 70). Mit der Veranlagung sollen im Lohnsteuerverfahren systembedingt auftretende Steuerüber- und -untererhebungen ausgeglichen werden. Diesem Gesetzeszweck entspricht es, § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG dahin auszulegen, dass eine Veranlagung von Amts wegen nicht nur dann durchzuführen ist, wenn die positive Summe der Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren (Nebeneinkünfte), den Betrag von 800 DM (410 €) übersteigt, sondern auch, wenn die negative Summe der betreffenden Nebeneinkünfte diesen Betrag übersteigt. Denn die Abweichung des Lohnsteuerabzugs von der materiell richtigen Einkommensteuer gewinnt nicht nur mit zunehmend höheren positiven, sondern auch mit zunehmend höheren negativen Nebeneinkünften wachsende Bedeutung. Je höher die Summe der positiven oder negativen Nebeneinkünfte ist, umso mehr weicht die in Form des Lohnsteuerabzugs tatsächlich erhobene Einkommensteuer von der materiell richtigen Einkommensteuer ab. Die verfassungsrechtlich gebotene gleichheitsgerechte Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit würde damit im Hinblick auf die "horizontale" und "vertikale" Steuergerechtigkeit (vgl. BVerfG-Beschluss vom 16. März 2005 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268) sowohl bei einer höheren positiven als auch bei einer höheren negativen Summe der Nebeneinkünfte zunehmend verfehlt.

      Dieses der Steuergerechtigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechende Ergebnis wird durch die vom Senat für zutreffend erachtete Auslegung von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vermieden. Denn sie führt dazu, dass nur in einem Bereich, in dem die negativen oder positiven Nebeneinkünfte den Betrag von 800 DM nicht übersteigen, keine Amtsveranlagung durchzuführen ist. Damit wird einerseits der Vereinfachung Rechnung getragen, indem Amtsveranlagungen ohne oder mit nur geringen Steuernachforderungen oder Steuererstattungen unterbleiben. Andererseits wird eine gleichmäßige Festsetzung der Einkommensteuer erreicht, die den im Lohnsteuerverfahren auftretenden Steuer-
      über- und -untererhebungen gleichermaßen Rechnung trägt.

      Die Regelungen über den Härteausgleich in § 46 Abs. 3 und Abs. 5 EStG stehen dem nicht entgegen. In § 46 Abs. 2 EStG sind die Voraussetzungen festgelegt, unter denen bei Bezug von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit eine Veranlagung durchgeführt wird. Die Härteausgleichsvorschriften sind bei der Veranlagung anzuwenden. Die Durchführung der Veranlagung selbst wird durch das Verfahren bei der Ermittlung des Härteausgleichsbetrags aber nicht berührt (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1971 IV R 142/70, BFHE 104, 337, BStBl II 1972, 278). Die Regelungen über den Härteausgleich werden auch nicht gegenstandslos. Denn der Härteausgleich nach § 46 Abs. 3 bzw. Abs. 5 EStG kommt ohnehin nur in Betracht, wenn die Summe der einkommensteuerpflichtigen Nebeneinkünfte einen positiven Betrag ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 19. November 1965 VI 120/64 U, BFHE 84, 297, BStBl III 1966, 108; Nolde in HHR, § 46 EStG Anm. 195, m.w.N.).

      Entgegen der Ansicht des FA ergibt sich auch aus § 1 Abs. 3, § 13 Abs. 3, § 32 Abs. 4 Satz 2 und § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG für die Auslegung von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nichts anderes. § 1 Abs. 3 EStG betrifft u.a. "die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte". § 13 Abs. 3 Satz 1 EStG bezieht sich auf "Einkünfte" aus Land- und Forstwirtschaft. In Satz 2 der Vorschrift wird der Begriff "Summe der Einkünfte" verwendet. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG sprechen von Einkünften und Bezügen. Wie der Senat oben bereits dargelegt hat, enthält das EStG eine differenzierte Terminologie zu den Maßgrößen der Einkünfte. Die Frage, ob der Begriff der (Summe der) Einkünfte nur im Sinne eines positiven oder auch eines negativen Betrags zu verstehen ist, ist durch Auslegung der jeweiligen Vorschriften zu beantworten. Folglich kann die Auslegung von § 1 Abs. 3, § 13 Abs. 3, § 32 Abs. 4 Satz 2 und § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG nicht entscheidend dafür sein, wie § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG auszulegen ist. Denn diese Vorschriften und § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG regeln völlig andere Sachverhalte, dienen verschiedenen Zwecken und stehen in unterschiedlichen systematischen Zusammenhängen.

      b) Nach den vorgenannten Grundsätzen hat das Finanzgericht (FG) das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Veranlagung der Kläger nach § 46 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alternative EStG zu Unrecht verneint. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des FG zu den von den Klägern erzielten Einkünften betrug die negative Summe der einkommensteuerpflichtigen Nebeneinkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, jedenfalls mehr als 800 DM.

      3. Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO kam nicht in Betracht. Denn die Entscheidung des Rechtsstreits hängt nicht von der Entscheidung des BVerfG in den Normenkontrollverfahren 2 BvL 55, 56/06 zur Verfassungsmäßigkeit der Ausschlussfrist in § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ab.
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      schrieb am 26.10.06 22:12:17
      Beitrag Nr. 2 ()
      BUNDESFINANZHOF

      Beträgt die positive oder die negative Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, jeweils mehr als 800 DM (410 €), ist eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG von Amts wegen durchzuführen.




      EStG § 46 Abs. 2 Nr. 1


      Urteil vom 21. September 2006 VI R 52/04


      Vorinstanz: Hessisches FG vom 13. November 2003 5 K 2804/03





      Gründe


      I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) reichte seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2000, mit der er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 7 312 DM deklarierte, am 11. Februar 2003 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) ein. Die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ergaben sich aus einheitlichen und gesonderten Feststellungen.

      Das FA lehnte die Veranlagung ab. Die Klage hatte ebenfalls keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Veranlagung von Amts wegen seien nicht gegeben. Unter Einkünften i.S. von § 46 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen, sodass ein Verlust aus Vermietung und Verpachtung nicht zu einer Pflichtveranlagung führen könne. Der Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG sei nicht fristgemäß gestellt worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe das FA zu Recht abgelehnt.

      Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Entgegen der Ansicht des Finanzgerichts (FG) sei eine Veranlagung von Amts wegen nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durchzuführen. Die Vorschrift sei so zu verstehen, dass auch negative Einkünfte von mehr als 800 DM zu einer Pflichtveranlagung führen müssten. Darüber hinaus habe das FG zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert.

      Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil, die Nichtveranlagungsverfügung sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, ihn für den Veranlagungszeitraum 2000 zur Einkommensteuer zu veranlagen.

      Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Vorlagebeschlüsse zu § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG auszusetzen.

      II. Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist der Kläger zur Einkommensteuer zu veranlagen.

      1. Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Veranlagung von Amts wegen nach § 46 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alternative EStG vor. Nach dieser Vorschrift wird die Veranlagung durchgeführt, wenn die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, mehr als 800 DM beträgt.

      a) Die Einkünfte i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG bestimmen sich nach Grund und Höhe nach Maßgabe der §§ 2 bis 24 EStG (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. April 1961 VI 246/60 U, BFHE 73, 113, BStBl III 1961, 310, 311, und vom 12. Februar 1976 IV R 8/73, BFHE 118, 209, BStBl II 1976, 413; Schmidt/ Glanegger, EStG, 25. Aufl., § 46 Rz. 51; Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 46 Rdnr. B 7; Blümich/ Heuermann, § 46 EStG Rz. 57). Danach liegen grundsätzlich auch Einkünfte vor, wenn die Erwerbsaufwendungen die Erwerbseinnahmen übersteigen. Der Begriff "Einkünfte" umfasst nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 2 EStG --auch ohne ausdrückliche tatbestandliche Anordnung-- nicht nur die positiven, sondern auch die negativen Einkünfte, also den Verlust und den Werbungskostenüberschuss (vgl. bereits BFH-Urteil in BFHE 73, 113, BStBl III 1961, 310, m.w.N.; Kirchhof, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 2 Rdnr. B 66 ff., m.w.N.). § 2 Abs. 3 EStG knüpft daran an, fasst die Beträge der Einkünfte aus den einzelnen Einkunftsarten in einer Summe zusammen, gibt damit dem Verlustausgleich die Rechtsgrundlage und setzt zugleich auch die Möglichkeit einer negativen Summe der Einkünfte voraus.

      Die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, kann ebenfalls positiv oder negativ sein. Auch der Wortlaut des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG enthält keine ausdrückliche Beschränkung auf die positive Summe der Einkünfte. Dagegen unterscheidet das EStG für andere Konstellationen durchaus zwischen der positiven und der negativen Summe der Einkünfte. In § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) setzt der Gesetzgeber in Satz 1 noch positive und negative Einkünfte voraus, verwendet dann aber in den folgenden Sätzen neben dem Begriff der "Summe der Einkünfte" die Begriffe "Summe der positiven Einkünfte", "negative Summen der Einkünfte" und "Summe der negativen Einkünfte". § 24a Satz 1 EStG spricht ausdrücklich von der "positiven Summe der Einkünfte". In § 39a Abs. 1 Nr. 5b EStG wird hinsichtlich des Freibetrags, der auf der Lohnsteuerkarte vom Arbeitslohn abzuziehen ist, unter anderem die "negative Summe der Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3, 6 und 7" genannt. Das EStG enthält damit eine differenzierte Terminologie zu den Maßgrößen der Einkünfte. Dieser Wortlaut deutet darauf hin, dass, wenn das Gesetz --wie in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG-- nicht ausdrücklich bestimmt, dass nur die positive oder nur die negative Summe der Einkünfte gemeint ist, § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nach seinem Wortlaut an den Regelfall anknüpft und deshalb die positiven und die negativen Einkünfte umfasst.

      Die systematische und teleologische Auslegung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG bestätigt dieses Normverständnis. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG soll der Vereinfachung dienen (BFH-Urteil vom 10. Januar 1992 VI R 117/90, BFHE 167, 152, BStBl II 1992, 720; Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 46 EStG Anm. 75; Blümich/ Heuermann, § 46 EStG Rz. 53; vgl. auch BTDrucks 11/2157, S. 164; kritisch Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 46 Rdnr. B 6). Aus dem systematischen Zusammenhang, in dem § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG steht, ergibt sich, dass es der Gesetzgeber zur Verfahrensvereinfachung beim Lohnsteuerabzug belassen will (§ 46 Abs. 4 Satz 1 EStG), wenn nicht --in den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG genannten Veranlagungsfällen-- eine Korrektur dieses Verfahrens erforderlich ist.

      Ziel der nach § 46 Abs. 2 EStG durchzuführenden Veranlagung ist die Herstellung steuerlicher Gleichheit zwischen allen Steuerpflichtigen durch Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer (vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 13. Dezember 1967 1 BvR 679/64, BVerfGE 23, 1, BStBl II 1968, 70). Mit der Veranlagung sollen im Lohnsteuerverfahren systembedingt auftretende Steuerüber- und -untererhebungen ausgeglichen werden. Diesem Gesetzeszweck entspricht es, § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG dahin auszulegen, dass eine Veranlagung von Amts wegen nicht nur dann durchzuführen ist, wenn die positive Summe der Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren (Nebeneinkünfte), den Betrag von 800 DM (410 €) übersteigt, sondern auch, wenn die negative Summe der betreffenden Nebeneinkünfte diesen Betrag übersteigt. Denn die Abweichung des Lohnsteuerabzugs von der materiell richtigen Einkommensteuer gewinnt nicht nur mit zunehmend höheren positiven, sondern auch mit zunehmend höheren negativen Nebeneinkünften wachsende Bedeutung. Je höher die Summe der positiven oder negativen Nebeneinkünfte ist, umso mehr weicht die in Form des Lohnsteuerabzugs tatsächlich erhobene Einkommensteuer von der materiell richtigen Einkommensteuer ab. Die verfassungsrechtlich gebotene gleichheitsgerechte Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit würde damit im Hinblick auf die "horizontale" und "vertikale" Steuergerechtigkeit (vgl. BVerfG-Beschluss vom 16. März 2005 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268) sowohl bei einer höheren positiven als auch bei einer höheren negativen Summe der Nebeneinkünfte zunehmend verfehlt.

      Dieses der Steuergerechtigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechende Ergebnis wird durch die vom Senat für zutreffend erachtete Auslegung von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vermieden. Denn sie führt dazu, dass nur in einem Bereich, in dem die negativen oder positiven Nebeneinkünfte den Betrag von 800 DM nicht übersteigen, keine Amtsveranlagung durchzuführen ist. Damit wird einerseits der Vereinfachung Rechnung getragen, indem Pflichtveranlagungen ohne oder mit nur geringen Steuernachforderungen oder Steuererstattungen unterbleiben. Andererseits wird eine gleichmäßige Festsetzung der Einkommensteuer erreicht, die den im Lohnsteuerverfahren auftretenden Steuerüber- und -untererhebungen gleichermaßen Rechnung trägt.

      Die Regelungen über den Härteausgleich in § 46 Abs. 3 und Abs. 5 EStG stehen dem nicht entgegen. In § 46 Abs. 2 EStG sind die Voraussetzungen festgelegt, unter denen bei Bezug von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit eine Veranlagung durchgeführt wird. Die Härteausgleichsvorschriften sind bei der Veranlagung anzuwenden. Die Durchführung der Veranlagung selbst wird durch das Verfahren bei der Ermittlung des Härteausgleichsbetrags aber nicht berührt (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1971 IV R 142/70, BFHE 104, 337, BStBl II 1972, 278). Die Regelungen über den Härteausgleich werden auch nicht gegenstandslos. Denn der Härteausgleich nach § 46 Abs. 3 bzw. Abs. 5 EStG kommt ohnehin nur in Betracht, wenn die Summe der einkommensteuerpflichtigen Nebeneinkünfte einen positiven Betrag ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 19. November 1965 VI 120/64 U, BFHE 84, 297, BStBl III 1966, 108; Nolde in HHR, § 46 EStG Anm. 195, m.w.N.).

      Auch aus § 1 Abs. 3, § 13 Abs. 3, § 32 Abs. 4 Satz 2 und § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG ergibt sich für die Auslegung von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nichts anderes. § 1 Abs. 3 EStG betrifft u.a. "die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte". § 13 Abs. 3 Satz 1 EStG bezieht sich auf "Einkünfte" aus Land- und Forstwirtschaft. In Satz 2 der Vorschrift wird der Begriff "Summe der Einkünfte" verwendet. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG sprechen von Einkünften und Bezügen. Wie der Senat oben bereits dargelegt hat, enthält das EStG eine differenzierte Terminologie zu den Maßgrößen der Einkünfte. Die Frage, ob der Begriff der (Summe der) Einkünfte nur im Sinne eines positiven oder auch eines negativen Betrags zu verstehen ist, ist durch Auslegung der jeweiligen Vorschriften zu beantworten. Folglich kann die Auslegung von § 1 Abs. 3, § 13 Abs. 3, § 32 Abs. 4 Satz 2 und § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG nicht entscheidend dafür sein, wie § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG auszulegen ist. Denn diese Vorschriften und § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG regeln völlig andere Sachverhalte, dienen verschiedenen Zwecken und stehen in unterschiedlichen systematischen Zusammenhängen.

      b) Nach den vorgenannten Grundsätzen hat das FG das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Veranlagung des Klägers nach § 46 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alternative EStG zu Unrecht verneint. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des FG erzielte der Kläger negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 7 312 DM. Dieser Betrag übersteigt die Freigrenze von 800 DM.

      Da der Kläger Nebeneinkünfte i.S. von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nur aus einer Einkunftsart erzielte, kommt es im Streitfall für die Ermittlung der Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, auch nicht auf die in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 vorgeschriebene Verhältnisrechnung an.

      Bei dieser Sachlage kann außerdem dahinstehen, ob die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge durchgreift.

      2. Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO kam nicht in Betracht. Denn die Entscheidung des Rechtsstreits hängt nicht von der Entscheidung des BVerfG in den Normenkontrollverfahren 2 BvL 55, 56/06 zur Verfassungsmäßigkeit der Ausschlussfrist in § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ab.
      Avatar
      schrieb am 27.10.06 06:59:42
      Beitrag Nr. 3 ()
      Danke. :)

      Das ist aber ganz schön Komplex das Thema.


      :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 27.10.06 12:09:07
      Beitrag Nr. 4 ()
      :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 27.10.06 12:30:02
      Beitrag Nr. 5 ()
      @kosto:
      Aber für manchen Forumsteilnehmer bietet sich jetzt die Möglichkeit, längst "vergessene" Speku-Verluste geltend zu machen.

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      Avatar
      schrieb am 27.10.06 18:13:38
      Beitrag Nr. 6 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.886.306 von NATALY am 27.10.06 12:30:02Was meinst Du mit längst vergessenen Speku-Verlusten?
      cu
      pegru
      Avatar
      schrieb am 28.10.06 12:38:58
      Beitrag Nr. 7 ()
      @pegru:
      Solche, bei denen vergessen (oder jedenfalls unterlassen) wurde, sie beim Finanzamt geltend zu machen.


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