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    Inflation- wie lange noch und wohin geht sie?

    eröffnet am 29.06.22 13:10:06 von
    neuester Beitrag 29.06.22 13:10:06 von
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      schrieb am 29.06.22 13:10:06
      Beitrag Nr. 1 ()
      Eine Analyse der zukünftigen Preise für Nahrungsmittel und fossile Energien

      In den letzten Wochen beherrschte das Thema Inflation fast täglich die Märkte. Warum ist die Inflation zurück und welche Auswirkungen hat sie?
      Die erste Frage ist in der Theorie relativ leicht zu beantworten: Inflation entsteht dann, wenn zu wenig Güter vorhanden sind, um die Nachfrage zu decken. Steigende Gütermengen bewirken ein Sinken, abnehmende Gütermengen führen zu einem steigen der Preise.
      Spiegelbildlich führt eine verstärkte Nachfrage nach Gütern zu einem Preisanstieg, sinkende Nachfrage zu einem Preisabfall.
      Diese Beziehungen sind das 1x1 der Volkswirtschaftslehre.

      Was hat die Inflation in den letzten zehn Jahren so niedrig gehalten und was sind die Ursachen für die sprunghaft gestiegene Inflation in den letzten Monaten? Ich beschränke mich in diesem Artikel auf die Güterklassen Nahrungsmittel und fossile Energien:

      Die historisch niedrige Inflation, die wir über Jahrzehnte in Europa und den USA hatten, besitzt zwei Ursachen: In den Industrieländern haben wir seit Jahrzehnten kein Bevölkerungswachstum mehr- im Gegenteil, in den meisten Industrieländern haben wir schrumpfende Bevölkerungen und damit tendenziell eine sinkende Nachfrage. Vor allem Nahrungsmittel wurden 2020 in Europa nicht mehr nachgefragt als 2010, da das Versorgungsniveau von 2010 nicht mehr nachhaltig gesteigert werden konnte. Demgegenüber war die Versorgungslage von Nahrungsmitteln durch Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft und Fortschritten in der Gentechnik bedeutend. Es konnten nennenswerte Steigerungen in der Nahrungsmittelproduktion auch in den letzten Jahren erzielt werden- bei stagnierender oder sinkender Nachfrage. Die Nahrungsmittelpreise sanken tendenziell- sehr zum Unmut der hiesigen Landwirte- aber zur Freude der Privatverbraucher.

      Auch die Energiepreise wurden in Folge des technischen Fortschrittes nicht nachhaltig erhöht. So verbraucht ein Durchschnittsmittelklassewagen heute weniger Benzin als noch vor 10 Jahren. Selbst ein gestiegener Komfort hat die Nachfrage nach Sprit nicht gesteigert. Vergleichbare Entwicklungen haben Dämmmaßnahmen im Wohnungsbau erreicht.

      Die Bereitstellung von Energie wurde demgegenüber gesteigert. Zum Teil durch die erneuerbaren Energien aber, was viel wesentlicher ist: Es gab neue Fördertechniken für fossile Brennstoffe und die Versorgungslage von Öl, Gas und Co war gesichert, Russland lieferte zuverlässig und die ursprünglichen Krisenregionen wie der Nahe Osten zeigten sich in den letzten Jahren relativ friedlich und sorgten so für eine Vollversorgung der Industrienationen.
      Vor dem Ukrainekrieg hatten wir eine typisches Inflationsszenario in langanhaltenden Friedenszeiten: Die Inflation war nahe 0 oder im Extremfall negativ. Einfach dadurch begründet, dass in Friedenszeiten die Versorgung der Güter gesichert ist, denn in Friedenszeiten wird genug produziert und die Güter können einfach und damit preiswert verteilt werden.

      In der folgenden Analyse gehe ich zuerst einmal von folgendem politischem Grundszenario aus: Der Krieg in der Ukraine wird noch länger mit konventionellen Mitteln weiter geführt: Russland und die Ukraine geraten dabei in einen Abnutzungskrieg, der noch Monate und ggf. Jahre weiter dauert. Der Frontverlauf ist dabei unerheblich. Solange Russland und die Ukraine einen räumlich begrenzten Krieg führen, der zwar Tod für viele Soldaten und unendliches Leid über die ukrainische Zivilbevölkerung bringt, sehe ich die Inflationstendenzen wie folgt:

      Die aktuelle geopolitische Situation vor allem die Versorgungslage zunächst tüchtig durcheinander: Bei den fossilen Energieträgern Öl und Gas ist die Lage besonders paradox: Zum einen versucht Europa Öl und Gas, aber auch Kohle nicht mehr aus Russland zu importieren- das sind die Sanktionen gegen die russische Aggression. Zum anderen wird von Russlands Seite vor allem Gas als Druckmittel eingesetzt, die Unterstützung für die Ukraine zu bestrafen und die Wirtschaftssanktionen des Westens zu kontern: Im Wissen, dass Länder wie Deutschland und Italien von russischem Gas abhängig sind, wird mit der Verringerung der Gasversorgung gedroht und z. T. exerziert. Russland hat seine Drohung, den Gashahn abzudrehen, nur solange, wie diese Abhängigkeit auch besteht. Sobald in Deutschland LNG-Terminals gebaut sind- nach bisherigen Schätzungen also evt. 2023, ist eine Gasdrosselung nahezu wirkungslos. Deutschland besitzt kurzfristig keine Chance, auf russisches Gas vollständig zu verzichten, wenn man einen totalen Kollaps bei der Stromversorgung vermeiden will. Die Gaskraftwerke liefern einen bedeutenden Anteil des Stroms, der in Deutschland gebraucht wird. Vor allem die Spitzenlasten sind durch die Gaskraftwerke abgedeckt.
      In Frankreich spielt Gas nur eine untergeordnete Rolle, denn hier setzt man traditionell auf Atomstrom.
      Anders als bei Gas ist die Abhängigkeit von russischem Öl ist geringer, denn hier besitzt Europa eigentlich flächendeckend eine ausreichende Verladeinfrastruktur. Und ob das Öl aus Russland oder aus dem Nahen Osten kommt, ist nahezu unerheblich, auch wenn Qualitätsunterschiede des Öls eine Umstellung der Raffinerien erfordern. Ebenso kann Kohle aus Ländern wie Kanada oder Südafrika importiert werden. Öl und Kohle sind zwar etwas teurer, wenn man sie aus ferneren Ländern importiert, aber immerhin verfügbar. Bei Gas haben aber die großen Wirtschaftsnationen Deutschland und Italien das Problem, dass es derzeit noch unersetzbar ist.
      Gas kann für die Verstromung teilweise durch Öl und Kohle ersetzt werden. Glücklicher Weise sehen auch die Ökoparteien derzeit ein, dass der Kohleausstieg noch etwas verschoben werden muss, will man in Deutschland den Blackout vermeiden.
      Die europäischen Länder besitzen ohnehin nur einen verschwindend geringen Anteil am Kohleverbrauch: Deutschland ist mit 1,2% des Weltkohleverbrauches ein Zwerg gegenüber den 54%, die China verbraucht und Indien mit fast 12%. Die anderen EU-Länder verbrauchen noch weniger Kohle.
      (Daten aus 2020, Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/41698/umfrage…

      Während die europäischen Länder die fossilen Energien in anderen Regionen einkaufen müssen, sucht spiegelbildlich Russland Abnehmer in anderen Regionen für seine Energieträger. Russland findet sie in Indien und China, wobei auch hier Russland erst einmal die Infrastruktur dafür aufbauen muss. Aber mittelfristig werden China und Indien die Kohle und das Öl von Russland aufkaufen, mit einem guten Abschlag zum Weltmarktpreis, denn Russland kann seine Waren nicht mehr in die lukrativen westlichen Länder verkaufen. Dadurch sinkt zeitlich verzögert die Nachfrage an diesen Rohstoffen aus China und Indien an den Weltbörsen und daher werden die fossilen Energieträger auch nicht in das Unermessliche steigen. Sie wurden zwar künstlich verteuert, da die Transportkosten auf die Förderkosten aufgeschlagen werden müssen, aber solange die fossilen Energieträger weiter gefördert werden, bleibt die Gütererzeugung gleich und solange die Nachfrage sich nicht nachhaltig erhöht, sollte es eine Preisobergrenze geben. Durch die verschlechterten Weltmarktbedingungen wird auch immer wieder von bevorstehenden einer Rezession gesprochen, die die weltweite Nachfrage sogar mittelfristig einbrechen lassen kann. Das würde dann wieder zu einem Preisrückgang führen, aber kurzfristig ist der nicht in Sicht.

      Ich denke, dass wir hinsichtlich der Preise für Kohle und Öl eine Preisobergrenze erreicht haben werden, die nur noch in Übertreibungsphasen überschritten wird. Vielleicht steigen die Energiepreise noch 1-2 Monate, aber ich denke, dass die Steigerungsraten nicht aufrecht erhalten werden. Soll heißen: Es wird, solange der Krieg andauert, eine Plateauphase mit Preisen für Öl und Kohle geben, die deutlich über dem Kriegszeiten liegen, aber die Preise werden nicht in das Unermessliche steigen, einfach, weil die Gütermenge nicht signifikant abnimmt, sondern die geförderten Rohstoffe nur anders verteilt werden. Ich sehe langfristig weder einen Nachfrageschub noch einen Versorgungslücke, da die Produktionskapazitäten in dem angenommenen Szenario weitgehend gleicht bleiben.
      Gas traue ich hingegen kurzfristig noch extreme Verwerfungen zu. Gas ist noch viel schwerer zu ersetzen als Öl. Aber sobald die LNG-Terminals gebaut wurden, wird auch hier Stabilität eintreten, wenngleich auf höherem Preisniveau als vor dem Krieg.

      Grundsätzlich andere Bedingungen liegen bei den Nahrungsmitteln Sonnenblumenöl und Getreideerzeugnissen vor. Beide kriegsführenden Länder sind bedeutende Erzeuge dieser Agrarrohstoffe. Es steht zu erwarten, dass vor allem die Ukraine weniger dieser Agrarrohstoffe produzieren kann. Weizen und Sonnenblumenkerne sind nicht beliebig lang lagerbar. Wenn diese nicht in relativ kurzer Zeit abtransportiert werden, dann verderben sie. Hier herrscht tatsächlich eine Versorgungslücke durch den Krieg.
      Die Preise für Weizen und Speiseöl dürften noch nicht das Ende gefunden haben. Für die westliche Welt ist dies von geringerer Bedeutung: Die Preise für die Agrarrohstoffe wie Weizen besitzen nur einen relativ geringen Anteil am Brotpreis. Stärker als der Preis für das Mehl beeinflussen die Transportkosten den Brotpreis in einem deutschen Supermarkt.
      Anders sieht das in den Entwicklungsländern aus: Vor allem in Afrika führt eine Steigerung der Weizenpreise direkt zu Hunger und Tod.

      Die Notenbanken werden versuchen die Inflation durch Zinsanhebungen zu drücken. Solange noch die Preisverwerfungen nicht ihr neues Plateau gefunden haben, werden wir positive Zinsen erhalten. Langfristig wird es ein neues Gleichgewicht geben von höheren Preisen und höheren Zinsen. Aber ich kann mir schlecht vorstellen, dass wegen der von mir angenommenen gleich bleibenden Versorgungslage bei den Energierohstoffen sich eine Preisschraube entwickelt, die wirklich gefürchtet werden muss- zumindest nicht im westlichen Europa. Wenn die Produktionskapazitäten nicht nachhaltig gestört werden, wird das Preisniveau nach oben gedeckelt bleiben- von spekulativen Übertreibungen einmal abgesehen.

      Welche Schlüsse kann man nun als Investor daraus ziehen? Ich sehe folgende Kriegsgewinner:
      1.) Vor allem die Logistikunternehmen, die die Rohstoffe nun auf viel längeren Wegen transportieren müssen, werden höhere Preise verlangen können und damit ihre Gewinne steigern können. Das Gut „Transportkapazität“ ist eigentlich das einzige Gut in meinem angenommenen Szenario, welches nachhaltig stärker nachgefragt wird. Dabei denke ich, dass die Agrarrohstoffe und die fossilen Energieträger weiter strak- auch in einem Rezessionsszenario- auf den Weltmeeren transportiert werden. Deshalb bevorzuge ich eher Tankerreedereien oder Bulkerunternehmen (Massengutfrachter für Getreide, Kohle u. ä.), weniger Containerschiffseigner, denn die Containerschifffahrt würde im Rezessionsszenario weniger nachgefragt.

      Ich gebe meinen Lesern hier einige Beispiele, wo Ihr einmal eigenmächtig recherchieren könnt, welches Unternehmen in Euer Depot passt:
      2020 Bulker, Star Bulk Carriers, Eagle Bulkers,
      Frontline, Nordic American tankers, Scorpio Tankers,
      ZIM, Sadumera Shipping (beides integrierte Schifffahrtsunternehmen)
      Woodside Energy besitzt eine große LNG-Flotte und Chevron besitzt nicht nur Öl- und Gasvorkommen, sondern auch noch zusätzlich eine große LNG-Flotte.

      2.) Kohle ist wieder salonfähig geworden. Wer die Kohleförderer sucht, die von dem Krieg langfristig profitieren sollten, der sollte wissen, dass für die Verstromung vor allem die sog „thermische Kohle“ eingesetzt wird. Diese ist zu unterscheiden von der hochwertigeren „metallurgischen Kohle“, die bei der Stahlerzeugung eingesetzt wird. Vor allem in Südafrika und in Australien wird man fündig:
      Exxaro, New Hope, Whitehaven, Coronado Coal, PT Bayan Ressources, PT Adaro Energy, sind Namen, die Ihr bitte einmal googeln solltet!

      Der Autor beschäftigt sich seit 34 Jahren mit der Börse, davon vier Jahre hauptberuflich. Er schreibt auch unter dem Pseudonym Lorenz Laplace.

      Ich zitiere einmal den Disclaimer von WO, der auch für diesen Artikel gelten soll:
      „Disclaimer
      Die hier angebotenen Beiträge dienen ausschließlich der Information und stellen keine Kauf- bzw. Verkaufsempfehlungen dar. Sie sind weder explizit noch implizit als Zusicherung einer bestimmten Kursentwicklung der genannten Finanzinstrumente oder als Handlungsaufforderung zu verstehen. Der Erwerb von Wertpapieren birgt Risiken, die zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals führen können. Die Informationen ersetzen keine, auf die individuellen Bedürfnisse ausgerichtete, fachkundige Anlageberatung. Eine Haftung oder Garantie für die Aktualität, Richtigkeit, Angemessenheit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen sowie für Vermögensschäden wird weder ausdrücklich noch stillschweigend übernommen.“
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