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    MYSTERIUM GERMANIAE - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 02.10.01 11:45:42 von
    neuester Beitrag 02.10.01 14:16:09 von
    Beiträge: 4
    ID: 481.515
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      schrieb am 02.10.01 11:45:42
      Beitrag Nr. 1 ()
      http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,160039,00.html

      Lesenswert! - von Richard Schröder - ich stelle ein paar Sätze ein, die ich allesamt völlig teile.

      Nach zwei selbst verschuldeten und verlorenen Weltkriegen suchen Deutsche ihre Identität eher in Europa als in der eigenen Nation - warum eigentlich? Plädoyer für ein entkrampftes Selbstwertgefühl. / Von Richard Schröder

      ...

      1990 ist Deutschland in die Mündigkeit entlassen worden und die DDR in die Freiheit. Aber Mündigkeit und Freiheit verlangen den Menschen auch etwas ab. Das Leben unter Vormundschaft mit beschränkter Haftung hatte auch seine Bequemlichkeiten und bot Platz für Marotten.

      Dazu kommt: Wir haben Schwierigkeiten mit diesem "Wir": Wir Deutsche. Deutschland ist keine Idylle. Probleme haben wir genug. Es sind aber im Wesentlichen dieselben, die unsere Nachbarn haben, die Probleme einer modernen Gesellschaft im Zeitalter der Globalisierung. Deutschland hat keine historische Mission, aber es steht unter einem geographischen Imperativ: Das europäische Land mit den meisten Nachbarn muss sich wie kein anderes vor zwei Sonderwegen hüten - der Selbstvergrößerung und der Selbstverkleinerung. Beides, nicht der Größenwahn allein, stiftet Misstrauen bei den Nachbarn.
      (...)

      Wenn ich das alles anerkenne, warum widerspreche ich dann der Forderung, diese Verbrechen (gemeint freilich: aus der NS-Zeit; Neemann) in unsere nationale Identität aufzunehmen? Weil wir auch von einem Mörder, der seine Tat gestanden hat, nicht erwarten dürfen, dass er in Zukunft auf die Frage "Wer bin ich?" nur dies eine zu sagen weiß - ein Mörder. Nein, werden wir entgegnen: Du warst nie nur ein Mörder, und du hast auch eine andere Zukunft als nur dieses Stück deiner Vergangenheit. Wenn aber so jemand anfinge, damit zu kokettieren, dass er ein Mörder ist, sich also mit seiner Verworfenheit interessant machte, wäre das unerträglich.

      So etwas gibt es auch unter uns, den Nationalismus mit negativem Vorzeichen. 1990 wurde in Berlin und Frankfurt am Main demonstriert unter den Losungen "Deutschland muss sterben, damit wir leben können" und "Nie wieder Deutschland". An Berliner Hauswänden habe ich gelesen: "Deutschland, halt`s Maul." Jeder demonstriert, wie er will. Aber er blamiert sich auf eigene Rechnung. Und das muss man ihm nicht verheimlichen. Wir können das Schreckliche nur gespiegelt verkraften. Solche Spiegel, durch die wir uns die Schrecken der Nazi-Zeit vergegenwärtigen können, ohne zu versteinern, sind Geschichten, Biografien, wie das Tagebuch der Anne Frank oder das von Victor Klemperer. Sich mit solchen Schicksalen zu identifizieren ist etwas anderes als sich mit den Verbrechen der Nazi-Zeit zu identifizieren oder eben: sie in unsere nationale Identität aufzunehmen.

      Nachvollziehbar ist, dass jemand, den der Anblick des Schrecklichen gelähmt hat, sagt: Ich kann nicht mehr darüber froh werden, ein Deutscher zu sein. Das sollten wir respektieren. Manchmal hören wir aber ganz andere Töne, kein Leiden an der deutschen Geschichte, sondern einen neuen Stolz: Über so etwas Beschränktes wie die nationale Identität sind wir erhaben, wir sind Europäer, wir sind postnational.

      Das ist bloß ein Trick, wieder etwas ganz Besonderes zu sein und auf die Beschränktheit der anderen hinabzuschauen, die gern oder auch stolz Franzosen, Polen oder Dänen sind.
      In den skandinavischen Ländern sieht man vor vielen Wochenendhäusern die Landesfahne gehisst - unvorstellbar in Deutschland. Bitte, wir müssen das nicht nachmachen, sollten aber ganz schnell den Hochmut ablegen, wir seien deshalb den Skandinaviern eine Menschheitsepoche voraus.

      Weil wir offenbar immer etwas Besonderes sein wollen, haben manche von uns den Nationalismus durch peinlichen Moralismus ersetzt. Das lässt sich am Antiamerikanismus illustrieren, der gerade mal wieder durch die Feuilletons geistert, weil manche die Amerikaner für hochgradig belehrungsbedürftig in Sachen Terrorismusbekämpfung halten. (...)
      Oder nehmen wir die bioethische Debatte. In innereuropäischen Diskursen wird gelegentlich von deutscher Seite gesagt: Wir haben da strengere Maßstäbe, unserer Geschichte wegen: Euthanasie, Vernichtung "lebensunwerten Lebens", verbrecherische Experimente an Menschen in den KZs. Es sollte uns zu denken geben, was die Briten dazu sagen: Erst erlaubt ihr euch die schlimmsten Verbrechen, und dann begründet ihr damit ein moralisches Sendungsbewusstsein. Verschont uns mit eurer Geschichte. Wir brauchen euren Nachhilfeunterricht in Sachen Ethik nicht. Wir sind selbst erwachsen. (...)

      Was heißt "Ich bin Deutscher"? Nichts Besonderes, aber etwas Bestimmtes. Zweierlei, die gemeinsame Erinnerung und der Wille zu einer gemeinsamen Zukunft, verbindet uns als Deutsche. Dazu gehört auch der Verfassungspatriotismus, weil das Grundgesetz ihn verdient. Aber doch noch mehr. Ich persönlich möchte mich weiterhin noch vieler anderer guter Dinge aus deutschen Landen und deutscher Geschichte erfreuen, zum Mindesten der Reformation und der Aufklärung.

      Die Nation konstituiert ein "Wir" - allerdings nicht das einzige. Es gibt daneben größere: "Wir Europäer", und kleinere: "Wir Sachsen". Konzentrische Kreise sind das. Und es gibt grenzüberschreitende: "Wir Ärzte", "Wir Christen", "Wir Frauen". (...) Es gibt gegen Ausländerfeindlichkeit und jugendliche Brutalität viele Argumente, über deren Bekehrungskraft wir uns allerdings keine Illusionen machen sollten. Es gibt auch ein nationales Gegenargument, und das ist nicht das schlechteste. Ihr blamiert uns. Ihr ruiniert Deutschlands Ruf in der Welt. Das lassen wir uns von euch nicht bieten.
      Avatar
      schrieb am 02.10.01 13:51:25
      Beitrag Nr. 2 ()
      Ich dachte, es würd sich eine erbitterte Diskussion entzünden ... aber der Text ist wohl zu lang :D
      Avatar
      schrieb am 02.10.01 13:59:41
      Beitrag Nr. 3 ()
      Wieso? Wer sollte dem widersprechen. Ist ja auch Parteienkonsens.
      Avatar
      schrieb am 02.10.01 14:16:09
      Beitrag Nr. 4 ()
      Parteikonsens ist aber noch lange nicht Boardkonsens ...

      Aber ich nehme an, es ist Boardkonsens bei all denen, die auch lange Artikel lesen - das selektiert ;)


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