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    Hans Christoph Buch: Blut im Schuh - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 20.12.01 20:18:20 von
    neuester Beitrag 22.12.01 05:25:44 von
    Beiträge: 9
    ID: 525.184
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      schrieb am 20.12.01 20:18:20
      Beitrag Nr. 1 ()


      Blut im Schuh
      Schlächter und Voyeure an den Fronten des Weltbürgerkriegs
      Was bringt einen deutschen Schriftsteller dazu, seinen Schreibtisch zu verlassen und jahrelang die ungemütlichsten Regionen unserer Welt aufzusuchen? H. C. Buch hat kaum einen Schreckensort ausgelassen. Seine Reportagen handeln von Ost-Timor und Tschetschenien, Kambodscha und Algerien, dem Kosovo und dem Sudan, von Ruanda, Sierra Leone, Haiti... Eine schier endlose Liste. Es sind die gefährlichsten Bruchstellen der Weltgesellschaft, die ihn anziehen, und was er als Augenzeuge beschreibt, ist die finsterste Kehrseite der Globalisierung.
      Gewiß sind es in erster Linie die Opfer und die Täter des Bürgerkriegs, an die der Autor erinnert; aber er richtet den Blick auch auf unsere Abgesandten, die Helfer und die Beobachter. Auf diese Weise gewinnen seine Berichte eine andere Dimension, die der Selbstprüfung. Indem er vom Herz der Finsternis spricht, kommt Buch sich und uns näher als jeder Spendenaufruf und jede Fernsehreportage.
      Diese fortwährende Reflexion rahmt seine zehn großen Erfahrungsberichte ein und durchbricht sie in Gestalt eines langen Essays. In vier Teilen spricht der Schriftsteller über jene Grenzen von Journalismus und Literatur, die er bei seiner Arbeit fortwährend überschreitet. Dabei zeigt sich, wodurch er dem Korrespondenten der Medien überlegen ist: durch seine Fähigkeit zum Zweifel und durch sein kulturelles Gedächtnis. Kaum ein Reporter würde sich auf so überraschende und illustre Kronzeugen und Vorbilder berufen wie H. C. Buch. In seinem Essay zeigt er, daß Lessing, Goethe und Kleist, Tolstoi, Orwell und Lu Xun mehr über Schlächter und Voyeure wußten als Tagesschau und CNN.

      ISBN 3821845082
      54,00 DM
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      schrieb am 20.12.01 20:21:54
      Beitrag Nr. 2 ()
      Ein Spiegel Interview vom Oktober:

      Von Holger Kulick

      Wie gefährlich sind die Taliban? Der Berliner Autor Hans Christoph Buch reiste nach dem Anschlag in New York in das Grenzgebiet von Pakistan und Afghanistan und sprach dort mit führenden Geistlichen der islamistischen Fundamentalisten. Im SPIEGEL-ONLINE-Gespräch vergleicht er sie mit Kambodschas blutrünstigem Terror-Regime.




      SPIEGEL ONLINE: Sie sind Anfang Oktober aus Afghanistan und Pakistan zurückgekehrt und haben dort Lager, Moscheen und Ausbildungsstätten besucht. Was war Ihr Eindruck?
      Hans Christoph Buch: Er war niederschmetternd. Das war eine Erfahrung, die ich so nicht für möglich gehalten habe, weil ich den Eindruck bekam, dass dort, so grotesk es klingt, das so genannte "Böse" tatsächlich existiert. Ich habe dort die Roten Khmer von heute erlebt.

      SPIEGEL ONLINE: Wie kommen Sie darauf?


      Buch: Weil ich mich mit den Roten Khmer sehr gründlich beschäftigt habe, auch in Kambodscha. Die Strukturen der Taliban und ihre Denkweisen sind sehr ähnlich. Das beginnt damit, dass die Taliban hauptsächlich Kindersoldaten unter Waffen halten, das sind zwangsrekrutierte Unmündige, die die Koranschule durchlaufen haben und danach direkt in die militärische Ausbildung übernommen werden für den Einsatz an der Front.

      SPIEGEL ONLINE: Als Beleg für eine so harten Vergleich reicht das noch nicht aus.



      Buch: Dann die Tatsache, dass ihre internen Organisations- und Kommandostrukturen bis hin zur Person ihres Führers bis vor kurzem geheim waren. Es gab von Mullah Mohammed Omar nur ein einziges verwischtes Foto. Das war bei Pol Pot genauso, dessen Identität erst ziemlich spät bekannt wurde, da waren die roten Khmer schon jahrelang an der Macht. Was aber insbesondere verblüfft, ist die Menschenverachtung in beiden Fällen und ihre Intoleranz. Nicht nur Film und Fernsehen gilt als Sünde, auch Literatur und Kunst. Es sind Regimes, die nicht mehr mit den traditionellen Kategorien links/rechts oder islam/nicht islam zu fassen sind, denn gemessen selbst an den Mudschaheddin, die gegen die Russen kämpften, sind mir diese Leute wie Marsmenschen erschienen.


      SPIEGEL ONLINE: Aber die Taliban stammen doch von dieser Welt?


      Buch: Aber sie haben eine ungeheuer vereinfachte Version des Islam verinnerlicht, pure Schwarz-Weißmalerei. Selbst über die Geschichte ihres eigenen Lands erfahren diese Kämpfer nicht viel. Sie wirken, wie nach einer Art Gehirnwäsche aus einem Science-Fiction-Roman, so wie man es von einer Sekte erwartet. Genau so waren auch die Roten Khmer im Vergleich zur traditionellen marxistischen Bewegung. Diese jungen Leute kennen nichts außer der Koranschule und dem Krieg und sind - außer in früher Kindheit zu Hause - nie Frauen begegnet. Sie empfinden Frauen sogar als eine Bedrohung. Deshalb auch die ausgeprägte Sexual- und Frauenfeindlichkeit bei den Kämpfern, die dort richtiggehend populär ist. Weil sie nichts anderes kennen.

      SPIEGEL ONLINE: Wo haben Sie Ihre Erkenntnisse gewonnen?

      Buch: Die Taliban-Bewegung kommt aus dem Nordwesten Pakistans. In ihrer führenden Koranschule in Akora Khattak kurz vor Peshawar traf ich auch auf den geistlichen Führer, der diese Bewegung mitaufgebaut hat. Die meisten Talibanführer kommen aus seinem "Kloster", so würden wir im christlichen Kontext sagen. Das ist Maulana Samiul Haq, seine Denkrichtung heißt "Haqqania". Und das ist eine geradezu faschistisch anmutende Form des Islam, denn er sagte mir wörtlich: "Die Ungläubigen müssen sich dem Islam unterwerfen und nicht umgekehrt". Auch eine Gleichberechtigung gebe es nicht.

      SPIEGEL ONLINE: Lässt sich das mit dem Koran begründen?

      Buch: Nein, denn selbstverständlich duldet der Koran andere Religionen neben sich, sogar im Iran, wenn auch in eingeschränktem Maß. Das erschreckende ist, dass diese Koranschulen der Taliban nicht etwa zu vertiefenden Kenntnissen des Koran erziehen. Die Ausbildung besteht aus reinem Auswendiglernen und das von Anfang an gekoppelt mit militärischem Drill.


      SPIEGEL ONLINE: Glauben die geistlichen Führer denn selbst an diese vereinfachte Ideologie?



      Buch: Die Führer sind intelligenter als ihre Gefolgschaft, sie sehen die Dinge auch differenzierter. So haben sie auch versucht, noch vor dem Militärschlag zwischen der Taliban-Führung und Pakistans Regierung zu vermitteln, weil sie wissen, dass sie sonst in der islamischen Welt isoliert werden könnten. Aber es sind Menschen, die mir gegenüber geradezu entrückt wirkten, wie Gurus oder Heilige und keineswegs aggressiv. Sie haben mich sehr freundlich empfangen, sogar eingeladen. Ich hätte, wenn ich gewollt hätte, sogar Mitglied ihrer Bewegung werden können.


      SPIEGEL ONLINE: Sind sie religiöse Verführer?


      Buch: Sie verbreiten um sich eine Aura der Spiritualität, der religiösen Hingabe und Frömmigkeit, sind aber keineswegs Asketen. Sie sind verheiratet, sogar mit mehreren Frauen. Sie leben auch in Wohlstand, denn diese Moscheen erhalten sehr viel Geld von der Bevölkerung und bis vor kurzem auch aus der Staatskassen Pakistans. Es ist also nicht so, dass diese Leute, die andere in den Krieg schicken, selbst große Opfer bringen. Für mich war dies ein erschreckender Einblick in eine Mentalität, wie sie in der allerextremsten Form offensichtlich Bin Laden verkörpert.

      SPIEGEL ONLINE: Wie groß ist deren gesellschaftlicher Rückhalt?



      Buch: Der pakistanische Präsident schätzte den Anhang der Taliban und der radikalreligiösen Parteien in Pakistan auf etwa 20 Prozent. Darin kommt aber noch nicht das große Sympathisantenumfeld zum Tragen. Die gemäßigten Muslime sind das Rekrutierungsfeld der Taliban und die einfachen Leute tun sich schwer, sich zu distanzieren. In dieser Region überwiegen Armut und Analphabetentum. Die wenigsten haben Arbeit, was ihre Frustration verstärkt. Durch dieses soziale Elend und die kulturelle Entfremdung auch von ihrer eigenen Kultur ist die Bereitschaft weit verbreitet, solchen Demagogen zu folgen.

      SPIEGEL ONLINE: Und die gebildeteren Schichten?


      Eine (inzwischen) unvermeidliche Gewalteskalation? Bombe eines US-F-14-Fighters "Ich fände es gut, wenn die USA die Taliban stürzen".


      Buch: In einem Land wie Pakistan sind die akademisch gebildete Mittelschicht und die reiche Oberschicht extrem in der Minderheit und fürchten sogar die einfachen Massen. Denn sie können durch den Ruf der Muezzin zum Gebet, der in den Städten über Lautsprecher verbreitet wird, innerhalb weniger Minuten mobilisiert werden - im Zweifel pro Taliban.
      Avatar
      schrieb am 20.12.01 20:24:32
      Beitrag Nr. 3 ()
      SPIEGEL ONLINE: Welchen Schluss ziehen Sie aus Ihren Reiseerfahrungen?

      Buch: So provokant das klingen mag, ich fände es gut, wenn die Amerikaner die Taliban stürzen würden. Das ist natürlich auch paradox, weil sie diesen Fundamentalismus viel zu lange unterstützt haben. Als sie ihren Irrtum begriffen haben, war es zu spät. Pakistan hat dann weiter den Taliban Waffen geliefert und selbst vom Drogenhandel der Taliban profitiert. Im eigenen Land verbieten die Taliban zwar das Drogengeschäft, finanzieren aber mit dem von ihnen kontrollierten Handel ihre Kämpfe und ihre Politik.


      SPIEGEL ONLINE: Warum hat Pakistan nicht reagiert?

      Buch: Sehr spät, hoffentlich nicht zu spät, wurde Anfang dieser Woche der pakistanische Geheimdienstchef entmachtet, das ist genau der Mann, der für die Verbindungen zu den Taliban zuständig war. Jetzt stehen auch die religiösen Führer, mit denen ich gesprochen habe, unter Hausarrest. Pakistans Regierung hat sie interniert, weil von ihnen eine Gefahr für den Bestand des pakistanischen Staates ausgeht.


      SPIEGEL ONLINE: Wie groß ist das Risiko, dass die Angriffe auf Afghanistan jetzt die Taliban sogar stabilisieren, weil die zivilen Opfer der Bombenangriffe die Bevölkerung erschrecken?



      Buch: In Pakistan ist das eher der Fall als in Afghanistan. Dort sind die Taliban durch alles was vor den Angriffen geschehen ist, zu unbeliebt geworden. Unter ihnen hat Afghanistan gelitten und gehungert, es gibt seit Jahren kaum noch Schulbildung, und zwar auch, weil die Frauen nicht mehr im Lehrerberuf arbeiten dürfen, und in den Hospitälern das weibliche Personal fehlt. Selbst die verwundeten Talibankämpfer können kaum noch versorgt werden. Deshalb kann das afghanische Taliban-System schnell zusammenbrechen.

      SPIEGEL ONLINE: Restlos?

      Buch: Die Kämpfer ziehen sich dann voraussichtlich in die Berge zurück. Sie sind sehr genügsam und ihre Führer sind nicht an dem materiellem Wohlstand orientiert, wie die Initiatoren, die in Pakistan in Sicherheit sind. Durch die Taliban in Afghanistans Bergen könnte dann ein lang anhaltender Guerillakrieg entstehen, der in vielen islamischen Staaten zur Solidarisierung führt.


      SPIEGEL ONLINE: Auch wenn sich die anderen Staaten in der Region gegenwärtig mit den USA solidarisieren?


      Buch: Wir machen uns gar nicht klar, wie wackelig die Regierungen sind, etwa in Ägypten, in Saudi-Arabien. Das Prowestliche ist nur ein dünner Firnis. Man darf sich da keine Illusionen machen: Die Massen sind antiamerikanisch und auch antieuropäisch. Sie würden sich dann, wenn dieser Krieg nicht mit einer klaren Niederlage endet, eher auf Seiten der Taliban schlagen, sogar wenn sie die eigentlich nicht mögen. Das ganze ist ein Spiel mit Öl am brennenden Feuer.

      SPIEGEL ONLINE: Wenn das so eine riskante Gratwanderung ist, was müssen Europa und Amerika jetzt beachten?


      Buch: Ich meine, die USA sollten die Taliban stürzen und dafür sorgen, dass dort ein halbwegs demokratisches und ethnisch repräsentatives Regime an die Macht kommt. Die Fahndung nach Bin Laden ist eine unlösbare Aufgabe, uns selbst wenn man sie lösen würde, taucht sofort ein neuer solcher Typus auf. Aber wenn es gelingt, etwas nachhaltiges für die Menschen dort zu tun, dann könnte dieses Beispiel einige Leute zum Umdenken bewegen, auch in den Nachbarländern. Das gilt in noch größerem Maße für den Nahen Osten zwischen Israel und Palästina. Wenn es dort gelänge einen Waffenstillstand und Friedensvertrag in Gang zu bringen, würden die Terrorristen wenigstens ein Stück weit isoliert.

      SPIEGEL ONLINE: Ist diese Auseinandersetzung für die Taliban ein Kulturkampf`?

      Buch: Bei uns sind sich heute alle einig, den Begriff eines "Kampfes der Kulturen" abzulehnen. Ich bin mir nach dem Augenschein an Ort und Stelle nicht mehr sicher, ob es nicht doch genau das ist.

      SPIEGEL ONLINE: Woran machen Sie das fest?

      Buch: Wir erleben eine Auseinandersetzung zwischen Kulturen der westlichen Welt und einer radikal vereinfachten Version des Islam, die geradezu eine Karikatur dieser Religion ist, aber gerade durch ihre Vereinfachung die Massen mobilisiert. Genau so, wie auch die Ideologie von Adolf Hitler eine Karikatur des damaligen Deutschtums war. Und doch hat genau diese Vereinfachung propagandistisch verheerend gewirkt.

      SPIEGEL ONLINE: Das erklärt aber noch nicht diese Aggressivität.



      Buch: In den USA ist die Vokabel "Kreuzzug" eher leichtfertig gefallen, schnell hat man sich davon auch wieder distanziert. Aber ich habe dieses Kreuzzugdenken bei den Taliban und anderen radikal-islamischen Gruppen völlig ungebrochen registriert. Da gibt es keine Selbstkritik, wie sie bei uns selbstverständlich ist. Stattdessen herrscht ein Sendungsbewusstsein nach dem Motto: "Wir sind berufen, die Welt zu erlösen". In diesem Sinne identifizieren sich die Taliban regelrecht mit Mohammed selbst.

      SPIEGEL ONLINE: Ist das nicht übertrieben?

      Buch: Keineswegs. Mullah Mohammed Omar hat sich selbst sogar den Mantel des Propheten angezogen, der in Kandahar in einem Schrein aufbewahrt wird. Er behauptet also, er ist der neue Mohammed. Und das Vorbild der Taliban sind die ersten Jahre der Machtergreifung des Islam, als er in einem unaufhaltsamen Eroberungszug Arabien, Nordafrika und Kleinasien eroberte. Sie sagen, wenn wir den richtigen Glauben und richtigen Fanatismus haben, dann schaffen wir das auch. Es wäre vollkommen kontraproduktiv, deshalb den Islam pauschal als Feind zu betrachten, aber dass es eine kulturelle Konfrontation ist, steht für mich außer Zweifel.

      SPIEGEL ONLINE: Wie könnte sie eingedämmt oder vermieden werden?


      Buch: Jetzt werfen die Amerikaner Bomben und im gleichen Atemzug Lebensmittel ab, besser wäre es sicherlich, es ohne Bomben zu machen. Aber das ist eine Illusion. Wenn Günter Grass fordert, erst die Armut in der Welt abzuschaffen, halte ich das für unrealistisch. Die Amerikaner gelangen schon mit dem Problem Afghanistan fast an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, sie könnten nicht mehrere solcher "Feldzüge" an verschiedenen Stellen in der Welt ausführen. Und sie schaffen es schon gar nicht, die Ungleichheit und das Armutsgefälle abschaffen, das nicht nur ein Produkt der US-Politik ist.

      SPIEGEL ONLINE: Also halten sie diesen Krieg für unvermeidlich?

      Buch: Jetzt ja, er ist die Konsequenz der falschen Politik zuvor. Sowohl Amerikaner als auch Europäer reagieren immer nur auf die gerade akute Krise. Danach ziehen sie sich in kurzer Zeit wieder zurück und überlassen die Krisenregionen ihrem Schicksal oder delegieren die Verantwortung weiter. Wenn sie es diesmal schaffen, genauso vereint, wie sie diesen Militärseinsatz vorbereitet haben, für das afghanische Volk eine Hoffnung für die Zukunft aufzubauen und eine wenigstens im Ansatz demokratische Lösung durchzusetzen, dann hätten sie wirklich was aus der Geschichte gelernt.



      SPIEGEL ONLINE: Empfiehlt sich ein solcher Aufbau nach dem Modell Deutschland, also so, wie die USA nach dem zweiten Weltkrieg Deutschlands Wiederaufbau mitbetreute?

      Buch: Das deutsche und europäische Modell ist schlecht auf Afghanistan übertragbar. Das ist ein verarmter Agrar- und Wüstenstaat. Man könnte dort mit relativ beschränkten Mitteln helfen, die Minen zu entfernen, die Landwirtschaft von Opium auf Weizenanbau umzustellen, sowie Schulbildung und Gesundheitssystem in Gang bringen. Das würde als Grundlage bereits reichen. Ich fürchte aber, das wird man wieder den Hilfsdiensten oder der Uno überlassen, so war das in Ruanda und anderswo, dadurch werden die Probleme nicht gelöst, sondern schwelen auf kleiner Flamme weiter. Bis zum nächsten Bin Laden.
      Avatar
      schrieb am 20.12.01 20:30:01
      Beitrag Nr. 4 ()
      Und noch ein Interview aus der "Welt"

      Religiös verbrämter Faschismus
      Der Schriftsteller Hans Christoph Buch erklärt, warum er kein Friedensengel ist

      Gestatten, dieser Mann versteht mehr von Terrorismus als Heike Makatsch. Kunststück! Aber Hans Christoph Buch hat auch mehr Ahnung vom Krieg als Martin Walser

      Der Schriftsteller Hans Christoph Buch wurde 1944 geboren; er war Mitglied der Gruppe 47 und hat längere Zeit in Haiti, Westafrika und Lateinamerika gelebt. Hannes Stein sprach in Berlin mit ihm.

      DIE WELT: Gerade noch rechtzeitig, bevor die Taliban aus Kandahar vertrieben wurden, haben 40 deutsche Intellektuelle erklärt, dass sie gegen diesen Krieg der Amerikaner in Afghanistan sind. Schließen Sie sich dem Protest an?

      Hans Christoph Buch: Nein. Das ist zwar vermutlich die Meinung der Mehrheit der deutschen Schriftsteller, aber ich halte sie weder für besonders mutig noch für besonders intelligent. Das Unbehagen, das jeder Mensch angesichts von Flüchtlingsströmen, von Tod und Zerstörung empfindet, teile ich selbstverständlich. Aber die Grundannahmen, die diese Friedenspoteste motivieren, teile ich nicht. So ist die Annahme, dass Terror nicht militärisch zu bekämpfen sei, jetzt schon widerlegt.

      DIE WELT: Ich lese Ihnen ein paar Stellungnahmen vor. Ihr Kollege Martin Walser sieht die "eigentliche Pflicht" Europas darin, dem Freund - er meint die USA - "zu sagen, dass man historische Versäumnisse und Fehlentwicklungen nicht durch Krieg korrigieren kann, sondern allein durch Frieden".

      Buch: Es ist ganz einfach falsch, dass Krieg keine Konflikte oder Probleme löst. Ich erinnere nur an Nazi-Deutschland, das eine Bedrohung für die ganze Welt war - aber nicht mehr nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Die deutsche Öffentlichkeit ist von einem Extrem ins andere gefallen. Der Militarismus von vorgestern wurde durch eine Unfähigkeit ersetzt, Krieg auch nur zu denken. Das ist eine Realitätsverkennung, die zu politischem Handeln unfähig macht. Wer Clausewitz liest, wird dort auf den Gedanken stoßen, dass die Rohheit des Krieges kein Argument sei, diesen nicht zu bedenken. Das heißt auch, dass Krieg als begrenzte Art der Gewaltanwendung bestimmten Gesetzen unterliegt. Zum Beispiel hätte eine Unterbrechung der Kampfhandlungen den Taliban genützt, die Beschleunigung des Angriffs durch die Nordallianz hat dagegen zum Zusammenbruch der Fronten geführt.

      DIE WELT: Noch ein Zitat. Der Dramatiker Franz Xaver Kroetz nennt es ein "Verbrechen, den korrupten Banditenhaufen, der sich Nordallianz nennt, an die Macht zu bomben". Er befürchtet, Deutschland sei mit einer militärischen Beteiligung "auf dem Weg zurück ins Kriegsverbrechergeschäft".

      Buch: Das ist kaum noch zu qualifizieren, weil es so abwegig ist. Kürzlich hielt ein Fernsehmoderator ein Landserheft in die Kamera - damit wollte er sagen, dass diese Mentalität den Sieg davonträgt, wenn der Bundestag jetzt zu einem Militäreinsatz Ja sagt. Eine populistische Ungeheuerlichkeit, die aber offenbar niemanden sonst gestört hat: Die Bundeswehr, also eine demokratisch verfasste Armee, wird gleichgesetzt mit der Nazi-Wehrmacht. Der bisherige Verlauf des Krieges hat gezeigt, dass die große Katastrophe, die an die Wand gemalt wurde, gerade nicht eingetreten ist. Er hat sich nicht auf andere Länder ausgeweitet. Er hat nicht so viele zivile Opfer gefordert wie das sowjetische Bombardement Afghanistans, das dieses Land nun wirklich in die Steinzeit zurückgestoßen hat. Damals war von den heutigen Friedensfreunden wenig zu hören. Franz Xaver Kroetz gehörte damals übrigens noch zur DKP.

      DIE WELT: Und die Nordallianz?

      Buch: Es ist nicht wahr, dass sie so schlimm ist wie die Taliban. Gewiss, sie hat in der Vergangenheit Massaker verübt, aber sie steht jetzt unter internationaler Beobachtung, ist also zu einem gewissen Wohlverhalten gezwungen. Ich mache mir keine Illusionen über die Kriegsherren dieser Seite, aber sie sind keine Fundamentalisten im totalitären Sinn wie die Taliban.

      DIE WELT: Die Schauspielerin Heike Makatsch bezweifelt ganz grundsätzlich, dass der Terrorismus durch Bomben "bekämpft, beseitigt oder verstanden" werde.

      Buch: Pardon, aber ich verstehe mehr von Terrorismus als Heike Makatsch. Vor Jahren haben Osama Bin Ladens Terroristen die amerikanischen Botschaften in Daressalam und Nairobi bombardiert. Ich war am Morgen des Bombenanschlags in Nairobi und habe geholfen, Verletzte und Tote zu bergen. Es war das schlimmste Inferno, das ich je gesehen habe, und ich kenne auch andere Kriegsgebiete. Die meisten Opfer waren unbeteiligte kenianische Passanten, nicht etwa amerikanische Diplomaten oder Militärs. Was die Friedensbewegung jetzt als Alternative zu Militärschlägen fordert, wurde danach durchexerziert: Präsident Clinton leitete eine Zivilfahndung nach Osama Bin Laden ein und ließ dessen Konten sperren - ohne Erfolg.

      DIE WELT: Ein paar deutsche Intellektuelle haben durchblicken lassen, die Wurzel dieses Konflikts sei in Israel zu suchen. Ist das Antisemitismus?

      Buch: Ich möchte hier kein Öl ins Feuer gießen. Antiamerikanismus, Antisemitismus sind als Tendenzen latent immer vorhanden - in der bundesrepublikanischen Linken schon lange. Es ist nicht hilfreich, wenn man alle Konflikte in einen Topf wirft. Osama Bin Laden hat die Politik Israels in den besetzten Gebieten zum Vorwand für seine Terroranschläge genommen. In Pakistan habe ich dagegen gehört, Israel selbst sei für die Anschläge auf das World Trade Center verantwortlich. Das sind Niederungen, in die man nicht hinabsteigen sollte.

      DIE WELT: Wenn man zurückschaut, meldete die Friedensbewegung sich immer dann zu Wort, wenn der Westen von außen bedroht wurde, und brach zusammen, sobald diese Bedrohung aufhörte. Könnte es sein, dass sich hinter der Friedensliebe eine subtile Liebe zur Gewalt verbirgt?

      Buch: Das ist ein etwas abwegiger Gedanke, der sicher etwas Richtiges enthält. Mich beschäftigt aber eher die Unfähigkeit, aus der Realität zu lernen. Zum Beispiel protestierte man gegen den Golfkrieg, als sei das Ende der Welt gekommen; dann erwies sich, dass er nicht mal zum Sturz von Saddam Hussein führte. In Wirklichkeit waren die Kriege der letzten Jahre alle nicht vergleichbar mit dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg, nicht mal mit dem Kalten Krieg, denn es waren zum Glück begrenzte Kriege. Natürlich muss man wachsam bleiben, damit aus einem begrenzten, lokalen Konflikt nicht ein Flächenbrand entsteht.

      DIE WELT: Nehmen wir an, es kommt jetzt doch noch zum Flächenbrand, und es gelingt den Fundamentalisten, solche prowestlichen Regimes wie das ägyptische oder saudi-arabische zu stürzen. Ihre Kollegen würden dann sagen, daran seien die Amerikaner mit ihrer kriegerischen Politik schuld. Was würden Sie ihnen antworten?

      Buch: Dass das eine Scheinlogik ist. Denn die fundamentalistische Bedrohung existiert wirklich, die ist keine Einbildung arroganter amerikanischer Politiker. Ich habe im Gegensatz zu den meisten meiner Schriftstellerkollegen einige islamische Länder besucht, zum Beispiel Algerien. Dort sagte man mir: Der Fundamentalismus ist nichts als eine religiös verbrämte Form des Faschismus. Und die hiesige Zivilgesellschaft wird durch ihn bedroht. Sie wird sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass es Konflikte gibt, die nicht durch gute Worte und auch nicht durch Geld gelöst werden können.

      DIE WELT: Gestern wurde im Parlament die Vertrauensfrage gestellt. Genießen Gerhard Schröder und Joschka Fischer Ihr Vertrauen?

      Buch: Was immer man sonst über den Bundeskanzler, den Außenminister und den Verteidigungsminister denkt - in dieser Frage haben sie sich mutig und konsequent verhalten. Gerhard Schröder hat offenbar etwas gelernt. Das konnte man auch an seinem Gesicht sehen, als er am Trümmerhaufen von Ground Zero stand und das Ausmaß des Schreckens physisch erlebt hat. Das hat übrigens auch mich von einem blauäugigen Pazifisten zum Realisten gemacht: Als ich in Kriegsgebiete fuhr, sah ich, dass die meisten Gräuel nicht von regulären Armeen begangen werden, sondern von Rebellenmilizen und Terroristen. In solchen Situationen ist man heilfroh, wenn einem ein UNO- oder Nato-Soldat begegnet, denn das bedeutet, dass ein Ende des Schreckens in Sicht ist
      Avatar
      schrieb am 20.12.01 22:40:27
      Beitrag Nr. 5 ()
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      schrieb am 21.12.01 01:23:24
      Beitrag Nr. 6 ()
      ... doch doch, aber das ist ja mehr was zum Selbstlesen ;).

      Die Interviews haben mein Interesse jedenfalls geweckt; "in der Tendenz" habe ich eine ähnliche Meinung wie Buch, was die Frage nach dem Krieg angeht (wie ich es auch ein paar Mal hier dargestellt habe).

      Ein guter Tip, um die weihnachtlich pseudoerbauliche Atmosphäre aus rosa Marzipan zu vertreiben - ich hasse dieses sog. "Fest", es gibt nichts Blöderes und Verlogeneres in unseren Breiten.

      ... trotzdem schön zum Ausruhen :D, viel Spass dabei :)

      t.
      Avatar
      schrieb am 21.12.01 01:25:50
      Beitrag Nr. 7 ()
      puuh - nee heizi. das kann ich mir net geben....
      ich weiß schon genug über die bestie mensch bescheid, da brauch ich nicht noch mehr fakten.

      ich bin eh dafür, daß die gesamte menschheit gemeinschaftlichen selbstmord begeht, weil das das einzig sinnvolle für die erde wäre, aber leider kriegt man nicht die hierfür notwendige einstimmige mehrheit.
      also geht der ganze dreck so weiter wie bisher. ungerecht, brutal und unmenschlich(komischer begriff an und für sich -
      denn wörtlich genommen wäre unmenschlichkeit was gutes. da menschlich zu sein offensichtlich so was nach sich zieht, wie in dem buch beschrieben....).

      und weihnachten gefeiert wird bei uns dieses jahr eh nicht und geschenke gibts nicht, also auch keine bücher.

      :)iguana
      Avatar
      schrieb am 21.12.01 06:16:27
      Beitrag Nr. 8 ()
      Hallo Heizkessel

      ich höre gerade nach Jan Gabarek Charles Lioyd (o.k. nicht jeder mag Saxophon - Geschmacksache) und dazu Goethe "Die Leiden des jungen Werthers" .... schön - alles freie Geister, jeder gereift in seiner Zeit, immer aktuell - vielleicht für immer?
      Geben wir dem Chaos einen Sinn.

      Grüße :)
      Linea
      Avatar
      schrieb am 22.12.01 05:25:44
      Beitrag Nr. 9 ()
      @linea: da hast du recht - saxophon und andere bläser vermiesen mir jedes hörvergnügen....
      gitarre, bass, schlagzeug und vielleicht ein bisschen keyboards - mal mehr, mal weniger, oder auch gar keins....
      mehr brauchts nicht um gut zu klingen.

      :)iguana


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