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    Die Palästinenserpolitik Israels - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 09.12.02 11:02:02 von
    neuester Beitrag 12.02.03 01:55:47 von
    Beiträge: 34
    ID: 670.624
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      schrieb am 09.12.02 11:02:02
      Beitrag Nr. 1 ()
      Die Verhinderung von Politik
      Israels Regierung stellt ihre Palästinapolitik als Teil des Kampfes gegen den Terror dar. Tatsächlich will sie die Ergebnisse des Nahost-Friedensprozesses radikal umkehren
      "Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich heute in den Reihen der Hamas kämpfen", sagte Ehud Barak im Jahre 1998. Der markige Satz brachte ihm vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten in Israel natürlich eine gehörige öffentliche Schelte ein. Bei den heutigen palästinensischen Schülern scheinen Baraks Worte dagegen auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Ein Filmbericht aus einer Schule in einem Flüchtlingslager bei Ramallah, der unlängst im deutschen Fernsehen lief, zeigte Schüler im Alter von 8 bis 12 Jahren, deren martialische Zeichnungen von "Märtyrern" nur eines verkündeten: uneingeschränkte Sympathie für die islamistischen Gruppierungen Hamas und Islamischer Dschihad. Von Arafats PLO war keine Rede. Derselbe Film präsentierte auch Schüler einer jüdischen Siedlung bei Ramallah, die - beim Auftauchen der Kamera - spontan den Slogan "Tod den Arabern" skandierten. Momentaufnahmen einer hundertjährigen Tragödie.

      Vor knapp zwei Jahren ist Ariel Scharon angetreten, um die "Infrastruktur des Terrors" auszumerzen. Tausende hat er inhaftieren, hunderte exekutieren lassen. Die israelische Besatzungsarmee hat unzählige Strafexpeditionen unternommen - zuletzt sinnigerwiese am heiligen islamischen Fest Eid al-Fitr am Ende des Ramadan -, dutzende von Häusern gesprengt, Flüchtlingslager mit Bulldozern eingeebnet, das Hauptquartier von Autonomiepräsident Jassir Arafat plattgemacht, palästinensische Ministerien, Schulen, Rundfunkgebäude und andere öffentliche Einrichtungen in Schutt und Asche gelegt, Städte und Dörfer durchkämmt und abgeriegelt, Industrieanlagen bombardiert und die Mehrheit der Palästinenser in Existenznot und Armut gestürzt.

      Das Ergebnis dieser Politik kann selbst aus israelischer Sicht nur als niederschmetternd bezeichnet werden. Erst im vergangenen Monat gelang es drei Attentätern der Organisation Islamischer Dschihad in Hebron, neun Soldaten und drei Sicherheitskräfte zu töten - ein Debakel für Israels Armee. Nur Tage später erschossen palästinensische Selbstmordattentäter sechs Israelis vor einem Wahlbüro der Likud-Partei von Ariel Scharon. Der Anschlag im Ferienort Mombasa legt überdies die Vermutung nahe, dass sich nun auch al-Qaida des symbolträchtigen Kampfes gegen Israel angenommen hat. Was Scharon immer wieder von Arafat gefordert hat, hat er selbst nicht zustande gebracht: die Zerschlagung der islamistischen Untergrundgruppen sowie die Beendigung des militärischen Kampfes und der Selbstmordanschläge auf israelischem Gebiet. Mit der Zerstörung der Autonomiebehörde und der Delegitimierung Arafats hat sich Scharon seines palästinensischen Verhandlungspartners beraubt. Das muss er auch, wenn er seinen "Friedensplan" durchsetzen will. 42 Prozent des Westjordanlandes und 75 Prozent des Gaza-Streifens hat er für einen "palästinensischen Staat" reserviert. Ein "palästinensisches Bantustan" auf gerade einmal zehn Prozent des historischen Staatsgebiets Palästinas dürfte nicht einmal Scharon als "gerechte Lösung" des Palästinakonflikts verkaufen können.

      Israel führt heute einen territorialen Siedlerkrieg, der dem französischen Kolonialkrieg in Algerien in den Jahren 1958-62 auf fatale Weise ähnelt. Der exzessiven Gewaltanwendung der Kolonialmacht steht ein ebenso barbarischer Krieg der Befreiungsbewegung gegenüber. Dennoch existiert heute im Vergleich von Israel mit Frankreich ein wesentlicher Unterschied: Frankreich hatte nie die Option, Millionen von Algeriern zu vertreiben. In Israel wird dies zumindest diskutiert. Die israelische Rechte fordert Vertreibungen analog zur "Lösung des Palästinaproblems" im Jahre 1948 und dem Sechstagekrieg von 1967. Damals wurden mehr als eine Million Palästinenser ihrer Heimat beraubt. Ein US-geführter Krieg gegen den Irak könnte nun - zumal bei einem irakischen Angriff auf Israel - den gewünschten Vorwand für einen weiteren "Transfer" von Palästinensern liefern. Führer der israelischen Siedler spekulieren offen über den "großen Krieg", in dem "die Araber abhauen".

      Der israelischen Regierung ist es - zumindest gegenüber den Regierenden in den USA und Deutschland - propagandistisch gelungen, ihren Eroberungs- und Rachefeldzug gegen die Palästinenser als Teil des weltweiten Kampfes gegen den Terrorismus auszugeben. Dabei ist dieser Vergleich ebenso vordergründig wie irreführend. Das Ziel aller Befreiungsbewegungen ist historisch die nationale Souveränität - nicht etwa die Weltherrschaft oder die Zerstörung einer Weltmacht. Und jede nationale Bewegung - die zionistische im Besonderen - bediente sich im Laufe ihrer Geschichte terroristischer Methoden. Eine Besatzungsmacht, die sich der Mittel wie Bombardierungen und Exekutionen, Landnahme und willkürlichen Enteignung, Zerstörung von Häusern und Vernichtung von Ernten bedient, kann schwerlich eine zivile Form des Widerstands erwarten.

      Es ist eben kein Zufall, dass die Selbstmordattentate der Hamas erst einsetzten, nachdem der israelische Arzt und Siedler Baruch Goldstein im Jahre 1994 29 Muslime in der Abraham-Moschee ermordete und die israelische Armee im Verlauf der folgenden Proteste noch einmal mehr als 20 Palästinenser tötete. Auch die zweite Intifada brach erst aus, nachdem israelische Polizei und Armee am zweiten Tag nach Scharons Besuch auf dem Tempelberg unter exzessivem Schusswaffengebrauch 20 Palästinenser tötete. Es sind nicht die Palästinenser, die aus Israel abziehen müssen, um einen Frieden zu ermöglichen. Es sind auch nicht die Palästinenser, die Siedlungen auflösen müssten, um illegale Eroberungen und Landnahmen rückgängig zu machen. Und schließlich sind es auch nicht die Palästinenser, die willentlich und fortdauernd Resolutionen des UN-Sicherheitsrates ignorieren und die internationale Gemeinschaft düpieren.

      Nicht nur orthodoxe, ultranationalistische und rechtsradikale israelische Parteien - auch Ariel Scharon, Benjamin Netanjahu und Mosche Mofaz hatten nie etwas anderes im Sinn, als die Verträge von Camp David zu Fall zu bringen. Regierungskrisen und Neuwahlen waren dabei noch stets ein probates Mittel der israelischen Politik, um sich aus der politischen Verantwortung zu stehlen. Netanjahu nutzte es, als er das Wye-River-Abkommen von 1998 über einen vertraglich zugesagten Teilrückzug der Armee in seiner Koalition nicht durchsetzen konnte. Barak nutzte es, als er die Einigung von Taba im Herbst 2000 nach dem gescheiterten Gipfel von Camp David seiner Koalition nicht erklären konnte oder wollte. Und Scharon nutzt dieses Mittel jetzt, um die Pläne der internationalen Gemeinschaft zur Gründung eines palästinensischen Staates, wie ihn das Nahost-Quartett aus USA, EU, Russland und UNO vorgeschlagen hat, zu Fall zu bringen. Israels Machtelite wartet heute auf eine Chance, die Ergebnisse des Nahost-Friedensprozesses endgültig zunichte zu machen. Dabei könnte sich ein Krieg der Vereinigten Staaten gegen den Irak als durchaus hilfreich erweisen. GEORG BALTISSEN

      taz Nr. 6925 vom 9.12.2002, Seite 13, 241 Kommentar GEORG BALTISSEN, taz-Debatte
      Avatar
      schrieb am 09.12.02 13:17:19
      Beitrag Nr. 2 ()
      Ich hab selten einen Bericht gelesen, in dem so offen die Wahrheit genannt wurde und die Fakten von Menschenrechtsverletzungen durch die israelischen Regierungen so offen genannt wurden, ohne dass gleich mit der moralischen Keule des Antisemitismus gedroht wurde, die ja meist von pro-Israelischen (oder besser contra-Menschenrechte) Meinungsmachern geschwungen wird, wenn sie sich mit logischen Argumenten nicht mehr aus der Schlinge ziehen können.
      Klasse Artikel und endlich einmal - zumindest stark gerafft - die Wahrheit.

      Chapter_11
      Avatar
      schrieb am 09.12.02 14:55:21
      Beitrag Nr. 3 ()
      @chapter_11,

      der Fachmann für "geraffte Wahrheit."

      Was ist noch wahr, und was ist bereits Realität ?
      Avatar
      schrieb am 11.12.02 13:16:32
      Beitrag Nr. 4 ()
      @sep:
      Was die absolute Wahrheit ist, kann ich natürlich nicht sagen, schließlich wr ich nicht dabei. Dass aber das, was die israelische Regierung uns zu verkaufen versucht, extrem einseitig ist, ist offensichtlich, oder ?

      chapter_11
      Avatar
      schrieb am 11.12.02 23:37:18
      Beitrag Nr. 5 ()
      chapter 11

      Dieser Artikel war einer der besten, die ich jemals zum Palästina-Problem gelesen habe.

      Aber wie soll ein Zionist anders darauf reagieren als durch eine Pöbelei? Argumente fehlen eben.

      Gruß

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      schrieb am 11.12.02 23:49:58
      Beitrag Nr. 6 ()
      Die Aussagen sind zu einseitig. Jeder Mensch kennt doch
      die Wahrheit. Und wer sich nur etwas mit der Geschichte
      Israels auskennt, weiß, daß BEIDE Seiten unheimliche
      Schuld auf sich geladen haben.

      Richtig ist, daß Sharon keinen Pfifferling auf den
      Frieden gibt.

      mfg N.N.
      Avatar
      schrieb am 11.12.02 23:55:23
      Beitrag Nr. 7 ()
      nihilnovum,

      da würde ich doch eine Kritik einzelner Aussagen erwarten. Wo widerspricht der Artikel der Wahrheit, die jeder kennt?
      Avatar
      schrieb am 12.12.02 07:58:26
      Beitrag Nr. 8 ()
      @chapter_11

      wenn ich Deine beiden Beiträge vergleiche, also #2 und #4, dann, glaube ich, bist Du mit #4 näher dran.

      SEP
      Avatar
      schrieb am 12.12.02 14:37:08
      Beitrag Nr. 9 ()
      @sep:
      Ich wollte nur sagen, dass der israelische Kampf gegen den Terror ein Kampf gegen die Folgen eigenen Handels ist. Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Gleiches gilt auch für die USA.

      chapter_11
      Avatar
      schrieb am 17.12.02 17:08:25
      Beitrag Nr. 10 ()
      Interview von Jon Elmer: Wohin steuert der Friedensprozess?.

      mit Norman G. Finkelstein
      Dalhousie Gazette / ZNet 14.12.2002


      Frage (J. Elmer):

      Professor Finkelstein, letzten Freitag (15. Nov.) hat ein hoher israelischer Militär erklärt, die jüngste Belagerung Hebrons sei “ein Erfolg” gewesen, “im Sinne einer Säuberung dieser Straßen von Terroristen” - nur Stunden später attackierte der Islamische Dschihad (israelische) Siedler u. Soldaten in Hebron, wobei 12 Personen getötet wurden. Unter den Toten auch der Kommandant der israelischen Truppen in Hebron. Angesichts dieser “Erfolgs”-Definition, ist da überhaupt noch an eine millitärische Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts zu denken?

      Antwort (Finkelstein):

      (Ironisch) Nun, es gibt nur eine militärische Lösung für diesen Konflikt: alle Palästinenser ausrotten. An dem Punkt ist doch klar, man muss sie alle entweder vertreiben oder ausrotten, drunter geht’s nicht, sonst wird man das Problem nie los.

      Frage:

      Benjamin Netanjahu, der kürzlich noch äußerte: “Sag nein zu einem Staat Palästina!” kandidiert diesen Monat gegen den israelischen Premier Ariel Scharon um das Amt des Likud-Führers (28. Nov. 2002) - für die‘Rechten’ in der Partei. Was würde ein Sieg Netanjahus für die palästinensische Intifada bedeuten?

      Antwort:

      Ich glaube, im Westen herrscht ein ziemliches Missverständnis, wie das politische System Israels en détail funktioniert bzw. wie israelische Eliten vorgeh’n. Netanjahus Akte, als er noch im Amt war (als israelischer Premier), ist in Wirklichkeit sauberer als die seines Nachfolgers Ehud Barak. Man braucht sich ja nur ‘Land Grab’ (Landentzug), den aktuellen Bericht (Mai 2002) von B’Tselem (Israelisches Informationszentrum zur Menschenrechtslage in den Besetzten Gebieten) durchzulesen: Bezüglich der entscheidenden Frage der Siedler bzw. Siedlungsaktivitäten (in den Besetzten Gebieten) verzeichnet der Bericht nämlich eine massivere Zunahme neuer Siedlungen bzw. eine massivere Ausweitung bestehender Siedlungen unter Arbeitspartei-Regierungen als unter denen des Likud. Folglich gab es unter (Yitzhak) Rabin (1992-1995) mehr Neusiedlungen bzw. mehr Ausbau bestehender (jüdischer) Siedlungen als unter Yitzhak Schamir (1986-1992) u. mehr unter Barak (1999-2001) als unter Netanjahu (1996-1999). So gesehen ist meiner Meinung nach auch nicht der springende Punkt, ob nun eine ‘rechte’ oder eine ‘linke’ Regierung am Ruder ist. Worum es vielmehr geht, sind die Langzeitstrategien israelischer Politik. Und die geh’n nunmal immer weiter, egal, welches politische Bündnis gerade zufällig an der Macht ist. Denken wir nur an Ehud Baraks Statement kurz nach ‘Operation Schutzschild’ März/April (2002), als er sagte, Scharons größter Fehler sei es gewesen, sich zusehr zurückzuhalten. Wir sprechen hier von einer Operation, initiiert von Ariel Scharon, die sowohl Amnesty International als auch Human Rights Watch verurteilt haben - aufgrund mehrerer Kriegsverbrechen. Die lauernde Gefahr ist nicht abhängig von der jeweiligen Regierung, vielmehr geht diese Gefahr (grundsätzlich) von der hartnäckigen Weigerung israelischer Regierungen aus, sich auf eine vernünftige Lösung des Konflikts einzulassen.

      Frage:

      Zum Thema (jüdische) Siedlungen: Laut ‘Peace Now’ erklären 68 Prozent der (jüdischen) Siedler, sie wären bereit, die Siedlungen zu räumen, sollte die israelische Regierung dies beschließen. Sie würden es respektieren. Gleichzeitig sagen 75 Prozent der Siedler, sie blieben dort wegen der ‘Lebensqualität’. Wie interpretieren Sie diese Zahlen?

      Antwort:

      Die Zahlen sind absolut einleuchtend. Ein Großteil der Siedler ist offensichtlich bereit, einem Räumungsbefehl der Regierung Folge zu leisten. Die große Mehrzahl der Siedler ist ja nicht aus irgendwelchen ideologischen Gründen dort, sondern weil die israelische Regierung diverse Förderanreize geschaffen hat bzw. sie subventioniert, in die Siedlungen zu zieh’n - billiger Wohnraum, undsoweiter.

      Frage:

      Kurz nach dem 11. September, als Präsident Bush Unterstützung für den Afghanistan-Angriff zusammentrommelte, breitete er auch seine ‘Vision’ eines Palästinenserstaats aus. Welche Bedeutung könnte daher ein Krieg gegen den Irak für die Palästinenser haben?

      Antwort:

      Meiner Meinung nach gibt es gute Gründe anzunehmen - obwohl man es natürlich nie mit Sicherheit sagen kann -, dass Israel im Schutz eines US-Angriffs auf den Irak bzw. während die ganze Welt auf diesen Irak-Krieg fixiert ist u. sämtliche Reporter u. Journalisten aus den Besetzten Gebieten abgezogen sind bzw. in Irak-Nachbarstaaten mit Kriegsberichterstattung beschäftigt, also dass Israel die Kriegs-Gelegenheit nutzen wird, um die Palästinenser zu vertreiben wie damals 1948.

      Frage:

      Was würde so eine Entwicklung für die Gesamtregion bedeuten?

      Antwort:

      Ich hege (diesbezüglich) sehr wenig Vertrauen in das sogenannte Konzept der ‘Arabischen Straße’. Ich glaube, die arabische Welt ist eine ziemlich verrottete Leiche. Was hingegen passieren könnte: die Terroranschläge nehmen zu - und zwar massiv. Aber ich denke, vor allem die USA könnten das absorbieren, und ehrlich gesagt, glaube ich sogar, sofern die Anschläge unterhalb eines bestimmten Levels bleiben, sind die USA ganz froh darüber.

      Frage:

      Neulich schrieb der israelische Journalist Uri Avnery in der ‘Ha’aretz’: “Die Scharon-Regierung ist ein einziges riesiges Labor zur Züchtung des Antisemitismus-Virus”. Möchten Sie dies kommentieren?

      Antwort:

      Man müsste schon absolut betriebsblind sein, um zu glauben, Juden könnten keinen Antisemitismus erzeugen - die Zionistischen Organisationen sagen das ja immer: Juden erzeugen keinen Antisemitismus - nur die Antisemiten. Aber wenn man nicht ganz betriebsblind ist, ist es einfach Tatsache, dass derjenige Teil der Weltbevölkerung, der nicht ideologisch verblendet ist, für den Verbrechen einfach Verbrechen sind, dass dieser Teil der Weltbevölkerung negativ auf gewisse Aktionen reagiert, die von Juden begangen werden bzw. im Namen von Juden bzw. von einer Regierung, die behauptet, im Namen von Juden zu handeln. Das überrascht keineswegs. So ist während des Vietnamkriegs weltweit die antiamerikanische Stimmung eskaliert. Warum also sollte es verwundern, wenn ein Staat, der sich selbst ‘Judenstaat’ nennt u. für sich in Anspruch nimmt, im Namen der Juden zu handeln - und er genießt ja auch die überwältigende Unterstützung der amerikanischen Juden, wenn nicht gar der Juden weltweit -, wenn ein solcher Staat also Verbrechen begeht, kommt es natürlich entsprechend zu anti-jüdischen Reaktionen. Das ist ungefähr so vorhersehbar wie es vorhersehbar war, dass US-Verbrechen in Vietnam zu antiamerikanischen Reaktionen führen würden.

      Frage:

      Halten Sie aus diesem Grund Netanjahu für ‘betriebsblind’, wenn er sagt: “Die Wurzel allen Terrors sind die Terroristen”?

      Antwort:

      Eine dieser ebenso hirnrissigen wie bequemen Formeln - oder was soll das heißen? Klingt wie der Slogan der nationalen Waffenlobby der USA: ‘Gewehre töten keine Menschen, es sind Menschen, die Menschen töten’. Hirnrissige, blödsinnige Sprüche, die kein Mensch, der auch nur eine Sekunde nachdenkt, für voll nehmen kann.

      Frage:

      Letzten Monat hielt der kanadische Medienmogul Izzy Asper eine Rede - ziemlich genau dieselbe, die er schon im September gehalten hat, als er mit Netanjahu durch Kanada tourte -, darin wirft Asper den westlichen Medien vor, “faul” zu sein, “schlampig bzw. dumm oder einfach schlicht voreingenommen oder antisemitisch”. Zudem wirft er den westlichen Medien eine unredliche Berichterstattung vor (u.a. der ‘New York Times’, ‘Los Angeles Times’, Washington Post’, AP, Reuters, CBS, ABC, NBC, CNN, BBC, CBC, ‘The Guardian’, ‘The Independent’, ‘Sky News’ u. ITV). In seinen eigenen Stadtzeitungen wurde Aspers Rede groß abgedruckt aber eben auch in der ‘National Post’. Was halten Sie von der Anschuldigung, die Medien seien antiisraelisch voreingenommen?

      Antwort:

      Vorausgesetzt, Sie glauben nicht an diese Verschwörungstheorie bzgl. einer weltweiten antisemitischen Verschwörung - aber es gibt paranoide, verrückte Juden, die glauben das -, also wenn Sie’s nicht tun, dann werden Sie der Theorie (Aspers) in mehreren Punkten nicht folgen können. Zuerst das Offensichtlichste: Keine Presse weltweit berichtet kritischer über Israel als die israelische. Wenn also die gesamten westlichen Medien antisemitisch sein sollen bzw. schlampig, usw., gilt das insbesondere für die israelische Presse, denn die berichtet am schonungs- bzw. hemmungslosesten über Israels Taten in den Besetzten Gebieten. Das zweite Problem mit dieser Theorie: Sie setzt, wie gesagt, voraus, dass man an eine praktisch umfassende, kohärente, weltweite Verschwörung glaubt. Zu den Verschwörern zählen dann aber nicht nur Presseleute, sondern auch sämtliche Menschenrechtsorganisationen von Amnesty bis Human Rights Watch u. natürlich in erster Linie B’Tselem. B’Tselem nimmt ja am wenigsten ein Blatt vor den Mund, wenn es gilt, die israelische Menschenrechtspraxis zu verurteilen. Aber man sollte eigentlich nicht von einer ‘paranoiden Weltsicht’ sprechen. Vielmehr hat man es hier mit einer bewußt kultivierten paranoiden Sicht der Welt zu tun. Sie macht es Juden nämlich möglich, sich jeder Verantwortung für die Verbrechen, die sie begehen, zu entziehen, indem sie a) behaupten, sie wären gar nicht Täter oder b) was sie getan haben, sei in reiner Notwehr geschehen, denn alle ‘Goyim’, alle ‘Gentiles’, also Nichtjuden, dieser Welt wollen uns ja töten. Es ist dies eine bewußt kalkulierte u. kultivierte Paranoia, die dazu dienen soll, die Verbrechen des Staats Israel zu rechtfertigen.

      Frage:

      Eine dieser kritischen israelischen Journalisten ist Amira Hass. Sie hat einmal geschrieben, es sei die verantwortungsvolle Aufgabe von Journalisten, “die Zentren der Macht im Auge zu behalten”. Ganz persönlich gefragt, unterscheidet sich die Aufgabe eines Gelehrten hiervon?

      Antwort:

      Ich meine, es ist Aufgabe jedes Menschen, der oder die (erstens) das Glück hatte, eine gute Ausbildung zu erhalten - für die meisten Menschen der Welt offensichtlich ein Privileg -, und der/die daneben auch noch die Möglichkeit hat, derartige Fragen u. Probleme zu recherchieren - auch das natürlich ein Privileg -, also all diese Frauen u. Männer haben die Verantwortung, über die Dinge, die passieren, akkurat zu berichten. Sie geben dadurch andern Menschen Entscheidungsmöglichkeiten an die Hand, so dass diese entsprechend ihrer moralischen Haltung handeln können. Ansonsten hätten diese Leute vielleicht nicht genug Information, um kompetent handeln zu können. Daher die Verantwortung derjenigen, die in der Lage sind, dieses Wissen bereitzustellen.

      Frage:

      Professor Finkelstein, was meinen Sie, wohin steuert der ‘Friedensprozess’?

      Antwort:

      Meiner Ansicht nach stürzen wir unmittelbar auf eine Katastrophe zu - es sei denn, die USA werden doch noch wundersamerweise davon abgebracht, den Irak erneut zu zerstören. Ich denke, die Palästinenser befinden sich in wirklicher Gefahr, hier die Leidtragenden zu sein; es könnte ihnen ein verheerender Schlag versetzt werden - äquivalent dem von 1948, womöglich sogar noch schlimmer.
      Avatar
      schrieb am 19.12.02 20:02:52
      Beitrag Nr. 11 ()
      Israelische Blindheit
      von Gideon Levy
      Ha`aretz / ZNet 15.12.2002


      Ich frage mich, ist es zuviel verlangt von den Israelis, sich anzuschau’n, was gerade in ihrem Hinterhof vor sich geht - es sich nur kurz vor Augen zu halten? Sind wir überhaupt noch in der Lage, unsern hartherzigen Blick abzuwenden von den Vorwahlen oder vom Streit zwischen Tnuva und Strauss über Hüttenkäse u. uns stattdessen darauf zu konzentrieren, was in den ‘Gebieten’ passiert - u. zwar unter unserer Besatzung? Ein Ausländer, der sich zufällig in Israel aufhielte, würde seinen Augen nicht trauen. Nur noch ein paar Wochen bis zur großen Wahl, - eine Periode, in der eigentlich Standpunkte klargemacht bzw. in den Medien öffentlich gemacht werden -, aber in dieser wichtigen Zeit liegt Israel weiterhin im Dornröschenschlaf, will nichts sehen, nichts hören, nichts wissen darüber, was wir jenen 3 Millionen Menschen antun, die weniger als eine Autostunde von uns entfernt leben. Schon in ganz normalen Zeiten inakzeptabel, diese krasse Ignoranz (so nach dem Motto: was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß), aber am Vorabend von Wahlen, die von vielen (was allerdings nichts Neues ist) als kritisch eingestuft werden, ist dieses Verhalten schlicht kriminell.

      Hier zur Verdeutlichung ein paar Zahlen - bezogen ausschließlich auf die letzten paar Tage:

      Am Donnerstag starben 5 unbewaffnete Palästinenser - höchstwahrscheinlich verzweifelte Arbeiter - beim Versuch, mittels Leiter die Grenze von Gaza nach Israel zu überwinden, um sich Arbeit zu suchen. Ein Panzer nahm die Männer unter Granatbeschuss u. tötete sie. Am Montag töteten (israelische) Soldaten einen geistigbehinderten Palästinenser. Sonntag schossen (israelische) Soldaten in Rafah auf 2 Frauen u. 3 Kinder, an der Grenze zu Ägypten. Eine Frau wurde dabei getötet, ebenso ihre beiden Kinder (4 u. 15 Jahre alt), die andere Frau kam mit schweren Verletzungen davon. Die Soldaten gaben an, sie hätten die Frauen u. Kinder für Terroristen gehalten. Die Woche davor, am Freitag, starben gleich 10 Personen - darunter eine Frau sowie 2 Angestellte von UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen) - als eine Liquidierungs-Operation (der Israelis) im Al-Bureij-Flüchtlingslager / Gazastreifen fehlschlug. Erst Tage zuvor hatte ein israelischer Soldat in einem Taxi bei Ramallah eine 95jährige Greisin erschossen. Nur wenige Tage vorher zerstörten (israelische) Soldaten ein Gebäude u. verschütteten dabei einen 70jährigen. Summa summarum also mehr als 30 tote Palästinenser ( mindestens die Hälfte davon unschuldige Zivilisten) allein in den ersten 10 Dezembertagen. Früher hätte man sowas für ‘anormal’ gehalten, heute ist es schlicht Alltag. Früher hätte unsere Armee derartige Zwischenfälle untersucht, heute überprüft sie sie noch nicht mal mehr. Interessiert es überhaupt noch irgendjemanden? Unschuldige Opfer - Frauen, Kinder, alte Leute - gibt es eben nur noch auf unserer Seite. Und die meisten Medien Israels berichten über das alles nur noch kurz u. knapp - bzw. überhaupt nicht mehr; auch kein Politiker redet darüber. Zu dieser Bluternte zählen aber auch die Massenverhaftungen. Ich nehme im Folgenden Bezug auf Daten des IDF-Sprecherbüros (Israelische Armee): Allein in (israelischen) Militareinrichtungen sitzen derzeit 3094 Palästinenser ein, 932 davon sind in sogenanntem ‘Administrativgewahrsam’ (Haft ohne Prozess). Das bedeutet: Fast tausend Menschen können derzeit 6 Monate lang ohne Aussicht auf Prozess festgehalten werden. Viele von ihnen sind entweder in Ofer oder in Ketziot untergebracht - zwei Behelfsgefängnisse mit besonders problematischen Zuständen. Oder wie sonst ist es zu erklären, dass die IDF (Israelische Armee) Reportern seit Monaten den Zugang dazu verwehrt?

      Diese Art Fakten bzw. statistische Tatsachen sollten auf unsere Öffentlichkeit eigentlich extrem beunruhigend wirken - selbst wenn diese Öffentlichkeit unter permanenter Terrorbedrohung lebt. Zumindest aber für eine öffentliche Diskussion müssten die tagtäglichen Tötungen unschuldiger Zivilisten bzw. die Massenarretierungen ohne Gerichtsverfahren ausreichen. Aber daran hat in Israel anscheinend niemand Interesse; man tut so, als wären das belanglose Themen. Dabei spielt das alles doch eine entscheidende Rolle und zwar nicht nur für die Opfer (was auf der Hand liegt) sondern auch hinsichtlich unserer eigenen Sicherheit sowie hinsichtlich der Frage, was für eine Regierung, was für eine Gesellschaft wir haben werden. Aber es geht noch weiter: Über die Tötungen bzw. Verhaftungen berichten die Medien zwar - zumindest am Rande - aber die ‘Inhaftierung’ des ganzen palästinensischen Volks wird mit keinem einzigen Wort mehr erwähnt, dabei geht diese Inhaftierung doch ununterbrochen weiter. Ganze Städte - Städte, die teilweise schon in Trümmern liegen -, unterliegen fast ohne Unterbrechung der Ausgangssperre. Einer Gesamtbevölkerung wird es somit verwehrt, sich von einem Dorf zum nächsten bzw. von einer Stadt zur andern zu bewegen - nichts geht mehr ohne Genehmigung der Besatzungsarmee. Aber in der israelischen Öffentlichkeit gibt es kein Echo auf derlei Zustände. Niemand fragt, warum passiert das alles oder wie lange passiert es noch? Und warum stellt niemand die Frage, ob dieser Zustand dem Terrorismus denn nicht eher förderlich ist denn abträglich? Unsere Sicherheitsexperten jedenfalls behaupten in erschreckender Einhelligkeit, es ginge eben nicht anders - und kaum einer protestiert. Gut möglich, dass die israelische Öffentlichkeit zum großen Teil keine Ahnung davon hat (es interessiert sie auch nicht), ob die Palästinenser nun unter Ausgangssperre leben, ‘lediglich’ belagert sind oder aber umzingelt. Man ist hier einfach exklusiv auf das eigene Leid fixiert, auf unsere eigenen Probleme - und die sind selbstverständlich gravierend. Die Israelis haben ein ungutes Gefühl, wenn sie in einem öffentlichen Café sitzen; die Palästinenser können von solchen Aktivitäten aber längst nur noch träumen. Die Leute hier in Israel fürchten sich, mit dem Bus zu fahren; in den ‘Gebieten’ fahren schon längst keine Busse mehr. Angst vorm Fliegen? Die meisten Palästinenser haben noch nie ein Flugzeug von innen gesehen. Steigende Arbeitslosigkeit (in Israel)? Ein Klacks, verglichen mit der Unterernährung - fast schon Hungersnot - die in den ‘Gebieten’ herrscht. Wobei die große Mehrheit der Menschen dort keine Terroristen sind.

      Noch ein paar Wochen bis zur Wahl. Aber nirgends ein Wort von der Verantwortung Ariel Scharons, Shaul Mofazs oder Benjamin Ben-Eliezers für all diese Toten, diese Zerstörung. Arbeitspartei-Führer Amram Mitzna redet ewig nur von ‘Separierung’ bzw. von dem, was für Israels Sicherheit wichtig sei - und kein Wort über Moral, über Gerechtigkeit. Hoffentlich bleibt wenigstens die Meretz-Partei einigermaßen konsequent hinsichtlich dieses Themas - nachdem die früheren Arbeitspartei-Stützen Yossi Beilin u. Yael Dayan zu ihr übergelaufen sind. Die Arabischen Parteien, etwa Hadash, versuchen zwar, zu erläutern, was tatsächlich in den ‘Gebieten’ passiert, aber niemand hört auf sie. Ein äußerst bedrohlicher Zustand. Denn keine terroristische Bedrohung - sei sie noch so mörderisch - rechtfertigt ja die summarische Annullierung aller Werte. Und kein Selbstmordattentat rechtfertigt die Tötung unschuldiger Menschen - auf tagtäglicher Basis - oder Masseninhaftierungen ohne Prozess. Und nichts - aber auch gar nichts - kann unsere mangelnde öffentliche Diskussion rechtfertigen, ebensowenig wie unsere Ignoranz gegenüber dem, was in unserem Hinterhof vor sich geht - schon gar nicht vor landesweiten Wahlen.
      Avatar
      schrieb am 20.12.02 21:36:18
      Beitrag Nr. 12 ()
      Wir bezahlen die Kugeln

      von Joseph Sobran, USA

      Ich habe nichts gegen Araber, aber viele von ihnen scheinen mich zu hassen. Nicht mich als Individuum, sondern als Amerikaner. Ich glaube zu verstehen, warum.

      Ein 8jähriger arabischer Junge wurde gestern angeschossen. Er starb im Krankenhaus. Ich habe die Kugel, die ihn getötet hat, bezahlt.

      Dies ist in Nablus, im Westjordanland, geschehen; ein Gebiet, auf das Israel Anspruch erhebt und besetzt hält. Einige Schulkinder haben Steine auf einen Jeep geworfen, in dem israelische Soldaten sassen. Die Soldaten eröffneten daraufhin das Feuer, der Junge wurde in der Brust getroffen. Ein Zeuge sagte aus, dass der Junge nicht zu der Gruppe gehört habe, die Steine geworfen habe. Er stand etwa hundert Meter abseits. Die Israeli sagen, die Kinder hätten nicht näher identifizierte «Explosivgeschosse» geworfen. Der 8jährige wurde also in einem Akt der Selbstverteidigung getötet.

      Vielleicht war dies ein schrecklicher Unfall. Ich glaube es aber nicht mehr. Diese «Unfälle» geschehen zu oft. Die Israeli haben zu viele Kinder erschossen, als dass ich das noch glauben könnte. Es ist mittlerweile zu einer Art Gewohnheit geworden. Es schockiert nicht einmal mehr.

      Amerikaner, so wie ich einer bin, bezahlen diese Kugeln. Die Araber wissen das. Deswegen mögen einige von ihnen keine Amerikaner. Ich kann nichts weiter tun, als mein tiefstes Bedauern darüber zum Ausdruck bringen; feststellen, dass ich keine Wahl habe. Ein einfacher Steuerzahler hat einfach keine Wahl.

      Vielleicht denken manche Araber, dass auch ein Steuerzahler sein Gewissen erforschen sollte - oder doch zumindest seine Interessen. Aber nur wenige Amerikaner lassen sich von diesen Tötungen stören. Sie sehen einfach keinen Zusammenhang zwischen den Dingen. Wenn Araber an amerikanische Zielen Rache nehmen, dann fragen die Amerikaner: «Warum hassen sie uns? Es muss daran liegen, dass wir so ein freies Land sind.»

      Aber wenn wir wirklich frei wären, dann könnten wir es doch als Individuen ablehnen, diese Verbrechen auch noch zu finanzieren. Natürlich ist es auch schrecklich, wenn Araber israelische Kinder töten. Aber wenigstens werden wir nicht dazu gezwungen, diese Morde zu bezahlen. Die Morde an arabischen Kindern zu bezahlen, ist mittlerweile zu einem Bestandteil von uns Amerikanern geworden. Ich nehme an, dass Israel für seine Soldaten eine ganze Menge Kugeln von dem Teil der amerikanischen Hilfe gekauft hat, den ich bisher bezahlt habe.

      Einer dieser Soldaten hat mit seinem Gewehr auf die Brust eines kleinen Jungen gezielt und hat abgedrückt. Was für ein Mensch ist zu so etwas fähig? Ich weiss es nicht, aber Israel scheint ziemlich viele solcher Menschen hervorzubringen. Einer von ihnen ist jetzt israelischer Ministerpräsident: Ariel Sharon. Etliche seiner Amtsvorgänger waren auch von dieser Sorte.

      Vor einigen Tagen ist Abba Eban gestorben. Ich wusste nicht einmal, dass er noch am Leben war. Niemand, der seine Rede während des israelisch-arabischen Krieges 1967 vor den Vereinten Nationen gehört hat, wird seine Beredsamkeit vergessen können. Er überzeugte Millionen von uns davon, dass Israel eine kleine belagerte Insel der Zivilisation in einem primitiven Teil der Welt sei. Terrorismus bedeutete immer arabischer Terrorismus. Per definitionem.

      Das war auch 15 Jahre lang meine Überzeugung. Erst die furchtbare Bombardierung Beiruts durch Israel änderte meine Meinung. Diese Zeit war sozusagen Sharons Sternstunde. Selbst viele amerikanische Juden mussten einsehen, dass Abba Ebans Israel aufgehört hatte zu existieren, wenn es denn jemals existiert hatte.

      Ich möchte es so ausdrücken: Man kann sich wirklich nur sehr schwer vorstellen, wie Abba Eban ein kleines Kind erschiesst. Bei Sharon fällt einem diese Vorstellung gar nicht so schwer. Die einzige Frage, die man sich stellt, ist, wie oft er es schon getan hat.

      Sie könnten meinen, dass Sharon, schon allein aus Imagegründen, seine Soldaten dazu anhalten könnte, etwas vorsichtiger zu sein; oder dass die Israel-Lobby dieses Landes Sharon vorschlagen könnte, es etwas mehr mit der Methode Ebans zu versuchen.

      Aber während des Krieges 1967 haben die Israeli gelernt, dass sie sich alles erlauben können, einschliesslich des Tötens amerikanischer Seeleute. Da aber amerikanische Hilfsleistungen nicht nur fortgesetzt, sondern sogar auch noch erhöht wurden, selbst nach der Ermordung von Amerikanern, kann Sharon gelassen davon ausgehen, dass die Unterstützung nicht wegen des Tötens arabischer Kinder eingestellt wird.

      Die Araber haben das bemerkt. Und sie haben ihre Schlüsse gezogen. Nicht nur über Israel, sondern auch über uns Amerikaner. Sie müssen unsere amerikanischen Predigten über Demokratie und Menschenrechte ein wenig entnervend finden. Wie oft sagen Amerikaner über andere Völker: «Diese Leute verstehen nur eine Sprache: Gewalt.» Könnte es nicht sein, dass so mancher Nicht-Amerikaner einige Gründe hätte, dasselbe über uns Amerikaner zu sagen?

      Die Vereinigten Staaten stehen an der Schwelle eines Krieges, um angeblich sicherzustellen, dass Saddam Hussein niemals in den Besitz von Massenvernichtungswaffen gelangt. Ariel Sharon besitzt diese Waffen bereits. Und zwar im Überfluss. Die Araber wissen auch das. Die amerikanische Politik im Nahen Osten scheint sich darauf zu verlassen, dass die Araber das Offensichtliche nicht sehen. Wenn aber die Ermordung ihrer Kinder uns nicht schockieren kann, dann sollte uns auch nicht mehr ihr Hass schockieren.

      (Übersetzung von Ionel Spanachi)
      zeitfragen
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      schrieb am 21.12.02 07:23:28
      Beitrag Nr. 13 ()
      @bluemmons:
      Auf der anderen Seite:
      wer bezahl die Bomben, die massenhaft israelische Kinder zerfetzen? Warum finde ich nirgendwo ein so "tolles" Statement auf, wo ein Iraner, Iraker, Saudi oder Lybier sein persönliches Bedauern darüber zum Ausdruck bringt, dass auch durch sein Geld Kinder sterben?

      Kannst du nicht beantworten? Aber selber schön fleissig einseitig Öl ins Feuer giessen und gewisse Ressentiments schüren?!
      Avatar
      schrieb am 23.12.02 21:20:05
      Beitrag Nr. 14 ()
      Bericht aus Gaza
      von Kristen Ess
      ZNet 19.12.2002


      Block O ist fast leer. Die meisten Bewohner sind weg. Die Abwasserflut hinterließ an manchen Stellen knietiefe Pfützen. Ein alter Mann geht an deren schlammigem Rand entlang. Sein Haus ist überflutet. Die israelische Militärregierung errichtet hier in Rafah eine Gefängnismauer - 8 Meter hoch, 10 Meter breit. Auf diese Weise zerstört sie Rafah. Überall ragt rostbrauner Stahl vorwurfsvoll in die entstellte Landschaft - das Werk des israelischen Militärs. Die Häuser, die noch steh’n, scheinen nur aus Löchern zu besteh’n. Gegenüber, entlang der Mauer, die Heckenschützen-Türme. Grüne Türme, getarnt mit dunklen Netzen. Und noch eine Mauer - Caterpillar-Bulldozer, von Israelis gesteuert, haben sie geschaffen. Sie besteht aus den Trümmern zerstörter Häuser - aus Bettfedern, einem Plastikschaukelpferd, zerrissenen Laken u. den Trümmern von Betonmauern, die früher mal Häuser waren. Die rasende Zerstörung überfordert das ohnehin komplizierte Abwasserdrainagesystem der Gegend. Ein Freund von mir, Ingenieur im Wasserwirtschaftsamt von Rafah, erklärt: um die Flut trockenzulegen, müsste man die Mauer auseinanderbrechen, so dass das Abwasser einen direkten Abfluss hat. Die Häuser kann man (derzeit) nicht wiederaufbauen. Die Gegend steht immer noch unter Belagerung.

      “Als die Panzer u. Bulldozer kamen, gerieten die Menschen in Panik. Es war dunkel. Sie griffen nur schnell nach ihren Kindern. Man hörte das Geräusch berstenden Betons u. Menschen schreien. Sie rannten aus ihren Häusern u. direkt ins Abwasser hinein.” Der Mann, der mir das gerade erzählt, fummelt mit seinen Händen in den Hosentaschen, bietet mir schließlich eine Zigarette an: “Sie sind uns willkommen”. Wenn die israelische Armee anfängt, Häuser, Infrastruktur, Leben zu zerstören, bleibt nicht viel übrig: nichts, wohin man zurückkehren könnte, nichts mehr da. Sowas ist ‘ethnische Vertreibung’. Aber einige Leute hier sagen: “Wenn wir nur irgend jemanden auf unserer Seite hätten, nur einen einzigen Außenstehenden auf unserer Seite, wir würden trotzig in unsern Häusern ausharren. Wir würden ausharren”. Ein tauber Mann im Norden überhörte die Megaphon-Durchsage der israelischen Soldaten, die ihm befahlen, aus seinem Haus zu rennen. Er wurde verschüttet. Ebenso ein alter Mann, der seinen Nachbarn gesagt hatte, er könne es einfach nicht mehr ertragen,von Israel so gedemütigt zu werden. Die Militärregierung Israels vergreift sich an landwirtschaftlich genutztem Land. Sie greift Fabriken an, um die palästinensische Wirtschaft zu zerstören, im Grunde alles zu zerstören, was beim Überleben hilft. Das ist Teil des ethnischen-Vertreibungsprozesses - auf psychologischer, ökonomischer u. physischer Ebene. Ein Doktor hier sagt: “Sie zerstören unsere Schulen u. Krankenhäuser. Die Fabriken, von denen sie behaupten, sie produzierten Bomben, sind in Wirklichkeit eben nur Fabriken. Selbst wenn wir Käse produzieren, heißt es noch, wir würden Bomben produzieren. Sie zerstören unsere Felder, einfach alles. Sie tun es, damit wir in Zukunft ihr Gemüse kaufen müssen, alle ihre Produkte, sie wollen, dass wir keine eigene Ökonomie mehr haben”. Ein Bauer, der in einem Zelt lebt, seit das israelische Militär sein Haus u. fast sein gesamtes Land im Norden von Rafah plattmachte, sagt mir: “Sie lassen uns nichts mehr anbauen. Sie haben meine Felder einfach mit dem Bulldozer eingeebnet. Aber das hier ist mein Land. Ich gehe nicht. Wir gehen nicht. Sie können mich hier an diesem Ort töten. Und sie werden mich hier an diesem Ort töten”.

      Aufgrund der gezielten Zerstörung der Infrastruktur bzw. der fortgesetzten Belagerung beträgt die Arbeitslosigkeit hier im Gazastreifen teilweise 80 Prozent. Diese Woche brachen 5 Personen vom Flüchtlingslager Khan Younis auf - auf der Suche nach Arbeit. Sie machten den Fehler, den Gazastreifen über einen israelischen Militär-Checkpoint verlassen zu wollen, der eigentlich nur für Waren bestimmt ist. Die israelischen Soldaten schossen u. töteten alle 5. Anschließend tauchten die Toten für mehrere Tage auf der israelischen ‘Gesuchten’-Liste auf u. zwar auf Betreiben der israelischen Regierung bzw. der Konzernmedien.

      Ein junger Mann aus Mawasi hat seine Heimatgemeinde seit 2 Jahren nicht mehr geseh’n. Dabei, so erklärt er mir, liegt der Ort nur 15 Minuten von Rafah entfernt. Er sagt: “Die israelische Regierung will keine jungen Leute mehr in Mawasi. Sie wollen alle Leute von dort vertreiben.” Es gibt keine Schulen in Mawasi - abgesehen von einem fahrbaren Schulwohnwagen - “nur für Notfälle”. Im Moment bilden die ganz Kleinen den ‘Notfall’. Man will sie beschäftigen, damit ihr Leben sich etwas normalisieren kann. Die Kinder sind so gestresst durch die andauernden israelischen Angriffe, dass mittlerweile 50 Prozent Bettnässer sind. Und 61 Prozent der palästinensischen Kinder dieser Gegend sind anämisch (blutarm). Das liegt nicht am mangelnden Essen: diese Kinder können einfach nichts mehr essen, haben keinen Appetit. Ein UNRWA-Doktor: “Sie sind einfach zu nervös zur Nahrungsaufnahme. Sie leben in ständiger Angst”. Und inzwischen fährt der israelische Verteidigungsminister nach Washington u. läßt sich die $12 Millionen pro Tag, die Israel von den USA erhält, auch noch aufstocken.





      [ Übersetzt von: Andrea Noll | Orginalartikel: "Report From Gaza" ]
      [ druckversion | diesen Artikel an Freunde verschicken ]
      Avatar
      schrieb am 24.12.02 16:49:06
      Beitrag Nr. 15 ()
      @AbuDaud

      Kannst du nicht beantworten? Aber selber schön fleissig einseitig Öl ins Feuer giessen und gewisse Ressentiments schüren?!

      ich gieße weder Öl noch Wein, noch schüre ich irgendwelche Ressentiments, in dem ich Berichte kopiere und Sie als Information hier reinstelle,wenn Sie dir nicht gefallen, kann ich auch nichts dafür.
      Manchmal sind Wahrheiten bitter!
      Avatar
      schrieb am 25.12.02 10:37:26
      Beitrag Nr. 16 ()
      @bloemoons: vor allem, wenn deine "Wahrheiten" immer schön nur die eine Seite beschuldigen...
      Avatar
      schrieb am 27.12.02 17:58:36
      Beitrag Nr. 17 ()
      Neue Welle der Gewalt

      Peter Schäfer 27.12.2002
      Israelische Spezialeinheiten und Soldaten im Wahlkampf

      In einer neuen Welle der Gewalt tötete die israelische Armee am Donnerstag insgesamt neun Palästinenser. Soldaten in Uniform und Zivil eröffneten das Feuer in mehreren Orten. In Ramallah wurden drei Menschen erschossen. Hanna Abu Samra, ein Augenzeuge des Angriffes im Stadtzentrum, ist froh, unverletzt davon gekommen zu sein. "Vier palästinensisch aussehende Männer eröffneten mit Maschinenpistolen das Feuer auf uns auf diese Weise", erzählt er und imitiert dabei das Führen der Waffe im Halbkreis. "Ich dachte zunächst, dass hat was mit internen Streitigkeiten zu tun, weil die ja in Zivil waren." Die Menschen flüchteten nach seinen Angaben in Panik in die umliegenden Geschäfte. Ein 19-Jähriger Passant starb im ersten Kugelhagel, mehrere wurden verletzt.






      Das Ziel der Schießerei waren allerdings die Insassen eines Autos, dessen Fahrer sofort mit mehreren Schüssen durch die Windschutzscheibe getötet wurde. Nach Armeeangaben zog er eine Waffe. Augenzeuge Abu Samra kann das nicht bestätigen. "Wie auch", sagt er, "die fuhren doch nichtsahnend die Straße lang." Der Beifahrer, ein von Israel gesuchtes Hamas-Mitglied, wurde festgenommen. Erst jetzt wurde durch das dazu gekommene Militärfahrzeug deutlich, dass es sich bei den Angreifern um israelische Soldaten handelte. Dem Festgenommenen, Iman Amar Raschid, wirft Israel die Planung mehrerer Selbstmordanschläge vor. In Ramallah beschossen Soldaten außerdem den Eingangsbereich des städtischen Krankenhauses. Dabei starb ein Wachmann. Drei weitere wurden festgenommen und in die Siedlung und Militärbasis Beit El bei Ramallah gebracht.





      Andere Orte des besetzten Westjordanlandes waren ebenfalls Schauplätze solcher "Anti-Terror-Aktionen". In Kabatia bei Dschenin umstellte die Armee das Haus von Hamsa Abu Rub, der nach Armeeangaben das Feuer eröffnete. Das Mitglied des Islamischen Dschihads wurde im Schusswechsel getötet, vier Soldaten verletzt. Abu Rub wird ebenfalls die Planung von Selbstmordattentaten vorgeworfen. In Nablus wurde ein gesuchter Palästinenser und zwei Passanten erschossen. Eine israelische Undercover-Einheit tötete in Tulkarem Dschamal Jahja vor seinem Haus. Er war nach palästinensischen Angaben Mitglied der Aqsa-Märtyrer-Brigaden, einer bewaffneten Abspaltung von Jassir Arafats Fatah-Partei. Später starb dort ein 65-jähriger Palästinenser, nachdem eine israelische Schockgranate in seiner unmittelbaren Nähe explodierte. Dutzende Palästinenser wurden im Laufe der verschiedenen Angriffe verletzt. An weiteren Orten nahmen israelische Soldaten mutmaßliche Militante fest.

      Der breite israelische Angriff kommt in einer Zeit der relativen Ruhe. Seit etwa einem Monat fanden innerhalb Israels keine Anschläge mehr statt. Palästinensische Organisationen diskutieren seit einigen Wochen ihre Haltung gegenüber den israelischen Parlamentswahlen am 28. Januar. Die Mehrheit sieht dabei einen Stopp der Anschläge auf israelische Zivilisten als Wahlhilfe für Amram Mitzna, den Kandidaten der Arbeitspartei. Der Herausforderer von Ariel Scharon (Likud), dem derzeitigen Ministerpräsidenten, gilt als politisch moderater und verhandlungsbereit. Arafats Fatah und die islamistische Hamas befinden sich im Moment in Gesprächen über eine Einstellung von Anschlägen gegen israelische Zivilisten insgesamt. Palästinensische Angriffe gegen Soldaten und para-militärische Siedler in den besetzten Gebieten gehen aber weiter.

      "Die Gewalteskalation durch Scharon zielt auf die Schaffung einer Atmosphäre, die ihm zum Wahlsieg verhilft", so der palästinensische Minister Jassir Abed Rabbo gegenüber der Presse. "Scharon provoziert Vergeltung, um so jede Möglichkeit einer Einigung palästinensischer Gruppen in Bezug auf eine Waffenruhe zu untergraben." Für die Palästinenser, die sich in Ramallah am Freitag zu einer Demonstration versammelten, besteht kein Zweifel an diesem Zusammenhang. "Die Ausführung der Aktion macht das klar", analysiert einer. "Sie kommen zur Mittagszeit auf den dicht bevölkerten Platz hier und schießen um sich. Wenn das einer von uns in Tel Aviv macht, dann bezeichnet Israel das als Terror. Die Bombardierung palästinensischer Ortschaften wäre die Folge." Fraglich ist nun, ob palästinensische Gruppen Anschläge gegen das israelische Kernland wieder aufnehmen.

      "Pufferzonen" um Siedlungen


      Weitere israelische Angriffe sind zu erwarten. Verteidigungsminister Shaul Mofas kündigte am Freitag die "Erhöhung des Drucks auf die Palästinenser" an. Gegenüber einem israelischen Radiosender sagte der Rechtsaußen, der vor kurzem noch Oberbefehlshaber der Armee war, dass die Soldaten mit "Härte gegen die Terroristen vorgehen" sollen. Noch am Donnerstagabend besetzten die Truppen wieder Bethlehem. Auf Bitte von Papst Johannes Paul II. zogen sich die Panzer über die Weihnachtsfeiertage zunächst aus dem Stadtzentrum zurück. Eine Bewohnerin sagte gegenüber Telepolis, dass die Soldaten gegen 17 Uhr in die Stadt vorgerückt seien und die Menschen mit Schüssen und Tränengas in die Häuser trieben. Die Armee verhängte eine Ausgangssperre. Panzer rollten am Donnerstagabend ebenfalls wieder in die Stadt Beitunia am Rand Ramallahs ein.

      Bereits seit einigen Tagen errichten Soldaten sogenannte Pufferzonen um die jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten. Das Gebiet einer Siedlung wird auf diese Weise um 300 Meter in jede Richtung vergrößert. Die Zonen werden eingezäunt und dienen offiziell der Abwehr von palästinensischen Angreifern. In ihnen dürfen Soldaten ohne Vorwarnung das Feuer eröffnen. Diese Regelung ist schwer erklärbar, da die Soldaten auch an anderen Orten ohne Ankündigung schießen. Sie bleiben meist ungestraft.

      In einer Stellungnahme bezeichnete der palästinensische Minister Saeb Erekat die Zonen als "Siedlungserweiterung" und als Maßnahme, mit der Israel die Friedenspläne der USA unterlaufe. Nach der "Straßenkarte" des Friedens ist für 2005 die Gründung des palästinensischen Staates vorgesehen. "Scharon will sicher stellen, dass bis dahin die Schaffung eines (lebensfähigen) Staates unmöglich ist", sagte Erekat.

      Peter Schäfer, Ramallah
      Avatar
      schrieb am 27.12.02 18:04:43
      Beitrag Nr. 18 ()
      @AbuDaud

      es gibt nur eine Wahrheit, die nicht "dein" und nicht "mein" ist.
      Wahrheit ist Wahrheit.
      Avatar
      schrieb am 27.12.02 19:02:40
      Beitrag Nr. 19 ()
      @bluemoons: nein, es gibt rein subjektive Meinungsäusserungen, natürlich von beiden Konfliktparteien und den mal mit der einen mal der anderen Seite sympathisierenden Schreiberlinge.
      Die Wahrheit liegt bestimmt irgendwo dazwischen, do du suchst nicht nach ihr, deswegen beschuldige ich dich auch der Einseitigkeit!
      Avatar
      schrieb am 28.12.02 01:21:31
      Beitrag Nr. 20 ()
      @abudaud

      ob du mich beschuldigst oder nicht, ist deine Sache, es ändert aber nicht die genannten Tatsachen.

      trifft das nicht auf dich zu , mit dem du mich beschuldigst?
      Avatar
      schrieb am 31.12.02 16:38:00
      Beitrag Nr. 21 ()
      Terror und das Recht auf Selbstverteidigung

      Peter Schäfer 29.12.2002
      Zur Logik der Gewalteskalation im israelisch-palästinensischen Konflikt

      Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten ( Neue Welle der Gewalt). Scharons Rechnung geht auf. Nur einen Tag nachdem israelische Soldaten in Uniform und Zivil in mehreren Ortschaften teilweise willkürlich neun Palästinenser erschossen, leben die Bewohner West-Jerusalems wieder mit Terroralarm. Die Armee hat nach eigenen Angaben mehrere Hinweise erhalten. Im Zentrum der Stadt explodierte bereits in der Nacht zum Samstag ein Auto. Bei dem Anschlag wurde nur der Attentäter, ein Palästinenser aus Ost-Jerusalem, verletzt.






      Das Auto mit zwei Gasflaschen war in einer populären Straße mit vielen Bars und Cafés abgestellt. Ob und welche palästinensische Organisation hinter dem unprofessionellen Anschlag steckt, ist noch nicht bekannt. Er bezeichnet jedoch eine neue Qualität der Gewalt. Anschläge gegen israelische Zivilisten fanden seit etwa einem Monat nicht mehr statt. Palästinensische Gruppen nahmen davon Abstand, um den Wahlkampf von Amram Mitzna (Arbeitspartei) nicht zu gefährden. Der als moderat angesehene Herausforderer von Ariel Scharon (Likud) gilt als verhandlungsbereit.





      Die islamistische Hamas hat sich faktisch an dieser einseitigen Waffenruhe beteiligt. Sie lehnt zwar Verhandlungen mit Israel ab und tat in der Vergangenheit alles, um Gespräche zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde mit Gewalt zu verhindern. Vertreter der Fatah-Partei Jassir Arafats sagten in der letzten Zeit aber, "mit aller Härte gegen Gruppen, die sich nicht an unsere Anordnungen halten", vorgehen zu wollen. Im Moment ist eine Polizeiarbeit zumindest im Westjordanland aber illusorisch, da Israel das Gebiet wieder insgesamt militärisch kontrolliert und die Bewegungsfreiheit der Palästinenser drastisch einschränkt. Die Infrastruktur der Polizei ist zerstört. Hamas nimmt diese Drohungen aber offensichtlich trotzdem ernst und beugt sich dem Druck. Palästinenser analysierten die israelischen "Terroraktionen" vom Donnerstag als Versuch zur Zerstörung dieser Waffenruhe. Israelische zivile Spezialeinheiten, die sogenannten Duvdevan, feuerten dabei in Ramallah willkürlich in eine Menschenmenge.

      Am Freitagabend drang ein Palästinenser in die jüdische Siedlung Otni`el, südlich von Hebron im Westjordanland, ein. Er schoss um sich und warf Handgranaten. Dabei wurden zwei Soldaten und zwei Siedler getötet, neun verletzt. Der Angreifer, ein Mitglied des Islamischen Dschihad, wurde erschossen. Ein Helfer nach einer Verfolgungsjagd ebenfalls. Die israelische Armee zerstörte in der Folge zwei Häuser des Attentäters. Die Kollektivstrafe ist mittlerweile eine Standardprozedur. Die Bewohner sind nun obdachlos. Abdullah Salah, der Kopf des Islamischen Dschihad, sagte gegenüber dem Fernsehsender al-Dschasira, dass der Anschlag als Vergeltung für die neun getöteten Palästinenser vom Vortag verübt wurde.

      Anschlag auf Siedlung - Selbstverteidigung oder Terror?


      Die derzeitige israelische Regierung macht keinen Unterschied zwischen Anschlägen auf israelische Zivilisten innerhalb Israels und Angriffen auf Soldaten und Siedler in den seit 1967 besetzten Gebieten. Das internationale Recht unterscheidet aber zwischen Terror und dem Recht auf Selbstverteidigung. Mit Bezug auf Palästina und andere heißt es in der Genfer Terrorismus-Deklaration:


      "Peoples who are fighting against colonial domination and alien occupation and against racist regimes in the exercise of their right of self-determination have the right to use force to accomplish their objectives within the framework of international humanitarian law. Such lawful uses of force must not be confused with acts of international terrorism."




      Nicht nur diese Bestimmung wird von Israel auf eine den Staatsinteressen genehme Weise ausgelegt. Die Bewohner der exklusiv jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten gelten dabei als Zivilisten. Die Genfer Konvention von 1949, nach der die Ansiedlung der eigenen Bevölkerung auf besetztem Gebiet illegal ist, wird so außer Kraft gesetzt.

      Auswirkungen der Siedlungspolitik sind für jeden Palästinenser spürbar. Otni`el, das Ziel des letzten Anschlags, ist beispielsweise für die Isolierung der palästinensischen Kleinstadt Yatta verantwortlich. Die Verbindungsstraßen zur Siedlung dürfen von Palästinensern nicht benutzt werden und sind militärisch kontrolliert. Sie sperren dadurch den Ort weiträumig ab (siehe Land Grab: Israel`s Settlement Policy in the West Bank).

      Wer sich einmal die Mühe macht, eine Woche lang in der Altstadt Hebrons zu verbringen, wird mit großer Wahrscheinlichkeit Zeuge des unzivilen Charakters der dortigen Siedler. Regelmäßig überfallen sie mit Maschinenpistolen bewaffnet palästinensische Geschäfte und Wohnungen. Viele Bewohner halten den dauernden Übergriffen nicht stand und fliehen. Allein im Laufe des Jahres 2002 eroberte sich die Siedlergemeinschaft auf diese Weise den alten Markt der Stadt. Palästinenser, die Gegenmaßnahmen ergreifen, werden von der Armee festgenommen. Zur Dokumentation der Verfehlungen beider Seiten sind seit mehreren Jahren internationale Beobachter in Hebron stationiert. Sie werden selbst von Zeit zu Zeit Opfer der Siedler.

      Es liegt an der Regierung Israels, den Siedlern finanzielle Anreize zum Abzug zu liefern. Noch werden sie allerdings in hohem Maße subventioniert. Landenteignungen bei Bedarf, Zuschüsse und Steuererleichterungen lassen die illegalen Ortschaften immer weiter wachsen. Seit dem Abschluss der Friedensverträge mit den Palästinensern 1993 hat sich die Zahl ihrer Bewohner auf 400.000 verdoppelt.

      Peter Schäfer, Ramallah
      Avatar
      schrieb am 31.12.02 17:23:56
      Beitrag Nr. 22 ()
      Von Bethlehem bis Rafah
      von Kristen Ess
      ZNet 26.12.2002


      In letzter Minute, am Abend des Tags vor Heiligabend, verkündete die israelische Regierung plötzlich, die Ausgangssperre über Bethlehem sei aufgehoben. Nur ein weiterer Schachzug in diesem ganzen endlosen Propaganda- spiel der Israelis - man hatte ja schon darauf gewartet. Tausende Augen waren auf Bethlehem gerichtet, jene Stadt in der Westbank, die nun schon seit einem Monat unter Ausgangssperre steht bzw. in die sie vor einem Monat erneut einmarschiert sind. Und zum zweitenmal hintereinander verbot die israelische Regierung dieses Jahr Präsident Arafat (an Weihnachten) nach Bethlehem zu kommen - Ramallah ist ja nur 13 Meilen entfernt. Aber in der Geburtskirche hatte man einen Stuhl aufgestellt, darauf das Foto Arafats sowie eine Kafia*. Die gesamte Westbank bleibt weiterhin unter Ausgangssperre, u. auch die Invasion ist nicht beendet. Auch aus Bethlehem zog das israelische Militär keineswegs ab. Man hatte sich lediglich außerhalb Kamerareichweite zurückgezogen. Fünf hohe Gebäude im ganzen Bethlehemer Gebiet wurden vom Militär besetzt - als Wachtürme u. Heckenschützen-Positionen. Israelische Militär-Jeeps patrouillierten durch die Straßen u. um die Flüchtlingslager. Die Nacht vor Heiligabend zerrten israelische Soldaten 8 Palästinenser aus ihren Häusern u. verschleppten sie in israelische Gefängnisse, wo man sie verhörte. In der Nacht darauf waren es 7. In der Weihnachtsnacht verschleppten die israelischen Soldaten 10 Palästinenser. Mittlerweile hält die israelische Militärregierung bereits über 8 000 Palästinenser als Geiseln in ihren Gefängnissen fest.

      Heute, am Tag nach Weihnachten**, besetzte das israelische Militär erneut den Krippenplatz (in Bethlehem). Sie schossen um sich, feuerten Tränengas ab. Sie brüllten durch ihre Jeep-Lautsprecher, die Ausgangssperre sei wieder in Kraft. Einige Bewohner Bethlehems leisteten 2 Stunden lang steinewerfenden Widerstand.

      Letzte Woche hat sich im Bethlehemer Flüchtlingslager Azzeh Folgendes zugetragen: 50 israelische Soldaten stürmten das Haus einer schlafenden Familie. Diese Familie war diejenige, die mich das ganze letzte Jahr über wie eine Schwester bzw. Tochter aufgenommen hat. Einer der Söhne - man lebt auf drei Stockwerke verteilt, er wohnt im 2. Stock -, ging an die Tür u. rief nach draußen: “Ich bin unbewaffnet. Ich öffne jetzt die Tür”. Er hat mir die Sache selbst erzählt. Jeder in der Familie erzählt mir, was sich zugetragen hat. “Ich konnte nicht wissen, weißt du, genausogut hätten sie mich auf der Stelle erschießen können. Wir können niemals wissen, ob sie uns nicht alle töten werden”. Die israelischen Soldaten stürmten durch das Haus, forderten sämtliche Bewohner auf, nach draußen zu gehen. Sie drückten den Leuten ihre Gewehrläufe in den Rücken, drängten diejenigen, die in den obern Stockwerken wohnen. Selbst die Decken, in die man die Babies gewickelt hatte, wurden durchsucht. Eine der Frauen der Familie ist schwanger; ein Sohn ist geistigbehindert. Mutter u. Vater sind beide schon älter. Nichtsdestotrotz wurde die gesamte Familie gezwungen, sich im Lagerdurchgang aufzustellen, die Hände an der Zementwand. Dabei war es schon 2 Uhr nachts - u. mitten im Winter. Einer der Söhne wurde von den Israelis mitgenommen. Er trägt eine Brille, lacht laut, schreibt Gedichte, hört gern Musik, macht guten Kaffee. Er ist Student. Sie fesselten seine Hände u. verbanden ihm die Augen. Dann verfrachteten sie ihn hinten in den Jeep. Die Kinder riefen ihm “auf Wiedersehen!” nach. Mittlerweile befindet er sich in einem israelischen Gefängnis - ohne Anklage. Der Vater der Familie sowie sämtliche Söhne außer zweien sind schon mal auf diese Weise verschleppt worden. Und die ganze Zeit über weint die Mutter. Sie haben jetzt einfach genug.

      Da ist dieser Mann aus Rafah. Er bewohnte ein Haus in Rafahs ‘Block O’ (im Süden des Gazastreifens), bevor das israelische Militär kam u. es abriss, um ihre Trennmauer errichten zu können. Er erklärt mir mit sanfter Stimme: “Wissen Sie”, hier macht er eine lange Pause, “ich befürchte, jetzt sind wir alle Gesuchte”. In der Nacht vor Heiligabend hat das israelische Militär in Rafah 30 Häuser zerstört. Panzer feuerten in die Häuser, die Familien rannten ins Freie. Dann begannen die Bulldozer ihr Werk. Nicht mal eine halbe Sekunde Vorwarnzeit hat man den Leuten gelassen.

      Kristen Ess, aus dem Okkupierten Palästina, am 26. Dez. 2002

      Anmerkung d. Übersetzerin

      *’Palästinensertuch’

      **Da der Artikel vom 26. Dez. datiert ist, ist hier wohl der 2. Weihnachtsfeiertag gemeint.





      [ Übersetzt von: Andrea Noll | Orginalartikel: "Bethlehem To Rafah" ]
      Avatar
      schrieb am 31.12.02 17:26:41
      Beitrag Nr. 23 ()
      Thanksgiving Nachricht aus Palästina
      von Sami Awad
      ZNet 04.12.2002


      Diese Woche werden Millionen von Amerikanern Thanksgiving feiern. Dies wird eine Gelegenheit für Familien sein zusammen zu kommen und die gegenseitige Gesellschaft und Liebe zu genießen. Dies wird die Zeit für viele sein sich für gute Dinge in ihrem Leben zu bedanken, wie z.B. Gesundheit, Wohlstand, gute Freunde und liebende Familien. Wir können nicht das große traditionelle Fest vergessen, welches einen Teil dieses Ereignisses ausmacht.

      In Palästina, wie auch in vielen anderen Ländern auf der Welt, haben wir keinen Thanksgiving Tag. Sogar in dieser Zeit fühlte ich - als wir für 6 Tage unter Hausarrest (curfew) in Bethlehem gelebt haben, als wir die vergangenen 2 Jahre unter der fortlaufenden israelischen militärischen Aggression, Unterdrückung und Eindringungen gelitten haben, als wir die vergangenen 35 Jahre unter einer brutalen Besetzung gelebt haben - dass ich, als Palästinenser und Amerikaner, diesen Brief schreiben sollte, um auszudrücken für was wir dankbar sind während dieser Zeit.

      Am 22. November, um 4:30 am Morgen, betraten erneut israelische Militärjeeps mit Lautsprechern, begleitet von Panzern und bewaffneter Belegschaft, Bethlehem und verkündeten, dass ganz Bethlehem mit all seinen Städten, Dörfern und Zufluchtlagern nun unter curfew stünde. Ich schreibe diesen Brief von unserem Apartment, wo meine Frau, meine Tochter und Ich, wie zehntausend andere Familien, für 6 Tage festgehalten worden und nicht in der Lage sind wegzugehen.

      Für was bin ich dankbar ? Für was sind wir als Palästinenser dankbar ?

      1.) Diejenigen die es haben, sind dankbar für das wenige Essen, das sie kaufen und aufbewahren konnten, bevor die israelischen Truppen vergangene Wochen nach Bethlehem kamen.

      2.) Diejenigen die sie haben, sind dankbar für die Elektrizität, die nicht abgeschnitten wurde und für das Wasser, das nicht in ihrer Umgebung gestoppt wurde, oder nicht verloren ging, als die Wassertanks von den israelischen Soldaten, die sie leeren wollten, zerstört wurden. (Anders bei israelischen Besetzungen einige Meilen entfernt, dort bekommen Palästinenser im Durchschnitt alle 10 Tage nur einmal Wasser.)

      3.) Diejenigen die es können, sind dankbar, jeden Morgen lebendig aufwachen zu können. Dankbar, dass sie nicht von einer Kugel eines Scharfschützen oder von einer Rakete, die von einem israelische Armeepanzer auf ihr Haus gefeuert wurde, oder von einem F-16 Kampfjet getötet wurden.

      4.) Diejenigen die es können, sind dankbar, dass ihre Häuser noch nicht vernichtet wurden (nur 6 Häuser in Bethlehem diese Woche), oder dass ihre Häuser nicht von israelischen Soldaten geplündert wurden, die all ihre Möbel zerstörten, auf ihr ganzes Hab und Gut schossen und ihre Wände in die Luft jagten (über 10 Häuser in Bethlehem diese Woche).

      5.) Diejenigen die es können, sind dankbar, dass sie oder ihre Familienmitglieder nicht festgenommen wurden und and unbekannte Orte gebracht wurden, wo sie zu niemanden Kontakt haben (über 10 Palästinenser aus Bethlehem diese Woche).

      6.) Diejenigen die in der Lage sind, sind dankbar, dass niemand aus ihrer Familie krank geworden ist. Zuzeit würde es, im besten Falle, Stunden dauern um einen Krankenwagen zu holen, der ein kranke Person aufnimmt, die Stunden nicht mitgezählt, die von israelischen Truppen vergeudet werden um Krankenwagen in den Straßen aufzuhalten.

      7.) Diejenigen die es können, sind dankbar über Telefonverbindungen um ihre Familien und Geliebten zu kontaktieren. Seit einer Woche sind wir nicht in der Lage unsere Eltern zu sehen und wir leben weniger als eine Meile von ihnen entfernt. Wir sind wirklich dankbar für die Telefonverbindung.

      8.) Diejenigen die es können, sind dankbar, dass ihr Grund und Boden noch nicht eingenommen wurde für illegale Besiedlungsgebäude, welche mit schnellerem Schritt vor unseren Augen weiter wachsen und sich ausweiten, als wir in unseren Häusern eingeschlossen sitzen.

      9.) Wir sind dankbar, für die vielen Freunde von verschiedenen Teilen der Erde, die uns entweder angerufen oder uns Briefe mit Gebeten und Unterstützung geschrieben haben.

      10.)Wir sind dankbar, für die wachsende Zahl von Leuten auf dieser Welt und innerhalb Israels, die realisiert haben, dass Sicherheit für Israel nur erreicht werden kann, wenn den Palästinensern Gerechtigkeit gegeben wird.

      11.)Am meisten sind wir dankbar, für die Hoffnung die wir weiterhin haben. Die Hoffnung diese brutale Besetzung für unser Wohl und für das Wohl unsere israelischen Nachbarn enden zu sehen. Die Hoffnung einen freien und demokratisch eingerichteten Staat zu sehen, wo die Rechte aller respektiert und geehrt werden und wo jeder Palästinenser das Recht hat zu leben. Die Hoffnung zwei Völker zu sehen, die sich gegenseitig gleich behandeln, mit gleichen Rechten, gleichen Möglichkeiten, und gleicher Freiheit.

      Wenn wir keine Hoffnung hätten, dann hätten wir nicht viel, für dass wir dankbar sein würden.

      In Hoffnung, Thanksgiving, und Frieden

      Sami Awad
      Avatar
      schrieb am 31.12.02 17:33:24
      Beitrag Nr. 24 ()
      Heiligabend in Bethlehem
      von Neve Gordon
      ZNet 27.12.2002


      Neve Gordon ist Politik-Dozent an der Ben-Gurion-Universität / Israel. Ein Beitrag von ihm ist enthalten in: ‘The Other Israel: Voices of Refusal and Dissent’ (New Press 2002). Sie können ihn kontaktieren unter: ngordon@bgumail.bgu.ac.il

      Jerusalem. Es war gegen 9 Uhr morgens, als die ersten 50 Israelis den Militär-Checkpoint passierten u. über die Erd-Barrikade kletterten. Sie betraten Bethlehem, das zu ‘Gebiet A’ des palästinensischen Gebiets gehört - daher eigentlich für israelische Bürger unzugänglich. Aber diese 50 Leute waren entschlossen, ihre Partner auf palästinensischer Seite zu treffen u. dem Gesetz zu trotzen. Sie sind Mitglieder von Ta’ayush, einer arabisch-israelischen Partnerschaftsbewegung. Und sie hatten sich den Heilig- abend als passenden Tag ausgesucht, um zivilen Ungehorsam zu üben. Bereits im August hatten Leute von Ta’ayush versucht, von Jerusalem aus nach Bethlehem zu marschieren. Aber am Checkpoint wurden sie von israelischer Polizei brutal zusammengeschlagen. Wasserwerfer u. Schlagstöcke kamen zum Einsatz, um die Menge auseinanderzutreiben. Aber an diesem 24. Dezember gingen die Aktivisten etwas anders vor. Sie benutzten Schleichwege, um sicherzustellen, dass das Solidaritätstreffen diesmal stattfinden konnte. Tags zuvor war die einmonatige Ausgangssperre über Bethlehem aufgehoben worden. Dennoch herrschte in der Stadt keinerlei Festtagsstimmung. Die Kinder waren wochenlang in ihren Häusern eingesperrt, ihre Eltern hatte man nicht mehr zur Arbeit gelassen. Selbst der Zugang zu medizinischer Versorgung war nicht mehr gewährleistet. Dutzende Einwohner hatte man ins Gefängnis geworfen, Häuser waren zerstört u. viele Bethlehemer Straßen u. Gehsteige durch Panzer, Panzerfahrzeuge u. Bulldozer aufgerissen worden. Auf ihrem Weg von der Barrikade bis zum Vorplatz der Geburtskirche mussten die Aktivisten mit Schrecken feststellen, dass Bethlehem in Trümmern lag. Dabei war die Stadt ja erst vor 3 Jahren komplett hergerichtet worden. Auf dem Platz kein Weihnachtsbaum; keine Lichter, keine Fahnen, um diesen heiligen Tag zu begehen. Es war klar: hier herrschen keine frohen Festtage. Gegen Mittag traf sich eine zweite Gruppe - etwa 200 Israelis u. 50 französische Bürger - am Checkpoint 300. Wenn man aus Richtung Jerusalem kommt, ist der Checkpoint 300 der Hauptzugang nach Bethlehem. Kurz nachdem der Konvoi des Lateinischen Patriarchen den Checkpoint passiert hatte, so gegen 12.30 Uhr, marschierten die Israelis los u. forderten vom israelischen Militär, ihnen den Weg freizugeben, damit die Aktivisten nach Bethlehem konnten. Sie hatten Geschenke dabei für die palästinensischen Kinder - Spielzeug - eine symbolische Geste, um diesen Kindern die Tage ein wenig zu versüßen - Kindern, die ihre Kindheit verloren haben. Zudem hatten die Aktivisten eine ganze Lastwagenladung mit wichtigen Lebensmitteln für die Bedürftigen dabei. Schließlich war man sich bewusst, dass mehr als 60 Prozent aller palästinensischen Familien mit weniger als $2 Dollars am Tag auskommen müssen. Die Polizei griff nicht ein - höchstwahrscheinlich weil ja die Augen der Welt auf diesen Ort gerichtet waren (dutzende TV-Kamerateams filmten den Konvoi des Patriarchen). Die Ta’ayush-Mitglieder durften den Checkpoint also passieren. Die Protestierer zogen Schilder hervor: ‘Fröhliche Weihnachten? Aber ohne Unterdrückung!’ oder ‘Frieden, Sicherheit u. Freiheit für beide Völker’ oder ‘Löst die Siedlungen auf u. macht endlich Frieden’. Dann marschierten sie ‘Nieder mit der Okkupation! Nieder mit der Okkupation!’ rufend die 2 Kilometer bis zum Vorplatz der Geburtskirche. Die Parole wurde abwechselnd in Hebräisch u. Arabisch gerufen. Bewohner Bethlehems schlossen sich der marschierenden Menge an, u. so erreichte man gemeinsam den Vorplatz, wo schon die früher angekommenen Aktivisten sowie hunderte Palästinenser warteten. Ein elektrifizierender Moment. Mitten in diesem blutigen Konflikt u. nur einen Tag nach Aufhebung der brutalen Ausgangssperre versammeln sich hier also hunderte Moslems, Juden, Christen, Israelis, Palästinenser u. Internationalisten, um Seite an Seite für ein Ende der Okkupation einzutreten. Allein schon die Existenz dieses Protests straft die Behauptung der israelischen Regierung, es gäbe keine Partner für Verhandlungen, Lügen. Und er demonstriert aufs Neue, dass beide Völker durchaus gemeinsame Interessen haben. Sämtliche TV-Teams registrierten die Veranstaltung, und manche filmten auch mit. Aber während die arabischen Sender Al-Dschasira u. Abu-Dabi die Demonstration den ganzen Tag über sendeten, entschlossen sich CNN, BBC, Skynews usw., nichts über diesen kostbaren Augenblick arabisch-jüdischer Solidarität zu zeigen. Am meisten verwundert mich allerdings, dass auch die israelische Presse den Protest ignorierte. Stellt sich für mich die Frage: Wenn 250 Israelis mit hunderten Palästinensern mitten in Bethlehem in einem Akt zivilen Ungehorsams zusammenkommen, ist das etwa nicht erwähnenswert? Die Antwort ist klar: Diese Demonstration passt einfach nicht ins Bild, das die israelische Regierung u. die Medien bzgl. dieses Konflikts seit nunmehr 2 Jahren zeichnen. Hätte man über den Protest berichtet, so hätten sich die israelischen Zuschauer mit der Tatsache konfrontiert gesehen, dass die okkupierten Palästinenser keineswegs jene blutrünstigen Terroristen sind, als die man sie laufend hinstellt - dass sie im Grunde nichts anderes wollen als ein Ende der Besatzung. Auch dass Palästinenser u. Israelis zur Erreichung dieses Ziels durchaus zusammenarbeiten können, wäre ihnen dann bewusst geworden. Eins ist sicher: Ein derartiges Bild der Dinge hätte zu Dissonanzen in Israel geführt. Schließlich sind die Israelis laufend der Propaganda ausgesetzt u. werden gegen die Palästinenser aufgehetzt. Aber genau diese Art Dissonanz haben wir in Israel nötig, um aus der jetzigen blutigen Sackgasse rauszukommen: Wir müssen der Öffentlichkeit beweisen: eine andere Marschroute ist möglich, es gibt einen wirklichen Weg zu mehr Menschlichkeit, einen Weg zum Frieden.

      Nach Beendigung der religiösen Feiern setzte die israelische Regierung die Ausgangssperre sofort wieder in Kraft. Die TV-Teams hatten die Stadt (Bethlehem) ja verlassen, also würde niemand die Rückkehr des Unterdrücker- Regimes dokumentieren. In unserer zynischen Welt hält man 2 Tage der Freiheit anscheinend für ausreichend.
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      schrieb am 03.01.03 18:25:57
      Beitrag Nr. 25 ()
      Langsame ‘ethnische Vertreibung’
      von Jaggi Singh
      ZNet 19.12.2002


      JERUSALEM, 19. Dez. 2002: Heute wird im Bezirksgericht von Tel Aviv der Fall des palästinensischen Arbeiters Jihad Abu Id verhandelt. Abu Id fordert seine Freilassung aus israelischer Haft. Er ist seit nunmehr 6 Monaten inhaftiert - seit man ihn in Israel wegen Schwarzarbeit verhaftet hat. Abu Id stammt aus dem Dorf Bidu bei Ramallah - in der von Israel okkupierten Westbank. Normalerweise werden “illegale” palästinensische Arbeiter in Israel höchstens einen Tag festgehalten u. dann in ihre Heimatgemeinden in den besetzten Gebieten abgeschoben. Der Fall Abu Id liegt anders. Das israelische Innenministerium versucht den Mann nach Jordanien zu deportieren. Begründung / Ausrede: Abu Id sei mit einer Jordanierin verheiratet. Laut Scharon Bavli, Rechtsvertreter des israelischen Innenministeriums (das versucht, die Abschiebung durchzusetzen), habe Abu Id nämlich durch die Ehe mit dieser Jordanierin seine Aufenthaltsberechtigung in Palästina verwirkt. Seit 6 Monaten sitzt Abu Id nun schon im israelischen Maasiyahu-Gefängnis, einem speziellen Abschiebeknast. Dort existiert, laut israelischem Menschenrechtsanwalt Shamai Leibowitz, eine ganze Abteilung für Palästinenser - Leute mit vergleichbaren Problemen wie Abu Id.

      Abu Id kämpft gegen seine Deportation. Heute wird seine Petition vor dem Tel Aviver Bezirksgericht verhandelt, in den nächsten Wochen geht die Sache vor den Obersten Gerichtshof Israels. Dort wird Abu Id in einem Verfahren darum kämpfen, seinen Status als ‘Palästinenser’ wiederzuerlangen. Bei der heutigen Anhörung in Tel Aviv wird seine Anwältin, Leah Tsemel, lediglich seine Freilassung auf Kaution beantragen können. Die heutige Entscheidung (in Tel Aviv) sei aber dennoch wichtig, so Leibowitz. Kommt Abu Id nämlich frei u. kann in sein Westbank-Dorf Bidu zurückkehren, so dürfte es den israelischen Behörden äußerst schwerfallen, ihn dort wieder rauszuholen. Die Sache würde einfach zuviel Aufsehen erregen - im Dorf, aber vermutlich auch außerhalb. Leibowitz: “Es geht darum, die palästinensische Bevölkerung auszudünnen, ohne dass die Medien etwas davon mitkriegen”. Daher wäre eine Fortdauer der Haft für die israelischen Regierung wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, Abu Id ohne viel Aufhebens nach Jordanien abzuschieben. Die Familiengeschichte der Ids spricht Bände über die Art dieses Enteignungsprozesses bzw. über den langen, stillen Kampf, den viele Palästinenser um ihre (palästinensische) Identität führen bzw. um ihr fundamentales Recht, im eigenen Dorf, in der eigenen Heimatstadt leben zu dürfen. Abu Ids Vater wurde 1970 illegal von Bidu nach Jordanien deportiert. Schuld war ein israelischer Militärkommandant, der Deportationsverfügungen für die seit dem ‘Sechstagekrieg’ 1967 illegal okkupierten Gebiete ausstellte. Aber irgendwann wurde (offiziell) bestätigt, die Deportation sei illegal gewesen, die Familie konnte wieder nach Bidu zurückkehren - 1994, also mehr als 2 Dekaden später. Abu Id hat hier die letzten 8 Jahre seines Lebens verbracht.

      Shamai Leibowitz sagt, er hätte Regierungsdokumente eingesehen, in denen das Büro der israelischen Generalbundesanwaltschaft die Einschätzung von sich gab, 50 000 bis 60 000 Palästinenser wären eventuell noch aus den besetzten Gebieten deportierbar - aus vergleichbaren Gründen wie im Fall Abu Id. Eine Massenhetzjagd mit anschließender Vertreibung tausender Menschen - sogenannter “illegaler” Palästinenser - wäre aber natürlich nicht durchführbar, weder logistisch noch im Hinblick auf die Öffentlichkeit (was nicht heißen soll, dass es in der israelischen Rechten nicht einige gibt (und die israelische Rechte wird ja immer mehr zum Mainstream), die einen gewaltsamen “Transfer” aller Palästinenser schon morgen durchführen würden, ließe man sie denn). Aber noch finden die Deportationen in aller Stille statt - tröpfchenweise sozusagen, Abu Id ist ein gutes Beispiel. Leibowitz zögert keine Minute, die Praxis als “langsamen Prozess der ethnischen Säuberung” zu bezeichnen. Und ebensowenig hat er Bedenken, die israelischen Gerichte zu Komplizen bei der Vertreibungspolitik der israelischen Regierung zu erklären. Für ihn ist die Justiz “nichts anderes als der verlängerte Arm der Politik...die kollaborieren doch alle zusammen”. Die Entscheidung über Abu Ids Freilassung soll heute in Tel Aviv fallen.

      Anmerkung

      Wenn Sie mehr über den Fall Jihad Abu Id bzw. andere palästinensische Abschiebehäftlinge erfahren wollen, kontaktieren Sie Shamai Leibowitz in Tel Aviv unter +97236704170. Jaggi Singh ist Mitglied der ISM (Internationale Solidaritätsbewegung). Sie erreichen ihn über seine E-Mail-Adresse jaggi@tao.ca oder über die ISM: www.palsolidarity.org Singh ist Autor u. Aktivist der Soziale-Gerechtigkeits- Bewegung in Montreal. Zudem beteiligt er sich an der ‘No One is Illegal’ Kampagne (Kein Mensch ist illegal), die sich für die Rechte der Immigranten u. Flüchtlingen in Kanada einsetzt: nooneisillegal@tao.ca
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      schrieb am 07.01.03 19:17:44
      Beitrag Nr. 26 ()
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      schrieb am 07.01.03 19:24:50
      Beitrag Nr. 27 ()
      Mauern gegen den Frieden

      ISRAEL ZIEHT NEUE GRENZEN

      UM ihre eigenen Irakpläne vorantreiben zu können, haben die Amerikaner den Friedensplan des "Quartetts" (UNO, USA, Russland, EU), der für 2005 einen palästinensischen Staat vorsieht, wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Doch Israels Ministerpräsident Scharon hat den Vorschlag der internationalen Gemeinschaft strikt abgelehnt, insbesondere jeglichen Rückzug aus den besetzten Gebieten. So gewinnt er Zeit, seinen Mauerbau voranzutreiben und damit das Territorium Israels gewissermaßen aufzurunden. Vor allem die geplante Doppelmauer um Jerusalem schafft territoriale Fakten, die kaum reversibel sind und die den palästinensischen Anspruch auf die Stadt völlig übergehen.

      Von MATTHEW BRUBACHER *

      * Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Orient House in Ostjerusalem (das von der israelischen Regierung am 10. August 2001 geschlossen wurde) und Berater der palästinensischen Autonomiebehörde zur Jerusalemfrage.

      Zwischen Israel und dem Westjordanland entsteht derzeit eine 360 Kilometer lange Sicherheitsmauer, die dreimal länger und doppelt so hoch ist wie die Berliner Mauer. Damit wird ein erheblicher Teil des Westjordanlandes annektiert; die militärischen Pufferzonen um die palästinensischen Bevölkerungszentren werden ausgedehnt und die Bewohner dieser Zonen praktisch in ein offenes Gefängnis gesperrt.

      Die erste "Mauer", die Israel gebaut hat, war der lückenlose Elektrozaun, mit dem Gaza während der ersten Intifada (1987-1993) hermetisch abgeriegelt wurde. Dank dieses Zaunes konnte Israel damals nicht nur die Oberhoheit über seine 16 Siedlungen sichern, sondern auch die Bewegungen der Palästinenser kontrollieren. Heute hält Israel immer noch 20 Prozent des Territoriums von Gaza besetzt, während sich die 1,2 Millionen Palästinenser auf einer in drei Kantone untergliederten ursprünglich ländlichen Fläche drängen.

      Der Bau einer Mauer um das Westjordanland bedeutet, dass den dort lebenden Palästinensern ein ähnliches Schicksal bevorsteht wie ihren Landsleuten in Gaza. Der erste Abschnitt der Mauer wird zwischen Israel und dem größten Teil des nördlichen Westjordanlands verlaufen. Diese Mauer, die innerhalb der 1967 besetzten Gebiete entsteht und entlang der Waffenstillstandslinie verläuft, wird jedoch zahlreiche jüdische Siedlungen Israel anschließen, mehrere wichtige palästinensische Ortschaften einmauern und andere palästinensische Siedlungen auseinander reißen. Die Ortschaft Qaffin etwa verliert 60 Prozent ihrer landwirtschaftlichen Fläche, andere Regionen wie die von Kalkilya büßen nicht nur Land ein, sondern werden auch noch vom Westjordanland wie von Israel abgeschnitten. Die Mauer in dieser Gegend wird Israel weit über eine Million Dollar pro Kilometer kosten. Sie wird aus einer acht Meter hohen Betonmauer, einem zwei Meter tiefen Graben, einem Stacheldraht und einer Straße für Sicherheitspatrouillen bestehen und alle dreihundert Meter mit einem Wachturm bestückt sein.

      Der erste, 95 Kilometer lange Abschnitt dieser nördlichen Mauer verläuft von Salem bis Kfar Kassem. Mit ihr annektiert Israel de facto ein Territorium, das 1,6 Prozent des Westjordanlands ausmacht, auf dem 11 illegale israelische Siedlungen stehen und 10 000 Palästinenser leben. Israel will sich dieses Gebiet so komplett einverleiben, dass dieser Schritt bei den Verhandlungen über den endgültigen Status von Israel/Palästina schon wegen der hohen Kosten nicht mehr rückgängig zu machen ist. So gesehen lässt sich die Mauer auch als Strategie verstehen, die "Grüne Linie" - die Waffenstillstandslinie vom Ende des 6-Tage-Krieges von 1967 - zugunsten Israels zu verschieben.

      Der Bau der Mauer rund um Ostjerusalem bedeutet auch das Ende aller Bestrebungen der Palästinenser, ihren Staat auf die Region Jerusalem auszudehnen. Während die Mauer im Norden an keinem Punkt mehr als acht Kilometer tief in das Westjordanland vordringt, wird sie bei Jerusalem viel weiter in palästinensisches Gebiet hineinreichen. Die Mauer im Norden und die Mauer um Jerusalem folgen also offensichtlich nicht derselben Logik.

      Laut den israelischen Minimalforderungen, die den von der Regierung Barak bei den Friedensverhandlungen in Camp David und Taba gemachten Vorschlägen entsprechen, will man im Norden auch die stadtähnlichen Siedlungen innerhalb des Westjordanlandes für Israel erhalten. Die Mauer im Norden wird also keine politische Grenze darstellen, wie es Ministerpräsident Ariel Scharon und sein ehemaliger Verteidigungsminister Ben Eliezer auch mehrfach betont haben. Dagegen spiegelt die Mauer, die um Jerusalem herum geplant ist, sehr wohl die territorialen Interessen und wird also tatsächlich auch eine politische Grenze sein.

      Um die Herrschaft der Israelis über "Greater Jerusalem"(1) zu sichern, konzentriert die Regierung ihre Aktionen auf diese Gegend. Nach dem Plan mit dem Titel "Jerusalem einbetten", den Scharon Anfang dieses Jahres autorisiert hat, wird der erste Bauabschnitt der Mauer sowohl das ganze Stadtgebiet von Jerusalem (so wie es durch Israel nach 1967 definiert wurde) als auch die weiter außerhalb gelegenen Siedlungsstädte Givon (im Norden) und Maale Adumin (im Osten) einschließen.

      Diese Einverleibung von "Greater Jerusalem" in das israelische Staatsgebiet bringt beträchtliche Probleme mit sich - denn damit werden auch sehr viele Palästinenser "einverleibt". Daran wird deutlich, dass Sicherheitsinteressen und demografische Interessen nicht in Einklang zu bringen sind. Um dieses Problem zu lösen, versucht Israel, zwei Mauern um Jerusalem herum zu bauen. Da ist zunächst eine innere Mauer, die das Gebiet innerhalb der israelisch definierten Stadtgrenzen abtrennt. Doch darüber hinaus ist eine zweite, äußere Mauer vorgesehen, die auch die Siedlungsblöcke umfasst.

      Der Unterschied zu mittelalterlichen Festungsmauern besteht darin, dass die neuen Mauern um Jerusalem vor allem aus einem Elektrozaun und einer Patrouillenstraße bestehen werden; stellenweise sollen sie auch mit Gräben und Betonmauern verstärkt und mit Überwachungskameras ausgestattet werden. Beide Mauern muss man sich als eine Art Kettenring vorstellen, welcher die bereits bestehenden israelischen Siedlungen und die Militärposten, die schon heute von einzelnen Sicherheitskordons umgeben sind, systematisch miteinander verbindet. So wird die israelische Herrschaft auch über das Gebiet zwischen den Siedlungen lückenlos gesichert.

      Nach dem heutigen Stand der Dinge sind die Mauern im Raum Jerusalem vor allem dazu gedacht, die israelischen Gebiete von den palästinensischen Bevölkerungszentren zu trennen. Im Norden der Stadt haben die Israelis schon eine Mauer quer über den Flughafen von Kalandiyahy gebaut, die als Grenze zwischen Jerusalem und Ramallah fungiert. Im Osten verläuft eine Betonmauer entlang dem Ölberg, die sich zwischen die palästinensischen Gemeinden Abu Dis und Asaria und Jerusalem schiebt. Im Süden wurde eine Mauer mit vorgelagertem Graben gebaut, die nicht nur Bethlehem von Jerusalem scheidet, sondern auch ein beträchtliches Stück des Gemeindelandes abzwackt, das Bethlehem nach 1967 noch verblieben ist. Damit haben die Israelis nebenbei auch noch Rachels Grab annektiert, eine für Juden wie für Muslime heilige Stätte, die eigentlich tief innerhalb der Gemarkung von Bethlehem zwischen zwei palästinensischen Flüchtlingslagern gelegen ist.

      Da es gegen dieses israelische Vorgehen keinerlei internationalen Proteste gibt, plant Jerusalems Bürgermeister Ehud Olmert eine weitere Mauer um Kufr Aqab und das Flüchtlingslager Qalandia. Die palästinensischen Bewohner dieser Gegend, die im äußersten Norden des israelischen Jerusalem liegt, haben Jerusalemer Personalausweise und zahlen israelische Steuern, ohne die entsprechenden kommunalen Dienstleistungen zu erhalten. Im Gegenteil: der Checkpoint von Kalandiyahy versperrt ihnen den freien Zutritt nach Jerusalem. Und überdies plant Olmert nun noch eine Mauer, die das Gebiet auch noch vom Westjordanland abschneidet. Damit werden die Bewohner praktisch in einem virtuellen Gefängnis leben.

      Wenn die Mauer vom Norden des Westjordanlands bis nach Jerusalem fertig gestellt sein wird, wird Israel über 7 Prozent dieses Gebietes annektiert haben, was 39 Siedlungen mit etwa 270 000 Bewohnern einschließt - aber auch 290 000 Palästinenser, von denen 70 000 keine israelischen Bürger sind. Diese haben also kein Recht auf Bewegungsfreiheit oder auf Sozialleistungen - obwohl der Staat sie von ihrer Lebensbasis im Westjordanland abschneiden wird. Diese 70 000 Menschen werden also unter höchst prekären Bedingungen leben und einem ständig zunehmenden Emigrationsdruck ausgesetzt sein. Und die Fortsetzung der Mauer im Süden in Richtung Hebron wird die Annexion von noch einmal etwa 3 Prozent des Westjordanlandes mit sich bringen.

      Mit dem Bau der Mauer und der weiteren Expansion der Siedlungen folgen die Israelis der bekannten Logik: "Was wir heute bauen, wird uns morgen gehören." Ihre Handlungen verstoßen zwar gegen das Völkerrecht und gegen dutzende von UN-Resolutionen, aber es gibt keine politischen Instrumente, um sie zu stoppen. Je stärker bewehrt und befestigt die Siedlungen sind, desto schwieriger und teurer wird es, sie zu beseitigen. Damit gewinnt das Kriterium, das der frühere US-Präsidenten Bill Clinton im Dezember 2000 in Camp David für einen künftigen Jerusalem-Kompromiss eingeführt hat, einen ganz anderen dynamischen Sinn. Die Formel "Was jüdisch ist, wird israelisch, was arabisch ist, ist palästinensisch" scheint jede israelische Expansion zu legitimieren, die bis zum Beginn künftiger Verhandlungen stattgefunden haben wird.

      Die internationale Gemeinschaft steht heute offensichtlich hinter dem Nahostplan des "Quartetts" (USA, EU, Russland, UN), der den Neubeginn von Verhandlungen über eine endgültige Friedensregelung innerhalb von drei bis fünf Jahren vorsieht. Aber sie macht sich kaum Gedanken über die Frage, welche Art von Palästinenserstaat dann überhaupt noch zur Debatte stehen wird. Da allein schon die Mauer den Palästinensern 10 Prozent ihres Territoriums im Westjordanland wegnehmen wird und da die israelischen Siedlungen sich in allen besetzten Gebiete weiter ausbreiten, ist die Verhandlungsposition der Palästinenser massiv unterminiert

      Wenn es also eine Chance für die Wiederaufnahme von Verhandlungen im Rahmen einer Zweistaatenlösung geben soll, muss die internationale Gemeinschaft heute durchsetzen, dass der Siedlungsbau eingefroren und die Rückführung von Siedlern aus den besetzten Gebieten nach Israel gefördert wird. Eine solche politische Initiative kann nicht so lange aufgeschoben werden, bis alle möglichen Vorbedingungen erfüllt sind oder gar ein Waffenstillstand zustande kommt.

      Künftige Friedensverhandlungen werden sich mit sehr viele Aspekten befassen müssen, aber die Siedlungen und der Bau der Mauer sind vordringliche Themen, da eine reale und akute Bedrohung nicht nur für den Frieden in der gesamten Region darstellen. Sie gefährden auch den Gesamtrahmen einer Friedensregelung und die Perspektive einer künftigen Koexistenz zwischen zwei unabhängigen und lebensfähigen Staaten.

      aus dem Engl. von Niels Kadritzke

      Le monde Diplomatique: Mauern gegen den Frieden
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      schrieb am 07.01.03 19:32:09
      Beitrag Nr. 28 ()
      Die Verhinderung von Politik

      Taz vom 9.12.2002

      Israels Regierung stellt ihre Palästinapolitik als Teil des Kampfes gegen den Terror dar. Tatsächlich will sie die Ergebnisse des Nahost-Friedensprozesses radikal umkehren "Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich heute in den Reihen der Hamas kämpfen", sagte Ehud Barak im Jahre 1998. Der markige Satz brachte ihm vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten in Israel natürlich eine gehörige öffentliche Schelte ein. Bei den heutigen palästinensischen Schülern scheinen Baraks Worte dagegen auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Ein Filmbericht aus einer Schule in einem Flüchtlingslager bei Ramallah, der unlängst im deutschen Fernsehen lief, zeigte Schüler im Alter von 8 bis 12 Jahren, deren martialische Zeichnungen von "Märtyrern" nur eines verkündeten: uneingeschränkte Sympathie für die islamistischen Gruppierungen Hamas und Islamischer Dschihad. Von Arafats PLO war keine Rede. Derselbe Film präsentierte auch Schüler einer jüdischen Siedlung bei Ramallah, die - beim Auftauchen der Kamera - spontan den Slogan "Tod den Arabern" skandierten. Momentaufnahmen einer hundertjährigen Tragödie.

      Vor knapp zwei Jahren ist Ariel Scharon angetreten, um die "Infrastruktur des Terrors" auszumerzen. Tausende hat er inhaftieren, hunderte exekutieren lassen. Die israelische Besatzungsarmee hat unzählige Strafexpeditionen unternommen - zuletzt sinnigerwiese am heiligen islamischen Fest Eid al-Fitr am Ende des Ramadan -, dutzende von Häusern gesprengt, Flüchtlingslager mit Bulldozern eingeebnet, das Hauptquartier von Autonomiepräsident Jassir Arafat plattgemacht, palästinensische Ministerien, Schulen, Rundfunkgebäude und andere öffentliche Einrichtungen in Schutt und Asche gelegt, Städte und Dörfer durchkämmt und abgeriegelt, Industrieanlagen bombardiert und die Mehrheit der Palästinenser in Existenznot und Armut gestürzt.

      Das Ergebnis dieser Politik kann selbst aus israelischer Sicht nur als niederschmetternd bezeichnet werden. Erst im vergangenen Monat gelang es drei Attentätern der Organisation Islamischer Dschihad in Hebron, neun Soldaten und drei Sicherheitskräfte zu töten - ein Debakel für Israels Armee. Nur Tage später erschossen palästinensische Selbstmordattentäter sechs Israelis vor einem Wahlbüro der Likud-Partei von Ariel Scharon. Der Anschlag im Ferienort Mombasa legt überdies die Vermutung nahe, dass sich nun auch al-Qaida des symbolträchtigen Kampfes gegen Israel angenommen hat. Was Scharon immer wieder von Arafat gefordert hat, hat er selbst nicht zustande gebracht: die Zerschlagung der islamistischen Untergrundgruppen sowie die Beendigung des militärischen Kampfes und der Selbstmordanschläge auf israelischem Gebiet. Mit der Zerstörung der Autonomiebehörde und der Delegitimierung Arafats hat sich Scharon seines palästinensischen Verhandlungspartners beraubt. Das muss er auch, wenn er seinen "Friedensplan" durchsetzen will. 42 Prozent des Westjordanlandes und 75 Prozent des Gaza-Streifens hat er für einen "palästinensischen Staat" reserviert. Ein "palästinensisches Bantustan" auf gerade einmal zehn Prozent des historischen Staatsgebiets Palästinas dürfte nicht einmal Scharon als "gerechte Lösung" des Palästinakonflikts verkaufen können.

      Israel führt heute einen territorialen Siedlerkrieg, der dem französischen Kolonialkrieg in Algerien in den Jahren 1958-62 auf fatale Weise ähnelt. Der exzessiven Gewaltanwendung der Kolonialmacht steht ein ebenso barbarischer Krieg der Befreiungsbewegung gegenüber. Dennoch existiert heute im Vergleich von Israel mit Frankreich ein wesentlicher Unterschied: Frankreich hatte nie die Option, Millionen von Algeriern zu vertreiben. In Israel wird dies zumindest diskutiert. Die israelische Rechte fordert Vertreibungen analog zur "Lösung des Palästinaproblems" im Jahre 1948 und dem Sechstagekrieg von 1967. Damals wurden mehr als eine Million Palästinenser ihrer Heimat beraubt. Ein US-geführter Krieg gegen den Irak könnte nun - zumal bei einem irakischen Angriff auf Israel - den gewünschten Vorwand für einen weiteren "Transfer" von Palästinensern liefern. Führer der israelischen Siedler spekulieren offen über den "großen Krieg", in dem "die Araber abhauen".

      Der israelischen Regierung ist es - zumindest gegenüber den Regierenden in den USA und Deutschland - propagandistisch gelungen, ihren Eroberungs- und Rachefeldzug gegen die Palästinenser als Teil des weltweiten Kampfes gegen den Terrorismus auszugeben. Dabei ist dieser Vergleich ebenso vordergründig wie irreführend. Das Ziel aller Befreiungsbewegungen ist historisch die nationale Souveränität - nicht etwa die Weltherrschaft oder die Zerstörung einer Weltmacht. Und jede nationale Bewegung - die zionistische im Besonderen - bediente sich im Laufe ihrer Geschichte terroristischer Methoden. Eine Besatzungsmacht, die sich der Mittel wie Bombardierungen und Exekutionen, Landnahme und willkürlichen Enteignung, Zerstörung von Häusern und Vernichtung von Ernten bedient, kann schwerlich eine zivile Form des Widerstands erwarten.

      Es ist eben kein Zufall, dass die Selbstmordattentate der Hamas erst einsetzten, nachdem der israelische Arzt und Siedler Baruch Goldstein im Jahre 1994 29 Muslime in der Abraham-Moschee ermordete und die israelische Armee im Verlauf der folgenden Proteste noch einmal mehr als 20 Palästinenser tötete. Auch die zweite Intifada brach erst aus, nachdem israelische Polizei und Armee am zweiten Tag nach Scharons Besuch auf dem Tempelberg unter exzessivem Schusswaffengebrauch 20 Palästinenser tötete. Es sind nicht die Palästinenser, die aus Israel abziehen müssen, um einen Frieden zu ermöglichen. Es sind auch nicht die Palästinenser, die Siedlungen auflösen müssten, um illegale Eroberungen und Landnahmen rückgängig zu machen. Und schließlich sind es auch nicht die Palästinenser, die willentlich und fortdauernd Resolutionen des UN-Sicherheitsrates ignorieren und die internationale Gemeinschaft düpieren.

      Nicht nur orthodoxe, ultranationalistische und rechtsradikale israelische Parteien - auch Ariel Scharon, Benjamin Netanjahu und Mosche Mofaz hatten nie etwas anderes im Sinn, als die Verträge von Camp David zu Fall zu bringen. Regierungskrisen und Neuwahlen waren dabei noch stets ein probates Mittel der israelischen Politik, um sich aus der politischen Verantwortung zu stehlen. Netanjahu nutzte es, als er das Wye-River-Abkommen von 1998 über einen vertraglich zugesagten Teilrückzug der Armee in seiner Koalition nicht durchsetzen konnte. Barak nutzte es, als er die Einigung von Taba im Herbst 2000 nach dem gescheiterten Gipfel von Camp David seiner Koalition nicht erklären konnte oder wollte. Und Scharon nutzt dieses Mittel jetzt, um die Pläne der internationalen Gemeinschaft zur Gründung eines palästinensischen Staates, wie ihn das Nahost-Quartett aus USA, EU, Russland und UNO vorgeschlagen hat, zu Fall zu bringen. Israels Machtelite wartet heute auf eine Chance, die Ergebnisse des Nahost-Friedensprozesses endgültig zunichte zu machen. Dabei könnte sich ein Krieg der Vereinigten Staaten gegen den Irak als durchaus hilfreich erweisen.

      GEORG BALTISSEN

      taz Nr. 6925 vom 9.12.2002
      Avatar
      schrieb am 18.01.03 00:02:31
      Beitrag Nr. 29 ()
      Terror als Naturereignis
      von Amira Hass
      Ha’aretz / ZNet 15.01.2003


      Ein hochrangiger (israelischer) Offizier wurde letzte Woche gefragt, ob er glaube, die IDF (Israelische Armee) sei gerüstet gegen Provokationen von Anhängern der “Transfer”-Idee aus Kreisen der Armee respektive aus Kreisen der Westbank-Siedler. Ob die Armee gegebenenfalls in der Lage sei, alle Versuche einer Massenvertreibung von Palästinensern abzuwehren. Der Offizier gab folgende Antwort: Wenn ein Mega-Anschlag passiere, ein Anschlag, den die Sicherheitskräfte nicht verhindern könnten, wie beispielsweise eine Autobombe mitten in einer belebten israelischen Großstadt oder in einem Gebäude, bei dem es zu dutzenden oder gar hunderten Toten käme, in dem Fall sei es durchaus möglich, dass einen Tag später extremistische Israelis eine “angemessene Antwort” fänden - zum Beispiel die Vertreibung sämtlicher Bewohner der Heimatgemeinde der Planer dieses Terroranschlags. Der Offizier gab zu, wenn so etwas einträte, wäre es zweifelhaft, ob die Armee eine derartige Vertreibung verhindern könnte oder auch nur wollte. “Die Armee hat versagt, als es darum ging, die Siedler davon abzuhalten, die palästinensische Olivenernte in der Westbank zu sabotieren bzw. Oliven zu stehlen. Auch der Staat hat versagt, denn soweit ich weiß, wurden diejenigen Siedler, die die Olivenernte sabotierten, in keinster Weise belangt, obgleich ihre Identität den Behörden bekannt ist”, so der Offizier. Er hielt auch nicht hinterm Berg mit seinem Gefühl, dass wir uns auf endlose weitere Eskalationen gefasst machen müssten. Aber unser Verteidigungsminister Shaul Mofaz, bis vor kurzem Generalstabschef, sagt: “Wir sind auf dem Höhepunkt der Terrorwelle angelangt”.

      Tag für Tag werden in den Territorien zwischen 5 u. 20 Palästinenser verhaftet. Und alle paar Tage geht die IDF irgendwo rein, um irgendwas zu zerstören. Und an jedem zweiten Tag werden palästinensische Zivilisten, darunter Kinder u. alte Leute, (irrtümlich) getötet - zusätzlich zu bewaffneten Palästinensern respektive Terrorattacken Planenden, die getötet werden. Eines jener zufälligen Opfer war ein behindertes Kind, das am Sonntag in Khan Yunis starb, als die IDF Raketen auf zwei Hamas-Aktivisten abfeuerte, die Raketen verfehlten ihr Ziel jedoch. Und daneben finden in aller Stille ganz routinemäßige Aktionen statt, von denen die Israelis überhaupt nichts erfahren - im Grunde interessiert es sie auch nicht. Da sind zum Beispiel die Checkpoints, an denen (israelische) Soldaten stehen, die alte Menschen beschimpfen, junge Menschen beschimpfen u. die Leute grundlos u. mit Absicht warten lassen. Da sind die Reisebeschränkungen. Da sind die Eisentore, die die Dörfer u. Städte in Gefängnisse verwandeln. Da sind die Vorladungen zum Geheimdienstverhör (Shin Bet), denn der Geheimdienst versucht ja, neue Kollaborateure anzuwerben u. die Leute über ihre Nachbarn u. Verwandten auszuhorchen. Da sind die Ausgangssperren u. die zu Hause eingesperrten Kinder. Da sind die von IDF-Bulldozern aufgerissenen, zerstörten Straßen. Da sind die Häuser, die man abreißt, nur weil darin ein Terrorist gewohnt hat. Da sind die Eisenwarenläden u. Färbereien, die man zerstört. Da sind die Wasser- u. Stromnetze, die während der Razzien beschädigt werden. Und währenddessen werden neue Straßen fertiggestellt, auf denen ausschließlich Juden fahren dürfen. Da sind Tränengasgranaten auf “Unruhestifter”, u. da ist Bauernland, das immer mehr unter die Ketten der Panzer gerät. All diese Dinge geschehen parallel zu immer neuen ‘glorreichen’ IDF-Operationen - u. da heißt es, wir seien schon am Scheitelpunkt der Terror-Kampagne angelangt!

      Der offensichtlich massive Zulauf für den rechten Block, im Hinblick auf die Wahl am 28. Januar, zeigt, dass eine Mehrheit der Israelis nach wie vor überzeugt ist, alles, was die IDF tut - im Auftrag der Politik tut - sei richtig, sei effektiv, nur eben noch nicht massiv genug. Die Eskalation wird wie ein Wintersturm betrachtet oder wie ein ‘Sharav’ - als Naturereignis, (als höhere Gewalt) eben. Man kann den Schaden begrenzen, verhindern jedoch kann man ihn nicht. Die Israelis ziehen höchstens den Schluss, die Erfolglosigkeit sämtlicher IDF-Operationen im letzten Jahr - zur Bekämpfung der palästinensischen Terrorwellen - beweise, wie mörderisch u. verschlagen manche Palästinenser eben sind, wieviel Terror in ihrem Blut fließe. Folglich sehen die meisten Israelis die Lösung auch in einer verstärkten Fortsetzung derselben Methoden - noch massivere Gewalt in noch kürzeren Abständen u. in noch schmerzhafterer Härte.

      Israel ist eine Demokratie. Wichtige Informationen kann man vor der israelischen Öffentlichkeit nicht geheimhalten. Israelische Bürger mit abweichender Meinung sind nicht von Jobverlust oder von Haft bedroht. Die enorme Unterstützung für die Rechten - inklusive Shinui - beweist daher, ein Großteil der jüdischen Öffentlichkeit (in Israel) ist keineswegs an der Beantwortung der Frage interessiert, ob die israelische Militärpolitik denn nicht eigentlich alogisch ist bzw. die israelische Politik gegenüber Zivilisten. Zudem scheint dieser Mehrheit egal zu sein, dass es einen eindeutigen Zusammenhang gibt zwischen der eigenen ökonomischen Situation, die sich ja immer mehr verschlechtert u. jenen Strategien, die eine politische Lösung ausschließen. Die Mehrheit in Israel scheint einfach noch nicht bereit, auf diejenigen zu hören, die sagen, vielleicht verhindert diese Militärpolitik kurzfristig tatsächlich ein paar Anschläge bzw. zerstört die Infrastruktur des Terrors, aber langfristig gesehen erzeugt sie hunderte neuer Freiwilliger für die palästinensischen Schattenarmeen u. vergrößert so die Terrorgefahr weiter. Stattdessen hört die überwiegende Mehrheit lieber auf diejenigen, die schildern, wie teuflisch, lächerlich u. korrupt es auf der palästinensischen Seite zugehe. Die meisten wollen zudem auch nichts hören von einem Zusammenhang zwischen dem kontinuierlichen Terror u. der Fortsetzung des extremen militärischen u. ökonomischen Drucks, der auf die gesamte palästinensiche Bevölkerung ausgeübt wird. Und die Mehrheit der Israelis will auch nicht sehen, dass es einen Zusammenhang gab zwischen dem Neuaufflammen des Konflikts im September 2000 u. der nichtmilitärischen Konsolidierung israelischer Kontrolle über die ‘Gebiete’ (u. das während der gesamten Osloer Jahre). Die meisten Israelis stehen vielmehr weiterhin hartnäckig hinter Premierminister Scharon, wenn dieser erklärt: “zuerst müssen die den Terror stoppen, dann fangen wir an zu verhandeln”. Also wappnen wir uns besser für die nächste Rekord-Welle des Terrors.
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      schrieb am 04.02.03 01:36:39
      Beitrag Nr. 30 ()
      Lotterie der besonderen Art

      “Israels” Besatzungstruppen lassen Palästinenser per Los Art der Mißhandlung wählen



      Es braucht nicht viel dafür: Einige israelische Soldaten, einige Palästinenser, ein paar Stückchen Papier – fertig ist die »palästinensische Lotterie«. Ein Tombola-Trend der besonderen Art hat in kürzester Zeit die Westbank erfaßt. Von der israelischen Armee aufgegriffene Palästinenser werden gezwungen, ein »Los« zu ziehen, auf dem das Körperteil vermerkt ist, das danach gebrochen wird. Die ersten Fälle wurden Ende vergangenen Jahres in Hebron bekannt.

      Die israelische Zeitung Yedioth Ahronot hatte am 22. Dezember erstmals über die zynische Mißhandlung berichtet. Die Washington Post brachte am 10. Januar den Fall des Ende Dezember zu Tode geprügelten jugendlichen Amran Abu Hamediye unter dem Titel »Brutal Routine« mit der »Lotterie« in Verbindung. Die US-Zeitung berichtete, der junge Palästinenser sei kurzzeitig festgenommen worden. Später sei seine Leiche auf einer Straße in Hebron voller Anzeichen schwerer Mißhandlungen gefunden worden.

      Laut Hussein Al Schuchi, einem Rechtsanwalt aus Hebron, begannen Mißhandlungen dieser Art im November – und sie dauern bis heute an. Er selbst habe mit mindestens 50 Palästinensern aus Hebron gesprochen, die geschlagen worden seien, nachdem sie ein »Los« gezogen hatten. Der palästinensische Jurist nennt den Fall von Wassim Radschaih: Der 14jährige sei »an einem ganz normalen Tag im Dezember« während der Ausgangssperre aus der Wohnung gegangen, da er gehofft habe, den Lebensmittelladen erreichen und etwas einkaufen zu können. Auf dem Weg habe neben ihm ein Jeep mit fünf israelischen Grenzpolizisten gehalten, die ihn gefragt hätten, wo er denn hin wolle. Dann hätten sie zu ihm gesagt, daß es verboten sei, auf die Straße zu gehen, und daß sie ihm eine Lektion erteilen würden. Die Soldaten haben Rechtsanwalt Al Schuchi zufolge Wassim Radschaih mehrere Zettel gezeigt, von denen er einen wählen sollte. Auf dem auseinandergefalteten Papier habe gestanden: »Wir werden dir deine Hand brechen.« Danach hätten die Polizisten seine Hand ergriffen und ihm einen Finger gebrochen.

      Ein weiterer Bericht handelt von Ibrahim Jabare. Er habe gerade mit seinem Cousin zusammengesessen, als ein Jeep vor dem Haus gehalten habe. Mehrere israelische Polizisten seien aus dem Fahrzeug gesprungen und hätten die beiden Palästinenser aufgefordert, herauszukommen. Erst seien sie geschlagen worden, aber dann hätten die Polizisten plötzlich gesagt: »Du mußt wählen, wie wir dich weiter verprügeln.« Er habe einen Zettel ziehen müssen, auf dem gestanden habe: »linkes Bein und linke Hand« Bewußtlos sei er später mit gebrochenem Bein und gebrochener Hand ins Krankenhaus eingeliefert worden.

      Auch aus anderen Städten der Westbank wurden solche Fälle bekannt. So berichtet »Palestine Monitor«, das Informationsorgan der palästinensischen Nichtregierungsorganisationen, daß am 12. Januar der 23jährige Firas Al Sarfandi ins Sheikh Zayed Krankenhaus in Ramallah eingeliefert worden sei, nachdem man ihn bewußtlos und blutüberströmt auf der Straße gefunden hatte. Augenzeugen berichteten, Firas sei gegen 17 Uhr von Soldaten aufgehalten worden, die ihm mehrere Zettel entgegengehalten hätten. Sie hätten ihn gezwungen, einen auszuwählen und ihn dann fast eine halbe Stunde lang verprügelt.

      Die israelische Menschenrechtsorganisation PCATI (Public Committee Against Torture in Israel) bestätigte gegenüber junge Welt, auch sie habe Informationen, wonach mehrere Soldaten und Grenzpolizisten Palästinenser gezwungen hätten, an der »Lotterie« teilzunehmen. PCATI hat inzwischen einen Beschwerdebrief im Fall des zu Tode geprügelten Palästinensers Amran Abu Hamediye an die zuständigen Behörden geschickt, mit der Aufforderung, eine Untersuchung einzuleiten.


      Quelle: Junge Welt
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      schrieb am 04.02.03 15:04:40
      Beitrag Nr. 31 ()
      Dienstag, 4. Februar 2003
      Keine Gasmasken
      Palästinenser "nicht besetzt"

      Besetzt oder nicht besetzt, das ist hier die Frage. Aus israelischer Sicht sind die palästinensischen Gebiete nicht "besetzt". Daher weigert sich die israelische Regierung, Gasmasken an die rund drei Millionen Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen zu verteilen. Das berichtet die Tageszeitung "Jediot Achronot".

      Wegen möglicher Giftgasangriffe des Irak werden in Israel derzeit alle Einwohner, auch Ausländer, mit Gasmasken ausgerüstet. In Gesprächen habe das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) versucht, die israelische Regierung dazu zu bewegen, auch an die Palästinenser Gasmasken auszuteilen. Diese Gespräche hätten jedoch zu keinem Ergebnis geführt.

      Das IKRK ist der Ansicht, dass Israel als Besatzungsmacht in den Palästinensischen Autonomiegebieten nach der 4. Genfer Konvention für die Sicherheit der unter ihrer Besatzung stehenden Bevölkerung sorgen muss. Dies bestätigte am Dienstag der IKRK-Sprecher Uriel Massad.

      Israel wiederum vertritt die Auffassung, dass die Palästinensergebiete nach internationalem Recht gar nicht besetzt sind. Nach dem Abkommen von Oslo 1993 ist die Autonomiebehörde für die Bevölkerung in den von den Palästinensern offiziell verwalteten Gebieten "A" und "B " zuständig, die rund 42 Prozent des Westjordanlandes umfassen. Das IKRK ist der Auffassung, dass Israel wegen der Besetzung und Belagerung der palästinensischen Bevölkerungszentren im Westjordanland für die Menschen in diesen Gebieten verantwortlich ist.

      Israel bestreitet, dass die Gebiete nach dem Buchstaben des Völkerrechtes "besetzt" sind. Nach Angaben eines Armeesprechers ist die Armee lediglich bereit, Gasmasken an die Palästinenser in den vollständig von Israel kontrollierten Gebieten zu verteilen.
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      schrieb am 07.02.03 22:17:55
      Beitrag Nr. 32 ()
      Israel nach den Wahlen 2003
      Analysen und Hintergründe


      rw./thk. Wie zu erwarten war, hat in den israelischen Wahlen die Likud-Partei mit Ariel Sharon einen hohen Sieg errungen. Von bisher 19 Mandaten in der Knesset (Parlament) ist der Likud nun auf 37 Sitze gekommen, auf Kosten der Arbeitspartei (Labor) mit Amram Mitzna. Diese erlitt einen Verlust von 6 Sitzen und ist nun mit 19 Mandaten in der Knesset vertreten. Auch die linke Meretz-Partei, die zur Friedensbewegung gehört, hat substantiell verloren. Die Wahlbeteiligung betrug um die 68 Prozent. Dieses Resultat bedeutet keine Hoffnung für den Frieden. Israel wird im Sinne Sharons - Sabra und Shatila! - weiterhin eine Politik der Macht, der unerbittlichen Stärke, des Krieges und der Unterdrückung verfolgen.

      Trauertag der israelischen Demokratie
      Prof. David Nachmiias, Politologe am Institut für Demokratie, sprach von einem «Trauertag der israelischen Demokratie». Die Gleichgültigkeit und Resignation der Bevölkerung, die sich in immer geringerer Beteiligung an der politischen Diskussion ausdrücke, sei bedenklich. Im Falle Israels heute, in Anbetracht der ungeheuren Probleme des Staates und der Gesellschaft, müsse man dies bereits als katastrophal bezeichnen. Der Staat befinde sich in der schlimmsten Lage seit seiner Gründung. Die Sicherheitslage sei mörderisch, ein Krieg drohe aus dem Norden, die Wirtschaft breche zusammen, immer weitere Teile der Bevölkerung verelendeten. Die aussenpolitischen Beziehungen trieben unaufhaltsam der Isolation zu. Kein einziges dieser Themen sei im Wahlkampf behandelt worden. Der Wahlkampf war in amerikanischer Manier rein personenbezogen. «Eine Demokratie kann so nicht funktionieren», meint Nachmiias. Es sei die Okkupation, die die Politik, die gesamte Gesellschaft korrumpiere. (hagalil.com, 28.1.03)

      Wie kam es dazu, dass die israelischen Wähler Sharons Machtpolitik, die mit Gewalt und Krieg vorgeht, einer Friedenspolitik vorgezogen haben? Denn zwei Drittel der Israeli sind offenbar dafür, die meisten Siedlungen zu räumen und den Palästinensern einen eigenen Staat zu gewähren. Die Analysten sind sich darüber einig: Weil es in Israel keine Partei gibt, die eine wirkliche Alternative anzubieten hat. Die Arbeitspartei, die jahrzehntelang einen Gegenpol zu Sharons Likud bildete, «hat sich überlebt», erklärt der israelische Historiker Moshe Zuckermann. Durch die Koalition mit dem Likud «hat sie sich mehr oder minder selbst entsorgt». Die israelische Linke sei völlig zertrümmert und befinde sich in der erbärmlichsten Periode ihrer Geschichte. (Der Spiegel vom 30.1.03) Sie müsse sich völlig neu konstituieren, dies auch die Meinung von Yael Dajan von der Meretz-Partei. Die israelische Zeitung Haaretz schreibt, dass die linke Partei Meretz zwar vom Friedensangebot und von sofortigen Verhandlungen mit den Palästinensern spreche, aber den falschen Weg einschlagen wolle. Israel als Besatzungsmacht müsse zuerst die Siedlungen in den besetzten Gebieten räumen, bevor man sich an den Verhandlungstisch setzen könne. (Haaretz vom 31.1.03) Sharon hat eine Wahlkampagne mit der Angst vor Selbstmordanschlägen geführt. Yael Dajan: «Die Angst hat den Ausschlag gegeben. Sharon ist es gelungen, und das ohne jede Grundlage, beim Wähler das Gefühl zu erzeugen, dass ihm in dieser Hinsicht mehr zu vertrauen sei als anderen.» (taz vom 30.1.03). Analog zu den USA heisst es, Israel müsse einen «Kampf gegen den Terrorismus» führen. Auf den Wahlplakaten las man: «Sharon - der Führer mit Erfahrung». Der Bevölkerung wird mit Hilfe gleichgeschalteter Medien und emotionalisierender Fernsehbilder weisgemacht, die Palästinenser seien Mörder und die Existenz Israels sei bedroht. Nur die «eiserne Faust», wie sie Sharon anwendet, könne Sicherheit bringen. Dies, obwohl die vorangegangenen zwei Jahre Sharon-Regierung nur eine Eskalation der Gewalt mit sich brachten. Sharon wird in Israel auch «der Bulldozer» genannt.

      Problematische wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation
      Ein Thema wurde, wie oben erwähnt, im Wahlkampf wohl bewusst vermieden: Die desolate wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation, in der sich der israelische Staat befindet. Die Wirtschaft liegt am Boden. Rund 10 Milliarden Euro hat der Kampf gegen die Intifada gekostet. Eine wichtige Einkommensquelle, der Tourismus, hat spürbar abgenommen. Und der hoffnungsvolle jüngere Sektor der Hightech-Industrie konnte sich, auch im Zusammenhang mit der Globalisierung, nicht halten. Massenweise schliessen Restaurants, Bars und Clubs, weil die Israeli aus Angst vor Anschlägen die öffentlichen Plätze eher meiden. Gemäss israelischen Schiffahrtsgesellschaften verlassen wegen der Kriegspolitik täglich Dutzende von israelischen Familien das Land. Meinungsumfragen zeigen zunehmende politische Spaltungen und Hoffnungslosigkeit, gerade unter jüngeren Israeli. Sie hatten ihre Karrieren in den 90er Jahren begonnen, als der Oslo-Friedensprozess relative Ruhe einbrachte und Israel eine wirtschaftliche Bedeutung im Globalisierungsprozess einzunehmen begann. Die Arbeitslosigkeit in Israel beträgt heute rund 10 Prozent. Viele Menschen in Israel leiden unter Armut, besonders die israelischen Araber und andere Bevölkerungsschichten (Sephardim), die nicht zur wohlhabenden westeuropäischen Elite (Ashkenasim) gehören. Dazu kommen wachsende Risse und Spaltungen innerhalb der Bevölkerung durch die erwähnten Einkommensunterschiede zwischen den verschiedenen Kulturen, durch gesellschaftliche Diskrimination, aber auch durch kulturelle Kluften. Religiöse und nicht religiöse Juden zum Beispiel haben ein sehr unterschiedliches Verständnis vom israelischen Staat, von der Palästinenserfrage oder der Erziehung. Auch die Frage des israelischen Selbstverständnisses als eines rein jüdischen Staates wird aufgeworfen und führt zu heftigen Diskussionen. Man spricht von der «demographischen Frage» und meint damit den Anteil von Juden im Verhältnis zu den Arabern. Mit der höheren Geburtenrate beim arabischen Bevölkerungsteil hält das Bevölkerungswachstum der Juden nicht Schritt. Viele befürchten, dass die Juden (in einem jüdischen Staat) bald in der Minderheit sein könnten. (vgl. Boas Evron, Jewish State or Israeli Nation?)

      Dieses enorme Konfliktpotential in der eigenen Gesellschaft kann - nach altem Rezept - mit dem Kampf gegen einen äusseren gemeinsamen «Feind» unter Kontrolle gehalten werden. Fällt dieser dahin, würden die hausgemachten Probleme so dringend werden, dass alle Kräfte auf ihre Lösung hin zusammenarbeiten müssten. Hierbei würde die Machtpolitik versagen. Man müsste das wahre Meinungsspektrum offen zum Zuge kommen lassen und eine demokratische Diskussionskultur aufbauen. Es gibt Stimmen, die voraussagen, der Likud werde sich in dieser Regierungsperiode mit den innenpolitischen Problemen befassen müssen und eventuell daran scheitern.

      Position der Likud-Partei
      Welche Position vertritt nun die siegreiche Likud-Partei? Der Likud hat schon immer eine militaristische Machtpolitik der harten Hand verfolgt. Einer seiner ideologischen Vordenker, Wladimir «Zeev» Jabotinsky, begründete in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Politik des «eisernen Walls» gegenüber der arabischen Bevölkerung Palästinas. Die Juden müssten zwischen sich und den Arabern einen «eisernen Wall» errichten, den diese nicht durchbrechen könnten; das heisst, Israel müsse militärisch unschlagbar werden. Nur eine unschlagbare jüdische Militärmacht würde die Araber zum Aufgeben zwingen. Der Likud - Begin, Shamir, Netanyahu und Sharon - steht in dieser ideologischen Linie. Für den Likud war es immer selbstverständlich, dass der israelische Staat ein Gross-Israel im biblischen Sinne («vom Nil bis zum Euphrat») werden müsse. Das Partei-Manifest des Likud verkündet: «Das Recht des jüdischen Volkes auf Erez Israel ist ewig und mit unserem Recht auf Sicherheit und Frieden verbunden. Der Staat Israel hat das Recht und den Anspruch auf Souveränität über Judäa, Samaria und den Gaza-Streifen. Zu gegebener Zeit wird Israel diesen Anspruch einlösen und danach streben, ihn zu realisieren.»

      Premierminister Yitzchak Shamir vom Likud sagte 1991: «Wir denken, dass Judäa, Samaria und Gaza ein untrennbarer Teil von Erez Israel sind, und wir werden kämpfen, um diesen Gedanken in die Praxis umzusetzen.» Der Likud hat nie eine legale Annektion der Westbank und Gazas angestrebt. Er verfolgte die Taktik einer schleichenden De-facto-Integration, die es ermöglichte, jüdische Siedlungen anzulegen und die Palästinenser in Bantustans zusammenzupferchen. (vgl. Nur Masalha, Imperial Israel and the Palestinians) Manchmal wurden die Ziele offen benannt, manchmal wurden entsprechende Strategien eingeschlagen, ohne die wirkliche Absicht kundzutun. Nach dem Eroberungskrieg von 1967 wurde der Bau von jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten, die militärisch schwer bewacht werden und über eigene Durchgangsstrassen verfügen, stetig vorangetrieben. Dadurch wurde das palästinensische Land immer mehr zerstückelt und seine Einwohner isoliert. Die Arbeitspartei hat hierzu nie wirklich eine Alternative vorgelegt, im Gegenteil hat sie sich immer nahe beim Standpunkt des Likud bewegt. Schon David Ben-Gurion, der erste Premierminister Israels und Führer der Labor-Partei, äusserte sich sehr ähnlich wie Jabotinsky. Der Zionismus müsse sich mit Gewalt durchsetzen, denn natürlich würden sich die Araber gegen eine Übernahme ihres Landes wehren.

      Was früher Deportation hiess, wird heute «Transfer» genannt
      Vor diesem geschichtlichen Hintergrund ist zu vermuten, dass hinter Sharons schlauer öffentlicher Propagierung eines palästinensischen Staats sich «die Räder der Geschichte in Richtung von Jabotinskys ÐIron Wallð und dem ÐTransferð (der Palästinenser) nach Jordanien drehen». (Mid-East Realities vom 31.12.2002) Dazu muss man wissen, dass der Likud schon immer Jordanien als den Staat der Palästinenser angesehen hat. Eine Vertreibung der Palästinenser aus Palästina stellt somit für Sharon und seine Parteikollegen kein Problem dar, da die «Palästinenser» keine eigene Nation seien und sie zudem ein arabisches Heimatland - Jordanien - hätten. Sie würden also nur nach Hause geschickt. Palästinenser und human gesinnte Israeli nennen dieses brutale Vorgehen «ethnische Säuberung». Sharon war 1977 Agrikulturminister, aber auch Vorsitzender des Ministerkomitees für das Siedlungswesen. In dieser Funktion kündigte er den Plan an, innerhalb von zwanzig Jahren mehr als eine Million Juden in der West-Bank anzusiedeln. Die Idee des jordanischen Heimatlandes der Palästinenser verkündete er, als er in der zweiten Begin-Regierung Verteidigungsminister war. Golda Meir, Premierministerin der Labor-Partei, hatte dies schon früher vorgeschlagen, obwohl für sie ein palästinensisches Volk eigentlich nicht existierte. Aussenminister Shamir vom Likud stritt ab, dass sich der Konflikt zwischen Israel und einem staatenlosen Volk abspielte. Im öffentlichen Sprachgebrauch beider Parteien in den 80er Jahren war die Rede vom «jordanisch-palästinensisch-arabischen Staat». Die israelische Professorin Tanya Reinhart weist auf die bisherigen «Alternativen» zwischen Labor und Likud hin: «Ewige Verhandlungen, während derer Israel die Besetzung aufrechterhält und neue Siedlungen baut - das Oslo-Modell der Arbeitspartei - oder eine langsame Eliminierung des palästinensischen Volkes - Sharons Modell.» (Mid-East Realities vom 31.12.02)

      Zuckermann meint im Spiegel-Interview, dass es passieren könnte, dass Sharon den Irak-Krieg dazu nützt, in dessen Schatten die Vertreibung der Palästinenser voranzutreiben. Tue er das, könnte sich der Fundamentalismus in den Nachbarländern so sehr regen, dass es beim schlimmsten Szenario sogar zu einem weiteren regionalen Krieg kommen könnte. Die Frage ist, abgesehen vom Fundamentalismus, aber auch, wieviel sich die arabischen Länder gefallen lassen werden.

      Israel soll, wenn es nach den Plänen der Sharon-Regierung ginge, die einzige militärisch hochgerüstete Grossmacht im Nahen Osten sein. Hand in Hand mit Sharons US-Freund, dem Kriegsfanatiker Bush, würde es die ganze Region unterwerfen und eine neue Weltordnung errichten.

      Eine Friedensalternative
      Was ist die Alternative, die den Weg zu einem Frieden im Nahen Osten eröffnet? Einige grundlegende Voraussetzungen wären die folgenden: der Verzicht auf jegliche Gewalt und Machtpolitik auf beiden Seiten des Konfliktes. Gleichzeitig muss sich Israel als Besatzungsmacht aus den besetzten Gebieten zurückziehen und die militärische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Unterdrückung der Palästinenser aufgeben. Die Intervention von Staaten, die Partei ergreifen und ihre eigenen finanziellen, wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen verfolgen, darf nicht mehr gestattet werden. Es bedeutet auch, sich nicht auf korrumpierbare Machtpolitiker zu verlassen. So könnte sich der Weg für Verhandlungen auf einer gerechten Basis eröffnen. Nur eine ehrliche, demokratische Gesprächskultur, die vom Willen der beiden Bevölkerungen, Israeli und Palästinenser, ausgeht, wird zum Frieden führen.

      Man darf gespannt sein, ob sich in Israel in der nächsten Zeit Parteien oder Initiativen von Bürgern bilden werden, die sich der Frage des Gewaltverzichts und des Weges zu einem gerechten Frieden annehmen.

      Artikel 11: Zeit-Fragen Nr.4 vom 3. 2. 2003, letzte Änderung am 4. 2. 2003
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      schrieb am 12.02.03 01:51:43
      Beitrag Nr. 33 ()
      Report aus dem Okkupierten Palästina
      von Kristen Ess
      ZNet 08.02.2003


      Wie können Palästinenser der Brutalität der israelischen Militärregierung Widerstand leisten? Wie können sie überleben? Ein palästinensischer Journalist (mein Freund, ich kenne ihn seit einem Jahr) erklärte: “Wir haben uns zur Gewaltfreiheit entschlossen, und nun okkupieren sie unsere Küchen”. Derzeit gibt es in israelischen Gefängnissen ungefähr 9 000 politische Gefangene - Palästinenser. Letzte Nacht sind 14 neue hinzugekommen - entführt von israelischem Militär. Seit der Wiederwahl Scharons haben israelische Soldaten 28 Palästinenser getötet - in den letzten 8 Tagen. Während der letzten beiden Monate ermordete das israelische Militär insgesamt 72 Palästinenser. Das bedeutet, durchschnittlich tötet das israelische Militär 4 Palästinenser pro Tag.

      “Die ganze Nacht nichts als Explosionen und Schießereien. Sie haben überall hineingeschossen, um das Haus kaputtzumachen. Sie jagten die Tür in die Luft - alle schliefen. Nur die Kinder waren in dem Raum - nur kleine Kinder. Keiner wußte überhaupt, was los war. Sie schafften alle ins Freie hinaus, in die Kälte. Dann schossen sie das Haus vollends zusammen. Die Gebäude - meine Tante besitzt zwei Gebäude -, sind fünfgeschossig, darin lebten insgesamt 10 Familien. Aber sie haben alles zerstört. Dann haben sie sich G. geschnappt, sie warfen ihn herum, schlugen ihn. Er sei doch Arzt, erklärte er ihnen, was sie von ihm wollten. Aber sie nannten ihn einfach einen Lügner und schlugen ihn wieder. Und das nach allem, was gestern passiert ist”. Dies geschah letzte Nacht im Haus der Familie der jungen Frau. Gestern hatte sie ihren Freund besucht. Israelische Soldaten hatten dann plötzlich die Tür aufgebrochen u. sich die Leute geschnappt. “Ich dachte, jetzt bringen sie uns alle um. Sie haben uns gedemütigt. Vor allen Leuten haben sie ihn ausgezogen”.

      “Haram”, flüstert sie mit leisem Lächeln u. meint damit G.. Sie ist mit ihm verlobt. “Gestern Abend ist er nur noch mal rasch bei uns vorbeigekommen, um Süßigkeiten zu bringen. Er wollte doch seinen neuen Führerschein feiern, weißt du. Gestern hat er zum erstenmal gesagt: ich vermiss’ dich sosehr, ich musste einfach kommen...” Sie hält inne, fängt an zu weinen. Aber nur eine Sekunde lang läßt sie ihren Tränen freien Lauf. Die Menschen hier weinen im allgemeinen nicht. Sie hätten soviel, über das sie weinen könnten, da wären sie einfach überfordert. Wenn sie erstmal anfangen, glaube ich, könnten sie nicht mehr aufhören. Die junge Frau, von der ich erzähle, ist Palästinenserin aus Beit Sahour, das liegt direkt vor Bethlehem. Sie arbeitet heute wieder, zitternd zwar, aber es gehört sich hier, dass man dennoch zur Arbeit geht. Sie musste gegen die Ausgangssperre verstoßen, um ins Büro zu kommen. Sie arbeitet für eine NGO (Nichtregierungsorganisation). Erneut hat die israelische Militärregierung über die Menschen der Bethlehemer Region eine Ausgangssperre verhängt. “Wir sind die Ausgangssperren-Brecher”, hat sie mir einmal stolz erklärt. Arbeiten gehen, einen Freund besuchen, Brotkaufen, Orangen einkaufen - hier stellt das einen Akt des Widerstands dar. Ein Mann sagt zu mir: “Seltsam, dass es überhaupt noch Leben in Bethlehem gibt. Aber meine Verlobte arbeitet. Nur die Geschäfte sind zu, die Schulen, und keine Busse fahren”.

      Die ganze Nacht über klingelt mein Telefon. Ich besuche gerade ein paar Freunde in Bethlehem. Dann ruft ein Freund an, teilt mir mit, israelische Soldaten umstellten gerade das Gebäude, in dem er arbeitet. Er hat Nachtschicht. Aber seine einzige Sorge gilt den Leuten in den Flüchtlingslagern. Die Menschen dort sind die ganze Nacht auf, horchen nach draußen u. versuchen, sich an einen sicheren Platz zu setzen. Freunde aus Gaza, wo ich lebe, rufen an - vom dortigen Hospital aus. Sie schildern mir Details der Zerstörungen. Die Nacht zuvor hatten israelische Soldaten zwei Schwestern des Al-Awda-Hospitals niedergeschossen u. einen Großteil der Infrastruktur des Hospitals zerstört - nur etwas weiter die Straße runter. Krankenhäuser anzugreifen stellt einen direkten Verstoß gegen internationales Recht dar. Eine Frau, etwas über 50, aus einem der mittleren Flüchtlingslager im Gazastreifen, überhörte die israelischen Soldaten, wie sie ihr befahlen, das Haus zu verlassen. Sie hatten beschlossen, ihr Haus in die Luft zu sprengen - um die Frau zu terrorisieren u. obdachlos zu machen. Stattdessen haben sie sie getötet.

      Freunde rufen aus Rafah an. Auch dort wurden erneut Häuser zerstört. Und die Israelis hören nicht auf mit schießen. Zwei weitere Kinder tot. Freunde, die bei den dortigen Stadtwerken arbeiten, teilen mir mit: noch mehr Pumpstationen zerstört, noch mehr Brunnen verseucht. Allein in Rafah sind derzeit 60 Prozent der Leute ohne Wasser.

      Das hier ist ‘ethnische Vertreibung’. Und wie bei jeder ‘ethnischen Vertreibung’ verwendet man viel Mühe darauf, die Öffentlichkeit glaubenzumachen, die Vertriebenen würden vertrieben, weil sie böse, schlechte Menschen sind, die verdient haben, was mit ihnen geschieht - Terroristen eben. Ich habe den kleinen Jungen getroffen, den israelische Soldaten neulich in einem Flüchtlingslager niedergeschossen haben. Er muss dauerhaft an Krücken gehen. Dieser Junge wiegt ganze 50 Pfund. Zusammen mit einem Freund hatte er ein paar Steine auf einen gepanzerten israelischen Panzer geworfen. Sein Freund ist tot, u. er wird behindert bleiben. Auch heute wieder keine Schule für die Lagerkinder. 50 Prozent des letzten Jahres herrschte Ausgangssperre in dieser Gegend. Man tötet diese Generation, bevor sie auch nur den Hauch einer Chance auf Leben bekommt.
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      schrieb am 12.02.03 01:55:47
      Beitrag Nr. 34 ()
      Akademischer Boykott: Unterstützung für ‘Paris VI’
      von Tanya Reinhart
      ZNet 04.02.2003


      Die Autorin, Tanya Reinhart, ist Linguistik-Professorin an der Universität Tel Aviv. Sie gehört zu den israelischen Unterzeichnern der britischen Boykott-Petition (siehe unten). Reinhart ist Autorin von: ‘Detruire La Palestine - ou comment terminer la guerre de 1948`, erschienen bei La Fabrique, 2002; ‘Israel/Palestine - How to end the war of 1948`, erschienen bei Seven Stories, NY 2002.*

      In Frankreich u. England kam es erstmalig im April 2002 - im Anschluss an Israels Dschenin-‘Operation’- zu Initiativen für einen institutionellen ‘akademischen Boykott’ israelischer Universitäten. In der britischen Petition wurde zum Einfrieren der EU-Verträge mit israelischen Universitäten aufgerufen - solange Israel die derzeitige Politik aufrechterhalte. Was Frankreich anbelangt: Dort entwickelte sich aus dem ursprünglich isolierten Aufruf einiger besorgter Akademiker eine formale Uni-Resolution. Das Administrativ-Konzil (Verwaltungsrat) der renommierten Marie-Curie-Universität - Paris VI - brachte in seiner Sitzung vom 16. Dezember 2002 folgende Resolution heraus:

      “Die israelische Okkupation von Gebieten der Westbank u. Gazas macht es unseren palästinensischen Kollegen im Bereich der höheren Bildung unmöglich, ihrer Lehr- u. Forschungstätigkeit nachzugehen: Die Neuauflage des ‘European Union-Israel Association Agreement’, sonderlich im Bereich Forschung (siehe Sechstes Rahmenprogramm ‘Community’ RTD), würde eine Form der Unterstützung für die gegenwärtigen politischen Strategien des Staats Israel darstellen. Somit käme diese Neuauflage einem Verstoß gegen Artikel 2 des Abkommens gleich (der das Verhältnis zwischen den Parteien sowie sämtliche Vereinbarungen des Abkommens regelt, die auf der Einhaltung der Menschenrechte u. demokratischer Prinzipien als Leitlinie der Innen- u. Außenpolitik basieren - ein Schlüsselbereich des Abkommens).” (Pressestelle der Paris VI Universität).

      Die Entscheidung löste in Frankreich wahre Prosteststürme aus. Mehrere Organisationen, angefangen von der Jüdischen Lobby bis hin zu konservativen Parteien, griffen zum Standard-Repertoire der Antisemitismus-Bezichtigung. “Mehrere hundert Demonstranten, darunter die Philosophen Bernard Henri-Lèvy u. Alain Finkielkraut - Letzterer ein führender Pariser Politiker - Rechtsanwalt u. Nazijäger Arno Klarsfeld sowie Roger Cukier, Präsident der jüdischen Dachorganisation CRIF, schwenkten Fahnen u. skandierten Slogans vor dem Eingang zum Campus” (Guardian, vom 07. Jan. 2003).

      Offizielle Regierungsstellen drohten der Universität mit Budgetkürzungen u. weiteren möglichen Konsequenzen, sollte sie ihre Entscheidung aufrechterhalten. Unter diesem Druck fand Anfang dieser Woche eine erneute Sitzung statt, auf der zum zweitenmal über die Resolution diskutiert wurde. Aber Paris VI hielt dem Druck stand. In der Vorstandssitzung vom Montag (27. Jan. 2003) bestätigte die Universität ihre vorangegangene Resolution - mit überwältigender Mehrheit. Inzwischen haben zwei weitere französische Universitäten vergleichbare Resolutionen verabschiedet - die eine in Grenoble, die andere in Montpellier. Hier meine eigene Unterstützungsbotschaft, die ich an Le Monde gesandt habe:

      Ich bin eine israelische Akademikerin, daher fällt es mir heute gewiss nicht leicht, einen Boykottaufruf gegen akademische Institutionen in Israel zu unterstützen. Die israelischen Universitäten zahlen ebenso wie die andern Segmente unserer israelischen Gesellschaft den Preis für Israels Krieg gegen die Palästinenser - durch massive Budgetkürzungen u. sich verschlechternde Forschungsbedingungen. Eine Einfrierung der EU-Gelder würde zweifellos zur Verschlimmerung dieser Situation führen. Ich begreife daher durchaus, dass der israelische Akademiebetrieb gegen jeden dieser Boykott-Versuche sofort seine Truppen in Stellung bringt. Es ist begreiflich, gerechtfertigt ist es nicht. Die meisten israelischen Gelehrten - ebenso wie ihre französischen Kollegen - unterstützten damals den Boykott gegen das Apartheidsregime in Südafrika. Der Boykott trug zum Ende der Apartheid bei. Was bedeutet: grundsätzlich betrachten die israelischen Akademiker ‘Boykott’ sehr wohl als legitimes Mittel einer internationalen Gemeinschaft zur Herbeiführung eines Wandels - im Falle gravierender Verstöße gegen moralische u. zivile Prinzipien nämlich. Die Frage ist nur, ob der Vergleich zwischen Israel u. dem südafrikanischen Apartheidsregime korrekt ist.

      Meiner Ansicht nach hat Israel schon lange vor seinen momentanen Gräueltaten die südafrikanische Apartheid als Modell betrachtet. Während man geblendet war durch den Osloer “Friedensprozess”, hatte Israel die Palästinenser der ‘besetzten Gebiete’ in immer kleinere u. voneinander isolierte Enklaven abgedrängt: eine direkte Kopie des Bantustan-Modells. Aber was Südafrika damals nicht schaffte, Israel erreicht es nach wie vor, nämlich, seine politische Taktik als großen Friedenskompromiss zu verkaufen. Unterstützt durch Bataillone kooperierender Intellektueller des sogenannten ‘Friedenslagers’, war es Israel möglich, der Welt weiszumachen, ein Palästinenserstaat ohne Landreserven, ohne Wasser, ohne den Hauch einer Chance auf wirtschaftliche Unabhängigkeit, ein Staat, bestehend aus isolierten, umzäunten Gettos, mit (jüdischen) Siedlungen, Umgehungsstraßen u. israelischen Armeeposten, könnte existieren - ein virtueller Staat, der lediglich einem Zweck dient: Separation (gleich: Apartheid). Was Israel sich allerdings jetzt unter Scharon leistet, stellt die Verbrechen des weißen südafrikanischen Regimes noch weit in den Schatten. Das Ganze hat inzwischen die Form von systematischen ‘ethnischen Säuberungen’ angenommen - was Südafrika nie versucht hat. Seit April letzten Jahres (seit der ‘Operation’ in Dschenin) erleben wir unsichtbare Tötungen auf alltäglicher Basis: Man enthält den Verletzten u. Kranken notwendige medizische Hilfe vor, die Schwachen sind unter den Bedingungen der neuen Armut ihrer Überlebenschancen beraubt, u. viele Palästinenser stehen am Rand des Hungertods. Die USA unterstützen Israel, u. die europäsischen Regierungen hüllen sich in Schweigen. Daher ist es das moralische Recht, ja die moralische Pflicht, der Menschen dieser Welt, zu tun, was immer sie aus eigener Anstrengung vermögen, um Israel zu stoppen u. die Palästinenser zu retten. Ein Boykott der israelischen Wirtschaft, israelischer Institutionen sowie der israelischen Gesellschaft ist bereits in vollem Gange, u. die Sache wächst weiter: Konsumentenboykotte, Tourismusboykotte, Kulturboykotte, Divestment-Bewegungen an US-Universitäten. Erinnern wir uns an Südafrika; dort stellte der akademische Boykott zwar nur eine (spezifische) Form des Boykotts dar - aber eine sehr aufsehenerrende. Die dieser Debatte hier zugrundeliegende Frage aber lautet: Gibt es etwas, was den israelischen Akademiebetrieb derart auszeichnet, dass man ihn von dem jetzigen General-Boykott ausnehmen sollte - etwas, was ihn massiv vom weißen Akademiebetrieb in Apartheid-Südafrika damals unterscheidet?

      Der universitäre Geist - in traditionellem Sinne - verlangt Intellektuellen Verantwortlichkeit ab, u. dazu zählt eben auch das schützende Eintreten für moralische Prinzipien.
      Es wäre ein Argument dafür, den israelischen Akademiebetrieb von einem Boykott auszunehmen, könnten israelische Institutionen nachweisen, sie hätten sich in diesem Sinne starkgemacht. Aber dieser Nachweis wird ihnen nicht gelingen. Nie ist es vorgekommen, dass der Senat irgendeiner israelischen Universität eine Resolution verabschiedet hat, die sich beispielsweise gegen die ständigen Schließungen palästinensischer Universitäten wandte, ganz zu schweigen von Protesten gegen Verwüstungen während der jüngsten Aufstände. Es ist ja noch nicht mal so, dass es Initiativen in diese Richtung gibt - die nur leider keine Mehrheit finden. Es existiert keine einzige Initiative in diese Richtung - nicht im gesamten israelischen Akademiebetrieb. Selbst die Schließung der Al-Quds-Universität in Jerusalem im letzten Juli hat niemanden im israelischen Akademiebetrieb sonderlich interessiert. Ein Akademiebetrieb jedoch, der sich selbst in Extremsituationen - in denen Menschenrechte sowie moralische Prinzipien extrem verletzt werden -, weigert, Kritik zu üben u. Stellung zu beziehen, kollaboriert mit dem System der Unterdrückung.

      Andererseits existieren innerhalb des israelischen Akademiebetriebs - individuell gesehen - durchaus immer wieder Cluster des Widerstands u. der Opposition - so wie in der übrigen israelischen Gesellschaft eben auch. Fast 400 israelische Akademiker (von insgesamt mehreren zehntausend) unterzeichneten beispielsweise eine Petition zur Unterstützung von Wehrdienstverweigerern aus Gewissensgründen. Aber hier geht es nicht um die Haltung Einzelner. Schließlich richtet sich der Boykott ja auch nur gegen Institutionen (ich wende mich gegen den Boykott Einzelner - dass man beispielsweise im Ausland nicht mehr mit einzelnen israelischen Gelehrten zusammenarbeiten will). Was den israelischen Akademiebetrieb aber als Ganzes betrifft, so ist dieser keineswegs besser als der des damaligen weißen Südafrika. Hier wie dort gab bzw. gibt es immer wieder Dissidenten. Es gibt Zeiten, wo es geradezu Markenzeichen des/der Intellektuellen ist, sich für Dissens zu entscheiden. Nichtsdestotrotz: diese Dissidenten repräsentieren keineswegs unseren Akademiebetrieb. Ihren Dissens verdanken sie nicht dem Mainstream-Akademiebetrieb - sie haben ihn dem Mainstream-Akademiebetrieb vielmehr abgetrotzt. Einige - echte - Dissidenten an israelischen Universitäten durchleiden konstante Schikanen vonseiten ihrer Universitätsleitung - offen oder hinter den Kulissen.

      Will man zusätzliche Beweise, wie weltfremd der israelische Akademiebetrieb inzwischen ist, wie weit weg von unserer Apartheid-Realität, dann braucht man sich nur die Gegenargumente der israelischen Gegner des Boykotts anzuhören. Nehmen wir nur mal den Jerusalemer Professor Idan Segev. Er ruft die Intellektuellen, die gegen die Okkupation sind, dazu auf, mitzuhelfen “einen offenen Dialog zwischen israelischen u. palästinensischen Universitäten einzurichten”. Statt uns zu boykottieren, so Segev, sollte uns die EU lieber “helfen, einen internationalen Wissenschaftskongress in einer der Westbank-Universitäten zu organisieren” (Liberation, 07. Jan. 2003). Obgleich der Campus seiner Jerusalemer Universität nur 15 Fahrminuten vom Gefängnis Westbank entfernt liegt, so scheint es mir, hat Prof. Segev nicht die geringste Ahnung, was in diesem Zuchthaus vor sich geht. Ihm scheint entgangen zu sein, dass der palästinensiche Akademiebetrieb sogut wie zum Erliegen gekommen ist, dass die Dörfer u. Städte abgeriegelt u. isoliert sind u. dass dort die meiste Zeit Ausgangssperre herrscht. Ja glaubt er denn ernsthaft, in dieser ländlichen Abgeschiedenheit könnte soetwas wie eine Wissenschaftskonferenz stattfinden, die zum Dialog führt? Ich sage, der erste Schritt in Richtung Dialog ist der Rückzug der israelischen Panzer von den Eingängen der palästinensischen Universitäten.

      Anmerkung d. Übersetzerin

      *Auf Deutsch ist aktuell (2002) Tanya Reinharts Buch ‘’Operation Dornenfeld’. Die israelische Strategie zur Zerschlagung Palästinas’ erschienen.


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