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    Quellentexte zum Metathread - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 29.01.03 21:08:51 von
    neuester Beitrag 11.02.03 23:19:45 von
    Beiträge: 13
    ID: 689.416
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      Avatar
      schrieb am 29.01.03 21:08:51
      Beitrag Nr. 1 ()
      Hier bitte nur Quellentexte posten, mit Angabe der Quelle, möglichst auch mit einer kurzen Einschätzung der Quelle,
      oder auch dem sachlichen Verriß an unseriösen Quellen!Und zwar zum Thread: Meta-Thread


      Danke!
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      schrieb am 29.01.03 21:18:37
      !
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      Avatar
      schrieb am 29.01.03 22:09:53
      !
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      Avatar
      schrieb am 29.01.03 23:23:33
      Beitrag Nr. 4 ()
      Unser heutiges ungedecktes und unkontrollierbares Kreditgeldsystem verursacht eine mega-gigantische Kreditblase. Der Zinseszinseffekt bewirkt eine trotz Sparmaßnahmen stetig wachsendes Haushaltsdefizit. Kein Land wird je seine Schulden zurück zahlen können.

      Am Ende steht der unausweichbare Staatsbankrott und mit ihm der Zusammenbruch der Währungen. Die weltweite Verflechtungen der Wirtschaft, der Währungen und der Staaten untereinander werden diese Krise als Weltwirtschaftskrise, ähnlich wie 1929 - nur etwas schlimmer, in die Geschichtsbücher eingehen lassen.

      Die derzeit für so "sicher" gepriesen Staatsanleihen (Obligationen, Schatzbriefe,...) werden sich in Luft auslösen.
      Vielen Bürgern ist nicht bewußt, daß sie sowohl Schuldner (sie sind der Staat, der das Geld ausgibt), als auch Gläubiger (die dem Staat das Geld geben, damit er es ausgeben kann), in ein und derselben Person, sind.

      Etwas anders ausgedrückt:
      Anleihen sind nichts anderes, als ein Versprechen eines heutigen Politikers, daß erhaltene Geld in x-Jahren plus Zinsen zurück zu zahlen! Ob es gut geht, wir werden es sehen...

      Die Sparguthaben werden gegen Null tendieren, da die Währungen ebenfalls zusammenbrechen werden. Ob Dollar, DM, Euro, Yen, Pfund oder jede andere Währung wird gegen Null streben, daß sie beliebig vom Staat aus dem Nichts erzeugt worden und somit wertlos sind.




      Quelle: http://www.goldseiten.de/geschichte/standard.htm


      Zur Quelle: sicher hat goldseiten.de ein Interesse daran, Gold stark zu reden, und gleichzeitig Währungen und alle anderen Anlageformen etwas schlechter zu machen, dennoch kann ich keinen logischen fehler in diesem Textausschnitt erkennen. Es passierte so schon unzählige Male. Was sollte jetzt anders oder besser sein? Goldseiten.de gewann übrigens unlängst einen Preis einer renommierten Wirtschaftszeitschrift für deren Internetpräsenz!
      Avatar
      schrieb am 30.01.03 13:03:01
      Beitrag Nr. 5 ()
      Dr. Kurt Rothschild: Gemeinwesen/Staatsfinanzen

      --------------------------------------------------------------------------------


      Wenn im privaten Sektor gespart wird und der private Sektor das nicht ausgleicht, kann der Staat einspringen. In guten Zeiten, bei Hochkonjunktur, wird das, was Haushalte sparen, von den Firmen über die Banken aufgenommen und für Investitionen ausgegeben. Das ist das privatwirtschaftliche Idealbild. Damit funktioniert der Kreislauf: die Haushalte sparen, geben das Geld den Banken, die Banken geben es den Firmen, die Firmen kaufen dafür Investitionsgüter. Statt Pkws werden halt LKWs verkauft, aber die Produktion geht weiter. Wenn es aber zu einer Rezession kommt, dann wird noch immer gespart, aber die Unternehmer investieren nicht, weil sie keine Profite erwarten. In diesem Fall kann der Staat das Sparen der Haushalte kompensieren, indem er Anleihen aufnimmt und dieses Geld wieder in den Kreislauf einbringt. Staatliche Schulden haben somit eine Stabilisierungsfunktion, die eine der drei wichtigsten Funktionen des Budgets ist: Stabilisierung, Umverteilung und Wachstum. Zur Stabilisierung ist also ein Schuldenmachen des Staates sicherlich notwendig. In Rezessionszeiten auf jeden Fall und in reichen Gesellschaften auch dauernd, weil das Sparvolumen ja groß ist und die Privatwirtschaft das nicht immer zur Gänze aufnimmt. Das, was die Privatwirtschaft nicht einsetzt, kann der Staat verwenden und zwar auf zweierlei Art: er kann es entweder für Transfers verwenden (Subventionen, laufende Leistungen), oder für Investitionen für die Zukunft (Infrastruktur, Straßenbau, etc.). Soweit es für Investitionen verwendet wird, wird es meistens auch von den traditionellen Finanzwissenschaftlern nicht abgelehnt, weil es dann Erträge abwirft. Durch bessere Strassen wird die Produktion billiger, durch bessere Spitäler wird die Gesundheit gefördert, und all das bringt der Volkswirtschaft zusätzlichen Reichtum. Bei Transferausgaben ist das nicht der Fall. Aber trotzdem sind sie von Bedeutung, und ein Grund, warum die Rezessionsperioden heutzutage nicht mehr so einschneidend sind wie im 19. Jhdt. ist genau der, dass in den Rezessionsperioden im Staatsbudget etwas geschieht, was man die automatischen Stabilisatoren nennt. Wenn es zu einer Rezession kommt, gehen die Steuereinnahmen zurück und gleichzeitig steigen die Staatsausgaben, wie die Arbeitslosenunterstützung und andere Sozialhilfen, sodass ganz automatisch Defizite entstehen. Diese Defizite, also die teilweise Erhaltung der Kaufkraft der Haushalte durch den Transfer von staatlichen Mitteln verhindert, dass wir heute so tiefe Rezessionen bekommen wie früher, als die Sozialausgaben eine geringere Rolle spielten. Fassen wir also das bisherige zusammen. Staatsschulden kann man nicht schlichtweg als Fehler ansehen. Staatsschulden haben eine Funktion, wobei man zwischen konjunkturellen und strukturellen Defiziten unterscheiden muss. In der Rezession soll der Staat Schulden machen, um das Loch, das in der Nachfrage entsteht, zu füllen. Diese sollen aber dann in der Hochkonjunktur wieder abgebaut werden, wenn die private Nachfrage wieder ausreichend ist. Es handelt sich um vorübergehenden Schulden. Strukturelle Schulden in den reichen Ländern hingegen hängen damit zusammen, dass das Sparvolumen so groß ist, dass der private Sektor es häufig nicht aufnimmt. Staatsausgaben, die über die Einnahmen hinausgehen, können dann zur Beschäftigung beitragen. Die Tatsache, dass wir heute in fast allen europäischen Ländern einen angeblich zu großen Staatssektor haben, ist ein Grund dafür, dass wir nicht in ganz tiefe Depressionen fallen, weil damit ein Bereich existiert, der sich nicht an erwarteten Gewinnen orientiert. Wenn die Wirtschaft einmal in eine Rezession rutscht, ist ein Staat, der noch nicht so schlank ist, wie man es heute vielfach fordert, ein stabilisierender Faktor, auch und gerade wenn er Schulden macht. Nun heißt das aber nicht, je mehr Schulden ein Staat macht, desto besser. Schulden schaffen auch Probleme. Schulden bedeuten erst einmal, dass man Zinsen zahlen muss. Und die Zinsen sind eine Belastung kommender Budgets, solange die Schulden bestehen. Dazu kommen noch Tilgungszahlungen, die man aber vergessen kann, da ein Staat ja ewig lebt und daher nie alle Schulden auf einmal zurückzahlen muss. Er kann immer wieder Geld aufnehmen, um die alten Schulden durch neue zu ersetzen. Aber er muss immer zusätzlich Zinsen zahlen. Und wenn die Schulden groß werden, stellen die Zinsen eine starke Belastung des Budgets dar und beschränken die finanziellen Möglichkeiten für andere Staatsaufgaben. Der Staat hat dann weniger Geld für Sozialleistungen und andere wünschenswerte Aufgaben. Daher ist ein hoher Schuldenstand ein Problem und es gibt gewisse Grenzen, bei denen man sagen kann, dass die Nachteile größer sind als die Vorteile. Diese Belastung ist umso höher, je höher die Zinsen



      http://www.gbw.at/offensiv/rothschild4.html

      Quelle: mir nichts bekannt!

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      Avatar
      schrieb am 03.02.03 12:53:22
      Beitrag Nr. 6 ()
      Paul Krugman :

      Der amerikanische Albtraum

      Nachdruck aus dem "New York Times Magazine" vom 20. Oktober 2002
      Aus dem Amerikanischen von Sandra Pfister



      Als ich ein Teenager war und auf Long Island nahe New York lebte, machte ich oft Ausflüge zu den Villen an der Nordküste. Diese Villen waren Monumente eines vergangenen Zeitalters, in der sich die Reichen ganze Armeen von Sklaven leisten konnten. Die brauchte man auch, um Häuser von der Größe europäischer Paläste zu unterhalten. Als ich diese Häuser sah, war diese Ära, die wir heute das Goldene Zeitalter nennen, längst Vergangenheit. Kaum eine der Villen auf Long Island war noch in Privatbesitz. Entweder waren sie zu Museen umfunktioniert worden, oder sie wurden als Kindergärten oder Privatschulen genutzt.

      Denn das Amerika der fünfziger und sechziger Jahre, in dem ich aufwuchs, war eine Mittelklassegesellschaft. Die großen Einkommens- und Wohlstandsunterschiede des Goldenen Zeitalters waren verschwunden. Natürlich lebte so mancher reiche Geschäftsmann oder Erbe weit besser als der durchschnittliche Amerikaner. Aber sie waren auf eine andere Weise reich als die Räuberbarone, die sich um die Jahrhundertwende riesige Villen hatten bauen lassen, und sie waren nicht so zahlreich. Die Tage, in denen Plutokraten eine wichtige Rolle in der amerikanischen Gesellschaft gespielt hatten, politisch wie ökonomisch, schienen passé.

      Die tägliche Erfahrung vermittelte uns den Eindruck, in einer einigermaßen gleichen Gesellschaft zu leben. Die wirtschaftlichen Disparitäten waren nicht besonders ausgeprägt. Berufstätige mit höherer Ausbildung - Manager der mittleren Ebene, Lehrer, sogar Anwälte - behaupteten oft, weniger zu verdienen als gewerkschaftlich organisierte Arbeiter. Wer als wohlhabend galt, ließ sich einmal pro Woche eine Putzfrau kommen und verbrachte den Sommerurlaub in Europa. Aber auch diese Wohlhabenden schickten ihre Kinder in öffentliche Schulen und fuhren im eigenen Auto zur Arbeit so wie jeder andere auch.

      Doch das ist lange her. Heute leben wir wieder in einem Goldenen Zeitalter - ähnlich extravagant wie das Original. Villen und Paläste erleben ihr Comeback. 1999 porträtierte das New York Times Magazine den Architekten Thierry Despont, die "Eminenz des Exzesses", der darauf spezialisiert ist, Häuser für die Superreichen zu gestalten. Seine Kreationen entstehen gewöhnlich auf einer Fläche von 2000 bis 6000 Quadratmetern; Häuser am oberen Ende dieser Skala sind kaum kleiner als das Weiße Haus. Natürlich sind auch die Armeen von Bediensteten zurückgekehrt. Ebenso die Yachten.

      Nur wenigen Leuten ist bewusst, wie sehr sich in diesem Land die Kluft zwischen den sehr Reichen und dem Rest innerhalb relativ kurzer Zeit verbreitert hat. Wer sich mit diesem Thema beschäftigt, setzt sich unweigerlich dem Verdacht aus, "Klassenkampf" oder eine "Politik des Neides" zu betreiben. Und nur wenige Leute sind tatsächlich willens, über die weitgehenden Auswirkungen dieser sich immer weiter öffnenden Schere zu sprechen - ökonomische, soziale und politische Auswirkungen.

      Doch was in den USA heute geschieht, kann nur verstehen, wer das Ausmaß, die Ursachen und Konsequenzen der zunehmenden Ungleichheit in den letzten drei Jahrzehnten begreift. Wer begreifen will, wieso es in Amerika trotz allen ökonomischen Erfolgs mehr Armut gibt als in jeder anderen großen Industrienation, der muss sich die Einkommenskonzentration an der Spitze ansehen.


      I. Das neue Goldene Zeitalter

      Das Durcheinander beim Ausscheiden von Jack Welch als Chef des US-Konzerns General Electric hatte einen positiven Nebeneffekt: Es gab Einblick in die Sozialleistungen, die die Wirtschaftselite einstreicht und die der Öffentlichkeit normalerweise verborgen bleiben. Wie sich herausstellte, wurde Welch die lebenslange Nutzung eines Apartments in Manhattan (inklusive Essen, Wein und Wäsche) gewährt, ebenso die Nutzung von Firmenjets und einige andere geldwerte Vorteile im Wert von mindestens zwei Millionen Dollar pro Jahr. Diese Abfindung veranschaulicht, wie sehr Firmenlenker mittlerweile erwarten, ähnlich königlichen Hoheiten des Ancien Régime behandelt zu werden. Finanziell dürften diese Sonderleistungen Welch wenig bedeutet haben. Im Jahr 2000, seinem letzten kompletten Dienstjahr bei General Electric, bezog er ein Einkommen von 123 Millionen Dollar.

      Man mag einwenden, es sei nichts Neues, dass die Chefs amerikanischer Konzerne eine Menge Geld kassieren. Aber es ist neu. Zwar waren sie im Vergleich zum durchschnittlichen Arbeiter immer schon gut bezahlt, doch was ein Manager vor 30 Jahren verdiente und was er heute verdient, ist nicht zu vergleichen.

      In den vergangenen drei Jahrzehnten sind die Gehälter der meisten US-Bürger nur moderat gestiegen: Das durchschnittliche jährliche Einkommen wuchs inflationsbereinigt von 32 522 Dollar im Jahr 1970 auf 35 864 Dollar 1999. Zehn Prozent in 29 Jahren - ein Fortschritt, wenn auch ein bescheidener. Glaubt man dem Fortune Magazine, stiegen in derselben Zeit die Jahresgehälter der Firmenchefs der 100 größten US-Unternehmen aber von 1,3 Millionen Dollar - dem 39fachen des Gehaltes eines durchschnittlichen Arbeiters - auf 37,5 Millionen Dollar, dem mehr als 1000fachen Lohn eines normalen Arbeitnehmers.

      Diese Explosion der Vorstandsgehälter in den vergangenen 30 Jahren ist an sich schon erstaunlich. Aber sie deutet nur auf einen größeren Zusammenhang hin: die erneute Konzentration von Einkommen und Wohlstand in den USA.

      Offizielle Erhebungen belegen, dass ein wachsender Einkommensanteil an die oberen 20 Prozent der Familien fließt, und innerhalb dieser Schicht besonders an die obersten fünf Prozent, während die Familien in der Mitte immer weniger abbekommen. Dies sind die Fakten. Trotzdem beschäftigt sich eine ganze, gut finanzierte Industrie damit, sie zu leugnen. Konservative Denkfabriken produzieren reihenweise Studien, die diese Daten, die Methoden ihrer Erhebung und die Motive jener Statistiker diskreditieren sollen, die doch nur das Offensichtliche berichten. Vor vier Jahre hielt Alan Greenspan - wer konnte diesen Mann ernsthaft für objektiv halten? - eine Rede bei der Konferenz der US-Notenbank in Jackson Hole. Die Rede war ein einziger Versuch, die reale Zunahme von Ungleichheit in Amerika abzustreiten.

      Tatsächlich jedoch haben Studien, die sich seriös um das Aufspüren hoher Einkommen bemühen, zu erschreckenden Ergebnisse geführt. Eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung des unabhängigen Haushaltsamts des amerikanischen Kongresses hat beispielsweise Daten zur Einkommensteuer und andere Quellen herangezogen, um die bisherigen Schätzungen zu verbessern. Dabei stellte sich heraus, dass zwischen 1979 und 1997 die Nettoeinkommen des obersten Prozents der Bestverdienenden um 157 Prozent stiegen - gegenüber zehn Prozent bei den durchschnittlichen Einkommen. Noch aufrüttelnder sind die Ergebnisse einer Studie von Thomas Piketty und Emmanuel Saez vom französischen Forschungsinstitut Cepremap. Piketty und Saez nutzten Daten aus der Erhebung der Einkommensteuer, um die Einkommen von Wohlhabenden, Reichen und sehr Reichen bis zurück ins Jahr 1913 zu schätzen.

      Aus diesen Berechnungen kann man einiges lernen. Zunächst, dass das Amerika meiner Jugend weniger als normaler Zustand unserer Gesellschaft gelten sollte, sondern eher als Interregnum zwischen zwei Goldenen Zeitaltern. In der amerikanischen Gesellschaft vor 1930 kontrollierten wenige Superreiche einen Großteil des Wohlstandes. Eine Mittelklassegesellschaft wurden wir erst, nachdem sich die Einkommenskonzentration während des New Deal von Präsident Franklin D. Roosevelt und besonders während des Zweiten Weltkriegs auflöste. Die Wirtschaftshistoriker Claudia Goldin und Robert Margo haben die Verengung der Einkommenskluft während dieser Jahre "Great Compression", Große Kompression, getauft. Bis in die siebziger Jahre blieben die Einkommen relativ gleichmäßig verteilt: Der rapide Anstieg der Einkommen der ersten Nachkriegsgeneration verteilte sich gleichmäßig auf die Gesamtbevölkerung.

      Seit den siebziger Jahren klaffen die Einkommen allerdings zunehmend auseinander. Und die großen Gewinner sind die Superreichen. Ein häufig gebrauchter Trick, um die wachsende Ungleichheit herunterzuspielen, ist der Rückgriff auf relativ grobe statistische Aufschlüsselungen. Ein konservativer Kommentator wird zwar zum Beispiel einräumen, dass tatsächlich die obersten zehn Prozent der Steuerzahler einen immer höheren Anteil am nationalen Einkommen abbekommen. Aber dann kann er gelassen darauf verweisen, dass bereits ein Einkommen von 81 000 Dollar aufwärts zu diesen zehn Prozent zählt. Demnach reden wir nur von Einkommensverschiebungen innerhalb der Mittelschicht, oder?

      Falsch. Die oberen zehn Prozent umfassen zwar tatsächlich eine Menge Leute, die wir der Mittelklasse zuordnen würden. Sie aber waren nicht die großen Gewinner. In Wahrheit profitierte das oberste eine Prozent der bestverdienenden zehn Prozent vom Einkommenszuwachs mehr als die folgenden neun Prozent der Steuerzahler. 1998 verdienten alle, die unter dieses eine Prozent fielen, jeweils mehr als 230 000 Dollar. Andererseits wanderten 60 Prozent der Zuwächse dieses einen Prozents in die Taschen von 0,1 Prozent, nämlich derjenigen, die über ein Einkommen von über 790 000 Dollar verfügten. Und fast die Hälfte dieser Steigerungen wiederum floss 13 000 Steuerzahlern zu, den obersten 0,01 Prozent, die über ein Einkommen von mindestens 3,6 Millionen Dollar, im Durchschnitt aber über Einnahmen von 17 Millionen Dollar verfügten.

      Diese Schätzungen stammen aus dem Jahr 1998. Hat sich der Trend seitdem umgekehrt? Mit ziemlicher Sicherheit nicht. Alles weist darauf hin, dass die Einkommen an der Spitze im Jahr 2000 weiter nach oben schnellten. Seither fielen die hohen Einkommen wegen der fallenden Aktienkurse vermutlich etwas niedriger aus. Aber bereits für das Jahr 2001 weisen Erhebungen ein wieder wachsendes Auseinanderklaffen der Einkommen aus, was vor allem mit den Auswirkungen der Rezession auf die Geringverdiener zusammenhängt. Am Ende der derzeitigen Konjunkturschwäche werden wir uns mit ziemlicher Sicherheit in einer Gesellschaft wiederfinden, in der die Ungleichheit größer ist als in den späten Neunzigern.

      Es ist also keineswegs übertrieben, von einem zweiten Goldenen Zeitalter zu sprechen. Als die Mittelklasse in Amerika an Boden gewann, war die Klasse der Villenbauer und Yachtbesitzer weitgehend verschwunden. 1970 besaßen 0,01 Prozent der Steuerzahler 0,7 Prozent des Gesamteinkommens - sie verdienten also "nur" 70-mal so viel wie der Durchschnitt, nicht genug, um eine Riesenresidenz zu kaufen oder zu unterhalten. 1998 hingegen flossen mehr als drei Prozent des Gesamteinkommens den oberen 0,01 Prozent zu. Das bedeutet, dass die 13 000 reichsten Familien in Amerika über fast ebenso viel Geld verfügten wie die 20 Millionen ärmsten Haushalte; die Einkommen dieser 13 000 Familien waren etwa 300-mal so hoch wie die der durchschnittlichen Familien. Und dieser Wandel ist längst noch nicht abgeschlossen.


      II. Rücknahme des New Deal

      Mitte der Neunziger, als die Ökonomen eine Veränderung der Einkommensverteilung in Amerika ausmachten, formulierten sie drei Haupthypothesen über ihre Ursachen.

      Die Globalisierungsthese verknüpfte die sich verändernde Einkommensverteilung mit dem Wachstum des Welthandels, besonders mit dem zunehmenden Import verarbeiteter Güter aus der so genannten Dritten Welt. Diese These besagt, dass Arbeiter - Leute, die in meiner Jugend oft ebenso viel verdienten wie Manager der mittleren Ebene mit College-Abschluss - gegenüber den billigen Arbeitskräften aus Asien nicht konkurrenzfähig waren. Folglich stagnierten die Löhne normaler Leute oder sanken sogar, während ein größerer Anteil des nationalen Einkommens an die besser Ausgebildeten ging.

      Eine zweite Hypothese sah den Grund für die wachsende Ungleichheit nicht im Außenhandel, sondern in den Innovationen im Inland. Der ständige Fortschritt in der Informationstechnologie hatte demnach die Nachfrage nach hoch qualifizierten Arbeitskräften stimuliert. Die Einkommen verteilten sich also zunehmend nach Hirn statt nach Muskeln.

      Die "Superstar"-Hypothese des Chicagoer Ökonomen Sherwin Rosen variierte die These vom technologischen Fortschritt. Rosen argumentierte, moderne Kommunikationstechnologien machten den Wettbewerb häufig zu einem Wettkampf, bei dem der Gewinner reich belohnt werde, während die Unterlegenen weit weniger bekämen. Als klassisches Beispiel dient die Unterhaltungsbranche. Rosen führte an, dass früher Hunderte von Komödianten ihr bescheidenes Auskommen durch Live Shows verdienen konnten. In den Zeiten des Fernsehens sind die meisten verschwunden, übrig geblieben sind ein paar TV-Superstars.

      Die Verfechtern dieser drei Hypothesen trugen erbitterte Kämpfe aus. In den vergangenen Jahren haben jedoch viele Ökonomen ein Gespür dafür entwickelt, dass keiner dieser Erklärungsansätze trägt.

      Die Globalisierung kann zwar die sinkenden Arbeitergehälter teilweise erklären, kaum aber den 2500-prozentigen Anstieg der Vorstandsgehälter. Technologischer Fortschritt mag erklären, warum die Top-Gehälter mit zunehmendem Bildungsgrad gestiegen sind. Aber es ist schwer, dies mit der wachsenden Ungleichheit unter den College-Absolventen in Einklang zu bringen. Die Superstar-Theorie ist auf den Star-Talkmaster Jay Leno anwendbar, erklärt aber nicht, wieso Tausende von Leuten ungeheuer reich wurden, ohne zum Fernsehen zu gehen.

      Auch die Große Kompression - die substanziell sinkende Ungleichheit während des New Deal und des Zweiten Weltkriegs - ist mithilfe der gängigen Theorien schwer zu verstehen. Während des Kriegs ließ Roosevelt die Lohnentwicklung staatlich kontrollieren, um Einkommensunterschiede auszugleichen. Aber wäre die Mittelklassegesellschaft nur ein Kunstprodukt des Krieges gewesen, hätte sie dann weitere 30 Jahre lang Bestand gehabt?

      Manche Ökonomen nehmen mittlerweile eine These ernst, die sie noch vor einer Weile für verrückt gehalten hätten. Diese These betont die Rolle sozialer Normen, die der Ungleichheit Schranken setzt. Der New Deal hatte demnach einen viel tieferen Einfluss auf die amerikanische Gesellschaft, als ihm selbst glühende Bewunderer jemals zugestanden hätten. Er setzte Normen relativer Gleichheit, die die kommenden 30 Jahre überdauerten.

      Diese Normen wurden seit den siebziger Jahren ausgehöhlt.

      Ein Beleg dafür ist die Entlohnung von Führungskräften. In den sechziger Jahren verhielten sich die großen amerikanischen Unternehmen eher wie sozialistische Republiken und nicht wie kapitalistische Halsabschneider, und die Firmenchefs verhielten sich eher wie auf das öffentliche Wohl bedachte Bürokraten und nicht wie Industriekapitäne.

      35 Jahre später schreibt das Magazin Fortune: "Überall in Amerika kassierten die Führungskräfte in Aktien ab, während ihre Unternehmen vor die Hunde gingen."

      Lässt man die aktuellen Vergehen beiseite und fragt, wie die relativ bescheidenen Gehälter der Top-Angestellten von vor 30 Jahren zu gigantischen Entlohnungspaketen anwuchsen, stößt man auf zwei Erklärungsstränge.

      Der optimistischere stellt eine Analogie her zwischen der Explosion der Gehälter von Konzernchefs und der Explosion der Gehälter von Baseball-Spielern. Sie besagt, dass hoch bezahlte Chefs ihr Geld wert sind, weil sie einfach die richtigen Männer für diesen Job sind. Die pessimistischere Sicht - die ich plausibler finde - besagt, dass die Jagd nach Talenten eine untergeordnete Rolle spielt. Denn schließlich gingen die voll gepackten Lohntüten oft genug an Leute, deren Leistung bestenfalls mittelmäßig war. In Wirklichkeit werden viele so gut bezahlt, weil sie es sind, die die Mitglieder des Aufsichtsrats ernennen - und der wiederum legt ihre Kompensation fest. Es ist also nicht die unsichtbare Hand des Marktes, die zu den monumentalen Bezügen führt. Es ist der unsichtbare Handschlag in den Hinterzimmern der Unternehmenszentralen.

      Vor 30 Jahren wurden Vorstände weniger großzügig bedacht, weil die Angst vor einem öffentlichen Aufschrei die höheren Gehälter unter Kontrolle hielt. Heute empört sich niemand mehr. Insofern spiegelt die Explosion der Gehälter von Führungskräften eher einen sozialen Wandel wider als die rein ökonomischen Kräfte von Angebot und Nachfrage.

      Wie aber konnte sich die Unternehmenskultur so verändern?

      Ein Grund ist die gewandelte Struktur der Finanzmärkte. In seinem Buch Auf der Suche nach dem Unternehmensretter argumentiert Rakesh Khurana von der Harvard Business School, in den achtziger und neunziger Jahren sei der Kapitalismus der Manager durch den Kapitalismus der Investoren ersetzt worden. Institutionelle Investoren ließen die Konzernchefs nicht länger selbst ihre Nachfolger aus der Mitte der Firma heraus bestimmen. Sie wollten heroische Führergestalten, oft von außerhalb, und waren bereit, immense Summen dafür zu bezahlen. Khurana brachte dies im Untertitel seines Buches auf den Punkt: Die irrationale Suche nach charismatischen Vorstandschefs.

      Moderne Management-Theoretiker hingegen glauben nicht, dass dies so irrational war. Seit den achtziger Jahren wurde die Bedeutung von leadership, von persönlicher, charismatischer Führung, zunehmend betont. Als Lee Iacocca von Chrysler in den frühen Achtzigern eine Berühmtheit wurde, war er eine Besonderheit. Khurana berichtet, dass die Business Week 1980 lediglich einen Vorstandschef auf dem Titelblatt hatte. 1999 waren es bereits 19. Und als es für einen Konzernlenker erst einmal als normal oder sogar notwendig galt, berühmt zu sein, wurde es auch leichter, ihn reich zu machen.


      III. Der Preis der Ungleichheit

      Auch die Ökonomen trugen dazu bei, dass Gehälter in vorher undenkbarer Höhe möglich wurden. In den achtziger und neunziger Jahren behauptete eine Flut von akademischen Abhandlungen, dass die Filmfigur Gordon Gekko aus Oliver Stones Wallstreet Recht hatte: Gier ist gut. Wer Führungskräfte zur Spitzenleistung treiben wolle, müsse ihre Interessen mit denen der Aktionäre in Einklang bringen, argumentierten diese Studien. Und das sollte durch die großzügige Gewährung von Aktien oder Aktienoptionen geschehen.

      Piketty und Saez schlagen vor, die Entwicklung der Gehälter in den Führungsetagen in einem breiteren Kontext zu sehen. Löhne und Gehälter sind von sozialen Normen bestimmt - weit mehr, als die Ökonomen und Verfechter des freien Marktes sich vorstellen mögen. In den dreißiger und vierziger Jahren wurden neue Gleichheitsnormen etabliert, vor allem auf politischem Wege. In den Achtzigern und Neunzigern wurden diese Normen demontiert und durch einen Ethos des anything goes ersetzt. Die Folge war die Explosion der Spitzeneinkommen.

      Trotz allem: Amerika ist noch immer das reichste der großen Länder dieser Welt, mit einem realen Bruttoinlandsprodukt (BIP), das 20 Prozent höher ist als etwa das von Kanada. Aber: Die Lebenserwartung in den USA ist um einiges niedriger als in Kanada, Japan und jedem größeren Land Westeuropas. Im Durchschnitt haben wir Amerikaner eine Lebenserwartung, die etwas unter der der Griechen liegt. Dabei war es ein amerikanischer Glaubenssatz, dass die Flut alle Boote steigen lässt - dass also alle vom zunehmenden Wohlstand profitieren. Hat unser wachsender nationaler Reichtum sich etwa nicht in einem hohen Lebensstandard für alle Amerikaner niedergeschlagen?

      Die Antwort ist: Nein. Amerika hat zwar ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als alle übrigen großen Industrieländer, das aber vor allem weil die Reichen viel reicher sind als anderswo. Wir Amerikaner sind stolz auf unserer rekordverdächtiges Wirtschaftswachstum. Nur: In den letzten Jahrzehnten kam nur wenig von diesem Wachstum bei normalen Familien an. Das durchschnittliche Familieneinkommen ist nur um 0,5 Prozent jährlich gestiegen.

      Darüber hinaus spiegeln die Einkommensstatistiken die zunehmenden Risiken der Arbeitswelt für normale Arbeiter kaum wider. Als der Autokonzern General Motors noch als Generous Motors bekannt war, konnten sich die meisten Mitarbeiter ihres Jobs ziemlich sicher sein. Sie wussten, die Firma würde sie nur im Extremfall feuern. Viele hatten Verträge, die ihnen eine Krankenversicherung garantierten, selbst bei einer Entlassung. Ihre Pensionen hingen nicht vom Aktienmarkt ab. Mittlerweile sind Massenentlassungen auch bei etablierten Unternehmen üblich. Und Millionen von Leuten mussten erleben, dass ein betrieblicher Pensionsplan keineswegs eine komfortable Rente garantiert.

      Manche Leute mögen dem entgegnen, dass das System der USA bei aller Ungleichheit auch für höhere Einkommen sorge. Dass also nicht nur unsere Reichen reicher sind als anderswo, sondern dass es auch der typischen amerikanischen Durchschnittsfamilie besser gehe als den Menschen in anderen Ländern, ja sogar unseren Armen.

      Doch das ist nicht wahr. Man sieht das am Beispiel von Schweden, der großen bête noire der Konservativen. Die Lebenserwartung in Schweden liegt um drei Jahre höher als in den USA. Die Kindersterblichkeit ist halb so hoch und Analphabetentum weit weniger verbreitet als in Amerika.

      Zwar weist Schweden ein geringeres Durchschnittseinkommen auf als die USA, aber das liegt vor allem daran, dass unsere Reichen so viel reicher sind. Einer normalen schwedischen Familie hingegen geht es besser als der entsprechenden amerikanischen Familie: Die Einkommen sind höher, und die höhere Steuerlast wird durch die öffentliche Gesundheitsvorsorge und die besseren öffentlichen Dienstleistungen wieder wettgemacht. Und selbst schwedische Familien, die zu den 10 Prozent der Ärmsten gehören, verfügen über ein 60 Prozent höheres Einkommen als vergleichbare amerikanische Familien. Mitte der Neunziger lebten nur 6 Prozent aller Schweden von weniger als 11 Dollar pro Tag. In den USA waren es 14 Prozent.

      Der Vergleich zeigt: Selbst wenn man die große Ungleichheit in den USA als den Preis ansieht, den wir für unsere große Wirtschaftskraft bezahlen, ist nicht klar, dass das Ergebnis diesen Preis wert ist. Denn die Ungleichheit in den USA hat ein Niveau erreicht, das kontraproduktiv ist.

      Zum Beispiel die außergewöhnlich hohen Gehältern der heutigen Top-Manager. Sind sie gut für die Wirtschaft?

      Nach dem Platzen der Spekulationsblase zeigt sich, dass wir alle für diese dicken Lohnpakete aufkommen mussten. Wahrscheinlich haben die Aktionäre und die Gesellschaft insgesamt einen Preis bezahlt, der die Geldmenge, die an die Manager gezahlt wurde, bei weitem übertraf.

      Ökonomen, die sich mit Wirtschaftskriminalität beschäftigen, versichern, Verbrechen sei ineffizient - in dem Sinne, dass ein Verbrechen die Wirtschaft mehr kostet als das Gestohlene. Verbrechen leiten Energie und Ressourcen weg von dem, was nützlich ist: Kriminelle verwenden ihre Zeit eher aufs Stehlen als aufs Produzieren, potenzielle Opfer aufs Schützen ihres Eigentums. Das gilt auch für Wirtschaftskriminalität. Manager, die ihre Tage damit verbringen, das Geld ihrer Aktionäre in die eigenen Taschen zu leiten, haben keine Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben (denken Sie an Enron, WorldCom, Tyco, Global Crossing, Adelphia ...).

      Das Hauptargument für ein System, in dem einige Leute sehr reich werden, war immer: Die Aussicht auf Reichtum ist ein Leistungsanreiz. Nur: Für welche Leistung? Je mehr bekannt wird, was in amerikanischen Firmen vor sich ging, desto unklarer wird, ob diese Anreize die Manager dazu gebracht haben, in unser aller Interesse zu arbeiten.


      IV. Ungleichheit und Politik

      Im September debattierte der Senat über den Vorschlag, US-Bürger, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen, um in den USA keine Steuern zahlen zu müssen, mit einer einmaligen Steuer auf Kapitalgewinne zu belegen. Senator Phil Gramm wetterte dagegen: Dieser Vorschlag stamme "direkt aus Nazideutschland". Ziemlich heftig, aber nicht heftiger als die Metapher, die Daniel Mitchell von der Heritage Foundation in einem Beitrag in der Washington Times benutzte, um eine Gesetzesvorlage zu charakterisieren, die Unternehmen daran hindern sollte, ihren Firmensitz aus Steuergründen zu verlegen. Er verglich dieses Vorhaben mit dem infamen Erlass des Verfassungsgerichts von 1857, der den Bundesstaaten im Norden vorschrieb, geflohene Sklaven in die Südstaaten zurückzubringen.

      Solche Äußerungen sind Indikatoren großer Veränderungen in der amerikanischen Politik. Zum einen sind unsere Politiker immer weniger geneigt, sich auch nur den Anschein von Mäßigung zu geben. Zum anderen neigen sie immer stärker dazu, die Interessen der Wohlhabenden zu bedienen. Und ich meine wirklich die Wohlhabenden, nicht nur die, denen es finanziell gut geht. Nur wer mindestens über ein Nettovermögen von mehreren Millionen Dollar verfügt, könnte es für nötig befinden, ein Steuerflüchtling zu werden.

      Eigentlich hätte man erwarten können, dass die Politiker auf die sich öffnende Einkommensschere reagieren, indem sie vorschlagen, den Reichen Geld aus der Tasche zu ziehen. Vermutlich hätte das Wählerstimmen gebracht. Stattdessen nutzt die Wirtschaftspolitik vor allem den Wohlhabenden. Die wichtigsten Steuererleichterungen der vergangenen 25 Jahre, unter Reagan in den Achtzigern und jetzt unter Bush, hatten alle eine Schieflage: Sie begünstigen die ohnehin schon ziemlich Reichen.

      Das stärkste Beispiel dafür, wie die Politik zunehmend die Wohlhabenden begünstigt, ist das Ansinnen, die Erbschaftsteuer abzuschaffen. Diese Steuer trifft überwiegend die Reichen. 1999 wurden nur zwei Prozent aller Erbschaften überhaupt besteuert, und die Hälfte des Steueraufkommen stammte von 3300 Haushalten - also von nur 0,16 Prozent aller amerikanischen Haushalte, deren Besitz aber durchschnittlich 20 Millionen Dollar wert war. Die 467 Erben, deren Besitz 20 Millionen Dollar überstieg, zahlten ein Viertel der Steuer.

      Eigentlich wäre zu erwarten, dass eine Steuer, die so wenige Leute trifft, aber so große Erträge bringt, politisch sehr populär ist. Zudem könnte diese Steuer demokratische Werte fördern, weil sie die Möglichkeit der Reichen einschränkt, Dynastien zu formen. Woher also der Druck, sie aufzuheben, und warum war diese Steuererleichterung das Herzstück der Steuerreform George W. Bushs?
      Die Antwort fällt leicht, wenn man sieht, wem die Abschaffung der Steuer zugute kommt. Zwar würden nur wenige von einer Aufhebung der Erbschaftsteuer profitieren. Aber diese wenigen haben eine Menge Geld, und beruflich kontrollieren sie meist noch mehr. Genau diese Sorte Mensch zieht die Aufmerksamkeit von Politikern auf sich, die auf der Suche nach Wahlkampfspenden sind.

      Aber auch ein breiteres Publikum wurde davon überzeugt, dass die Erbschaftsteuer eine schlechte Sache sei. Wer so denkt, ist meist überzeugt, dass kleine Unternehmen und Familien die Hauptlast der Steuer tragen - was schlicht nicht stimmt. Diese falschen Vorstellungen aber wurden gezielt gefördert - etwa durch die Heritage Foundation. Die wiederum wurde von reichen Familien gegründet.

      Konservative Anschauungen, die gegen Steuern für Reiche kämpfen, sind nicht zufällig so verbreitet. Geld kann nicht nur direkten Einfluss kaufen, sondern man kann es auch verwenden, um die öffentliche Wahrnehmung zu verändern. Die liberale Gruppierung People for the American Way veröffentlichte einen Bericht mit dem Titel Eine Bewegung kaufen. Darin berichtet sie, wie konservative Stiftungen, Denkfabriken und Medien große Summen zur Verfügung stellen, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen.


      V. Plutokratie?

      Weil die Reichen immer reicher werden, könnten sie sich außer Gütern und Dienstleistungen auch eine Menge anderer Sachen kaufen. Mit Geld lässt sich Einfluss auf die Politik erwerben, selbst Unterstützung aus intellektuellen Kreisen, wenn man es geschickt anstellt. Wachsende Einkommensunterschiede in den USA haben also nicht etwa dazu geführt, dass die Linken aufschreien und den Reichen ans Leder wollen. Stattdessen entstand eine Bewegung, die den Wohlhabenden mehr von ihren Erträgen belassen und ihnen das Weitervererben ihres Reichtums erleichtern will.

      Das erhöht die Wahrscheinlichkeit eines sich selbst verstärkenden Prozesses. Während sich die Kluft zwischen Reichen und Armen weitet, kümmert sich die Wirtschaftspolitik zunehmend um die Interessen der Elite. Gleichzeitig bleibt für öffentliche Dienstleistungen, vor allem für Schulen, kaum noch Geld bleibt.

      1924 erstrahlten die Villen an der Nordküste von Long Island noch in ihrem vollen Glanz, ebenso wie die politische Macht der Klasse, die sie besaß. Als der Gouverneur von New York, Al Smith, vorschlug, öffentliche Parks anzulegen, erntete er bitteren Protest. Ein Villenbesitzer, der "Zuckersultan" Horace Havemeyer, entwarf ein abschreckendes Szenario: Die Nordküste würde von "Gesindel aus der Stadt überrannt". - "Gesindel?", antwortete Smith, "Sie reden von mir." Letztlich bekamen die New Yorker ihre Parks, aber um ein Haar hätten die Interessen einiger hundert reicher Familien die Bedürfnisse der Mittelklasse von New York City ausgestochen.

      Diese Zeiten sind vorbei. Wirklich? Die Einkommensunterschiede sind wieder so groß wie in den zwanziger Jahren. Ererbter Wohlstand spielt noch keine bedeutende Rolle, aber mit der Zeit - und der Aufhebung der Erbschaftsteuer - züchten wir uns eine Elite der Erben, die sich vom normalen Amerikaner so weit entfernt haben wird wie der alte Horace Havemeyer. Und die neue Elite wird - wie die alte - enorme politische Macht haben.

      Kevin Philipps schließt sein Buch Wohlstand und Demokratie mit einer Warnung: "Wenn wir die Demokratie nicht erneuern und die Politik wieder zum Leben erwecken, wird der Wohlstand ein neues, weniger demokratisches Regime zementieren - eine Plutokratie." Eine extreme Einschätzung. Aber wir leben in extremen Zeiten.

      Bin ich zu pessimistisch? Selbst meine liberalen Freunde sagen mir, ich solle mir keine Sorgen machen, unser System sei elastisch, die Mittelachse werde halten. Ich hoffe, dass sie Recht haben. Unser Optimismus, dass unsere Nation am Ende letztlich doch immer ihren Weg findet, rührt aus der Vergangenheit her - einer Vergangenheit, in der Amerika eine Mittelklassegesellschaft war. Aber damals war das Land noch ein anderes.

      siehe auch: http://www.pkarchive.org


      Paul Krugman wurde 1953 in Long Island, New York, geboren. An der Yale University erhielt er 1974 seinen B.A. und bereits im Alter von 24 schloß er seine Promotion am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) ab. Bereits im selben Jahr erhielt er seine erste Professur an der Yale University. Zwischen 1980 und 2000 war Krugman zunächst Associate Professor, schließlich Ford International Professor of Economics am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. In den Jahren zwischen 1994 und 1996 lehrte Krugman an der Stanford University. Seit kurzem ist er an der Princeton University tätig. Daneben hält er sich immer wieder zu Forschungszwecken am National Bureau of Economic Research (NBER) auf.
      In den Jahren 1982 und 1983 war er Mitglied des U.S. Council of Economic Advisors (entsprechend dem deutschen Sachverständigenrat) unter Präsident Ronald Reagan. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit schreibt er als Kolumnist für zahlreiche Zeitungen, u.a. New York Times, Slate und Fortune. Dabei ist Krugman bekannt für seine Fähigkeit, komplexe ökonomische Sachverhalte mit seinem einfachen und klaren Stil einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen, wobei er auch immer das Gespräch zu Nicht-Ökonomen sucht.
      Seine Arbeit wurde u.a. 1991 durch die Verleihung der John Bates Clark-Medaille für den besten Nachwuchswissenschaftler unter 40 Jahren gewürdigt. Im Jahr 1998 erhielt Krugman die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin. In jüngster Zeit wurden drei seiner Bücher ins Deutsche übersetzt: "Der Mythos vom globalen Wirtschaftskrieg" (1999), "Die Grosse Rezession" (1999) und "Schmalspur-Ökonomie" (2000), alle erschienen beim Campus Verlag, Frankfurt/New York.
      Im Mikroökonomischen Bereich zählt Krugman zum Mitbegründer der so genannten "New Trade Theory", die Erkenntnisse der Industrieökonomik auf Fragestellungen des Internationalen Handels anwendet. Dabei wird beispielsweise erklärt, wie die selben Güter von einem Land gleichzeitig exportiert und importiert werden können, welche Auswirkungen Marktmacht und unvollständiger Wettbewerb auf den internationalen Handel haben und warum Länder mit gleicher Ressourcenausstattung und Industriestruktur miteinander Handel betreiben. Ebenso herausragend sind seine Arbeiten auf dem Gebiet der Makroökonomik, wo Krugman wesentliche Beiträge zur Theorie von Währungskrisen und Wechselkurssschwankungen leistete. Beispielsweise analysierte er, wie eine historisch stabile Währung plötzlich starke Schwankungen erfährt und somit eine Zahlungsbilanzkrise verursacht.
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      schrieb am 03.02.03 12:54:58
      Beitrag Nr. 7 ()
      Dossier: Wohin treibt Deutschland? Ein Blick in die Zukunft

      Es war einmal ein Land, das hatte die stärkste Armee weit und breit, die besten Schulen und Universitäten, eine kleine, hocheffiziente Verwaltung, wenige und einfache Gesetze. Es hatte eine Börse, an der die Aktien immer dann stiegen, wenn die Arbeitslosigkeit zurückging, und fielen, wenn sie zunahm. Dies bei einer Arbeitslosenquote zwischen 2 und 3%. Es hatte einen Kapitalmarkt, auf den man unbesorgt auf Sicht von 30 Jahren in Anleihen investieren konnte und dabei keine Kaufkraftminderung riskierte, denn das Geld blieb auch in der nächsten Generation stabil.
      In diesem Land stiegen die Exporte, wuchs die Wirtschaft, die Löhne und Einkommen nahmen stetig zu, der Mittelstand florierte, ein gelernter Maurer konnte mit drei Wochenlöhnen die gesamte Jahresmiete seiner Wohnung zahlen. In diesem Land wurden Gesetze, auch Steuergesetze, für Generationen gemacht. Und der Staatsanteil am Sozialprodukt - das ist das Erstaunliche - erreichte gerade einmal 14%.

      Was ich Ihnen eben erzählt habe, ist kein Märchen. Dieses Land gab es wirklich. Es war das deutsche Kaiserreich vor 1914. Die statistischen Angaben beziehen sich auf das Jahr 1912. Es war die freieste Gesellschaft, in der die Deutschen je lebten. Frei, weil das Kaiserreich souverän war, weil Rechtssicherheit herrschte, weil der Staat das Eigentum respektierte.

      Einige wenige Dinge sind seitdem gleich geblieben, das meiste aber hat sich radikal geändert.

      Gleich geblieben ist die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft und ihre weltweite Spitzenstellung in den Schlüsselindustrien Chemie und Werkzeugmaschinenbau. Und gleich geblieben ist auch die Struktur des deutschen Außenhandels. Schon damals gingen 75% der deutschen Exporte nach Europa, wobei der osteuropäische Anteil größer war als heute. Aber dieser wird in den kommenden Jahren seinen früheren Stand wieder erreichen. Es stimmt wirklich: schon damals herrschte reger Handel in Europa, und zwar bei freiem Kapitalverkehr. Nur brauchte man dafür keine EU, keine Bürokratie in Brüssel und erste recht keine deutschen Milliardenzahlungen in eine europäische Gemeinschaftskasse.

      Heute haben wir statt des Goldstandards eine europäische Zwangswährung, von der niemand sagen kann, wie lange sie hält und was sie in Zukunft wert sein wird. Heute haben wir einen Staatsanteil von rund 50%, und das Geld reicht den Herrschenden trotzdem nicht. Heute haben wir eine offizielle Staatsschuld von 1,2 Billionen Euro bei einem jährlichen Volkseinkommen von 1,5 Billionen Euro (Stand 2001) - eine Staatsschuld, die um ein Vielfaches höher ist, wenn der Staat ordentlich bilanzieren und die ungedeckten künftigen Sozialleistungen in seine Bilanz einstellen würde.

      Ein anderes Kuriosum besteht darin, daß sich dieser finanziell klamme Staat seit vielen Jahren Subventionen an das Ausland, vor allem an die EU, leistet, die weit über 30 Milliarden Mark per annum liegen, die faktisch aus dem Außenhandelsüberschuß Deutschlands aufgebracht werden und die dafür sorgen, daß das deutsche Auslandsvermögen seit 10 Jahren zurückgeht.

      Warum habe ich Ihnen die Geschichte aus der Kaiserzeit, die kein Märchen ist, erzählt?

      Zum einen, weil wir unsere heutige Situation nicht als selbstverständlich und alternativlos ansehen dürfen.
      Zum anderen, weil wir begreifen müssen, daß die Geschichte immer wieder große Brüche produziert, daß es gefährlich ist, von der Gegenwart auf die Zukunft zu schließen. Wer hätte schon 1912 geahnt, daß die geordnete und scheinbar festgefügte Welt des kaiserlichen Deutschland zwei Jahre später in einem grausamen, sinnlosen Krieg untergehen würde.

      Ich werde Ihnen jetzt sieben Prognosen für die Zeit bis 2010 vortragen und mich dabei nicht auf Deutschland beschränken, denn unser Land ist eingebettet in die Europäische Union, in die Weltwirtschaft und Weltpolitik.


      Prognose 1: Die große Rezession in den USA kommt erst noch.

      Immer noch gilt der Satz, daß die Wirtschaft unser Schicksal ist. Da die deutschen und europäischen Wirtschaftszyklen mehr oder weniger synchron mit den amerikanischen verlaufen, müssen wir unsere Prognosereihe mit einem Blick auf die größte Volkswirtschaft der Welt beginnen.

      Selbstverständlich sind die großen amerikanischen Wirtschaftszyklen nichts anderes als Kreditzyklen. Solange die Kredite ausgeweitet wurden, wuchs die Wirtschaft. Sobald ihr Wachstum stagniert, sobald die Kredite zu schrumpfen beginnen, kommt es zu einer Rezession oder Depression.

      Die Rede ist hier von den langen Zyklen. Nach 20 Jahren des Aufschwungs hat der amerikanische Wirtschafts- und Kreditzyklus sein Endstadium erreicht. Es wurde übrigens Mitte der 90er Jahre noch einmal künstlich verlängert, indem der Notenbankchef Greenspan massiv Liquidität, also frisches Geld, in das System pumpte.

      Jetzt ist der gesamte Schuldenberg der USA mit 30 000 Milliarden Dollar so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dreier Jahre. Das ist mehr als zu Beginn der Großen Depression 1929.

      Ein Drittel dieses Schuldenberges entfällt auf die privaten Haushalte. Die Achillesferse dabei sind die Hypothekenschulden, mit denen vor allem auch der Konsum finanziert wird. In den USA ist es nicht unüblich, daß ein Haus mit 100 bis 120% seines Marktwertes beliehen wird. 70% der Amerikaner haben einen Hypothekenkredit, 60% davon eine 90%ige Beleihung. Wenn die Immobilienpreise nicht mehr steigen (das kündigt sich bereits an) und anschließend sogar fallen, dann bricht das Kartenhaus zusammen. Die Konjunktur verliert ihre letzte Stütze. Normalerweise folgen die Hauspreise in Amerika dem Aktienmarkt mit einer Verzögerung von zwei Jahren.

      Fazit: Wir müssen in den USA in absehbarer Zeit, spätestens ab 2004, mit einer schweren Rezession oder Depression rechnen, die dann auch auf Deutschland und Europa ausstrahlt.


      Prognose 2: Die Börsenbaisse dauert zehn Jahre oder länger

      Prognose 1 beinhaltet bereits, daß die Baisse am amerikanischen Aktienmarkt zwar durchaus einmal unterbrochen werden kann, aber noch lange nicht abgeschlossen ist. Der Zusammenhang ist zwingend: Bis 1995 stiegen die US-Schulden und der Aktienmarkt mehr oder weniger im Gleichklang, und das nominale BIP folgte nach. Das ist der normale Ablauf.

      Ab 1995 öffnete sich die Schere ganz weit. Die Aktienkurse liefen den Schulden und dem Wirtschaftswachstum davon. Erst seit 2000 beginnt die Schere sich zu schließen. Aber: Um eine halbwegs normale Bewertung zu erreichen, müßten sich die amerikanischen Aktienindizes noch einmal halbieren. Das passiert normalerweise nicht in einem Zug. 1929 verlor der Dow Jones 37%, von 1930 bis 1932 81,8%.

      Ein ähnlicher Absturz würde ohne jeden Zweifel auch die reale Wirtschaft mit in die Tiefe ziehen. Es ist völlig normal, daß die Malaise zuerst an den Finanzmärkten sicht-bar wird und von dort aus die reale Wirtschaft ansteckt. Deswegen ist es nebenbei bemerkt grundfalsch, auf Volkswirte zu hören, wenn man Aktien kauft. Umgekehrt ist es richtig: die Volkswirte sollten sich den Aktienmarkt anschauen, bevor sie Wirtschaftsanalysen erstellen.

      Für den Aktienmarkt gilt dasselbe wie für die Wirtschaft: Amerika steckt Europa an. Damit droht auch der deutschen Börse - nach einer jederzeit möglichen Erholung von einigen Quartalen - eine lange Durststrecke, auch wenn einzelne Aktien schon jetzt nicht mehr teuer oder sogar preiswert sind. Eine Aktienhausse wie in den neunziger Jahren wird es in diesem Jahrzehnt nicht wieder geben. Die Höhe der Dividenden wird zu einem entscheidenden Kriteri-um für die Aktienanlage. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war es selbstverständlich, daß Aktien höher rentierten als Anleihen. Sie sind schließlich auch riskanter.


      Prognose 3: Nach den Aktienmärkten trifft es die Devisenmärkte

      Die drei Währungen, auf die es ankommt (Dollar, Euro und Yen) blieben bisher verschont, sind aber allesamt extrem krisenanfällig, und zwar aus verschiedenen Gründen.

      Für den Yen-Crash sprechen die atemberaubende Staatsverschuldung und das damit verbundene Inflationspotential, das sich bisher im Markt für japanische Regierungsanleihen nicht im geringsten wiederspiegelt. Eine offene Frage ist, ob ein Kollaps der Japanese Government Bonds die Währung mit nach unten zieht, oder ob umgekehrt zuerst der Yen abstürzt. Daß der Tag der Abrechnung so lange auf sich warten läßt, hängt natürlich damit zusam-men, daß Japan der größte Gläubiger der Welt ist. Ich muß auch zugeben, daß das japanische System für westliche Beobachter schwer durchschaubar ist. Japan ist im Grunde eine gelenkte Wirtschaft, keine Marktwirtschaft.

      Der Dollar-Crash ist eher leichter zu prognostizieren. Die USA haben ein jährliches Leistungsbilanzdefizit von rund 500 Milliarden Dollar. Das ist, bezogen auf das BIP, erheblich mehr als Anfang 1985 und weitaus mehr als Anfang der siebziger Jahre - also zu Zeiten, als schon einmal eine rasante Talfahrt des Dollars ausgelöst wurde.

      Dieses Leistungsbilanzdefizit bedeutet, daß die USA mehr verbrauchen als sie produzieren, daß sie mehr investieren können als sie sparen, daß sie Tag für Tag weit über eine Milliarde Dollar importieren müssen - mit einem Wort, daß sie sich vom Rest der Welt finanzieren lassen.

      Weil der Dollar Weltreservewährung Nummer 1 ist, kann das lange gut gehen - bis der Punkt erreicht ist, an dem das Ungleichgewicht nicht mehr tragbar ist, an dem der Rest der Welt nicht mehr mitspielt, an dem die USA selbst an einer Abwertung ihrer Schulden interessiert sind.

      Wir müssen klar sehen, daß die Dollar-Hegemonie untrennbar mit der politischen und militärischen Weltherrschaft der USA verbunden ist. Seit der spanischen Vorherrschaft im 16. Jahrhundert, ja sogar seit den Zeiten des römischen Imperiums, wird der Abstieg einer Weltmacht immer begleitet von Währungsverfall, von Inflation und steigenden Zinsen. England, der Vorläufer der USA, war der letzte derartige Fall. Auch die USA werden letzten Endes diesem Schicksal nicht entgehen.

      Nun zum Euro. In punkto Staatsverschuldung schneidet die Euro-Zone ungleich besser ab als Japan, in punkto Zahlungsbilanz besser als die USA. Nur handelt es sich bei der Euro-Zone weder um eine homogene Volkswirtschaft noch um einen optimalen Währungsraum. In Griechenland hat die Inflation schon wieder 3,6% erreicht, in Portugal ist die Produktivität nur halb so hoch wie in Deutschland, die Skandinavier haben ihre Staatshaushalte im Griff, die Deutschen und Franzosen nicht im geringsten.

      Weil hier zusammengefügt wurde, was nicht zusammenpaßt, werden die inneren Widersprüche dieser künstlichen Euro-Konstruktion aufbrechen - noch in diesem Jahrzehnt. Die Spreads der Staatsschulden werden sich ausweiten, d.h. die Finanzmärkte werden je nach Bonität unterschiedliche Zinsen verlangen. Dann werden einzelne Euro-Länder Schwierigkeiten mit der Bedienung ihrer Schulden bekommen. Gut denkbar ist auch, daß das eine oder andere Land aus dem Euro wieder ausscheidet. Damit ist freilich erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zu rechnen. Daß der Beitritt der osteuropäischen Länder zur Währungsunion den Euro nicht gerade stärken wird, bedarf keiner Erläuterung.

      Über die Abfolge dieser drei programmierten Währungskrisen kann man streiten. Vielleicht kommt erst der Yen an die Reihe, dann der Dollar und zuletzt der Euro. Zeitweise kann das auch, wie in den dreißiger Jahren, die Form eines Abwertungswettlaufs annehmen.


      Prognose 4: Der Stern Amerikas wird sinken.

      Auch das römische Imperium hatte zum Zeitpunkt seiner größten militärischen Ausdehnung unter Kaiser Trajan den Zenit bereits überschritten. Noch ist Deutschland eine "unglückliche Kolonie", um einen amerikanischen Soziologen zu zitieren. Noch ist Europa ein "amerikanisches Protektorat", wie Brzezinski sich ausdrückte. Aber die Verselbständigung Deutschlands und Europas zeichnet sich bereits ab. Die Interessengegensätze werden deutlicher. Schließlich werden sich die Europäer fragen, warum mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende immer noch amerikanische Truppen auf ihrem Boden stehen. Auch Sinn und Zweck der Nato, die sich von einem Verteidigungsbündnis zu einem rein amerikanischen Herrschaftsinstrument entwickelt hat, wird hinterfragt werden.

      Seit dem 11. September 2001 haben die USA einen Weg eingeschlagen, der abwärts führt - das jedenfalls ist die Lehre der Geschichte. Es handelt sich um einen Fall von "Imperial Overreach", von imperialer Überdehnung. Sie verzetteln sich. Sie sind politisch und militärisch an zu vielen Krisenpunkten engagiert. Sie vergessen, daß jedes Machtmonopol Widerstand provoziert - umso mehr, je länger es andauert.

      Damit steigt die Kriegsgefahr weltweit. Kriege brechen aus, wenn eine Weltmacht ihre Position zu verteidigen müssen glaubt (wie England gegenüber Deutschland 1914). Sie brechen aber auch aus in Zeiten von Börsenbaisse und Depression (wie in den dreißiger Jahren).

      Tatsächlich läßt sich seit 1894 ein ungefährer 30jähriger Zyklus nachweisen, der bisher immer mit einer schweren Rezession und kriegerischen Verwicklungen zu Ende gegangen ist.

      Der aktuelle Zyklus begann 1980. Sein kriegs- und krisenanfälliges letztes Drittel hat 2001 begonnen und kann durchaus bis 2010 dauern.


      Prognose 5: Der Sozialstaat in Deutschland wird insolvent.

      Damit steht das System Bundesrepublik in diesem Jahrzehnt vor seiner größten Bewährungsprobe seit 1949. Aufgebaut ist der Umverteilungsstaat auf einer parasitären Bürokratie, auf wirtschaftlicher Unvernunft, auf Täuschung und Selbsttäuschung. Lassen Sie mich das kurz schildern:

      * Zunächst ein Blick auf die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. 2001 hatte die öffentliche Hand in Deutschland Gesamteinnahmen von 951,5 Milliarden Euro und Ausgaben von 1009 Milliarden. Die größten Posten unter den Einnahmen waren Steuern mit 488,3 Milliarden und Sozialbeiträge mit 383,6 Milliarden. Letztere sind im Prinzip nichts anderes als verkappte Steuern.

      * Der mit Abstand größte Posten auf der Ausgabenseite sind die Sozialleistungen mit 548,1 Milliarden. Wir sehen sogleich, daß die Sozialleistungen sowohl die Sozialbeiträge als auch alle Steuern, die in einem Jahr in Deutschland eingenommen werden, bei weitem übersteigen. Ein grotesker, unhaltbarer Zustand.

      * Die Bereiche in Deutschland, die privatwirtschaftlich organisiert sind, funktionieren in der Regel trotz permanenter staatlicher Behinderung. Die Bereiche, die planwirtschaftlich organisiert sind, funktionieren nicht. Das gilt für Rentenversicherung und Gesundheitswesen. Was sich hier entwickelt hat, ist ein Monstrum. 1957 noch machten die Sozialbeiträge 23,8% vom Bruttolohn aus, heute sind es 41%. Parallel zu diesem parasitären Wachstum wucherte der Steuerstaat. Schätzungsweise 70% der weltweiten Steuerliteratur ist auf deutsch! Trotz der Einführung von Computern ist die Personalstärke dieser Bürokratie um ein Vielfaches gewachsen. Die Bundesanstalt für Arbeit hat 86 000 Beschäftigte - davon sind nur 10% in der Arbeitsvermittlung aktiv. Auf 300 000 Mediziner in Deutschland kommen 145 000 Angestellte der Krankenkassen. 40% der Aufwendungen für staatliches Wohngeld gehen für die Verwaltung verloren. Diese riesige Bürokratie hat längst auch die Parlamente unter ihre Kontrolle gebracht. Im Bundestag sind die Gewerkschaftsfunktionäre, Bürokraten und Berufspolitiker unter sich. Die Wahlen sind zu Ritualen verkommen, die der Perpetuierung des bürokratischen Herrschaftssystems dienen.

      * Die Wähler werden getäuscht und lassen sich täuschen. Nicht einmal die einfachsten Zahlen stimmen. Z.B. wird uns erzählt, daß das Rentenniveau bis 2030 von 70% des letzten Nettogehaltes auf 67% absinken werde. Das klingt harmlos, es bezieht sich freilich auf die rein theoretische Eckrente. In Wirklichkeit bekommen die Haupteinkommensbezieher (von denen mit kleinem Einkommen gar nicht zu reden) schon heute im Durchschnitt nur noch 59% ihres letzten Nettoentgeltes. Die Methoden, mit denen gearbeitet wird, heißen Intransparenz und Angst. Der Umver-teilungsstaat wird bewußt undurchsichtig gehalten, Kostenrechnungen sind schon wegen der ständigen Quersubventionierungen kaum möglich. Die Politiker nähren die Illusion, daß das System mehr ausspuckt, als vorher hineingesteckt wurde.

      * Weil die Leute Angst haben, glauben sie, sie bräuchten die Politiker. Dabei sind diese fast nur noch mit der Scheinlösung oder Verschleppung selbst geschaffener Probleme beschäftigt - und ziehen eben daraus den Nachweis ihrer Existenzberechtigung. Das beste Konjunkturprogramm wäre ein Sabbat-Jahr für sämtliche Politiker.

      Wann wird das System auf Grund laufen? Langfristig muß es scheitern, weil aus demographischen Gründen die Steuer- und Beitragszahler im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung immer weniger werden. Die verheerenden Folgen des Geburtendefizits sind seit langem bekannt, wurden aber in unverantwortlicher Weise ignoriert. Bis 2010 wird die Bevölkerung (ohne Zuwanderung) um 2,5 Millionen abnehmen, danach beschleunigt sich der demographische Zusammenbruch rasant. Bis 2040 wird die Bevölkerung um 18 Millionen geschrumpft sein. Das ist mehr, als heute in den neuen Bundesländern leben.

      Viel schlimmer und tödlich für den Umverteilungsstaat ist die Alterung. Bis 2040 geht der erwerbsfähige Teil der Bevölkerung um 16 Millionen zurück. Daß diese Lücke auch nur zu einem nennenswerten Teil durch Einwanderer geschlossen werden kann, ist eine glatte Lüge.

      Zugegeben, die demographische Katastrophe wird den Umverteilungsstaat in diesem Jahrzehnt noch nicht mit voller Wucht treffen. Das akute, mittelfristige Problem liegt im miserablen Wirtschaftswachstum und den damit verbundenen Steuerausfällen.

      Wenn meine Prognose stimmt, daß die Konjunktur das ganze Jahrzehnt über im Trend schwach bleibt, dann droht dem Sozialstaat schon in diesem Jahrhundert die Insolvenz.

      Was passiert dann? Massive Steuererhöhungen werden zwar versucht, greifen aber nicht mehr, weil sie unter dem Strich zu einer Minderung, nicht etwa zu einer Verbesserung, der Steuereinnahmen führen würden. Ein Zusammenhang, den die bekannte Laffer-Kurve bestens erklärt.

      Andere Möglichkeit: Ein radikaler Umbau des Umverteilungssystems. Dazu müßten vorher dessen Machtstrukturen gebrochen werden, vor allem das Gewerkschaftskartell. Daß eine amtierende Gewerkschaftsregierung die Gewerkschaften entmachtet, ist wohl ein bißchen viel verlangt.

      Bleibt als vorläufiger Ausweg eine Kombination von Sozialkürzungen, Neuverschuldung und Inflation. Die Schulden steigen dann nominal, aber nicht unbedingt real, weil sie gleichzeitig entwertet werden. Geopfert wird dabei der Geldwert. Das ist im Prinzip machbar, seitdem mit dem Euro die Konkurrenz der Währungen in Europa abgeschafft wurde.


      Prognose 6: Die Ära der 68er Geht zu Ende

      Damit kommen wir zum erfreulicheren Teil meiner Prognosen. Die Regierung, die seit 1998 an der Macht ist, rekrutiert sich ideologisch und personell weitgehend aus der Bewegung der 68er. Erst kam die Kulturrevolution, dann die Eroberung der Ämter. Die 68er sind kollektivistisch, anti-liberal, anti-Marktwirtschaft, anti-Familie, anti-christlich, multikulti, partiell anti-national, in jedem Fall aber pro-Staatsknete. Auch diese Generation altert, sie verliert in den kommenden Jahren die geistige Hegemonie, die sie Ende der neunziger mit dem sogenannten "Kampf gegen Rechts" noch einmal zementierten konnte. Sie wird selbstverständlich abtreten müssen. Vielleicht schon 2006, spätestens 2010. Dann schwingt das Pendel zurück zu konservativen, nationalen und liberalen Positionen.

      Wenn das Geburtendefizit erst einmal als Problem Nummer 1 erkannt ist, wird der Wert der Familie wieder entdeckt. Außerdem gilt: Je älter die Bevölkerung, desto größer der Stellenwert der Inneren Sicherheit. Je diffuser und anonymer die EU, desto attraktiver die Nation. Und je weiter wir uns vom 20. Jahrhundert entfernen, desto wirkungsloser wird das Erpressungspotential der deutschen Vergangenheit.

      Es gibt wohl kaum eine bessere Symbolfigur für die Ineffizienz des Linkskartells, als den Berliner Bürgermeister Wowereit - eine narzißtische Null, die mit der Leitung einer konkursreifen Stadt beauftragt wurde. Solche Figuren sind Auslaufmodelle.


      Prognose 7: In Deutschland entsteht ein anderes Parteiensystem.

      Die Überlegung ist einfach und einleuchtend: Wenn sich Volksmeinung und Parteiensystem nicht mehr decken, dann ändert sich in einer Demokratie nicht das Volk, sondern das Parteiensystem.

      Nach einer Allensbach-Umfrage von Anfang 2002 ordnen sich 30% der Deutschen im politischen Spektrum als rechts ein, 31% als links, 36% als Mitte. (Interessant am Rande, daß die Sozialdemokratie im Reichstag von 1912 mit 34,8% nur wenig schwächer war als heute.) Dem Meinungsspektrum entspricht die heutige Parteienlandschaft nicht im geringsten. Der rechte Flügel fehlt. Daß er fehlt, hat nicht zuletzt mit der kulturzerstörenden Hegemonie der 68er zu tun. Sobald diese schwindet, kommt Bewegung in die politische Landschaft.

      Denkbar ist, daß die prinzipiell opportunistische CDU dem neuen Zeitgeist folgt, daß sie wieder einen konservativen und nationalliberalen Flügel herausbildet und damit auch das rechte Spektrum abdeckt. Das wäre die hessische Lösung, der nächste Bundeskanzler hieße Roland Koch. Mit Angela Merkel ist das nicht zu machen. Sie ist ein Produkt der Ära Kohl und repräsentiert die "letzte Schwundstufe des Konservatismus".

      Einen ersten mutigen Vorstoß zur geistigen Wende in der CDU machte der Bundestagsabgeordnete Axel Fischer in einem Interview mit der Zeitschrift Der Selbständige. Er verlangte die Entideologisierung und Enttabuisierung der politischen Debatte und die Überwindung der politischen Korrektheit. "Die Alternativen heißen: Freiheit oder Sozialismus, Pioniergeist oder Vollkaskomentalität, Eigenverantwortung oder Staatsveranwortung, Marktwirtschaft oder Bürokratie."

      Nicht völlig auszuschließen ist auch eine Entwicklung à la Österreich, d.h. die Metamorphose der FDP zu einer nationalliberalen Volkspartei. Dazu gab es 2002 erste Ansätze. Aber auch dies ist ein Generationenproblem. Zumindest ist die FDP eine Option, auf die man achten sollte.

      Vorstellbar ist auch die italienische Lösung, nämlich das Entstehen einer neuen bürgerlichen Partei, die sich national und liberal präsentiert. Eine kollektivistische Bewegung, die sich national und sozialistisch zugleich gibt, wird in Deutschland keine Chancen haben. Alle populistischen und rechten Parteien, die in den letzten Jahren in Europa Erfolg hatten, sind marktwirtschaftlich und freiheitlich orientiert.

      Meine Grundüberlegung ist, daß das herrschende Parteienkartell in der Wirtschaftspolitik, in der Steuerpolitik, in der Bevölkerungspolitik, in der Ausländerpolitik (um nur die wichtigsten Felder zu nennen) versagt hat, daß es reformunfähig ist und daß dieses Versagen in den kommenden Jahren offenkundig werden wird. Dann wird die Öffentlichkeit nach einem Kabinett der Fachleute rufen. In der Politik ist es wie in der Wirtschaft: man kann die Realität nur eine Zeitlang ignorieren, man kann die Bilanzen nur eine Zeitlang fälschen, man kann nicht permanent von der Substanz leben.

      Soweit der Versuch eines Blicks in die Zukunft. Dabei ist das worst-case-Szenario, d.h. das Szenario des schlimmsten Falls, noch nicht berücksichtigt. Es orientiert sich an den dreißiger Jahren. Es setzt voraus, daß das Sozialprodukt nicht für ein paar Quartale, sondern für einige Jahre zurückgeht. Dann würde die Steuerbasis schlicht und einfach wegbrechen, die Sozialleistungen müßten brutal gekürzt werden, die politische Szene würde sich radikalisieren, die Kriminalität würde explodieren, innere Unruhen (auch von Seiten des Millionenheeres arbeitsloser Ausländer) würden ausbrechen, die Bundeswehr müßte eingesetzt werden, die EU könnte samt Euro auseinanderbrechen. Ein solches Szenario mag unwahrscheinlich sein, wir müssen es aber vorsichtshalber in unsere Zukunftsplanung einbeziehen.

      Wie auch immer, vor uns liegen Jahre der Entscheidung. Gefragt ist wieder einmal die Regenerationsfähigkeit des deutschen Volkes.



      (Der Text basiert auf einem Vortrag des Deutschland-Brief-Herausgebers vor dem Club Staat und Wirtschaft.)


      Dr. Bruno Bandulet






      Autor: Dr. Bruno Bandulet (Herausgeber des Goldbriefes: G & M)
      Kontakt: www.Bandulet.de, info@deutschlandbrief.net
      Quelle: "Deutschland Brief", Ausgabe Dezember 2002
      Stand: 12/2002,


      Avatar
      schrieb am 03.02.03 12:58:08
      Beitrag Nr. 8 ()
      "Dritte" Welt...
      Warum einen Artikel mit dem Thema Dritte Welt in einem Heidelberger Sozialinfo? Warum nicht! Der Artikel beschäftigt sich mit der sozialen und wirtschaftlichen Situation der Menschen in der Dritten Welt. Was das mit uns zu tun hat? Eine ganze Menge, denn schließlich ist die BRD in das Internationale Handels- und Wirtschaftsgeflecht eingebunden und hat als eines der reichsten Länder der Welt eine ganze Menge zu sagen. Mit der internationalen Politik wird direkt und indirekt die wirtschaftliche Situation in allen, vor allem aber den von ausländischer Hilfe abhängigen Ländern beeinflußt. So können wir uns nicht davor verschließen, daß wir am Elend der Dritten Welt Mitschuld haben.

      Angesichts aller materiellen und ideellen Profite, die die westlichen Industrieländer aus der Abhängigkeit der "Entwicklungsländer" bisher geschlagen haben und weiterhin schlagen, stellt sich die Frage, welches eigentlich in Wirklichkeit die Schuldner und welches die Gläubigerländer sind.

      Täglich sterben alleine in Afrika 10000 Kinder, über ein Viertel der afrikanischen Bevölkerung ist unterernährt. In den 80er Jahren ist der Prokopf-Verbrauch in Afrika um ein Fünftel gesunken. Entgegen den Erwartungen der Entwicklungsstrategen haben sich Armut, Hungerkatastrophen und Verschuldungsproblematik in den Ländern der Dritten Welt im Laufe des letzten Jahrzehnts dramatisch verschärft. Die Ursachen dieser Armut liegen nicht nur in einer rückständigen Wirtschaftsstruktur der Entwicklungsländer (EL), korrupten Eliten und Überbevölkerung. Sie liegen auch und vor allem in einem Weltwirtschaftssystem, das die reichen Industrieländer des Nordens begünstigt und die EL immer weiter in Abhängigkeit und Verarmung treibt. Die Schulden der EL haben inzwischen die astronomische Höhe von über 1 Billion US $ erreicht. Längst übersteigt der Schuldendienst, d.h. fällige Zins- und Kreditrückzahlungen, die Beträge die als "Entwicklungshilfe" und Neukredite in die "Dritte Welt" fließen, so daß in Wirklichkeit ein Nettokapitaltransfer von den EL in die reichen westlichen Industrieländer stattfindet.

      Internationale Finanzpolizisten: IWF und Weltbank
      Die Schwesterorganisationen Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank wurden nach dem 2. Weltkrieg zur Garantie eines freien Welthandels gegründet. Der IWF überwacht die Wechselkurse und damit die Währungspolitik seiner Mitgliedsländer und gewährt bei kurzfristigen Zahlungsbilanzschwierigkeiten Kredite. Mit Beginn der Schuldenkrise in den 80er Jahren weitete sich seine Funktion jedoch aus. Die Zahlungsunfähigkeit Mexikos 1982 rückte den Privatbanken, die bis dahin bereitwillig Kredite an Dritte-Welt-Länder vergeben hatten, das eingegangene Risiko ins Bewußtsein und schürte die Angst vor einem Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems. Seitdem machen die Privatbanken IWF-Abkommen zur Voraussetzung für neuerliche Kreditvergabe.

      Weltwährungsformel: Geld=Macht=Mehrheit
      Die Höhe des Kredits, den ein Land vom IWF erhalten kann, wird durch seine "Quote" bestimmt. Nach dieser Quote, die die wirtschaftliche Situation eines Landes widerspiegeln soll, richten sich auch Einzahlungsverpflichtungen und Stimmrechte des Landes. Obgleich die EL zahlenmäßig die große Mehrheit darstellen, ist ihr Stimmengewicht im Fonds aufgrund dieser Quotenregelung verschwindend gering. So verfügen die fünf quotenstärksten Länder (USA, GB, BRD, Frankreich und Japan) über 42,3% der Stimmen, 122 EL zusammen hingegen nur über 31,3% (1984). Zwar ging der Stimmenanteil der USA von ursprünglich 31% bis 1984 auf 19% zurück, dieser Anteil ist jedoch noch immer ausreichend, um Quotenänderungen zu blockieren, da hierfür 85%-Mehrheiten erforderlich sind. In der Schwesterorganisation Weltbank ist die Stimmenverteilung entsprechend. Die Weltbank gibt Darlehen für von ihr ausgesuchte und überwachte Entwicklungsprojekte. Dies sind meist Großprojekte im Bereich des Verkehrswesens und der Stromversorgung aber auch in der Landwirtschaft, die die Basis für exportorientierte, devisenbringende Produktionsweise legen sollen.

      Zuckerbrot und Peitsche - Kreditvergabebedingungen
      Bedingung für die Vergabe von IWF- oder Weltbank-Krediten ist das Aushandeln eines sogenannten Stabilisierungsprogramms. Grundsätzliche Ziele der IWF-Stabilisierungsprogramme sind die Durchsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien, die Integration in den Weltmarkt und die Bekämpfung der Inflation. Eine der Hauptforderungen des IWF ist die Begrenzung des Haushaltsdefizits durch Senkung der Staatsausgaben. Dies bedeutet, daß Subventionen für Grundnahrungsmittel und öffentliche Dienstleistungen sowie Sozialleistungen eingeschränkt werden müssen. Außerdem verlangt der IWF die Privatisierung oder Schließung unrentabler Staatsunternehmen. Reallohnsenkungen und Freigabe der Preise sollen die Wirtschaft ankurbeln, erreichen aber meist das Gegenteil, da dies nicht nur zu weiterer Verelendung der ohnehin Armen führt, sondern auch die inländische Nachfrage und damit die Absatzchancen reduziert. Schließlich soll die Abwertung der Landeswährung Importe verteuern und Exporte erleichtern, um so die Zahlungsbilanz zu verbessern. Dies soll die Beseitigung von Zahlungsrückständen im Schuldendienst ermöglichen, die die Voraussetzung für neue Kreditvergabe darstellen.

      Solange wir kassieren, dürft ihr euch entwickeln
      Die Öffnung zum Weltmarkt durch den Abbau von Handelshemmnissen wie Schutzzöllen oder Importbeschränkungen soll ausländische Investoren anlocken. Allerdings schafft die Ansiedlung transnationaler Konzerne zwar Arbeitsplätze, die Gewinne werden jedoch in die Heimatländer der jeweiligen Unternehmen transferiert. Außerdem führt die Liberalisierung des Außenhandels zu verstärktem Konkurrenzdruck für inländische Unternehmen, dem sie häufig nicht gewachsen sind. Daher ist häufig ein rapider Anstieg der Anzahl der Firmenpleiten die Folge eines IWF-Programms. Für den größten Teil der Bevölkerung führen diese Stabilisierungsprogramme zu noch größerer Verarmung. Statt des proklamierten Ziels einer langfristigen Stabilisierung der Wirtschaft sind meist Verelendung, Wirtschaftskrise und soziale Unruhen die Folge. Nur unter dem Aspekt einer Verbesserung der Zahlungsbilanz, die die Bedienung des Schuldendienstes ermöglicht und somit die Gläubigerbanken vor dem Ruin bewahrt, haben die IWF-Programme Erfolg. Durch die restriktive Auflagenpolitik, die aus dem Fundus wirtschaftsliberaler Ideologien der Marktpolitik stammt und die Monopolstellung des IWF als "internationalem Finanzpolizisten" wird sozialreformerisch orientierten Regierungen von vornherein der Zugang zu Krediten beschnitten.

      Die Verdopplung der Abhängigkeit - Die Hure gibt nicht nur ihren Körper, sondern muß dafür auch noch bezahlen!
      Bereits verschuldeten und von weiterem Kapitalzufluß abhängigen Dritte-Welt-Regierungen bleibt also nichts anderes übrig, als ihre Wirtschaftspolitik an den Forderungen des IWF auszurichten, d.h. unter Inkaufnahme sich verschärfender sozialer Ungleichheiten, wachsender Armut und des Zusammenbruchs eines Teils der nationalen Wirtschaft Handelsbilanzüberschüsse zu erwirtschaften und diese als Schuldendienstzahlungen an die Industrieländer zu transferieren.

      Im Schraubstock der Verschuldung
      Um ihren Schuldendienstverpflichtungen nachkommen zu können, müssen die EL einerseits neue Kredite aufnehmen, bzw. Umschuldungsabkommen aushandeln, was ohne eine Anpassung an die Bedingungen, die IWF und Weltbank diktieren, nicht möglich ist. Andererseits müssen sie ihre Exporte ständig steigern um die verfallenden Weltmarktpreise für ihre wichtigsten Exportprodukte, Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte, auszugleichen. Da dies das Angebot noch zusätzlich erhöht, sinken die Preise weiter. IWF und Weltbank, Repräsentanten und Garanten des bestehenden kapitalistischen Weltwirtschaftssystems, gehen davon aus, daß langfristig auch die EL vom freien weltweiten Handel profitieren, wenn jedes Land nur die Güter produziert, die es aufgrund seiner natürlichen Gegebenheiten am kostengünstigsten produzieren kann. Da viele EL jedoch nur sehr wenige Güter konkurrenzfähig anbieten können, geraten sie in extreme Abhängigkeit von den Weltmarktpreisen dieser Produkte. Die dringende Notwendigkeit, Devisen zu erwirtschaften, zwingt viele Regierungen dazu, die Produktion ihrer Hauptexportgüter weiter zu steigern. Dies sind meist Rohstoffe oder in auf die Kolonialzeit zurückgehenden Monokulturen angebaute Früchte.

      Beispiel: Kaffee
      Kaffee ist nach Erdöl das wichtigste Exportprodukt der EL. Bis 1989 bestand ein internationales Kaffeeabkommen zwischen Erzeuger- und Verbraucherländern, das für die einzelnen Länder Exportmengen festlegte. Im Juli 1989 platzte das Abkommen, da die Länder über die Exportquoten keine Einigung erzielen konnten. Das daraufhin entstandene Überangebot an Kaffee führte zum Preisverfall, während gleichzeitig die vom Kaffee-Export abhängigen Länder ihre Produktion weiter steigern, um die Einnahmeverluste auszugleichen. Beispielsweise verbietet die kenianische Regierung den Bauern, andere Früchte anzupflanzen und fördert den Neu- oder Ausbau von Kaffeeplantagen. Trotz der propagierten Exportdiversifizierung fördert die Weltbank dies mit einem Kredit über 160 Mio DM. Uganda, das 90% seiner Deviseneinnahmen aus dem Kaffee-Export bezieht, ist vom Kaffeepreisverfall extrem betroffen. Zwischen 1986 und 1989 verringerten sich seine Einnahmen durch Kaffee von 400 auf 150 Mio $. Wir profitieren natürlich von dieser Situation. Für die bundesdeutschen Verbraucher haben sich Importe aus den EL (ohne OPEC) zwischen 1985 und 1989 um 26.4% verbilligt. Die Rohkaffee-Einfuhren waren im Dezember 1989 um 68.5% billiger als 1985. Bei Kakao gingen die Preise sogar um 73.7% zurück.

      Dürftige Exporteinnahmen - Überhöhte Importpreise
      Weitere Nachteile entstehen den EL aus überhöhten Importpreisen die sie - aufgrund noch immer bestehender Abhängigkeiten von ihren früheren Kolonialmächten - im Vergleich zu anderen Ländern zum Teil bezahlen. Einem Artikel in der Weltbankzeitschrift "Finanzierung und Entwicklung" vom Juni 1990 zufolge zahlten die ehemaligen französischen Kolonien zwischen 1962 und 1987 für Importe von Eisen- und Stahlprodukten aus Frankreich im Durchschnitt 24% mehr als andere Länder. Der gegenwärtige Dollarwert der in diesem Zeitraum entstandenen Verluste beträgt allein für die in der Studie erfaßten Stahlprodukte ca. 900 Mio $. Auf alle Eisen- und Stahllieferungen unter Einbeziehung der nicht erfaßten Produkte hochgerechnet, ergäbe sich ein Verlust von 2 Mrd. $. - Ein Betrag, der ungefähr der gemeinsamen Verschuldung von Burkina Faso, der Zentralafrikanischen Republik, dem Tschad und Mauritius entspricht. Für die ehemaligen Kolonien Portugals, Großbritanniens und Belgiens ergeben sich ähnliche Aufschläge.

      Angesichts aller Profite, die die westlichen Industrieländer aus der Abhängigkeit der Entwicklungsländer schlagen, stellt sich die Frage, welches eigentlich in Wirklichkeit die Schuldner und welches die Gläubigerländer sind.

      Der Verbrauch von direktvermarktetem Kaffee z.B. ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Verschuldungsproblem der Länder der sog. Dritten Welt kann ohne eine Veränderung der internationalen Handelsbeziehungen, der die sofortige Streichung der Schulden vorausgehen müßte, nicht gelöst werden. Dennoch ist die Unterstützung von Selbsthilfeprojekten ein wichtiger Beitrag, den jedeR Einzelne leisten kann.

      Sabine (Aus Unimut Nr. 38 vom 16.4.1991)

      Wo kein Widerstand ist, werden Untätige zu Mitläufern und damit mitverantwortlich.


      http://www.uni-heidelberg.de/stud/fsk/referate/soziales/sozh…
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      schrieb am 09.02.03 15:57:04
      Beitrag Nr. 9 ()
      Das Thema Geld steckt voller Widersprüche. Es fasziniert fast jeden Menschen und kontrollliert sogar einen Großteil unseres Lebens; dennoch ist es nach wie vor ein Tabu zu fragen, wie viel Geld jemand besitzt oder woher er es hat. Hochgebildete Spezialisten unternehmen große Anstrengungen, ihr Geld zu investieren; dennoch erzeugten diese völlig rationalen Menschen in jeder Generation der vergangenen 250 Jahre völlig irrationale Finanzbooms, auf die katastrophale Zusammenbrüche folgten. In Mysterium Geld wird zum ersten Mal erklärt, warum und wie diese Widersprüche zu einem Kennzeichen unserer modernen Gesellschaft wurden. Das Buch zeigt auch, warum der derzeitige Boom bei den Hightech-Aktien keine Ausnahme bilden und sich nahtlos in die 42 historischen Präzedenzfälle für Spekulationszyklen einreihen wird, die von der holländischen ,,Tulpomanie" im Jahr 1637 bis zum Börsenkrach an der Wall Street 1929 und dem japanischen Crash 1990 reichen.
      Auch andere Geheimnisse des Geldes werden gelüftet. So stehen Frauen zum Beispiel an der Spitze von Ländern, Unternehmen, Universitäten und anderen wichtigen Einrichtungen, doch weibliche Präsidenten einer Zentralbank und selbst anderer bedeutender Banken sind so selten wie weibliche Päpste. Weisen die Grundstrukturen unserer Währungssysteme eine bestimmte Eigenschaft auf, die dieses Phänomen erklärt?
      Das ist tatsächlich der Fall: Es zeigt sich, dass unser derzeitiges Währungssystem definitiv eine ,,maskuline" Tendenz hat. Diese Tendenz bewirkt unter anderem, dass den gemeinschaftlichen, fürsorgenden Seiten unserer Gesellschaft systematisch Ressourcen entzogen werden. Weitere Folgen sind der Zerfall der Gemeinschaft und die Umweltzerstörung. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Zum ersten Mal seit Jahrhunderten künden aktuelle Veränderungen des Währungssystems von einem möglicherweise fundamentalen Wandel.
      Geld ist eine Vereinbarung, die im Allgemeinen unbewusst getroffen wird. Oft wurde sie so verinnerlicht, dass die meisten Menschen unser Währungssystem für selbstverständlich halten und sich ein anderes System nicht einmal vorstellen können. Selbst der Euro ist nur eine konventionelle Bankgeld-Währung, die auf ein geographisch größeres Gebiet angewandt wird. In Das Geld der Zukunft wird jedoch gezeigt, dass sich unbemerkt von den Massenmedien und der offiziellen Sichtweise eine ganz andere Währungsrevolution vollzieht. Neue Komplementärwährungssysteme, die als Ergänzung zu den konventionellen Landeswährungen fungieren, bieten Möglichkeiten, die bereits effektiv zur Lösung wichtiger Probleme beigetragen haben. Das ist keine graue Theorie, denn 2500 Gemeinschaften in aller Welt geben derzeit ihre eigene Währung heraus, die unabhängig von der Landeswährung ist. Bei einigen dieser neuen Währungen handelt es sich um Papiergeld, wie zum Beispiel in der Stadt Ithaca im US-Bundesstaat New York oder die Talentwährung in der Schweiz. Der Großteil der Gemeinschaften in Kanada, Australien, Großbritannien, Deutschland oder Frankreich gibt jedoch elektronische Komplementärwährungen aus.
      Warum entstehen solche Initiativen gerade jetzt? Kurz und bündig kann man antworten, dass diese Inititiativen Probleme bewältigen, die sich im Rahmen eines einzelnen konventionellen Währungssystems als unlösbar erwiesen. Erst kürzlich zeigte eine Umfrage der Zeitung Die Woche, dass nur wenige Deutsche die politischen Parteien für fähig halten, die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen oder die Probleme zu lösen, die durch die Kosten einer Überalterung der Bevölkerung entstehen. Komplementärwährungen haben dagegen in Japan, Neuseeland und Australien bereits bewiesen, wie beide Probleme effektiv angegangen werden können. Andere drängende Probleme -- etwa die Umweltzerstörung -- können ebenfalls durch die Verwendung dieser Währungsinnovationen behoben werden.


      Weitere Informationen und Auszüge aus beiden Büchern finden Sie auf der Website http://www.futuremoney.de
      Über den Autor
      Nur wenige Menschen können auf eine ähnliche Bandbreite an praktischen Erfahrungen mit Währungssystemen verweisen wie Bernard Lietaer. Während seiner Zeit bei der belgischen Zentralbank war er mitverantwortlich für die Entwicklung des ECU, des Konvergenzmechanismus, der zur europäischen Einheitswährung führte. Bernard Lietaer fungierte des weiteren als Präsident des belgischen elektronischen Zahlungssystems. Seine Beratertätigkeit in Währungsfragen auf vier Kontinenten reicht von multinationalen Konzernen bis zu Entwicklungsländern. Er gründete den erfolgreichsten Währungsfonds und arbeitete als dessen Geschäftsführer und Währungshändler. Bernard Lietaer war Professor für Internationales Finanzwesen an der Universität von Louvain, Gastprofessor für archetypische Psychologie an der Sonoma State University und Forschungsstipendiat am Zentrum für nachhaltige Ressourcen an der kalifornischen Universität Berkeley
      Avatar
      schrieb am 09.02.03 16:01:59
      Beitrag Nr. 10 ()
      Entstehung und Ausbreitung des Patriachats - die "Saharasia"-These

      Wüstenbildung und Hungersnöte als historischer und geographischer Ursprung emotionaler Panzerung
      von Dr. James DeMeo

      zusammengefaßt von Heike Görner

      James DeMeo hat in jahrelangen geographischen Studien Beweismaterial zusammengetragen, die den Zusammenhang zwischen der weltweiten Verwüstung und den daraus resultierenden regionalen Verschiedenheiten menschlichen Verhaltens aufzeigt.

      DeMeo untersuchte v.a. traumatische und unterdrückender Haltungen, Verhaltensweisen sozialer Gewohnheiten und Institutionen und stellte fest, daß diese eng mit Gewalt und Krieg in Verbindung stehen. Klinische und kulturvergleichende Beobachtungen der biologischen Bedürfnisse von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen und deren gewaltsame Unterdrückung durch Institutionen oder/und harte Umweltbedingungen zeigten eindeutig, daß die daraus resultierenden Folgen wieder unterdrückendes und zerstörerisches Verhaltensweisen sind. Hier verifiziert er eine kausale Beziehung zwischen traumatischen und repressiven sozialen Institutionen und destruktiver Aggression und Krieg.

      Paläoklimatische und archäologische Feldstudien belegen auf der anderen Seite die Existenz einer ehemaligen, auf der ganzen Welt vorhandenen Periode relative friedlicher sozialer Bindungen, in der Krieg, Männerherrschaft und destruktive Aggression fast völlig fehlten. Mit einer abrupten Klimaänderung, die eine fruchtbare und regnerische Phase beendete, verwandelten sich vormals friedliebende, demokratische und matristische Lebensbedingungen, deren Prinzip der Überfluß und die Freiheit war, in gewaltvolle, kriegerische und despotische.


      Unterschiedung von matristischer und patristischer Kultur
      Ausgehend von den Forschungen Wilhelm Reichs war das Interesse DeMeos, eine globale geographische Analyse sozialer Faktoren in Verbindung zu Kindheitstraumata und Sexualunterdrückung zu erstellen. Nach Reich ist - im Gegensatz zu Freuds Theorien - destruktive Aggression und sadistische Gewalt des Menschen ein völlig unnatürlicher Zustand, der aus traumatischen Unterdrückungen und Hemmungen der Atmung, des emotionellen Ausdrucks und der lustorientieren Impluse herrührt. Diese Blockaden setzen sich durch soziale Institutionen und schmerzvolle, lustfeindliche Rituale fest. Zu finden sind diese Praktiken sowohl bei sogenannten "primitiven", als auch bei "zivilisierten" Gesellschaften. Als Beispiele werden von DeMeo angeführt: "unbewußtes und rationalisiertes Zufügen von Schmerz an neugeborenen Säuglingen und an Kindern…; Trennung und Isolation des Kindes von seiner Mutter; Gleichgültigkeit gegenüber weinenden und aufgeregten Kindern; ständige Immoblilisierung durch Eingewickeltsein; Verweigerung der Brust oder verfrühte Entwöhnung des Kindes; Beschneidung von kindlichen Körperteilen, gewöhnlich der Genitalien; traumatische Reinlichkeitserziehung sowie die durch körperliche Strafen und Drohungen erzwungene Forderung, ruhig, gehorsam und nicht neugierig zu sein" (emotion, S. 109).

      Institutionen, die die Sexualität kontrollieren oder zerstören wollen, sind z.B. das weibliche Jungfräulichkeitstabu und erzwungene oder festgelegte Heiraten, die in Kulturen auftreten, die einen patriachlen Gott verehren.
      Nachweisbar sind die neurotischen, psychotischen, selbstzerstörerischen und sadistischen Komponenten menschlichen Verhaltens Folgen von schmerzvollen und unterdrückenden sozialen Institutionen.
      Sexualökonomisch beleuchtet spielt sich folgendes ab: die erfahrenen schmerzhaften Traumata verankern sich im Körper des Heranwachsenden als chronischer charakterlicher und muskulärer Panzer, d.h. die biophysikalischen Prozesse, die sich als vollständige Atmung, emotioneller Ausdruck und sexuelle Entladung während des Orgasmus zeigen, werden durch diesen Panzer blockiert und lassen diese bioenergetischen Spannungen aufstauen. Nach Reich bewirkt diese aufgestauten, innerlichen Spannungen eine sadistische, unbewußte und selbstzerstörerische Verhaltensweise des Körpers. Es sind also primäre menschliche Bedürfnisse, die hier unterdrückt und gehemmt werden und diese Folgen nach sich ziehen.

      Interessanterweise gab es bis in die jüngste Vergangenheit tatsächlich Kulturen, die gewaltfrei, demokratisch und friedvoll - mit stabilen monogamen Familienbindungen - lebten. Reich konnte anhand der Bedingungen der Trobriandergesellschaft die Richtigkeit seiner klinischen und sozialen Entdeckungen beweisen und somit Freud mit der Behauptung der kulturübergreifenden Natur der kindlichen Latenzperiode und des Ödipuskomplex widerlegen.

      Kulturvergleichende Forschungen haben gezeigt, daß Gesellschaften, die Säuglinge und Kinder Traumata und Schmerz zufügen und emotioneller und sexueller Ausdruck unterdrückt wird, neutrotische, gewaltvolle und selbstzerstörerische Verhaltensweisen hervorbringen. In Gesellschaften, in denen Kinder und Säuglinge nicht traumatisiert oder sexuelle Regungen unterdrückt werden, die liebevolle und körperliche Zuwendung erfahren, sind ausnahmslos psychisch gesund und gewaltlos.

      Taylor (1953) hat ein Schema entwickelt, indem er unterdrückende und tabuisierende Gesellschaften, die er patristisch nennt, den Gesellschaften gegenüberstellt, deren soziale Institutionen die liebevollen Bindungen Mutter - Kind und Frau - Mann beschützen und fördern (matristisch).

      Merkmal patristisch (gepanzert) matristisch (ungepanzert)
      Säuglinge, Kinder und Jugendliche weniger Nachsicht, wenig körperliche Zärtlichkeit, traumatisierte Säuglinge, schmerzvolle Initiationsriten, Beherrschung durch die Familie, geschlechtsgetrennte Häuser oder Militär mehr Nachsicht, mehr körperliche Zärtlichkeit, nicht traumatisierte Säuglinge, Fehlen von schmerzhaften Initiationsriten, Kinderdemokratien, Kinderhäuser oder Jugenddörfer ohne Geschlechtertrennung
      Sexualität einschränkende Einstellung, genitale verstümmelung, weibliches Jungfräulichkeitstabu, Liebe unter Jugendlichen strikt eingeschränkt, homosexuelle Strebungen, Inzeststrebung plus strenges Tabu, Konkubinat/Prostitution können existieren gestattete und unterstütze Einstellung, keine Genitalverstümmelung, kein weibliches Jungfräulichkeitstabu, Liebe unter Jugendlichen uneingeschränkt und akzeptiert, Fehlen homosexueller Strebungen oder strenger Tabus, Fehlen starker Inzeststrebungen oder strenger Tabus, Fehlen von Konkubinat/Prostitution
      Frauen eingeschränkte Freiheit, minderwertiger Status (untergeordnet), vaginales Bluttabu (Entjungferungsblut, Menstruations- und Geburtsblut), keine eigene Wahl des Lebensgefährten, keine Scheidung nach eigenem Willen, Männer kontrollieren die Fruchtbarkeit mehr Freiheit, gleichwertiger Status, kein vaginales Tabublut, eigene Wahl des Lebensgefährten, Scheidung nach eigenem Willen, Frauen kontrollieren die Fruchtbarkeit
      Kultur und Familienstruktur autoritär, hierarchisch, partilinear, patrilokal, lebenslange Zwangsmonogamie, häufig polygam, militärische Gesellschaftstruktur, gewalttätig/sadistisch demokratisch, gleichberechtigt, matrilinear, matrilokal, keine Zwangsmonogamie, selten polygam, kein hauptberufliches (ständiges) Militär, gewaltlos
      Religion, Glauben, und Geisteshaltung Mann/Vater-orientiert, Askese, Vermeidung von Lust, Hemmung, Angst vor Natur, hauptberufliche Priester, männliche Schamanen, strenge Verhaltensregeln Frau/Mutter-orientiert, Lust ist erwünscht und institutionalisiert, Spontaneität, Naturverehrung, keine hauptberuflichen Priester, männliche oder weibliche Schamanen, keine strengen Verhaltensregeln
      Tabelle 1, übernommen aus: emotion Nr. 10, S. 111

      DeMeo führt an, daß ein Zusammenhang zwischen patristischen Kulturen, die an Säuglingen und Kindern schmerzvolle und lusteinschränkende Riten vollzogen und einer hohen Sterblichkeit von Säulingen und Müttern besteht. Diese Gesellschaften wiesen schwere psychopathologische Unruhen auf, die sich gegenüber Frauen und Kindern (Ritualmorde von Kindern, Witwen, Hexen, Prostituierten, usw.), gesellschaftlich akzeptiert und unterstützt, entluden. Ein weiteres Merkmal war, daß diese Kulturen aggressive, sadistische und kiegerische Götter verehrten.


      Warum konnten patristische Gesellschaften matristische verdrängen?
      Wie oben erwähnt konnte DeMeo anhand archäologischer und paläoklimatischer Studien beweisen, daß vor ca. 6000 Jahren die Erde von hauptsächlich matristischen Kulturen bevölkert wurde. Die Auswertung globaler anthropologischer und archäologischer Daten weisen auf einen Übergang von friedlichen und sozialen Verhältnissen zu gewaltsamen, Männer-dominierten, kriegerischen Verhältnissen. Wie konnte sich dieser Zustand ändern, wenn doch matristische Gesellschaften von der natürlichen Auslese begünstigt werden müßten, da ihre Prinzipien die naturgemäßen, angeborenen sind, die das Leben (in Form der familiären Bindungen) fördern und unterstützen? DeMeo konnte aufgrund seiner Daten verschiedene globale Muster in diesen archäologischen Übergängen ausmachen, die auf die Ursache des Wechsels von Matrismus zu Partismus hinweisen.
      Interessant war die Feststellung, daß die frühsten dieser kulturellen Übergänge einhergingen mit grundlegenden klimatischen Veränderungen. Dies geschah in spezifischen Regionen der Alten Welt, Nordafrika, Naher Osten und Zentralasien; diese relativ feuchten Gebiete wurden trocken.
      Die Ausweitung dieser kulturellen Veränderung, also die späteren Übergänge, geschah in den angrenzenden Gebieten durch Verlassen der neuen Dürrezonen und somit Einfall in die feuchtern Gebiete. In der Geschichtsschreibung ist dieser Vorgang als Völkerwanderung (die indogermanische von Zentralasien ausgehend nach ganz Europa ausdehnend) bekannt. Der Zusammenfall der Umwelt- und Kulturveränderung war ein weiteres Beweisstück, daß Dürre und Wüstenbildungen in der Lange sind, die Bindungen zwischen Mutter und Kind sowie zwischen Frau und Mann in traumatischer Weise zu zerstören.


      Soziale Folgen von Dürre Verwüstung und Hungersnot
      Augenzeugenberichte der jüngsten Vergangenheit über kulturelle Veränderungen während Hungersnot und Unterernährung beweisen weiterhin, daß dies die Ursache des Hineindrängens früherer matristischer Gesellschaften in den Patrismus ist. Gemeint sind hier die Berichte über den Zusammenbruch der sozialen Familienbindungen der Ik-Völker in Ostafrika. Auf der Suche nach Nahrung verlassen Väter ihre Familien und kehren oft nicht zurück. Kinder und Frauen müssen so alleine ums Überleben kämpfen; Kinder schließen sich zu Banden zusammen, die Nahrung stehlen. Am längsten hält noch die Bindung zwischen Mutter und Kind, wobei nach einer gewissen Zeit auch die verhungernde Mutter ihr Kind verlassen wird.
      Klinische Untersuchungen haben ergeben, daß Nahrungsmangel und Hunger in der frühsten Kindheit neben physiologischen Schäden auch irreparable psychische Folgeschäden verursachen. Säuglinge werden durch Hunger und Unterernährung in gleicher emotioneller Weise beeinflußt, wie sie unter den Bedingungen einer Isolation und Deprivation von der Mutter auftreten. Diese Folgen prägen lebenslang die Einstellung und Verhaltensweisen gegenüber Erwachsenen, Lebensgefährten und Nachkommen.


      Soziale Institution der Körperdeformationen als Verhaltensfolge von Dürre und Hungersnot
      Im Zusammenhang mit Dürre- und Wüstenbildung sind Körperdeformationen bei Säuglingen und Kindern erkannt worden. Hier werden Säuglinge doppelt traumatisiert: durch Hitze und Hunger und durch immobilisierendem, kopfverformenden Tragegestell, wie es die wandernden Völker in Zentralasien verwendet hatten. Diese Schädeldeformationen und Festeinwickeln der Kinder wurde, wie archäologische Funde bestätigten, feste, institutionalisierte Tradition der Kindererziehung in den Wüstengebieten Zentralasiens. Diese Tradition blieb auch noch bestehen, nachdem diese Völker seßhaft wurden. Hier zeigt sich Reichs Theorie bestätigt: Erfahrene Traumatisierungen (Hunger), die sich als Charakterpanzer festsetzen, zieht eine unbewußt sadistische und selbstzerstörerische Verhaltensweise nach sich, die zur gesellschaftlichen Institution wird (Körperdeformationen).
      Interessanterweise konnte man auch feststellen, daß Beschneidung und Infibulation bei Männern und Frauen aus noch nicht bekannten Gründen ihren Ursprung und geographischen Schwerpunkt im großen Wüstengürtel der Alten Welt hatte. Nach DeMeo Sind also Dürre, Wüstenbildung und Hunger Ursache der Zerstörung und Zerrüttung von familären, liebevollen Bindungen. Diese Zerrüttung wird auf die Nachkommen übertragen; nach wenigen Generationen entwickeln sich zunehmend partistische Haltungen, die sich in traumatisierenden Körperdeformationen bei Säuglingen und Genitalverstümmelungen niederschlagen. Die älteren, matristischen Institutionen werden allmählich ersetzt.
      Diese Verhaltensstrukturen setzten sich als Charakterpanzer fest, egal, ob sich die Umweltbedingungen oder die Nahrungsversorgung wieder ändern.


      Geographische Zusammenhänge von Wüstenbildung und Ausbreitung des Patriachats


      Abb.1: Weltweite Verteilung von Trockenheit, aus: emotion Nr. 10, S. 117

      Vergleiche und systematische globale Analysen, die von 1170 verschiedenen Kulturen abgeleitet wurden, ergaben, daß die meisten extrem patristischen Völker in Wüstengebieten lebten, obwohl dies nicht ausschließlich der Fall war. Feuchtere, an Wüstengebieten angrenzende Gebiete, wiesen ebenso patristischen Charakter auf, was durch die Wanderung der Völker erklärt wurde (s. Abb. 1).



      Abb.2: Weltkarte des Verhaltens, aus: emotion Nr. 10, S. 117

      Patrismus tritt, wie die Karte des weltweiten Verhaltens (Abb. 2) zeigt, weder überall noch zufällig auf. Das Kerngebiet ist Alte Welt - die Kulturen Ozeaniens und der Neuen Welt waren weit weniger patristischer. Der extremste Patrismus ist hier in einem zusammenhängenden Verband anzutreffen, ausgehend von Nordafrika über Nahen (Mittleren) Osten bis nach Zentralasien. Genau in diesem geographische Raum sind heute die extremsten und ausgedehntesten Wüstengebiete der Erde zu finden.
      DeMeo bezeichnet also diesen Raum mit den extremen klimatischen und kulturellen Bedingungen "Saharasia" (=Sahara/Arabian/Asia).


      Geographische Zusammenhänge von Geschichte und Archäologie
      Auswertungen von archäologischen und paläoklimatische Daten ergaben, daß Saharasia 4000 v.Chr. eine zum Teil bewaldete Graslandsavanne war. Die heute ausgetrockneten Becken waren mit Wasser gefüllt, das zwischen zehn und hundert Metern tief war. Es existierte eine vielfältige Tierwelt: Elefanten, Giraffen, Nashörner, Gazellen lebten im Hochland, Nilpferde, Krokodile, Fische, Schlangen in den Flüssen und Seen. Diese Gegend ist heute sehr trocken und oft ohne jede Vegetation.
      Wie die Völker in diesem Raum lebten, darüber geben archäologische Funde, wie z.B. Geräte und Höhlenmalereien, aufschluß. Eines steht jedenfalls fest: "Der Charakter dieser frühen Völker war friedvoll, ungepanzert und matristisch" (emotion Nr. 10, S. 122).



      Steinzeitfrau, die ihr Kind still. Nordafrikanische Höhlenmalerei ca. 4000 v.Chr., aus: emotion Nr. 10, S. 107

      Hier findet man behutsames Begraben der Toten, weibliche Götterstatuen, Darstellung von bevorzugt Frauen, Kindern, Musik, Tanz und Tieren. Es gibt aus dieser Zeit keine archäologischen Belege für Kriege, Chaos und Brutalität, die allerdings in jüngeren Schichten auftreten, nachdem die Trockenheit eingetreten war.



      Bronzezeitkrieger aus Nordafrika, ca. 3000 v.Chr., aus: emotion Nr.10, S. 107

      Bei diesen Funden handelt es sich um Kriegswaffen, zerstörte Siedlungen, militärische Befestigungen, Tempel, Deformierung der Schädel von Säuglingen, Grabmale, die männlichen Herrschern gewidmet waren. Weiterhin die rituelle Ermordung von Frauen und Kindern, strenge, soziale Hierachie, Skaverei, Polygamie und Konkubinat. Malereien, die Frauen und Kinder im Alltagsleben darstellen verschwinden und werden durch kriegerische Darstellungen wie Streitwagen, Schlachten, Krieger und Pferde, ersetzt. Weibliche Götterdarstellungen verlieren ihren erotischen, mütterlichen Charakter, werden grimmig dargestellt oder durch männliche Götter ersetzt.
      Hier sieht man deutlich die Bestätigung der Theorie, daß Wüstenbildung und Hungersnöte das matristische soziale Gefüge zerstören und Partismus fördern.


      Entstehung und Ausbreitung des Patrismus
      An den Ruinen früher friedlich lebender Siedlungen kann man ab 4000 v. Chr. extreme soziale Veränderungen und Zerstörung ausmachen. Trockenheit und die daraus resultierende Landflucht zeichnen sich immer deutlicher ab. In Zentralasien verlagern sich die Siedlungen in die Ebenen und Flußbetten, was Niedergänge von großen Gesellschaftskulturen bedeutete; Siedlungen am Nil und Euphrat/Tigris, auch in Levantinien, Anatolien und Iran wurden von Völkern aus Zentralasien und Arabien überfallen.
      Die alten gesellschaftlichen Strukturen wurden von despotischen Zentralstaaten abgelöst, es etablierten sich zentralistische Religionen mit Priesterkasten mit männlichen Göttern (Tempelbauten und Grabstätten, Witwen- und Muttermorde, Schädeldeformationen, zentrale Bedeutung von Pferden und Kamelen). Festungsbauten weisen auf den kriegerischen Charakter dieser Völker hin.
      Diese neuen Staaten gewannen durch ihr kriegerisches Auftreten an Macht. Dies ist der Grund - und natürlich auch der Mangel an fruchtbarem Land - weshalb sie sich weiter ausdehnten und in die angrenzenden feuchteren Gebiete einfielen. Patrismus läßt sich zeitlich später in diesen angrenzenden Gebieten feststellen als im Kernland Saharasia.
      Die Auswanderung aus dem Kernland in die angrenzenden Gebiete nahm in dem Maße der zunehmenden Trockenheit zu. Die Etablierung des Partismus in diesen Gebieten geschah also nicht durch Trockenheit und Hunger, sondern durch Vernichtung der ursprünglichen matristischen Bevölkerung bzw. durch Oktruierung patristischer Verhaltensweisen und sozialen Institutionen.


      Europa als Beispiel für ein angrenzendes Gebiet an Saharasia
      Ein Beispiel bietet die indogermanische Völkerwanderung von Zentralasien nach Europa. In Europa herrschten bis 4000 v. Chr., wie archäologische Funde belegen, matriachiale Gesellschaftsstrukturen. Ab dieser Zeit wurde Europa nacheinander von Streitaxtkulturen, Kurgen, Skythen, Sarmantiern, Hunnen, Arabern, Mongolen und Türken überfallen, die das Gesamtbild Europas im Laufe der Zeit durch Eroberung und Plünderung immer weiter patristischer färbten. Die weiter von Zentralasien entfernten Gebiete Europas, wie z.B. England und Skandinavien, übernahmen erst viel später patristische Verhaltensweise und diese auch in abgeschwächter Form. Man kann dies auch noch heute nachvollziehen, wenn man diese Länder mit Osteuropa und den Mittelmeerländern vergleicht.
      Dieses Schema kann man auch bei den anderen Ländern der Erde erkennen. Je weiter ein Land von der Kernzone entfernt war - und wenn diese Länder auch fruchtbar und feucht waren -, desto länger hat es gedauert, bis der Patrismus sich etabiert hatte. Zu nennen wären hier noch Kreta, Südostasien, Japan, das südliche Afrika, asiatische Inseln und Ozeanien.



      Abb.3: Verallgemeinerte Wege der Ausbreitung des patristischen Saharasia-Kultur-Komplexes in die Alte Welt, aus: emotion Nr. 10, S. 128

      Abbildung 3 zeigt, in welcher Form sich der Patrismus in er Alten Welt verbreitete.



      Abb.4: Vermutete Muster der weltweiten Ausbreitung des Patrismus, aus: emotion Nr. 10, S. 128

      Abbildung 4 zeigt die Verbreitung nach Ozeanien und der Neuen Welt, natürlich vorausgesetzt, daß eine vorkolumbianische Beziehung zu ozeanbefahrenen patristischen Staaten der Alten Welt existierte.


      Schlußüberlegungen
      Die wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien von DeMeo haben somit die sexualökonomische Theorie menschlichen Verhaltens, das Martismus/Patrismus-Schema und den Zusammenhang von Wüstenbildung und Patrismus bestätigt. Die lustorientierten Aspekte des sozialen Lebens ermöglichen das Überleben und die Gesundheit eines Kindes, den sozialen Zusammenhalt und somit die Gesundheit und das Fortbestehen einer Gesellschaft. Sicher ist weiterhin, daß es eine Zeit gab, in der friedvolle Völker, die kinder- und frauenfreundlich waren, die Erde bevölkerten. Dies beweisen die oben angeführten Studien. Bis in die jüngste Vergangenheit gab es noch solche Gesellschaften, wie in dem Buch "Saharasia" von James DeMeo ausgeführt und verwiesen wird.
      Patristische Kulturen sind in keiner Weise, wie leider oft fälschlicherweise angenommen wird, die naturgemäßen ("survival of the fittes"). Wie oben auf- und ausgeführt wurde, ist das matriachale Prinzip das naturgemäßere und somit dem Leben zuträglichere. Man darf natürlich das Matriachat nicht gleichsetzen mit dem real existierenden Patriachat - nur mit Frauenherrschaft. Matriachat bedeutet, daß das Prinzip des "Lassen" (=Freiheit) - anstatt dem "Druckprinzip" - Vorrang eingeräumt wird. Dadurch entsteht, wie man annehmen möchte, kein "Chaos", sondern die Freiheit ermöglichst freie Entfaltung des Menschen in jeglichen Bereichen - individuell und sozial. Dadurch sind die Menschen - und somit die jeweilige Kultur - glücklicher, zufriedener und gesünder. Das dieses Prinzip funktioniert, beweist - neben den oben angeführten archäologischen Funden - die bis Anfang dieses Jahrhundert lebenden Gesellschaft der Trobriander und Muria (vgl. "Saharasia").



      --------------------------------------------------------------------------------


      Literatur:
      James DeMeo: "Saharasia", Orgone Biophysical Research Lab, Greensprings, Oregon, USA, 1998
      ISBN 0-9621855-5-8
      "emotion" - die Wilhelm Reich Zeitschrift


      http://holis.org

      Ganzheitliche Perspektiven, schaut euch die Webseite an, auch wegen der Grafiken zum hier eingestellten Text!
      Avatar
      schrieb am 09.02.03 16:03:15
      Beitrag Nr. 11 ()
      Sorry, richtigerweise

      http://www.holis.de
      Avatar
      schrieb am 09.02.03 20:50:28
      Beitrag Nr. 12 ()
      Wie Zinsen funktionieren





      Das elfte Lederstück
      Wucher




      Das letzte offensichtliche Merkmal aller offiziellen nationalen Währungen sind die Zinsen. Wieder glauben wir, daß Zinsen irgendwie naturgemäß dazugehören, und vergessen dabei, daß dies die meiste Zeit in der Geschichte ganz und gar nicht der Fall war; denn wie schon gesagt wurde, haben alle drei »Offenbarungsreligionen« den »Wucher« nachdrücklich verdammt, und Wucher bedeutete jede Form, Zinsen auf Geld einzustreichen. Nur islamische Religionslehrer halten bis heute an diesem Grundsatz fest. Bisweilen gerät in Vergessenheit, daß die katholische Kirche beispielsweise bis ins 19.Jahrhundert an vorderster Front gegen die »Sünde des Wuchers« kämpfte.
      Die folgende Geschichte aus Australien veranschaulicht, wie Zinsen in den Stoff unseres Geldes hineinverwoben sind und wie sie den Wettbewerb zwischen den Menschen stimulieren, die mit einer Zinsen enthaltenden Währung umgehen.


      Das elfte Lederstück
      Es war einmal ein kleines Dorf im australischen Busch. Dort bezahlten die Menschen alles mit Naturalien. An jedem Markttag spazierten sie mit Hühnern, Eiern, Schinkenkeulen und Broten herum und verhandelten lange miteinander über den Tausch der Güter, die sie brauchten.

      In wichtigen Zeiten im Jahr, etwa zur Ernte oder wenn jemand nach einem Unwetter seinen Stall reparieren mußte, erinnerten sich die Menschen wieder an die Tradition, einander zu helfen, die sie aus der alten Heimat mitgebracht hatten. Jeder wußte, wenn er einmal in Schwierigkeiten geraten sollte, würden die anderen ihm helfen.

      An einem Markttag tauchte ein Fremder auf. Er trug glänzende schwarze Schuhe und einen eleganten weißen Hut und beobachtete das Treiben mit einem sardonischen Lächeln. Beim Anblick eines Farmers, der verzweifelt versuchte, die sechs Hühner einzufangen, die er gegen einen großen Schinken eintauschen sollte, konnte er sich das Lachen nicht verkneifen. »Die armen Leute«, stieß er hervor, »wie primitiv sie leben.«

      Die Frau des Farmers hörte seine Worte und sprach ihn an. »Meinen Sie, Sie kämen mit den Hühnern besser zurecht?« fragte sie ihn. Mit den Hühnern nicht«, erwiderte der Fremde, »aber es gibt einen viel besseren Weg, sich den ganzen Ärger zu ersparen.« »Ach ja, und wie soll das gehen?« »Sehen Sie den Baum dort?« sagte der Fremde. »Ich gehe jetzt dorthin und warte, bis einer von euch mir eine große Kuhhaut bringt. Dann soll jede Familie zu mir kommen. Ich werde euch den besseren Weg erklären.«

      Und so geschah es. Er nahm die Kuhhaut, schnitt gleichmäßige runde Stücke davon ab und drückte auf jedes Stück einen kunstvoll gearbeiteten, hübschen kleinen Stempel. Dann gab er jeder Familie ein rundes Stück und erklärte, daß es den Wert von einem Huhn habe. »Jetzt könnt ihr mit den Lederstücken Handel treiben anstatt mit den widerspenstigen Hühnern.«

      Das leuchtete den Farmern ein. Alle waren sehr beeindruckt von dem Mann mit den glänzenden Schuhen und dem interessanten Hut. »Ach, übrigens«, meinte er noch, nachdem jede Familie ihre zehn runden Lederstücke entgegengenommen hatte, »in einem Jahr komme ich zurück und sitze wieder unter diesem Baum. Ich möchte, daß jeder von euch mir elf Stücke zurückgibt. Das elfte Stück ist ein Unterpfand der Wertschätzung für die technische Neuerung, die ich in eurem Leben eingeführt habe.«

      »Aber wo soll das elfte Stück denn herkommen?« fragte der Farmer mit den sechs Hühnern. »Das werdet ihr schon sehen«, erwiderte der Mann und lächelte beruhigend.

      Angenommen, die Bevölkerungszahl und die Produktion bleiben im folgenden Jahr genau gleich, was, glauben Sie, wird geschehen? Bedenken Sie, daß das elfte Lederstück gar nicht abgeschnitten wurde. Darum, so lautet die Schlußfolgerung, muß jede elfte Familie ihre gesamten Lederstücke verlieren, auch wenn alle gut wirtschaften, den nur so können die übrigen zehn ihr elftes Stück bekommen.

      Als das nächste Mal ein Unwetter die Ernte einer Familie bedrohte, waren die Menschen nicht so schnell bei der Hand mit dem Angebot, beim Einbringen der Ernte zu helfen. Zwar war es wirklich sehr viel bequemer, an Markttagen nur die Lederstücke auszutauschen und nicht die Hühner, aber die neue Sitte hatte die unbeabsichtigte Nebenwirkung, daß sie die traditionelle spontane Hilfsbereitschaft im Dorf hemmte. Statt dessen entwickelte das neue Geld einen systembedingten Sog zum Wettbewerb zwischen allen Beteiligten.






      Genauso bringt das heutige Währungssystem alle am Wirtschaftsleben Beteiligten in eine Konkurrenzsituation zueinander. Die Geschichte von den australischen Bauern isoliert die Rolle des Zinses des elften Lederstücks im Rahmen des Prozesses der Geldschöpfung und seine Auswirkungen auf die Beteiligten.


      Wenn die Bank Geld schöpft, indem sie Ihnen einen Hypothekenkredit über 100 000 Euro zur Verfügung stellt, schafft sie mit dem Kredit nur das Ausgangskapital. Sie erwartet nämlich, daß Sie ihr im Laufe der nächsten, sagen wir einmal, 20 Jahre 200 000 Euro zurückbringen. Wenn Sie das nicht können, sind Sie Ihr Haus los. Ihre Bank schafft nicht die Zinsen, sondern sie schickt Sie hinaus in die Welt in den Kampf gegen alle anderen, damit Sie am Schluß die zweiten 100 000 Euro mitbringen. Weil alle anderen Banken genau das gleiche tun, verlangt das System, daß einige der Beteiligten bankrott gehen, denn anders kommen Sie nicht zu den zweiten 100 000 Euro.

      Um es auf eine einfache Formel zu bringen: Wenn Sie der Bank Zinsen auf Ihr Darlehen zahlen, brauchen Sie das Ausgangskapital von jemand anderem auf.

      Mit anderen Worten: Der Mechanismus, mit dem die für die Giralgeldschöpfung unverzichtbare Knappheit erzeugt wird, bedingt, daß die Menschen miteinander um das Geld konkurrieren, das noch nicht geschaffen wurde, und bestraft sie im Falle des Mißerfolgs mit dem Bankrott.

      Wir verfolgen die Zinspolitik der Zentralbanken mit Interesse, und das ist einer der Gründe dafür. Wenn die Zinsen angehoben werden, verursacht das zusätzliche Kosten, und dies wiederum führt unweigerlich zu einem Anstieg der Konkurse in der nächsten Zukunft. Damit kehren wir zu den Zeiten zurück, als die Hohepriester entschieden, ob die Götter mit dem Opfer von nur einer Ziege zufrieden wären oder ob sie statt dessen den erstgeborenen Sohn verlangen würden. Weiter unten auf dem Totem-pfahl, wenn Ihre Bank Ihre Kreditwürdigkeit überprüft, checkt sie in Wirklichkeit, ob Sie in der Lage sind, mit den anderen Spielern zu konkurrieren und gegen sie zu gewinnen, d.h. etwas aus ihnen herauszupressen, was gar nie geschaffen wurde.

      Zusammenfassend halten wir fest, daß das moderne Währungssystem uns dazu zwingt, uns kollektiv zu verschulden und mit anderen in der Gemeinschaft zu konkurrieren, damit wir die Mittel erhalten, die Austausch zwischen uns ermöglichen. Kein Wunder, daß die Welt hart ist und daß Darwins Erkenntnis vom »Überleben des Stärksten« im England des 18.Jahrhunderts bereitwillig als offensichtliche Wahrheit akzeptiert wurde, genau wie bis heute alle Gesellschaften fraglos die Prämissen ihres Währungssystems akzeptiert haben und wir es heute tun. Glücklicherweise haben wir heute reichlich Belege, die für eine weniger strenge Definition der »natürlichen Welt« sprechen.

      Wucher
      Die Religionen und der Wucher
      Explizit war im Judentum der Wucher nur zwischen Juden verboten. "Du darfst von deinem Bruder keine Zinsen nehmen: weder Zinsen für Geld noch Zinsen für Getreide noch Zinsen für sonst etwas, wofür man Zinsen nimmt" (Deuteronomium 23,20). Dies ermöglichte den Juden, gegen Zinsen Geld an Nichtjuden zu verleihen.

      Im Mittelalter war dies einer der Gründe für die Unbeliebtheit der Juden. Der Islam verdammt den Wucher umfassender: "Und was ihr auf Wucher ausleiht, um es zu vermehren mit dem Gut der Menschen, das soll sich nicht vermehren bei Allah" (Koran, 30. Sure 38).

      Da sich die Entwicklung der modernen Welt größtenteils unter christlichem Einfluß vollzog, ist für den Zusammenhang unseres Themas der mehrfache Richtungswechsel der christlichen Religion im Laufe der Zeit von besonderem Interesse. Die geschichtliche Bedeutung des Wuchers in den Lehren der christlichen Kirche können wir nur damit vergleichen, welche Bedeutung heute sexuelle Verirrungen und Abtreibung für sie haben.

      Das Verbot des Wuchers war unbestreitbar eines der besonders beständigen Dogmen der Kirche. Ein früher Kirchenvater, Clemens von Alexandria, führte aus: "Die Gesetze verbieten einem Bruder, Wucher anzunehmen, und ein Bruder ist nicht nur der, der von denselben Eltern geboren ist, sondern auch einer von derselben Abstammung und Denkungsart...Glaubt nicht, dieses Gebot sei von Menschenliebe bestimmt."

      Die Liste der Konzile, auf denen der Wucher als eine besonders schlimme Sünde verdammt wurde, ist eindrucksvoll: die Konzile von Elvira (305-306), Arles (314), Nizäa (325), Karthago (348), Taragona (516), Aachen (789), Paris (829), Tours (1153), das Laterankonzil (1179), die Konzile von Lyon (1274) und von Wien (1311).

      Das letztgenannte Konzil urteilte noch radikaler als die früheren: Jeder Herrscher, der nicht alle Wucherer in seinem Herrschaftsbereich aburteilte, sollte exkommuniziert werden (auch wenn der Herrscher selbst sich nichts hatte zuschulden kommen lassen!). Da die Zinszahlungen oft mit verschiedenen Vorwänden kaschiert wurden, mußten die Geldverleiher den kirchlichen Autoritäten ihre Bücher zeigen. Das fünfte Laterankonzil (1512 bis 1517) bekräftigte noch einmal die Definition von Wucher als "jegliche Zinszahlung auf Geld".

      Im Jahr 1545 legalisierte Heinrich VIII. nach seinem Bruch mit dem Papst erstmals in der abendländischen Welt die Zinszahlung. Innerhalb der katholischen Kirche wurde die Lehre zum ersten Mal 1822 in Frage gestellt. Eine Frau aus dem französischen Lyon hatte Zinsen für Geld genommen, und ihr sollte so lange die Absolution verweigert werden, bis sie den unrechtmäßigen Gewinn wieder zurückgezahlt haben würde. Bischof Rhedon suchte um Klarstellung in Rom nach und erhielt folgenden Bescheid: "Laß die Bittstellerin wissen, daß ihre Anfrage zur gegebenen Zeit beantwortet werden wird...; unterdessen mag sie das Sakrament der Absolution empfangen, wenn sie uneingeschränkt bereit ist, sich den Lehren des Heiligen Stuhls zu unterwerfen."

      Eine baldige Entscheidung wurde noch einmal 1830 in Aussicht gestellt und von der Propaganda-Kongregation erneut 1873. Doch die versprochene Klarstellung kam nie. Die Sünde des Wuchers wurde nie offiziell gestrichen, sondern geriet einfach in Vergessenheit. Das kanonische Gesetz aus dem Jahr 1917 (Kanon 1523), das bis heute gilt, verlangt von Bischöfen zu investieren: "Die Pflichten der kirchlichen Vermögensverwalter ergeben sich aus dem allgemeinen Grundsatz, daß sie ihr Amt mit der Sorgfalt eines guten Hausvaters verwalten müssen... Sie haben die Pflicht..., überflüssige Gelder soweit als möglich zum Nutzen der Kirche fruchtbringend anzulegen." Kein Wort über Zinsen.

      Später jedoch wird Wucher definiert als die Berechnung überhöhter Zinsen. Es muß ein Zufall sein, daß die Sünde des Wuchers genau zu dem Zeitpunkt "in Vergessenheit" geriet, als die Kirche selbst Kapitaleignerin geworden war (d.h. eine Quelle von Geld) und nicht mehr wie traditionell in der Geschichte nur Landbesitzerin (d.h. Nutzerin von Geld) war. Estelle und Mario Carota, zwei mexikanische Katholiken, richteten in der Hoffnung, sie könnten die lateinamerikanischen Länder in der Schuldenkrise der 80er Jahr von ihrer drückenden Last befreien, 1985 ein formelles Ersuchen an den Vatikan, seine Position zum Wucher darzulegen. Sie wurden von keiner geringeren Instanz als de Kongregation für die Glaubenslehre unter der Leitung von Kardinal Ratzinger beschieden, daß die Lehre über den Wucher nie neu formuliert worden sei, daß sich nichts geändert habe.

      Informell wurde ihnen weiter mitgeteilt, daß es unglücklicherweise keinen einzigen Experten zu dieser Frage mehr in Rom gebe, weil sich unterdessen alle auf die Themen Sexualität und Abtreibung spezialisiert hätten. Die beiden Mexikaner suchten weiter nach einem Experten bei den Jesuiten, Augustinern, Dominikanern, Salvatorianern und befragten sogar Professoren der Moraltheologie, die in Seminaren über die Dritte Welt eine Theologie der wirtschaftliche Gerechtigkeit lehrten. Doch sie fanden niemanden, der sich noch an das Verbot des Wuchers erinnerte.



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      Avatar
      schrieb am 11.02.03 23:19:45
      Beitrag Nr. 13 ()


      Arbeit........: gestern - heute - morgen
      Referat von Horst Biczkowski im November 1997 (02.98)
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      Vorwort

      Die hier vorgelegte Arbeit über die Entwicklung der Arbeit in unserem christlichen Kulturkreis ist der Versuch einer Annäherung, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit. Es ist auch der Versuch eines Ingenieurs im (Un)ruhestand, in den angestammten Revieren der Historiker, Ökonomen, Philosophen und Soziologen zu eigenen Erkenntnissen zu gelangen. So kann er deshalb auch nur eine erste Annäherung sein, lückenhaft und teilweise allgemein. Es war in diesem ersten Anlauf auch nur die Absicht, einen ersten Überblick über dieses Thema in historischer Sicht zu bekommen. Es kann deshalb nicht bei diesem einen Versuch bleiben.

      So möchte sich der Ingenieur an dieser Stelle für die Hilfe, aber auch ganz besonders für die Nachsicht und die Geduld, bedanken, die Herr Prof. K. Giel und Herr Prof. F. Stehling für ihn aufgebracht haben.


      Gedanken über die Arbeit
      Unser Leben währet 70 Jahre und wenn es hoch kommt dann sind es 80 Jahre, wenn es christlich gewesen ist, dann ist es Mühe und Arbeit gewesen. Denn es fliehet schnell dahin, als flögen wir davon.
      So begann vor einigen Monaten eine Rundfunksendung unter dem Titel
      IM SCHWEIßE DEINES ANGESICHTES
      Im Verlaufe dieser Sendung kamen verschiedene Menschen zu Wort, die aus ihrer persönlichen Sicht ihr Verhältnis zur Arbeit schilderten.

      ..... und Arbeit ist für mich eine bestimmte feste Tätigkeit mit Vertrag geregelt, für die ich auch Lohn bekomme .....
      ..... habe eine ganz bestimmte Verantwortung, wo ich ganz bestimmten Menschen unterstellt bin .
      ..... Sie ist für mich damit ein Teil meines Lebens selbst .....
      ... nicht nur, daß ich Geld verdiene und damit das Leben gestalten kann .....
      ..... Diese 8 oder 9 Arbeitsstunden sind für mich der wichtige Teil des Lebens .....
      ..... benötigen diese arbeitsteilige Gesellschaft, um überhaupt einigermaßen gut leben zu können .....
      ..... dann kann es nichts Schöneres geben als eine schöne Arbeitsstelle .....
      .... hat mit meinem Glauben zu tun, daß ich denke, dies ist eine Art wie Gott , ein bißchen schöpferisch tätig zu sein und Freude beim Arbeiten zu haben .....
      Diese Ausschnitte aus den Beiträgen dieser Sendung zeigen unter dem Begriff Arbeit ein breites Spektrum von Ansätzen, wie die Menschen von heute in verschiedenen Situationen ihr Leben in der Arbeit sehen oder auch die Arbeit in ihrem Leben sehen.
      Der Ausdruck Arbeit bezeichnet in allen Sprachen der Erde eine der elementarsten menschlichen Tätigkeiten. In allen Sprachen beschreibt das Wort das Mühsame dieser Tätigkeit, die Qual und die harte Anstrengung die damit verbunden ist. Der Begriff Arbeit, der auch immer mit einem Stand in der Gesellschaft verbunden war, stand neben dem Stand der Herrschenden, der Könige, dem Stand der Priester und dem Stand der Krieger.

      Heute wird in der Regel der Begriff Arbeit in allen ernsthaften Diskussionen, auch in der Sprache des Alltages, benutzt, wenn es um Tätigsein gegen Entgelt geht. Nur Arbeit gegen Entgelt, nur Arbeit als Erwerbsarbeit wird durch die Gesellschaft als Arbeit akzeptiert. Damit wird Arbeit einengend besetzt, sie wird zum Wert an sich, nur sie erfüllt das Leben, nur sie schafft Selbstwert.

      Andere Tätigkeiten, wie z. B. die Hausarbeit, werden in diesem Sinne nicht als Arbeit angesehen. Ganz im Gegenteil, die Flucht aus der Hausarbeit hin zur Arbeit gegen Entgelt wird als Teil des Menschenrechtes gesehen. Dies reicht bis hin zu der Behauptung, nur so sei die Selbst-verwirklichung als höchstes Ziel für das Menschsein in unserer Zivilisation möglich.

      Hausarbeit, Arbeit an der Familie nicht gegen Entgelt, sondern als verabredet in einer Partner-schaft, wird als deklassierend empfunden. Kinder erziehen, Einkaufen, Hausarbeit schlechthin ist leidige Pflicht. Die gleichen Arbeiten dagegen gegen Entgelt sind wieder positiv besetzt. Dazwischen liegen alle Formen von ehrenamtlichen Arbeiten, Arbeiten mit Menschen und für Menschen, wenn sie dem Gefühl, der Trauer, der Freude, den Beziehungen und anderen gesellschaftlichen oder individuellen Problemen dienen. Die Pflege am Nächsten ist durch die Pflegeversicherung nun auch noch kommerzialisiert worden. Diese Arbeit gegen Entgelt, jetzt mit neu geschaffenen Arbeitsplätzen, wurde damit gesellschaftlich aufgewertet.

      Zur Zeit werden 50 bis 55 Mrd. Stunden an Erwerbsarbeit (also gegen Entgelt) jährlich von Männern und Frauen in Deutschland geleistet. Dazu kommen noch einmal bis zu 52 Mrd. Stunden an Hausarbeit (also ohne Entgelt). Nach neuesten Schätzungen gehen bis zu 3,5 Mio. Menschen einer Zweitbeschäftigung nach, davon dürften etwa 2,5 Mio. Schwarzarbeit (also auch gegen Entgelt) sein. Bei diesen Größenordnungen ist eigentlich unverständlich, warum der Wert der Arbeit gegen Entgelt und ohne Entgelt in der Gesellschaft so verschieden bewertet wird. Ist es nur Zeitgeist, oder zeigt sich ein tiefer gehender Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft an? Bei dem allseits zu beobachtenden Wertewandel könnte dieses der Fall sein. Für die Grundlagen unserer sozialen Sicherungssysteme wurde diese Entwicklung noch nicht nachvollzogen, so daß sich die Gegensätze zwischen Arbeit ohne Entgelt und Arbeit gegen Entgelt wohl noch weiter verschärfen werden. Wie sind dann aber Begriffe wie Selbstverwirklichung, Solidarität, Gemein-sinn, Menschlichkeit einzuordnen? Was ist aber eigentlich Arbeit, nicht nur als Wort, sondern als Begriff und als Teil unseres Lebens, unseres Lebensgefühles?

      Bert Brecht brachte den Begriff Kultur in diese Diskussion. Er sagte:

      Kultur ist ,wie der Mensch lebt und arbeitet.

      D.h. er unterschied zwischen Arbeiten und Leben. Leben wurde damit indirekt als ein Zustand ohne Arbeit gesehen. Der Volksmund beschreibt den Unterschied am Beispiel der Deutschen und Franzosen sehr einfach.

      Der Deutsche lebt um zu arbeiten, der Franzose arbeitet um zu leben.

      Unsere frühen Vorfahren hatten im archaischen Urland wohl keine Muße, sich über Sinn, Spaß, Pflicht o.ä. ihres dauernd notwendigen Tuns tiefsinnige Gedanken zu machen. Es war ein ganzheitliches Tun der Menschen. Ein jeder und eine jede tat was getan werden mußte, damit sie gemeinsam überleben konnten. Die Arbeit war gemeinschaftlich, das Entgelt dafür war das gemeinsame Überleben und die Erhaltung der Art. Bei den wenigen Urvölkern, die auf dieser Erde übriggeblieben sind, sind diese ganzheitlichen Ansätze noch heute zu erkennen. Verloren geht diese Art des Lebens aber immer dann, wenn sie abrupt mit den "Errungenschaften" dessen was wir Kultur oder Zivilisation nennen in Berührung kommen.

      Irgendwann müssen die Menschen begonnen haben, Unterschiede zu machen. Neben des selbstverständlichen Tätigsein zum Überleben, zum Überleben des Individuums und der Art, muß der Müßiggang als Gegenbegriff entstanden sein. Das Tätigsein zum Überleben wurde Pflicht, wurde Arbeit, der Müßiggang des Einzelnen, die Befreiung von den Mühen dieser Pflicht bekam einen anderen Stellenwert.

      In der Antike hatte man Sklaven für die körperliche Arbeit. Für die Beschaffung der notwendigen Sklaven wurden sogar Kriege geführt. Für die Freien jedoch war die Beschäftigung des Geistes mit den schönen Dingen das Lebensziel. Im Mittelalter zwang man die Lehenabhängigen Männer und Frauen und auch Kinder zur Fron. In der Neuzeit räumten die Europäer die Bevölkerung des Kontinents Afrika halbleer, um die Arbeit in der Neuen Welt auf den Baumwollplantagen zu erledigen.

      Die Arbeit der Menschen begann, sich arbeitsteilig und darin wieder hierarchisch zu ordnen. Die jeweilige Position des Individuums wurde zum Rang in der sozialen Hierarchie. Jäger, Bauern, Handwerker, Händler auf der einen Seite als Arbeitsteilung und Tagelöhner, Lohnempfänger, Gehaltsempfänger, Festangestellte, Beamte, Selbständige, Unternehmer auf der anderen Seite als Stellung in der Hierarchie. Arbeit und Arbeit war nicht mehr dasselbe. Das Umfeld der individuellen Arbeit wurde verschieden.

      Spätestens hier beginnt auch das Problem in der heutigen Arbeitsgesellschaft. Wenn nur über Arbeit die soziale Rangordnung im Alltag des Menschen gefestigt werden kann, damit auch über den Alltag des Menschen und über sein soziales Überleben bestimmt wird, dann ist es ein ungeheurer Verlust, wenn Menschen nicht mehr gegen Entgelt arbeiten dürfen. Ganz abgesehen davon, was sie dabei materiell verlieren. Sie verlieren ein Stück ihres Lebenssinnes. Sie werden Verlierer. Der Verlust des Arbeitsplatzes wird zum Verlust des elementarsten Grundbedürfnisses des Menschen. Aus dem Mahlstrom des Lebens mit Arbeit auszuscheiden, wird zum Verlust der sozialer Anerkennung, zum Niedergang in der sozialen Hierarchie.

      Im Leben der Kirche wurde die Arbeit lange nur gesehen bei Bauern und Handwerkern, vielleicht noch in der Erziehung unter der Kirche. Die entstehende Industrie und die Technikarbeit wurde in ihren spezifischen Darstellungen und Auswirkungen lange nicht beachtet. Erst die Folgen der industriellen Revolution brachten auch in den Kirchen Veränderungen in der Betrachtung und in der sozialen Auseinandersetzung.

      Martin Luther suchte für die Arbeit als Gottesdienst im Alltag der Welt immer auch Beispiele aus der Erziehungsarbeit. D.h. Luther hat die Haus- und Familienarbeit durchaus als Arbeit gewertet und hat nicht nur von bezahlter Erwerbsarbeit gesprochen. Die Arbeit war die Möglichkeit, ein Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin Gottes zu sein. Damit wurde die Arbeit sozusagen geadelt. Denn so sieht es auch die Bibel, Arbeit ist die Fortsetzung der Schöpfung Gottes mit anderen Mitteln durch den Menschen. Das war ein großer Schritt durch Luther, aber seine Kirche ist ihm damals darin nicht gefolgt.

      In Europa brach das Maschinenzeitalter an und mit ihm entstand das Proletariat. Landflucht, Wanderarbeiter, Klassengesellschaft, industrielle Revolution wurden Realitäten der Gesellschaft. Die Bildung der Industrienationen, das Aufkommen des Kapitalismus, die ständige Steigerung des Lebensstandards (was immer man darunter verstehen will) aber auch das Entstehen der imperialen Macht waren Folgen. Von nun an glaubte man an den Fortschritt durch Wissenschaft und Technik. Der Philosoph Marx analysierte den Antagonismus von Kapital und Arbeit und begründete im kommunistischen Manifest theoretisch die Arbeiterklasse, die von der Bourgeoisie ausgebeutet wurde. Arbeiterkampf, Arbeiterbewegung, Marx, Engels, Bebel sind Begriffe geworden, die bis in unsere Zeit hineinwirken. Durch die sprichwörtliche Verelendung weiter Teile der Bevölkerung als Folge der radikalen Industrialisierung mit dem rasanten Anstieg der Produktivität brach eine Riesenauswanderungswelle nach Übersee aus. Es war die nackte Not und nur höchst selten spielte die Abenteuerlust eine Rolle. Es waren die ersten Wirtschafts-flüchtlinge der Neuzeit. Amerika, Kanada, Neuseeland, Australien wurden damit einbezogen in den Industrialisierungsprozeß mit all seinen Konsequenzen. Die Wanderbewegungen vor dem 1. Weltkrieg innerhalb der deutschen Grenzen, ausgelöst durch die ökonomischen Verhältnisse, waren noch größer. Auf der Suche nach Arbeit gegen Entgelt zog es Massen von Landarbeitern aus den Agrargebieten des Ostens in die neuen Industriegebiete des Westens. Sie glaubten, dort ein besseres Leben zu finden, aber eben nur eine Aussicht auf einen besseren materiellen Stand. Das Verlieren der Wurzeln des bisherigen Lebenssinnes zeigte sich erst nach dem Aufgehen im Proletariat und in den Slums der Industriestädte. Die ostdeutsche Gutswirtschaft dagegen litt durch diese Abwanderung unter Arbeitskräftemangel. Sie mußte die Abwanderung durch polnische Wanderarbeiter zur Erntezeit ersetzen. Verwerfungen über die Staatsgrenzen hinweg zeigten sich als Folge der ersten industriellen Revolution.

      Unter den Nazis veränderte sich der Begriff der Arbeit wieder entscheidend. Die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit, die Befreiung von der Maloche unter den Bedingungen des Kapitalismus war Regierungsprogramm. Ausgehend von der ökonomischen Lage der Menschen im Jahre 1933 waren die Erfolge für den Arbeiter durchaus erkennbar, so daß das Regime sich in den Deutschen fest etablieren konnte. So wurden dann auch Dinge wie Arbeitsdienst, Dienstjahr für Mädchen, Dienstverpflichtung, Mutterkreuz für Gebärarbeit, Ersatz der Gewerkschaften durch Kraft durch Freude akzeptiert und für die Gemeinschaft als richtig empfunden. Die damals schon erkennbaren Unmenschlichkeiten durch Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern wurden verdrängt oder relativiert. Den perfiden Sinn der Sprüche über den Eingangstoren der Konzentrationslager erkannten nur wenige. Über dem Eingangstor von Auschwitz steht "Arbeit macht frei". Dieses war wahrscheinlich der Höhepunkt in der Ausdeutung des Begriffes Arbeit durch dieses Regime.

      Durch die sich unabwendbar ändernden ökonomischen Verhältnisse in der westlichen, industrialisierten Welt steht der Begriff Arbeit jetzt wieder vor einem Umbruch. Alle gesell-schaftlichen Schichten fordern in der Diskussion um den Standort Deutschland, den Industrie-standort Deutschland von den Regierenden die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit durch Schaffung von Arbeitsplätzen gegen Entgelt. Die bisherigen Maßnahmen der Regierenden gegen den Wegfall der klassischen Arbeitsplätze, gegen den Anstieg der Arbeitslosigkeit, wirken aber eher hilflos. Sie bleiben mangels übernationaler Regelungen wirkungslos. Die Wirtschaft hat sich durch die Öffnung der Märkte, durch die Globalisierung, durch die Schaffung der freien Markt-wirtschaft praktisch weltweit längst von den staatlichen Einflußmöglichkeiten entkoppelt. Für die sozialen Folgen bleiben aber formal die staatlichen Institutionen zuständig und verantwortlich. Die Auswirkungen auf die demokratische Legitimation der westeuropäischen Staaten wird heute leider noch zu oft verdrängt. Noch ist die Absicherung des Lebens durch die sozialen Netze gesichert. Aber die Konstruktion dieser Netze läßt die Wahrscheinlichkeit einer Überforderung aktuell werden.

      In allen Diskussionen wird davon ausgegangen, es wäre genug Arbeit vorhanden. Wir hätten nur nicht genügend Geld, es zu bezahlen. Damit wird wieder bestätigt, daß Arbeit jetzt als zu kaufende Ware gesehen wird. Es wird eigentlich nie die Frage gestellt, geschweige denn beantwortet, wieviel Produkte und Leistungen, die ja durch Arbeit geschaffen werden, wirklich gebraucht werden. Wie groß ist der Bedarf an Produkten, um für alle Menschen ein Leben in angemessenem Wohlstand in materieller aber auch in geistiger Hinsicht zu führen. Fast völlig unbeachtet bleibt dabei die immer stärkere Rationalisierung. Einsatz des Kapitals sind überwiegend Rationalisierungsinvestitionen, d.h. es wird immer weniger menschlicher Arbeitseinsatz nötig, um die benötigten und gewünschten Güter und Dienstleistungen bereit zu stellen.

      Vor dem Hintergrund der dadurch heraufziehenden sozialen Spannungen, erscheint es interessant zu versuchen, die Wirkungen der Arbeit auf die Menschen in ihrem geschichtlichen, im historischen Zusammenhang zu verfolgen. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf den christlichen Kulturkreis. Es wäre mit Sicherheit auch interessant zu untersuchen, wie sich diese Frage in den anderen Kulturkreisen darstellt.

      In der konventionellen Geschichtsschreibung wurden bis zum 19. Jh. meist nur die Taten der Könige, der Herrscher und der Feldherren beschrieben. Untersuchungen und Analysen beschränkten sich im wesentlichen auf die imperialen Auswirkungen. Die Auswirkungen der gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen, als Umfeld für die Arbeit, in dem die einfachen Menschen ihr Leben einzurichten hatten, ist selten Thema von sachlichen und objektiven Untersuchungen gewesen. Diese Ausarbeitung kann aber nur als der Versuch einer Annäherung aus der bekannten Literatur gesehen werden. Das Thema scheint es wert, daß ein weiterer Versuch zur Vertiefung und Detaillierung folgen sollte.

      Bevor der Versuch von Erklärungen und Beschreibungen gemacht wird, erscheint es zweck-mäßig, auf die Definitionen für den Begriff Arbeit zurückzugreifen, wie sie heute in der Wissen-schaft benutzt werden. Die Auslegungen in der heutigen Alltagssprache sollten daher mit Vorsicht benutzt werden, denn in den meisten Fällen werden damit bewußt oder unbewußt Beeinflussungen bis hin zu Manipulationen der jeweilig angesprochenen Gruppe versucht.



      Begriffsbestimmungen
      Im Folgenden werden aus verschiedenen Quellen die Teile wiedergegeben, die sich mit dem Begriff Arbeit befassen.
      Duden-Lexikon 4. Auflage
      Arbeit, zielgerichtete Betätigung (mittelhochdeutsch, arebeit=Mühe), berufliche Beschäftigung, auch Ergebnis geistiger oder körperlicher Betätigung ......
      Meyers großes Taschenlexikon 4. Auflage
      Arbeit, bewußter, ziel- und zweckgerichteter Einsatz körperlicher und geistig-seelischer Kräfte des Menschen, der sich in Arbeitsergebnissen vergegenständlicht (Güter, Dienstleistungen, geistig-künstlerischer Werk), die der Befriedigung materieller und ideeller Bedürfnisses dienen.
      Handbuch der Philosophie Kerle Verlag 1949
      Arbeit: Betätigung körperlicher und geistiger Kräfte die sowohl
      a) der Befriedigung bestimmter, aus der Daseinssituation des Menschen entspringender Bedürfnisse wie
      b) der sinn- und wertgerichteten menschlichen Lebensgestaltung dienen, wie
      c) zu der dem Menschen wesenhaften Lebensbetätigung schlechthin werden können.
      Historisches Wörterbuch der Philosophie, Wissenschaftliche Buchges. Darmstadt
      Der Ausdruck "Arbeit" und seine Äquivalente gehören in allen Sprachen zu den wichtigsten und zuerst gebrauchten Wörtern und bezeichnen eine der elementarsten menschlichen Tätigkeiten.
      ..... hat systematisches Gewicht erst erhalten, als der Mensch zum reflektierten Bewußtsein seiner Stellung in der modernen industriellen Zivilisation gelangt ist
      ..... Beziehung des Menschen zu seinem technischen Tun, das sich auf die Beherrschung der Naturkräfte richtet und die Produktion und Verteilung der aus der Materie hervorgegangenen Güter zum Ziel hat .....
      Soziologie-Lexikon, Reinhold, R. Oldenbourg-Verlag
      .... die bewußte, gezielte, körperliche und / oder geistige Tätigkeit, die ein materielles oder immaterielles Produkt hervorbringt und das mittelbar (evtl. über Entlohnung) zur Sicherung der materiellen und geistigen Existenz dient.
      .... in der Ökonomie ist Arbeit neben Kapital und Boden ein weiterer Produktionsfaktor
      Lexikon der Psychologie, Arnold-Eysenck-Meili, Herderbücherei
      ..... die Arbeit ist eine durch Lernen erworbenen Verhaltensweise .....
      .... die Arbeit ist bestimmten Forderungen unterworfen, technischen, wirtschaftlichen, sozialen Forderungen
      ..... die Arbeit ordnet die Menschen in soziale Gruppen und Organisationen ein ....
      Inhalt der Soziologie
      ..... existentielle Bedeutung der Arbeit vor allem als aktiv-gestaltende Auseinandersetzung Menschen mit seiner natürlichen und soziokulturellen Umwelt zur Sicherung seines Überleben.
      Inhalt der Volkswirtschaftslehre
      .... Arbeit als einer der Produktionsfaktoren, dem entscheidende Bedeutung für die Erzeugung wirtschaftlicher Güter zukommt
      Inhalt der Betriebswirtschaftslehre
      .... Arbeit als Elementarfaktor der betrieblichen Leistungserstellung
      Inhalt der Arbeitswissenschaft
      .... unter produktionskombinatorischen Gesichtspunkten sind mit der ökonomischen Nutzung der Arbeit verbundene Erscheinungen wie Arbeitskrafteinsatz, Arbeitsgestaltung, Arbeitsbewertung, Humanisierung der Arbeit ...Gegenstand der Untersuchungen
      Die verschiedenen Beschreibungen des Begriffes Arbeit sind ein Beweis für die Vielschichtigkeit der Sichtweisen in den verschiedenen Situationen und in den betroffenen Gruppen und Schichten der Gesellschaft . Eines ist aber allen Erklärungsversuchen gemeinsam, Arbeit ist mehr als das Tätigsein gegen Entgelt, es ist mehr als sich ein Leben in seinen äußeren Dingen zu leisten, es ist immer auch ein Teil des Sinnes des Lebens.




      Das Altertum

      Biblische Zeit

      Der Beginn der Geschichte der Arbeit verliert sich in der grauen Vorzeit unserer Geschichte. Vielleicht ist ein guter Anfang die Zeit, in der der Mensch als Jäger in der ihn umgebenden Natur sich das nahm, was er zum Überleben brauchte. Veränderte sich das Umfeld zu seinen Ungunsten, dann zog er weiter. Diese damalige Lebensart ist unsere heutige Beschreibung der Nomaden. Andere dagegen nahmen ihre Umwelt in Besitz und veränderten und bearbeiteten sie, um aus der Natur das zu gewinnen, was sie zum Überleben brauchten. Sie waren die Seßhaften, später auch die Bauern genannt. Sie lebten in Gebieten, die für diese Lebensart die notwendigen Reserven, die ausreichende Fruchtbarkeit hatten. Dieses waren, von Auswirkungen bei großräumigen Klimaverschiebungen abgesehen, meist die fruchtbaren Flußtäler. Man könnte hier die Frage stellen, ob diese zwei Lebensarten in der weiteren Entwicklung der Menschen, in der weiteren Gesellschaftsentwicklung nicht in die Rollen der Herrschenden und der Beherrschten hineinwuchsen.

      Wenn man die Bibel als Geschichtsbuch akzeptiert, das Entwicklungen und Strömungen der damaligen Zeit in der damaligen Sprache festhielt, dann wäre an dieser Stelle die im alten Testament im 1. Buch Moses, 4. Kapitel beschriebene Geschichte erwähnenswert. Kain ermordet Abel, weil der Herr seine Opfer als Ackermann ...nicht gnädiglich...
      angenommen hat. Die Opfer von Abel dagegen nimmt der Herr an. Dieses obwohl Abel als Schäfer leichter zu Erfolgen mit seiner Arbeit kommt. Wäre dieses als erste Quelle einer besonderen Heraushebung einer Gruppe von Menschen zu deuten? Wird hier erstmals eine soziale Hierarchie in der Welt der Arbeit beschrieben? Oder ist in dieser Legende sogar ein Bürgerkrieg beschrieben? Die Entstehung dieses Textes wird bei einem aaronotischen Priester zur Zeit des König Hiskias, des Königs von Juda, gesehen (etwa 700 v.Chr.). Es war die Zeit der Aufstände gegen die Besatzung durch die Assyrer.

      Weitere Hinweise auf die Arbeit in ihrer Auswirkung für den einzelnen Menschen begegnen uns im 1. Buch Moses, 3. Kapitel

      Im Schweiß Deines Angesichtes sollst Du Dein Brot essen .....

      Im 1. Buch Moses, 9. Kapitel, Bund des Herrn mit Noah, gibt er den Menschen eine Vorgabe

      ..... seid fruchtbar und mehret euch, und reget euch auf Erden, daß eurer viel darauf werden,

      ..... eure Furcht und Schrecken sei über alle Tiere auf Erden .....,

      ..... alles was sich reget und lebet, das sei eure Speise ....

      Diese Texte sind nach den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaftler entstanden unter dem Eindruck der Reichsteilung (etwa 10. bis 8. Jh. v. Chr.) und der Herrschaft der Könige David und Salomon. Es war eine Zeit größerer Umbrüche in den sozialen und religiösen Lebensumständen der Region zwischen Mesopotamien und dem östlichen Mittelmeer. Kriege, Entstehen und Zerfall politischer Macht bestimmten das tägliche Leben. Diese Texte könnten also auch ein Spiegel des damaligen Lebensgefühles der Menschen sein. In Zeiten größerer Umbrüche, versuchen die Menschen immer für ihr religiöses Verständnis, in der Frage nach dem Sinn und dem Ursprung ihres Lebens eine Antwort zu finden. Es wären also durchaus Rückschlüsse auf das soziale und politische Umfeld dieser Region in jener Zeit möglich.

      Die menschlichen Tätigkeiten hatten sich aus der Überschaubarkeit des Stammes, der Familie in größere Gesellschaftsformen der Städte, der Länder, der Königreiche verlagert. Der Stamm als relativ kleine gesellschaftliche Gruppe war organisiert nach Prinzipien einer geringen sozialen Schichtung und ohne zentrale politische Autorität. Die Mitglieder verband eine gemeinsame Kultur und eine gemeinsame Sprache. Sie lebten in gleichen überlieferten und immer wieder neu erworbenen Denkmustern und Verhaltensweisen. Die neue Gesellschaft in größeren Einheiten, einer Stadt, eines Königreiches dagegen hatte sich hierarchisch organisiert. Es begannen, sich die soziale Pyramiden zu strukturieren. Die Führung dieser Gesellschaften wurde anonymer, da sie nicht mehr im täglichen Leben der Einzelnen erlebbar blieben. Neben der Aufteilung in der sozialen Hierarchie, begannen sich durch den Beginn der Arbeitsteilung auch die Arbeiten für das tägliche Leben zu spezialisieren. Es entstanden Berufe und damit aber auch eine andere Qualität der Abhängigkeit von anderen Menschen.

      Es war auch der Beginn des bewußten Einsatzes der Resultate technologischer Entwicklungen, sowohl bei der Erzeugung von Lebensmitteln, wie auch im Bereich des Bauens und nicht zuletzt des Kriegshandwerkes. Die damit erreichbaren höheren Produktivitäten in der Landwirtschaft wurden auch nötig, da durch die steigende Bevölkerungszahl größere Menschenmengen ernährt werden mußten. Die Zeit des Garten Eden, in dem die Menschen von den Früchten der Natur leben konnten, ohne selbst hierfür arbeiten zu müssen, ging wohl zu Ende.

      Diesen Entwicklungen in den Lebensformen der Menschen überlagerte sich die Entwicklung der Religion, der Einfluß der Götter, aber auch der Einfluß und die Stellung der sich entwickelnden Königshäuser. Die Macht, die dem König im Zusammenwirken mit den Göttern und gestützt durch die Priesterschaft zuwuchs, gab diesem auch die Möglichkeit, über den Mehrertrag, den die fortgeschrittenen Technologien erbrachten, zu verfügen. Diese Mittel waren aber auch die Voraussetzung, daß die Könige die heute noch bestaunten großen Bauwerke, Kunstwerke und Infrastrukturen erstellen konnten. Sie konnten eine Bürokratie unterhalten, die nötig war, um die Macht zu stützen und auch Armeen zu unterhalten, um Kriege zu führen. Diese Macht der Könige setzte aber auch eine Kooperation oder zumindest ehrfürchtige Unterwerfung und passive Zustimmung der gesamten Gesellschaft voraus. In diese Zeit der sich entwickelnden neuen Gesellschaftsformen entstanden die Bücher des Alten Testamentes. Die vielen Kriege, die dadurch größer werdende Zahl von Menschen die aus der Produktion der Landwirtschaft herausgezogen wurden, müssen zu Lebensumständen geführt haben, die durch die Bibeltexte belegt werden. Mit dieser Form der Arbeit in der Gesellschaft begann aber auch die Macht über Menschen anonymer zu werden.

      Auch damals schon versuchte der König, sein Handeln als ein Handeln für seinen Gott zu erklären. Für die einfachen Menschen war dieses eine Erklärung für die ihnen abverlangte Mühe und Qual der Arbeit. Es war ein von den Göttern gewünschter oder zumindest geduldeter Zustand. Der Wissensvorsprung der Priesterschaft über die Erscheinungen der Natur schaffte hierzu eine entscheidende Voraussetzung. Sie gaben vor, das Wissen über die Zeichen der Natur deuten und sammeln zu können. Dieser Anspruch ermöglichte es ihnen, die Befehle der Könige, aber auch die der Priester als gottgewollt zu interpretieren und durchzusetzen.

      König Salomo führte die Fronarbeit ein (missim). Jeder Bürger mußte einen Monat im Jahr für die Regierung arbeiten. Diese Fronarbeit als extreme Form der Arbeit für den Staat wurde nötig, da er in seiner Regierungszeit ergiebige Einnahmequellen für seine ungeheure Bauwut brauchte. Da es noch kein Geld im heutigen Sinne gab, waren Sachleistungen oder eben Fronarbeit üblich.

      Dieses war eine entscheidende Veränderung der Gesellschaft im Vergleich zu den früheren Formen der bescheidenen Lebensformen der Familie, des Stammes, des Dorfes. Dort lief das Leben durch gegenseitige Abstimmung und Verständigung ohne zentrale Autorität ab, es gab keine Befehle, denn es bedurfte ihrer nicht.

      Mit der Stärke der Priesterschaft kam es aber in der Folge der Geschichte immer wieder zu Spannungen zwischen der weltlichen Macht der Könige und der göttlichen Macht, vertreten durch die Priester. Andererseits entwickelten sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem Königtum und der Priesterschaft für die größeren Gesellschaften, aber auch durch den König garantierte Sicherheiten. Es entwickelte sich in den Menschen ein allgemeines Rechtsgefühl, eine Verpflichtung aller für die Gemeinschaft, nicht nur für die eigene Familie, die eigene Sippe, der direkten Nachbarschaft. Die Weisungen der Könige ließen die geschriebenen Gesetze und Edikte entstehen. Aber eben auch die allgemeinen Abgaben in der Form von Steuern, dem Zehnten oder wie auch immer entstanden in dieser veränderten Gesellschaft. Die Gesellschaft wurde dadurch zu Leistungen fähig, die wir ob ihrer notwendigen Disziplin, ihrer Konzentration heute noch bewundern. Man könnte sagen, es entstanden die ersten Ansätze eines Wohlfahrtsstaates, vielleicht sogar Ansätze eines elementaren Kommunismus. Diese Zeit wird in der einschlägigen Wissenschaft auch die Achsenzeit genannt.

      In allen bedeutenden Regionen der damals zivilisierten Welt errichteten die Menschen neue Gedankengebäude. Die neuen religiösen Systeme spiegelten die veränderten ökonomischen und sozialen Verhältnisse wider. Ein sich bildender neuer Wohlstand ließ aber auch die Macht des Marktplatzes, der Kaufleute zu Lasten der Könige und Priester größer werden. Dadurch wurden aber auch Ungleichheit und Ausbeutung deutlicher. In der heutigen Sprache würde man sagen, es war eine Zeit der Marktwirtschaft, eines aggressiven Kapitalismus. Es war auch eine Zeit des, wie wir heute sagen würden, Wertewandels, Paradigmawechsels. Die Religionen der vielen Götter zerfielen und gingen über in einen Gott, Jahwe bei den Juden. Die sozialen Belange wurden wieder in den Mittelpunkt ihres Bildes von Gott gerückt. Die Geschichte von Jesus, mit seinem Kampf gegen das Pharisäertum, gegen Zinswucher, gegen das Elend der Menschen machen auch hier einen Rückschluß auf die damalige Lage der Menschen möglich.



      Griechisch - römische Zeit

      Etwa zur gleichen Zeit entwickelten sich auch die Gesellschaften im Einflußbereich der griechischen und später der römischen Kultur. Auch hier entwickelte sich die Form des menschlichen Zusammenlebens aus den Anfängen der Stämme, aus Jägern und Ackerbauern hin zu größeren und damit stärkeren Gesellschaftsformen. Die sich entwickelnden Reiche kämpften, egal in welcher Staatsform, um die politische Vorherrschaft aber auch um Arbeitskräfte. Der Begriff der Sklaven ist aus der griechischen Geschichte deutlich überliefert. Die körperliche Arbeit als Verrichtung des Körpers war des freien Menschen unwürdig. Sie stellte einen Zwang dar

      Aristoteles (384 ... 324 v.Chr.) sagt:
      ..... und hindert den Menschen an der Muße der Kontemplation, die das eigentliche Tun des Weisen ist.
      ..... Arbeit und Tugend schließen sich gegenseitig aus.

      Platon (427 ... 347) stellt in Gorias fest:
      Demnach steht fest, daß du (der Philosoph) ihm gegenüber ( dem Ingenieur) voller Geringschätzung bist, ebenso wie du seine Kunstfertigkeit mit Verachtung betrachtest; daß es eine Schande bedeuten würde, wenn du ihn als Mechaniker anredetest und daß du weder bereit wärst, seinem Sohn die Hand deiner Tochter zu überlassen, noch die seine annehmen würdest.

      Im 4. Jh. v.Chr. waren auf Attika ein Viertel der Bevölkerung Sklaven (80.000). Nach dem Aufkommen der Geldwirtschaft im 6. Jh. v.Chr. wurde das Kaufen und Verkaufen von Sklaven gang und gäbe. Menschen wurden zur Marktware.

      Bei den Römern galt der Spruch des Juristen Gaius:
      Alles, was durch einen Sklaven erworben wird, wird für den Herrn erworben.

      Noch Cicero (106 ... 43 v.Chr. ) erklärt,
      ..... daß die Handwerker einen niederen Beruf ausüben ......

      Besonders in der römischen Wirtschaft waren die Sklaven unerläßlich geworden.

      Die Kriege mit ihren riesigen Menschenverlusten führten zu einem enormen Arbeitskräftemangel. In der Zeit der Kriege mit Karthago wurden die verbliebenen kleinen italischen Bauern durch die Kriegsbelastungen ruiniert, da vor allem sie die Last der Kriege zu zahlen hatten. Sie mußten die Soldaten stellen und daneben die materielle Unterstützung für die Legionen erbringen. Sie waren gezwungen, ihr Land an Großgrundbesitzer zu verkaufen, die ihrerseits das Land durch Sklaven bestellen lassen konnten. Denn nur Sklaven und Tagelöhner machten die gewinnbringende Bewirtschaftung möglich. Der Bedarf in den entstehenden Großbetrieben der Landwirtschaft war entsprechend riesig. In den späten römischen Republiken waren immer noch ein Drittel der Gesamtbevölkerung (250.000 bis 300.000) Sklaven.

      Konstantin der Große versuchte, die Bauern durch Zwangsverpflichtung auf ihrer Scholle zu halten, als Kolonnen. Der Status entsprach in etwa den Leibeigenen des Mittelalter. Ähnliche Regelungen versuchte er bei anderen Berufen in der Stadt, denn auch dort waren die Verhältnisse denen auf dem Lande ähnlich. Durch die Anordnung von Zwangsinnungen für Handwerker entstand eine Art gelenkter Wirtschaft insbesondere zur Sicherstellung der Heeresversorgung.

      Das freie Bauerntum verschwand fast völlig. Die Bauern zogen in die großen Städte, um dort zu einem wurzellosem Proletariat zu werden. Diese wirtschaftliche Ordnung, begleitet von einer entsprechenden politischen Ordnung, würden wir heute als kapitalistisch bezeichnen. Sie brachte neben dem Stand der Sklaven auch den Stand der Plebs hervor, das Proletariat der römischen Zeit, das aus den mittellos gewordenen Bauern und kleinen Handwerkern entstand. Diese Verhältnisse führten zwangsläufig zu sozialen Spannungen. Es zeigte sich schon im alten Rom, daß der Besitz der Produktionsmittel (damals Grund und Boden) und des Kapitals von entscheidender Bedeutung für die sozialen Fragen waren. Diese Aufteilung behinderte schon in dieser Zeit die eigene Existenzsicherung und die soziale Geborgenheit der Menschen.

      Thomas Mann sagte zu diesem Teil unserer abendländischen Geschichte:
      ..... wer das erste Jh. v.Chr. studiert hat, braucht in der Geschichte nicht mehr viel hinzulernen ...

      Zur Zeit Cicero (106 ... 43 v. Chr.) hatte der Bauernstand noch ein hohes Ansehen
      ..... Doch der Bauer zerfurcht mit dem krummen Pflug die Erde, dies ist die Arbeit des Jahres, damit erhält er die Heimat .....
      Von allen Erwerbsarten ist die Landwirtschaft die beste, die des freien Mannes würdigste.

      Mit Verachtung jedoch blickten wohlhabende römische Bürger auf die Handwerker, besonders auf jene, die sich nicht einmal Sklaven leisten konnten und ihre Waren selbst verkaufen mußten. Diese beurteilte der gleiche Cicero wie folgt:

      Da in der Werkstatt kein Raum für erhabene Gedanken ist, verrichten alle Handwerker einen schmutzigen Beruf. Am meisten sind jene Berufe zu verachten, die von den Sinnesfreuden leben: Fisch- und Geflügelhändler, Metzger und Köche, die Verkäufer von kosmetischen Artikeln, Tänzer und Gaukler.

      Ehrenhafte Berufe sind jene, die besondere Fähigkeiten erfordern und gemeinnützig sind, wie die Heilkunst, die Baukunst und der Unterricht in den Wissenschaften.

      Der Kleinhandel ist ganz und gar zu verurteilen, der Großhandel jedoch, der aus allen Teilen der Welt vielerlei Waren einführt und diese, ohne zu betrügen, vielen zugänglich macht, ist nicht zu verachten.

      Wichtig für die Römer aber trotzdem besonders verachtet waren die Walker, die die schmutzigen Kleidungsstücke der Römer reinigten.

      Die Folgen dieser sozialen Stufung regte die Handwerker zu Zusammenschlüssen, später auch Zünfte genannt, an. Sie entwickelten strenge und rigide Regeln für ihr Handwerk, um so gegen-über den Bürgern sozial bestehen zu können. Denn die Stellung in der Gesellschaft wurde durch den Census bestimmt, der jedem Bürger aufgrund seines Besitzes seinen Platz in der Gesellschaft zuwies.

      Nach dem Abschluß der Bürgerkriege ergab sich für den Staat als brennendes Problem die soziale Frage. Tiberius Gracchus (113 v. Chr.) brachte ein Ackergesetz ein, nach dem neue Bauernhöfe aus Gemeinbesitz zu schaffen waren. Die Begründung war:

      "Die Tiere Italiens haben Höhlen, Lager oder Unterschlupf, die Männer aber, die für Italien kämpfen oder sterben, haben nichts. Ohne Haus und Hof irren sie mit Weib und Kind umher. Die Feldherren lügen, wenn sie die Soldaten mahnen, für die Gräber der Ahnen und ihre Heiligtümer zu kämpfen, denn keiner hat einen Hausaltar oder ein Ahnengrab. Sie heißen Herren der Erde, und dennoch gehört ihnen nicht eine Scholle Land..
      Dieser Sinneswandel deutet auf eine enorme Schwierigkeit in der Beilegung der sozialen Schwierigkeiten, wahrscheinlich aber auch auf eine Gefahr für das Bestehen des Staates.
      Nach dem Eindämmen des Sklavenhandels und damit auch der Sklavenhaltung durch Kaiser Augustus (31 v.Chr. ... 96 n. Chr.) kam es zu ernsthaften wirtschaftlichen Störungen, zu einer wirtschaftlichen Stagnation. Der Mangel an billigen Arbeitskräften ermöglichte den Anstieg der billigen Importe und damit eine Verstärkung der Verelendung der einheimischen Handwerker u.ä., die (noch) nicht bereit waren, auf die niedrigeren Bezahlungen einzugehen. Es kam zu einer zunehmenden Vermögenskonzentration. Es wäre wahrscheinlich interessant zu untersuchen, welchen Einfluß die Entscheidung über die Sklavenhaltung und damit Veränderung der bis dahin tradierten Gesellschaftsstruktur in ihren Schichtungen und Klassen auf den inneren Zerfall der römischen Gesellschaft hatte. Vergleiche zur heutigen Situation als Folge der offenen Grenzen, der Globalisierung drängen sich auf.

      Kaiser Diokletian verfügte etwa um 300 n.Chr. ein Höchstpreisedikt gegen die Inflation. Die Folge war aber der Zusammenbruch des großräumigen Handels. Tausch und Handel war wegen der Transportkosten nur noch auf kurze Entfernungen wirtschaftlich. Um dieses Edikt durchzusetzen, wurde der Beamtenapparat aufgebläht. Es gab zeitweise mehr staatliche Gehaltsempfänger als Steuerzahler. Auch der Versuch einer Währungsreform, verbunden mit einer Politik des knappen Geldes durch Konstantin den Großen zur Beendigung der Inflation und dem Rückgang von Handel und Gewerbe, schlug fehl. Die Folgen der sinkende Löhne und der Arbeitslosigkeit führten zur weiteren Erhöhung der sozialen Spannungen.

      Der Untergang des römischen Reiches, der Übergang zum Mittelalter, hatte sicher viele Gründe. Mit Sicherheit war aber die Überbeanspruchung der Wirtschaftskraft durch die militärischen Ausgaben, die dadurch ständig steigenden Lasten für die Bürger in den verschiedenen sozialen Schichten, die Gleichgültigkeit gegenüber der staatlichen Ordnung und auch der Zerfall der Familie in ihren Werten von entscheidender Bedeutung. Die wirtschaftliche Basis ganzer Schichten der Gesellschaft brach zusammen. Die ständigen internen Machtkämpfe, die Trennung in Ost- und Westrom sowie der religiöse Umbruch von der Heidenreligion zur christlichen Religion trugen das ihre wahrscheinlich dazu bei.

      Salvian von Massilia, schrieb Mitte des 5. Jh. zum Zerfall des römischen Reiches

      Die Habsucht der Vornehmen, die Käuflichkeit der Finanzbeamten und die Ungerechtigkeit der Kurialen bringen es zuwege, daß die Schwachen die Lasten der Stärkeren tragen müssen.
      Die Situation in dieser Zeit kann vielleicht auch aus einigen Quellen des Neuen Testament abgeleitet werden, Matthäus Evangelium 6. Kapitel
      ..... Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen .
      ..... Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib , was ihr anziehen werdet......
      Sehet die Vögel unter dem Himmel, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und eurer himmlischer Vater nähret sie doch....
      Matthäus, einer der Jünger Jesu, gibt wohl einen Hinweis auf eine notwendige Bescheidenheit des Menschen. Die Arbeit soll nicht für die Ansammlung von Schätzen, also Dingen, die nicht der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse dienen, mißbraucht werden. Die Aussagen der Evangelisten stehen unter dem Eindruck der Auswüchse des materiellen Reichtums. Es war die Spiegelung der Zeit der römischen Kaiser.
      Die römische Gesellschaft hat unzweifelhaft für den Fortgang der Entwicklung in Europa, in der christlichen Welt entscheidende Dinge hervor gebracht. Das Recht, die Rechtsprechung, die Form des Staates, die Herausarbeitung der Staatsformen; von der Diktatur bis hin zur Republik, all dies entstand in jener wechselvollen Geschichte. Aber die Stellung des einzelnen Menschen war geprägt durch ein immer mehr an Unterordnen unter die Forderungen des Staates. Die staatliche Macht legitimierte sich aus der göttlichen Macht. Damit war dem Menschen vorgegeben, in welchen Schichtungen er zu leben hat. Das Einzelschicksal ging unter in der Anonymität. Am Ende der Kaiserzeit war das römische Reich ein Klassenstaat geworden.

      Der Untergang des römischen Reiches unter dem Ansturm der germanischen Stämme aus dem Norden markiert den Beginn des Mittelalters. Für unseren Kulturkreis war dieses auch das Ende der Naturreligionen und der Beginn der Christianisierung.



      Das Mittelalter

      Frühes Mittelalter

      In der Geschichtsschreibung wird der Zusammenbruch des römischen Reiches mit dem Beginn des Mittelalters gleichgesetzt. Der Zusammenbruch des römischen Reiches war dabei Teil der gewaltigen Umwälzungen im europäischen Raum, die mit dem Einfall der asiatischen Stämme in Osteuropa im 4. / 5. Jh. ihren Anfang nahmen. Die dadurch ausgelösten Wanderbewegungen der anderen in Europa siedelnden Stämme, insbesondere der Germanen, führten zu einer völligen Veränderung der europäischen Landkarte. Mit dieser Veränderung der Machteinflüsse war auch eine völlige Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen, insbesondere in den bis dahin unter dem Einflußbereich der römischen Macht und Gesetze stehenden Gebiete, in Gang gekommen.

      Mit diesen Umwälzungen der weltlichen Macht drang auch die Christenreligion aus dem lateinischen Teil Europas in die anderen Gebiete vor und führte neben der allgemeinen Christianisierung zur Ausbildung von Varianten aus der Verschmelzung der lokalen Religionen mit der neuen christlichen Religion.

      In den Mythen der Naturreligion der Germanen wird von einem Kampf zwischen den Asen und den Vanen berichtet, den die Vanen gewannen. Die Vanen waren die Götter des Bauernadels. Die Asen dagegen waren rastlos tätig, die Altäre zu bauen und das Gold zu schmieden. Nach Fertigstellung ihres Wunderschlosses lebten sie in sorgloser Heiterkeit, übten sich im Brettspiel und freuten sich der guten Zeiten. Die Arbeit der Vanen, der Ackerbau wird dagegen als mühevoll auf der spröden und kargen Erde geschildert. Auf Felsbildern erkennt man Ernteszenen als Sehnsucht allen Mühens. Im Gegensatz zur biblischen Geschichte von Kain und Abel ist in dieser Naturreligion der Ackerbauer der Sieger. War dieses auch die Beschreibung einer sozialen Revolution? Es wäre sicher interessant, die Gründe zu ermitteln, die die germanischen Stämme veranlaßt haben, ihre Naturreligion aufzugeben. Was war an der christlichen Religion so stark, daß sie die Naturreligion verdrängten.

      Die einzelnen Teile Westeuropas kamen erst mit dem 7. / 8. / 9. Jh. zur Ruhe, nachdem sich in dem was wir heute das Abendland nennen die Konturen neuer Staaten wie Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien sowohl geographisch wie auch machtpolitisch und strukturell gebildet hatten.

      Im 4. Jh. wurde im römischen Reich die Christenreligion zur Staatsreligion. Geprägt durch das Wirken von Paulus fühlten sich die Menschen von Geburt an mit der Erbsünde belastet. Es gibt aus dieser Prägung keinen Ausweg, jeder ist von Geburt an mit diesem Makel behaftet. Damit gab er der weltlichen Macht den Hauch Göttlichkeit, der insbesondere zur Kaiserzeit zu den bekannten Erscheinungen im römischen Reich führten. Es erklärt andererseits auch die Versuche der Päpste, also der Kirchenmacht, Einfluß auf die weltliche Macht zu nehmen, da ja von Gott so gewollt. Im Römerbrief sagt er:

      Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott, wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet.
      Diese Anweisung an das Volk enthält die Aufforderung, sich eben der Macht, ob Kaiser oder Papst, zu beugen, denn diese Macht ist immer göttlich. Im 1. Brief an Thimotheum sagt er weiter:
      Denn wir haben nichts in die Welt gebracht; darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinaus bringen. Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so lasset uns begnügen. Denn die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke, und viel törichte und schädliche Lüste, welche versenken die Menschen ins Verderben und Verdammnis.
      Diese Aussagen können wieder als Spiegel der damaligen Zeit gesehen werden, also das zugrunde gehende römische Reich. Einerseits die Anerkennung der weltlichen Gewalt und die Aufforderung, sich dieser zu unterstellen und andererseits der Aufruf, sich zu beschränken nur auf die Dinge, die der Mensch für ein demütiges Leben vor Gott braucht. Es kann auch als Reflex auf die sozialen und ökonomischen Ausschweifungen im alten Rom gedeutet werden. Diese Grund-aussage hat sich bis über das Mittelalter hinaus in der katholischen Soziallehre erhalten.
      Mit dem Einfluß der Aussagen von Paulus, denen später viele einflußreiche religiöse Gruppen leidenschaftlich zugestimmt haben, wurde das Zerbrechen der klassischen Kultur ausgelöst. An ihre Stelle trat der mittelalterliche Irrationalismus. Nach Auffassung von Calvin hat die Aussage von Paulus den Menschen seines freien Willens beraubt und damit einer elenden Sklaverei ausgesetzt. Der ewige Ratschluß Gottes wird als Vorausbestimmung gesehen, durch den durch Gott für jeden Menschen vorausbestimmt, was aus ihm werden soll. Ein französischer Religions-wissenschaftler (1623 ... 1662) hat dazu im Rückblick auf das Mittelalter festgestellt:

      Keine Religion außer der unseren hat gelehrt, daß der Mensch in der Sünde geboren wird. Keine philosophische Richtung hat das je gesagt.

      Der Zusammenbruch des römischen Reiches führte auch zum Zerbrechen der sich gebildeten sozialen und gesellschaftlichen Systeme. Die Arbeitsteilung, die sich durch einen größeren Handel und gute Verkehrsverbindungen, insbesondere über Wasserwege, gebildet hatte, brach zusammen. Die einfallenden Stämme brachten ihre gesellschaftliche Welt mit, die Arbeitsteilung war beschränkt auf die Stammesebene, die Verteilwege waren kurz. Die gesellschaftliche Ordnung war aufgebaut auf die Verpflichtungen im Stamm, sichern des Lebens aller und sichern der Kampffähigkeit.



      Die Benediktiner

      In diesen sehr unterschiedlichen Situationen in den verschiedenen Regionen entwickelten sich um die Religion als Kristallisationspunkt neue Beziehungen zur Arbeit und deren Früchte. Die Klöster wurden bei meist strenger Askese und Einfachheit des Lebens zu Kulturzentren, Sammlungen der Literatur und Geschichtsschreibungen. Daneben versorgten sie sich durch wirtschaftliche Tätigkeiten wie Viehzucht, Ackerbau und Weinbau mit den Notwendigkeiten des täglichen Lebens.

      So wurde 520 das Benediktiner Kloster in Monte Cassino in der Tradition römischer Disziplin und altmönchischer Traditionen gegründet. Armut und Keuschheit, Gehorsam gegen den Abt, Betonung der Handarbeit (Ora et Labora), Gastfreundschaft, Armenpflege, Klosterschulen waren diese tradierten Werte. Der Benediktinerorden unterschied sich dadurch von vielen Mönchs-organisationen, da er neben den bekannten Pflichten eine besondere Christenpflicht einführte, die Pflicht zur täglichen Arbeit. Manuelle Arbeit war für mindestens 5 Stunden am Tag vorgeschrieben, zehn Mönche unterstanden dabei der Aufsicht eines Dechanten. Dieses war bemerkenswert in einer Zeit des Zusammenbruchs der alten städtischen Wirtschaft. Diese Selbsthilfe verbunden mit der landwirtschaftlichen Produktivität wurde zur einzigen Alternative zu hilflosem Verhungern oder elender Unterwerfung unter Sklaverei und Leibeigenschaft. Mit dieser Maßnahme wurde versucht, die Arbeit, die nicht den ganzen Tag dauerte, einzubinden in eine emotionale Vereinigung im Gebet und im Chorgesang. Diese neue Lebensordnung war außerdem eingebunden in die ästhetische Steigerung durch Aufbau und Pflege der Gebäude und Gärten, sowie durch geistige Beschäftigung wie Lesen und Schreiben. Diese Ordnung, auch in ihrem täglichen zeitlichen Ablauf, griff später auf die Marktplätze über. Das Läuten der Kirchenglocken wurde ein Symbol für Disziplin und Ordnung im christlichen Sinne.

      Die notwendige Disziplin im Klosterleben wurde aber gleichzeitig humanisiert. Rigorose Arbeits-teilung, Ausbeutung, Unterdrückung und Sklaverei verschwanden in dieser Gemeinschaft. Jedes körperlich gesunde Mitglied des Klosters, hatte die gleiche Pflicht zu arbeiten, jedes erhielt den gleichen Anteil am Ertrag, auch ärztliche Hilfe und Pflege, sowie besondere Vergünstigungen im hohen Alter. Der Überschuß war für allgemeine Aufgaben und Bedürfnisse bestimmt. Diese Lebensart einer neue Gesellschaft war bis dahin nur in den archaischen und primitiven Kulturen üblich, in den sogenannten zivilisierten Gesellschaften kaum. Diese bei den Benediktinern entstandene Lebensform entwickelte auch eine neue Disziplin und Ethik der Arbeit. Die Arbeit als ein notwendiger Teil des Lebens bekam einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft. Vielleicht kann damit durchaus erneut ein Prototyp eines Wohlfahrtsstaates, aufgebaut auf Solidarität, gesehen werden.



      Hoch- und Spätmittelalter

      Parallel dazu herrschten aber in anderen Regionen noch die aus dem römischen Reich übernommenen Strukturen. Ende des 8. Jh. brachen im Reich Karls des Großen in Sachsen bäuerliche Aufstände aus Protest gegen den kirchlichen Zehnten aus. Dieses kann als Beleg dafür gelten, daß neben der weltlichen Macht der Fürsten auch die Kirche versuchte, als Macht mit eigenen Rechten ausgestattet, sich zu etablieren. Es kann durchaus noch als Folge des Wirkens von Paulus gesehen werden.

      Nach dem Einfall der Araber im 9. Jh. bis nach Mitteleuropa waren die Handelswege der Staaten in Europa zu dem alten Einflußbereich des römischen Reiches mit dem Orient unterbrochen. Damit kam der Transport auf dem Seewege in den Nahen Osten und auch auf den bis dahin dominierenden küstennahen Wasserwegen im Mittelmeer zum Erliegen. Dieses hatte den Zusammenbruch der Geldwirtschaft auf der bisherigen Basis zur Folge. Es entwickelte sich insbesondere in der Landwirtschaft wieder eine Naturalwirtschaft. Das Wiedererstarken des Großgrundbesitzes war eine weitere Folge. Um aber den notwendigen Handel wieder in Gang zu bringen, mußten also zwischen den jetzt im Landesinneren gelegenen Machtzentren neue Verkehrswege und Verkehrsmittel gefunden werden. Die bestehen gebliebenen Übersee-verbindungen, jetzt im Zusammenwirken mit den neu entstandenen Überlandverbindungen, führten wieder zum Anwachsen des Handels und verstärkte damit indirekt wieder die Arbeits-teilung und die Differenzierung der Verflechtungen innerhalb der verschiedenen Binnenlandräume. Einen nicht zu unterschätzenden Einfluß hatte dabei die Entdeckung des Pferdes als Zugtier, nachdem man gelernt hatte, das Geschirr so zu gestalten, daß die Kraft über die Brust des Zugtieres gewonnen werden konnte.

      Die nach wie vor unruhigen Zeiten mit dauernden kriegerischen Auseinandersetzungen führten in ihren Auswirkungen zu eigenartigen Entwicklungen. Im Jahre 1040 wurde ein Gottesfrieden verkündet. Unter diesem Schutz durften Geistliche, Ackerbauern, Reisende und Frauen nicht angegriffen werden. Außerdem hatte grundsätzlich Waffenruhe von Mittwochabend bis Montag-morgen und an allen Feiertagen zu herrschen. Kampf durfte nur an 90 Tagen im Jahr geführt werden. Die kriegerischen Unruhen müssen wohl zu erheblichen Störungen bei der Produktion von Lebensmitteln und im Handel geführt haben, denn anders wäre die Friedenspflicht vor Ackerbauern und Reisenden nicht zu erklären. Die Einbeziehung der Geistlichen und der Frauen unter diesen Schutz zeigte außerdem ein Bild von den moralisch und sittlich wohl sehr desolaten Zuständen.

      Im 10 Jh. begann die Einführung arbeitssparender Maschinen, durch Pferdekraft betriebene Tretmühlen, Wassermühlen und Windmühlen. 1066 gab es in England auf eine Bevölkerung von etwa 1 Mio. Menschen bereits 8.000 Wassermühlen. Besonders in den Klöstern wurden diese Energien benutzt, um Arbeitskräfte freizusetzen, um sie frei zu machen von monotonen Arbeiten, frei für mehr Gebet und Meditation. Die dadurch erreichte Entlastung zeigt sich u.a. auch an der Zahl der Feiertage. In industriell rückständigen Bergbaugebieten waren noch im 16. Jh. 50 % aller Tage Feiertage. Die fortschreitende Einführung dieser Energien führte zum allmählichen Rückgang der Sklaverei und der Leibeigenschaft. Das Christentum und der Islam erklärten die Sklaven zu gleichwertigen Mitgliedern in den religiösen Gemeinden.

      Interessanterweise wurde diese Entwicklung in den Randgebieten der technisch fortgeschrittenen Reichszentren voran getrieben. Die dort lebenden "Barbaren" hatten sich nicht den heiligen Mythen des Gottkönigstums unterworfen, sie hatten an ihren demokratischen Bräuchen, wie wir heute sagen würden, ihrer Stammesgeschichte festgehalten.

      Von den Mönchen im 11. Jh. ging die Erfindung und der Einsatz weiterer arbeitssparender Maschinen und Verfahren aus. Im 12. Jh. wurde in den Zisterzienserklöstern eine zentralisierte Verwaltung eingeführt. Der Bau neuer Klöster wurde nach einem standardisiertem Bauplan durchgeführt. Diese Entwicklung führte aber auch wieder zu größeren Arbeitseinheiten, da nur mit diesen weitere Rationalisierungen möglich wurden.

      Im 12. Jh. war die Rationalisierung, die die Klöster erzielt hatten, reif zur Übertragung in weltliche Berufszweige. Die Gilden übernahmen dies als Vorbild für ihre Ordnung. Die Verpflichtung der Benediktiner "Arbeit und Gebet" hatte den Fluch der Arbeit aufgehoben. Die Beherzigung eines christlichen Leben, so wie in den Klöstern vorgelebt, führte zu einem durchaus erfülltem Leben aber auch zu finanziellem, zu materiellem Erfolg.

      Im 11. und 12. Jh. wurden in Deutschland auch dem niedrigen Adel ihre Dienste für den Hof in Form von Handarbeit erlassen. Aus diesem Adel bildete sich das Rittertum. Dieser Dienst für den Hof wurde als Waffenhandwerk bezeichnet. In der gesellschaftlichen Hierarchie schiebt sich damit zwischen den Bauern, den Handwerkern und den Herrschern, den Königen, den Priestern nun die Schicht der Krieger. Sprachlich ist es interessant, daß das Erringen von Macht mit den Mitteln der Gewalt, auch um den Preis des bewußten Tötens von Menschen, als Handwerk bezeichnet wurde.

      Besonders in Frankreich setzte im 11. Jh. eine Kolonisationswelle bis weit in den Osten ein, um die während der Kriege verödeten Gebiete wieder zu besiedeln. In Nordfrankreich wurde die Drei-felderwirtschaft eingeführt, die Agrartechnik wurde damit entscheidend verbessert. Die Getreide-bearbeitung übernahmen mehr und mehr Wasser- und später Windmühlen. Das Pferd ersetzte den Ochsen. Die Bevölkerungszahl stieg an, aus kleinen Orten wurden Städte. Die Neu-ansiedlungen wurden bewußt durch Hilfen und besondere Privilegien gefördert. Die Nahrungsproduktion stieg um das Fünffache.

      1161 wurde die deutsche Hanse gegründet. Im Mittelmeerraum übernahmen Venedig und Genua eine vergleichbare Rolle. Der Handel zwischen Regionen wuchs an. Im 12. Jh. wurden in Deutschland, Frankreich, Italien und England die ersten Universitäten gegründet. 1407 nahm die erste öffentliche europäische Bank ihre Geschäfte auf.

      Die kriegerische Eroberungen des 11., 12. 13. Jh., insbesondere im Osten von Deutschland, waren die Folge der sich feudalisierenden Gesellschaft. Der Beginn dieser Entwicklung war noch durch das Fehlen größerer Geldtransaktionen gekennzeichnet. Der Grundbesitz als immobiler Reichtum war noch in den Händen der Kirche und der weltlichen Grundherren. Die Herrscher, wie Könige und Herzöge, belohnten daher ihre Heerführer und Beamten mit Grundbesitz. Nur durch diese Belohnungen konnte sich der Herrscher, zumindest für eine begrenzte Zeit, die Loyalität nach innen und im Falle eines Krieges auch nach außen sichern. Als Feudalismus wird dabei die Ausstattung des Adels als herrschende Schicht mit nichterblichen Landbesitz bezeichnet. Diese als Lehen bezeichnete Ausstattung verpflichtete den Lehensnehmer zu Treue und Dienst gegenüber dem Herrscher. Innerhalb seines Lehen erhielt er aber u.a. auch politische und gerichtshoheitliche Vorrechte. Die nach der Lehensgebung meist auch notwendige Besiedlung führte zu einem Kreislauf zwischen dem Landbesitz des lokalen Adels und den damit möglichen Steigerungen des Gewinnes. Damit war aber wieder wachsenden Landbesitz möglich. In diesen Kreislauf waren indirekt auch die Herrscher aber auch die Bauern eingeschlossen und betroffen.

      Im Gefolge der Besiedlung bisher unbesiedelter Gebiete oder der slawischen Gebiete im Osten entstanden eine Vielzahl von neuen Dörfern und Städten. Durch den Erlaß von Verpflichtungen gegenüber den Lehensnehmern für diese Neubesiedlungen, zumindest für die ersten Jahre, konnte sich in der Landwirtschaft, dem Gewerbe, dem Handel ein gewisser Reichtum entwickeln. Die Abgabenbefreiung wurde häufig auch benutzt, um die Urbarmachung der weiten Wald- und Sumpfgebiete gezielt zu fördern. Auch dadurch wurde für die wachsende Bevölkerungszahl Raum erschlossen. Die Landwirtschaft entwickelte sich mehr zu Ackerbauwirtschaft (Anbau von Getreide) und weg von der nur Herdenwirtschaft. Das Getreide wurde gebraucht, um die Versorgung der größeren Menschenzahl zu sichern.

      Die Erweiterung der Besiedelungsgebiete wurde von den Fürsten und Königen auch benutzt, um ihre militärische Stärke zu verbessern. Die Einführung des Rittertums war nur durch die Verbreiterung der bäuerlichen Basis möglich. Die Versorgung des stehenden Heeres, der Ritter, konnte ja nur durch die ökonomischen Erfolge in den Dörfern sichergestellt werden.

      Nachdem aber die Eroberungen neuer Gebiete, besonders im Osten, zum Stillstand gekommen waren, begrenzten sich auch die Möglichkeiten, durch Landnahme und dadurch mögliche Lehen weiter Einfluß auf die Macht zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Landbesitz, damit also der Besitz von Produktionsmitteln, dem Mittel zur Erzeugung von Lebensmitteln, die Möglichkeit zur Erhaltung aber auch zur Erweiterung des Reichtums für die Lehensbesitzer. Noch in dieser Zeit standen sich zwei Klassen gegenüber, die Klasse der Edlen, die da beten und kämpfen, aber auch im Besitze der Produktionsmittel sind, und die Schicht der Unfreien, die da arbeiten.

      Trotz der vielen Kriege mit ihren Verwüstungen stieg aber der ökonomische Anteil der arbeitenden Bevölkerung insgesamt durch die Steigerung der Produktivität in der Landwirtschaft und dem Handel und Gewerbe. Diese Entwicklung aus lokal begrenzten Bezirken heraus war auch eine Folge des Zusammenbruches der zentralen staatlichen Gewalt nach dem Untergang des römischen Reiches. Der Zusammenbruch der Infrastruktur, wie Straßen und Fernhandel, zwang die lokalen Bezirke autark zu werden. Alles was in den lokalen Bezirken zum Leben gebraucht oder gewünscht wurde, mußte auch dort hergestellt werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Weinherstellung. Während im römischen Reich wegen der sicheren Handelswege dieser noch über große Entfernungen transportiert werden konnte, wurde im frühen Mittelalter in Gebieten Wein angebaut, die hierzu klimatisch eigentlich nicht geeignet waren.

      Erst das Zusammenwachsen von verschiedenen Regionen führte langsam wieder zum Aufleben des Tauschhandels und damit auch zu einem Wiederbeleben der Arbeitsteilung mit den sich verändernden gesellschaftlichen Arbeitsformen und Arbeitsaufteilungen. Diese wachsende Integration erzwang auch wieder die Einführung eines geeigneten Tauschmittels, des Geldes. Die länger werdende Kette zwischen dem Erzeuger, dem Bauern und dem Verbraucher durch Stufen der Verarbeitung und der Verteilung war mit dem Naturalaustausch nicht machbar. Denn nur bei Vorhandensein eines allseits akzeptierten und gesicherten Tauschmittels ist der Handel über größerer Entfernungen möglich.

      Das Geld, das dieses möglich machte, schaffte aber eine Abhängigkeit zwischen den Menschen, die in einer derartigen Kette miteinander verbunden waren. Dieses System konnte ja nur funktionieren, wenn jedes Glied dieser Kette funktionierte. Dieses Funktionieren setzte aber wiederum das Vorhandensein einer zentralen weltlichen Macht voraus, die dieses garantieren konnte. Diese zentrale Gewalt aber wiederum konnte ihre Macht nur ausüben, wenn ein hierzu geeignetes Verwalten durch Beamte möglich war. Diese Beamten konnten aber wiederum nur zur Loyalität gegenüber dem Ganzen gebracht werden, wenn sie nicht wie vorher möglich mit Landbesitz und damit mit eigenem Gewinnstreben ausgestattet wurden, sondern durch gutes Geld entlohnt wurden. Damit wuchs der mobile Reichtum Einzelner, der zu einer neuen Schicht der Macht führte, der Geldadel.

      Mit dem Wachsen der Städte übernahmen diese eine starke Macht im Handel und Gewerbe. Sie erstritten sich besondere Stadtrechte. In den Städten wiederum übernahmen die Gilden für den Handel und die Zünfte für die gewerbliche Produktion dominierende Rollen. Die Zünfte begannen, Aufgaben in Planung und Lenkung der Produktion, Preise, Qualität, Absatz, Verdienste, Ausbildung, Beschäftigung und Sozialfürsorge zu übernehmen. Diese Entwicklungen gaben den Städten insgesamt mehr Einfluß in den jeweiligen Staaten oder Reichen. Es begannen durch neue Arbeitsteilungen und damit neue Ketten der Abhängigkeiten neue gesellschaftliche und soziale Strukturen heranzuwachsen. Hierbei muß beachtet werden, daß sich der Anstieg der Bevölkerungszahlen in einer Gesellschaft abspielte, in denen es praktisch keine Sklaven mehr gab. Das Fehlen der Sklaven gab den Arbeitenden auch in der Unterschicht damit ein beträchtliches gesellschaftliches Gewicht. Je weiter die Verflechtung zwischen den Menschen durch die Arbeitsteilung wurde, je weiter in diesen Kreislauf die Gesetzmäßigkeiten des Geldes einzogen, je abhängiger wurden auch die nichtarbeitenden Oberschichten. Krieger und Adel wurden abhängig von diesen Mittel- und Unterschichten.

      Damit war der Aufstieg der Mittelschicht, der bürgerlichen Schichten, abzusehen. Das feudale Verhältnis in der Gesellschaft begann abzubröckeln.

      Trotz der erheblichen Veränderungen in der Struktur der Gesellschaft war die Wertschätzung für die Arbeit mit den Händen nach wie vor gering. Durch den Bergbauförderer Agricola wurde in einem Buch 1550 der Bergbau als ein durchaus ehrliches Gewerbe bezeichnet. Er wandte sich ausdrücklich gegen die immer noch vorherrschende Meinung, daß der Bergbau an sich nicht rechtschaffen sei und deshalb eines freien Mannes nicht würdig. Es sei eigentlich Sache der Sklaven. Man kann daraus ableiten, daß trotz aller Fortschritte die aus dem Alten Rom über-nommene Sicht der Arbeit mit den Händen noch immer ihren Platz hatte. Dieses erstaunt um so mehr, da zu dieser Zeit insbesondere durch die Eisengewinnung und die Stahlverarbeitung die militärischen Machtverhältnisse entscheidend beeinflußt wurden. Die Pulverwaffe auf der Basis eines Eisenrohres wurde um 1325 am Niederrhein entwickelt. Die Wichtigkeit des Bergbaues für diese Technik fand aber eben nicht ihren Niederschlag in der Wertschätzung für die Menschen, die diese Arbeit durchführten.

      Alle diese vielen Veränderungen und Stabilisierungen führten neben der Konsolidierung der weltlichen Machtverhältnisse zu einem ökonomischen Aufschwung, der den Menschen die Möglichkeit gab, ihre Arbeit zu humanisieren, die Möglichkeiten der Unterdrückung durch einzelne lokale Herrscher zu beschränken und andererseits den Wiederaufbau einer Kultur, der abend-ländischen Kultur, zu gestalten. Nicht umsonst liegt der Bau vieler noch heute bewunderter Baudenkmäler in dieser Zeit. Das Selbstbewußtsein der Menschen stärkte sich, die soziale Schichtung stabilisierte sich. Der Einfluß der Religion war stark. Er stellte sicher, daß das Leben gottesgefällig im Sinne der christlichen Lehre gestaltet wurde.

      Durch die Kreuzzüge und die Araber war das Verfahren zur Herstellung von Papier auch nach Europa gebracht worden. Ende des 12. Jh. entstanden in der Lombardei die ersten Papier-mühlen. Damit konnten, wenn auch noch durch mühsames Abschreiben, wichtige Dinge vervielfältigt und damit verbreitet werden. Schon im 13. Jh. waren Teile der Bibel, insbesondere des Neuen Testamentes, in verschiedene Volkssprachen übersetzt. Der entscheidende Durchbruch gelang Johannes Gutenberg um 1445 mit der Erfindung der beweglichen Buchstabentypen aus Metall. Der Druck der Ablaßbriefe erfolgte 1454 / 1455 schon in größeren Auflagen. Diese Entdeckung hatte eine gewaltige Auswirkung auf das gesamte Leben. Informationen aus allen Lebensbereichen konnten jetzt schneller verbreitet werden .



      Katholische Soziallehre

      Die Stellung und die Position der Kirche zum Ausgang des Mittelalters zeigte sich in diesen sich abzeichnenden Veränderungen deutlich in der damals formulierten katholischen Soziallehre. Sie war die Sicht der katholischen Kirche, geprägt von der ambivilanten Sicht über die Existenz der Welt und der Menschheit in all ihren Gegensätzen und Spannungen. Die katholische Welt- und Lebensanschauung sieht in der Einordnung der Menschen in reich und arm, und damit in mächtig und ohnmächtig, den göttlichen Willen. In reich und mächtig spiegelt sich die Existenz Gottes wieder und in arm und ohnmächtig die Rolle Jesus. Die Reichen werden aufgefordert, mit ihrem Reichtum den Armen durch Almosen zu helfen. Damit würden sie im Sinne einer Gottgefälligkeit eine "Anlage" für das Jenseits schaffen. Die Armen aber müßten ihr Schicksal demütig ertragen, denn sie sind von Gott in diese Position gestellt.

      Das sich zur gleichen Zeit, Beginn der Aufklärung, her


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