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    Quo Vadis - Israel ...? - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 12.08.02 20:38:00 von
    neuester Beitrag 31.10.02 19:40:16 von
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      schrieb am 12.08.02 20:38:00
      Beitrag Nr. 1 ()

      Dokumentation der Rede des Preisträgers anläßlich der Verleihung des sog. Alternativen Nobelpreises

      The Right Livelihood Award 2001
      Stockholm, 7. Dezember 2001

      Sehr geehrte Damen und Herren,

      genau an diesem Tag, am 7. Dezember vor 53 Jahren, erhielt ich durch ein Maschinengewehr einen Bauchschuß. Nach vielen Monaten erbitterter Kämpfe, war mir klar, daß ich nur wenig Überlebenschancen hatte.

      Es war am hellichten Tage,und ich lag direkt vor den Augen des Feindes und seiner Maschinengewehre. Doch vier meiner Soldaten, neue Immigranten aus Marokko, kamen zu mir gelaufen und brachten mich unter knatternden Gewehrsalven in Sicherheit. Nach einer langen und holprigen Fahrt in einem Jeep, erreichte ich ohne Betäubung das Armeehospital, gerade noch rechtzeitig, daß Ärzte mich operieren und retten konnten.

      Ich lag dort viele Tage, konnte weder schlafen noch essen, an Schläuche und Instrumente angeschlossen, von Soldaten in Agonie umgeben, von denen manche starben und einige ihre Gliedmaßen verloren – und ich dachte nach und dachte nach. Ich dachte nach über meine Kameraden, die ihr Leben verloren hatten oder die zu Invaliden geworden waren.

      Ich dachte an die unsichtbaren, ehemaligen Einwohner der Dörfer, die meine Kompanie erobert hatte. Immerhin hatten wir oft Häuser betreten, in denen im Herd das Feuer noch brannte und wo das fast unberührte Essen noch auf dem Tisch stand, Familien hatte es wenige Minuten zuvor stehen lassen, um vor uns zu fliehen und waren Flüchtlinge geworden.

      Ich dachte über die Tragödie des Krieges zwischen den beiden Völkern nach, über uns, die neuen Israelis und über sie, die Palästinenser.

      Ich war damals 25 Jahre alt und mußte nun entscheiden, was ich mit dem Rest meines Lebens tun sollte, eines Lebens – und das war mir klar – das mir von jenen vier als Geschenk gegeben wurde, die ihr Leben riskierten, um meines zu retten.

      Als ich so – schlaflos und irrsinnig durstig - im Bett lag, entschied ich mich, daß mein Leben einen Zweck haben muß und daß es nur einen Zweck gibt, der lebenswert ist: diesen tragischen Krieg zu einem Ende zu bringen und für Frieden zwischen unsern Völkern, den Israelis und den Palästinensern, zu arbeiten. Mein Ziel war, Frieden zu machen, Leben zu retten und mich am Marsch der Menschheit in Richtung einer zivilisierten Weltordnung zu beteiligen, wo es weder Krieg noch Hunger oder Unterdrückung gibt.

      Seitdem, also seit 53 Jahren, habe ich mich bemüht, diese Verpflichtung zu erfüllen. Zunächst schuf ich eine Zeitschrift und als ihr Herausgeber kämpfte ich 40 Jahre lang gegen Demagogen, die nationalen und religiösen Haß predigten. Als Mitglied der Knesset kämpfte ich zehn Jahre lang für eine demokratische, liberale, säkulare, multi-ethnische, zivile Gesellschaft in Israel, die auf Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit gründet und die in enger Partnerschaft mit einem freien und souveränen Staat von Palästina lebt.

      Ich war niemals allein in diesem Kampf. Während all dieser Zeit war ich glücklich, in Gesellschaft mutiger Männer und Frauen zu sein, die die Sache des Friedens und der Gerechtigkeit zu der ihren gemacht hatten. Anfangs waren wir wenige, nur eine Handvoll, aber im Laufe des Kampfes wuchs unsere Zahl. Vielen erschien unsere Sache Sisyphusarbeit zu sein. Und tatsächlich gab es auf dem Weg viele Enttäuschungen, manche tief und bitter. Aber die errungenen Siege waren weit bedeutsamer.

      Als wir vor mehr als 50 Jahren anfingen, gab es kaum einen Israeli, der bereit war, zuzugeben, daß es überhaupt ein palästinensisches Volk gibt, geschweige denn, daß es irgendwelche Rechte hat. Golda Meir, die damalige Premierministerin, erklärte noch vor 30 Jahren, daß es „so etwas wie ein palästinensisches Volk” nicht gäbe. Heute gibt es kaum mehr einen Israeli, der die Existenz des palästinensischen Volkes leugnet.

      Als wir vor 40 Jahren sagten, daß es neben dem Staat Israel einen Staat Palästina geben sollte, klang es verrückt. Heute glaubt die große Mehrheit der Israelis, daß es keinen Frieden ohne diesen gibt.

      Als wir vor 30 Jahren sagten, daß wir mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation verhandeln sollten, erschien dies wie Verrat. Tatsächlich verlangten etliche israelische Minister, daß ich wegen Hochverrats angeklagt werden sollte, weil ich während der Schlacht um Beirut mich das erstemal mit Yassir Arafat traf. Nach 1993 gaben sich israelische Minister bei Yasser Arafat die Türklinke in die Hand.

      Als wir vor sechs Jahren den Slogan „Jerusalem – Hauptstadt zweier Staaten” prägten, wurden wir angegriffen, den nationalen Konsens zu brechen. Aber im vergangenen Jahr, als die israelische Delegation in Camp David vorschlug, einige arabische Vororte von Ost-Jerusalem dem zukünftigen palästinensischen Staat zu überlassen, gab es kaum einen Protest in Israel.

      Der Weg vor uns ist (noch) hart und gefährlich. Laßt uns nicht die Macht des Hasses, der Angst und der Vorurteile unterschätzen, die im Laufe von 120 Jahren anwuchsen.

      Aber wenn wir auf den langen Weg schauen, den wir schon gegangen sind, können wir mit Vertrauen sagen, daß das Ende schon in Sichtweite ist. So dunkel die Nacht auch sein mag, so wissen wir doch, daß mit der Morgenröte ein neuer Tag kommen wird.

      Von neun Jahren haben Rachel und ich an einem Protest gegen eine Entscheidung von Rabins Regierung teilgenommen. Es ging um die Ausweisung der 415 islamischen Aktivisten aus dem Land (Israel).

      Wir, Juden und Araber, stellten in Jerusalem gegenüber dem Büro des Premierministers ein Zelt auf und lebten dort 45 Tage gemeinsam, Tag und Nacht. Es war fast ein skandinavischer Winter. Jerusalem war mehrere Tage von Schnee bedeckt. Entweder zitterten wir vor Kälte oder erstickten am Rauch des offenen Beduinenfeuers. Wir sprachen über das Versagen der alten Friedensbewegung, die nicht bereit war, gegen eine Labour-Regierung zu protestieren.

      Damals entschieden wir uns, eine neue Friedensbewegung zu gründen: unabhängig, kämpferisch, unbestechlich, also nicht nach Popularität schielend, der Wahrheit verpflichtet, auch dann wenn uns Haß entgegenschlägt. Auf diese Weise wurde Gush Shalom, der Friedensblock, geboren.

      Rachel und ich akzeptieren heute diesen Preis vor allem als ein Salut für die Hunderte von Aktivisten von Gush Shalom: die Frauen und Männer, alte und junge, die alles geben, Zeit, Kraft, Geld und was am wichtigsten ist, ihre Überzeugung für die Sache des Friedens und der Gerechtigkeit, die bei strömendem Regen hinausgehen oder in die brennende Sonne, um gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu demonstrieren, sich gegen Haß, Drohungen und Gewalt von selbsternannten Patrioten stellen, die ihrer Überzeugung treu geblieben sind, selbst dann, wenn Verzweiflung und Resignation die Oberhand gewinnen wollen und wenn rund herum andere Friedensgruppen zusammenbrechen und aufgeben.

      All jenen und allen andern Friedensaktivisten in Israel sende ich von hier, von dieser schönen Stadt eine Botschaft der Freude und der Hoffnung:

      Laßt uns den Kopf hoch halten, denn unsere Sache wird sich durchsetzen. Allen Widrigkeiten zum Trotz, auch wenn der Weg noch so schwierig ist, selbst wenn die Mächte des Bösen und der Dummheit zu gewinnen scheinen - die Zukunft gehört uns, den Kräften des Friedens und der Versöhnung, den wahren Patrioten Israels und Palästinas, beiden Völkern, beiden Staaten: – aber mit e i n e r gemeinsamen Zukunft.

      Dieser Preis ist eine ungeheure Ermutigung für uns alle. Wir nehmen ihn mit Dankbarkeit und Demut an. Er erinnert uns, daß wir nur ein kleiner Teil des weltweiten Kampfes für Frieden, Gerechtigkeit und Gleichheit zwischen Menschen und Völkern sind, und für die Erhaltung unseres Planeten.

      All dies kann in einem Wort zusammengefaßt werden, in einem Wort das im Hebräischen und im Arabischen nicht nur Frieden sondern auch Vollkommenheit, Sicherheit und Wohlbefinden bedeutet:

      Shalom /Salaam

      Redner: Uri Avnery
      Übersetzung aus dem Englischen von Ellen Rohlfs
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      schrieb am 12.08.02 20:40:27
      Beitrag Nr. 2 ()

      Eine Bitte um Verzeihung und ein Gebet

      Dokumentation eines offenen Briefes an das palästinensische Volk von Juden in Israel und in der Diaspora

      In der Zeit zwischen den religiösen Festen Rosh Hashanah und Yom Kippur werden die Juden eindrücklich dazu ermahnt, etwas für die Wiedergutmachung des Unrechts zu tun, das wir anderen zugefügt haben. Dieser Brief ist ein Versuch, Euch, unseren palästinensischen Vettern, die Hand zu reichen, um etwas an dem blutigen, gnadenlosen Umgang miteinander zu ändern, wie er zur Zeit in den Beziehungen unter uns vorherrscht.

      Wir, die wir diesen Brief unterzeichnen, ganz normale Juden, wir möchten Euch sagen, daß wir bedauern. Wir bedauern die Katastrophe, die Euch 1948 widerfahren ist, den Verlust Eurer Heimat und Eures Landes, Eure Zerstreuung und Euer Exil, die Familien, die jetzt schon seit drei Generationen in Flüchtlingslagern aufwachsen, ohne daß sie das Gefühl der Heimat oder der Zugehörigkeit kennen.

      Wir bedauern besonders den Anteil der Juden an Eurem Exodus – die Vertreibungen, die Beschießung Eurer Dörfer und die Tötungen, derentwegen ein Klima der Angst entstand, das viele dazu veranlaßte, ihre Häuser zu verlassen.

      Wir bedauern, daß unser schreckliches Jahrhundert der Tragödien zu Eurer Tragödie geworden ist. Ihr wolltet sie nicht, und Ihr habt sie auch nicht verdient. Und wir sahen sie nicht.

      Unser Volk sah sie nicht, weil wir selbst Leid und Verlust, Wut und Kummer erfahren hatten, weil wir verzweifelt zu überleben versuchten, verzweifelt eine Heimat, eine Zuflucht, einen Ort suchten, den wir unser Eigenes nennen konnten. Wir sahen nicht, welch ein großes Opfer wir von Euch forderten.

      1948, und dann wieder 1967, wurden wir auch von der Freude und der Erleichterung über die militärischen Siege geblendet, die unserer Heimat Sicherheit verschafften.

      Wir bitten ohne Vorbehalt um Verzeihung für die immer größer werdende Härte unserer Besatzung seit dem Sieg von 1967 und für die weiteren Verluste, die wir den Palästinensern in der Westbank und in Gaza zugefügt haben. Verlust des Landes, des Wassers, von Bäumen und Häusern, von Würde und Menschlichkeit und Freiheit. Diese Besatzung ist durch Gier und Überheblichkeit pervertiert, und sie hat unser Volk korrumpiert, so wie sie euer Volk gedemütigt und seinen Zorn geweckt hat. Sie hat Haß geschürt und tausend neue Wunden zwischen uns geschlagen. Sie muß aufhören.

      Wir wollen, daß ihr Euren eigenen Staat habt, daß ihr auf ihn stolz sein könnt, eine Zuflucht und ein Symbol der Hoffnung für Euer Volk, mit dem arabischen Jerusalem als seiner Hauptstadt.

      Wir wollen Euch das Land und die Siedlungen zurückgeben, die der Ganzheit und der territorialen Integrität Eures Staates im Wege stehen.

      Wir werden unseren eigenen Staat nicht aufgeben. Wir haben uns zu lange nach ihm gesehnt und zu hart um ihn gekämpft, und wir brauchen ihn zu sehr als die uns heilige Heimat, um ihn aufzugeben. Aber wir wollen, daß unsere beiden Staaten für das Wohl beider Völker als Partner zusammenarbeiten.

      Wir wollen, daß Eure Flüchtlinge mit unserer Hilfe und mit der Hilfe der internationalen Gemeinschaft Genugtuung und Hilfe erfahren, so daß sie sich ein neues Leben aufbauen und, wenn sie es wünschen, sich in ihrer alten Heimat wieder ansiedeln können.

      Wir werden eine gewisse Anzahl unter ihnen in Israel willkommen heißen. Sie werden zwar nicht das Land wiederfinden, das ihre Vorfahren verlassen haben, aber wir hoffen, daß sie auf diese Art und Weise eine neue Atmosphäre der Anerkennung und der Toleranz finden werden.

      Wir achten die Entschlossenheit der Menschen in der Westbank und in Gaza, mit der sie gegen die Besatzung Widerstand leisten.

      Aber wir bitten euch mit aller Dringlichkeit, den Selbstmordbombenattentaten und der Erschießung Unschuldiger ein Ende zu machen. Solches Handeln schafft eine Atmosphäre der Angst, des Hasses und des Mißtrauens und den Eindruck, daß es für einen friedlichen Dialog keinen rationalen Partner gibt.

      Wir werden unsererseits gegen das aggressive und auf Einschüchterung bedachte Handeln unserer eigenen Führung Widerstand leisten. Die Beschießung von Dörfern, Attentate und die Zerstörung von Häusern und Vernichtung von Ernten müssen aufhören.

      In dieser Zeit der Dunkelheit und des Krieges ist es unsere Pflicht, nach jedem Schimmer Licht und nach jedem Schimmer Hoffnung Ausschau zu halten. Für unser Volk und für eures, für unsere Kinder und Kindeskinder wünschen wir uns Freude und Wohlstand, Frieden und Gottes Segen.

      Autoren: Rodger Kamenetz und Elijah Stalking
      Rodger Kamenetz ist der Autor von THE JEW IN THE LOTUS
      Quelle: Olive Branch from Jerusalem, Issue No. 103 vom 2. Oktober 2001
      Übersetzung aus dem Englischen durch William und Ingrid Hodali WUIHO ®
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      schrieb am 12.08.02 21:32:08
      Beitrag Nr. 3 ()

      Kundgebung für Frieden ohne Okkupation und Kolonistensiedlungen

      "Es war die größte Friedenskundgebung seit jener vor sieben Jahren, als Ministerpräsident Jitzhak Rabin auf diesem, seinen Namen tragenden Platz ermordet wurde" - erklärte Gali Golan, die Sprecherin der Schalom-Achschav (Frieden-Jetzt) Bewegung, welche im Zentrum der, die am Sonnabend Abend auf dem Rabinplatz in Tel-Aviv stattgefundenen Massenkundgebung stand. Sie schätzte die Teilnehmerschar auf mindestens 100,000, während der Polizeisprecher von "mehr als 60,000" sprach. Diese Massenbasis wurde durch die Teilnahme der Friedenskoalition, in welcher nahezu alle in Israel wirkenden Friedensbewegungen verteten sind, ermöglicht. Die Kundgebung stand unter dem Hauptmotto: "Schluss mit der Okkupation - sie tötet uns Alle!" und "Scharon zerrt uns in eine Katastrophe!".

      Die unzähligen Transparente und Posters auf dem vollbepacktem Rabinplatz hochgehalten, verrieten, dass außer der Frieden-Jetzt auch der Gusch-Schalom Friedensblock, die von der KP Israel getragene demokratische Chadasch Front, sowie die Organisationen der den Dienst in den besetzten Gebieten verweigernden Offizieren und Reservisten, die Frauenkoalition für Frieden und andere stark vertreten waren. Allerdings waren die zum Rednerpult von der Frieden-Jetzt, außer einigen volkstümlichen Liedermachern und Artisten, zugelassenen sieben Redner, ausschließlich Politiker und, wie mir ein führendes Mitglied des kommunistischen Forums zuflüsterte, "zionistische Friedensaktivisten mit beschränkter Haftung". Das Rednerpult blieb demnach tabu für Kommunisten, Araber (mit Außnahme eines Feigenblattes in der Gestalt des der zionistschen Meretzpartei angehörenden Scharqi Ghatti) und andere konsequente Friedenskoalitionspartner, deren Anhänger den Platz füllten.

      "Mit dieser Kundgebung sollte es (Regierungschef) Ariel Scharon und seinem Kriegsgeneralstabschef Mofas klar sein, dass es keinen Konsensus mehr für ihre Kriegsabenteuer und der Unterdrückung des Palästinenservolkes mehr gibt", erklärte der parlamentarische Oppositionsführer und Vorsitzende der Meretz Partei Yossi Sarid. "Diese Kundgebung tut sowohl Scharon, als auch der arabischen Welt und der internationalen Arena kund, dass es in Israel ein starkes und stärker werdendes Friedenlager gibt". Er erhob auch die Forderung, (zwar nicht alle, aber) "die dem Frieden im Wege stehenden Siedlungen" zu räumen. Der Knessetabgeordnete und Mitglied des so genannten Taubenflügels der mitregierenden Arbeitspartei, Yossi Beilin, erklärte, USA Präsident Bush nannte Scharon zwar einen Mann des Friedens, aber dieer Mann des Friedens scheue sich vor Frieden wie vor des Teufels Großmutter. Er scheut sich vor realen Friedensgesprächen, weil er nicht gewillt ist Friedensbedingungen zu akzeptieren und weil er nichts Konkretes zu sagen habe. Scharon führe die (israelische) Nation und womöglich die ganze Region in eine Katastrophe.

      Da die gerade aufgedeckte jüdisch ultra-fundamentalistische Untergrundbande "Gilat Schalhevet" (Frohlockende Flamme) aus der Siedlerszene gedroht hatte, auf der Kundgebung auftretende Persönlichkeiten "das Los des Landesverräters Rabin" teilen zu müssen, war die Kundgebung von 1,500 Polizisten geschützt. Eine besondere Warnung dieser Bande erging an die Adresse der schon seit dem Unabhängigkeitskrieg vor 54 Jahren immer noch populären Sängerin Jaffa Jarkoni. Sie hatte vor Kurzem öffentlich ihre Abscheu vor den, im Rahmen der so genanten "Schutzwall Operation" verübten Kriegsgreueln, sowie ihre Soldidarität mit den, den Dienst in den besetzten Gebieten verweigernden Reservisten kundgetan und wird deshalb von der gesamten Rechtsszene angegriffen und ihre Konzerte boykottiert. Sie ließ sich aber nicht einschüchtern und trat mit einigen Friedensliedern vor das Mikrofon der Kundgebung.

      Dasselbe galt für den, auch in Deutschland und weltweit bekannten Schriftsteller Amos Os, den Liedermacher Aviv Gefen und dem populären Komiker Dudu Topas.

      Noch vor dieser Massenkundgebung erschienen etwa 150 Aktivisten der jüdisch-arabischen Ta`ajush (Koexistenz) Gruppe am Kissufim Grenzposten zum Gazastreifen und forderten die dort stationierten Reservisten auf, ihren Dienst aufzusagen und nach Hause zurück zu kehren. Gleichzeitig übergaben sie einer aus der Richtung Gaza erschienenen Delegation die Ladung von drei LKWs von Hilfsgütern, vor allem Kindernahrung, Babywäsche und Medikamente.

      Autor: © Hans Lebrecht, Kibbutz Beit-Oren 12.05.2002
      E-Mail: hlebr@trendline.co.il
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      schrieb am 12.08.02 21:41:04
      Beitrag Nr. 4 ()

      Protestaktionen gegen militärische Gewalt

      Mehr als 1000 israelische Reservisten verweigern den Dienst in den besetzten Gebieten
      Zum ersten Mal demonstrierte am Freitag (29. März 2002) eine große Gruppe von "Refusenikim", Reserve Offiziere und Mannschaften, welche den Dienst in den besetzten Gebieten verweigern, vor der Residenz von Regierungschef Scharon in Jerusalem. Ein Sprecher der Gruppe, Amit Maschiach, erklärte, dass den Brief, welche vor ein paar Wochen 53 Offiziere und Soldaten unterzeichnet und veröffentlicht hatten und darin mitteilten, dass sie in Zukunft nicht mehr in den besetzten Gebieten dienen werden und an der menschenrechtswidrigen Unterdrückung eines Nachbarvolkes, der Palästinenser, teilzunehmen, bereits von 375 Reservisten unterzeichnet haben. Zusammen mit den schon vorher diesen Dienst verweigerten Reservisten der Jesch-Gwul (Es gibt eine Grenze) Gruppe verweigern bereits mehr als eintausend Reservisten diesen Dienst. Etwa 20 dieser Reservisten sind gegenwärtig in den Militärgefängnissen eingekerkert.

      Der Luftwaffen Pilot, Major (Res.) Nachum Carlanski, erklärte während der Mahnwache in Jerusalem, er würde als israelischer Patriot seine Wehrpflicht erfüllen, wenn diese zur Verteidigung Israels gelte, aber er werde bei einem Krieg zur Verteidigung der illegal auf palästinensischem Boden angelegten Kolonialistensiedlungen und zur Unterdrückung des Palästinenservolkes nicht mitmachen. "Die Okkupation verursache einerseits eine Dehumanisierung der israelischen Gesellschaft und zeugt andererseits eine weitere Generation von jungen (palästinensischen) Selbstmordattentätern, welche ihr Leben zu opfern bereit sind, um die Ehre ihrer Nation durch Terroranschläge zu retten", betonte Major Carlanski.

      Am Samstag abend protestierten mehr als 500 Demonstranten des Gusch-Schalom Friedensblockes, zusammen mit der Frauenkoalition für Frieden und der Ta-ajusch Solidaritäts Bewegung vor dem Kriegsministerium in Tel-Aviv. Die auf Transparenten und Plakaten erhobenen Losungen lauteten unter anderem "Die Okkupation (Palästinas) tötet uns alle", "Die Invasion israelischer Panzer gebiert neue (palästinensische) Attentate in Israel", "Arafat ist relevant - Scharon nicht" und "Scharon, sowie alle seine Kabinettsmitglieder sind Kriegsverbrecher", u.a.m. Als ein Teil der Teilnehmer die verkehrsreiche Kaplanstraße vor dem Ministerium durch einen Sitzstreik sperrten, kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, während welcher einige der Demonstranten und ein Polizist verletzt wurden. Als die Polizei einen der Demonstranten arrestierte, zog die Menge vor das Polizei Hauptqartier und forderte, mit Erfolg, die Freilassung des Verhafteten. Gerade als die Demonstration sich auflöste, sprengte ein palästinensischer Selbstmordattentäter sich in einem, nur einige hundert Meter entfernten Kaffeehaus in die Luft und verwundete etwa 30, meist junge Israelis.

      Zur selben Zeit fand auch eine ähnliche Protestkundgebung der Friedenskoalition (Frieden-Jetzt und andere) vor der Residenz von Scharon in Jerusalem mit mehr als eintausend Teilnahmern statt.
      Am Freitag nachmittag beteiligten sich auch einige hundert jüdische und arabische Israelis an einer, in Haifa von der demokratischen Chadasch Front organisierten Mahnwache, welche gegen die miliärische Gewalt in den besetzten Gebieten protestierte und die Räumung aller seit 1967 besetzten Gebiete, mitsamt der kolonialistischen Siedlungen forderte.

      Eine Gruppe von etwa 60 ausländischen Teilnehmern aus Italien, Frankreich und Deutschland, darunter Ärzte und Krankenpersonal, marschieten von Jerusalem nach dem belagerten Ramallah und dem von israelischen Panzern und Elitetruppen "eroberten" Sitz der palästinensischen Führung mit Präsident Arafat an der Spitze. Sie protestierten gegen den offenkundigen Bruch der Vierten Genfer Konvention (Schutz der Bevölkerung eines militärisch besetzten Landes) von 1949, das auch von Israel unterzeichnet wurde. Die israelischen Militärs stoppten die internationalen Besucher, welche forderten, den verwundeten Insassen des Gebäudes medizinische Hilfe zuteil werden zu lassen. Aber nach langem Feilschen und der Intervention einiger diplomatischen Vertreter, ließen sie dennoch zwei Ärzte und einige Krankenpfleger zu den eingesperrten verwundeten Palästinensern durch. Die Besatzer erlaubten auch auf Grund der internationalen Einmischung "gnädigst" einer Ambulanz einige der Verwundeten in ein Krankenhaus zu befördern. Bei dieser Aktion wurde auch ein, zusammen mit Arafat eingekesselter (jüdischer) Amerikaner, Adam Schapiro, durch einen Arzt und einer Krankenpflegerin ersetzt, freigekämpft. In der Gesellschaft von Arafat befindet sich auch eine, schon des Öfteren durch ihren Mut und Tapferkeit ausgezeichnete israelische Friedensaktivistin, Netti Golan.

      Bezeichnend für die ach so objecktiven Massenmedien in Israel, wurden und werden all diese Protestaktionen fast vollkommen verschwiegen. Dagegen werden Aussagen der rechtsradikalen Elemente, welche von Scharon fordern, mit noch mehr militärischer Gewalt Arafat und die Palästinser auf die Kniee zu zwingen und die von Scharon und seiner Regierung ultimativ geforderte Unterwerfung zu akzeptieren, oder sogar die ethnische Säuberung von ganz Palästina von ihren drei-einhalb Millionen Ureinwohnern durchzuführen, immer wieder ausposaunt. In dieser Medien Gehirnwäsche spielen die hinterlistigen und zweideutigen Aussagen der Buschmänner im Washingtoner Weißen Haus eine nicht unwichtige Rolle.

      Eines aber sollte klar sein - und einige wenige der Medienanalytiker in Israel drücken dies auch aus: Die Einkesselung und Bedrängung von Arafat haben dessen Prestige in der palästinensischen Öffentlichkeit, wie auch in der gesamten arabischen Welt, ungeheuer gehoben. Noch nie bezeugten die Palästinenser eine so einheitlich geschlossene Unterstützung für Arafat, wie jetzt infolge der brutalen israelischen Aggression. Von nicht Wenigen wird dies dahingehend eingeschätzt, dass die ganze, das Völkerrecht mit Füssen tretende Gewaltaktion letztendlich Scharon wie ein Bummerang treffen und niederschlagen werde.

      Autor: © Hans Lebrecht
      Kibbutz Beit-Oren, 31. März 2002
      E-Mail: hlebr@trendline.co.il
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 08:44:00
      Beitrag Nr. 5 ()

      Südafrika als Modell für den Nahen Osten und die Parallelen zwischen Südafrika und Israel

      Nur moralischer und ökonomischer Druck kann die israelische Besetzung der Palästinenser-Gebiete beenden

      Das Ende der Apartheid in Südafrika war eine der größten Leistungen des vergangenen Jahrhunderts. Ohne internationalen Druck aber wäre dies nicht gekommen. Nichts hätte die Bedeutung der Menschenwürde besser unterstreichen können, als die Proteste und Verweigerungen der "kleinen Leute" auf der ganzen Welt in den achtziger Jahren.

      Diese zeigten Wirkung, weil sie von ganz unten, von der Ebene der Individuen kamen und trotzdem wirtschaftlichen Druck ausübten: Verbraucher kauften keine südafrikanischen Produkte mehr, religiöse Führer bezogen eindeutige Standpunkte und empfahlen sie den Gläubigen, Studenten in der ganzen Welt demonstrierten ihre Solidarität. Schließlich entzogen auch Unternehmen und internationale Organisationen Südafrika Unterstützung und Kapital und zwangen damit die Regierung dazu, erstmals über die Konsequenzen ihrer Politik nachzudenken.

      Solch moralischer und vor allem finanzieller Druck muss jetzt von jedem Einzelnen auch auf Israel ausgehen. In den Vereinigten Staaten verlangen bereits die Studenten an über 40 Universitäten einen Abzug der Universitätsgelder aus israelischen Investments.

      In Europa gibt es schon jetzt erste Verbraucherboykotte gegen den israelischen Staat. Die Art und Weise der Proteste ist nicht die einzige Parallele, die sich zwischen dem Südafrika der Apartheid und dem Palästina der Besatzung ziehen lässt. Die Ausgestoßenen von damals, die Bewohner der Townships, kennen den Alltag in den besetzten Palästinensergebieten aus eigener Erfahrung: Alte Männer, die in ihrem eigenen Land um die Erlaubnis von Teenagern in Uniform betteln müssen, nur um einige Straßen weit reisen zu dürfen. Medizinische Notfälle, die nicht im Krankenhaus behandelt werden dürfen. Unschuld, die nicht reicht, um vor dem Gefängnis zu schützen.

      Nur wenige Glückliche haben die Erlaubnis, in den Städten der Besatzer zu arbeiten - zumindest bis die Truppen die Grenze wieder schließen und ein ganzes Volk einer tödlichen Lähmung ausliefern. Die Erniedrigungen, die bedingungslose Abhängigkeit, die Wut - all dies scheint zu bekannt, um nicht an das zu erinnern, was mein eigenes Land gerade überwunden hat. Ich bin nicht der erste Südafrikaner, dem das klar wird, und viele teilen diese erschreckende Einsicht: Ronnie Kasrils und Max Ozinsky, zwei jüdische Helden des Kampfes gegen die Apartheid, schrieben kürzlich einen offenen Brief mit dem Titel "Not In My Name", in dem die Parallelen zwischen der Politik des früheren Südafrika und des jetzigen Israel aufgezeigt werden.
      Der Brief wurde von mehreren hundert jüdischen Intellektuellen unterzeichnet.

      Die Besatzung Palästinas zu kritisieren heißt aber nicht, Israel als solches zu verdammen; genauso wie die Kritik am Vietnamkrieg nicht die Errungenschaften und Freiheiten der Vereinigten Staaten übersehen konnte. In einer Region, in der die überwältigende Mehrheit der Staaten nach wie vor unter ungerechten und repressiven Regierungen leidet, nimmt Israel die wahrscheinlich demokratischste Position ein.

      Der sofortige Baustopp und die Räumung der Siedlungen in den Palästinensergebieten verliert dadurch aber nichts von seiner Wichtigkeit. Auch rund um Südafrika herrschten damals Diktatoren. Trotzdem waren die Proteste und Wirtschaftssanktionen gerechtfertigt. Aggressionen und Gewalttaten werden nicht dadurch besser, dass sie von einer demokratischen Macht begangen werden. Besatzung und Krieg um Land verstoßen gegen das Völkerrecht, ob sie nun über Jahre, wie im Fall der israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten, oder als Blitzkrieg wie beim irakischen Überfall auf Kuwait geschehen.

      Fast instinktiv war das jüdische Volk immer auf der Seite der Entrechteten. Schmerzhafte Erinnerungen an Massendeportationen, Strafaktionen und schreckliches Unrecht bestimmen seine Geschichte. Die jüdische Religion legt sehr viel Wert auf Mitleid mit den Benachteiligten. In diesem Zusammenhang ist die Besetzung Palästinas deshalb besonders gefährlich: Sie stellt eine Verdrängung der Traumata dar, aus denen solche Überzeugungen geboren wurden - ein selektiver Gedächtnisverlust.

      Aber nicht alle Israelis haben vergessen, auch nicht alle in der Armee. Das kleine Häufchen von "Refuseniks" Wehrdienstverweigerern erinnert an ganz ähnliche Tendenzen in Südafrika, die damals den Beginn der Wende ankündigten. Mehrere hundert dekorierte Offiziere der israelischen Armee weigern sich, ihren Dienst in den besetzten Gebieten zu versehen. Diejenigen von ihnen, die mittlerweile noch nicht im Gefängnis sitzen, tragen ihre Botschaft weiter: Dass Israel Sicherheit braucht, aber sie als Besatzungsmacht niemals bekommen kann.

      Mehr als 35 israelische Siedlungen auf palästinensischem Gebiet sind dieses Jahr bereits gebaut worden. Jede von ihnen ist ein weiterer Schritt weg von Sicherheit für Israel - und zwei Schritte weg von Gerechtigkeit für die Palästinenser. Am Ende fiel das Apartheid-Regime in Südafrika und ebenso kann die Besatzung Palästinas irgendwann enden. Aber der moralische und internationale Druck muss jetzt genauso stark und entschlossen sein, wie er es damals war. Die Anstrengungen, ähnliche wirtschaftliche Boykotte gegen Israel zu organisieren, sind die ersten der dafür notwendigen Maßnahmen.
      Aber sie dürfen nicht die letzten bleiben.

      Desmond Tutu

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      schrieb am 24.08.02 10:23:20
      Beitrag Nr. 6 ()

      Die israelische Friedensbewegung

      Trotz aller Schwierigkeiten und vereinzelter Einschüchterungsversuche durch die israelische Polizei wächst langsam das Protestpotential des Friedenslagers

      Mit der Al-Aqsa-Intifada stellt sich auch die Notwendigkeit, die jüdisch-israelische Linke, deren Reaktion, Stärke und Hintergrund einzuschätzen.

      Ich muss darauf hinweisen, dass wir im israelischen Kontext eher von einem Friedenslager, als von einer Linken sprechen können. Denn trotz einer relativ langen sozialistischen Tradition haben sich die israelischen Linken seit 1967 immer mehr auf die Fragen der Besatzung und der Friedenspolitik konzentriert, wogegen die traditionellen linken Inhalte zumeist vernachlässigt wurden.

      Dementsprechend wurden die Grenzen zwischen links und rechts verwischt. So werden prominente FriedensaktivistInnen, wie etwa der Publizist Uri Avnery, welcher ein brennender Antisozialist ist, irrtümlicherweise als Linke bezeichnet.

      Frieden Jetzt zum Beispiel, die wahrscheinlich bekannteste Bewegung Israels, ist eindeutig eine Organisation des Mittelstands, geprägt durch sozial-demokratische Nostalgie und neo-liberale Praxis und Perspektiven.

      Der Einfluss dieser Bewegung auf die israelische Politik wird im Ausland masslos überschätzt, nicht zuletzt wegen deren legendären Demonstration gegen den Libanonkrieg im Jahr 1982. An der Manifestation sollen etwa 400,000 Menschen teilgenommen haben, dass die tatsächliche Zahl bedeutend niedriger war (etwa 150,000), spielt bei der Mythenbildung eine untergeordnete Rolle; genau so wie die Tatsache, dass Israel erst 1985 zu einem Teilrückzug aus dem Libanon bereit war. Der Einfluss von Frieden Jetzt bei diesem Entscheid ist als sehr gering einzustufen, es waren vielmehr die israelischen Särge, die die israelische Öffentlichkeit und Regierung zu einem Teilrückzug 1985 und zum Vollrückzug in diesem Jahr (2000) zwangen.

      Bereits während der Libanon-Invasion hatte sich ein Muster manifestiert, das sich seither immerzu wiederholt: Damals wie heute reagieren beim Ausbruch eines militärischen Konflikts Frieden Jetzt und die affilliierten Bewegungen mit einer fast instinktartigen nationalistischen Solidarität mit der jeweiligen amtierenden Regierung.

      Nach der Libanon-Invasion hiess es in Frieden-Jetzt-Kreisen, "wenn geschossen wird, darf nicht demonstriert werden". Nachdem radikalere Bewegungen trotzdem auf die Strasse gingen und der Druck der Basis wuchs, schloss sich Frieden Jetzt nach dem Massaker von Sabra und Schahtilla dann doch noch dem Protest an. Denn die mit Frieden Jetzt verbandelten Politiker der "Arbeiter"-Partei, die damals in der Opposition war, entdeckten hierin eine gute Chance, die Likud-Regierung zu attackieren. Die Führung von Frieden Jetzt zeigt immer wieder Mühe, gegen die israelischen Untaten sofort zu protestieren, dies um so mehr, wenn - wie jetzt - die "Arbeiter"-Partei an der Macht ist.

      Schon während der Vertreibung der PalästinenserInnen von 1948 blieb der Protestschrei im Halse der VorläuferInnen dieser Bewegung stecken, wie dies ein bekannter israelischer Schriftsteller treffend beschrieb. "Schiessen-und-weinen"-Syndrom nannte ein scharfzüngiger Journalist Anfang der 80er Jahre das Selbstmitleid der Täter bei Greueltaten, welche das Verhalten von Frieden-Jetzt-Symphatisanten im Schlachtfeld charakterisiert.

      Wegen ihrer starken Verbindung zum Militär war und ist das Umfeld von Frieden Jetzt die schärfste Gegnerin der Kriegsdienstverweigerungsbewegung "Jesch Gvul" (auf deutsch "Es gibt eine Grenze" oder salopp `genug ist genug`).

      Lange wollte diese spezielle Sorte Friedensbewegter aus der Schule "Frieden Jetzt" daran glauben, dass es eine quasi ethische Kriegführung gebe, auch wenn die Kriegsziele nicht in Frage gestellt werden. Nach den Eroberungen von 1967 war man in diesen Kreisen überzeugt, dass eine humane Besatzung möglich sei. Nur eine kleine stark marginalisierte Minderheit schrie dann verzweifelt gegen die Okkupation und plädierte für eine antinationalistische linke Perspektive.

      Schon seit Anfang der zionistischen Kolonialisierung Palästinas gab es eigentlich Juden und Jüdinnen, die ihre Enttäuschung über dieses nationalistische Projekt Kund taten. Denn sie wollten sich mit ihrem linken und humanistischen Hintergrund nicht als KolonialistInnen begreifen.

      Einige dieser Menschen verliessen das Land, andere suchten mit arabischen Linken gemeinsam emanzipatorische Perspektiven, z.B. im Rahmen der PKP, der Kommunistischen Partei Palästinas. Auch die damals kommunistisch-zionistische Mapam wies ausgeprägte anti-chauvinistische Strömungen auf, die für ein gerechtes Zusammenleben der jüdischen und arabischen Menschen in einem Staat plädierten. Da die Sowjetunion die Teilung Palästinas 1947 befürwortete und Israel während des Krieges 1948 auch tatkräftig mit Waffenlieferungen unterstützte, wurden auch gewisse Angehörige der israelischen Linken in Verlegenheit gebracht. In der Folge wurde Palästina unter Israel, Jordanien und Ägypten geteilt. Die Diskussion um die Zwei-Staaten- oder Einstaaten-Lösung gewann wieder an Bedeutung nach dem Krieg von 1967; dies durch die israelische Eroberung des Gazastreifens und der Westbank.

      Die von der israelischen KP, aber auch von liberalen Kreisen propagierte Zwei-Staaten-Lösung erlangte 1988 während der ersten Intifada im Friedenslager breitere Unterstützung, als sich auch Frieden Jetzt öffentlich dazu bekannte.

      Mit dem Oslo-Abkommen von 1993 zwischen Israel und der PLO schien sich die Zwei-Staaten-Lösung durchzusetzen, und einige israelische Friedensorganisationen wie z.B. die "Frauen in Schwarz" waren überzeugt, dass nun tatsächlich der Frieden "ausgebrochen sei". Diese Frauenbewegung hob ihre wöchentliche Mahnwache, die sie seit Anfang der Intifada 1987 in fast jeder Wetterlage beharrlich hielt, auf.

      Beim trotzkistischen antizionistischen alternativen Informationszentrum in Jerusalem, welches jahrelang die Einstaaten-Lösung befürwortet hatte, entstand eine Spaltung zwischen Oslo-AnhängerInnen und -GegnerInnen. Der antizionistische AIC-Direktor Michael Warschawski schloss aus sogenannt taktischen Überlegungen eine Bündnis mit dem bekannten Publizisten Uri Avnery, und sie gründeten gemeinsam eine neue Bewegung, den Gush Shalom (den Friedensblock).

      Diese Bewegung protestierte unermüdlich, jedoch mit sehr kleiner Unterstützung, gegen die massive Siedlungspolitik und sah in der schlimmen Entfaltung des Oslo-Abkommens eine Fehlentwicklung und nicht einen immanenten Bestandteil dieses Vertrags.

      Die Oslo-GegnerInnen wurden zuerst als nicht relevante SchwarzseherInnen abgetan. Als sie ernster genommen wurden, auch in den mainstream Medien, konnten sie jedoch - von wenigen Ausnahmen abgesehen - keine ernst zunehmenden praktischen Ansätze entwickeln.

      Die israelischen Menschenrechtsorganisationen wie z.B. Physicians for Human Rights oder B`tselem führten - trotzt des allgemeinen Desinteresses in der Post-Oslo-Ära - ihre Arbeit unbeeirrt weiter. Auftrieb erhielten auf den anderen Seite zahlreiche bürgerliche Organisationen um Shimon Peres, welche die wirtschaftliche israelisch-palästinensische Zusammenarbeit nach den post-kolonialistischen Vorstellungen dieses Oslo-Architekts, umzusetzen versuchten.

      Die effektivsten Oslo-GegnerInnen in Israel aber waren die Rechtsradikalen. Mit dem Massaker, das der Siedler Baruch Goldstein 1994 anrichtete, und den darauf folgenden islamistischen Anschlägen brachten sie den Oslo-Prozess ins Stocken und Israel an den Rand eines Bürgerkriegs.

      Es zeigte sich die grundsätzliche Asymmetrie in der Einsatzbereitschaft zwischen den ideologisch hochmotivierten Rechtsradikalen und den mehrheitlich egozentrischen hedonistischen Friedensbefürwortern. Währenddem es letzteren primär um die Erhaltung beziehungsweise den Ausbau von materialistischer Lebensqualität geht, sind die Rechtsradikalen durch national-religiöse messianistische Ziele bewegt.

      Um also das Recht auf den Besuch im Nobelrestaurant zu verteidigen, gehen die Friedensanhänger selbstverständlich nicht auf die Barrikaden, wogegen die Rechtsradikalen halt dazu bereit sind, für einen Gottesstaat sogar ihr Leben in einer bewaffneten Aktion zu riskieren.

      Der Schock nach der Ermordung des israelischen Premiers Yitzchak Rabin 1995 bremste für eine Weile den Auftrieb der Rechtsradikalen, und sie mussten sich fast verstecken. Inzwischen sind sie aber wieder zurück.

      Eine interessante Entwicklung machte die palästinensische Bevölkerung Israels. Die Eliten dieser Population sind zu den Gewinnern des Oslo-Prozesses zu zählen. Nach dem Niedergang der Sowjetunion verlor die israelische KP ihre Kontrolle über die arabische Strasse. Eine Reihe von Intellektuellen und PolitikerInnen, welche sich auch auf Hebräisch sehr gut zu artikulieren wissen, begannen das politische Parkett zu beherrschen und vermittelten - auch über die hebräischen Medien - nicht mehr einfach die `Onkel-Tom`-Botschaft, sondern pochten selbstsicher auf ihre Rechte.

      Sie thematisierten als VertreterInnen von 20 % der Bevölkerung Israels eine zentrale Frage - ein Dilemma, wie der ehemalige Inlandgeheimdienst-Chef Ami Ayalon diese kürzlich nannte: Israel muss sich entscheiden, ob es ein Judenstaat oder eine Demokratie sein will.

      Es wird langsam auch in Israel offensichtlich, dass die rassistischen Strukturen, die in diesem Staat eingebaut sind, nicht mit demokratischen Vorstellungen zu vereinbaren sind.

      Als nach der israelischen Provokation Ende September die Al-Aqsa-Intifada ausbrach, waren die meisten israelischen Friedensbewegten überrascht und von der palästinensischen Wut enttäuscht. Den meisten von ihnen war es trotz zahlreicher Medienberichte nicht bewusst, wie die Oslo-Realität für die Mehrheit der PalästinenserInnen aussah. Überrascht waren auch die gemässigten jüdischen FriedensanhängerInnen von der Empörung der palästinensischen Bevölkerung Israels. - Sie wären mit Bestimmtheit weniger erstaunt gewesen, wenn sie sich schon früher mit der Situation dieser "Minderheit" ernsthaft auseinandergesetzt hätten. Dann wäre es ihnen auch aufgefallen, was eine heute veröffentlichte Studie belegt: Nämlich, dass ein sehr grosser Teil - etwa 50 % der arabischen Kindern in Israel, also jedes zweite Kind - unter der Armutsgrenze lebt.

      Dreimal mehr als in der jüdischen Bevölkerung - auch die hohe Zahl in der jüdischen Bevölkerung ist ein erschreckender Befund. Auch sie ist eine Folge von Oslo. Denn dieser angebliche Friedensprozess brachte zwar mehr Wohlstand für gewisse jüdische und palästinensische Eliten mit sich, jedoch gleichzeitig auch eine zusätzliche Verelendung für die breiten Massen beider Gesellschaften. Eigentlich besteht im Moment die grosse Chance für die antizionistische Linke, mit ihrer anti-Apartheid-Politik ein breiteres Publikum zu erreichen. Nur, dafür sind viel zu wenig AktivistInnen vorhanden, und grosse Einigkeit ist nicht eben die Stärke dieser verschiedenen Splittergrüppchen.

      Trotz aller Schwierigkeiten und vereinzelter Einschüchterungsversuche durch die israelische Polizei wächst langsam das Protestpotential des Friedenslagers. Es gibt nun einen neuen starken Impuls und eine Welle von Aktivitäten, die sich bis jetzt hauptsächlich auf traditionelle Formen des Protests konzentrieren: Infoveranstaltungen, Demos, Mahnwachen usw. Es wurden aber leider nur wenige neue konkrete Handlungsformen entwickelt.

      Ein grosses Thema für die praktischen Einsätze bildet die schreckliche Blockade der palästinensischen Gebiete und die damit verbundene grosse Hungergefahr. In diesem Bereich profilieren sich die Islamisten innerhalb Israels, die angesichts der schrecklichen Not imstande sind, wie beispielsweise gestern, 600 Tonnen Lebensmittel in den Gazastreifen zu senden.

      Der Rest der palästinensischen Bevölkerung Israels hinkt mit ihrer Nothilfe hinterher, und noch schwächer sind die jüdischen Hilfsaktionen vertreten. Die oft beschworene und skandierte inter-natio-naaale Soli-dari-tääät mit den belagerten PalästinenserInnen muss sich auch noch besser bemerkbar machen.

      In diesem Zusammenhang ist der Spendenaufruf des Nahostforums zu erwähnen, welcher Geld für den Kauf von Lebensmitteln und Medikamenten sammelt.

      Es ist unsere Absicht, die gemeinsamen jüdisch-palästinensischen Initiativen zu unterstützen. Denn auch wenn diese im Moment noch sehr schwach sind, senden sie eine wichtige Botschaft an die belagerten PalästinenserInnen. Auf der anderen Seite haben sie auch Protestcharakter, welcher der israelischen Regierung nicht entgeht. Im Rahmen dieser israelischen Kampagne reichte gestern auch die Physicians for Human Rights eine Beschwerde an den Obersten Gerichtshofs ein und verlangte die Verpflichtung der israelischen Regierung, die Versorgung der palästinensischen Gebiete mit Lebensmitteln und Medikamenten zu garantieren.

      Eine andere wichtige Aktion gegen die Blockade initiierte die Israelin Neta Golan mit der Idee, den PalästinenserInnen Schutz gegen Angriffe der israelischen Armee und der Siedler zu bieten. Jüdische und ausländische AktivistInnen sollen durch ihren Präsenz diesen Schutz gewährleisten und auch die israelische Blockade aufheben helfen. In diesem Zusammenhang will Neta Golan Märsche organisieren, die die Abriegelungen an einige Orten durchbrechen sollen. Die internationale Beteiligung ist hier ganz wichtig, und Ihr seid alle herzlich dazu eingeladen.

      Ich bedanke mich!

      Autor: © Shraga Elam
      Referat im Volkshaus Zürich, Dienstag, 19.12.2000
      Quelle: Philosophischer Salon e.V, Berlin
      Avatar
      schrieb am 16.09.02 12:42:04
      Beitrag Nr. 7 ()

      Russische Einwanderung verändert Israels Charakter

      Israel ist ein kolonialer Siedlerstaaat - Darüberhinaus ist er aber der Staat von Juden und somit von Opfern oder potentiellen Opfern in vielen Teilen der Welt verbreiteter antijüdischer Ressentiments

      Israel ist ein kolonialer Siedlerstaaat. Darüberhinaus ist er aber der Staat von Juden und somit von Opfern oder potentiellen Opfern in vielen Teilen der Welt verbreiteter antijüdischer Ressentiments. Da Israel auf arabischem Boden mit Unterstützung der Kolonialmächte und auf der Grundlage der Vertreibung, Enteignung und Unterdrückung der ansässigen - palästinensischen - Mehrheitsbevölkerung entstanden ist, war die Feindschaft der arabischen Opfer dieser Gründung unvermeidbar. Entsprechend musste der neue Staat nicht nur als Zufluchtsort der Opfer des europäischen Antisemitismus dienen, sondern eine permanente Zuwanderung erreichen, um seine militärische Überlegenheit in der Region ebenso sicher zu stellen wie die demographische Hegemonie des jüdischen Elementes gegenüber der arabischen Bevölkerung in Israel. Aus diesem Grunde machte die zionistische Bewegung schon bald nach der Staatsgründung 1949 größte Anstrengungen, auch die Juden aus den arabischen Ländern, die ihr bis dahin ebenso fremd und gleichgültig gewesen waren wie diesen der Zionismus, als Kanonenfutter und als billige Arbeitskräfte, die die Palästinenser ersetzen sollten, ins Land zu holen. Trotz aller Repressionen war es zum Zeitpunkt der Staatsgründung nämlich nicht gelungen, alle Araber aus dem Staatsgebiet zu vertreiben. Diese stellen heute in Israel rund ein Fünftel der Gesamtbevölkerung und haben im Durchschnitt ein höheres Bevölkerungswachstum als das jüdische Staatsvolk. Hinzu kommt die Situation in den erst 1967 besetzten Gebieten Palästinas. In der Region vom Mittelmeer bis zum Jordan - also im gesamten ehemaligen britischen Protektorat Palästina - muß damit gerechnet werden, dass die Gesamtzahl der arabischen Bevölkerung schon in wenigen Generationen die der jüdischen Bevölkerung übersteigt.

      Vor diesem Hintergrund ist die seit geraumer Zeit intensiv geführte Diskussion über die Einwanderung aus Russland zu sehen. Seit Ende der 80er Jahre sind rund 1 Million Menschen aus der ehemaligen UdSSR nach Israel eingewandert, wo sie heute etwa ein Sechstel der Bevölkerung stellen. Die Tatsache, dass Expertenmeinung zufolge bis zu einem Viertel von diesen dem religiösen Gesetz zufolge keine Juden sind, hat der Diskussion um die Spannung zwischen der angeblichen Notwendigkeit verstärkter Einwanderung und dem jüdischen Charakter des Staates neuen Auftrieb gegeben. Gerade in den letzten paar Jahren, da die Einwanderung - die ,Aliya` - spürbar zurückgegangen ist, ist der Anteil von Nicht-Juden ebenso spürbar gewachsen. Jessica Steinberg zitiert in einem Beitrag für den ,JTA Global News Service of the Jewish People` die Oberrabbiner des Landes, die von 70% nicht-jüdischen Einwandern aus Russland sprechen, währen der Innenminister für die erste Hälfte von 2002 von ,nur` 58% spricht, ein deutlicher Zuwachs allerdings gegenüber den Jahren zuvor.

      Erneut wird nun über eine mögliche Änderung des ,Rückkehrgesetzes` gesprochen. Das 1950 verabschiedete Gesetz gab jedem Juden auf der Welt das Recht, nach Israel einzuwandern, woher - in nicht wenigen Fällen nur vermeintlich - in der Antike seine Vorfahren stammten. 1970 - also nach der Eroberung der Westbank und auf dem Hintergrund der Siedlungsprojekte - wurde das Gesetz dahingehend erweitert, dass dieses Recht nunmehr auch von jenen Nichtjuden in Anspruch genommen werden konnte, die einen jüdischen Eltern- oder Großelternteil hatten, von ihren Ehepartnern oder denen, deren Ehepartner Juden waren. Es sind diese rund 250.000 russische Einwanderer, die unter das ,Großeltern-Gesetz` fallen und damit aber nach dem jüdischen Gesetz (Halachah) Nicht-Juden sind. .Die Halachah macht die Anerkennung als Jude davon abhängig, dass die Mutter Jüdin ist. Wenn aber rund die Hälfte der erwähnten 250.000 Frauen sind, werden diese in Zukunft weitere im religiösen Sinn nicht-jüdische Kinder gebären. Das ist in einem Land, in dem das orthodoxe Rabbinat u.a. zuständig ist, für Eheschließungen, Ehescheidungen und Begräbnisse, durchaus ein wirkliches Problem. Sogar die Frage der Konvertierung ist schwierig. Es wird in der Tat darüber diskutiert, ob diesen Nicht-Juden erlaubt sein sollte, zum konservativen oder zum Reform-Judentum überzutreten, statt zum orthodoxen.

      Andere - authentischer zionistische - Kreise fragen, ob eine Konvertierung überhaupt notwendig sei, und ob es nicht genüge, wenn die Betroffenen Militärdienst leisteten und andere Staatsbürgerpflichten erfüllten. Diejenigen, die die ,Großvater-Regelung` aus dem Gesetz streichen wollen, werden von Leuten wie dem Innenmister Eli Yishai, Mitglied der sich auf arabische Juden (Mizrahim) stützenden ,Shas`-Partei, und den Oberrabbinern Yisrael Meir Lau und Bakshi-Doroin angeführt. Yishai warnte, dass ohne die Änderung des ,Rückkehr-Gesetzes` Israel bis zum Jahre 2010 seinen jüdischen Charakter verlieren werde.

      Demgegenüber hat sich der Vorsitzende der ,Jewish Agency` für Israel, Sallai Meridor, für die Fortführung der Aliya aus Russland und eine Erleichterung der Konvertierung ausgesprochen. Die stärkste politische Partei der russischen Immigranten, Yisrael Ba Aliya, ist ebenfalls für die Weiterführung der russischen Immigration, spricht sich aber dafür aus, hier etwas sorgfältiger auszuwählen.

      Die Regierung hat den Vorstoß der religiösen Kreise allerdings im Juli zurückgewiesen.

      Die seit rund einem Jahrzehnt eingewanderte russische Gemeinde in Israel hat drei hervorstechende Charakteristika: Ihr jüdischer Charakter ist im religiösen Sinn - und vermutlich in nicht wenigen Fällen auch in jedem anderen Sinn - oft von zweifelhafter Qualität. Sie tendiert dazu, sich kulturell von der übrigen israelischen Gesellschaft abzusondern. Man wohnt zusammen, ließt keine hebräischen, sondern russische Zeitungen, sieht russisches Fernsehen und isst russisch. Gleichzeitig jedoch ist man überzeugter israelischer Staatbürger und virulenter Zionist.

      Wenn die Politik der Jewish Agency, die Aliya aus diesem - letzten noch zur Verfügung stehenden - Reservoir weiter zu fördern, andauert, wird etwas offensichtlich werden, was von Anfang an Kern des Charakters des israelischen Staates war. Es ist nicht der Holocaust oder der Antisemitismus überhaupt, der aus überaus heterogenen religiösen und ethnischen Elementen eine israelische Nation geformt hat, sondern die gemeinsame Geschichte des Raubes eines fremden Bodens und der Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung im Interesse der eigenen Privilegien.

      Quelle: Philosophischer Salon e.V, Berlin
      Avatar
      schrieb am 16.09.02 17:34:33
      Beitrag Nr. 8 ()
      guerilla -
      danke für diesen thread :)

      Es ist nicht der Holocaust oder der Antisemitismus überhaupt, der aus überaus heterogenen religiösen und ethnischen Elementen eine israelische Nation geformt hat, sondern die gemeinsame Geschichte des Raubes eines fremden Bodens und der Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung im Interesse der eigenen Privilegien.

      da steckt ein gehörig mass an wahrheit drinne. und verbindet mit manchem verbündeten ;)
      Avatar
      schrieb am 16.09.02 18:06:23
      Beitrag Nr. 9 ()
      Dankeschön antigone und bitteschön antigone ... :)

      Wenn nur wenigstens einem der Thread schon zusagt,
      war die Kopiererei nicht umsonst :cool:

      for4zim ist da zwar anderer Meinung, aber woher soll der die
      auch haben, wenn er von vornherein sagt, in Guerilla`s Threads
      steht nur überflüssiges Zeug, ohne sie überhaupt zu lesen ... :D

      Ich könnte wetten, ich könnte hier versuchen
      den Thread durch die Behauptung aufzuwerten,
      for4zim wäre ein ****** und **** vom ******** in die ****** ***** ****,
      der würde das nie mitkriegen ... :laugh:

      Gue
      Avatar
      schrieb am 16.09.02 18:28:21
      Beitrag Nr. 10 ()
      @guerilla investor

      lesenswerte Beiträge
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 09:37:56
      Beitrag Nr. 11 ()
      Heute im ORB: Das Massaker von Beirut um 23.30


      ORB um Mitternacht: Machtmenschen

      Blutige Vergangenheit - Ariel Sharon
      und das Massaker von Beirut

      Film von Fergal Keane

      Unter dem Kommando von Ariel Sharon
      dringen 1982 israelische Truppen in den
      Libanon ein und besetzen Beirut. Unter-
      stützt werden sie von christlichen Fa-
      langisten, die unter den Augen des is-
      raelischen Militärs grauenhafte Massa-
      ker anrichten.
      Heute ist Sharon israelischer Minister-
      präsident. Er bestreitet jede persön-
      liche Verantwortung für die Gräueltaten

      Dienstag, 17.09.02
      23.30 - 00.15 Uhr

      ---------------------------------------------

      Die nächste Sendung

      "Der Fall Kissinger"
      Mittwoch 18.9.02 0.15 (d.h. anschließend)
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 18:43:06
      Beitrag Nr. 12 ()
      stirner, danke für den hinweis.

      guerilla. for4zim? wer ist das? ;)
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 18:51:58
      Beitrag Nr. 13 ()
      #12 Das war der gestrige Tagessieger in dem von ihm selbst initiierten
      einzigen fairen Wettbewerb in diesem Forum nach seiner Lesart ... :)
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 18:56:18
      Beitrag Nr. 14 ()
      gilly :laugh::laugh:
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 18:56:56
      Beitrag Nr. 15 ()
      oups, guerilla, natürlich. wie konnte ich nur... :)
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 21:03:46
      Beitrag Nr. 16 ()
      Hier schon mal ein Artikel zum Einstimmen auf die heutige Fernsehsendung der ORB

      junge Welt vom 16.09.2002


      Unter den Augen Israels
      Vor 20 Jahren: Sabra und Schatila - Chronologie eines Massakers (Teil I)

      Noam Chomsky


      * Noam Chomsky, Jg. 1928, libertärer Jude, Linguist und politischer Aktivist, zeichnet auf der Grundlage von Presseberichten, israelischen Dokumenten und alternativen Quellen das Massaker nach, das christliche Milizen am 16./17. September 1982 in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila verübten. Wir veröffentlichen seine Analyse in zwei Teilen als Vorabdruck aus der aktualisierten Neuauflage seines Nahost-Buches.

      Am 16. September, einem Donnerstag, drangen Lastwagen voller Soldaten der falangistischen und haddadistischen Truppen in die Lager ein. Sie waren hinter den israelischen Linien stationiert gewesen, fuhren dann zu einem von Israel festgelegten Bereitstellungsraum und folgten sorgfältig vorbereiteten und markierten Routen. Die Falangisten stammten offenbar größtenteils aus der Brigade Damouri, die seit Juni hinter den israelischen Linien operiert hatte. Diese Einheiten gehörten zu den »extremistischer eingestellten Teilen der christlichen Milizen« und waren »für ihre an der palästinensischen Zivilbevölkerung verübten Greueltaten bekannt«. Sie kamen aus Dörfern, die unter brutalen Vergeltungsmaßnahmen der PLO im Gefolge der falangistischen Massaker von 1976 gelitten hatten. Die Haddad-Milizen »sind praktisch Bestandteil der israelischen Armee und operieren unter ihrem Kommando«. (Thomas L. Friedman, New York Times, 20., 21., 26. und 27. September 1982)


      Die von Israel mobilisierten Streitkräfte wurden in die jetzt schutzlosen Lager geschickt, um »aufzuräumen« und, so Scharon, »Terroristennester auszuheben«. Wer auch nur ein bißchen mit den Umständen vertraut war, konnte sich vorstellen, was geschehen würde, und am Abend des 16. September zeichnete sich ab, daß diese Erwartungen erfüllt würden. Es gab hinlänglich Beweise dafür, daß dort ein Massaker stattfand. Während der Nacht wurden die Lager von israelischen Scheinwerfern erhellt, während die Milizen die Bewohner systematisch abschlachteten. Das Massaker dauerte bis zum Samstag morgen. Es spielte sich unter den Augen des israelischen Militärs ab. Die Leichen wurden mit Bulldozern zusammengekehrt und abtransportiert oder unter Müll begraben. Ein »extra ausgehobenes Massengrab« befand sich direkt unterhalb eines israelischen Kommandozentrums, von dessen Dach aus man »auf das Grab und das dahinterliegende Lager« hinunterblicken konnte. Israelische Truppen, die »nicht einmal einhundert Meter weit entfernt stationiert waren, hatten weder auf das Geräusch fortwährenden Gewehrfeuers noch auf den Anblick von Lastwagen voller Leichen, die aus den Lagern abtransportiert wurden, reagiert«, sondern westlichen Journalisten mitgeteilt, daß sich »nichts Ungewöhnliches« abspiele. Bisweilen mischten sie sich unter die Falangisten, die sich in den Lagern von ihrer Tätigkeit ausruhten. (David Lamb, Los Angeles Times, 20. September 1982)

      »Sie taten nichts, um das Gemetzel aufzuhalten«

      Am Freitag nachmittag trafen sich Stabschef Eitan und die Generäle Drori und Jaron mit dem falangistischen Kommando. Eitan gratulierte den Milizen zu ihrer »guten Arbeit«, bot ihnen einen Bulldozer an, von dem die Kennzeichen der IDF (israelischen Armee) entfernt worden waren, und genehmigte ihnen einen Aufenthalt von weiteren zwölf Stunden in den Lagern. Die Tötungsaktionen wurden fortgesetzt. Am Sonntag morgen gegen fünf Uhr verließen die Mörder den Schauplatz, und nach 36 Stunden war das Massaker vorbei. Später am Morgen betraten Reporter das Lager, lange vor den israelischen Soldaten, und allmählich erfuhr die Welt von den Vorgängen. Scharons Bericht vor der Knesset zufolge waren israelische Soldaten sogar erst am Sonntag in Sabra präsent, während sie Schatila gänzlich unberührt ließen, was die israelische Regierung nicht daran hinderte, sich offiziell dafür zu rühmen, dem Massaker Einhalt geboten zu haben, als die internationale Staatengemeinschaft auf die Vorfälle zu reagieren begann.


      Die Umstände und die Stationierung der Truppen lassen erkennen, daß das israelische Militär genau wußte, was in den Lagern geschah, hatte es doch die Mörderbanden selbst organisiert und dorthin entsandt. Ebenso war der zaristischen Polizei und Armee bekannt, was im jüdischen Viertel von Kischinjow vor sich ging. Der Militärkorrespondent Hirsh Goodman von der Jerusalem Post berichtete: »Das Oberkommando der IDF wußte Donnerstag nacht, daß im Flüchtlingslager Schatila Zivilpersonen von falangistischen Truppen getötet wurden.« General Jaron empfing von dem falangistischen Kommandeur aus Schatila über Funk die Nachricht, daß »300 Zivilisten und Terroristen umgebracht worden sind«, was in »direktem Widerspruch« zu Verlautbarungen von Eitan und Scharon steht, es habe bis Samstag morgen nur »Mutmaßungen« gegeben. Weitere Beweise dafür, daß Jaron schon am Donnerstag abend von dem Massaker wußte, lieferte die Kahan-Untersuchungskommission, auf die wir noch zurückkommen. Der Jerusalem Post zufolge lieferte der US-amerikanische Geheimdienst »gesicherte Informationen ..., die bestätigten, daß israelische Offiziere in Beirut von den brutalen Tötungsaktionen schon einige Stunden vor dem Betreten der Lager durch israelische Soldaten Kenntnis besaßen«, und vor den Soldaten waren die Journalisten bereits dort gewesen. »Sie rührten sich einfach nicht«, heißt es in einer vertrauenswürdigen US-amerikanischen Quelle, was sich auf hochrangige israelische Militärs bezog, die vor den Lagern warteten. »Sie taten nichts, um das Gemetzel aufzuhalten.« US-Regierungsbeamte bemerkten, Scharon und Eitan hielten die Operation für »gerechtfertigt«, weil die »Notwendigkeit, die libanesische Hauptstadt von allen Terroristen zu ›säubern‹, schwerer wiege. Wenn dabei Unschuldige sterben, ist das der Preis, den jeder Krieg nun einmal kostet«. (Wolf Blitzer, Jerusalem Post, 24. September 1982) Vielleicht hegten die Offiziere des Zaren ähnliche Gedanken.


      Am Donnerstag abend um 22 Uhr berichtete medizinisches Personal aus einem Krankenhaus, daß 2000 verängstigte Zivilisten dort Zuflucht gesucht hätten. Sie schrien: »Falangisten, Haddad, Israel« und deuteten durch Handbewegungen an, daß im Lager Menschen die Kehle durchgeschnitten würde. Am Freitag morgen gegen 5 Uhr 30 erhielt der israelische Geheimdienst die Nachricht, daß 300 »Zivilisten und Terroristen« getötet worden seien. Die Information wurde an das Verteidigungsministerium weitergeleitet. Um 8 Uhr setzten israelische Soldaten ihre Vorgesetzten davon in Kenntnis, sie hätten beobachtet, »daß falangistische Soldaten Zivilpersonen in deren Wohnungen umbrachten«, während andere geschlagen und getreten würden. Sie erhielten die Antwort: »Wir wissen, daß dies nicht nach unserem Geschmack ist, aber wir sollen uns da raushalten.« (Alon: »The slaughter in the camps«, Friedman, NYT, 20. September 1982)


      Am Freitag berichteten Journalisten über die Greueltaten. Loren Jenkins schrieb in der Washington Post: »Obwohl die israelische Armee einen Sicherheitskordon errichtet hatte, um Beobachter von den Flüchtlingslagern fernzuhalten, berichteten Zivilisten, denen die Flucht gelang, von gewaltsamen Repressalien seitens der Milizen« und gaben Details an. In der New York Times veröffentlichte Colin Campbell am Freitag einen Artikel, in dem es hieß: »Während israelische Panzer vor den Lagern Wache hielten, drangen falangistische Milizionäre zu Fuß und mit Jeeps in die zerschossenen Lager von Sabra und Schatila ein. Der Lärm automatischer Waffen drang nach außen, und in der Innenstadt von West-Beirut tauchten hysterisch weinende Frauen auf, die sagten, daß bewaffnete Falangisten ihre Ehemänner und Söhne mit sich genommen hätten.« (NYT , 18. September 1982)


      Am Freitag morgen erfuhr Ze’ev Schiff von den Vorgängen und setzte Regierungsbeamte davon in Kenntnis, nicht jedoch die Öffentlichkeit. »Es ist nicht wahr«, schrieb er später, »daß uns, wie offizielle Quellen behaupten, das Verbrechen erst am Samstag mittag nach Berichten ausländischer Korrespondenten in Beirut bekannt wurde. Als ich am Freitag morgen von dem Gemetzel in den Lagern erfuhr, gab ich die Information an einen hochrangigen Beamten [den Minister Mordechai Zipori] weiter, der, wie ich weiß, sofort handelte«, – d.h., er informierte Außenminister Schamir, der vor der Kahan-Kommission angab, die Nachricht nicht verstanden zu haben. Schiff fügte hinzu: »Diese Affäre wird uns verfolgen. Man wird behaupten, wir hätten die Murabitun und die linken Milizen entwaffnet und die palästinensischen Männer inhaftiert, um den Falangisten die widerstandslose Vernichtung ihrer Kinder, Frauen und Alten zu ermöglichen.« (Ze’ev Schiff: »War Crime in Beirut«, Ha’aretz, 20. September 1982 )


      Während der Massaker konnten nur die Soldaten in den israelischen Beobachtungsposten sehen, was in den Lagern vor sich ging. Friedman weist darauf hin, daß die Massengräber von den »mit Fernrohren und Feldstechern ausgestatteten Beobachtungsposten aus« mit bloßem Auge zu erkennen waren, aber, »ob die Israelis tatsächlich einen Blick auf die Geschehnisse warfen, blieb unklar«. Klar ist allerdings, daß israelische Soldaten »herumlungerten ... Zeitschriften lasen und Songs von Simon und Garfunkel hörten ... Unklar ist, ob die Israelis irgendeinen Schimmer davon hatten, was in den Lagern passierte, obwohl es von ihren Beobachtungsposten aus nicht schwer war, sich ein Bild zu verschaffen, zumal aus den Lagern Gewehrfeuer und Schreie zu hören waren.« (NYT, 20. und 26. September 1982) Unklar ist auch, ob diese Bemerkungen ironisch gemeint sind. (...)


      Vertreter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes und libanesische Armeesoldaten bemerkten ebenfalls, es sei nicht vorstellbar, daß die israelischen Soldaten »übersehen konnten, was hier geschah. Es spielte sich direkt vor ihren Augen ab«. Andere berichteten, daß am Donnerstag abend Palästinenserinnen »ihnen voller Verzweiflung sagten, daß die Falangisten ihre Kinder erschießen und die Männer auf Lastwagen verfrachten würden«. Als der befehlshabende Offizier davon unterrichtet wurde, antwortete er: »Das geht in Ordnung, macht euch keine Sorgen.« (Loren Jenkins, Interview, National Public Radio, 20. September 1982) Wir sollten uns an diese Augenzeugenberichte erinnern, wenn wir uns später dem vielgelobten Bericht der Kahan-Untersuchungskommission zuwenden.


      Eine Untersuchung durch die ABC-Nachrichtenredaktion ergab, daß am Freitag nachmittag wenigstens 45 israelische Offiziere von dem Massaker wußten – also zu eben jener Zeit, da der Stabschef den Falangisten erlaubte, mit ihrer »guten Arbeit«, zu der er sie beglückwünscht hatte, fortzufahren, und zu eben jener Zeit, als palästinensische Frauen, die aus den Lagern geflohen waren, dabei gefilmt wurden, wie sie israelische Soldaten anflehten, einzugreifen und das Gemetzel zu beenden. Die Soldaten antworteten jedoch, sie dürften ihre Posten nicht verlassen, und die Frauen wurden ins Lager zurückgeschickt. Einige Stunden zuvor hatte der norwegische Journalist John Hambro versucht, ein Lager zu betreten, war jedoch von einem Bulldozer, dessen Schaufel mit Leichen gefüllt war, daran gehindert worden. Ein israelischer Offizier bestätigte: »Es ist zweifelsfrei erwiesen, daß am Freitag nachmittag jeder Bescheid wußte. Zu dieser Zeit war, wie ich selber weiß, bereits bekannt, daß in Schatila Menschen umgebracht wurden.« Aus dem nahegelegenen Gaza-Krankenhaus berichtete ein Arzt, daß »die Patienten – die Opfer – fast ausschließlich Frauen und Kinder sind«, die durch Schüsse verletzt worden waren. (ABC news Closeup, 7. Januar 1983)


      Vor der offiziellen Untersuchungskommission beschrieb General Amos Jaron die Auswechslung der falangistischen Truppen, die am Freitag nachmittag stattfand und »verwies darauf, daß Eitan den Milizen ohne Zögern erlaubte, bis zum nächsten Morgen in Sabra und Schatila zu bleiben. Er sagte aus, daß den Falangisten am Samstag, dem 18. September, nicht aus Furcht vor dem Tod von Zivilisten der Rückzug befohlen wurde, sondern weil ungenannte amerikanische Regierungsbeamte auf die Israelis Druck ausübten«. (Edward Walsh, Washington Post – Boston Globe –, 8. November 1982)

      Draper: »Die Lage ist grauenhaft. Sie bringen Kinder um.«

      Das stimmt. Kurz nach dem Abzug der Falangisten und bevor die Journalisten die Lager betraten, forderte der US-Sondergesandte Morris Draper: »Ihr müßt den Massakern Einhalt gebieten. Sie sind obszön. Ich habe einen Offizier ins Lager geschickt, um die Leichen zu zählen. Ihr solltet euch schämen. Die Lage ist grauenhaft. Sie bringen Kinder um. Ihr habt die absolute Kontrolle über das Gebiet und seid daher dafür verantwortlich.«

      Am Abend zuvor hatte Draper vor »schrecklichen Folgen« gewarnt – die bereits eingetreten waren –, falls den Falangisten das Betreten der Lager erlaubt würde. (Aussage des israelischen Außenministeriumsbeamten Bruce Kaschdan vor dem Untersuchungskomitee, Norman Kempster, Los Angeles Times. 22. November 1982)


      In seiner Aussage vor der Untersuchungskommission verwies General Jaron darauf, daß die israelische Armee durchaus den Versuch unternommen habe, Menschen vor dem Massaker zu bewahren. Er bekundete, daß er am Samstag morgen gegen sechs Uhr gesehen habe, wie eine Gruppe von Leuten »mit blonden Haaren« – Ärzte und Krankenschwestern aus dem Gaza-Hospital – von Falangisten weggebracht werden sollten. »General Jaron lief hinüber und befahl ihnen, die Gefangenen sofort freizulassen.« (Alon: »The slauter in the camps«, a.a.O.) Es wäre also ganz unfair, wenn nicht gar offener Antisemitismus, zu behaupten, daß die israelischen Truppen keinen Versuch unternommen hätten, dem Gemetzel Einhalt zu gebieten. (...)


      Wie groß war der Umfang der Operation und wie hoch waren die Verluste? Nach vielen falschen und irreführenden Angaben gestand die israelische Regierung endlich ein, Falangisten in die Lager geschickt zu haben und bezifferte die Anzahl auf 100 bis 150; der Kahan-Kommission zufolge waren es 150. Offiziell begründet wurde die Aktion damit, daß die Lager von 2 000 schwerbewaffneten Terroristen »gesäubert« werden sollten, die von der PLO unter Verletzung des mit Habib ausgehandelten Abkommens dort zurückgelassen worden waren. In Ha’aretz (12. November 1982) kommentierte B. Michael: »So heldenhaft sind die christlichen Kämpfer!« Edward Walsh gibt Begins Antwort an die Kommission wider, in der dieser »erneut versicherte, daß ein Massaker nicht vorhersehbar gewesen sei und behauptete, die Regierung habe ›gesicherte Informationen‹ darüber gehabt, daß etwa 2000 palästinensische Kämpfer in dem Gebiet konzentriert seien«. Walsh kommentiert: »Bislang hat allerdings noch niemand öffentlich erklärt, wie 100 bis 130 Falangisten eine solche Übermacht besiegen sollten.« (Washington Post, 26. Dezember 1982) Robert Suro vom Time-Magazin hatte die Lager ein paar Tage vor dem Angriff besucht und dort keine militärische Präsenz entdeckt. (Time, 4. Oktober 1982) Es ist also höchst unklar, wo diese Terroristen geblieben sein könnten.


      Natürlich lassen sich noch andere Fragen stellen. Wenn die Behauptung, die Falangisten sollten die israelischen Truppen bei den zu erwartenden schweren Kämpfen vor Verlusten schützen, aufgrund der geringen Zahl der Milizionäre als barer Unsinn abgetan werden kann, was bleibt dann als plausible Erklärung übrig? Israel hat die Falangisten in die Lager geschickt mit dem Wissen darum, was diese Truppen in der Vergangenheit getan hatten und wieder tun würden. Und erinnern wir uns an die ursprüngliche offizielle Behauptung, man habe West-Beirut besetzt, um die Palästinenser vor dem Terror der Falangisten zu schützen.


      Die 2000 schwerbewaffneten Terroristen scheinen sich jedenfalls höchst ungeschickt angestellt zu haben, denn die Falangisten meldeten zwei getötete Milizionäre – genau die Zahl der Opfer, die die Mörder in Kischinjow zu verzeichnen hatten; ein makabrer Zufall. Allerdings ist nicht klar, ob die beiden Soldaten getötet oder nur verwundet wurden.


      Wenden wir uns der Zahl der Opfer zu, die es unter den 2000 Terroristen gab. Scharon berief sich bei seiner Aussage auf »Zahlen des militärischen Geheimdienstes«, dem zufolge 700 bis 800 Personen getötet worden sind, zwanzigmal so viel wie beim Massaker von Kischinjow, 375 Terroristen für einen Falangisten. Diese Zahl wurde von der Kahan-Kommission als wahrscheinlichste Schätzung eingestuft, wobei jedoch libanesische Quellen unberücksichtigt blieben. Die libanesische Regierung gab an, daß man 762 Leichen geborgen habe, während weitere 1200 Tote von ihren Angehörigen privat bestattet wurden. Damit läge die Zahl der Opfer bei 2000, und vielleicht sind das die »2000 Terroristen«, die in der israelischen Presse und Propaganda immer wieder auftauchten.



      *** Noam Chomsky: Offene Wunde Nahost. Israel, die Palästinenser und die US-Politik. Aus dem amerikanischen Englisch von Michael Haupt. Europa Verlag, Hamburg 2002, zirka 352 S., 19,90 Euro, erscheint am 27. September 2002


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      Adresse: http://www.jungewelt.de/2002/09-16/009.php
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 21:33:28
      Beitrag Nr. 17 ()
      In seiner Aussage vor der Untersuchungskommission verwies General Jaron darauf, daß die israelische Armee durchaus den Versuch unternommen habe, Menschen vor dem Massaker zu bewahren. Er bekundete, daß er am Samstag morgen gegen sechs Uhr gesehen habe, wie eine Gruppe von Leuten »mit blonden Haaren« – Ärzte und Krankenschwestern aus dem Gaza-Hospital – von Falangisten weggebracht werden sollten. »General Jaron lief hinüber und befahl ihnen, die Gefangenen sofort freizulassen.« (Alon: »The slauter in the camps«, a.a.O.) Es wäre also ganz unfair, wenn nicht gar offener Antisemitismus, zu behaupten, daß die israelischen Truppen keinen Versuch unternommen hätten, dem Gemetzel Einhalt zu gebieten. (...) ......

      wozu dient der vorwurf des antisemitismus? er ist dienlich dazu, abzulenken von den qualitäten eines sharon, seiner helfershelfer und den hütern seiner macht, die sich einer ähnlichen tradition verpflichtet sehen: der gemeinsame(n) Geschichte des Raubes eines fremden Bodens und der Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung im Interesse der eigenen Privilegien.
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 21:40:20
      Beitrag Nr. 18 ()
      Israel und die Palästinenser werden eine HERRLICHE Zeit haben, wenn Jesus Kommt, betet dafür das die Geburtswehen des Messias ein Ende nehmen.
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 22:03:51
      Beitrag Nr. 19 ()
      Wenn schon, dann richtig:

      Chronik eines angekündigten Verbrechens

      von Klaus Polkehn

      Die nachfolgende Dokumentation über die Ereignisse in Sabra und Schatila im September 1982 ist im Frühjahr 1983 verfaßt und seinerzeit als Fortsetzungsserie in der Berliner Zeitung “Wochenpost” veröffentlicht worden. Die damals zusammengetragenen Fakten bedürfen auch zwanzig Jahre später kaum einer Ergänzung. Ihnen ist lediglich eine kurze Übersicht über die dem Massaker vorangegangenen Ereignisse vorangestellt worden, es wurden nur einige erklärende Fußnoten beigefügt, ein kurzer Nachsatz möge auf einige Folgen der damaligen Ereignisse verweisen.

      Die Vorgeschichte
      In der zweiten Jahreshälfte 1948 hatten die Kampfhandlungen im Norden Israels und gezielte Vertreibungsmaßnahmen der israelischen Armee dazu geführt, daß einige zehntausend Palästinenser - heute spricht man von mehr als 300.000 Flüchtlingen im Libanon - im nördlichen Nachbarland Zuflucht suchten. Es entstanden Flüchtlingslager, einige davon auch in der Peripherie der libanesischen Hauptstadt Beirut, darunter Sabra und Schatila. Die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon waren rechtlos und ökonomisch fast völlig von Zuwendungen des UN-Flüchtlingshilfswerks abhängig. Ihre Lage besserte sich erst Ende der 60er Jahre, als die PLO im Libanon Fuß fassen konnte. Zugleich aber wurde das Land nun zunehmend zum Ziel israelischer Angriffe: Kommandoaktionen wie am 28. Dezember 1968, als auf dem Flugplatz Beirut der Großteil der Flotte der Middle East Airlines zerstört wurde; am 10. April 1973 die Ermordung palästinensischer Funktionäre und ihrer Familien inmitten von Beirut - einer der Beteiligten war der spätere Regierungschef Barak; 1978 die sogenannte “Operation Litani”, der Einmarsch in den Libanon und die mehrmonatige Besetzung des Südlibanon.

      Die Lage komplizierte sich durch innerlibanesische Widersprüche: Ein fragiles Gleichgewicht zwischen christlichen und moslemischen Bevölkerungsgruppen mündete Mitte der 70er Jahre in einen innerlibanesischen Bürgerkrieg zwischen “christlichen” Milizen” (ein Bündnis mehrerer rechtsgerichteter Parteien; die führende Position nahm die Phalange-Partei ein, die 1936 von Pierre Gemayel, dem Vater Bashir Gemayels, gegründet worden war) und den Bewaffneten der sogenannten “Nationalprogressiven Bewegung” In den Bürgerkrieg wurde zeitweise auch die palästinensische Bewegung hineingezogen. Dieser Bürgerkrieg wurde durch den Einmarsch der syrischen Armee beendet. Soweit der Hintergrund.

      Stets betrachtete Israel die bloße Anwesenheit der PLO im nördlichen Nachbarland als Herausforderung und suchte nach Wegen, die palästinensische Präsenz dort dauerhaft auszulöschen. So erweist sich der angebliche Anlaß für den Einmarsch der israelischen Armee vom 6. Juni 1982 (euphemistisch “Aktion Frieden für Galiläa” genannt) als Vorwand, nämlich ein Attentat am 3. Juni auf den israelischen Botschafter in London.

      Der seinerzeitige US-Botschafter in Israel, Samuel W. Lewis, hat später in einem Interview berichtet, daß Israels Verteidigungsminister Ariel Scharon bereits bei einem Treffen mit dem amerikanischen Sonderbotschafter Philip Habib am 5. Dezember 1981 “in einigen hypothetischen Details das Konzept” dieses Libanonkrieges beschrieben habe. Philip Habib, Sohn libanesischer Einwanderer, hatte 1969/70 die amerikanischen Friedensverhandlungen mit Vietnam in Paris geführt; 1979 war er erst Berater von Außenminister Vance und später Stellvertretender Außenminister; seit 1981 unternahm er im Auftrag von Präsident Reagan Pendelmissionen im Nahen Osten. Lewis berichtete: “Habib war, wie ich und auch andere von uns, wie vom Donner gerührt durch die Unverschämtheit und das politische Konzept, das daraus sprach.” Habib hätte heftig reagiert, er hätte Scharon unmißverständlich klar gemacht, daß dies in den Augen der US-Regierung ein unvorstellbares Szenarium sei. Der damalige amerikanische Außenminister Alexander Haig berichtete in seinem Memoiren ergänzend, daß Scharon Habib einen “Achtundvierzig-Stunden-Schlag” geschildert hatte, durch den man “fünfzigtausend bewaffnete Terroristen vertreiben und Baschir Gemayel zum Präsidenten Libanons machen” werde. Habib sagte darauf zu Scharon: “Sie erschrecken mich. Was wollen sie mit hunderttausend Palästinensern tun?” - “Wir werden sie den Libanesen ausliefern,” habe Scharon gesagt...

      Seit dem März 1976 gab es eine enge Bundesgenossenschaft zwischen Israel und den “christlichen” Milizen. Der Kommandeur dieser “Lebanese Forces”, Baschir Gemayel, besuchte erstmals insgeheim Israel; als Verbindungsoffizier entsandte man zeitweise Oberst Benjamin Ben-Eliezer [heute Israels Verteidigungsminister] in den Libanon.

      Ariel Scharon hatte im Januar 1982 insgeheim als Gast Gemayels West-Beirut besucht - in Begleitung des Armee-Geheimdienstchef Saguy. Vom Dach eines 17-stöckigen Gebäudes schaute man hinunter auf die Stadt und auf die Flüchtlingslager, und Scharon erläuterte, eine Aktion im Libanon mache nur dann Sinn, wenn sie “gründlich” sei, das heißt, wenn die PLO aus dem Libanon vertrieben werde. Das aber könne nur die israelische Armee leisten. Saguy widersprach ihm. In Beirut gerate man nur “in den Morast”. Scharon habe, so wird berichtet, die Argumente des Geheimdienstlers akzeptiert: “Vielleicht haben Sie Recht. Wir sollten die Phalange Beirut einnehmen lassen. Wir müßten die Stadt überhaupt nicht betreten; sie würden sie an unserer Stelle nehmen.”

      Die Dinge liefen ziemlich unerbittlich auf das Massaker von Sabra und Schatila zu.

      6. Juni 1982: Angriff.

      13. Juni: die israelische Armee erreicht die Vororte von Beirut.

      14. Juni: Sonderbotschafter Habib trifft in Beirut ein.

      3. Juli: West-Beirut ist eingeschlossen, die totale Blockade, verbunden mit permanenten Angriffen aus Flugzeugen und Geschützen beginnt.

      12. August, 68. Tage des Krieges (der so genannte “Schwarze Donnerstag”;): die bisher grausamsten Angriffe, ein Beschuß, so schlimm, daß der amerikanische Präsident Reagan den Israelis ein Ultimatum stellt.

      14. August: Waffenstillstand nach 70 Tagen Krieg.

      Dann: Beginn des von den Amerikanern vermittelten Abzugs der PLO-Einheiten aus der libanesischen Hauptstadt.

      Der von Philip Habib ausgehandelte Abzugsplan, dem Israel zugestimmt hatte, war kein regulärer Vertrag. Vielmehr handelte es sich um den Austausch von Noten zwischen der libanesischen und der amerikanischen Regierung, um ein 22-Punkte-Papier, das niemand unterschrieben hat, dazu um einen Zeitplan für den Abzug der PLO-Kämpfer. Es waren also, wenn man so will, drei amerikanische “fact sheets”, Informationsblätter, die das ganze komplettierten. Es war unter anderem deshalb bemerkenswert, weil mit ihm die USA die Hauptverantwortung auf sich zogen, angefangen mit ihrem Anteil an der zu bildenden “Multinationalen Streitmacht” (MNF), die den Abzug überwachen sollte. Die USA übernahmen die Garantie für den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung, die in Beirut zurückblieb...

      USA-Garantien für die Palästinenser

      Beirut, 18. September 1982. Überlebende der letzten beiden Tage sammeln sich im Sportstadion der libanesischen Hauptstadt, inmitten der schon bei den israelischen Luftangriffen in den ersten Junitagen verwüsteten Zuschauerränge. Bewaffnete der libanesischen Rechtsmilizen treiben sie heran. Im Stadion sortiert der israelische Geheimdienst jene, denen der Tod erspart geblieben ist, jene, die nicht in den Ruinen von Sabra oder Schatila erschossen oder erschlagen wurden. Wer von den Bewohnern der beiden palästinensischen Flüchtlingslager im südlichen Beirut noch einmal Glück hat, erhält einen Stempel in seine Identitätskarte. Er darf gehen. Die anderen werden auf Lastwagen fortgeschafft, nach Süden, ins Lager al-Ansar.

      Der Korrespondent des amerikanischen Nachrichtenmagazins “Time” beobachtet: “Am Stadion fragte ein israelischer Offizier über Lautsprecher, ob jemand aus Schatila anwesend sei. Einige Leute melden sich. Als sie erzählen, was dort geschehen ist, reißt der Offizier sein spitzes Käppchen vom Kopf und schleudert es mit einem wilden Fluch auf die Erde.”

      Was ist geschehen? Woher der Zorn des israelischen Offiziers?

      Die ersten ausländischen Journalisten gelangen nach Sabra und Schatila. Die könnten die Erklärung geben.

      Robert Fisk in der Londoner “Times”: “Ich fand ein kleines, unzerstörtes Haus mit einem braunen Metalltor, das zu einem engen Hof führte. Irgendein Instinkt ließ es mich öffnen. Die Mörder waren gerade gegangen. Dort lag auf dem Boden eine junge Frau. Sie lag auf dem Rücken, als würde sie in der Hitze ein Sonnenbad nehmen, und das Blut, das unter ihrem Rücken hervorlief, war noch naß. Sie lag, die Füße zusammen, die Arme ausgestreckt, als habe sie in ihrem letzten Augenblick ihren Retter gesehen. Ihr Gesicht war friedlich, die Augen geschlossen, wie eine Madonna. Nur ein kleines Loch in ihrem Leib und die Flecken auf dem Hof erzählten von ihrem Tode.”

      Gerd Schneider, der Korrespondent des Österreichischen Rundfunks, beobachtet: “Einige Leichen waren an den Händen gefesselt. Obwohl die Toten in der prallen Sonne bereits in Verwesung übergegangen waren, ließen sie noch immer Merkmale von Verstümmelungen erkennen: durchgeschnittene Kehlen, zertrümmerte Gesichter und Fehlen von Gliedern. Vieles deutet auch darauf hin, daß ganze Familien ausgelöscht wurden, während sie beim Abendessen saßen...”

      Nicht einmal drei Wochen sind vergangen, seit die letzten Kämpfer der PLO West-Beirut verlassen haben. Die Führung der palästinensischen Widerstandsbewegung hatte erst dann in einen Abzug eingewilligt, als sich in den Papieren, die der us-amerikanische Sonderbeauftragte Philip Habib mit dem libanesischen General Nabil Kuraitim vereinbaren wollte, eine Garantie fand, eine Versicherung für all die zurückbleibenden palästinensischen Zivilisten, für die Mütter, Frauen, Schwestern und Kinder der ausziehenden Verteidiger. Der entscheidende Satz lautete: “Die Regierungen Libanons und der Vereinigten Staaten werden angemessene Garantien für die Sicherheit der gesetzestreuen palästinensischen Zivilisten leisten, einschließlich der Familien jener, die das Land verlassen.” Und dann weiter im Text der Habib-Papiere: “Die libanesische Regierung wird ihre Garantien auf der Basis von Zusicherungen leisten, die sie von bewaffneten Gruppen erhalten hat, mit denen sie in Kontakt stand. Die Vereinigten Staaten werden ihre Garantien auf der Basis von Zusicherungen leisten, die sie von der Regierung Israels und der Führung gewisser libanesischer Gruppen, zu denen es Kontakte gab, erhielten.”

      Alles klar: Israel und die libanesischen Rechtsmilizen haben zugesagt, den palästinensischen Zivilisten kein Haar zu krümmen, und die USA verbürgten sich dafür. Garantieren sollte das auch die Anwesenheit einer Multinationalen Streitmacht: der amerikanischen Marines, der französischen Fremdenlegionäre und der italienischen Bersaglieri mit den Hahnenfedern an den Helmen. Sie sollten eigentlich bis zum 21. September in Beirut bleiben. Der amerikanische Diplomat George Ball schreibt später: “Wir haben unser eigenes gutes Vertrauen in Israels Ehrenwort gesetzt, sonst hätte die PLO niemals darin eingewilligt, abzuziehen. Die PLO-Führer vertrauten Amerikas Versprechen, das allermöglichste zu tun, um zu sichern, daß Israel seine Versprechen hält... Sie hätten niemals einem israelischen Versprechen getraut, aber uns trauten sie. Wir haben sie betrogen.”

      15. August - 13. September: Der Krieg war vorbei

      Ruhe herrschte in Beirut. In den Lagern von Schatila und Sabra hörte man das Kreischen der Sägen, das Klopfen der Hämmer. Provisorisch wurde instand gesetzt, was instand zu setzen war.

      Am 9. September hatte Philip Habib seinen wohlverdienten Urlaub angetreten. In Washington war er zuvor noch von Ronald Reagan mit dem höchsten amerikanischen Zivilorden, der “Freiheitsmedaille”, ausgezeichnet worden, ja, man sprach sogar vom Friedensnobelpreis. Schon am 8. September hatten die amerikanischen Soldaten begonnen, Beirut zu verlassen, am 11. folgten die Franzosen und am 13. die Italiener.

      14. September 1982: Der Mord an Bashir Gemayel

      Nur einen Tag später, am 14. September, war Beirut wieder vom Dröhnen einer gewaltigen Detonation aufgeschreckt worden. Um 16 Uhr 10 erhob sich eine Rauch- und Staubwolke über dem “Christenviertel” Ashrafije im Ostteil der Stadt, das bislang von diesem Krieg verschont geblieben war. Unweit des Hafens stürzte ein mehrstöckiges Haus in sich zusammen. Ambulanzen jagten mit heulenden Sirenen zu der Stelle, wo - wie man später ermittelte - fünfzig Kilo TNT gezündet worden waren.

      Im 1. Geschoß des in sich zusammenfallenden Gebäudes hat sich ein Hauptquartier der Phalange-Partei befunden. Hier hatte um 16 Uhr eine Beratung der Kommandeure der Lebanese Forces begonnen. Zugegen war der neugewählte Präsident Baschir Gemayel, vorher der Oberkommandierende.

      Die erste Meldung, die die Nachrichtenagenturen um die Welt funkten, lautete, es habe zehn Tote gegeben: “Gemayel entging dem Anschlag unverletzt. Er wurde sofort in Sicherheit gebracht.”

      In der Gerüchteküche Beirut begannen sofort die Spekulationen. Wer waren die Täter? Wer konnte ein Interesse an dem Tod des künftigen Staatsoberhaupts haben?

      Keine Frage, Baschir Gemayel hatte Feinde in Hülle und Fülle. Unvergessen waren die blutigen Machtkämpfe unter den Maroniten, bei denen Baschir in die Familienclans der Franjieh und der Chamoun blutige Lücken geschlagen hatte. Daß er Feinde über Feinde im muslimischen Lager hatte, wußte jeder. Daß sein Verhältnis zu den Syrern, vornehm ausgedrückt, “gespannt” war, wer wollte es in Frage stellen. Und seit einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Begin wußte man, auch mit den Israelis gab es Probleme. Jetzt erinnerte man sich, daß Gemayel unmittelbar nach seiner Wahl ein, wie es hieß, “historisches” Treffen mit einigen Führern der muslimischen Gemeinschaft gehabt hatte. Der neue Präsident, meinte die “New York Times”, habe es in kürzester Zeit fertiggebracht, einige führende Köpfe der Moslems dazu zu bringen, den Sieg der Phalangisten zu akzeptieren, im Interesse einer “Einigung zum Wohle des Libanon”. Das hätte sicherlich die Rückkehr zu den Zuständen vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges bedeutet, zu den Zuständen also, die den Bürgerkrieg ausgelöst hatten. Zugleich aber wäre das das endgültige Aus für den “Großen Plan” von Scharon und Begin gewesen. Es scheint übrigens, als habe Ariel Scharon das alles kommen sehen, wenn er am 4. September bekannt gegeben hatte, Israel beabsichtige, eine “Sicherheitszone” im Südlibanon einem “Spezialstatus” zu unterwerfen, sprich: vom Territorium des libanesischen Staates abzuzwacken, dem Einfluß des künftigen Präsidenten zu entziehen.

      14. September, 19 Uhr. Noch hatten die Suchtrupps in den Trümmern des Phalange-Hauptquartiers keine Spur von Baschir Gemayel entdeckt, noch glaubte man überall der Nachricht, der Präsident in spe habe den Anschlag überlebt, da rief der Kommandeur der israelischen Streitkräfte im Libanon, der 47-jährige Brigadegeneral Amos Drori, seine Offiziere zu einer dringenden Besprechung. Er gab den Befehl, alles Nötige für einen schnellen Einmarsch in West-Beirut vorzubereiten.

      Um 21 Uhr - noch immer war nicht sicher, was mit Gemayel war - bestellte Ariel Scharon den Generalstabschef Rafael Eitan in sein Büro in Jerusalem. Was General Drori in Beirut schon richtig geahnt hatte, jetzt war der Befehl da: Sofort die Besetzung aller Schlüsselpositionen in West-Beirut vorzubereiten. West-Beirut war seit dem Abzug der Italiener am Vortag ein Vakuum, jedenfalls in israelischer Sicht. Linksmilizen beherrschten den Stadtteil.

      Bei dieser Gelegenheit hatte Scharon auch gleich darauf hingewiesen, nicht die israelischen Streitkräfte, sondern die “christlichen” Milizen würden in die palästinensischen Flüchtlingslager einrücken. Aber diese Mitteilung behielt Israels Generalstabschef Eitan für sich, als er wenig später mit Ministerpräsident Begin sprach und als dieser meinte, man müsse die Moslems vor der Rache der Phalangisten schützen.

      Das Thema eines Einmarsches in West-Beirut hatte den israelischen Verteidigungsminister schon seit Wochen bewegt. Noch zwei Tage vor der Explosion in Ashrafije, am Abend es 12. September, hatte Scharon mit Baschir Gemayel darüber gesprochen. Es war über die künftigen israelisch-libanesischen Verhandlungen debattiert worden und - aufgemerkt! - über die “Reinigung West-Beiruts”. In beiden Punkten hätte es Übereinstimmung gegeben, schreibt der israelische Militärkommentator Zeev Schiff. Der Journalist fügt hinzu: “Scharon wollte sicher sein, daß die libanesische Armee schnell in Beiruts Flüchtlingslager einrücken würde und verlangte, daß gleichzeitig phalangistische Einheiten hineingeschickt würden.” Baschir Gemayel hätte sich dafür ausgesprochen, alle Spuren der Lager im Süden Beiruts auszulöschen und an ihrer Stelle einen “enormen Zoologischen Garten” anzulegen. Die Bewohner der Lager solle man in Busse laden und zur syrischen Grenze schaffen. Schiff: “Beide Männer wußten natürlich, daß dieser Plan eine totale Verletzung des Abzugs-Abkommens darstellte...”

      Aber Abkommen hin, Abkommen her - von einer “Endlösung” der Palästinenser-Frage, von einer endgültigen Austreibung der Flüchtlinge, immer weiter weg von Israels Grenzen, waren einige zionistische Politiker nun mal besessen. Der Libanonkrieg hatte alten Gedanken einen neuen Impetus gegeben.

      Am 10. Juni 1982 war in einer Sitzung des Außenpolitischen und Verteidigungsausschusses der Knesset von Menachem Begin in einem Nebensatz der “Transfer” der Palästinenser aus dem Südlibanon erwähnt worden. Später hatte der Premier die Anweisung erteilt, den Wiederaufbau zerstörter Flüchtlingslager zu verhindern. Der neuernannte israelische Militärgouverneur für den Südlibanon, Generalmajor David Maimon, sagte am 13. Juni seinen Leuten, man solle die Zerstörung der Lager als einen zwar unbeabsichtigten aber willkommenen Erfolg des Krieges werten. Und hatte nicht schließlich Minister Ya`acov Meridor versucht, Druck auf die libanesischen Behörden auszuüben, damit sie die Lager auflösten?

      Wer so etwas dachte, hatte keinen, aber auch gar keinen Sinn für Warnungen. Da hatte beispielsweise am 12. August - man verhandelte noch über den PLO-Abzug - Armee-Geheimdienstchef Saguy bei einem Treffen in Scharons Büro in Jerusalem gesagt, auch nach dem Abrücken würden noch “Terroristen in Beirut verbleiben”, aber: “die Phalange wird einen Weg finden, sie zu schnappen und alte Rechnungen mit ihnen zu begleichen. Eines Tages werden die Morde beginnen und weitergehen und weitergehen ohne Ende.” Den Geheimdienstchef hatten bei diesem Szenarium offenbar nicht so sehr die zu erwartenden Toten gestört, sondern die mögliche Verantwortung. Er hatte nämlich dringlich empfohlen, sich da rauszuhalten. Am besten sei es, aus Beirut abzuziehen. Solle doch die Multinationale Streitmacht zusehen, wie sie mit dem Massaker fertig würde.

      Solche Überlegungen wurden nun ganz aktuell, wenn das bislang von den linken Milizen kontrollierte West-Beirut besetzt werden könnte.

      Zunächst einmal aber entdeckte am 14. September um 23 Uhr ein israelischer Offizier (ein israelischer Offizier!) auf dem Trümmerberg in Ashrafije den Leichnam Baschir Gemayels. Der schwer verstümmelte Körper konnte nur an dem Trauring des designierten Präsidenten identifiziert werden.

      Und noch immer wußte man nicht, wer die gewaltige Sprengladung gezündet hatte. Das von der Phalange schwer bewachte Haus konnte weder unbemerkt noch von Unbekannten oder unkontrolliert betreten werden. Deshalb meinen Beobachter später zu israelischen Anschuldigungen, die PLO und die Linksmilizen, die da verdächtigt wurden, seien “überhaupt nicht fähig gewesen, einen solchen Anschlag im Machtbereich Gemayels auszuführen”.

      Fünf Tage später hat die in dem von der Phalange beherrschten Ost-Beirut erscheinende Zeitung “l`Orient - Le Jour” unwidersprochen die Version verbreitet, Scharon habe die Bildung eines speziellen “Kamikaze-Kommandos” aus jungen, ausgewählten Leuten der Lebanese Forces angeordnet, das Gemayel töten sollte. Diese Variante klang abenteuerlich, womöglich zu abenteuerlich, um wahr zu sein. Aber sie belegte zumindest die weitere Entfremdung eines Teils der libanesischen Rechten von den Israelis.

      Verhaftet wird schließlich der Student Tanios Chartouni. Seine Großeltern lebten in einem Obergeschoß des zerstörten Gebäudes. Sein Bruder war ein Leibwächter Gemayels. Chartouni konnte in das Haus gelangen, ohne Verdacht zu erregen. Schließlich gesteht er. Er habe in “Kontakt mit einer ausländischen Macht gestanden”. Niemand wird je präzisieren, mit welcher.

      Libanons Ministerpräsident Wazzan hatte um Mitternacht den Tod Gemayels offiziell bekannt gegeben. Das israelische Kabinett hatte die Armee ermächtigt, in Beirut einzumarschieren.

      15. September 1982: Israels Armee rückt vor

      Am 15. September rückten die Israelis im Morgengrauen auf vier Achsen vor. Ihre Panzer fuhren vom Hafen aus an der Küstenstraße entlang. Eine zweite Kolonne stieß vom Flugplatz aus nach Norden. Eine dritte Marschsäule schob sich in westlicher Richtung auf der Mazraa-Straße vor und schnitt auf diese Weise die Palästinenserlager von den anderen Stadtvierteln ab.

      Loren Jenkins, der Korrespondent der “Washington Post”, meldete seiner Zeitung: “Tiefflüge israelischer Kampfmaschinen über den Wohnvierteln in der Dämmerung gingen dem Vormarsch israelischer Panzer, Schützenpanzer und der Infanterie voraus... Israelische Kriegsschiffe beschossen die Gegend nördlich der Panzerspitzen...”

      In Washington erklärte Botschafter Moshe Arens (einige Monate später trat er die Nachfolge Ariel Scharons als Verteidigungsminister an, nicht zuletzt wegen der Ereignisse dieser Tage) auf einer Pressekonferenz, die israelische Armee werde in West-Beirut “jene Polizeifunktion haben, die niemand anderer ausüben kann ... Wären wir nicht dort, dann ginge alles in Flammen auf...” Der gleiche Zynismus im offiziellen israelischen Kriegskommuniqué: “Es wäre für Israel unmoralisch, sich nicht an der Friedenssicherung zu beteiligen.”

      Um 11 Uhr hat an diesem 15. September eine offizielle Mitteilung aus Israel wissen lassen, man habe nunmehr alle strategisch wichtigen Punkte in West-Beirut unter Kontrolle. Sabra und Schatila seien eingeschlossen.

      Im Gaza-Krankenhaus, mitten im Flüchtlingslager Sabra, hatte der norwegische Arzt Per Mählumshagen um diese Stunde die Ankunft zahlreicher Verwundeter registriert. Sie waren durchweg von Schrapnellgeschossen getroffen worden.

      Just um diese Mittagsstunde empfing in Jerusalem Ministerpräsident Begin den amerikanischen Sonderbotschafter Morris Draper, um ihn offiziell von dem Einmarsch zu informieren. Wie haben die USA auf den Bruch des von ihnen garantierten Abkommens reagiert? Nun, milde, wie immer. Larry Speakes, Stellvertretender Sprecher des Weißen Hauses, hat in Washington gesagt, Israel habe den USA versichert, das Vorgehen sei “begrenzt und vorbeugender Natur”. Der Sprecher des Außenministeriums meinte, es wäre “hilfreich” gewesen, wenn Israel die Reagan-Administration vorher “konsultiert” hätte. Aus Jerusalem hat man gewisse “politische Quellen” zitiert: Der Einmarsch habe die “stillschweigende Billigung durch die USA”.

      Nicht einmal durch einen Zwischenfall am Mittag dieses 15. September ist die amerikanische Zurückhaltung beeinträchtigt worden. An der Uferstraße im Zentrum Beiruts, auf der am Morgen die Israelis vorgerückt waren, liegt das Gebäude der US-Botschaft. Als sich die israelischen Soldaten ihr näherten, wurde ihnen über Funk befohlen, “um keinen Preis zu schießen”. Ungeachtet dessen sind einem Wachtposten des Marinecorps auf dem Botschaftsdach die Kugeln um die Ohren gepfiffen und haben ihn nur knapp verfehlt. Die israelische Regierung hat sich später entschuldigt. Man habe den GI für einen Linksmilizionär gehalten.

      Bei einem anderen Zwischenfall hat man keine Entschuldigung für notwendig gehalten. Israelische Soldaten sind unter Mißachtung der diplomatischen Immunität auf das Gelände der sowjetischen Botschaft vorgedrungen. In einer Stellungnahme der Israelis an das amerikanische (!) Außenministerium hieß es dazu, die Soldaten einer gepanzerten Einheit seien vor “feindlichem Beschuß” geflohen. Sie wollten auf dem Botschaftsgelände die folgende Nacht verbringen, weil sie dachten, es handele sich um “einen ganz gewöhnlichen Hinterhof”.

      Die Forderung des sowjetischen Konsuls nach sofortigem Abzug hätte der israelische Kommandeur ablehnen müssen, “weil draußen geschossen wurde”. Der Bericht hat dann allerdings eingeräumt, man habe dem Diplomaten “mit Eröffnung des Feuers gedroht”, falls er auf seinem Verlangen beharre.

      An diesem 15. September war Ariel Scharon in Begleitung von Armee-Geheimdienstchef Saguy schon um neun Uhr morgens zu dem soeben eingerichteten vorgeschobenen Kommandoposten des Brigadegenerals Amos Yaron gekommen. Der war auf dem Dach eines verlassenen sechsstöckigen Hauses eingerichtet worden, von dem aus man das Lager Schatila übersehen konnte. In späteren Berichten und Untersuchungen sollte dieser Kommandoposten noch eine wichtige Rolle spielen.

      Hier nun hatte man den Verteidigungsminister noch einmal davon informiert, daß die Phalange-Milizen bereit seien, in die Flüchtlingslager einzurücken. Und hier hat Scharon dann tatsächlich die Weisung gegeben, man solle sie hineinschicken, “unter der Aufsicht von ZAHAL”. ZAHAL ist die hebräische Abkürzung für die offizielle Bezeichnung “Israelische Verteidigungsstreitkräfte” - Israel Defence Forces - IDF

      Anschließend haben sich der Minister und Saguy im Osten Beiruts mit einigen Offizieren der Phalange-Milizen getroffen. Zugegen waren Elie Hobeika und Fadi Frem, und diese Namen sollte man sich merken.

      Am Nachmittag tauchte Scharon dann in Bikfaya auf, am Stammsitz der Gemayels, wo gerade die Beisetzung des ermordeten Präsidenten für den Abend vorbereitet wurde. Während über dem Dorf israelische Kampfflugzeuge kreisten, notierte der Korrespondent der französischen “Le Monde”: “Scharon, im offenen Hemd, ist nach Bikfaya gekommen, um seine Anteilnahme zu bezeugen. ‘Niemand hat ihn eingeladen,’ sagt man.” Und so gäbe es “eine eisige Begrüßung”.

      Zur gleichen Zeit, um 16 Uhr 30, hat in Rom der Papst den Vorsitzenden des Exekutivkomitees der PLO, Yasser Arafat, empfangen. Arafat hat bei dieser Gelegenheit seine Auffassung wiederholt, man müsse eine politische Lösung des Palästina-Problems finden. - Der Vatikan-Empfang für den PLO-Führer machte weltweit Schlagzeilen. Die israelische Regierung aber hat ganz im alten Ton (“zweibeinige Tiere” etc.) mit einer offiziellen Erklärung reagiert: “Israel gibt seinem Schock darüber Ausdruck, daß Papst Johannes Paul II. dem Mann eine Audienz gewährt hat, der einer Organisation von Mördern vorsteht, die im Zentrum des internationalen Terrorismus steht...”

      Am Abend dieses 15. September schließlich hat Israel die Grenzübergänge Metulla und Naharija an der libanesischen Grenze für jeglichen Durchgangsverkehr geschlossen. Die Begründung ist die gleiche gewesen, wie die für den Einmarsch in West-Beirut: Man wolle nach dem Mord an Gemayel ein Blutvergießen verhindern. Muß man dazu die israelische Grenze schließen? Die einleuchtendere Erklärung sollte man bald wissen: Man versuchte, unerwünschte Zeugen auszuschließen!

      Zunächst aber haben die israelischen Zeitungsleser am Morgen des 16. September in ihren Blättern ein Interview mit Generalstabschef Rafael Eitan gefunden, in dem es hieß: “Wir haben eine Katastrophe verhindert. Unsere Truppen haben die Flüchtlingslager umzingelt und hermetisch abgeriegelt.” Eitan hat jene Parole verkündet, die zuvor schon von Verteidigungsminister Scharon ausgegeben worden war: In den Lagern befänden sich noch etwa zweitausend “palästinensische Terroristen”. Deshalb sei das israelische Vorgehen berechtigt. (Übrigens wird man diese zweitausend “Terroristen” niemals finden.)

      16. September 1982: Die “entscheidende Sitzung”

      Gegen 12 Uhr hat an diesem 16. September eine fünfköpfige Delegation der Bewohner der Flüchtlingslager Sabra in Richtung aus das Stadion verlassen. Sie wollte die Israelis bitten, den Beschuß der Lager einzustellen. Sie wollte erklären, daß es keinen Widerstand geben werde, sollte die israelische Armee die Lager besetzen. Diese fünf Männer sind nie wieder aufgetaucht. Erst zwei Tage später haben Lagerbewohner, die zum Verhör ins Stadion gebracht worden sind, die Leichen von zwei Angehörigen der Delegation identifiziert: den 55-jährigen Ahmed Hishiw und den 60-jährigen Abu Ahmad Said.

      Im israelischen Hauptquartier am Beiruter Hafen hat indessen um 15 Uhr 30 die - wie es später das amerikanische Nachrichtenmagazin “Time” formuliert - “entscheidende Sitzung” begonnen. Den Vorsitz führte Generalmajor Amos Drori, Kommandeur der israelischen Streitkräfte im Libanon. Drei andere hochrangige Israelis waren zugegen, unter ihnen General Amos Yaron. Ihre Verhandlungspartner waren die künftigen Mörder. Zwar ist immer verschleiert worden, wer da alles ins israelische Hauptquartier geeilt ist, um das Massaker vorzubereiten, einige Namen aber werden immer wieder genannt.

      Da steht an erster Stelle der 28-jährige Elias Hobeika, Chef des Sicherheitsdienstes der Phalange. Er sei, schreibt “Time”, ein Mann, “der stets eine Pistole, ein Messer und eine Handgranate am Gürtel trägt”. Er sei “der meistgefürchtete Phalangist im Libanon”. Hobeika gilt überdies als Vertrauensmann des israelischen Geheimdienstes Mossad wie auch der amerikanischen CIA. Er ist in Israel ausgebildet worden und die Israelis, so “Time” weiter, “kennen Hobeika als unbarmherzigen, brutalen Sicherheitsmann”. Dieser Elias Hobeika ist für die persönliche Sicherheit Baschir Gemayels verantwortlich gewesen. Ihm konnte man den Tod des Präsidenten anlasten, seiner Unfähigkeit oder seiner Nachlässigkeit.

      Wie zu erfahren ist, haben der illustren Runde am Nachmittag dieses 16. September sicherlich noch drei andere Männer angehört. Dib Anastas sei dabei gewesen, der Chef der Militärpolizei der “Lebanese Forces”. Joseph Edde, der Kommandant der Rechtsmilizen im südlichen Libanon, der sogenannten “Damour-Brigade”, sei ins israelische Hauptquartier gekommen. Und Michel Zouein, der Adjutant Hobeikas, habe teilgenommen.

      Da sich die Israelis über diesen Aspekt auch weiterhin ausschwiegen, haben die amerikanischen Journalisten Colin Campbell (“New York Times”;) und Loren Jenkins (“Washington Post”;) auf eigene Faust Recherchen angestellt. Das wird ihnen verübelt werden. Am 28. September läßt ihnen die US-Botschaft in Beirut eine Warnung zugehen (die Enthüllung der Namen brächte sie in Gefahr). Am Morgen des 29. September werden Campbell und Jenkins durch amerikanische Diplomaten nach Damaskus in Sicherheit gebracht. Die beiden Reporter haben anhand von Zeugenaussagen feststellen können, wer an den Massakern beteiligt war, und das erlaubte ihnen Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Sitzung im israelischen Hauptquartier. In den Lagern sah man Leute der “Spezial-Sicherheitseinheiten” von Hobeika, Angehörige der “Militärpolizei” von Dib Anastas, die an ihren schwarzen Baretten erkennbaren Kommandos der “Damour-Brigade” von Joseph Edde und Angehörige der Haddad-Armee.

      Um die Beteiligung oder Nichtbeteiligung der Haddad-Leute wird es später einigen Wirbel geben. Eine israelische Untersuchungskommission wird den Major Haddad - übrigens als einzigen aller Betroffenen - von jeglicher Schuld freisprechen. Und das wird aus gutem Grund geschehen. Von irgendwelchen Phalange-Subjekten glaubte die israelische Führung sich noch leicht distanzieren zu können, womit die ganze Sache zu einer rein innerlibanesischen Affäre würde. Im Falle Haddads aber wäre das kaum möglich, die Unterstellungsverhältnisse sind zu klar. Fiele auf Haddad der Schatten eines Verdachts, geriete auch Israel ins Gerede.

      Aber es gibt Zeugen! An diesem Donnerstag, dem 16. September, haben zwei Offiziere der libanesischen Armee, die auf dem Beiruter Flugplatz stationiert waren, die Landung von zwei Transportmaschinen Typ C-130 “Hercules” der israelischen Luftwaffe auf der Landebahn 1 beobachtet. Ihnen sind Uniformierte entstiegen. Militärfahrzeuge wurden entladen. Die beiden libanesischen Offiziere waren überzeugt, es handele sich um Haddad-Leute.

      Der Korrespondent der Pariser “Le Monde” hat nach den Massakern berichtet: “Der Major Haddad wurde in den letzten Tagen bei mehreren Gelegenheiten in West-Beirut gesehen. Einige seiner Leute haben am Freitagabend (am 17. September) im Stadtviertel Mousseitbe ein Büro der Sozialistischen Fortschrittspartei angegriffen. Während des Zusammenstoßes sind zwei von ihnen gefangengenommen worden. Sie hatten Militärpapiere in Arabisch und Hebräisch bei sich, sie hatten jedoch an der Windschutzscheibe ihres Wagens einen Aufkleber der Phalange.”

      Gewiß, Mousseitbe ist nicht Sabra oder Schatila. Aber die Israelis und Haddad werden stets bestreiten, daß der Major oder seine Leute zum fraglichen Zeitpunkt überhaupt in Beirut gewesen seien. Auf die drängenden Fragen des “Times”-Korrespondenten Robert Fisk hat Haddad später geantwortet: “Möglicherweise hat man einige unserer Abzeichen gesehen, denn vielleicht könnten einige unserer Leute bei anderen Streitkräften in Beirut gedient haben. Außerdem sammeln manche Leute Abzeichen als Souvenirs, und sie könnten sie während des Tötens getragen haben.”

      Der Major Haddad hat alles auf Souvenirsammler abgewälzt, andere Leute haben sich ungestraft zum Mord bekannt. Das israelische Fernsehstudio in Beirut (ja, auch das gab es bereits!) zeichnete ein Interview mit einem angeblichen Phalange-Offizier auf, der sich “Michel” nannte. Bevor Kamera und Mikrofon eingeschaltet waren, hat “Michel” erzählt, er sei in Sabra und Schatila dabei gewesen und habe dort eigenhändig fünfzehn Menschen getötet. Er finde nichts Schlimmes dabei, Palästinenser zu töten. In dem später in Israel ausgestrahlten Interview hat er gesagt: “Was die israelische Armee dabei tut, ist ohne Belang. Sie kann uns nicht am Töten von Palästinensern hindern.”

      Das mag als geradezu perfekte Entschuldigung für die Israelis gedacht gewesen sein. Aber am 25. Oktober erklärt Ariel Scharon vor der Untersuchungskommission: “Wir wissen genau, wen wir in die Lager hineingelassen haben und wer herausgekommen ist. Aber wer dort gemordet hat - so würde ich sagen, daß ich es bis heute nicht weiß.”

      Um 16 Uhr, als an diesem 16. September gerade die “Hercules”-Maschinen auf der Landebahn 1 aufsetzten und die Sitzung im israelischen Hauptquartier am Hafen noch andauerte, wurde dort aus Tel Aviv angerufen. Die Aussagen darüber, wer am anderen Ende der Leitung war, bleiben widersprüchlich, ob es Scharon oder Generalstabschef Eitan gewesen sei. Wer auch immer - aus Tel Aviv ist angefragt worden, wann die Milizen bereit seien, in die Lager einzufallen. General Drori hat geantwortet: “Sofort!”

      Auf der Besprechung hatte man inzwischen die Einmarschwege festgelegt. Einen Vorschlag der Milizen, daß sie von israelischen Verbindungsoffizieren in die Lager begleitet werden sollten, hätten die Israelis abgelehnt.

      Überhaupt ist in Israel immer bestritten worden, daß israelische Soldaten direkt an den Vorgängen in den Lagern beteiligt gewesen seien. Es gibt keine Beweise des Gegenteils, nur einige befremdliche Indizien. So haben Überlebende nach den Massakern zwischen den Leichen einen israelischen Militärpaß und eine Erkennungsmarke mit der Nummer 3 340 074 gefunden. Der Ausweis (Nr. 5 731 872) war auf den Namen des Sergeanten Benny Chaim, geboren am 7. September 1961, ausgestellt. Wie ist das nach Schatila gelangt? Und wer war oder ist Benny Chaim? Es hat nie Antworten auf diese Fragen gegeben.

      Einige Monate später präsentiert die amerikanische Nachrichtenagentur AP drei Zeugen aus Schatila, die 44-jährige Ektefa Challah, ihre 16-jährige Tochter und eine Nachbarin. Frau Challah hat bis zu ihrem 10. Lebensjahr in Haifa gewohnt, sie spricht Hebräisch. Sie berichtet, am 16. September, als die Morde begannen, sei ein israelischer Soldat ins Lager gekommen und habe mit ihr gesprochen. Später wurde der Mann der Nachbarin zusammen mit anderen Männern vor eine Wand geführt und erschossen. “In diesem Augenblick war der Israeli bei mir,” sagt Frau Challah. Er habe die Phalangisten aufgefordert, sie und ihre Kinder in Ruhe zu lassen...

      Jedenfalls hat General Drori nach dem Ende der Sitzung mit den Phalangisten, also um 17 Uhr, noch einmal mit Verteidigungsminister Scharon telefoniert: “Unsere Freunde gehen in die Lager. Ich habe den Einmarsch mit ihren Spitzenleuten koordiniert.” Scharon hat geantwortet: “Glückwunsch! Die Operation der Freunde ist genehmigt.”

      Sie wußten, was sie taten! Später sagt General Drori aus: “Wir haben sie gewarnt, und wir haben angenommen, daß dies nicht passieren würde.” “Sie”, das waren die Phalangisten. Hatte der General nicht seine eigene Armee-Zeitung “Bamahane” gelesen, die in ihrer Ausgabe vom 1. September einen Phalangisten-Offizier zitiert hatte: “Wir haben nur ein Problem, nämlich ob wir erst die Männer umlegen oder erst die Frauen vergewaltigen sollen.” Und “mindestens ein Offizier” hatte, so die israelische Untersuchungskommission, just bei dieser Beratung “die Befürchtung ausgesprochen”, daß es zu einem Massaker kommen könnte.

      Jetzt, um 17 Uhr, versammelten sich auf der Landebahn 1 des Flugplatzes die Mordkommandos zu einem letzten Appell. Augenzeugen sprechen später von tausend bis eintausendfünfhundert Mann.

      Schon zuvor sind sie beim Anmarsch von den Bewohnern des Süd-Beiruter Stadtviertels Choueifatgesehen worden. Auch hier eine Beobachtung, die Robert Fisk zitiert: Die Jeeps hätten Abzeichen der Haddad-Miliz getragen. Auch die sauberen Reifen der Fahrzeuge seien aufgefallen (weil sie mit Flugzeugen nach Beirut gebracht worden sind?).

      Genau zur gleichen Stunde ist der amerikanische Sonderbeauftragte Morris Draper in Begleitung von Botschafter Samuel Lewis und dem US-Militärattaché in Israel in das Büro des israelischen Verteidigungsministers in Jerusalem gekommen. Das Protokoll über das Gespräch Draper - Scharon, geführt auch in Gegenwart von Armee-Geheimdienstchef Saguy, liest sich so:

      Draper: “Ich war überrascht über das Vorrücken der israelischen Armee. Die Libanesen wollen, daß Sie abziehen; dann wird ihre Armee einrücken.”

      Scharon: “Wer wird einrücken?”

      Draper: “Die libanesische Armee und die Sicherheitskräfte.”

      Saguy: “Und die Phalange.”

      Draper: “Auf keinen Fall die Phalange.”

      Saguy: “Wer soll sie aufhalten?”

      Draper: “Sind Sie sicher, daß die Phalange einrücken wird?”

      Saguy: “Fragen Sie ihre Führer.”

      Draper: “Der kritische Punkt für uns ist, daß alle Welt uns glaubte, als wir sagten, daß Sie nicht nach West-Beirut gehen würden, da Sie uns Ihr Wort darauf gegeben haben. Das ist für uns der entscheidende Punkt.”

      Auf diese Darlegung der amerikanischen Hauptsorge, nämlich, das Gesicht zu verlieren, antwortete Scharon: “Die Umstände haben sich geändert.”

      Draper: “Früher haben die Leute geglaubt, Sie würden Ihr Wort halten.”

      Scharon schließlich: “Wir sind eingerückt wegen der zweitausend bis dreitausend Terroristen, die dort zurückgeblieben sind. Wir haben sogar ihre Namen.”

      Draper: “Ich habe nach diesen Namen gefragt, und Sie sagten, es sei eine enorme Liste, aber dann haben Sie eine ganz winzige herausgerückt...”

      In diese Debatte um Namen und Listen mischt sich Generalstabschef Eitan ein: “Lassen Sie mich Ihnen erklären. Libanon ist kurz vor der Explosion einer Raserei der Rache. Niemand kann sie aufhalten. Gestern haben wir mit den Phalangisten über ihre Pläne gesprochen. Sie haben kein starkes Kommando... Sie sind besessen von der Idee der Rache...” Eitan fügte hinzu, er habe “in ihren Augen gesehen, daß es eine unbarmherzige Schlächterei geben wird.” Einige Zwischenfälle hätten sich bereits ereignet, “und es ist eine gute Sache, daß wir an Stelle der libanesischen Armee dort waren, um zu verhindern, daß es weiter ging.”

      Und so ging das Gespräch weiter und weiter, zu einer Stunde, da das Massaker noch zu verhindern gewesen wäre. Die israelischen Generale haben darauf beharrt, allein die Präsenz ihrer Soldaten verhindere Schlimmes, und sie wußten, daß sie logen. Die Amerikaner haben sich letztlich mit einer milden Kritik zufrieden gegeben.

      Inzwischen richteten die Mord-Milizen im Gebäude der Botschaft Kuweits, direkt am Südeingang von Schatila, einen Kommandoposten ein, dicht bei dem israelischen Beobachtungsposten auf dem Dach des sechsstöckigen Gebäudes.

      Um diesen israelischen Beobachtungsposten wird es später ausgedehnte Debatten geben. Nämlich: Ob von dort aus zu beobachten war, was sich drunten in Schatila abspielte. Scharons Aussage vor dem Untersuchungsausschuß: “Ich war zuvor auf dem Dach des israelischen Kommandostandes. Wir konnten von Sabra und Schatila nur einen Haufen Häuser sehen, aber nichts von dem, was sich auf den Straßen abspielte”

      Der amerikanische Journalist Robert Suro vom Nachrichtenmagazin “Time” besucht nach den Massakern den Kommandostand und findet “geleerte Konservenbüchsen, israelische Zeitungen und einen ungehinderten Panoramablick auf die Region des Schatila-Lagers...”

      Sein Kollege Ray Wilkinson von “Newsweek” mißt die Entfernung vom Südeingang von Schatila bis zum israelischen Beobachtungsposten: zweihundertfünfzig Schritt. Auf dem Dach stellt er fest: “Von dort sind alle Einzelheiten in den Lagern sichtbar, sogar mit bloßem Auge. Mit Ferngläsern wären die Israelis in der Lage gewesen, selbst das kleinste Detail zu erkennen.” Tatsächlich sagen später israelische Soldaten aus, sie hätten nach 17 Uhr gesehen, wie sich Uniformierte mit Messern und Äxten dem Lager näherten.

      Um 18 Uhr 50 verließen die amerikanischen Diplomaten Scharons Büro. Genau zehn Minuten später war den israelischen Beobachtern über Schatila klar, was drunten vor sich ging. Man hörte nämlich den Funkverkehr der Milizionäre ab, und dabei die Frage eines Kommandeurs, was er mit den fünfzig Frauen und Kindern machen solle, die er zusammengetrieben habe. Hobeika antwortete über Funk: “Das ist das letzte Mal, daß Sie mich fragen. Sie wissen, was zu tun ist.” Leutnant Elul, der Adjutant von General Yaron, hatte diese Worte gehört und auf der Stelle seinen Chef informiert. Der General behauptete später, er habe daraufhin Hobeika “verwarnt”.

      Um 19 Uhr - seit einer Stunde war in Sabra und Schatila gemordet worden - kamen, wie zwei israelische Fallschirmjäger später dem Korrespondenten der israelischen Zeitung “Ha’aretz” mitteilen, Frauen aus dem Lager Schatila gerannt und erzählten weinend, daß im Lager Leute umgebracht würden. Die Soldaten informierten mehrfach ihre Vorgesetzten. Antwort: Sie sollten sich nicht darum kümmern. Die Soldaten sagen später: “Man hätte das Massaker am Donnerstagabend beenden können, wenn man zur Kenntnis genommen hätte, was wir unseren Offizieren erzählt haben.”

      Dämmerung hatte sich über Beirut gesenkt. Die israelische Armee begann, aus 81-mm-Mörsern Leuchtgranaten über die Lager zu schießen. Die “Jerusalem Post” zitiert: “Ein Soldat einer Artillerieeinheit sagte, daß seine Truppe die ganze Donnerstagnacht hindurch zwei Leuchtgranaten in der Minute abschoß. Es gab auch den Abwurf von Leuchtbomben durch die Luftwaffe, sagte er.”

      Um 19 Uhr 30 trat in Jerusalem das israelische Kabinett zu einer Sitzung zusammen. Die Minister sollten ihre Zustimmung zum Einsatz der Phalangisten in den Lagern geben, nachträglich wiederum.

      Die Aussagen über diese Sitzung werfen ein etwas eigenartiges Licht auf die Gepflogenheiten in der Regierung. Ausgerechnet Generalstabschef Eitan, der hinzugezogen worden ist, erklärte dem Protokoll zufolge den versammelten Ministern: “Die Christen warten nur auf Rache, sie wetzen schon ihre Messer... Ich erkenne in ihren Augen, worauf sie warten.”

      Warten? Man mordete bereits, und der Generalstabschef wußte das!

      Ministerpräsident Menachem Begin später in der Untersuchungskommission zu der Kabinettssitzung: “Tatsache ist, daß es niemandem einfiel, es könnte zu Greueltaten kommen...”

      Niemandem? Immerhin äußerte Vizepremier David Levy (als einziger) Bedenken. Begin aber erklärt später, er könne sich an Eitans Äußerungen nicht erinnern, und “kein Minister hat sich durch diese Bemerkungen beunruhigt gezeigt.” Und: “Ich habe die Warnungen damals, ehrlich gesagt, nicht einmal richtig gehört.”

      Am nächsten Tag, am 17. September, erfuhren die Israelis in ihren Zeitungen: “Sicherheitsminister Scharon und Ministerpräsident Begin erläuterten gestern auf einer außerordentlichen Kabinettssitzung die Lage in Beirut und legten dar, der Einmarsch von ZAHAL sei erforderlich gewesen, um die Stabilität in der Stadt zu gewährleisten.”

      Donnerstag, 16. September 1982, 23 Uhr. Der Kommandeur der Milizen in den Lagern sandte dem israelischen Hauptquartier in Beirut eine Botschaft: “Bis zur Stunde haben wir dreihundert Zivilisten und Terroristen getötet.” Diese Mitteilung wurde angeblich an zwanzig oder dreißig israelische Offiziere weitergeleitet, darunter auch an Generalstabschef Eitan. Wenn später die Existenz dieser Nachricht auch bestritten wird, der Militärkorrespondent der “Jerusalem Post”, Hirsh Goodman, schreibt am 20. September, er habe sie mit eigenen Augen gesehen.

      “Mit dem Einmarsch in West-Beirut haben wir eine Katastrophe verhindert.” Diese Worte von General Eitan konnte man am Morgen des 17. September in der Zeitung “Yedioth Aharonot” lesen. Es war nach einer Nacht, von der ein ausländischer Mediziner, tätig im Gaza-Hospital in Sabra, sagte, sie sei ein Inferno gewesen: “Der Himmel wurde niemals dunkel. Das Schießen hörte niemals auf. Die Leute schrieen.”

      17. September 1982: Die ersten ausländischen Augenzeugen

      Am Morgen des 17. September gegen 7 Uhr hörten die Mediziner im Gaza-Hospital näherrückenden Kampflärm. Zweiundachtzig Verletzte kamen ins Krankenhaus und berichteten von Massakern.

      Ein israelischer Soldat, der an einem der Lagerausgänge Posten stand, erzählt später der Zeitung “Ha`aretz”, es seien schreiende palästinensische Frauen gekommen und hätten berichtet, “die Christen” würden ihre Kinder erschießen und die Männer in Lastwagen abtransportieren. “Ich habe das meinem Offizier erzählt, aber der sagte nur: `Es ist o.k.”.

      Um acht Uhr fanden sich einige ausländische Korrespondenten am Eingang zum Lager Sabra ein. Milizionäre und israelische Soldaten verwehrten ihnen den Zutritt. Roy Wilkinson von “Newsweek” gelang es dagegen, einige hundert Meter nach Sabra hineinzukommen. Dann hielt ihn ein Milizionär fest. Ein anderer Phalangist rief: “Ich habe einen alten Mann gefunden.” Antwort: “Dann erschieß’ ihn!”

      Wilkinson sah auch, wie die Milizionäre das Lager verließen, um sich auszuruhen. Die Israelis gaben ihnen Lebensmittel und Getränke.

      Erklärung eines “hohen israelischen Regierungsvertreters” am 20. September: “Gewisse beunruhigende Berichte trafen Freitag morgen ein, aber es gab noch kein klares Bild, was los war.”

      Aussage von Oberleutnant Ari Grabowski, Kommandeur einer Panzereinheit, stationiert am Eingang von Sabra, über den Morgen des 17. September: “Ich konnte aus etwa fünfhundert Meter Entfernung sehen, wie Phalangisten fünf Frauen und Kinder getötet haben.” Einer der Mörder sagte ihm: “Die schwangeren Frauen bringen künftige Terroristen zur Welt - Kinder wachsen und werden zu Terroristen.”

      Um neun Uhr jedenfalls informierte Grabowski über Funk seinen Bataillonskommandeur. Er erhielt die Antwort: “Ich weiß, das ist schlecht, aber wir greifen nicht ein.”

      Um elf Uhr teilte ein israelischer Offizier General Drori mit, er sei “wegen des Vorgehens der Milizen besorgt”! Daraufhin, so Scharon vor der Untersuchungskommission, hat Drori das Ende der Aktion befohlen und Eitan informiert: Die Phalangisten seien “zu weit gegangen”.

      Doch das Morden ging weiter. Milizionäre drangen in das Akka-Hospital am Rande von Schatila ein. Sie forderten die ausländischen Ärzte und Pfleger auf, mit erhobenen Händen aus dem Krankenhaus zu kommen. Die Eindringlinge vergewaltigten die 19-jährige palästinensische Krankenschwester Intisar Ismail und erschossen sie danach. Unterdessen führte man das ausländische Personal zum Südeingang von Schatila, wo es von einer Gruppe israelischer Soldaten erwartet wurde. Diese kontrollierten die Pässe. Norwegische Diplomaten fanden sich ein und erreichten die Freilassung der norwegischen Mediziner. Den anderen wurde erlaubt, ins Hospital zurückzukehren.

      Um elf Uhr rief der Militärkorrespondent der israelischen Zeitung “Ha`aretz”, Zeev Schiff, den Kommunikationsminister Mordechai Zippori an. Schiff hatte am Morgen dieses 17. September von Freunden in Beirut Informationen über die Morde erhalten.

      Minister Zippori telefonierte sofort mit Außenminister Yitzchak Schamir. Dessen Aussage vor der Untersuchungskommission: “Es hat mich auch nicht besorgt gemacht, denn es war mir klar, daß alle Vorgänge den mit mir im Raum versammelten Leuten bekannt waren.” Außerdem sei ja alles eine Sache der Auslegung. Zippori hätte bei seinem Anruf das Wort “hishtolelut” benutzt, was im Hebräischen sowohl kindlichen Übermut, Ausgelassenheit oder Sich-Austoben bedeuten kann, aber auch Wüten, Toben, eine Ausschreitung. Schamir: “Da dieses Wort so viele Bedeutungen hat, habe ich es nicht als alarmierend empfunden.”

      Um zehn Uhr hatte sich die Verwaltungsleiterin des Gaza-Hospitals auf den Weg gemacht, um Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes über das Andauern der Schüsse im Lager zu informieren und zum Eingreifen zu bewegen. Noch hatte man im Krankenhaus keine Vorstellung von dem Unvorstellbaren.

      Jetzt, um zwölf, kehrte sie zurück, ohne etwas erreicht zu haben. Sie berichtete nur, daß “etwas Schreckliches geschieht”, und forderte alle Palästinenser unter dem Personal auf, sich in Sicherheit zu bringen. Mit diesen verließen auch viele Flüchtlinge das Hospital. Als sie, eine weiße Fahne schwenkend, die Lagergrenze von Sabra erreichten, wurden sie von israelischen Soldaten zurückgeschickt - in den Tod. Ein israelischer Soldat hat ihnen gesagt: “Ich kann nichts machen. Wenn Ihr noch zehn Minuten länger hier bleibt, schieße ich...” Ein israelischer Panzer schob sich auf die Gruppe zu.

      Gegen 13 Uhr drang der dänische Fernsehkorrespondent Flindt Petersen bis zum Eingang von Schatila vor. Seine Kamera hielt fest, wie ein Lastwagen mit Frauen und Kindern von Phalangisten am Verlassen des Lagers gehindert wurde.

      16 Uhr. “Newsweek”-Korrespondent James Pringle fragte einen Milizionär am Lagereingang, was hier vorgehe. Antwort: “Wir schlachten sie!” Ein israelischer Oberst, der sich “Eli” nannte, sagte zu Pringle: “Wir werden nicht eingreifen!”

      Indessen sagte ein anderer israelischer Oberst, der seinen Namen nicht nennen wollte, in einem Gefechtsstand zum Reuter-Korrespondenten Paul Eedle, seine Leute seien angewiesen, sich nicht einzumischen. Vor diesem Gefechtsstand ruhten sich israelische Soldaten auf ihren Panzern aus, lasen und hörten Musik. Hundert Meter weiter erfrischten sich in einem Gebäude der Universität Phalangisten nach ihrem Einsatz. Am Eingang von Schatila sah der norwegische Diplomat Gunnar Flakstadt einen Bulldozer mit Leichen vorüberfahren.

      Um 16 Uhr 30 haben sich die israelischen Kommandeure erneut mit den Bossen der Mörder getroffen. Jetzt ging es um die Weisung, die Aktionen bis spätestens am nächsten Morgen um fünf Uhr einzustellen. Zuvor aber hat, General Yaron zufolge, der mittlerweile in Beirut eingetroffene Generalstabschef Eitan die Mörder gelobt: “Sie haben gute Arbeit geleistet, aber jetzt müssen Sie sich zurückziehen.”

      Die Berichte aller Augenzeugen stimmen in einem überein: Die schlimmsten Dinge ereigneten sich erst in der Nacht zum Samstag, zum 18. September. Sie fanden erst nach dem Treffen der israelischen Generale mit den Miliz-Bossen statt, in jenen zwölf Stunden, die die Israelis den Mördern noch zugebilligt haben.

      Doch inzwischen war es an diesem 17. September erst einmal 18 Uhr geworden, die Dämmerung legte sich über die libanesische Hauptstadt. Zusammen mit dreißig anderen Männern mußte sich der 31-jährige Mustafa Habra an einer Mauer aufstellen. Seine Frau und seine drei Kinder waren zuvor von den Milizionären weggeschafft worden, er würde sie nie wieder sehen. “Sie haben auf uns geschossen,” sagt er. Sieben Geschosse trafen Mustafa Habra. Ein Toter fiel über ihn. Am nächsten Morgen findet man den Verwundeten und schafft ihn ins Krankenhaus.

      Jetzt, um 18 Uhr, rief der USA-Botschafter in Israel den Stellvertretenden Generaldirektor des israelischen Außenministeriums, Hana Bar-On, an. In Washington habe man “indirekt” Nachrichten über ein Massaker in Beirut erhalten. Was es damit auf sich habe? Aber es gab keine klare Auskunft für die Amerikaner.

      Wer wußte was?

      In Beirut traf sich indessen der amerikanische Sonderbotschafter Morris Draper mit dem “Verbindungsoffizier” des israelischen Außenministeriums in der libanesischen Hauptstadt, Bruce Kashdan (ungefragt und unerlaubt unterhält Israel also sogar schon eine Quasi-Botschaft in Beirut). Draper sagte, es gäbe Gerüchte über “Ausschreitungen”. Die Israelis sollten die Milizen zurückbeordern.

      Kashdan leitete diese Demarche an Ariel Scharon weiter.

      Zu dieser Stunde ging bei dem Leiter des PLO-Büros in Washington ein Fernschreiben des PLO-Büros aus Zypern ein: “Nachrichten aus Beirut liegen uns vor, wonach die Milizen von Saad Haddad die Flüchtlingslager Sabra und Schatila gestürmt haben. Ein Massaker unter den palästinensischen Zivilisten in den Lagern ist zu befürchten. Bitte sofortige und nachdrückliche Schritte unternehmen, um eine solche Entwicklung aufzuhalten.”

      Der PLO-Vertreter in den USA, Hassan Rahman, besaß keine offizielle Akkreditierung. Er konnte mit niemandem verhandeln - die USA verweigern jegliche Anerkennung der PLO. Rahman informierte also den tunesischen Botschafter. Dieser wandte sich sogleich an das amerikanische Außenministerium. Aber die Macht, die mit dem Abkommen von Philip Habib auch die Garantie für die Sicherheit der Bewohner von Sabra und Schatila übernommen hatte, gab die Auskunft, ein US-Diplomat habe um 13 Uhr die Lager aufgesucht und “nichts Schlimmes entdecken können.”

      17. September, 21 Uhr - Ariel Scharon behauptet, er habe erst zu dieser Stunde von den Vorgängen in Beirut erfahren. General Eitan, der ja erst fünf Stunden vorher den Mördern für ihre “Arbeit” gedankt hatte, rief angeblich beim Verteidigungsminister an. Die zivilen Opfer “überschreiten schrecklich die israelischen Erwartungen,” hat Eitan gesagt. Wie viel zivile Opfer hat er denn erwartet? Und Eitan weiter: “Sie sind zu weit gegangen”, aber am nächsten Morgen (erst am nächsten Morgen!) würden die Aktionen eingestellt. Scharon erklärt später, dies - der “nächste Morgen” - sei ihm als “ein vernünftiger Zeitraum” erschienen, denn die Milizen hätten nicht über hochentwickelte Kommunikationsmittel verfügt und sich deshalb nicht schneller zurückziehen können. Wo sie doch über Funksprechgeräte verfügen, deren Gespräche sogar von den Israelis abgehört wurden!

      Jedenfalls hat Scharon an diesem Abend nicht weiter reagiert. Später rief ihn der israelische Fernsehjournalist Ron Ben Yishai an und fragte nach den Ereignissen in Beirut. Scharon wünschte ihm nur mit Blick auf das jüdische Neujahr “Frohes Fest”.

      18. September 1982: Die UNO meldet sich - zu spät

      Samstag, 18. September 1982. In der Nacht hat in New York der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den israelischen Einmarsch in West-Beirut verurteilt, einstimmig, sogar mit der Stimme der Vereinigten Staaten, die doch sonst noch immer zugunsten Israels interveniert haben. Israels UNO-Botschafter Yehuda Blum hat allerdings keinen Zweifel daran gelassen, daß sein Land auch diese UNO-Resolution zu ignorieren gedenkt.

      Die den Phalangisten vom israelischen Oberkommando gesetzte Frist, bis um fünf Uhr die Lager zu verlassen, ist abgelaufen. Dennoch dringen jetzt Milizionäre in das Gaza-Hospital in Sabra ein. Hier befinden sich noch das medizinische Personal und achtunddreißig Patienten. Die ausländischen Ärzte und Pfleger werden zusammengetrieben und nach Süden, zum Lagereingang von Schatila, geführt. Nur eine Schwester und ein Medizinstudent bleiben bei den Schwerverletzten. Die Ausländer berichten: “Eine palästinensische Krankenschwester wurde aus der Gruppe herausgeholt, um eine Ecke geführt und erschossen. Später identifizierten die Killer einen Krankenpfleger als Palästinenser und erschossen ihn ebenfalls.”

      Die amerikanische Krankenschwester Ellen Siegel sagt: “Auf beiden Seiten der Rue Sabra standen Frauen und Kinder, zusammengetrieben von Soldaten, die nicht libanesische Uniformen trugen, sondern grüne Militäranzüge und grüne Mützen. Wir schätzten, daß es etwa achthundert bis tausend Frauen und Kinder waren. Man konnte große Bulldozer sehen, die dabei waren, Gebäude einzureißen und im Inneren dieser Gebäude Leichen zu begraben. Eine Frau versuchte, ihr Baby einem ausländischen Arzt in den Arm zu geben, aber sie wurde von den Soldaten gezwungen, den Säugling wieder zurückzunehmen.”

      Um 8 Uhr 30 treffen die ersten UNO-Beobachter in Sabra ein. Sie entdecken Leichen. Augenzeugen beobachten zu dieser Stunde Bulldozer, die Leichen wegschaffen. Einige der Fahrzeuge tragen Insignien der israelischen Armee.

      Robert Fisk schreibt an die “Times”: “Hinter der niedrigen Mauer lag eine Reihe junger Männer und Jungen niedergestreckt. Sie waren in einer regelrechten Exekution von hinten vor der Mauer erschossen worden, und sie lagen, pathetisch und schrecklich zugleich, so, wie sie hingefallen waren. Die Exekutionsmauer und das Gewirr von Körpern erinnerte uns irgendwie an etwas, was wir schon einmal gesehen hatten, und erst später wurde uns bewußt, wie ähnlich das alles alten Fotos von Exekutionen aus dem okkupierten Europa im zweiten Weltkrieg war...”

      Jack Reddan, der Korrespondent der amerikanischen Nachrichtenagentur UPI berichtet: “Unter einer Baumgruppe gräbt Walid Merhabi Gräber für sechs Tote, die er selbst in Schatila geborgen hat. Darunter sind seine Mutter und seine beiden Neffen... Bulldozerspuren führen an den Fuß eines Sandhügels. Auf einer Strecke von dreißig Metern ist die Erde frisch aufgehäuft. Leichenteile, die aus der Erde ragen, verraten, daß sich unter dem Hügel ein Massengrab befindet.”

      Samstag, 18. September. Am Mittag kommt Menachem Begin aus der Synagoge, wo er seit dem frühen Morgen gebetet hat. Um 13 Uhr 30 hört er - so sagt er später - im britischen Rundfunk die Nachricht, es habe Morde im Gaza-Hospital gegeben. Er habe gedacht, es handele sich um ein Hospital im von Israel besetzten Gaza-Streifen. Doch dann fragt er bei seinem Sekretär Zeev Zacharin nach. Der telefoniert mit Verteidigungsminister Scharon. Antwort: Den Ärzten sei “nichts Schlimmes” passiert. Der Premier denkt sich nichts Arges. Er fragt nicht zurück.

      Am Abend des 16. September hat Menachem Begin Warnungen “nicht gehört”. Er hat dem Einsatz der Mordbanden zugestimmt. Der 17. September war Sabbat. Da hat sich der Premier an das Gebot gehalten. Er hat nicht gearbeitet an diesem Freitag. Und an diesem Samstag nun, an diesem 18. September, ist er erst einmal frühmorgens in die Synagoge gegangen. Rosh Hashana steht vor der Tür, das jüdische Neujahrsfest. Der 1. Tischri, der erste Tag des Jahres 5743 jüdischer Zeitrechnung, wird auf den 19. September fallen. Das wird der Überlieferung zufolge der 5743. Jahrestag seit Erschaffung der Welt sein. Zwei Tage lang wird man feiern, die ersten der zehn Bußtage, der Jomin Noraim, der “erhabenen, ehrfurchtgebietenden Tage”, die mit dem Versöhnungstag schließen, dem Yom Kippur. Früher, vor der Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer, pflegten die Priester am 1. Tischri den Sündenbock in die judäische Wüste zu treiben, beladen mit allen Sünden des vorangegangenen Jahres.

      Am 18. September, am Vorabend des 1. Tischri, beglückwünscht man sich: “Für ein gutes Jahr mögest Du eingeschrieben sein.” Im Hauptgebet zu Rosh Hashana aber heißt es: “Wenn Du, Herr, die Herrschaft der Willkür von der Erde entfernst, wird alle Gewalttätigkeit ihren Mund schließen, und alle Gesetzlosigkeit wird wie Rauch vergehen.”

      Samstag, 17 Uhr. In Washington ist es neun Uhr morgens. In Beirut haben die Reporter und die UNO-Beamten Leichen über Leichen entdeckt. In Washington wird Präsident Ronald Reagan über das Massaker informiert. Keine Frage, die USA haben mit dem Habib-Abkommen Garantien übernommen. Der Präsident selbst hat am 20. August vor einer Verletzung der Vereinbarungen gewarnt: “Alle Parteien, die den Vertrag unterzeichnet haben, tragen in diesem Rahmen ihre besondere Verantwortung.” Und nun? Ein Pressesprecher des State Department betont, Washington wisse nicht, “wer in den Lagern den Finger am Abzug hatte”.

      Um 22 Uhr Beiruter Zeit äußert Ronald Reagan sein Entsetzen. In der offiziellen Erklärung des Weißen Hauses heißt es: “Während der Verhandlungen, die zum Abzug der PLO aus Beirut führten, versicherten uns die Israelis, daß ihre Truppen West-Beirut nicht betreten würden”.


      Israel: Die Regierung lügt - die Opposition geht auf die Straße

      Am 19. September 1982 gab die israelische Regierung eine offizielle Erklärung ab, in der sie alle Verantwortung für die Ereignisse in Sabra und Schatila weit von sich wies. “Am Neujahrstag,” hieß es da, “wurden der jüdische Staat und seine Regierung sowie die israelischen Verteidigungsstreitkräfte verleumderisch einer Bluttat berichtigt. An einem Ort, wo es keine Stellungen des israelischen Heeres gab, betrat eine libanesische Einheit ein Flüchtlingslager, wo sich Terroristen versteckten, um sie zu ergreifen.” Zynisch ging es weiter: “Sobald die israelischen Verteidigungsstreitkräfte von den tragischen Vorgängen in dem Lager Schatila erfuhren, machten sie dem Töten unschuldiger Zivilisten ein Ende und zwangen die libanesischen Einheiten, das Lager zu verlassen. Die Zivilbevölkerung selbst gab ihrer Dankbarkeit für diese Rettungstat der israelischen Verteidigungsstreitkräfte klaren Ausdruck.” Und weiter: “Die Tatsache bleibt bestehen, daß es ohne das Eingreifen der israelischen Verteidigungsstreitkräfte erheblich höhere Verluste an Leben gegeben hätte.” Und wer immer etwas anderes behauptete, den nannte die israelische Regierung einen “internationalen Aufwiegler”. Denn “niemand kann uns Ethik und Achtung des menschlichen Lebens predigen, Werte, die wir Generationen von israelischen Kämpfern gelehrt haben und lehren werden”.

      Es war jener 19. September 1982, als sich auf dem Platz der Könige Israels in Tel Aviv 400.000 Menschen zu der größten Demonstration in der Geschichte des Landes versammelten, voll Zorn und Scham über das, was da mit Hilfe oder Beteiligung und Wissen israelischer Militärs in Beirut geschehen war. Ihr Protest bewirkte, daß ein Untersuchungsausschuß unter dem Vorsitz des Präsidenten des Obersten Gerichts, Yitzchak Kahan, eingesetzt wurde.

      Am 22. September 1982 hatte die Knesset einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung beraten. Wie debattierte man im Par
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 22:12:01
      Beitrag Nr. 20 ()
      lament? Ariel Scharon verkündete: “Wir konnten uns in unseren schlimmsten Träumen nicht vorstellen, daß die Phalangekräfte, die uns immer als disziplinierte Armee erschienen waren, sich zu Massakern hingeben würden."

      Zwischenruf des kommunistischen Abgeordneten Meir Wilner: “Wer hat die Mörder hingeschickt?”

      Scharon: “Unser Herz schlägt ...”

      Meir Wilner: ”Haben Sie ein Herz?”

      Zwischenruf des Abgeordneten Amnon Rubinstein von der oppositionellen Shinui-Partei: “Es sind Ihre Kumpane. Sie haben ihnen Waffen gegeben. Man kann diese Heuchelei nicht ertragen.”

      Zwischenruf des kommunistischen Abgeordneten Tewfiq Zayad, des Bürgermeisters von Nazareth: “Henker! Mörder!"

      Wilner und Zayad wurden von Ordnern aus dem Saal geschleppt. Mit 48 zu 42 Stimmen wurde der Regierung Menachem Begin wieder das Vertrauen ausgesprochen.

      Am 11. Oktober 1982 nahm die Kahan-Kommission ihre Arbeit auf. Sie studierte siebzehntausend Seiten Dokumente. Sie vernahm in achtundfünfzig Verhören neunundvierzig Zeugen. Zwanzigtausend Seiten umfaßten die Protokolle, 138 Seiten den Schlußbericht, der am 8. Februar 1983 der Regierung übergeben wurde. Nur 108 Seiten davon bekam die Öffentlichkeit zu Gesicht, dazu ein leeres Blatt mit der Überschrift “Anhang B”. Auch dieser Anhang blieb geheim.

      Was bewirkte der Bericht? Nie ist einer der Mörder von Sabra und Schatila zur Rechenschaft gezogen worden. Menachem Begin verzichtete am 30. August 1983 überraschend auf das Amt des Ministerpräsidenten. Ariel Scharon mußte zurücktreten, aber schon wenige Jahre später war er wieder zur Stelle, als Landwirtschaftsminister trieb er den Bodenraub auf der okkupierten Westbank voran, und er trat schließlich an die Spitze der israelischen Regierung. Im August 1987 hat er in der Universität Tel Aviv einen Vortrag über die Ereignisse von 1982 gehalten. Er begann mit den Worten: “Der Krieg war ein Erfolg.”



      20 Jahre danach: Was aus ihnen wurde

      Ariel Scharon, den die Kahan-Kommission so schwer belastete, und der 1983 als Verteidigungsminister zurücktreten mußte, saß schon ein Jahr später wieder am Kabinettstisch: bis 1990 als Minister für Handel und Industrie, dann bis 1992 Minister für Wohnungsbau (als er das größte Bauprogramm in den palästinensischen Gebieten anschob: unter ihm wuchs die Zahl der jüdischen Siedlungen von 75 auf 130). Von 1996 bis 1998 war er Minister für nationale Infrastruktur, 1998 - 1999 Außenminister und seit 2001 und immer noch: Regierungschef. Für Regierungsämter sei er nicht geeignet, hatte ihm die Kahan-Kommission bescheinigt.

      General Rafael Eitan begab sich nach seinem Ausscheiden aus der Armee wie so viele hohe israelische Militärs in die Politik. Er gründete 1988 die rechtsgerichtete Tsomet-Partei, zog ins Parlament ein, hatte ab Juni 1996 als Landwirtschaftsminister einen entscheidenden Anteil an dem forcierten Ausbau jüdischer Siedlungen in den palästinensischen Gebieten. Im September 2002 hat er seinen Rückzug ins Privatleben - aus Altersgründen - angekündigt.

      Amos Yaron ist heute Generaldirektor des israelischen Verteidigungsministeriums.

      Benjamin Ben-Eliezer, der 1976 geheim als israelischer Verbindungsoffizier zum Kommandeur der “Lebanese Forces”, Baschir Gemayel, entsandt worden war, hat es später bis zum Generalmajor gebracht und ist heute Israels Verteidigungsminister.

      Elie (Elias) Hobeika wurde im Mai 1985 Chef der Lebanese Forces, später amtierte er als Minister. Da vor allem ihm die Morde in Sabra und Schatila angelastet wurden, meldete er sich im Januar 2002 zu Wort. Am Abend des 24. Januar 2002 traf er mit Mitgliedern einer belgischen Delegation zusammen und beteuerte seine Unschuld. In dem beabsichtigten Prozeß gegen Scharon in Belgien wolle er dafür Beweise vorlegen. Hobeika habe Ariel Scharon zu keinem Zeitpunkt belastet, erklärte der belgische Senator Josy nach dem Gespräch, “er beschränkte sich darauf, alle Beweise für den Prozess in Brüssel aufzuheben”. Kurz nach dem Treffen wurde Hobeika ermordet. Senator Quickenborne “wollte nicht ausschließen, dass ein Zusammenhang zwischen der Ermordung Hobeikas und Scharon bestehe”, hieß es.

      Saad Haddad, Major der libanesischen Armee, war im Oktober 1976 mit seinen Leuten desertiert, er proklamierte die “Befreiungsarmee Südlibanon” und machte sich zum Oberkommandierenden der “christlichen” Enklaven im Südlibanon. Im Juni 1978 übergaben ihm die einmarschierenden Israelis die Kontrolle über einen Grenzstreifen von 80 Kilometer Länge und 10 bis 15 Kilometer Tiefe. Die nunmehr so genannte Südlibanesische Armee (SLA) wurde von Israel ausgerüstet und bezahlt. Haddad starb im Januar 1984 an Krebs. Sein Nachfolger war General Lahad. Mit dem endgültigen Abzug der Israelis aus dem Südlibanon (Mai 2000) suchten die Angehörigen der SLA in Israel Asyl, ein Teil von ihnen fand in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme, nachdem Außenminister Fischer der Regierung Israels ein entsprechendes Angebot unterbreitet hatte.

      Klaus Polkehn, Journalist, Jahrgang 1931, lebt in Berlin


      Erinnerungen eines Überlebenden

      von Maher Fakhoury

      Es ist zum ersten Mal, dass ich über das Massaker schreibe. Ich habe diese schrecklichen Erinnerungen immer unterdrückt. Beirut besuche ich nicht gern, obwohl ich dort meine Kindheit erlebte. Meine Mutter und viele meiner Freunde leben dort. Wenn ich in Beirut bin, muss ich an die schrecklichen Tage im September 1982 denken. An die vielen Opfer, die kaltblütig ermordet wurden, nur weil sie als Palästinenser geboren waren.

      Wir alle, die das Massaker überlebt haben, leiden direkt oder indirekt noch immer darunter. Das Massaker beeinflusst auch zwanzig Jahre danach unser Leben. Es ist kein Wunder, dass nach so vielen Jahren ungewollt die Tränen fließen.

      Sabra und Schatila - es sind zwanzig Jahre vergangen, mehr als die Hälfte meines Lebens, denn es geschah wenige Wochen nach meinem 19. Geburtstag. Für mich ist es, als ob es gestern passiert wäre. Die Bilder werde ich nie in meinem Leben vergessen können. Die Tage bestimmten mein weiteres Leben.

      .

      Am Dienstag, dem 14. September 1982, wurde der neugewählte libanesische Präsident Bashir Al-Gemayel durch eine Explosion ermordet. Für die Palästinenser in Libanon war das eine Katastrophe. Viele und vor allem Scharon, der damalige israelische Verteidigungsminister, wollten die Verantwortung für den Mord den Palästinensern zuschieben. Die internationalen Sicherheitskräfte, die für die Sicherheit der Bewohner des Flüchtlingslagers zuständig waren, hatten bereits paar Tage vorher Beirut verlassen. Wieder standen die Palästinenser ohne Schutz allein.

      .

      Am Mittwoch, dem 15. September, herrschte in Sabra und Schatila eine ungewöhnliche Stille. Die Bewohner saßen vor den Radios und hörten ständig die Nachrichten. Der Tag verlief langsam und die Nacht war sehr lang. Bis am nächsten Tag gegen 6 Uhr israelische Flugzeuge diese Stille unterbrachen. Alle Bewohner standen an den Türen oder an den Fenstern und beobachteten die Lage, warteten auf eine Nachricht, egal wie schlecht sie auch sein mochte. Stunden später belagerte die israelische Armee Sabra und Schatila mit Panzern. Niemand durfte das Lager verlassen oder betreten. Die Journalisten waren mit den Nachrichten über die Ermordung Al-Gemayels beschäftigt.

      Nach der Vereinbarung der PLO mit dem amerikanischen Gesandten Habib durfte die israelische Armee West-Beirut und vor allem die palästinensischen Flüchtlingslager nicht besetzen. Aber die Israelis hatten, wie immer und für jedes Abkommen, einen Grund, es zu verletzen. Dieses Mal wollte die israelische Armee angeblich für die Sicherheit der Palästinenser in den Flüchtlingslagern sorgen.

      .

      Am Donnerstag, dem 16. September, war für viele von uns klar, dass wir etwas unternehmen mussten. Wir - etwa zehn junge Leute - trafen uns in Schatila bei unserem Freund Jamal, um über die Lage zu beraten.

      Waffen hatten wir nicht.... Nach den Vereinbarungen zwischen Habib und Arafat hatten alle PLO-Kämpfer Beirut verlassen. Die Mehrheit der Bewohner des Lagers waren Frauen, Kindern und alte Männer.

      Wir standen ganz allein - ein paar junge Leute, die auf das Ungewisse warteten. Wir haben uns in drei oder vier Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe sollte so schnell wie möglich Kontakt zu den libanesischen Streitkräften aufnehmen. Eine andere Gruppe sollte Freunde von uns suchen. Eine Gruppe sollte die Außenwelt, vor allem die PLO-Führung, über unsere Lage informieren. Nur Jamal, der Gastgeber, wollte gar nichts unternehmen und sagte uns, dass ihm drei Monate als Ambulanzfahrer direkt an der Front gereicht hätten. Gegen 19 Uhr beendeten wir unsere Beratung.

      Zu Hause warteten meine Mutter und meine jüngsten Brüder. Meine Mutter hatte doppelte und dreifache Sorgen gehabt. Wir hatten vor kurzem unseren Vater verloren. Mein älterer Bruder hatte Beirut mit der PLO verlassen. Meine Verletzung heilte noch nicht richtig. Unsere Wohnung war teilweise zerstört. Mein Cousin war kurz zuvor entführt worden, als er versucht hatte, Westbeirut zu verlassen. (Er kam bis heute nicht zurück). Und wir hatten kein Geld. Das heißt, wir konnten das Lager nicht verlassen, auch wenn wir das gewollt hätten. Den anderen Familien des Lagers ging es bestimmt nicht viel besser.

      Kurz nachdem ich wieder zu Hause in Sabra war, warfen die israelischen Flugzeuge Leuchtraketen ab. Die Beleuchtung dauerte die ganze Nacht. Ab und zu kamen Leute und erzählten, dass in Schatila ein Massaker stattfände. Keiner war sicher, ob das wahr sei.

      .

      An unserem muslimischen "Sonntag" - am Freitag, dem 17. September - erzählten mir meine Freunde am Morgen, dass Jamal in der Nacht ermordet worden war - zwei Stunden, nachdem wir ihn verlassen hatten. Was war geschehen?

      Meine Freunde Mahmoud und Jamal waren in einer Wohnung im Lager in Schatila. Als beide von dem Massaker hörten, gingen sie auf die Straße und versuchten den Bewohnern zu helfen. Als eine Frau und ihre Tochter über die Straße gehen wollten, die den südlichen mit dem nördlichem Teil des Lagers verbindet, schoss ein Scharfschütze und verletzte die Tochter. Die Tochter lag blutend auf der Straße und die Mutter schrie nach Hilfe. Für eine Weile herrschte Ruhe. Da robbte Jamal vorsichtig zu dem Mädchen und schleppte es von der Straße. Während er das Mädchen trug, schoss der Scharfschütze und traf ihn. Mahmoud und die Mutter brachten Jamal und das Mädchen in das Krankenhaus. Jamal starb. Das Mädchen konnte gerettet werden.

      Wir konnten Jamal am selben Tag begraben. Danach verließen mein Freund Fauaz und ich das Lager. Wir nutzten jede Sekunde. Wenn keine Panzer oder Militärfahrzeuge zu sehen waren, rannten wir. Wenn wir irgendein Fahrzeug sahen, versteckten wir uns. Wir bewegten uns auf Umwegen nur auf Seitenstraßen, vermieden die Hauptstraßen, es sei denn, wir hatten keine andere Wahl. Endlich, nach etwa drei Stunden, waren wir am Ziel. Normalerweise hätten wir nicht mehr eine halbe Stunde für den Weg gebraucht.

      Für uns war klar: die Israelis würden bestimmt die gesamte Stadt besetzen. Alle regulären libanesischen Streitkräfte in West-Beirut hatten ihre Waffen auf die Straße geworfen. Ihre Fahrzeuge standen auf den Straßen herum - mit Waffen, aber ohne Besatzung.

      An unserem Ziel, einer Wohnung in Beirut, warteten bereits Freunde auf uns. Es waren Palästinenser und Libanesen, die außerhalb des Lagers wohnten. Wir berichteten ihnen, was wir in den letzten Tagen erlebt hatten. Wir baten sie, die Außenwelt über unsere Lage zu informieren. Lange konnten wir nicht bei ihnen bleiben.

      Auf dem Rückweg nach Sabra und Schatila war alles noch ruhiger als vorher. Gegen 17 Uhr erreichten wir Sabra. Am Eingang des Lagers trafen wir Freunde, die uns als verrückt bezeichnet hatten, weil wir das Lager verlassen hatten. Plötzlich sahen wir, wie ganz viele Menschen in unsere Richtung rannten und schrieen: Massaker, Massaker! Haddad und die Israelis bringen alle um! (Haddad war der Chef der von Israel gegründeten südlibanesischen Armee.)

      Ich rannte dann in die Gegenrichtung. Ich dachte nur an meine Mutter und meine Brüder. Ich hörte nicht mehr, was die Menschen sagten, ich hatte nur meine Mutter und meine Brüder vor Augen, bis ich sie gefunden hatte. Ich habe sie in die Wohnung meines Freundes Riad gebracht. Die Wohnung war etwa 100 Meter vom Lagereingang entfernt.

      Die Nacht haben wir dann auf der Straße verbracht. Wir waren im nördlichen Teil und warteten auf den Tod. Wir beobachten die lange Strasse von Sabra und warteten. Die Nacht war sehr lang und dunkel, als ob sie kein Ende hätte. Aber immer wieder beleuchteten israelische Flugzeuge die Gegend.

      .

      Am Sonnabend, dem 18. September, versuchten wir vormittags, in den südlichen Teil des Lagers zu gelangen. Wir kamen bis zum Gaza-Krankenhaus. Unterwegs trafen wir niemanden. Wir sind nicht in das Krankenhaus gegangen. Wir wussten schon vorher, dass Israelis darin gewesen waren. Es konnte sein, dass sie noch dort waren. Wir gingen weiter in das Lager hinein und fanden die ersten Leichen. Es wurden immer mehr und mehr. Plötzlich schrie uns eine Gruppe von bewaffneten Männern an. Es waren Libanesen. Wir brauchten nicht lange zu überlegen - wir rannten so schnell wir konnten zurück.

      Gegen 11 Uhr kam ein weißes Auto, ein Europäer stieg aus und erklärte uns, dass er Diplomat sei. Wir haben ihm berichtet, was wir alles gesehen und gehört hatten. Wir baten ihn, mit uns zu kommen, gingen mit ihm ins Lager und zeigten ihm einiges von dem, was wir vorher gesehen hatten. Das reichte ihm, um das Lager zu verlassen.

      Ein paar Stunden später kamen viele Journalisten. Langsam konnten wir wieder zu Bewusstsein kommen. Wir alle gingen mit den Journalisten hinunter ins Lager und zeigten ihnen alles, was wir finden konnten. Wir zeigten ihnen die Leichen, die von den Mördern zu Bomben gemacht worden waren, indem man unter ihnen Sprengladungen angebracht hatte. Leichen über Leichen waren zu sehen - links, rechts, überall. Manche Opfer waren mit einem Axthieb auf den Kopf umgebracht worden. Den Opfern waren Beine, Hände und andere Körperteile abgeschnitten worden. Viele Menschen waren unter Trümmern oder in Massengräbern lebendig begraben worden. Die Mörder hatten Frauen, bevor sie sie erschossen, mehrere Male vergewaltigt. (Souad, die Scharon in Belgien angeklagt hat, hat davon berichtet).

      Die Bewohner von Sabra und Schatila suchten nach Verwandten und Bekannten. Der Leichengeruch machte das Atmen schwer. Eine Frau suchte ihren Sohn, der nie wieder zurückkam. Eine andere suchte ihre schwangere Schwester, aber die war schon ermordet worden. Eine andere, die ihre ganze Familie verloren hatte, begann zu singen.

      Diese Bilder bestimmen meine Gedanken und stellen viele Fragen. Warum wurden diese Menschen umgebracht, obwohl sie unbewaffnet waren? Sie glaubten an die Garantieversprechen der internationalen Gemeinschaft gegenüber Arafat, nach dem Abzug der PLO-Kämpfer die Sicherheit der Bewohner der palästinensischen Flüchtlingslager in Beirut zu gewährleisten.

      Warum nur sollen wir, die Palästinenser, diejenigen sein, die immer leiden müssen - und die gesamte Welt schaut zu und schreit erst nach jedem Massaker auf? Auf diese Fragen haben auch die Älteren keine Antwort gefunden. Die älteren Bewohner des Lagers hatten bereits mehrere andere Massaker erlebt - vor und nach der Gründung des Staates Israel -, wie Deir Yassin oder Kafr Kassem. 1948 waren sie als Flüchtlinge nach Sabra und Schatila gekommen. Auf diese Fragen haben auch die Bewohner des Flüchtlingslagers in Jenin bis heute keine Antwort gefunden.

      Die Mörder von Sabra und Schatila sind immer noch frei, der Hauptverantwortliche für die Morde lässt immer noch morden, und die Palästinenser warten seit 20 Jahren immer noch auf ein gerechtes Urteil gegen die Täter von Sabra und Schatila.

      Philosophischer Salon e.V., Berlin
      17.09.2002
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 23:33:57
      Beitrag Nr. 21 ()
      and up....

      die sendung fängt eben an.
      Avatar
      schrieb am 17.09.02 23:42:08
      Beitrag Nr. 22 ()
      #19 und #20 haben nicht in ein Posting gepaßt ... :eek:

      Ist mir ja noch nie passiert, wo ich doch schon so wortkarg bin ... :confused:

      Kann mal bitte einer die Zeichen in #19 zählen, damit man
      weiß, wann man seine Rede nächstens besser beenden sollte ...? :eek:
      Avatar
      schrieb am 18.09.02 12:25:30
      Beitrag Nr. 23 ()
      @Guerilla Investor - #22


      Absätze: 163
      Zeilen: 934
      Wörter: 8849
      Zeichen: 53994
      Zeichen(mit Leerzeichen) 62696

      ........ohne Gewähr(sind "ca." Angaben, also Statistik) und falls Du`s kontrollieren solltest..........laß mich das Ergebnis wissen.:laugh:;)

      Gruß an alle
      WW

      PS. Satz2;)
      Avatar
      schrieb am 19.09.02 19:46:02
      Beitrag Nr. 24 ()
      Sieg ohne Freude

      Peter Nowak 19.09.2002
      Schweizer Justiz erhebt keine Anklage gegen Indymedia Schweiz wegen Antisemitismus

      Es war ein Erfolg für Indymedia Schweiz. Die Schweizer Justiz stellte ein Klage gegen das unabhängige, linke Internetmedium ein. Doch wirkliche Freude wollte nicht aufkommen. Schließlich waren zwei Indymedia-Verantwortliche vom Sprecher der antifaschistischen Schweizer Initiative Aktion Kinder des Holocaust wegen Verletzung des Schweizer Antirassismusgesetzes angezeigt worden....

      Die antifaschistische Initiative wollte so erstmals mit den Mitteln des Strafgesetzes gegen Texte und Stellungnahmen zum Nahostkonflikt vorgehen, die ihrer Meinung nach die Grenze zum Antisemitismus und zur Relativierung der Shoah überschritten hatten.

      Die Züricher Bezirksanwaltschaft sah in den die israelische Besatzungspolitik kritisierenden Indymedia-Beiträgen allerdings keine Verunglimpfung der jüdischen Bevölkerung. In den auf Indymedia-Schweiz veröffentlichten Karikaturen, die die israelische Besatzungspolitik gegenüber den Palästinensern mit der NS-Politik verglichen, konnte die Justiz keine Leugnung oder Verharmlosung des Holocaust sehen.

      Die Klägerseite kritisierte, dass in der Einstellungsverfügung nun selbst wiederum antisemitische Begründungsmuster verwendet würden. So wird der in der Einstellungsverfügung verwendete Terminus vom "jüdischen Volk", das offenbar "ein politisches" Verhalten gegenüber Palästinensern zeigt, als antisemitisches Stereotyp klassifiziert. Diese Sichtweise der AkdH wird auch von einem Teil der linken Presse unterstützt. Verhaltene Töne dagegen bei Indymedia-Schweiz: Verfahren eingestellt, Scherbenhaufen bleibt heißt es dort.

      Der Grund für die gedrückte Stimmung liegt auch in der Debattierunlust, die sich trotz des Schocks, den eine Anzeige ausgerechnet wegen Verletzung des Antirassismusgesetzes ausgelöst hat, nicht geändert hat. So heißt es in der Indymedia-Erklärung: "Elementare gemeinsame Diskussionen, wie die über kollektive Entscheidungsfindungsprozesse, das Konzept im Generellen, die Kommunikationsform untereinander ... und eine differenzierte Haltung zu Zensurmassnahmen und Machtmissbrauch wurden nicht geführt."

      Viel zu schnell hat man sich auf die "bösen Antideutschen eingeschossen, die angeblich ein emanzipatorisches Projekt in den Ruin treiben. Doch allen Beteiligten ist klar, dass auch nach der Verfahrenseinstellung die politische Debatte weitergehen wird. Auch deswegen, weil mittlerweile gegen einige Beiträge von Indymedia Österreich ähnliche Vorwürfe erhoben werden.
      heise.de

      na, also. kritik an der politik sharons ist antisemitismus, meinen proisraelische antifaschisten. der völkermord der nazis werde durch kritik an dem des israelischen staates relativiert. in zürich jedenfalls ist vorerst die frage beantwortet, ob man gleichgezogen haben muss, bis man das kind beim namen nennen darf.
      Avatar
      schrieb am 02.10.02 00:11:56
      Beitrag Nr. 25 ()
      Dann wollen wir mal ein wenig weiter ausholen ... :eek:



      Die van Harten-Affäre

      Ein jüdischer Naziagent in Meran als Bindeglied zwischen der SS und dem Mossad

      Das Schloss Labers bei Meran sowie die Stadt selber waren am Ende des Zweiten Weltkriegs Schauplatz geheimdienstlicher und anderer obskurer Tätigkeiten von internationaler Tragweite. Besondere Brisanz kommt dabei der Zusammenarbeit zwischen der SS und der Vorläuferorganisation des israelischen Geheimdienstes Mossad zu. Die Geschichte gehörte nicht zufällig jahrelang zu den wohl gehüteten Geheimnissen Israels. Mehrere Historiker, die genügend Anhaltspunkte besaßen, um den Zündstoff erkennen zu können, begnügten sich jedoch mit sehr knappen und verschlüsselten Hinweisen auf diesen Skandal.

      Zentrale Figur der Affäre ist ein jüdischer Naziagent namens Jaques-Jules Yaacov Levy, alias Jaac van Harten, der nach dem Zweiten Weltkrieg ausgerechnet in Tel-Aviv einen sicheren Unterschlupf fand und 1947 den Schutz von niemand geringerem, als der späteren Premierministerin Golda Meir (Meyrson) genoss. Der ehemalige Mossad-Agent, Schalhewet Freier, der in Israel am meisten über van Hartens Nazi-Vergangenheit wusste, war selber erstaunt, "dass sein Name während des Eichmann - bzw. Kastner -Prozesses nicht auftauchte." Denn van Harten war offensichtlich von zentraler Bedeutung für die antijüdischen für die antijüdischen Maßnahmen in Ungarn.

      Sein Name figurierte hingegen in einem streng geheimen Bericht des US-Beamten Vincent La Vista und weckte die Neugier mehrerer Forscher ausserhalb Israels. In der folgenden Passage aus diesem Report wird auch auf die Verbindung einer SS-Einheit zum Mossad hingewiesen:

      "Auf der Brennerpassroute von Österreich herkommend ist die erste Station an der Untergrundlinie [des jüdischen Fluchtwegs] in Italien ein Schloss in Meran, dessen Direktoren deutsch sprechen. Es heisst offenbar "SCHLOSS RAMETZ" und gehört CRASTAN, ALBERT, einem Juden, der sich als Schweizer Konsul und Mitglied des Internationalen Roten Kreuz Komitees [IKRK] ausgibt. Während des Krieges war er Agent einer SS-task-force, "SCHLOSS LABERS" oder auch "WENDIG-GRUPPE" genannt, welche Oberst Friedrich SCHWENDT unterstand, der nur gegenüber KALTENBRUNNER und HIMMLER Verantwortung zu tragen hatte.[...] Ein gewisser VAN HARTEN, JAAC, im Moment in der Hayarkon-Straße 184 in Tel-Aviv/Palästina wohnhaft, verlangt von der Amerikanischen Regierung fünf Million[en] Dollar, welche Beute der SS-Gruppe war, die im SCHLOSS RAMETZ und SCHLOSS LABERS - dem Hauptquartier SCHWENDTS - und anderen Gebäuden in Meran lagerte. Bestandteil dieser Beute ist eine große Anzahl gefälschter britischer Pfundnoten. [...] Die genaueren Beziehungen zwischen dem Rest von "SCHLOSS LABERS" und dem jüdischen Untergrund [Mossad] sind im Moment nicht bekannt, aber eine Verbindung scheint zu bestehen."

      Unternehmen Bernhard

      Ohne es zu merken und trotz mehrerer Ungenauigkeiten, stießen La Vista und seine Agenten in Meran auf das Hauptquartier des weltweiten Vertriebs der von der SS gefälschten britischen Pfundnoten. Die Blüten wurden im Rahmen des "Unternehmens Bernhard" im KZ Sachsenhausen hergestellt und sollten ursprünglich als "Wunderwaffe" über Großbritannien aus der Luft abgeworfen werden, um die dortige Wirtschaft zu ruinieren. Da die deutsche Luftwaffe sich mitzumachen weigerte, verfolgte man für die Falsifikate andere Verwendungszwecke: Nun wurden damit die für das Dritte Reich notwendigen Devisen, Rohstoffe und Waren beschafft und geheime Operationen wie die Befreiung Benito Mussolinis oder die Verhandlungen mit feindlichen Geheimdiensten finanziert. Mit diesem letzten Schritt wollten sich SS-ler eine Art Lebensversicherung für die Nachkriegszeit verschaffen. Die Blüten schmierten die Zusammenarbeit der vermeintlichen Todfeinde.
      Die SS lancierte 1939 das "Unternehmen Bernhard", welches zuerst "Andreas" hieß. Das Vorhaben gestaltete sich viel aufwändiger als erwartet und erst 1942 konnten die Falsifikate eingesetzt werden. Die Produktionswerkstatt wurde bald von Berlin ins nahegelegene KZ Sachsenhausen verlegt. Dort wurden von jüdischen Häftlingen unter strenger Geheimhaltung Falsifikate in einem geschätzten Gesamtwert von 134,6 Millionen Pfund Sterling hergestellt. Dies war für die damalige Zeit eine unglaubliche Summe. Der Gesamtprofit des "Unternehmens Bernhard" für das Dritte Reich soll ungefähr 50 Mio. Pfund betragen haben.

      1942 wurde ein großer Apparat aufgebaut, um das Falschgeld zu waschen. Als Chef dieser Operation wurde der gerissene schwäbische Geschäftsmann Friedrich Schwend ernannt. Der Abenteurer Schwend war wegen seiner internationalen Beziehungen die ideale Besetzung. Er konnte eine kuriose Mischung von Gaunern und respektablen Personen wie Bankiers, Politiker und katholische Priester als Blüten-Verkäufer rekrutieren. Dazu zählten auch mehrere Juden wie Jaac van Harten. Laut dem deutschen Journalisten Wolfgang Löhde handelten auch deutsche Adlige aus Kreisen der "20.-Juli-Verschwörer" mit den "Bernhard"-Pfundnoten. Schwends Agenten erstanden mit den Blüten in ganz Europa Waren aller Art, darunter Schwarzmarktgüter und Waffen, die dann wieder verkauft wurden, und zwar diesmal gegen echte Devisen.
      Da er im adriatischen Kurort Abbazzia wohnte, mobilisierte er dort vier vertraute Chefagenten: die Gebrüder Rudolf und Oskar Blaschke und die Schweizer Alfred und Franz Manser. Er gründete in Triest die Firma "Saxonia", die allein in Italien 60 Agenten besaß.

      Zum Sitz der Zentrale erkor Schwend 1943 das Schloss Labers. Viele seiner Topagenten wohnten im Sanatorium Stephanie oder Hotel Palace in benachbarten Meran. Der verantwortliche SS-Nachrichtenoffizier, Wilhelm Höttl, stellte eine Wachmannschaft zur Verfügung und kreierte dafür eine spezielle Dienststelle mit dem Namen "Sonderstab-Generalkommando III. Germanisches Dienstkorps". Schwend wurde als Einkäufer des Korps deklariert, erhielt den Grad eines SS-Majors und den Decknamen Dr. Fritz Wendig. Auf diesen Namen besaß er eine ganze Palette echter Personaldokumente diverser Nationen. Zu dieser Sammlung gehörten auch Ausweise der Partisanen, mit denen er ebenfalls handelte. Jaac van Harten, der sich als IKRK-Delegierter ausgab, versuchte der "Gruppe Wendig" bei Kriegsende Schutz zu gewähren. Er verteilte den Agenten gefälschte IKRK-Mitarbeiter-Ausweise, versah ihre Autos mit der Flagge dieser Organisation und sicherte Warenlager voller Beutegut mit IKRK-Plaketten. Durch die Beziehung van Hartens mit jüdischen Agenten sollte er der SS-Task-Force zusätzliche Sicherheit verschaffen. Der wendige Schwend fand nach dem Krieg eine Anstellung beim US Geheimdienst CIC. Zuvor versteckte er in der ganzen Region Beutegut wie Gold und andere wertvolle Gegenstände, was selbstverständlich zur Bildung von Mythen beitrug.
      1946 setzte er sich mit einem IKRK-Reisepapier nach Peru ab, wo er später zusammen mit bekannten Naziverbrechern wie Klaus Barbie, Josef Mengele und angeblich auch Martin Bormann zusammenarbeitete. Gewisse Forscher bezeichneten ihn als designierten Finanzminister des geplanten Vierten Reichs.

      Zionistische Kollaboration mit den Nazis

      Es ist sehr schwierig, einen sachlichen Umgang mit dem Phänomen der jüdischen Kollaboration mit den Nazis zu pflegen. Einerseits wird das Thema gierig und verschwörerisch aufgenommen, um damit den Beweis zu erbringen, dass "die Juden an ihrem Schicksal selber schuld" seien. Andererseits wird aus der gleichen Überlegung von vordergründig pro-jüdischen Kreisen das Vorhandensein dieser verwerflichen Zusammenarbeit verharmlost oder negiert. Die Kollaborationsleugner teilen eigentlich die gleiche einfältige Schlussfolgerung aus diesem Tatbestand und befürchten deshalb eine Stärkung der offenen Judenhasser. Diejenigen, die dieses Tabu aufrechterhalten, übersehen aber, dass die Kollaboration ein klarer Ausdruck von Unterdrückung ist. Denn Kollaboration ist die Bezeichnung für bestimmte Verhältnisse zwischen Unterdrückten und ihren Peinigern. Repressionen sind die logische Voraussetzung für die Kollaboration, und die Kollaborateure sind nicht verantwortlich für die Entstehung der Unterdrückung, obwohl sie bestimmt zu ihrer Aufrechterhaltung beitragen. Die Mitverantwortung von Quislingen für allfällige Verbrechen entlastet jedoch keinesfalls die Haupttäter!
      Die Vergangenheitsaufarbeitung ist noch tabuisierter, wenn es sich nicht um Kollaboration von Privaten handelt, sondern um die Zusammenarbeit von jüdischen Organisationen mit den Nazis. Die Tendenz, solch abscheuliche Erscheinungen auf das gesamte Judentum zu projizieren - als ob die Führungen solcher Organisationen die Interessen aller Juden wirklich vertreten hätten - vertraten - ist unübersehbar. Anderseits versuchen die betreffenden Organisationen diese Kritik zu unterdrücken und die Aufarbeitung dieser problematischen Vergangenheit zu verhindern. Diese Zensur ist bislang weitgehend wirksam gewesen. Nur: Gerade diese übermäßig erfolgreiche Tabuisierungspolitik liefert Nährstoff für die wildesten Spekulationen und Verschwörungstheorien.

      Bei der internen jüdischen Diskussion zu diesem Themenbereich zeigen sich zwei Hauptströmungen: Auf der einen Seite stehen die mächtigen Verteidiger der Main-Stream-Organisationen, wie der World Jewish Congress (WJC) und die Jewish Agency (JA). Auf der Gegenseite gibt es eine außergewöhnliche Koalition von antizionistischen ultraorthodoxen und säkularen Juden sowie rechtsradikalen Zionisten, welche die JA-Führung - die vorstaatliche israelische Regierung - der Kollaboration mit den Nazis bezichtigt. Die Vorwürfe stellen eigentlich eine Grundsatzkritik am Nationalismus dar. Denn anhand dieses Beispiels zeigt es sich, dass die sogenannte nationale Befreiung gar nicht im Interesse des `Volkes` ist, sondern lediglich einer bestimmten Gruppe Vorteile bringt. Die Errichtung eines Judenstaates - wie in diesem Fall - erhielt absoluten Vorrang vor den Rettungsversuchen des bedrohten europäischen Judentums. Solche wurden mehrheitlich nur dann unternommen, wenn sie den nationalen Zielen nützlich waren. War dies nicht der Fall, so scheute sich die JA-Führung nicht vor der Sabotage der Rettungsversuche und auch nicht vor der Zusammenarbeit mit den Nazis.

      Das Image Israels als Zufluchtsort für verfolgte Juden entpuppt sich als absoluter Mythos, und mehrere Beweise legen die Schlussfolgerung nahe: Hätte es den Zionismus nicht gegeben, so wären die Rettungschancen für sehr viele Juden während der NS-Zeit bedeutend größer gewesen.
      So berichtete der rechtsstehende (!) israelische Forscher S.B. Beit-Tzvi, es sei dem JA-Direktorium ab 1938, infolge der zunehmenden britischen Einwanderungsbechränkung, klar gewesen, dass Palästina als Zufluchtsort für die meisten der gefährdeten Juden gar nicht in Frage komme. Alternative Auswanderungsorte seien jedoch als Bedrohung für das zionistische Vorhaben betrachtet worden. Sie hätten zu einem Abfluss von Geldern geführt und die politisch-moralische Rechtfertigung für einen Judenstaat in Palästina drastisch geschwächt. Deshalb sei es Aufgabe der zionistischen Delegation, unter Beteiligung von Golda Meir, gewesen, die Rettungsansätze an der Evian-Flüchtlingskonferenz von 1938 zu verhindern. Gestützt auf Dokumente stellt Beit-Tzvi - gegen die gängige Meinung - die Theorie in den Raum, es wäre damals ohne diese Sabotage möglich gewesen, eigentlich für alle bedrohte Juden Unterschlupf zu finden.

      Der Kollaborationsvorwurf bezieht sich beispielsweise auf das sogenannte Transfer-Abkommen der 30er Jahre, welches deutschen Juden, die nach Palästina auswanderten, die Mitnahme eines gewissen Teils ihres Vermögens in Form deutscher Waren ermöglichte. Im Rahmen dieses Transferdeals konnten die jüdischen Flüchtlinge aber nur einen Bruchteil ihrer Besitztümer retten. Sie wurden nicht nur von den Nazis beraubt, sondern auch noch von der Jewish Agency ausgenommen, die für die Abwicklung der Transaktionen fette Kommissionen einkassierte. Das zionistische Interesse an dieser Abmachung galt primär der bitter nötigen Finanzspritze für den Aufbau des nationalen Projekts in Palästina. Durch dieses Geschäft mit den Nazis sprengte die JA-Führung die effektiven Boykottbemühungen gegenüber Deutschland und wurde zur Hauptimporteurin von Naziprodukten für den ganzen Nahen Osten. Die Verhandlungen, die zum Transfer-Abkommen führten, können auch als Geburtsstunde der sogenannten `Holocaust Industrie` betrachtet werden. Damals wurden die Prinzipien und Überlegungen entwickelt, welche die spätere jüdische Reparations- und Restitutionskampagne prägen sollten. Diese Entwicklung erfolgte nicht zuletzt wegen der Teilnahme einiger Hauptakteure des Transfergeschäfts an den späteren Entschädigungsverfahren.

      In den späten 30er Jahren entstand eine enge Zusammenarbeit jüdischer Funktionäre mit dem SS-Vertreter Adolf Eichmann, der 1938 Palästina bereist hatte und sich vom zionistischen Projekt begeistern ließ. In seiner Auswanderungszentrale in Wien gingen 1938 die zionistischen Delegierten ein und aus, genossen ein Vertrauensverhältnis und waren bei der Deportation und Vertreibung der österreichischen Juden behilflich. Denn es gab überraschenderweise eine Deckungsgleichheit zwischen den NS-Zielen und dem zionistischen Bestreben - wenn natürlich auch aus ganz anderen Motiven. Beide, die SS wie die JA-Funktionäre, wollten die Juden außerhalb des Dritten Reichs haben und konnten sich zu dieser Zeit auf Palästina als Destination einigen. Die beschränkte Aufnahmekapazität Palästinas, bedingt durch die arabischen Proteste, die britischen Einwanderungseinschränkungen, die Schwäche der ökonomischen und sozialen Infrastruktur wirkten hemmend auf diese Zusammenarbeit. Trotzdem konnten während der ganzen Kriegszeit zionistische Delegierte mit der Erlaubnis der Behörden in Deutschland operieren.

      1944 strebte die SS-Führung wieder die Zusammenarbeit mit der Jewish Agency in größerem Stil an. Der SS-Chef Heinrich Himmler wusste, dass sich für Deutschland eine Niederlage anbahnte und versuchte deshalb zu retten, was noch zu retten war. Er bot der JA einen Deal an: Sie, als Teil des angeblichen herrschenden `Weltjudentums` sollten ihm die Sonderfriedensverhandlungen mit den westlichen Alliierten vorantreiben helfen und dafür könne die JA, eine Million ungarische Juden freikaufen. Ginge diese auf das Angebot nicht ein, so würden die Juden nach Auschwitz deportiert. Himmlers Judenexperte, Adolf Eichmann, nahm dann im April 1944 Kontakt mit einem zionistischen Rettungskomitee in Ungarn auf und präsentierte ihnen das erpresserische Angebot Himmlers. Der Komiteechef, Joël Brand, flog darauf in die Türkei, um die Botschaft der JA-Führung mitzuteilen. Brand wurde jedoch an die Briten ausgeliefert, die ihn verhafteten und seine Rückkehr nach Ungarn verhinderten. Damit wurde der Versuch gemacht, diese Rettungsmöglichkeit zu sabotieren. Die britische Regierung befürchtete nämlich, dass sie eine solche jüdische Massenauswanderung unter Druck setzen würde, ihre Immigrationspolitik in Palästina zu ändern, so dass eine sehr große Anzahl Juden hätte zugelassen werden müssen.

      Dem JA-Direktorium war die britische Haltung bekannt und es sah keine große Chance, diese zu verändern. Wie schon 1938 bei der Evian-Konferenz war diese Führung auch 1944 - als die Judenvernichtung schon im Gange war - gegen einen alternativen Zufluchtsort für bedrohte Juden. Beide, die britische Regierung und die JA-Leitung, wussten auch, dass die Russen solchen Verhandlungen sehr misstrauisch gegenüber standen, denn diese befürchteten die Bildung einer neuen Allianz von Nazis und westlichen Alliierten gegen sie. Abgesehen davon war die Judenvernichtung absolut im militärischen Interesse der UdSSR. Denn die Züge, die täglich 10 bis 12,000 Juden von Ungarn nach Auschwitz transportierten, belasteten das schon überforderte deutsche Bahnsystem. Roosevelts Administration und vor allem das Außenministerium waren ebenfalls gegen solche Verhandlungen, die den Krieg auch hätten verkürzen können. Denn die USA war im Stande - dank des Zweiten Weltkrieges - die Wirtschaftskrise der 30er Jahre zu überwinden. Eine vorzeitige Rückkehr der vielen GIs hätte den erholten US-Arbeitsmarkt wieder destabilisieren können. Die wichtigste US-amerikanische Überlegung gegen diese reelle Chance, den Weltkrieg zu beenden, wurde von Henry Ford schon 1941 formuliert: Die USA sollten Großbritannien und Deutschland aufeinander hetzen, bis beide zusammenbrächen. Deshalb wurden solche große Freikauf-Aktionen wie in Ungarn vom US-Außenministerium sabotiert, und zwar mit der zynischen Ausrede, dass solche quasi einen Verstoß gegen die Bestimmungen darstellten, welche den Handel mit dem Feind verböten. Dass zur gleichen Zeit dieselben US-Beamten Großunternehmen wie Standard Oil bei ihren Öl-Lieferungen nach NS-Deutschland unterstützten, stieß offensichtlich nicht gegen diese Bestimmungen.

      In Ungarn begann Eichmann inzwischen, Juden nach Auschwitz zu deportieren. Gemäß Zeugenaussagen soll er vom zionistischen Rettungskomitee unterstützt worden sein, welches nach der Abreise Brands von Rudolf Kastner geleitet wurde. Zeugen beschrieben im israelischen Gericht, wie Kastner für eine reibungslose Deportation nach Auschwitz sorgte. Dies sollte nach dem Muster der Judenräte geschehen, welche allfälligen Widerstand der Deportierten neutralisierten und sie zu einem ruhigen und ordentlichen Einstieg in die Todeszüge bewegten. Ein Augenzeuge, der Auschwitz überlebt hatte, erzählte, wie Abgesandte Kastners ins etwa drei Kilometer von der rumänischen Grenze gelegene Cluj (Klausenburg) gekommen seien, um bei den 20.000 jüdischen Einwohnern mit Postkarten von nach Auschwitz deportierten Juden, die von paradiesischen Zuständen berichteten, Propaganda zu machen. Sie empfahlen den dortigen Juden, die sich damals ohne weiteres über die Grenze in Sicherheit hätten retten können, so schnell wie möglich die wartenden Züge zu besteigen - wer zuerst komme, mahle zuerst, soll es geheißen haben. Kastners Kritiker begründen seine Zusammenarbeit mit Eichmann mit einer Palette von Argumenten, die sich von Korruption bis hin zur Absicht bewegen, auch die ungarischen Juden zu opfern, um die politischen Ansprüche auf einen unabhängigen Staat zu stärken. Kastners seinerseits behauptete, dass er lediglich die Verhandlungen mit den Nazis weitergeführt und dabei sein eigenes Leben riskiert habe, um Juden zu retten. Er, als relativ unbekannter Funktionär, sei sowieso nicht im Stande gewesen, großen Einfluss auf die Juden auszuüben, um damit die Deportationen direkt zu beeinflussen. Die verschiedenen Versionen sind bis heute unklar. Es ist durchaus möglich, dass Kastner - aus dem Glauben, eine große Anzahl Juden retten zu können - bereit gewesen oder gezwungen worden sein könnte, einen Teil von ihnen zu opfern. Dass die Rechnung nicht aufging, kann man ihm nicht vorwerfen, denn es scheint, dass er alles unternommen hatte, damit die Rettungsverhandlungen erfolgreich abgeschlossen würden. Für das Scheitern der Gespräche sind die Alliierten und jüdische Organisationen wie die JA oder das US-amerikanische Hilfswerk "Joint" verantwortlich, denn sie ließen Kastner und die ungarischen Juden im Stich und sabotierten die reellen Rettungschancen.

      Immerhin konnte Kastner und sein Komitee 1684 Juden freikaufen. Mangels Unterstützung von Außen bezahlten die ungarischen Juden das Lösegeld selber. Bezahlt wurde mit Wertgegenständen und Fremdwährung an Kurt Becher, Himmlers Delegierten für den Raub in Ungarn, der Eichmann bei den Verhandlungen ablöste. Einiges deutet darauf hin, dass diese Wertobjekte von Bechers Kunst- und Juwelenexperten geschätzt wurden. Dieser Spezialist soll Jaac van Harten gewesen sein! Um sich jetzt selber freizukaufen, übergab Becher bei Kriegsende das Lösegeld, welches dann den Namen "Becherschatz" bekam, der Jewish Agency. Dies reichte aber nicht ganz, um Becher zu retten, der ein wichtiger Bestandteil der Nazi-Vernichtungsmaschinerie war. "Eichmann mordete und Becher kassierte", schrieb der Schweizer Journalist Kurt Emmenegger in seiner ausgezeichneten Serie über diesen Raubexperten. Erst die Zeugenaussage Kastners 1948 in Nürnberg sorgte für die Entnazifizierung Bechers sowie anderer NS-Verbrecher. Becher befahl im Gegenzug seinem Schweizer Vertrauensmann noch mehr Gelder an die Jewish Agency in Genf zu überweisen. Damit manifestiert sich eine Linie der damaligen israelischen Führung: Die Verfolgung von Naziverbrechern diente offensichtlich mehrheitlich propagandistischen Zwecken. Konnten die Kriegsverbrecher genug bezahlen, so war es ihnen möglich, sich die Absolution zu erkaufen.

      Jaac van Harten

      Über Jaac van Harten schreibt der SD-Geheimdienstoffizier Wilhelm Höttl:
      "Erfolgreichster Chefverkäufer - nach den Abrechnungen Schwends - war der holländisch-deutsche Jude Louis van Harten..."

      Wer war dieser Jaac van Harten?

      Am 11. Juli 1940 verhörte die Schweizer Polizei in Lausanne ein jüdisches Paar aus Deutschland, das in der Villa La Roseraie in Territet bei Montreux wohnte. Der Mann und die Frau besaßen gefälschte holländische Pässe, die auf den Namen van Harten ausgestellt waren. Sie waren - gemäß einem Denunziationsbrief - deutsche Agenten. Der echte Jaac van Harten sei ein holländischer Chauffeur, dessen Identität `geliehen` worden sei. Im Verhör gab "Jaac van Harten" sofort zu, dass er eigentlich Jacques-Jules Levy heisse und bestritt vehement, ein Spion zu sein. Er erzählte, er sei 1901 in Gleiwitz/Schlesien geboren und in Breslau aufgewachsen, wo er die elterliche Bijouterie übernommen habe. 1935 sei er nach Berlin übersiedelt. Dort habe er seine Lebenspartnerin, die schöne Bildhauerin Viola Boehm, Tochter der bekannten jüdischen Großunternehmer-Familie Schocken, kennengelernt. 1938, so Levy, soll die Gestapo ihn zum Verlassen Deutschlands aufgefordert haben. Da er als Jude seine Staatsangehörigkeit verloren habe, habe er den besagten holländischen Pass von der Gestapo gekauft. Am 3. September 1938 sei er mit Viola Boehm und deren zehnjährigen Sohn Michael in die Schweiz eingereist. Die Familie behielt von nun an den Namen van Harten.
      Im zweiten Verhör verstrickte sich van Harten in gravierende Widersprüche. Er behauptete auf einmal, die holländischen Pässe würden nicht von der Gestapo stammen. Nachdem ihm der Pass abgenommen worden sei, habe er sich in Verbindung mit einem befreundeten holländischen Bijoutier namens Kurt Stavenhagen gesetzt und ihn um Hilfe gebeten. Stavenhagen habe ihm dann kurz darauf die Pässe geschickt.
      Weshalb van Harten zwei Versionen zum besten gab, ist nicht ersichtlich: Warum sollte die Schweizer Polizei die Gestapo als Passfälscherin eher akzeptieren, als einen holländischen Bijoutier? Oder merkte van Harten selber, dass die erste Fassung ihn zu stark in die Nähe der Gestapo rückte? Abgesehen davon wurde den Juden in Deutschland zu dieser Zeit das Bürgerrecht noch nicht entzogen. Er wies bei der Polizei ein Vermögen von 30 000 Schweizer Franken aus. Auch diese Angabe ist aber nicht richtig, denn wie Stiefsohn Michael dies mit einem Bankauszug belegt, besaß sein Ziehvater damals ein viel größeres Vermögen bei der Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich. Van Harten junior erklärt vehement: "Mein Vater war so reich. Er hatte es nicht nötig, ein Naziagent zu sein." Im Herbst 1940 reiste die Familie aus und ließ sich in Budapest nieder.
      In einem Interview behauptete van Harten, er sei auf Anweisung von Dr. Chaim Pozner vom Palästina-Amt in Genf nach Budapest geschickt worden, um dort eine Spezialaufgabe zu erfüllen.

      Pozner jedoch schrieb: "Im Sommer 1940 hat er [...] ein Zertifikat zur Einwanderung in Palästina erhalten und kurz darauf die Schweiz verlassen. Im Herbst 1944 hörte ich zum ersten Mal wieder von ihm [...]".

      Michael van Harten widerlegt die Version seines Vaters ebenfalls und erzählt, dass sie unterwegs nach Palästina gewesen und nur zufällig in Budapest stecken geblieben seien. Sogar Jaac van Harten entschuldigt sich 1945 brieflich bei Pozner, dass er und seine Familie Palästina nicht erreicht hätten. In einem 1944 erstellten amerikanischen Register deutscher Spione ist auch Jaac van Harten, alias Julian Levy, aufgeführt: Bis 1940 sei er der Abwehrstelle Stuttgart unterstellt gewesen (Diese war für die Spionage in der Schweiz zuständig). Die Liste führt ihn im April 1944 als einen der wichtigsten deutschen Abwehragenten in Budapest auf. Auch Schwend bestätigte diese Information und sagte: "Van Harten war ein Agent der Wehrmacht und der SS in Ungarn."

      Van Harten in Ungarn

      Über van Hartens Tätigkeit in Budapest gibt es nur spärliche und zum Teil widersprüchliche Informationen. Selber behauptete er, im Dienst des Schwedischen Roten Kreuzes (SRK) bzw. des IKRK gestanden und dabei sehr viele Juden gerettet zu haben. Für van Hartens Version spricht ein Brief des zionistischen Rettungskoordinators, Nathan Schwalb, der während des Krieges in Genf stationiert war:

      "Herr van Harten ist mir aus den Briefen von Perez [Reves] sehr gut bekannt als ein sehr ergebener Vertreter des Schwed. RK in Bdp, und der sehr viel für die Rettung der jüd. Kinder durch Eröffnung von RK-Heimen für jüd. Kinder getan hat."

      Perez Reves selber, zentrales Mitglied des jüdischen Rettungskomitees in Budapest, behauptet hingegen: "Ich traf van Harten im Dezember 1944, und er erzählte mir, dass er der Finanzmanager des SS-Manns Kurt Becher sei." Von einer Mitarbeit van Hartens beim SRK will Reves gar nichts wissen, er meint ganz im Gegenteil, dass die Ehefrau des SRK-Chefs, Nina Langlet, van Harten völlig misstraute. Reves erhielt von van Harten 10.000 britische Pfund und 600.000 ungarische Pengös für jüdische Kinderheime. Diese Beträge sollten nach dem Krieg zurückbezahlt werden.
      Wie der berühmte Shoa-Forscher Randolph Braham herausfand, erzählte Reves Ende der 80er Jahre eine ganz andere Variante über seine Kontakte mit van Harten: Darin erwähnte er nichts über van Hartens jüdische Identität, sondern beschrieb ihn als holländischen Baron im Dienste der Nazis, der Kontakte zu einer einflussreichen jüdischen Persönlichkeit gesucht habe. Dafür verschwieg Reves in der jüngeren Version, dass er zusammen mit seinem Bruder Pufi und einem anderen Rettungsaktivist bei van Harten war, um mit zwei Zeugen das oben erwähnte Darlehen zu quittieren. Das Vermögen sei, berichtet Reves in seiner älteren Fassung, nicht für Kinderheime verwendet, sondern an den SS-Mann Kurt Becher als Lösegeld gezahlt worden sein, um das Budapester Ghetto zu schützen. Nach dem Krieg fanden die Rettungsaktivisten - zu ihrer großen Belustigung - heraus, dass diese Pfundnoten gefälscht waren. Und in der Tat fanden JA-Delegierten nach dem Krieg im "Becherschatz" auch gefälschte Pfundnoten. Reves begründet seine Verschwiegenheit über den jüdischen Naziagenten van Harten so: "Ich tat dies aus Rücksicht auf van Hartens Kinder." Diese Argumentation vermag nicht ganz zu überzeugen und könnte bestenfalls für 1974 gelten. Damals, kurz nach van Hartens Tod 1973, erschien über diesen eine verherrlichende zweiteilige Serie in der israelischen Zeitung Ha`aretz. Reves wusste aber schon ab Ende der 40er Jahre, dass van Harten in Israel wohnte. Der Naziagent fühlte sich damals so sicher, dass er das Budapester Darlehen von der JA bzw. vom Hilfswerk "Joint" zurückverlangte. Dafür brauchte er erneut eine Bestätigung und nahm deshalb Kontakt mit Pufi auf. Reves behauptet, sie hätten mit van Harten nichts zu tun haben wollen und dessen Bitte abgelehnt, weil die Pfundnoten gefälscht seien. In Anbetracht dessen, dass es in Israel ein Gesetz gibt, welches die Todesstrafe für die Nazis und ihre Kollaborateure vorsieht, mutet Reves` Rücksicht auf van Hartens Kinder seltsam an. Er wusste doch Einiges über van Hartens Rolle als Bechers Helfer und zeigte ihn trotzdem nicht an. Die Geschichte nahm ganz skurrile Dimensionen an, als van Harten 1953 ausgerechnet von Schwend, der damals in Peru lebte und zusammen mit Klaus Barbie und anderen Nazis verkehrte, eine Bestätigung für das Budapester Darlehen verlangte. Aus dem damaligen Briefverkehr geht hervor, dass van Harten auf Veranlassung Schwends die jüdische Rettungsaktion unterstützt hatte. "Kannst Du mir aus dem Gedächtnis eine Aufstellung davon geben, welche Leistungen van Hartens für dessen Bestrebungen im Rahmen des Joints von Dir finanziert wurden?" , wurde Schwend von seinem Vertrauten Georg Gyssling gefragt. Für Schwend, der sich bei Kriegsende in alle Richtungen abzusichern suchte, wäre es nicht abwegig gewesen, Kontakte zu einflussreichen Juden zu knüpfen, um sich ein Alibi als Gutmensch zu verschaffen. Dieses geschickte Manöver hätte zugleich ein raffinierter Schachzug werden können, um die Pfundblüten zu waschen. Denn nach dem Krieg sollten die betreffenden jüdischen Funktionäre nicht nur Persilscheine für Schwend und van Harten besorgen, sondern auch mit echtem Geld die Schulden begleichen.

      Van Harten behauptete, dass er, um Juden zu retten, in Budapest spezielle Werkstätten errichtet habe, in denen jüdische Fachkräfte wie Schuster, Schneider etc. für die Wehrmacht Waren hergestellt haben und dadurch vor der Deportation nach Auschwitz gerettet worden seien. Er erzählte weiter, wie er 60 Mitglieder der Manfred-Weiss-Familie in die Schweiz geschickt habe, nachdem er ihr Großunternehmen übernommen habe. Da van Hartens Aussagen mit viel Skepsis betrachtet werden müssen, ist es schwierig zu beurteilen, ob er tatsächlich in diese zwei wichtigen Aktionen verwickelt war. Was van Harten hier als Judenrettung beschrieb, wurde vom Kurt Emmenegger als zentraler Bestandteil des deutschen Raubzugs in Ungarn bezeichnet. Becher und sein Stab wandten raffinierte Methoden an, so Emmenegger, um an jüdische Vermögen zu gelangen: z.B. durch die SS-Werkstätten und die SS-Schutzjuden. In diesen Werkstätten wurden Fachleute unter Zwang eingezogen. Diese kosteten die Deutschen nichts, denn sie wurden vom Judenrat bezahlt. Im Vergleich zu den Deportierten und anderen Juden waren sie jedoch weitgehend geschützt.

      Noch lohnender war das Geschäft mit den `freiwilligen` Schutzjuden. Manchmal übergaben die Juden ihre Warenvorräte und manchmal wurden auch deren Maschinen und Arbeiter der SS zur Verfügung gestellt. Dafür erhielten sie die rettenden Schutzpässe. Wer keine Waren besaß, konnte sich das Leben mit einer großen Summe Geld erkaufen. Dies war das planmässige Vorgehen, der bestens aufeinander abgestimmten SS-Abteilungen. Ein zusätzlicher Vorteil für die Deutschen manifestierte sich nach dem Krieg. In den Entnazifizierungsverfahren beriefen sich viele SS-Männer auf diese Werkstätten, bzw. auf die Erteilung der Schutzpässe als Zeichen ihrer "menschenrettenden Großmütigkeit". Dieser Mechanismus ist mittlerweile durch den Film `Schindlers Liste` weltweit bekannt. Denn Oskar Schindlers Betrieb in Polen funktionierte genau nach dem gleichen Muster wie in Ungarn. War es reiner Zufall, dass Schindler - genau wie Becher - bei Kriegsende in seinen Mercedes einstieg, um mit einigen Schutzjuden und einem Schatz den deutschen Zusammenbruch ungeschoren zu überleben?

      Die `Rettung` der Familie Manfred Weiss war nichts anders als eine Erpressung riesiger Dimensionen. Becher, der aus unbekannter Quelle ausführliche Details über die komplizierten Verschachtelungen des größten Unternehmens in Ungarn, des Manfred-Weiss-Konzerns, besaß, war imstande, einen Plan für die komplette `Übernahme` zu entwerfen. Darauf steckte er zwei führende Köpfe der Familie in ein Arbeitslager, bis diese auf seine Forderung eingingen und den Konzern der SS übergaben. Als Gegenleistung durften 39 Familienmitglieder nach Lissabon und Zürich ausreisen. Fünf Geiseln mussten jedoch in Wien zurückbleiben, damit die Geretteten "im neutralen Ausland keine Greuelmärchen verbreiten."

      Wenn van Harten also nicht einfach prahlte und tatsächlich an diesen Aktionen teilgenommen hatte, ist er eher als Erpresser, denn als Retter zu bezeichnen. Van Harten zieht mit seiner Aussage den Verdacht auf sich, dass er es war, der Becher die notwendige Information für die bedeutendste deutsche Raubaktion - die `Übernahme` des Manfred-Weiss-Konzerns - geliefert haben soll. Schließlich musste er den Ruf als wichtiger deutscher Spionageagent in Ungarn verdient haben. Seine Schwiegertochter Aviva ist jedoch fest davon überzeugt, dass er kein Naziagent, sondern ein großer Held wie Oskar Schindler war, der auch viele Juden gerettet habe. Als Beweis dafür zeigt sie einen Dankesbrief eines Überlebenden. Reves schließt aber aus, dass van Harten, wie dieser behauptete, das Leben hunderter Juden in Budapest gerettet habe. "Dies hätte ich bestimmt gewusst," sagt der Rettungsaktivist. Eine interessante Aussage machte Alois Menick, ein gebürtiger tschechoslowakischer Textilunternehmer, der während des Krieges in Budapest wohnte:

      "Ein SS namens Becher war nämlich beauftragt, möglichst viele Waren, unbekümmert um welchen Preis, aus Ungarn herauszuholen. Zu diesem Zweck setzte er sich mit einem Holländer, Herrn van Hardten, in Verbindung. Dieser war bereit, den Deutschen zu helfen, unter der Bedingung allerdings, dass ihm zugesichert werde, dass einige Juden, mit denen er besonders in Kontakt war, unbehelligt bleiben. Auf diese Bedingungen wurde eingegangen und die Betreffenden erhielten von den Deutschen Identitätsausweise, gestützt auf welche sie dann nicht belästigt wurden. Auf diese Weise sind (natürlich nicht alle durch Vermittlung des Herrn van Hardten) Tausende solcher Identitätsausweise ausgestellt worden."

      Van Harten wird zum "Bernhard"-Agenten

      Dass van Harten schon in Budapest gefälschte Pfundnoten wusch, geht aus der Aussage Marko Beranis, eines albanischen jüdischen Agenten Schwends, hervor. Berani beschrieb, wie Anfang 1944, als er in Budapest wohnte, zwei "Bernhard"-Chefagenten, Rudi Blaschke und Hans Zentner, zu ihm kamen. Sie wollten verschiedene Waren kaufen.

      "Ich schickte sie zu einem Bekannten, VAN HARTEN, dem Direktor der Firma TRANSCONTINENTAL in BUDAPEST," deklarierte Berani, "den ich durch SELADIM DRAGA kennengelernt hatte. DRAGA reiste oft nach Budapest, weil er mit VAN HARTEN Geschäfte machte. Soweit ich weiß, ging es um Devisentransaktionen mit Napoleon d`ors, Gold usw.
      BLASKI [Blaschke] und ZENTNER kauften bei VAN HARTEN Waren und zahlten dafür 4 bis 500,000 britische Pfund.

      Nach dem BLASKI BUDAPEST verlassen hatte, blieb ZEUSINGER [Zentner] dort und trieb für eine lange Zeit Handel mit VAN HARTEN. Die gekauften Waren wurden nach Deutschland geschickt und mit britischen Pfundnoten bezahlt. Es wurden etwa 20 bis 30 Zugwaggons nach Deutschland geliefert."

      Es ist aus diesem Zitat nicht ganz ersichtlich, ob van Harten zu diesem Zeitpunkt wusste, dass die Pfundnoten gefälscht waren. Selber nennt er seine Firma "Transkontinent Import Export Gesellschaft", die sich mit Drogen, Medikamenten, Harzen und Pflanzenölen befasst habe. Van Harten behauptete, dass er im Sommer 1944 "gewaltige Warenlager in deutschen Freihäfen" besessen habe. Diese Güter soll er an die Deutschen verkauft und dafür über eine Million britische Pfund bekommen haben, die ihm in Meran ausbezahlt worden seien. Wenn diese Erklärung stimmt, deutet dies darauf hin, dass van Harten in Ungarn noch nicht wusste, dass die Pfundnoten gefälscht waren und dass er damals sozusagen ein `Opfer` des "Unternehmens Bernhard" war. Seine Verteidiger könnten argumentieren, allein die Tatsache, dass er sich nach dem Krieg so hartnäckig für die Rückgabe des Darlehens an das jüdische Rettungskomitee einsetzte, beweise, dass er keine Ahnung hatte, dass es sich um Falschgeld handelte. Van Harten bemühte sich auch unermüdlich um die Rückgabe `seines` Vermögens, welches vom US-Geheimdienst CIC beschlagnahmt worden war. Für diesen Anspruch ließ er sich sogar durch den Rechtsanwalt Robert Kempner vertreten. Kempner war niemand geringerer als der stellvertretende Chefankläger in den Nürnberger Prozessen (!).

      Kann es aber wirklich sein, dass ausgerechnet der gewiefte van Harten nicht gewusst hat, dass die Pfundnoten gefälscht waren? Es ist kaum vorstellbar. Die Aussage des Mossad-Chefs in Italien, Yehuda Arazi, zeigt, dass die van Hartens spätestens in Meran gewusst haben, dass es um Blüten ging. Denn nach dem Krieg traf er dort die völlig verzweifelte Frau van Harten, deren Mann inzwischen vom US-Geheimdienst als Nazi-Agent verhaftet worden war. Sie übergab Arazi - in der Hoffnung, dass er helfen würde - eine große Summe und sagte, dass es sich bei einem Teil dieses Geldes um ausgezeichnete gefälschte Pfundnoten handle. Aus dem Schreiben van Hartens an Schwend 1960, in welchem er - nachdem die Bemühungen Kempners nichts gefruchtet hatten - um die Hilfe des ehemaligen Chefs bei den Restitutionsansprüchen bittet, ist zu verstehen, dass es ihm bewusst war, dass es sich bei den Pfundnoten um Falschgeld handelte. Trotzdem schreckte ihn diese Tatsache nicht davor ab, seine Forderung ohne jegliche Skrupel voranzutreiben. Er schreibt:

      "Wissen Sie einen positiven Fall, wo das Reich [höchstwahrscheinlich die BRD] die Pfunde bezahlt hat? [...] Für die Pfunde wurden hochwertige Waren geliefert, und dies stellt eine ungerechtfertigte Bereicherung dar. Aber wie gesagt, es fehlt die Gesetzgebung. Und ich habe in die Sache bereits ziemlich viel Geld hineingesteckt, aber keinen Pfennig herausbekommen, und bin skeptisch. Natürlich wenn Sie die Innenverhältnisse kennen, könnte es die Sachlage grundlegend ändern."

      Van Harten musste sich sehr sicher gefühlt haben, dass er ausgerechnet einen angeblichen Nazifresser wie Robert Kempner als Anwalt anheuerte und einen erwiesenen Naziverbrecher wie Schwend als Kenner der US-"Innenverhaeltnisse" engagieren wollte. Mit dieser Selbstsicherheit und Schamlosigkeit überlebten er und seine Kumpane den Krieg. Van Hartens Verhalten widerspiegelt die Kultur der "Bernhard"-Agenten. Schwend selber schrieb 1961, als er in Peru zusammen mit anderen Nazikriminellen zusammenarbeitete, mehrere Briefe in seinem richtigen Namen an die israelische Behörde, die den Eichmann Prozess vorbereitete. Er denunzierte in diesen Schreiben einen ehemaligen jüdischen Mitarbeiter, Georg Spencer Spitz, der ihn nach dem Krieg betrogen und verraten hatte.

      Warum aber vertrat Robert Kempner den Naziagenten van Harten? Angesichts der Unterstützung und Deckung, die dieser in Israel genoss, ist anzunehmen, dass Kempner das Mandat übernahm, weil ihm beispielsweise der einflussreiche Rechtsanwalt und spätere israelische Botschafter in London, Eliash, van Harten wärmstens empfohlen haben könnte. Der Mossad-Agent Freier, der die Verbindung zwischen Eliash und van Harten hergestellt hatte, schrieb denn auch: "Eliash verliebte sich in van Harten und wollte mit ihm Geschäfte machen, denn er war geldgierig." Ein Entschädigungsverfahren über mehr als vier Millionen US-Dollar war für einen Anwalt sicherlich sehr lukrativ.

      Van Harten zieht nach Meran

      Van Harten verließ Ende Dezember 1944, am gleichen Tag wie sein Chef Becher, Budapest und fuhr nach Meran. Reves soll ihm beim Beladen seines Autos geholfen haben. Dabei sei ihm ein geplatzter Koffer aufgefallen, der voll gepackt mit englischen Pfundnoten gewesen sei. Michael van Harten findet diese Aussage hingegen etwas gar phantasievoll, u.a., weil Reves ihr Auto als mit elektrischen Fenstern ausgerüstet beschrieb. Etwas, das auch eine Luxuskarosse wie ein MG Jahrgang 1937 bestimmt nicht hatte.

      Jaac van Hartens Erklärung, warum er und seine Familie sich ausgerechnet in Meran niederließen, ist nicht besonders glaubwürdig. In einem Bericht schrieb er:
      "Im Dezember 1944 erfuhr ich, dass Reste der italienischen Juden sich noch in Konzentrationslagern in [Bozen] Italien befinden sollten. Zu diesem Zwecke fuhr ich mit meiner Familie Ende Dezember 44 aus Budapest nach Meran."
      In einem Schreiben an das Internationale Komitee des Roten Kreuzes versuchte van Harten den Eindruck zu erwecken, dass er im Auftrag vom Chaim Pozner vom Palästina-Amt in Genf nach Meran übersiedelte. In seinem Brief an Pozner suggerierte van Harten, dass er im Dienst des IKRK nach Meran zog, was absolut nicht der Wahrheit entsprach, denn seine Akten bei dieser Organisation sind unter den `falschen Delegierten` archiviert:

      "Durch unsere Erfahrungen, die wir leider persönlich durchmachen mussten, hatten wir erkannt, dass wir unsere Wege und Beziehungen in den Dienst der Sache stellen müssen. So konnten wir die Verhandlungen Becher inspirieren und dadurch positive Ergebnisse erreichen [...]. Wir konnten einige 1000 Kinder in Heimen unterbringen unter dem Schutz des I.R.K. sowie des Schwed. R.K., denen wir Beide angehören. Meine Aufgabe war Mitte Dezember in Ungarn gelöst und so gingen wir nach hier, wo große Aufgaben unserer ähnlich der in Budapest harrten. [...]"

      Schwend hingegen behauptete, dass ihm Wilhelm Höttl van Harten zum Schutz zugewiesen habe. Diese Erklärung scheint glaubwürdig zu sein. Denn Höttl war höchstwahrscheinlich für die geheimdienstliche Tätigkeiten van Hartens verantwortlich, und Ende 1944 fanden mit seiner Hilfe mehrere andere dubiose Figuren aus Ungarn, wie der ungarische faschistische Außenminister Baron Gabor von Kemény, Zuflucht in Meran.

      Machenschaften in Meran

      In Meran angekommen, ließ sich die Familie van Harten im Januar 1945 im noblen Sanatorium Stephanie nieder. Dort logierten auch andere Mitglieder der "Gruppe Wendig", in welche sich Jaac van Harten rasch integrierte.
      Als "Bernhard"-Verkäufer wickelte er in Meran nur ein einziges Geschäft ab: Er kaufte 150 Tonnen Terpentin und belieferte damit die Wehrmacht. Bezahlt wurde selbstverständlich mit Falschgeld. Van Hartens Bedeutung für die SS lag aber woanders. Wie schon erwähnt bemühte sich Schwend, wie andere Nazi-Bonzen, dazumal um ein Alibi für die Nachkriegszeit und um die Sicherung seiner Beute. Die norditalienische SS-Führung versuchte, im Rahmen der "Operation Sunrise", eifrig, Kontake mit dem deutschfreundlichen OSS-Mann in Bern, Allen W. Dulles, zu knüpfen. Schwend und seine Kumpane waren ebenfalls mit von der Partie. Die Nazis in Norditalien verwendeten das gleiche Erpressungsmuster wie Becher und Eichmann in Ungarn. Sie benutzten das Leben von Juden als Druckmittel, um die Verhandlungen mit den Alliierten voranzutreiben und dabei auch Lösegeld zu kassieren. Hier dienten als Faustpfand 150 Juden, die im Gefängnis S. Vittorio in Mailand festgehalten wurden.

      Wie es aussieht, ging die Initiative von Schwends nahestehendem SS-Obersten Walter Rauff in Mailand aus, einem der maßgeblichen höheren Offiziere bei den ersten Versuchen, Juden zu vergasen, und zwar in Lastwagen.
      Mit dem Angebot des Judenhandels nahm Valerio Benuzzi, ein jüdischer Kollaborateur, welcher im Dienste Rauffs und der geheimen faschistischen Polizei OVRA stand, Kontakt mit dem IKRK-Vertreter für Norditalien, Oberst Hans Bon, und auch mit dem jüdischen Hilfswerk "Joint" auf, welches das Lösegeld zahlen und für die Aufnahme der befreiten Juden in der Schweiz sorgen sollte. Dank der Vermittlung Benuzzis traf Bon im Januar 1945 mit dem SS-Chef von Norditalien, General Karl Wolff, dem Erzbischof von Mailand, Kardinal Schuster, und dem deutschen Botschafter im faschistischen Teil Italiens, von Rahn, zusammen. Dies kann wahrscheinlich als Anfang einer wichtigen Schiene der "Operation Sunrise" angeschaut werden, welche zur deutschen Kapitulation in Norditalien führte. Die Verhandlungen wurden verschleppt. Am 16. Februar teilte Benuzzi dem "Joint"-Vertreter in der Schweiz, Saly Mayer, telefonisch mit, dass die Juden nun von Mailand ins KZ Bozen transferiert worden seien. Von dort sollten sie weiter nach `Berlin` deportiert werden.
      Ob die Deutschen diese Drohung wirklich umsetzen wollten bzw. konnten, bleibt offen. Van Harten, der inzwischen auch eingeschaltet worden war, berichtete: "Am Morgen des 25. Februar kam ich nach Bozen [...] Man hatte am vergangenen Abend 130 Juden und 700 politische italienische Gefangene waggoniert, um sie zu deportieren." Die Deportation wurde dann gestoppt. Im Gegenzug durfte Benuzzi - mit Hilfe des IKRK - nach Bern fahren, um die Verhandlungen - wahrscheinlich mit Allen Dulles - weiterzuführen. In einem Bericht des jüdischen italienischen Hilfswerk DELASEM heißt es: "Vertrauensmann 552 , [wahrscheinlich van Harten] übt immer eine große Tätigkeit aus und hat einen Kontakt mit dem Konzentrationslager Bozen ins Leben gerufen, der der wichtigste für dieses Lager sein wird." DELASEM sandte jede Woche eine große Zahl Pakete, die persönlich an die Internierten verteilt werden sollten. Van Harten selber erzählte von großen Lebensmittellieferungen und der Überbringung von Paketen in das Polizeiliche Durchgangslager in Bozen. Ein britischer Gefangener erzählte, dass van Harten Ende Februar im Konzentrationslager auftauchte, 1000 Lire pro Kopf verteilte und versprach, Lebensmittel zu beschaffen. Danach kam er zweimal im Monat. Die Gefangenen verlangten nach den versprochenen IKRK-Päckchen, aber van Harten meinte, dass dies schwierig sei. Am 26. April wurde Oberst Bon von Genf aus mitgeteilt, dass nach den Verhandlungen zwischen IKRK-Generalsekretär Hans Bachmann und dem zweiten Mann in der SS-Hierarchie, Ernst Kaltenbrunner, letzterer der Freilassung der Juden im KZ Bozen zustimmte. Bon solle diese Botschaft so schnell wie möglich nach Südtirol weiterleiten. Er rief noch am gleichen Tag van Harten nach St. Moritz und trug ihm auf, die KZ-Insassen zu befreien. Van Harten verstand diesen Auftrag als eine Ernennung zum IKRK-Delegierten in Meran und versuchte dies voll auszunutzen, um die Schwend-Gruppe auch rückwirkend als IKRK-Vertretung darzustellen. Die Rolle Bons bei diesem Auftrag ist noch nicht klar. Sein Stellvertreter, Kurt Tschudi, wusste gar nicht davon und wäre bestimmt dagegen gewesen. Denn schon Ende Februar 1945 beschwerte sich dieser über van Hartens Auftritt als IKRK-Delegierter, und zwar ausgerechnet beim SS-Offizier Walter Rauff. In seinem Bericht schrieb Tschudi:

      "[...] nach Erhalt von weiterem belastenden Material gegen v. Harten, trat ich mit Herrn Oberst Rauff von der SS-Polizei in Verbindung, um dem Mann sein Handwerk zu legen. Oberst Rauff wich jedoch in geschickter Weise immer aus und wollte von einer Verhaftung nichts wissen, was mich nur noch mehr stutzig machte, denn im Allgemeinen war jeder Vorwand zum Vorgehen gegen einen Nichtarier gut genug." Am 28. April erschien van Harten mit Lastwagen im KZ Bozen. Er brachte einen Teil der Häftlinge aus dem Lager, so die Aussage eines englischen Gefangenen, und ließ sie nach Meran transportieren. Zwei Tage später wurden auch die Juden frei gelassen und einige davon im Schloss Labers untergebracht. Selber berichtete van Harten, dass er während zweier Tage 2972 Personen aus dem Bozner und aus den verschiedenen Außenlagern weitere 7000 befreit habe.
      Nach über vier Jahren - am 12. April - meldete sich van Harten wieder bei Chaim Pozner, dem Finanzmann der Jewish Agency in Genf, um die Unterbringung der jüdischen Häftlinge in der Schweiz zu koordinieren. Am 30. April schrieb van Harten an Pozner: "Soeben tritt das ungarische Außenministerium an mich heran, das I.R.K. vertreten durch mich, möchte den Schutz des ungarischen Staatsschatzes in Form von Gold, Juwelen, etc., Gemäldesammlungen übernehmen. [...] Große Mengen der Juwelen stammen aus den Juden enteigneten Vermögen."

      Van Harten untermauerte die Mitteilung mit einer Bevollmächtigung, datiert vom 17. März und signiert durch den ungarischen Außenminister Gabor Baron von Kemény.
      Pozner war von dieser großen finanziellen Möglichkeit sehr beeindruckt, denn van Harten gab ihm zu verstehen, dass die Jewish Agency die jüdischen Wertsachen beanspruchen könne, um damit zum Aufbau des jüdischen Staats beizutragen.
      Es ist aber ausgeschlossen, dass van Harten tatsächlich der Beschützer des ungarischen Staatsschatzes war. Kemény flüchte zwar um diese Zeit nach Meran, aber bestimmt nicht mit so viel Waren wie in der Vollmacht erwähnt, und der Kronschatz wurde am 4. Mai beim ungarischen Machthaber Ferenc Szálazi, weit weg von Meran, beschlagnahmt.
      Der Israeli Yitzchak Tamari, der damals als Soldat der ersten britischen Einheiten diente, die Bozen erreichten, erzählte, wie er dort van Harten getroffen habe. Dieser informierte die jüdischen Soldaten, dass in Meran der ungarische Staatschef Ferenc Szálazi weile, der für die Judenvernichtung mitverantwortlich sei und entsprechend viel gestohlenen Schmuck besitze. Die Soldaten sollten den besagten Verbrecher umbringen und den Schatz beanspruchen. Wie sie aber zum Haus des Ungarn kamen, war dieses schon von US-Soldaten umzingelt. Es kann sich hier nur um eine Verwechslung handeln, denn der hohe Politiker muss Kemény gewesen sein, welchem van Harten die Verantwortung für die geraubten jüdischen Schmuckstücke in die Schuhe zu schieben versuchte. Diese Anschuldigung erhob van Harten auch vor dem IKRK. Dabei waren solche Wertsachen, laut zuverlässigen Berichten, im Besitz der Familie van Harten selbst.
      So berichtete der Mossad-Chef in Italien, Yehuda Arazi: "Sie [die van Hartens] hatten mehrere Koffer voller Schmuck und Diamanten bei sich. [...] Woher hatten sie das alles? Ich habe da Zweifel, vor allem wegen der Eheringe. Alles wurde dann nach Palästina geschickt."
      Ein anderer Mossad-Agent, Schalheweth Freier, meint dazu:

      "Außerdem vermag ich mich noch zu erinnern, dass es Schmuckpakete gab, die sehr schön verpackt und mit Namen versehen waren. Ich glaube, die Geschichte dazu lautete, dass es sich um Schmuckstücke handelte, die sie [die van Hartens] von Juden in Ungarn zur Aufbewahrung bekommen hätten. [...]. Ich glaube, später sah ich im Büro von Yehuda Arzi einen Sack voller Eheringe, die wahrscheinlich von KZ-Juden stammten."

      Die Bevollmächtigung für den ungarischen Kronschatz muss als Tarnaktion betrachtet werden, die van Harten und der Beute der Wendig-Gruppe zusätzlichen Schutz verleihen sollte. Diese Geschichte diente als Alibi für die großen Warenlager des "Unternehmens Bernhard" und für die jüdischen Vermögenswerte. Dafür musste aber ein Teil der Diebesgüter geopfert werden. Die erwähnten jüdischen Wertgegenstände werfen unweigerlich Fragen auf, die den betreffenden Mossad-Agenten auch ins Auge sprangen, welche sie aber offensichtlich - aus naheliegenden Gründen - nicht weiter verfolgten.

      1. Woher kam dieser Schatz?
      Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass die Schmuckpakete, welche mit Namen versehen waren, van Harten zur Obhut überlassen wurden. Nur ist es nicht sehr plausibel, dass ungarische Juden einem Naziagenten so kurz vor der deutschen Niederlage ihren wertvollen Besitz anvertrauen. Gerade Schmuck lässt sich ja relativ leicht verstecken und am Körper tragen. Die überzeugendste Erklärung ist, dass es sich um Lösegelder handelt, welche von ungarischen Juden als Schutz (SS-Schutzjuden) und/oder im Zusammenhang mit dem Becher-Freikauf-Deal bezahlt wurden. Becher gab ja das Lösegeld bei Kriegsende an die Jewish Agency. Dabei fehlte aber ein erheblicher Teil dieses sogenannten "Becher-Schatzes". Trotz mehrerer Untersuchungen bleibt das fehlende Vermögen, welches mehrheitlich aus Schmuckstücken bestand, bis heute unauffindbar. Die hier aufgeführten Indizien erhärten den Verdacht, dass van Harten mit dem verschwundenen Rest des "Becher-Schatzes" zu tun hatte. Freiers Hinweis über die Eheringe, die wahrscheinlich von KZ-Juden stammten, sollte nicht völlig ignoriert werden, denn er war derjenige, der van Harten bei Kriegsende in Norditalien intensiv verhört hatte, entsprechend musste er auch wissen, ob van Harten die Möglichkeit hatte, KZ-Raubgut zu besitzen.

      2. Was geschah mit diesem jüdischen Vermögen?
      Es sieht danach aus, dass der Mossad sich die Wertsachen mit den van Hartens teilte. Es darf nicht vergessen werden, dass van Harten später in Tel Aviv eine Bijouterie mit besonders ausgesuchten Juwelen besaß. Der Mossad wie auch andere zionistische Organisationen waren, entsprechend ihrer Praxis, absolut im Stande, geraubte private jüdische Besitztümer als ihr Eigentum zu betrachten. Nach der deutschen Kapitulation fanden die US-Soldaten mehrere Meraner Gebäude voller Güter, die der Kemeny-Vollmacht-Liste entsprachen. Diese Lagerhäuser waren alle mit Schildern "Unter Schutz des IKRK" versehen. Gegenüber dem IKRK behauptete van Harten, dass die Waren größtenteils von italienischen Juden geraubt worden seien. "Ich vertrete den Standpunkt, dass diese Warenvorräte an ihre Besitzer hätten zurückgegeben werden müssen, resp. an deren Erben. Ich nahm diese Lager, um sie vor Ausplünderung zu schützen, unter den Schutz des Comités, und siegelte sie zu." Den amerikanischen Soldaten, die 248 000 IKRK-Identitätsausweise bei ihm entdeckten, erzählte van Harten, dass er IKRK-Chef in Budapest gewesen sei. Diesen fiel aber auf, dass die SS-Mannschaften, wenn sie van Harten sahen, sofort salutierten. Zusätzlichen Schutz erhoffte sich die Gruppe Wendig durch die freundlichen Dienste des Schweizer Konsularagenten, Alberto Crastan. Crastan, der Schlossherr von Rametz, hatte das Weingut von seinem Vater geschenkt bekommen. Dieser wollte dem erfolglosen Sohn eine solide Existenzgrundlage verschaffen. Die Rechnung ging allerdings nicht auf. Durch die Beziehungen zu seinen SS-Nachbarn im Schloss Labers erhoffte sich Crastan endlich eine lukrative Einnahmequelle. Wie lange er mit den Schwend-Leuten kooperierte, ist aber nicht klar. Bei Kriegsende arbeitete er jedenfalls eng mit van Harten zusammen. Er fuhr z.B. mit dem Naziagenten in die Schweiz, um Oberst Bon zu treffen und in seinem Schloss lagerten "Bernhard"-Waren. Van Harten richtete sich eine große Geschäftsstelle im gleichen Gebäude ein, in dem Crastan sein Büro hatte. Laut dem Bericht eines Schweizer Arztes, welcher mit einer Rotkreuzkolonne am 15. Mai 1945 in Meran eintraf, entfaltete van Harten aus diesen Räumlichkeiten, "eine ungewöhnlich rege und vielseitige Tätigkeit. Den täglich erschienenden Hunderten von Deportierten, Flüchtlingen und Heimatlosen stellte er selbstgedruckte Rotkreuzpässe [...] aus. Im weiteren versah er diese Leute mit Geld und Lebensmitteln." Aus diesem Bericht geht hervor, dass sich auch mehrere Nazis unter dem Flüchtlingsstrom mischten. Schwend behauptete, van Harten habe auf seine Veranlassung agiert. Laut Yitzhak Tamari stoppten italienische Partisanen SS-Leute mit echten Einreisevisa an der Schweizer Grenze: Ihre Visa hätten sie, so Tamari, von van Harten erhalten . Nur Crastan konnte die Quelle für solche Dokumente. Am 25. Mai 1946 verhaftete die italienische Polizei Crastan. Bei einer Durchsuchung im Schloss Rametz wurden viele Schwarzmarktwaren entdeckt, welche mit gefälschten Pfundnoten gekauft worden waren. Crastan blieb für längere Zeit in Untersuchungshaft. Er vermochte die Polizei nicht davon zu überzeugen, dass er vom verbrecherischen Charakter der Operation im benachbarten Schloss Labers nichts gewusst habe, wo man doch in ganz Südtirol über die anrüchigen Geschäfte der Schwend-Bande sprach. Aus unerklärlichen Gründen ließen die Alliierten und die italienischen Behörden die Untersuchung jedoch plötzlich fallen und Crastan wurde frei gesprochen. Sogar die Schweizer Gesandtschaft in Rom wunderte sich darüber, denn diesem wurden doch schwerwiegende Verbrechen vorgeworfen. Diese Feststellung wiederum hatte den Schweizer Botschafter zuvor nicht daran gehindert, sich für den ehemaligen Konsularagenten einzusetzen. Alexander Kinkelin, ein Schweizer in Meran, berichtete: "Es scheint, dass die beschlagnahmte Ware von Dritten, zum Teil, in der Folge weiter verschoben worden ist und dass nunmehr auch diese Dritten ein Interesse daran haben, dass kein Prozess geführt werde."

      Van Harten und der Mossad

      Als sehr nützlich erwiesen sich die Beziehungen, die van Harten mit dem Mossad und mit der Untergrundarmee Hagana knüpfte. Bei den britischen Truppen, die Italien eroberten, waren zwei jüdische Transportbrigaden aus Palästina. Viele dieser Soldaten widmeten illegalen Tätigkeiten mehr Zeit als dem Dienst ihrer Kolonialherren. Es ging ihnen um Waffenbeschaffung sowie um die Organisierung der illegalen Auswanderung von Juden nach Palästina. Deren erste Station in Italien, wie im La Vista Report zu lesen ist, war in der Tat Meran. Da die finanziellen Bedürfnisse dieser Organisationen sehr groß waren, sollte der Zweck die Mittel heiligen: Sie scheuten sich nicht vor einer Zusammenarbeit mit Nazis, wenn ihnen dies genug Geld einbrachte. Einige der eretz-israelischen Soldaten bereicherten sich selber, wie es damals auch bei den Alliierten üblich war. Es gab keinen strengeren Kämpfer gegen diese Korruption als Eliyahu Cohen, der für die Briten lediglich ein Feldwebel, tatsächlich aber Italien-Kommandant der Hagana war. Ausgerechnet dieser Moralapostel war es, der - zusammen mit dem lokalen Mossad-Chef, Yehuda Arazi - die Kollaboration mit van Harten bewilligte und betreute. Später sorgte er für dessen Sicherheit und Integration in Israel.
      Die einfachen Mossad-Agenten Shmuel Ossia und Eliëzer Bigar, die bei dieser Affäre nur eine marginale Rolle spielten, waren völlig schockiert und niedergeschlagen, als sie 56 Jahre später erfuhren, dass ausgerechnet der legendäre Cohen, der für seinen hohen moralischen Standard bewundert wurde, bewusst einen Naziagenten gedeckt hatte. Bei Arazi waren sie nicht überrascht, denn für sie war dieser Abenteurer zu allem fähig. Ende April 1945 stieß der israelische Hauptmann Alex Moskowitz in Meran auf van Harten, welcher ihm über die in der Region versteckten Raubgüter berichtete. Der Naziagent war bereit, so Moskowitz, ihn zu den Versteckorten zu führen. Van Harten habe in Meran eine Transitstation für die jüdischen Flüchtlinge einrichten wollen, die bald von Norden nach Süden strömen würden. Anfang Mai erschienen bei Moskowitz zwei Agenten der geheimen Auswanderungsorganisation "Ha`Bricha", die unterwegs nach Ungarn waren, um die Fluchtwege nach Palästina zu organisieren. Moskowitz bat nun um van Hartens Hilfe bei der Überquerung des Brennerpasses. Dieser offerierte den Agenten spontan eine große Summe, um ihre Aktivitäten zu finanzieren und bat sie auch, Gelder für verschiedene Leute in Budapest mitzunehmen. Er gab ihnen dann 22.500 "Bernhard"-Pfunde, die bei den bisherigen spärlichen Schilderungen immer als Spende dargestellt wurden. Van Harten verlangte jedoch später die Rückzahlung und wurde dabei von Arazi unterstützt. Der Mossad-Chef wusste zwar, dass das "Darlehen" mit Falschgeld bezahlt worden war, rechnete jedoch mit noch größeren Leistungen van Hartens. In verschiedenen Quellen wird nebenbei erwähnt, dass seine Beiträge und die Pfund-Blüten damals wichtigste finanzielle Stützen für die illegale Auswanderung und für sonstige Aktivitäten des Mossad waren.
      Levi Argov (Kopilowitch), einer der Agenten, die das Geld von van Harten in Meran erhalten hatte, behauptete aber, sobald man gemerkt habe, dass die Pfunde gefälscht waren, habe die Ha`Bricha aufgehört, mit den Falsifikaten zu handeln. Joël Palgi, der in Budapest die Arbeit der Ha`Bricha koordinierte, erfuhr, dass in Italien Sterling feil zu haben waren und man in Osteuropa ausgezeichnete Preise dafür erzielen konnte. Deshalb verlangte er von den Kollegen in Italien, Pfunde in großem Stil zu kaufen. Dann behauptete Palgi jedoch etwas schwammig: "Soweit ich weiß, sah die Delegation in Italien von dieser Möglichkeit ab [...]."
      Palgis Behauptung wird von den Ausführungen des Italien-Mossadschefs Arazi widersprochen: "Wir fanden heraus, dass diese [van Hartens Gelder] die von den Deutschen gefälschten Pfunde waren. Ich schickte dieses Geld zum Korporal Katz nach Österreich. Er sollte versuchen, die Blüten auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Wir kauften Goldbarren, die wir zuerst nach Frankreich schickten und nach einem großen Umweg in die Schweiz. Wir verdienten dadurch das Neunzehnfache des ursprünglichen Wertes."
      Die Akten des Mossad-Finanzchefs, Pino Ginsburg, zeigen, dass Genf das Zentrum dieses umfangreichen illegalen Handels war, und van Hartens Beitrag dazu kann nicht genug betont werden. Insofern zahlte sich der Einsatz zur Befreiung van Hartens für den Mossad aus, nachdem dieser vom CIC im Mai 1945 in Meran als Naziagent verhaftet und im Lager Terni für fast ein Jahr interniert worden war. Außerdem beschlagnahmte der CIC weitere Teile "seiner" Besitztümer. Van Harten behauptete, dass sich die betreffenden US-Agenten bereichert hätten und später unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen seien. Verzweifelt suchte van Harten nach Rettung. Einzig der Mossad kam ihm zu Hilfe und ihm den Agenten Freier sandte. Dieser kümmerte sich auch um die verzweifelte Frau van Harten und deren Sohn und brachte sie von Meran nach Mailand. Dort arbeitete die Frau eine Weile in der Kantine der jüdischen Soldaten. Der kritische Yitzhak Tamari fragte dann den strengen Hagana-Chef Cohen, warum die Nazi-Agenten geschützt würden, worauf dieser antwortete: "Ich versprach es ihnen, und ein Gentleman hält sein Wort." Dank dem Mossad wurde der Naziagent Mitte 1946 freigelassen und blieb zum Jahresende in Italien im Dienst dieser Organisation. Später zog er nach Tel-Aviv, wo seine Familie inzwischen wohnte und lebte sich schnell ein. Erstaunlicherweise war für diese rasche Integration Cohens Vater Abba verantwortlich und nicht die reiche Familie Schocken, mit der Frau van Harten verwandt war. Abba Cohen folgte blind den Instruktionen seines geheimnisvollen Sohnes, öffnete van Harten wichtige Türen und wurde selbst zu dessen Geschäftsführer. 1947 wollten die damals in Palästina herrschenden Briten van Harten wegen seiner "Bernhard"-Vergangenheit loswerden. Freier, der mittlerweile wieder im Lande war, half dem ehemaligen Nazi-Agenten, die Verbindung zum renommierten Rechtsanwalt Eliash herzustellen. Auf das Gesuch Eliashs hin stellte Golda Meir, in ihrer Funktion als De-facto-Außenministerin, van Harten einen Persilschein aus, der seine Abschiebung vereitelte. In ihrem Brief an Eliash schrieb sie:

      "Ich möchte Sie informieren, dass wir Beweise besitzen, dass Herr van Harten während des ganzen letzten Krieges Mitglied des jüdischen Untergrundes in Europa war. [...] Ich bin der Meinung, Herrn van Hartens Vergangenheit während des Krieges rechtfertigt eine bevorzugte Berücksichtigung seines Gesuchs, in Palästina zu bleiben."

      Dieses Leumundszeugnis steht jedoch im krassen Widerspruch zu Berichten der jüdischen Agenten, die mit ihm näher zu tun hatten. So gut geschützt führte van Harten eine Bijouterie im Herzen Tel-Avivs und wohnte als angesehener Bürger im Nobelort Savyon. Niemand untersuchte die Quellen "seiner" Schmuckstücke und Gemälde, die er z.T. aus Ungarn gebracht hatte. 1973 starb er, und die Bijouterie wurde von seinem Stiefsohn weitergeführt - bis nach der Veröffentlichung eines Artikel in der bekannten israelischen Zeitung "Ha`aretz" über die braune Vergangenheit Jaac van Hartens. Ein hoher Mossad-Amtsträger meinte danach im Privatgespräch mit Yitzchak Tamari, dass er seine Empörung über diese Angelegenheit nicht verstehe: "Wir brauchten damals Geld, und er hatte viel davon. So einfach war das."

      Autor: © Shraga Elam
      Shraga Elam ist israelischer Friedensaktivist und Recherchierjournalist in Zürich mit den Spezialgebieten Nahostkonflikt und Zweiter Weltkrieg.
      Philosophischer Salon e.V, Berlin
      30.09.2002
      Avatar
      schrieb am 02.10.02 22:33:52
      Beitrag Nr. 26 ()

      Palästinenser und Israels - Täter und Opfer in einem `Great Play`?

      Die neue Weltordnung der USA braucht Blut und Öl und Hass

      Referatsbeitrag von Doz.Dr.phil.habil. Stefan Bollinger zur Nahost-Konferenz von Kalaschnikow am 28.09.2002 in Berlin

      Schauplatz im Kampf um die Weltmacht

      Dieser Tage schreibt Präsident Bush in einer "Nationalen Sicherheitsstrategie der USA" (vgl. FR vom 28.09.2002 http://www.fr-aktuell.de, Originalfassung http://www.whitehouse.gov/nsc/nss.html) den Anspruch auf die absolute Vorherrschaft der USA in der Welt nochmals ausdrücklich fest und nimmt sich damit auch das Recht auf militärische Präventivmaßnahmen heraus. In dieser Direktive wird ausgesprochen, dass "die Vereinigten Staaten die Gunst der Stunde nutzen, um die Vorzüge der Freiheit in der ganzen Welt zu verbreiten. Wir werden uns aktiv dafür einsetzen, die Hoffnung auf Demokratie, Entwicklung, freie Märkte und freien Handel in jeden Winkel der Erde zu tragen". An anderer Stelle lassen sie keinen Zweifel: "Die Vereinigten Staaten haben sich seit langem die Option präventiver Handlungen offen gehalten, um einer hinreichend großen Bedrohung der nationalen Sicherheit begegnen zu können. Je größer die Bedrohung, desto größer das Risiko, das aus Tatenlosigkeit erwächst - und desto zwingender das Argument für antizipierende Aktionen zur Selbstverteidigung, selbst wenn Unsicherheit darüber besteht, wann und wo der Feind angreifen wird."
      Auch unter diesem Gesichtswinkel sollte auch die Situation und die unübersehbaren Kontinuitäten im Nahen wie Mittleren Osten genauer unter die Lupe genommen werden.

      Obzwar eine Konferenz scheinbar fernab von Schuss, in Berlin, möglicherweise nicht wesentlich zur Lösung der dortigen Probleme beitragen kann, so sind doch Antworten und Argumentationen erforderlich, um europäische und deutsche politische Optionen für die Politik gegenüber dieser Region sichtbar zu machen. Nicht zuletzt betrifft dies Ansprüche einer linken Politik, die sich grundsätzlich der Überwindung von Vorherrschaft und Unterdrückung, der friedlichen Beilegung von Konflikten verpflichtet fühlt oder doch fühlen müsste. Ob hier vordergründiger Streit um "Antisemitismus" oder "Antiamerikanismus" weiterhilft, ähnlich wie früher der Generalverdacht "Antisowjetismus" oder "Antikommunismus", ist zweifelhaft. Die Suche nach den Interessenlagen der direkt und oft erst recht der indirekt beteiligten politischen wie wirtschaftlichen Akteure dürfte da weit sinnvoller sein. Dass ist zweifellos durch die besondere Verantwortung Deutschlands vor der Geschichte angesichts des Holocausts gegenüber den Juden besonders problematisch. Die besondere deutsche Verantwortung gegenüber den Juden und damit auch gegenüber dem aus schlechtem Gewissen der Weltgemeinschaft 1948 entstandenen Staat Israel darf jedoch diese nüchterne Abwägung der politischen Interessen und die Bewertung der Politik aller Beteiligten nicht ausschließen. Wer allerdings den Antisemitismus der Nationalsozialisten und schließlich den Holocaust eher als irrationale Kopfgeburten einiger deutscher "Politiker" und einer dumpfen Volksseele interpretiert, der kann sicher auf dieser wenig aussagefähigen Ebene stehen bleiben. Auch wenn bestimmte Kritiken an der Politik Israels antisemitisch instrumentalisiert und ausgelegt werden, so wie jüngst am Beispiel Möllemanns nachzuvollziehen, so ändert das nichts an der Notwendigkeit der Kritik an konkreter Politik wie an dahinterstehenden Ideologien. Das betrifft gerade den Zionismus als eines militanten Chauvinismus mit religiösen und rassistischen Einsprengseln als Ideologie einer kleinen, eine imperialistische und aggressive Politik betreibenden Macht.

      Diese notwendige Kritik verschließt ebenso wenig die Augen vor den berechtigten Interessen des weit schwächeren palästinensischen Volkes und seiner Instrumentalisierung wie auch vor dortiger eigenständiger nationalistischer Politik. (In Palästina wie in Israel oft genug verbrämt mit religiös-militanten Zügen.)

      Zumal diese Auseinandersetzungen in der jüngsten Vergangenheit deutlich eskaliert sind und politisch wie militärisch ausgeweitet haben. Palästinenser haben im Interesse einer fatalen Propaganda der Tat durch Anschläge gegen zivile Ziele und einfache israelische Bürger genauso verbrecherische Reaktionen provoziert. Die israelische Führung hat damit jene Rechtfertigungen bei der Hand, die sie für die Fortsetzung einer antipalästinensischen Politik dringend benötigt. Die notwendige Kritik an einer unangemessenen militärischen Terrorismusbekämpfung durch Israel (wie auch den USA) kann jedoch nicht am massiven Missbrauch des Idealismus von Menschen für deren bewusste und unentschuldbare Selbstaufopferung in Selbstmordattentaten vorbeigehen. Hier fallen ebenso wie bei den berechtigten Sorgen Israels hinsichtlich seines Existenzrechts begründete Ziele mit verbrecherischen Methoden und letztlich auch Politiken der handelnden politischen Akteure zusammen, egal, ob durch terroristisch handelnde Organisationen oder im Falle Israels durch so handelnde staatliche Institutionen wie Armee und Geheimdienste. Der Zweck heiligt hüben wie drüben nicht die Mittel. Aber es bleibt das Problem des realen Kräfteverhältnisses eines Staates und eines von ihm unterdrückten, gedemütigten Volkes.

      Nicht nur eine Neuauflage des "Großen Spiels"

      Der Nahost-Raum mit seinem seit 1946/47 offen ausgebrochenen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern sowie den arabischen Nachbarn (ganz abgesehen von der Vorgeschichte seit der jüdischen Siedlerbewegung unter vor allem zionistischen Vorzeichen seit Beginn des 20. Jahrhunderts) erweist sich als ein wichtiger, allerdings einst wie heute nicht als einziger Schlüssel für das politische Schicksal einer ganzen Großregion. Denn diese Großregion - hier wäre der Fokus über den Nahen Osten hinaus zu weiten - schließt nicht nur den engen Raum Israels und der besetzten palästinensischen Gebiete ein. Sie lässt sich auch nicht auf die angrenzenden arabischen Staaten begrenzen. Aber der Nahost-Konflikt bleibt ein entscheidender Zugang für jegliche Konfliktsituationen im arabisch-islamischen Raum im weitesten Sinne vom arabischen Nordafrika bis nach Fernost, da er nachdrücklich die unveränderte Konfrontation der "abendländischen", richtiger der westlich-kapitalistisch/imperialistischen Welt mit den geringer entwickelten, bislang in zumindest noch wirtschaftlicher Abhängigkeit (die im Falle der Ölstaaten auf der arabischen Halbinsel eine auch wechselseitige Abhängigkeit ist) gezwungenen Staaten dieser Region beinhaltet.

      Um es zuzuspitzen: Der Nahost-Konflikt mit seinen israelischen wie palästinensischen Akteuren ist zweifellos bedeutsam, aber nicht das entscheidende Schlachtfeld des Ringens um eine neue Weltordnung im Reich der Pax Americana. Seine Anheizung bzw. seine Eindämmung, evtl. seine partielle und voraussichtlich ungerechte, neue Konflikte bereits beinhaltende Lösung hat aber Einfluss auf die Gesamtkonstellation in einem für die Interessen der USA wie auch Europas entscheidendem Raum, hier der Einfachheit halber als Naher und Mittlerer Osten bezeichnet (d.h. Teile Nordafrikas, Kleinasiens, der arabische Raum mit Arabischer Halbinsel bis zum Horn von Afrika, die Kaukasus-Region, Iran, Afghanistan, Pakistan).

      Dieser Raum hat m.E. zumindest in zweierlei Hinsicht für die westliche "zivilisierte" Welt, d.h. die herrschenden Monopole und ihre Regierungen Bedeutung:
      1. Im klassischen geopolitischen Sinne als Zugriff auf eine erhebliche Landmasse und anschließende Seegebiete vom westlichen Mittelmeer bis zum Indischen Ozean, mit nicht nur Verbindungswegen (wobei heute die Pipelines die Bedeutung des Suezkanals ersetzt haben), sondern auch Aufmarschgebieten und Kontrollposten gegenüber wichtigen potentiellen Konkurrenten der USA und der EU: Russland, bedingt die mittelasiatischen Nachfolgestaaten der UdSSR und China, sicher auch Indien.

      2. Der Zugriff auf die entscheidende strategische Ressource dieser Region, das Erdöl, das heute ca. zwei Drittel der Weltvorräte (allein für den Irak interessanterweise werden davon mindestens ein Sechstel ausgewiesen) (Die Zeit, 37/2002, S. 31) umfasst. Dabei geht es nicht allein um die Fördergesellschaften, sondern vor allem um den Zugriff auf das Erdöl, seine permanente, krisenfreie Verfügbarkeit und die Kontrolle des Preises, sei es durch eigene Produktion und Vorratswirtschaft, sei es durch die Ausdehnung der Förderung und insgesamt durch das politische Wohlverhalten der Regierungen der Förderländer. Dass zugleich die Menschenressourcen (incl. ihres Flüchtlingspotentials bei Konflikten) dieses Raumes, weitere Rohstoffe und Verkehrswege von Interesse sind kann hier nur am Rand benannt werden.

      Der Dauerkonflikt in Nahost

      Es ist auch keine generell neue Fragestellung, dass dieser Raum von besonderem Interesse für die westlichen Metropolen ist. War es einst der Zugang zu Indien und die Seidenstraße, so gewannen zum Ausgang des 19. Jahrhunderts der nun direkte Seeweg über den Suezkanal nach Indien und Fernost an Bedeutung. Schließlich begann damals auch jenes heute gern wieder zitierte "große Spiel" mit dem vor allem Großbritannien seinen Einfluss in diesem asiatischem Raum stärken wollte, Russland in seinem Streben nach Süden blockieren und das Osmanische Reich als bisheriger Großmacht ausschalten wollte. Dabei wechselten die Bündnisse, blieben aber die Ziele der Beteiligten die gleichen. Auch die anderen zunächst vornehmlich europäischen Großmächte - Frankreich und Deutschland, später die USA waren involviert. Mehr und mehr war dabei das beginnende 20. Jahrhundert und dessen weiterer Verlauf vom Zugriff auf das neue potentielle Absatzmärkte und schließlich Erdöl bestimmt.

      Im 1. Weltkrieg und danach wurde diese Region dann im weitesten Sinne zum Schauplatz von neu bestimmten Interessengebieten und Machtzonen. Das Osmanische Reich wurde zerschlagen und die Türkei konnte sich in einem erheblich verkleinert behaupten. Die Siegermächte zogen in seiner Erbmasse willkürlich neue Grenzen, die bis heute selbst Konfliktstoff liefern. Großbritannien und Frankreich bauten ihren Einfluss in der Region aus. Deutschland war als aktive Macht nach der Niederlage von 1918 und dem Zusammenbruch des osmanischen Verbündeten trotz der Erfahrung der Bagdadbahn weitgehend ausgeschaltet, auch wenn ökonomische und kulturelle Kontakte weiter gepflegt wurden. Die Sowjetunion etablierte sich als neue Großmacht, die insbesondere im Raum des Kaspischen Meeres und Mittelasiens für die nächsten Jahrzehnte auch gewaltsam klare Verhältnisse schuf und ihre Erdölressourcen selber nutzte. Schließlich konnte sich China mühselig und innerlich zerrissen wie äußerlich bedroht als Macht behaupten. Aber es war auch eine Zeit, in der sich nach dem 1. Weltkrieg vor allem in den bisherigen Kolonien Großbritanniens nationale Befreiungsbewegungen bildeten, Aufstände wagten. All dies begünstige im und nach dem 2. Weltkrieg (in dem das faschistische Deutschland selbst Aufstände zu schüren begann oder dies zumindest versuchte) in dem die bisherigen Kolonial- und "Mandats"-mächte - vor allem Großbritannien - ihre Macht verloren. Nationale Befreiungsbewegungen führten zu völkerrechtlich selbständigen, wenn auch nicht unbedingt unabhängigen Staaten. Dies war auch die Zeit, in der zunehmend die USA meist erfolgreich versuchten, an die Stelle der bisherigen Kolonialmächte selbst Einfluss auszuüben. Sie wiesen gelegentlich diese Mächte in die Schranken (Suezkrise 1956), wirkten meist indirekt, intervenierten gelegentlich offen wie in Libanon (1958, 1988) oder Somalia (1993), duldeten und förderten Putsche (von Mossadeghs Sturz im Iran 1953 bis zur latenten Zypernkrise der 60/70er Jahre), beeinflussten vor allem aber durch den Ausbau ihrer wirtschaftlichen, kulturellen und militärisch-nachrichtendienstlichen Möglichkeiten.

      Mit dem "Re-Education" der nationalen Eliten zugunsten eines "American Way of Life" und dem Ausbau einiger wichtiger Staaten zu besonders engen Verbündeten und Ordnungsfaktoren - Israel, Türkei, Iran, Saudiarabien (wobei die Konflikte gerade am Beispiel Israels vorprogrammiert waren) - suchten sie diese Region in der Systemauseinandersetzung, dem Kalten Krieg - auch blockpolitisch etwa durch die CENTO - in das eigene System zu integrieren. Unbotmäßige Regime, die zum anderen Block und zur Sowjetunion abglitten, wurden schnell Ziel von Destabilisierungs- und Kriegsaktivitäten vornehmlich durch regionale Stellvertreter. Das betraf u.a. Ägypten und Syrien (gerade hier durch Israel - 1956, 1967), Libyen, Südjemen (VDRJ), Iran (dazu war ab 1980 Irak geeignet), nicht zuletzt Afghanistan. Durch die andere Supermacht gestützt, konnten sich einige dieser bedrohten Länder und ihre Führungen dennoch zunächst behaupten.

      Hier sind auch wesentliche Ursachen für jenen Dauerkonflikt in Nahost zu suchen. Während noch 1948 Israel eher auf sowjetische Hilfe setzen konnte, da die arabischen Staaten dort als reaktionär eingeschätzt wurden, wandelte sich dies mit der starken Anlehnung Israels an Washington und später auch an Bonn mit seinen Wiedergutmachungen rasch. Vor allem wurde Israel durch die USA wie auch durch Bonn massiv aufgerüstet. Die arabischen Staaten - noch weitereichenden revolutionären Veränderungen zur Beseitigung besonders diktatorischer und feudaler Regime - fanden sich auf einmal an der Seite des Sowjetblocks, weil sie ihre nationalen Interessen vor allem gegen ihre ehemaligen Kolonialmächte artikulierten und wichtige Teile ihrer Volkswirtschaft nationalisierten (Stichworte: Suezkanal, Erdöl). Teile der politischen Eliten in diesen Ländern entwickelten besonders in den 60/70er Jahren - zeitlich versetzt und nicht immer ganz uneigennützig - Affinitäten zum sowjetischen Modell, bekannten sich zu einem "arabischen Sozialismus" und vor allem zur Bewegung der Blockfreien.

      Israel wurde in dieser Zeit - neben dem konservativen Saudiarabien - immer stärker zum verlässlichsten Bündnispartner der USA in der Region. Dessen relativ stabilen politischen Grundstrukturen, die demokratischen Auspizien, vor allem aber seine ökonomischen und militärischen Ressourcen machten dieses Land zu seinem Schaden zum unverzichtbaren Ordnungsfaktor und Vorposten des Westens und zunehmend der USA in der Region.
      Ließ sich Israel schon 1956 in einen Krieg gegen Ägypten hineinziehen, der vornehmlich den britischen und französischen Interessen in Ägypten nach der Nationalisierung des Suez-Kanals diente, so war Israel in den sechziger Jahren (mit dem Höhepunkt des 6-Tage-Krieges) der entscheidende Widerpart gegen die Richtung Blockfreiheit, gar Ostblock abdriftenden arabischen Staaten (bes. Ägypten, Syrien). Entsprechend fielen damals und später die Bündnispartner Israels aus - von Südafrika bis zur Türkei. Die wüsten Drohungen arabischer Politiker, die Juden ins Meer zu treiben, waren neben den Interessen einer entwickelten kapitalistischen Wirtschaft jener Kitt, der Israel in diese letztlich US-dominierte Blockpflicht hineintrieb und festhielt. Die Palästinenser waren in dieser Auseinandersetzung in Israel, dann ab 1967 in den besetzten Gebieten, aber auch in besonders großem Maße in den Flüchtlingslagern der arabischen Staaten die Manövriermasse für die politischen und militärischen Auseinandersetzungen, ohne dass sie davon profitieren konnten. Die Fatah und andere Palästinenserorganisationen verstanden es seit Ausgang der 60er Jahre neben verstärkten politischen Aktivitäten auch durch spektakuläre Terrorakte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich und die palästinensische Sache zu lenken.

      Mit dem Ende der Blockkonfrontation wurden die Karten neu gemischt

      Schon vor lange vor 1989 vollzogen sich in dieser Großregion mit dem Niedergang der Sowjetunion und dem erfolgreichen Vordringen der USA Veränderungen, die die spätere Niederlage der Sowjetunion im Kalten Krieg vorwegnahmen. Zu erinnern ist an die zwiespältigen Ergebnisse des Jom-Kipur-Krieges 1973 für die Sowjetunion und ihren Einfluss in der Region, den Konflikt um Äthiopien und Somalia, vor allem aber an das Debakel der afghanischen Revolution und ihrer gescheiterte sowjetische Abstützung. Das Ende der Blockkonfrontation nach Malta 1989 führte zu einer Neuverteilung von Macht und Machtinteressen in der Region, wovon nicht zuletzt auch die bisherigen Verbündeten der USA betroffen waren, die sich auf einmal in neuen Konstellationen wiederfanden.

      Gerade die Palästinenser und Israel spürten nach 1989/91, dass ihre bisherige Einbindung in die Blockkonfrontation sie jeweils zu Agenten ihrer Supermächte gemacht hatte, ohne dass eine realistische Lösung ihres Konflikts durch einen Kompromiss über die Blockgrenzen hinaus möglich war. Schon die arabisch-israelische Annäherung unter Saddat, nachdem dieser auf einen prowestlichen Kurs eingeschwenkt war, hatte die Grenzen der Konfrontationsordnung für die unmittelbar Betroffenen aufgezeigt. Mit dem Ende dieser Spaltung konnte Bewegung in die verfahrene Situation kommen, so dass der Prozess von Oslo möglich wurde. Zugleich dürften aber einflussreiche rechte Kräfte in Israel begriffen haben, dass ihre immer als gegeben angesehene Bestandsgarantie nach dem Wegfall der Systemkonfrontation sich neu darstellte. Die USA mussten zwangsläufig an neuen Partnern im Nahen und Mittleren Osten mehr Interesse haben, die außer dem Ordnungsmachtfaktor nun auch ungehindert die ökonomischen Interessen des Westens befriedigen konnten.

      Zumal sich herausstellte, dass sich alle bisherigen Verbündeten der USA mittel- und langfristig als unsichere Kantonisten erwiesen haben. Dass die meisten dieser Staaten mehr oder weniger lange den hehren US-amerikanischen Vorstellungen von "Freedom and Democracy" Hohn sprachen und Diktaturen waren und sind, haben die USA und ihre Verbündete kaum geschert. Aber der Widertand in diesen Ländern gegen ihre politische Ausrichtung - unter welcher Flagge auch immer (wobei sich zeigte, dass die rote weit weniger erfolgreich war als die tief-grüne) - und die potentielle Unzuverlässigkeit der jeweiligen Eliten hatten und haben für die USA Probleme geschafft, die ihrem Weltpolizeianspruch entgegenstehen. Konsequenterweise stehen sie vor dem Problem, für sich stabile Partner zu finden, die ihre geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen dauerhaft sichern. Ob dies ein zu zerschlagendes Irak sein kann, wird sich zeigen.

      Insofern ist die "erfolgreiche" Abkehr Israels - unter Nutzung hinreichender terroristischer Vorwände seitens einiger palästinensischer Organisationen (die auch wieder mit externen Kräften in Verbindung stehen) nur konsequent. Der Mord an Rabin, der Ausstieg aus dem Oslo-Prozess, das Provozieren der Al-Aqsa-Intifada, der offenen Ausbruch kriegsähnlicher Auseinandersetzungen 2001/2002 machte jegliche Hoffnungen auf eine friedliche Lösung zunichte. Und dies unabhängig davon inwiefern jede dieser einzelnen Punkte tatsächlich wirkliche Chancen bot. Die Kluft zwischen einem Groß-Israel-Anspruch (Erez Israel) und den Erwartungen der Palästinenser ist zu groß. Sie zu überbrücken, hätte einen Ausgleich erfordert, den die einflussreichen Kräfte beider Seiten nicht wollten. Vor allem Israel, als die Macht, die durch Zugeständnisse und Angebote einen weit größeren Spielraum gehabt hätte, war nicht bereit, diesen zu gehen. Vielmehr verstand es die israelische Führung geschickt, die neue Konstellation nach dem 11. September 2001 für ein massives Vorgehen gegen die Palästinenser, d.h. offiziell "gegen den Terrorismus", zu nutzen.

      Sie hat nicht zuletzt damit auch versucht, ihren strategischen Stellenwert für die USA wieder zu erhöhen, der aber angesichts der neuen Konfrontationslinie gegen einen imaginären, aber wohl doch in der Propaganda islamistischen Feind in einem "Krieg der Kulturen" gesunken ist. Denn für die USA erweist sich nun, dass der bislang zwar für ihr internationales Renommee als Friedensbringer und ehrlicher Makler (von dem aber die Welt weiß, dass die USA entscheidenden Einfluss auf Israel ausübt bzw. in Bedarfsfall dies auch kann) bedeutsame Konflikt Israel-Palästinenser praktisch die Möglichkeiten einer Einbeziehung vieler moslemischer Länder in den westlichen Block nicht nur erschwert. Mehr noch, er begünstigt dort jenen diffusen Widerstand gegen das westliche System, die Globalisierung im Zeichen von McDonald und Hollywood, den Kapitalismus, das Christentum, die modernen Werte.
      So wird heute der Nahe und Mittlere Osten eher zum Kriegsschauplatz der Globalisierung, in dem die USA gerne Weltpolizei spielen möchten und unter dem vordergründigen Plakat des Terrorismus jegliche anders gerichtete politische Bewegung ausschalten wollen. Zu bedenken ist auch, dass ein Weltpolizist wiederum notwendigerweise Konflikte, Hass Bedrohungen benötigt, um seine Funktion und ihren globalen Anspruch auch zu rechtfertigen. Gleichzeitig erweist sich dieser Konflikt aber als so zählebig, dass eine unmittelbare Nutzung seiner Verschärfung wie seiner Entschärfung für übergreifende Interessen der USA und des Westens kaum möglich ist. Gerade die gegenwärtigen Probleme der USA, ihren der inneren Logik ihrer Politik folgenden Krieg gegen den Irak vom Zaune zu brechen, resultieren daraus, dass die Zustimmung zu einem solchen Waffengang sichtbar auch von einer für die Beteiligten wie die Anrainer sinnvollen Entspannung des Nahost-Konflikts abhängt.

      Schließlich sind die unterschiedlichen Interessenlagen der USA und Westeuropas nicht zu übersehen. Während die Konflikte im Nahost-Raum für die USA recht weit weg liegen, haben die europäischen Mächte, nicht zuletzt auch Deutschland und Frankreich, weit stärker vitale Lebensinteressen -auch hier angefangen mit Erdöl und nicht beendet mit der Angst vor Massenfluchten in die "Festung Europa" -, die eher die kleinen Lösungen favorisieren als eine Politik des "dicken Knüppels". Die Meinungsverschiedenheiten zu einem Irak-Krieg - gerade von deutscher Seite - sind hieraus erklärlich und keineswegs nur Wahlkampfgedönse - unabhängig davon, ob und wie lange Schröder diesen Kurs durchzuhalten vermag.

      Das Existenzrecht Israels und das Lebensrecht der Palästinenser

      Der Nahost-Konflikt selbst ist wohl ein deutlicher Beweis, dass in der Politik immer wieder auch Antinomien im Sinne unlösbarer Widersprüche - zumindest im gegebenen Rahmen der gesellschaftlichen Verhältnisse - gibt. Das ist in nationalen Fragen so selten nicht. Es lässt sich schwer das Existenzrecht Israels - immer die Frage, was dessen heute erfolgende Aberkennung für Konsequenzen hätte - und das Lebensrecht der Palästinenser - die an die Region unmittelbar gebunden sind - politisch in Frage zu stellen.
      Die Schwierigkeit einer gerechten Lösung - wobei schon hier die Frage ist, was eine solche wäre - besteht in dem gegenwärtig nicht einlösbaren Anspruch einer gemeinsamen gesellschaftlichen und politischen Organisationsform für Palästinenser und Israelis.

      Nüchtern ist festzuhalten , dass es auf absehbare Zeit allein um eine Koexistenz beider Seiten in definierten und offenbar abgeschotteten Lebensbereichen, Staaten gehen kann. Das bedeutet zuallererst die Anerkennung eines palästinensischen Staates durch Israel. Beinhalten würde dies sowohl für die Palästinenser Versicht auf erhebliche Teile ihres angestammten, nun mehr aber seit Jahrzehnten von den jüdischen Siedlern und schließlich dem Staat Israel übernommenen Bodens - allerdings schon mit dem Anspruch auf eine Entschädigung als Basis einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Für die Israelis ist es das Preisgeben des Erez-Israel-Idee, der in den neuzeitlichen Siedlungen seinen Ausdruck findet und tägliche Provokation ist. "Land gegen Frieden" steht also nicht nur für den Ausgleich mit Syrien, sondern auch mit den Palästinensern auf der Tagesordnung.

      Der von den israelischen Sicherheitskräften vorangetriebene Bau einer Mauer in der Region wäre insofern entgegen seiner ursprünglichen Intension gekehrt - konsequent zu Lasten Israels betrieben - ein Beitrag für eine friedliche Konfliktgestaltung wie die Räumung der noch besetzten Territorien in den syrischen Golanhöhen wie in Palästina (was Gebietsaustausch und die Herstellung geschlossener Siedlungsräume nicht ausschließt). Für all dies wären Beobachter und Einsatzkräfte der UNO in einer friedenserhaltenden Mission der Rahmen, um tatsächlich eine solche friedliche Koexistenz erst einmal durchzusetzen. Eine gewaltsame Erzwingung durch solche Truppen oder die EU ist realistischerweise nicht ins Kalkül zu fassen. Nur auf der Grundlage dieses rigorosen Auseinanderziehens beider Seiten und der gegenseitigen staatlichen Anerkennung - also auch eines Staates Palästina - wären künftige Szenarien eines nicht nur Nebeneinander-, sondern Zusammenlebens beider Seiten zu erreichen. Für Israel würde dies obendrein der Verzicht auf jene strategische Partnerschaft mit den USA bedeuten müssen, die die politischen Führer nicht nur der Rechten um Sharon in ihrer exzessiven Politik ebenso bestärkt, wie es in jegliche US-amerikanische Abenteuer einbezogen wird. Der Weg zum Frieden und zum Ausgleich, gar zum friedlichen Zusammen- und Miteinanderleben in einem künftigen gemeinsamen politischen Gebilde wird lang sein. Die gegenwärtigen Vorzeichen sind dafür denkbar schlecht.

      Autor: Doz.Dr.phil.habil. Stefan Bollinger
      Berlin, den 29.09.2002
      e-Mail StefanBollinger@compuserve.com
      Avatar
      schrieb am 31.10.02 19:40:16
      Beitrag Nr. 27 ()

      Skinheads mit Schläfenlocken - Über rebellische Siedlerbanden

      Der Ha´aretz Korrespondent Usi Benziman stellt die bewaffnete radikale, unter den rechtsradikalen Kreisen unter dem Kosenamen "Hüter der Hügel Jugend" bezeichneten Siedlerbanden in eine Reihe mit den Skinheads in Europa und den USA gleich. Unter der Überschrift "Skinheads mit Schläfenlocken" (Ha´aretz, Okt. 20) schreibt er, so wie die Skinheads übertragen hunderte von gestrickten Kippas (Kopfbedeckung der religiösen Juden) tragende, mit Maschinenpistolen bewaffnete Punks, unter dem falschen Vorwand, aus Liebe für das israelische Vaterland handelnd, ihre rassistische Ideologie in ihre Schläger Praxis. Das hätte nichts, aber auch gar nichts mit Liebe zum Vaterland, mit dem von ihnen vorgegebenen jüdischen Glauben oder mit dem Judentum zu tun, betont Benziman.

      Am Sonnabend, dem 19. Oktober, trieben es diese Banden so weit, sich rebellierend gegen die israelische Besatzer Armee und Polizei aufzulehnen, wobei 18 Soldaten, Soldatinnen und Polizisten zum Teil schwer verwundet wurden. Unter den aufständischen Siedlerbanditen gab es ebenfalls Verletzte und einige wurden zeitweilig verhaftet.

      Der Zusammenstoß ereignete sich, als auf Anordnung des Verteidigungsministers Ben-Elieser der illegal, ohne Bewilligung der Regierung angelegte Siedlungs Außenposten Havat Gilad von der Armee geräumt werden sollte. Etwa eintausend, aus allen Teilen der besetzten Gebiete zusammengezogene und zum großen Teil bewaffnete Siedler, erwarteten die Armee und Polizei Kräfte und widersetzten sich mit Gewalt dem angeordneten Vorhaben der Räumung des Vorpostens.

      Um klazustellen, nicht dieser Vorposten, oder weitere auf Anordnung von Ben-Ellieser zu räumenden 24 Vorposten, oder alle weiteren 110, sind allein illegal. Tatsächlich sind sowohl alle in den seit 1967 besetzten Vorposten mitsamt allen dort angelegten israelischen Siedlungen illegal. Sie alle wurden im krassen Widerspruch und Verletzung von, ich weiß nicht wie vielen Beschlüssen der Vereinten Nationen und ihrem Sicherheitsrat und unter Verletzung der, auch von Israel unterzeichneten internationalen Vierten Genfer Konvention von 1949 errichtet worden. Nebenbei bemerkt hat noch keine einzige USA Regierung, insbesondere die gegenwärtige Bush Administration, welche zur Vorbereitung ihres Agressionskrieges gegen Irak heuchlerisch vorgibt, Krieg führen zu dürfen um Beschlüsse des Sicherheitsrats im Falle Irak umzusetzen, auch die Umsetzung der die israelische Besetzung arabischer Gebiete und deren bedingungslosen Räumung betreffenden Sicherheitsratsbeschlüsse befürwortet.

      Nun schreien die israelischen Ultra-orthodoxen Gewalt, Ben-Eliesers Truppen hätten die heilige Sabbath Ruhe übertreten, als sie die gewaltsame Räumung des Siedlungsvorpostens durchführten. Wunder über Wunder! Noch kein einziges Mal haben diese Hüter der Sabbatruhe nur ein einziges Wort des Tadels erhoben, wenn israelische Panzer auch an Sonnabenden in palästinensische Orte eindrangen, wenn israelische Kampfflugzeuge und Hubschrauber auch an "heiligen" Sabbathen Bomben und Raketen schossen und Palästinenser, darunter unzählige unbewaffnete Zivilisten, Frauen und Kinder ermordeten.

      Am selben vergangenen Sonnabend begingen diese, mit den rassistischen Skinheads in Europa und den USA vergleichbaren Siedlerbanden Überfälle auf mit der Olivenernte beschäftigten Palästinenser und beschossen sie mit scharfer Munition. Dass dabei auch, den Fellachen solidarisch zu Hilfe bei der Ernte gekommene israelische Friedens- und Menschenrechts Aktivisten, unter Beschuss kamen, kümmerte die Banditen herzlich wenig.

      Normalerweise ist der Ertrag aus den Oliven Plantagen eine der wichtigsten Einnahmequellen der landwirtschaftlichen Bevölkerung Palästinas. Jetzt, durch die, von der Besatzermacht durchgeführten Unterdrückungsmaßnahmen, Absperrungen und Ausgehverbote, ist eine ordentliche Einbringung der Ernte weitgehend unmöglich gemacht worden. In vielen, Palästinensern gehörende Oliven Plantagen sind schon benachbarte jüdische Siedler zum Raub der reifen Oliven eingedrungen. Jeder Protest der rechtmäßigen Besitzer, soweit sie einen Weg zu ihrem Besitz finden, wird von den räuberischen Siedlern mit der Schusswaffe beantwortet. Schon am 6. Oktober legten palästinensiche Fellachen Beschwerde bei den Besatzerbehörden darüber ein, dass sie von jüdischen Siedlern mit Gebrauch von Schußwaffen an der Oliven Ernte verhindert wurden.

      Deshalb haben israelische Friedens- und Menschenrechts Aktivisten der Rabbiner für Menschenrechte, des Gusch-Schalom Friedensblocks, der arabisch-jüdischen Ta´ajusch (Gemeinsam) Solidaritätsbewegung, der Frauenkoalition für Frieden und andere seit Beginn des Monats Solidaritätsgruppen in verschiedene palästinensische Olivenplantagen organisiert, um den bedrängten Fellachen bei der Ernte beizustehen.

      Diesen Sonnabend nun kamen einige hundert Israelis den Fellachen zu Hilfe bei der Ernte, annehmend, dies werde die Siedlerbanden davon abhalten, das Pflücken der Oliven zu stören. Das war offensichtlich eine irrige Annahme. Das Pflücken hatte kaum begonnen, als die Rassistenbande ankam. Israelische Helfer riefen ihnen auf Hebräisch zu, sie würden auch jüdische Israelis gefährden, sollten sie wieder von ihren Schusswaffen Gebrauch machen. Aber das half wenig. Wieder schossen sie mit scharfer Munition. Für diese Faschistenbanden sind ja linksrerichtete Friedenskräfte sowieso nur Verräter und den rechtlos gemachten eingeborenen Palästinensern gleichzusetzen.

      Rechtsradikale Politiker, darunter vor allem Anführer der, der Regierungskoalition angehörenden so genannten National-Religiösen Partei, darunter der Kabinett Minister Effi Eitam, sowie rechtsaußen "Oppositions" Knesseth Abgeordete, haben bereits Anträge gestellt, Verteidigungsminister Ben-Elieser wegen der gewaltsamen Räumung einiger Siedlungsvorposten, sowie wegen des Verstoßes gegen die Sabbath Ruhe von der Regierung auszuschließen und vor Gericht zu stellen.

      Um Irrtümer auszuschließen: Die genannten radikalen Banden bestehen aus einer kleinen Minderheit der sich auf geraubtem Boden angesiedelten jüdischen Israelis. Zum großen Teil rekrutieren sie sich aus den Reihen der verbotenen, aber gedulteten KACH Partei des in New-York umgebrachten rassistisch-faschistischen Meir Kahane. Die offizielle Führung der YESCHA Siedlung Gemeindrat Union, die ebenfalls von rechtsradikalen Elementen beherrscht wird, distanziert sich von jenen Banden. Eine große Anzahl der Einwohner der Kolonistensiedlungen sind nicht ideologisch motovierte Kolonisten, sondern ganz normale Bürger, welche die von der Regierung subventierte Wohnunvgsbeschaffung und die landschaftlich herrliche und umweltfreundliche Umgebung als Motiv zur dortigen Ansiedlung ausgenutzt hatten. Viele dieser Siedler haben bereits ihre Zustimmung zu einer Rückwanderung nach Israel innerhalb seiner eigentlichen Grenzen erklärt, wenn die Regierung ihnen dort Ersatz Wohnungen und Arbeit verschaffen werde.

      Hans Lebrecht, Kibbutz Beit-Oren, 20.10.2002
      Quelle: Philosophischer Salon e.V, Berlin


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