checkAd

    Strategische Überlegungen zur Bundestagswahl - eine Aufstellung der Varianten - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 20.09.02 10:54:50 von
    neuester Beitrag 21.09.02 12:18:06 von
    Beiträge: 12
    ID: 635.864
    Aufrufe heute: 0
    Gesamt: 423
    Aktive User: 0


     Durchsuchen

    Begriffe und/oder Benutzer

     

    Top-Postings

     Ja Nein
      Avatar
      schrieb am 20.09.02 10:54:50
      Beitrag Nr. 1 ()
      Wie wähle ich taktisch klug?

      von KLAUS HILLENBRAND

      Glaubt man den Umfragen, haben sechs Parteien eine realistische Chance, an diesem Sonntag in den 15. Deutschen Bundestag einzuziehen - SPD, CDU, CSU, Grüne, FDP und PDS. Keine wird eine absolute Mehrheit erhalten - woraus sich verwirrend viele Möglichkeiten ergeben.

      Sie können natürlich einfach der Partei Ihre Stimme geben, die Ihnen am meisten behagt. Aber wenn Ihre Wahl dazu beiträgt, dass Mehrheitsverhältnisse entstehen, die Koalitionen begünstigen, denen Sie den Teufel an den Hals wünschen? Genau das wird nämlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit passieren. Damit sich aber Ihre wertvolle Stimme nicht in das Gegenteil dessen verkehrt, was Ihnen am Herzen liegt: Wählen Sie taktisch. Die taz zeigt Ihnen, wie.

      1. Die große Koalition. Ist es die große Koalition, die Ihren Wünschen am ehesten entspricht? Immerhin acht Prozent der Bundesbürger teilen laut einer Dimap-Umfrage Ihre Überzeugung. Doch für Sie wäre es dennoch ganz falsch, am Sonntag SPD oder die Union anzukreuzen. Denn damit erhöht sich die Gefahr, dass eine dieser Parteien einen so hohen Stimmenanteil erhält, dass sie eine Koalition mit einer kleineren Partei eingehen kann - was schließlich der eingestandene Wunsch der beiden "Großen" ist.

      Umgekehrt erhöht sich dagegen die Wahrscheinlichkeit einer großen Koalition, je geringer der Stimmenanteil von SPD und CDU/CSU ausfällt. Kommen beide Parteien beispielsweise nur auf jeweils 35 Prozent, müssten ihre Wunschpartner - also Grüne bzw. FDP - schon gewaltig zulegen, um Rot-Grün oder ein konservativ-liberales Bündnis zu ermöglichen.

      Deshalb gilt es für Feunde der großen Koalition, diejenige Partei zu unterstützen, mit denen weder Sozialdemokraten noch Union ein Bündnis eingehen wollen. Wählen Sie also die PDS - auch wenn Sie den Kommunismus hassen und Brie höchstens zum Frühstück genießen möchten.

      Aber: Je stärker die PDS im Bundestag vertreten ist, desto geringer wird die rechnerische Chance auf eine "kleine Koalition". Bei fünf Prozent PDS benötigt Rot-Grün für eine Mehrheit im Bundestag mehr Sitze als CDU, FDP und PDS zusammen. Gleiches gilt umgekehrt für Schwarz-Gelb. Mit der PDS über fünf Prozent benötigt eine kleine Koalition also etwa 48 Prozent aller Stimmen für eine Mehrheit.

      Fehlt die PDS im Bundestag, dürften rund 46 Prozent zur Gründung einer kleinen Koalition genügen - auch deshalb, weil voraussichtlich rund vier Prozent an weitere Parteien fallen werden, die den Einzug in den Bundestag verpassen. Ergo: Ohne die PDS im Bundestag kommt es garantiert zu einer kleinen Koalition.



      2. Rot-Grün. Soll Bundeskanzler Schröder eine zweite Chance erhalten? Eine relative Mehrheit der Deutschen will Rot-Grün weiter regieren sehen: 36 Prozent.

      Wenn Sie es sich einfach machen wollen, können Sie SPD oder Grüne wählen. Für optimistische Taktiker empfiehlt es sich, die Grünen zu begünstigen. Sollte nämlich ihr Stimmenanteil den der FDP übersteigen, dürfte der Druck auf Gerhard Schröder wachsen, einem denkbaren Bündnis mit der FDP eine Absage zu erteilen. Dadurch erhöht sich zwar die Wahrscheinlichkeit, dass die Union zur stärksten Partei avanciert. Das aber ist kein Hindernisgrund zur rot-grünen Koalitionsbildung: 1969, 1976 und 1980 wurde die SPD zur Regierungspartei, obwohl die Union mehr Stimmen und Mandate erhalten hatte.

      Pessimisten sollten dagegen gleich die PDS wählen. Denn die Demoskopen von Allensbach waren sich zuletzt sicher, dass Rot-Grün ohnehin keine Chance hat. Zwar sieht Allensbach SPD und Union fast gleichauf bei 37 Prozent, die Differenz zwischen FDP (10,1) und Grünen (7,2) dürfte jedoch kaum zu überbrücken sein. Also gilt es, eine Koalition von Stoiber und Westerwelle zu verhindern - um jeden Preis! Der Einzug der PDS in den Bundestag macht es Union und FDP viel schwerer, eine eigene Mehrheit zu erhalten. Was dann zumindest die Chance erhöht, dass Schröder Kanzler in einer großen Koalition bleibt.


      3. Rot-Gelb. Sozialliberal ist Ihre Lieblingskonstellation, die von neun Prozent aller Bundesbürger geteilt wird? Dann lassen Sie als Optimist die Finger von der SPD! Bundeskanzler Schröder wird sich nur dann zum Wechsel der Koalition erweichen lassen, wenn die FDP ganz deutlich vor den Grünen rangiert. Wer Westerwelle und Schröder will, muss Westerwelle wählen.

      Pessimistisch eingestellte Sozialliberale können dagegen gerne die Union bevorzugen - dann kommt es wenigstens zu einer Koalition aus Union und FDP.

      4. Schwarz-Gelb. Das Lieblingsprojekt von Ihnen, Edmund Stoiber und 22 Prozent der Deutschen ist in Gefahr! Nach den neuesten Daten der "Forschungsgruppe Wahlen" haben SPD und Grüne (47 Prozent) Schwarz-Gelb (44,5 Prozent) deutlich überholt. Deshalb gilt es jetzt für Pessimisten, die rot-grüne Chaostruppe zu verhindern. So schwer es Ihnen auch fallen mag: Wählen Sie deshalb lieber die Sozialisten von der PDS. Dank des Einzugs der SED-Nachfolger in den Bundestag kommt es wenigstens noch zur großen Koalition - wenn Sie ganz viel Glück haben, unter einem Bundeskanzler Edmund Stoiber. Nur ganz große Optimisten glauben Allensbach und setzen weiter auf eine konservativ-liberale Koalition. Aber Obacht! Eine Stimme für die Union könnte schlussendlich auch zur großen Koalition führen. Setzen Sie besser auf Westerwelle!

      5. Rot-Rot-Grün. Ein Bündnis von Sozialdemokraten, Grünen und PDS hat Gerhard Schröder zwar mehrfach ausgeschlossen, und auch nur jeder hundertste Deutsche präferiert diese Koalition. Aber wenn es um die Macht geht, wird der Kanzler gewiss über seinen eigenen Schatten springen. Ihr Lieblingsbündnis kommt nur dann zustande, wenn es weder für Rot-Grün noch für eine sozialliberale Koalition reicht.

      Zudem müssten Verhandlungen über eine große Koalition oder ein Ampelbündnis aus SPD, FDP und Grünen scheitern. Also sollten Sie Ihre Stimme bei der PDS abgeben, damit diese wenigstens die Fünfprozenthürde übersteigt.

      Allerdings erhöhen Sie damit auch die Chancen für eine große Koalition, was wohl kaum in Ihrem Sinn sein dürfte. Deshalb bietet sich als Alternative die Wahl der Union an. Denn damit verringern Sie die Chance, dass es für Rot-Grün ohne die PDS reicht!


      6. Die Ampel. Guido Westerwelle hat sie ausgeschlossen, Joschka Fischer mag sie nicht, Gerhard Schröder hat keine Lust dazu und nur ein Prozent der Deutschen finden Gefallen daran. Aber die Ampel könnte sich dennoch als Alternative zur großen Koalition durchsetzen, wenn alle anderen Konstellationen rechnerisch unmöglich sind. Dazu dürfen also weder SPD und Grüne noch SPD und FDP, schon gar nicht Union und FDP, aber auch nicht SPD, Grüne und PDS genügend Stimmen einsammeln. Da hilft nur eins: Bleiben Sie zu Hause!

      taz Nr. 6858 vom 20.9.2002, Seite 6, 231 Zeilen (TAZ-Bericht), KLAUS HILLENBRAND
      Avatar
      schrieb am 20.09.02 11:50:02
      Beitrag Nr. 2 ()
      Das ist schönes Beispiel für angewandte Spieletherorie ;)
      Avatar
      schrieb am 20.09.02 11:56:09
      Beitrag Nr. 3 ()
      Mir fällt rein theoretisch auf, dass ich recht häufig die PDS wählen soll. Welch ein Zufall, liebe TAZ!

      Edelmax
      Avatar
      schrieb am 20.09.02 11:58:29
      Beitrag Nr. 4 ()
      ist doch ne lustigere Werbung
      als Schröders Mobilcom Insolvenzverschleppungskredit
      Avatar
      schrieb am 20.09.02 12:03:30
      Beitrag Nr. 5 ()
      @D.T: Wieder an board? :)

      Gruß
      dickdiver

      Trading Spotlight

      Anzeige
      East Africa Metals
      0,1150EUR 0,00 %
      Neues Jahreshoch auf News – wie es jetzt weiter geht!mehr zur Aktie »
      Avatar
      schrieb am 20.09.02 12:30:14
      Beitrag Nr. 6 ()
      @ dickdiver
      naja.... nur ein wenig - es muss mir übrigens dann schon ziemlich wichtig sein....

      Gruß

      D.T.
      Avatar
      schrieb am 20.09.02 17:17:52
      Beitrag Nr. 7 ()
      @ edelmax

      Die Aussagen sind plausibel, es geht hier ausschließlich um Strategische Erläuterungen.
      Avatar
      schrieb am 21.09.02 11:45:21
      Beitrag Nr. 8 ()
      .




      sollte man sich vor dem Wahlgang noch einmal in Ruhe durchlesen:


      http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,179261,00.h…







      .....
      Avatar
      schrieb am 21.09.02 11:59:29
      Beitrag Nr. 9 ()
      Willkommen im Haus der Geschichte!

      Was in jedem Falle von ihm bleibt: Wir zeigen die ersten neun Exponate des Schröder-Zimmers im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland



      Die Rosenschere, die Zigarrenkiste "Königswürde", das Großkreuz des Nationalordens Senegals, der mobile Schreibtisch im Eisenbahn-Salonwagen, die Schnupftabakdose, die Holzstühle aus dem Kaukasus, bald auch die rot-weiß gestreifte Krawatte vom "TV-Duell" - alles Objekte im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die Assoziationen wecken. Konrad Adenauer versonnen im Garten in Rhöndorf, Ludwig Erhard genüßlich beim Rauchen, Kurt Georg Kiesinger lächelnd beim Staatsbesuch, Willy Brandt geschäftig unterwegs im Kanzlerzug, Helmut Schmidt besorgt bei der "Großen Lage" im Kanzleramt, Helmut Kohl konzentriert im Gespräch mit Michail Gorbatschow im Kaukasus, Gerhard Schröder zuversichtlich in Macherpose.

      Diese und viele andere Ausstellungsstücke, zusammen mit Film- und Tondokumenten im Museum in Szene gesetzt, erinnern an markante Sätze aus den Regierungserklärungen. "Wir haben einen klaren Weg vor uns, wir werden diesen Weg gehen" (Adenauer). "Meine Liebe und Kraft werden immer dem ganzen deutschen Volke gehören" (Erhard). "In den letzten Monaten hat mich nichts so sehr beschäftigt wie der Versuch von Publizisten, die Politik dieser Großen Koalition naiv oder bewußt auseinanderzureden" (Kiesinger). "Wir wollen mehr Demokratie wagen" (Brandt). "Keine Regierung kann Wunder vollbringen, das Mögliche aber muß sie mit aller Kraft verwirklichen" (Schmidt). "Die Frage der Zukunft lautet, wie Freiheit, Dynamik und Selbstverantwortung sich neu entfalten können" (Kohl), und "Deutschland ist ein ungewöhnlich starkes Land mit Menschen, die ungewöhnlich leistungsfähig sind" (Schröder). Kernsätze, die Persönlichkeit und Regierungshandeln dokumentieren und in unserem historischen Bewußtsein haftenbleiben sollen.

      Erinnerungen an unsere Kanzler haben auch internationale Facetten, die sich in Bildern einprägen: Adenauer und de Gaulle in Reims, Erhard und Johnson in Washington, Kiesinger und der Schah in Berlin, Brandt kniend in Warschau, Schmidt und Giscard d`Estaing in Paris, Kohl und Gorbatschow im Kaukasus, Schröder und Putin in Moskau. Anerkennungen deutscher Politik auf der Weltbühne durch Ehrungen ihrer Kanzler bleiben lebendig: Adenauer auf dem "Time"-Titelbild, Brandt mit dem Friedensnobelpreis, Kohl als Ehrenbürger Europas, Schröder schließlich als Weltstaatsmann.

      Charakteristische Merkmale der Staatsmänner, die nach Artikel 65 des Grundgesetzes die Richtlinien unserer Politik bestimmen und dafür die Verantwortung tragen, haben Karikaturisten gerne und fleißig aufs "Korn" genommen: Bilder vom "alten Fuchs" Adenauer, der seine Gegner narrt; von der Wahlkampflokomotive Erhard "unter Dampf"; von Kiesinger als Schöngeist auf politischen Abwegen; von dem visionär den Niederungen der Welt entrückten Brandt; von Schmidt, den sein Nachfolger als Lotse die Gangway herabschickt; von Kohl, der gleich zwei Deutschland verkörpert; und von Schröder, dem "Hol mir mal `ne Flasche Bier"-Kumpel.

      Objekte sind mehr als nur Impulse der Erinnerung - vom Kanzler-Mercedes über Zigarren und Orden zu Zigarettenspitzen, Strickwesten und Brioni-Maßanzügen. Sie öffnen den Blick auf die historischen "Markenzeichen" der Geschichte: Westintegration, Wirtschaftswunder, Große Koalition, Wagnis Demokratie, pragmatisches Regierungshandeln in Krisensituationen, Wiedervereinigung und Bekenntnis zur internationalen Verpflichtung der Bundesrepublik in der Welt.

      Die Dauerausstellung des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zeigt mehr als siebentausend Ausstellungsstücke. Keines ist überflüssig, jedes ist von inzwischen mehr als fünf Millionen Menschen jeweils auf andere Weise assoziiert worden. Repräsentative Untersuchungen ergaben, daß nicht nur die großen Objekte, die großen Gesten, die wichtigen Entscheidungen erinnert werden. Von allen ausgestellten Gegenständen wurden in einer Befragung mehr als viertausend verschiedene genannt: von der in der "Elefantenrunde" 1976 von Helmut Schmidt nervös verbogenen Büroklammer über markante Manuskripte bis zu den Mitarbeitern im Umfeld der Kanzler. So "dünn" die Luft auf dem Gipfel auch ist, ohne Umfeld regiert keiner - Menschen, Dinge, Erinnerungsorte und -merkmale. Unsere Besucher merken es sich, nicht anders als die Wähler.

      Hermann Schäfer ist Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Helmut Kohl berief ihn zum Gründungsdirektor des seinerzeit von den Sozialdemokraten mißtrauisch beäugten Bonner Museums, in dem auch Gerhard Schröder seinen Platz finden wird.

      Der Zettel.

      Dieser Zettel ward zum bislang letztenmal gesehen am Donnerstag, dem 18. Juli 2002, um 15.36 Uhr im Willy-Brandt-Haus. Gerhard Schröder las von ihm folgendes ab: "Ich werde den Herrn Bundespräsidenten bitten, Rudolf Scharping aus dem Amt des Bundesverteidigungsministers zu entlassen." Warum las der Mann noch? Der Zettel dürfte doch seit dem Rausschmiß von Oskar Lafontaine zu Beginn der Legislaturperiode in stetem Gebrauch geblieben sein. Oder schrieben seine Mitarbeiter jedesmal einen neuen? Womöglich war das nötig: Wer kennt die Ämter, zählt die Namen? Aber so viel Gedächtniskunst darf man einem Kanzler doch wohl zumuten, daß er eine gleichbleibende Formulierung beim achtenmal endlich frei vorträgt. Zumal es lapidarer ja nicht ging: kein langer Satz zum kurzen Abschied. Mehr hochtrabende Worte kriegt man auf einem so kleinen Schnipsel Papier auch gar nicht unter.



      Die Jacke.

      Schröders Regenkrisenjacke oder Krisenregenjacke ist nicht sondermüllgelb, sondern freundlichgrün. Grün? Der Mensch Schröder, der als Sozialdemokrat an technischen Fortschritt und die Konstruierbarkeit der Gesellschaft durch politische Eliten glaubt und dem der organische Wildwuchs der Natur zutiefst fremd ist, hatte nie eine grüne Seite. Er zog zwar demonstrierend nach Gorleben, aber im Auto. Er hält die Grünen für einen Betriebsunfall der Sozialdemokratie. Doch die ostdeutsche Flut war für den Kanzler als Anlaß perfekt, um wenigstens seine Außenfläche grün zu bedecken. Für Helmut Kohl wanderte ein Stück vom Mantel der Geschichte ins Bonner Haus der Geschichte, er ist aus grobem, grauem Stoff gewebt. Schröder, der Verwandlungskünstler, wird durch das leichte Wundermaterial der ihn prägenden Studentenzeit, den Kunststoff, repräsentiert und durch ein vielseitiges Chamäleongrün.



      Das Bier.

      Der Wille zur Pose erlischt dem, der etwas in sich hineingießt. Rauchen wie Reden mag absichtsvoll erfolgen. Aber kein Machthungriger löscht seinen Durst mit etwas, das seiner Triebstruktur nicht entspräche. Aufschlußreich ist also das geflügelte Wort des Kanzlers: "Homima `ne Flasche Bier, sonst streik` ich hier." Es bekundet die Indifferenz dieses Durstigen gegenüber nachrangigen Unterscheidungen wie Pils, Export oder Weizen; die Verachtung auch der unsinnig kleinen Korruption kölscher Art. Flaschenbier erinnert ans moderne Fließband, nicht ans alte Faß. Flasche Bier, das ist vor allem: nichts Gezapftes, auf das gewartet werden muß. Her damit, sonst werd` ich Proletarier. So bölkt, wer gleich den Stoff und nicht erst noch den Schaum begehrt. Was fehlte? Das kleine Zauberwort mit Doppel-T: Aber flott!



      Die Asche.

      Die Asche einer guten Zigarre zerfällt nicht in Flocken. Sie bleibt in der Form eines Türmchens zurück: kompakte, doch luftige Zylinder, die von feinen Adern und Graten durchzogen werden, anhand deren man Struktur und Wicklung der Vegas (Blätter) sozusagen in verflüchtigt-verewigter Form erkennen kann (vgl. dazu G. F. W. Hegele, "Die Phänomenologie des Zigarrengeistes", S. 33 ff.). Je weniger Türmchen pro Zigarre übrigbleiben (im Idealfall höchstens drei), je mehr man die Geduld hatte, sie unabgestreift sich bilden zu lassen, desto kultivierter der Raucher. G. Schröder hat 1985 auf Vermittlung des maximo líder (i. e. Fidel Castro) mit dem Rauchen der "Cohiba" angefangen, die seit 1982 auf dem Markt ist. Das hier gezeigte Türmchen einer "Siglo III" (laut den kubanischen Revolutionsstatuten "sehr gut geeignet für den Genuß nach Tisch") ist allerdings keines: flockig-hockig, nahehin zum Verwehten, weil zu lange in wechselnde Windrichtungen gehalten. Muster ohne "Cohiba"-Wert. Aber ein echtes Schröder-Türmchen.



      Das Lächeln.

      "Ein moderner Kater für ein modernes Land", stand auf dem Plakat geschrieben. Der Kater lächelte nur, als er zu Alice hinuntersah. Er sieht gutmütig aus, dachte sie; die Krallen waren abgeschliffen und die Zähne gezogen. Trotzdem hatte sie das Gefühl, daß sie ihn mit Respekt behandeln sollte. "Herr Lächelkater", sprach Alice ihn an. "Würden Sie mir freundlicherweise sagen, welchen Weg ich einschlagen muß, um in das moderne Land zu gelangen?" "Das hängt zum guten Teil davon ab, welchen Modernitätsbegriff du hast", erwiderte der Kater. "Begriffe interessieren mich nicht so sehr . . .", sagte Alice. "Dann kommt es auch nicht darauf an, welchen Weg du nimmst", warf der Kater ein. ". . . ich will nur nicht unmodern aussehen", setzte Alice erklärend hinzu. "In diesem Fall mußt du dich meiner Führung anvertrauen", riet der Kater. "Und wo gehst du hin?" wollte Alice wissen. "Ich? Ich folge dir überallhin." Das Lächeln des Katers wurde breiter und breiter. Da mußte auch Alice lächeln. "Wir sehen uns dann im modernen Land", sagte der Kater und begann ganz langsam zu verschwinden, wobei er mit der Schwanzspitze anfing und mit dem Lächeln aufhörte, das noch einige Zeit sichtbar blieb, nachdem das übrige verschwunden war. "Soso. Ich habe oft einen Kater ohne Lächeln gesehen", dachte Alice, "aber ein Lächeln ohne Kater? Das ist also modern."



      Die Locke.

      Die Frage durchzieht das Buch nicht ohne Grund wie eine einzige graue Strähne: die Frage nämlich in Thomas Manns Familienverfallsgeschichte "Buddenbrooks", was es mit der jahrzehntelang unverändert rötlichblonden Haarpracht der Konsulin Betsy B. auf sich habe. Nicht einmal auf dem Totenbett wird das Geheimnis gelüftet. Fest steht nur: Das Haar ist das einzige, was in ihrem und ihrer Familie Fall dem Verfall trotzt. Auch Gerhard Schröders Haar ist, wie er juristisch beweisen ließ, von vier Jahren Kanzlerschaft nicht ergraut. Deshalb würde eine Schröderlocke auf jeden Fall in ein zukünftiges Kanzlermuseum gehören. Wie bei Christoph Daum ist in diesen Haaren die jüngere Vergangenheit abgelagert und nachweisbar - Reste von vier Regierungsjahren, etwa dies: ohne Scheuklappen auf biometrische Analysen und Präimplantationsdiagnostik zuzugehen. Und wer weiß: Vielleicht fände man ja irgendwann in diesem Haar ein Gen, das Ergrauen verzögert. Dann hätte Schröder bald für immer eine Mehrheit, auf allen Köpfen.



      Die Brille.

      Wann immer Gerhard Schröder in den letzten vier Jahren auf Gedenkveranstaltungen, Fachtagungen oder auf irgend sonst dem Reich der Tagespolitik enthobenen Podien zu reden hatte, versah er sich mit einer Brille - mal Stahl, mal Horn. An Schröder, der eigentlich, anders als sein Vorgänger Kohl und sein Rivale Stoiber, kein Brillenträger ist, wirkte dieses Utensil erstaunlicherweise nicht wie ein solches, sondern zum ersten Mal wie ein Kleidungsstück: wie etwas, das man zum passenden Anlaß trägt. Auch Helmut Schmidt hatte als Kanzler geschliffene Sehhilfen strategisch eingesetzt, aber bei Schröder sah man am gesenkten Blick durch die Brille auf Studio- oder Paulskirchenpublikum zugleich, wie sehr sie ihm fremd war. Sie verzerrte seinen Populismus ins Professorale, Neuphilologische, sie gab ihm die Aura eines Bedenkenträgers ohne Bedacht. Ähnlich ungelenk hatte Helmut Kohl nur bei seiner Amtseinführung im Cut ausgesehen. Bei Schröder saß nun der Schwalbenschwanz oben.



      Der Brioni.

      Es war vor allem die Perfektion der Pose, die verblüffte, als sich Schröder kurz nach Amtsantritt mit einem Brioni-Anzug für eine Modezeitschrift fotografieren ließ. Da stand einer, der die Gesetze der Branche, das Schillern zwischen Rolle und Charakter, Authentizität und Ironie, Substanz und Oberfläche, von Natur aus zu beherrschen schien. Schröder präsentierte sich ernst, doch zugleich im vollen Bewußtsein dessen, daß die ihm durch das Amt übertragene Macht mit seiner physischen, durch exakte Stilisierung hervorgerufenen Ausstrahlung aufs schönste zusammengeht. Dieser einmalige Akt hatte programmatischen Charakter: Die Selbststilisierung wird nicht länger als schamhaft versteckte Begleiterscheinung des Eigentlichen (Politischen) behandelt; sie wird selbstbewußt als dessen integraler Bestandteil verkauft. Das "moderne Regieren" ist professionell, weil es spielerisch ist, und umgekehrt.



      Der Schutzhelm.

      Diesen Bauarbeiterhelm trug der Kanzler nicht, als er so tat, als könne er Holzmann retten, sondern auf einer einsamen Bohrinsel in der tosenden Nordsee, an dem Tag, als er die Journalistin Doris Köpf freite. Der Helm, der den Namen des norwegischen Konzerns Statoil trägt, ist kein Symbol des Klassenkampfs, sondern ein Relikt aus der Zeit des Rittertums. Auf dem Originalfoto sieht man hinter Schröder seine künftige Frau ihren künftigen Doppelnamen herbeisehnen. Doch das ist nichts fürs Museum, sondern nur fürs Poesiealbum. Als Bildlegende zum Helm empfiehlt sich der Hinweis, daß dieses Foto so sehr im kollektiven Bildgedächtnis der deutschen Sozialdemokratie verankert ist, daß Franz Müntefering im Frühjahr 2002 unwidersprochen fordern durfte: "Wir müssen den Helm enger schnallen." Und dann dachten alle an Nordsee, Gegenwind und Koalitionen.



      Alles Objekte im Bonner Haus der Geschichte, die Assoziationen wecken: Erinnerungen an unsere Kanzler haben Facetten, die sich in Bildern einprägen.

      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.09.2002, Nr. 220 / Seite 31
      Avatar
      schrieb am 21.09.02 12:03:27
      Beitrag Nr. 10 ()
      Wörter-See
      Rot-Grün

      Von Susanne Scheerer


      21. Sep. 2002 Mit der Kleidung ist man gnädig, sortiert die unmodischen Stücke aus, trägt sie in den Second-Hand-Laden um die Ecke. Dort bekommen die Klamotten eine zweite Chance. In der Politik gibt es dieses sanfte Recycling nicht. Wer dort den Schrank der Macht verlassen muss, landet in irgendeiner Schublade oder - wie bei Wilhelm Busch - zu Schrot vermahlen auf dem Hühnerhof der Geschichte.

      Obwohl das rot-grüne Trikot an Strahlkraft verloren hat, werben Gerhard Schröder und Joschka Fischer für eine zweite Chance. Verwaschen und zerknittert hängt ihr Tuch auf der Stange. Vier Jahre sind eine lange Zeit. Da kommt manches aus der Form und aus der Mode. Dabei hat das Duo viel getan, um das einst so attraktive Zwei-Farben-Textil den Zeitläufen anzupassen. Mal waren sie lässig und sportlich, mal elegant und neureich; mal joggte der eine zu sich selbst und wurde Asket, mal schmauchte der andere eine Havanna nach der Curry-Wurst. Heute blicken beide nur noch ernst und staatsmännisch ins Publikum. Regieren macht doch keinen Spaß.

      Kosovo, Mazedonien, Afghanistan

      Beinah hätte Rot-Grün damit geendet, womit es im Frühjahr 1999 seine Amtszeit begann: mit einem Kriegseinsatz. Doch glücklicherweise befindet sich die Irak-Frage noch in der Schwebe. Die letztgültige Antwort aus Berlin ist vertagt bis auf die Zeit nach dem 22. September.

      Zu den Besonderheiten dieser Koalition gehört, dass die außenpolitischen Anforderungen die innenpolitischen Notwendigkeiten immer wieder einholten, Kräfte verschlissen: Kosovo, Mazedonien, Afghanistan. Andererseits verschafften die Krisenherde vor allem dem Kanzler Verschnaufpausen in der Innenpolitik. Doch aus den Pausen wurde eine Viertel-Periode, wurde Programm. Ein Jahr lang regierte in der Hauptstadt die ruhige Hand. Dann kam Hartz als bestellter Retter der Arbeitslosen. Noch gibt es nur ein Konzept. Ob es funktioniert, wird sich in dieser Legislatur nicht mehr erweisen.

      Schröder und Fischer plagt ein Glaubwürdigkeitsproblem: Was für Rot die Arbeitslosen sind, ist für Grün der Verlust des pazifistischen Anspruchs. Kriegserwachen in der Fischer-Partei. Der Kanzler und sein Vize waren bemüht, ihr Dilemma zu rechtfertigen: Schröder nahm Zuflucht bei der lahmenden Konjunktur, Fischer blickte tief in den Brunnen der Geschichte und sah: Auschwitz.

      Statt dritter deutscher Weg

      Wer steht nun besser da? Lässt man Eichel und Riester, Steuern und Rente beiseite, ist zu erkennen, dass die großen gesellschaftspolitischen Reformen vor allem auf das grüne Konto gehen: Atomausstieg, Homo-Ehe, Doppelpass, Zuwanderung, Agrarreform. Die Sozialdemokraten konnten ihr wichtigstes Versprechen nicht einlösen: An der Zahl von 3,5 Millionen Arbeitslosen hat sich Schröder verhoben. Seine Lehre aus dem Desaster ist kein dritter, sondern ein deutscher Weg. Für die so genannte Neue Mitte interessiert sich der Kanzler seit dem Siechtum der New Economy sowieso nicht mehr. Kurz vor Toresschluss besinnt sich die Schröder-SPD wieder auf ihre Wurzeln, entlässt die Gewerkschaften aus ihrer Reform-Pflicht. Biederkeit statt Aufbruch.

      Vier Jahre sind eben eine lange Zeit. Da kommt manches aus und manches wieder in Mode. Formlos, farblos hängt das rot-grüne Trikot auf der Stange. Wer holt es aus dem Schrank und zieht es noch einmal über?

      Text: @see, faz
      Avatar
      schrieb am 21.09.02 12:07:40
      Beitrag Nr. 11 ()
      rot-rot-grün.
      scheidet genau so aus wie
      schwarz-grün
      keine innerparteilichen merheiten
      :p
      Avatar
      schrieb am 21.09.02 12:18:06
      Beitrag Nr. 12 ()
      Schröders neue Holzmann-Nummer:


      MobilCom-Vorstand informiert Mitarbeiter erst nach der Wahl (Update)

      Der Vorstand des angeschlagenen Telecom-Unternehmens MobilCom wird die Arbeitnehmer frühestens in der nächsten Woche und damit nach der Bundestagswahl über das Zukunftskonzept für das Unternehmen informieren. Die Arbeitnehmerseite bemühe sich um einen Termin in der kommenden Woche, sagte Kai Petersen von der Gewerkschaft IG Metall am Donnerstag in Büdelsdorf. Es gebe keinen Zeitdruck; die Gewerkschaft habe es nicht eilig. :D :laugh: Spekulationen um den Abbau von bis zu 2000 Arbeitsplätzen nannte Petersen "ein unwürdiges Schauspiel".

      Die politische Auseinandersetzung um die staatlichen Hilfen für MobilCom setzte sich auch am Donnerstag fort. Der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Alfred Tacke, attackierte den Unions- Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU), der eine nachträgliche Lockerung der strengen Bedingungen für eine UMTS-Mobilfunklizenz ins Spiel gebracht hatte. Mit der Forderung, einen Handel mit den Lizenzen zuzulassen, werde große Unsicherheit in den Markt getragen, sagte Tacke. "Man muss zu den Auktionsbedingungen stehen. Sie sind unabänderbar", erklärte er.

      Tacke betonte, dass die Bundesregierung keinen Einfluss auf die Entscheidungen der MobilCom-Geschäftsführung nehme. Auch über die Frage von Entlassungen müsse im Unternehmen selbst entschieden werden. Der Staatssekretär reagierte damit auf Gerüchte, nach denen die Regierung Druck auf MobilCom ausgeübt habe, in dieser Woche keine Zahlen über den zu erwartenden Arbeitsplatzabbau zu veröffentlichen. "Wir sind in denn Wahlkampf geraten; das haben wir uns nicht ausgesucht", sagte dazu Unternehmenssprecher Quaritsch. MobilCom hatte erklärt, es müssten mehrere hundert Stellen wegfallen. (dpa) / (tol/c`t)


      Beitrag zu dieser Diskussion schreiben


      Zu dieser Diskussion können keine Beiträge mehr verfasst werden, da der letzte Beitrag vor mehr als zwei Jahren verfasst wurde und die Diskussion daraufhin archiviert wurde.
      Bitte wenden Sie sich an feedback@wallstreet-online.de und erfragen Sie die Reaktivierung der Diskussion oder starten Sie
      hier
      eine neue Diskussion.
      Strategische Überlegungen zur Bundestagswahl - eine Aufstellung der Varianten