Horkheimer- Einer der Väter des Zeitgeistes - 500 Beiträge pro Seite
eröffnet am 09.05.04 17:12:11 von
neuester Beitrag 09.05.04 21:50:52 von
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Die Ideologen der Frankfurter Schule
Teil 1: Max Horkheimer (1895-1973)
von J. Hoefele, M. Nestor
Wenn von der «Frankfurter Schule» oder der «Kritischen Theorie» die Rede ist, dann denkt man an Namen
wie Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuseu und Jürgen Habermas, aber auch an die
Studentenrevolte von 1968, die in Theorie und politischer Praxis von der «Kritischen Theorie» der
«Frankfurter Schule» genährt wurde. Durch die Studentenbewegung der 68er Jahre erhielt die «Kritische
Theorie» der «Frankfurter Schule» ihre spürbare Breitenwirkung; die Protagonisten haben auf ihrem langen
Marsch durch die Institutionen bis heute Politik und Gesellschaft auf allen Ebenen beeinflusst.
Frankfurter Schule?
Namhafte Exponenten der 68er Bewegung besetzen
heute Führungspositionen und Institutionen und
lenken mit ihren Entscheidungen das gesellschaftliche
und politische Leben. Themen, die damals von der
«Kritischen Theorie» vorgedacht wurden, bestimmen
heute weit gehend das Denken in Gesellschaft,
Wirtschaft und Politik.
Deshalb - um Hintergründe, Absichten und Ziele
der heutigen Meinungsmacher in Medien,
Gesellschaft, Politik und Staat verstehen und
einordnen zu können - sollen die Theorien der
«Frankfurter Schule» oder eben, soll die «Kritische
Theorie» dargestellt werden. Denn auch die junge
Generation hat ein Recht zu erfahren, was die
historischen, philosophischen, geistigen und radikalpolitischen
Hintergründe derer sind, die heute das
Ruder in Familien-, Schul- und Wissenschaftspolitik,
in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat in ihren Händen
haben.
«Kritisch» nennt sich die Theorie von Horkheimer,
Adorno, Marcuse wegen ihrer grundsätzlichen
Negation der bestehenden bürgerlich-kapitalistischen
Gesellschaftsordnung, die angeblich die Menschen
ihrer wahren Bedürfnisse entfremde und deshalb
unterdrücke. Das kapitalistische Wirtschaftssystem
zwinge die Menschen in Lohnabhängigkeit und
soziale Unterdrückung. Es müsse deshalb überwunden
werden - darin folgen sie Marx, Engels und Lenin.
Neu ist jedoch, dass sie die revolutionäre Strategie
gegen die kapitalistische Wirtschaft und Gesellschaft
auf alle gesellschaftlichen und kulturellen
Institutionen wie etwa Schule, Universität, Familie,
Kirche und Staat ausdehnten. Denn, so meinten sie,
der «subjektive Faktor», der Charakter des Menschen
sei durch Familie und andere kulturelle Institutionen
so an die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse
angepasst, dass er die revolutionäre Veränderung der
«objektiven» politisch ökonomischen Verhältnisse
hemme. Die «Kritische Theorie» verbindet
demzufolge marxistische Kritik am Kapitalismus mit
Charakterpsychologie - namentlich mit der
Triebtheorie Sigmund Freuds. Hinzu kommt
gesellschaftskritische Philosophie, vermischt mit
subversiven Strategien des Kulturkampfes, vor allem
gegen die Autoritäten in Schule und Erziehung, in
Familie, Kirche und Staat.
Biographische Notiz
Max Horkheimer (1895-1973) wurde als einziger
Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten in Stuttgart
geboren. Während des Ersten Weltkrieges war er
Juniorchef im Betrieb seines Vaters und musste
deshalb am Krieg nicht teilnehmen.` In
Tagebuchaufzeichnungen und Novellen,
veröffentlicht unter dem Titel «Aus der Pubertät»,
wird eine früh empfundene Abneigung gegen die
Welt seines Vaters, gegen die Welt der Fabrikanten,
der bürgerliche Werte und Normen deutlich. In einer
Erzählung, geschrieben im Jahr 1916, findet die
Hauptperson, der Arbeiter Steirer, seine Geliebte in
den Armen des Fabrikantensohnes, bringt diesen um
und begibt sich mit dem Mädchen auf die Flucht.
Dabei sagt er zu ihr: «Wenn Menschen wie er gut sein
können, Menschen deren Vergnügungen und Bildung
(...) mit soviel Unglück anderer erkauft sind, dann
kann auch meine Tat nicht schlecht sein. Der
Unterschied zwischen ihm und mir ist nur der, dass
ich handeln musste ( ... ), während er bequem sein
und geniessen durfte und nicht erfuhr, was der Genuss
kostet und wie blutig, er ist.
Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Pollok holt
Horkheimer das Abitur nach und beginnt 1919 das
Studium der Psychologie, Philosophie und
Nationalökonomie, zunächst in München, dann in
Frankfurt. 1920 wird er von seinem Professor zu
Husserl nach Freiburg empfohlen, wo er auch
Heidegger kennenlernt, dessen
existenzphilosophischer Ansatz nachhaltig sein
Denken beeinflusst.
1924 trifft Horkheimer mit Adorno zusammen.
Dieser schreibt seinem Freund Leo Löwenthal,
Pollock und Horkheimer seien «sehr ungewöhnliche
Menschen», beide «übrigens Kommunisten». 3 1925
habilitiert Horkheimer und wird Privatdozent. Da er
zu gehemmt ist, seine Vorlesungen ohne genauestens
ausgearbeiteten Text zu halten, begibt er sich in
Psychotherapie bei dem Mitbegründer des
«Frankfurter Psychoanalytischen Instituts», Karl
Landauer.
Das Institut für Sozialforschung
Im Jahr 1930 übernimmt Horkheimer die Leitung des
Instituts für Sozialforschung, wie sich das frühere
Institut für Marxismus inzwischen nannte. Es war der
Universität Frankfurt am Main angeschlossen und
beschäftigte vorwiegend kommunistische Mitarbeiter
und Doktoranden.` Dass Horkheimer die Leitung
übergeben wurde, überraschte. Er gehörte bis dahin
weder zum engeren Mitarbeiterkreis des Instituts,
noch hatte er sich vor 1930 akademisch besonders
hervorgetan. Ausser einer unauffälligen
Habilitationsschrift und drei oder vier Gedenkartikeln
hatte er bis dahin nichts veröffentlicht.
Horkheimers gleichzeitige Berufung auf den
Lehrstuhl für Philosophie an der Universität zu
Frankfurt war - so Adornos Freund Löwenthal- eher
das Ergebnis «strategischer Planung».` Sein Vorteil
bestand darin, dass er auf die Universitätskollegen
vertrauenswürdiger wirkte als sein Vorgänger, der
sich offen zum Marxismus bekannt und damit dem
Institut einige Unannehmlichkeiten politischer Art
eingehandelt hatte. Horkheimer hingegen eignete sich
besonders gut, weil er relativ unbekannt war und «den
Namen Marx selten in den Mund nahm».6 Damit aber
war es gelungen, einen Marxisten auf einen
ordentlichen Lehrstuhl der Philosophischen Fakultät
zu bringen, der gleichzeitig die Institutsleitung
übernahm.
Unter dem Dach des Instituts für Sozialforschung
war auch das Frankfurter Psychoanalytische Institut
untergebracht, in dem Erich Fromm lehrte, der bis
zum Bruch mit Horkheimer auch mit dem Institut für
Sozialforschung zusammenarbeitete. Fromm gehörte
neben Wilhelm Reich in den späten 20er und frühen
30er Jahren zu den radikalen Linksfreudianern, die
die Freudsche Trieblehre mit dem Marxschen
Klassenkampf verbanden. Deren Grundidee war,
Gefühle der Unzufriedenheit im Menschen
aufzuspüren und die entfesselten Triebe gegen die
herrschende Klasse in Gesellschaft und Staat zu
richten. So wurde die Triebtheorie Freuds zur
Klassenkampfstrategie instrumentalisiert.
Horkheimers theoretisches Konzept der frühen 30er
Jahre, insbesondere die «Studien über Autorität und
Familie», waren stark von diesem Gedanken
durchdrungen.
Zu den Aufgaben des Instituts gehörte die
Herausgabe der Werke von Marx und Engels sowie
die Veröffentlichung der Zeitschrift für
Sozialforschung (ZfS). Darüber hinaus ging es vor
allem um die Förderung junger kommunistischer
Akademiker. Horkheimer wollte die «Krise des
Marxismus» überwinden, indem er die marxistische
Ideologie und Strategie den Zeiterfordernissen
anzupassen versuchte.7Nach marxistischdialektischer
Geschichtsauffassung, hätte nämlich im
krisengeschüttelten Deutschland der 20er Jahre die
proletarische Revolution ausbrechen müssen. Deshalb
stellte sich nun die Frage, warum sie nicht gekommen
war und wie sie hätte herbeigeführt werden können.
Horkheimers Antwort: Die psychische Entwicklung
der Individuen habe sich der revolutionären
Umgestaltung der Gesellschaft entgegengestellt, weil
die Menschen an die bestehende Gesellschaft
angepasst waren. Deshalb müssten all jene Bereiche
des kulturellen Lebens untersucht werden, die das
Individuum an die bestehende Gesellschaftsordnung
anpassten, allen voran die Familie, die Schule, die
Kirche, Rechtsprechung und Politik.
Damit sollte der Weg für das geebnet werden, was
Michel Foucault in den 80er Jahren «kulturelle
Attacke» nennen sollte. Zunächst mussten junge,
marxistisch geschulte Intellektuelle in allen einzelnwissenschaftlichen
Bereichen herangezogen werden,
die dann den «Marsch durch die Institutionen»
antreten sollten, wie von Dutschke später explizit
`gefordert. Diese Strategie lief darauf hinaus, in einer
nichtrevolutionären Situation Institutionen wie
Familie, Schule, Universität, Wissenschaft, Kirche,
Rechtsprechung und Politik zu unterwandern, die den
verhassten Kapitalismus aufrecht erhielten. So sollte
die revolutionäre Situation vorbereitet werden, die
schliesslich zur Überwindung des kapitalistischen
Wirtschaftssystems führen sollte.
Der Angriff
auf Autorität und Familie
Horkheimers «Autorität und Familie» (1936) ist eines
der Schlüsselwerke der «Frankfurter Schule». Bereits
hier sind wesentliche Grundzüge der späteren
Theorien Horkheimers, Adornos und Marcuses
vorgezeichnet. Es greift Vorarbeiten Erich Fromms
auf, der psychoanalytische Studien über die Familie
mit der Marxschen Klassentheorie der Gesellschaft
verbunden hatte.
Horkheimer stimmt Marx zu, dass ökonomische
Gesetzmässigkeiten die gesellschaftliche
Entwicklung, bestimmten. Es liesse sich aber «die
Handlungsweise der Menschen in einem gegebenen
Zeitpunkt nicht allein aus ökonomischen Vorgängen
erklären».8 Vielmehr sei es ihr Charakter, mit dem die
Menschen auf die Entwicklungen in Wirtschaft und
Gesellschaft reagierten. Und weil der Charakter vor
allem durch Institutionen wie Familie, Schule, Kirche
geprägt werde, müsse man auch sie in die
gesellschaftskritische Betrachtung einbeziehen.
Horkheimer sieht wie Marx die gesamte bisherige
Geschichte als eine Geschichte der Herrschaft von
Menschen über Menschen an. Die bisherige
Geschichte sei «durch Über- oder Unterordnung von
Klassen gekennzeichnet». Deshalb stehe bei der
Mehrheit der Menschen das Fühlen, Denken und
Handeln im Zeichen der Unterordnung. Diese habe
nur durch Belohnung, oder Strafe durch eine Autorität
erzwungen werden können. «Autorität ist daher eine
zentrale geschichtliche Kategorie.»
Die Autoritätsgläubigkeit, die zur Aufrechterhaltung der
bestehenden gesellschaftlichen Ordnung nötig sei, werde
vor allem durch Familie, Schule, Kirche, Religion und
Philosophie in die Gemüter der Menschen eingepflanzt, sei
es als Glaube an die Autorität des Vaters, als Glaube an die
Allmacht Gottes oder als Glaube an ewig gültige
metaphysische Prinzipien, denen der Mensch und die
Gesellschaft unterworfen sei.
Die Familie ist für Horkheimer «eine der
wichtigsten erzieherischen Agenturen»," die das Kind
bereits im zartesten Alter daran gewöhne, sich der
Autorität des Vaters unterzuordnen. Das Kind habe
grundsätzlich Gehorsam zu üben und die ihm
auferlegte Pflicht zu erfüllen. «Der Eigenwille des
Kindes soll gebrochen und der ursprüngliche Wunsch
nach freier Entwicklung seiner Triebe und
Fähigkeiten durch den inneren Zwang zur
unbedingten Pflichterfüllung ersetzt werden.» So
erziehe die Familie «zum autoritären Verhalten in der
Gesellschaft», das nötig sei, um die von der
bürgerlichen Gesellschaft erzwungene Über- und
Unterordnung aufrechtzuerhalten.
Dieses Verhältnis von Über- und Unterordnung sei
in der «patriarchalischen Kleinfamilie» durch die
Rolle des Vaters gegeben. «Er ist Herr im Haus, weil
er das Geld verdient oder wenigstens besitzt»; «der
Umstand jedoch, dass in der normalen bürgerlichen
Familie der Mann das Geld, diese Macht in
substantieller Form, besitzt und über seine
Verwendung bestimmt, macht Frau, Söhne und
Töchter auch in der neueren Zeit zu den «Seinen»,
gibt ihr Leben weitgehend in seine Hand, zwingt sie
zur Unterordnung unter Leitung und Befehl». 14
Horkheimer spricht von der daraus resultierenden
«Verzweiflung, von Frauen und Kindern», dem «Raub
an ihrem Lebensglück» von der «materiellen und
psychischen Ausbeutung» infolge «der ökonomisch
begründeten Vormachtstellung des Vaters».15
Und weiter: «Die Monogamie in der bürgerlichen
Männergesellschaft setzt die Entwertung des
Genusses aus reiner Sinnlichkeit voraus.» 16 So
erzwinge die Familie - und hier knüpft Horkheimer an
Fromms triebpsychologische Studien der 20er und
30er Jahre an - die Unterdrückung der Sexualität, die
es von der patriarchalischen Struktur und Moral der
bürgerlichen Kleinfamilie zu befreien gelte.
Wir sehen bei Horkheimer bereits alle
Kampfthemen des Neomarxismus angesprochen, die
bis in unsere heutige Zeit hineinwirken: Die Rede von
der «Männergesellschaft», «Unterdrückung der Frau»,
«sexueller Ausbeutung», «patriarchalischer
Kleinfamilie» als «erzieherische Agentur» des
Kapitalismus, Unterdrückung des «Genusses aus
reiner Sinnlichkeit» usw. Daraus folgten Forderungen
wie Auflösung und Ersatz der patriarchalischen
Kleinfamilie durch andere Lebensgemeinschaften,
Emanzipation der Frau, verstärkte Erwerbstätigkeit
der Frau (zwecks Aufhebung der ökonomischen
Abhängigkeit), Recht auf ausserehelichen
Geschlechtsverkehr und sexuelle Befreiung ganz
allgemein, antiautoritäre Erziehung, Kampf gegen die
bürgerliche Moral, gegen die
abendländisch-christliche Kulturtradition, Kampf
gegen Autoritäten in Schule, Kirche, Gesellschaft und
Staat.
Der einzelne Mensch sollte so aus den Bindungen
an Familie, Tradition, Religion und kulturelle Werte
herausgelöst werden; denn die «Kritische Theorie»
sah in ihnen nur Ketten, durch die jeder an das
verderbte System gekettet sei.
Alter Wein in neuen Schläuchen:
Die «Kritische Theorie»
Nach dem gleichen Schema, mit dem Horkheimer die
Institution Familie und die trauenden Werte der
abendländisch-christlichen Kultur einer Radikalkritik
unterzieht, geht er auch gegen Wissenschaft und
philosophische Tradition vor. Sein 1937
veröffentlichter Aufsatz «Traditionelle und kritische
Theorie» 17 zielt darauf ab, Akademiker und
Intellektuelle «aus den Fesseln» ihres falschen, an die
Tradition gebundenen Denkens zu lösen. Als
«traditionelle Theorie» fasst Horkheimer alle
philosophischen Ansätze seit der Antike zusammen,
die sich auf objektive Aussagen, die (menschliche)
Natur und absolut gültige Werte berufen.
Die «Kritische Theorie», ein «Tarnbegriff» für
Marxismus, lehnt alle objektiv gültigen Werte und
Wahrheiten ab. Diese seien immer nur historisch
bedingt und relativ. In schlechten Verhältnissen
könne nur falsches Bewusstsein entstehen. Was als
ewig, gültig, ausgegeben werde, verewige nur die
schlechten Verhältnisse. Die «kritische Theorie»
entlarve dies als Lüge und mache damit den Weg frei,
aus dem falschen Bewusstsein herauszutreten, die
wahren Ursachen der schlechten Verhältnisse zu
erkennen und die «Herrschaft der Wirtschaft über den
Menschen» zu überwinden. Das ist Marxsche
Dialektik pur, getarnt als «kritische Theorie».
Ganze Studentengenerationen bekamen die
«Traditionelle und kritische Theorie» in den 60er und
70er Jahren als Pflichtlektüre vorgesetzt. Die
Marxschen Kampfbegriffe werden ersetzt:
«Revolution» heisst jetzt «Negation des
Bestehenden». «Diktatur des Proletariats» ist zu
«Vergesellschaftung» des Menschen geworden,
«Kommunismus» zu «vernünftige Gesellschaft». Als
ob nicht schon in den 30er Jahren die Greuel der
kommunistischen Diktatur deutlich gewesen wären!
Die «Kritische Theorie» tut aber geschickt so, als
stünde sie in der philosophischen Tradition seit der
Antike, obwohl sie mit allen Grundlagen gebrochen
hat. Sie behauptet - Marx folgend -, wahre Vernunft,
Freiheit und Humanität, von der die bisherigen
Philosophen nur geredet hätten, seien erst nach der
Revolution in einer klassenlosen Gesellschaft
praktisch möglich. In diesem Sinn, so Horkheimer,
«bewahrt die kritische Theorie über das Erbe des
deutschen Idealismus hinaus das der Philosophie
schlechthin».11 Die «Kritische Theorie» entspreche
dem Denken von Platon und Aristoteles, weil sie den
Menschen in der Totalität der gesellschaftlichen
Verhältnisse einordne und nicht
einzelwissenschaftlich fragmentiert betrachte. Sie
stehe in der Tradition des Deutschen Idealismus seit
Kant und habe diese weiter entwickelt.
Dabei könnte der Gegensatz nicht grösser sein:
Platon und Aristoteles gehen von der Natur des
Menschen aus. Marx und die «Kritische Theorie»
leugnen die Natur des Menschen. Der deutsche
Idealismus, Goethe, Schiller und Humboldt waren
angewidert vom Terreur der zweiten französischen
Revolution und der Diktatur Robbespierres. Marx sah
sich in der Tradition der Jakobiner.
Solche Vermischungen der Marxschen Lehre mit
völlig entgegengesetzten Geistesströmungen lagen
ganz in der Strategie der Frankfurter Schule. Liberale
kritische Akademiker begeisterten sich so für die
Ideen und revolutionäre Strategie des Marxismus,
weil sie anscheinend etwas mit Mitmenschlichkeit,
sozialer Gerechtigkeit und kritischem Denken zu tun
hatten. Die Berufung auf die besten philosophischen
Traditionen sollte die Herzen der Intellektuellen
ansprechen. Das alte Marxsche Ziel ist letztlich
geblieben: Revolution und Diktatur. Dazu bedürfe es
aber zunächst der «Aufhebung der gesellschaftlichen
Verhältnisse, welche die Entwicklung gegenwärtig
hemmen».Denn die sozialistische Revolution werde noch durch
die tragenden gesellschaftlichen und kulturellen
Institutionen gehemmt.
Die Studien über «Autorität und Familie» und der
programmatische Entwurf einer «Traditionellen und
kritischen Theorie» waren noch vor der Flucht aus
Hitler-Deutschland im Entstehen begriffen. Sie
wurden während des Exils in den USA weitergeführt
und beendet.
Nach dem Krieg
Die Tarnung der revolutionären Strategie sollte
Horkheimer nach dem Zweiten Weltkrieg konsequent
fortsetzen. 1948 reiste er mit finanzieller
Unterstützung der Rockefeller Foundation nach
Deutschland, um - wie er Marcuse anvertraute -
herauszufinden, ob es «drüben ein paar Studenten und
sonstige Intellektuelle gibt, auf die man nachhaltigen
Einfluss in unserem Sinn üben kann».20 offiziell
deklarierte er als Ziel, durch Vorlesungen über
«Sozialphilosophie» «zur Umerziehung der deutschen
Jugend beitragen zu können» und «sie mit den Ideen
des Individuums und des autonomen Subjekts vertraut
[zu] machen». Er wolle so die «Mitarbeit
Deutschlands am Aufbau eines friedlichen, geeinten
Europa» und die «Wiedereinbindung Deutschlands in
die wissenschaftlich-intellektuelle Weltgemeinschaft»
fördern.21 In Wirklichkeit war das subversiv
revolutionäre Ziel der «Kritischen Theorie» die
«Aufhebung der gesellschaftlichen Verhältnisse» in
«unserem Sinn».
Den wohl schwersten Schaden unter den
Intellektuellen dürfte die «Kritische Theorie» mit
ihrem Vorwurf angerichtet haben, im
Wissenschaftsbetrieb der heutigen Gesellschaft könne
kein Fachwissenschaftler wirklich kritisch denken, es
sei denn er sei Marxist. Hier hat das 68er
Schimpfwort seinen Ursprung, der traditionelle
Wissenschaftler sei ein «Fachidiot», der nicht
erkenne, welchen gesellschaftlichen Interessen seine
Forschung diene und wo die gesellschaftlichen
Ursachen aller Probleme lägen. Die herrschende
Wissenschaft sei die Wissenschaft der Herrschenden.
Dieser Gedanke steht im Zentrum der «Kritischen
Theorie».
Kritisch könne nach Horkheimer der
Wissenschaftler nur werden, wenn seine
Wissensproduktion «mit dem Kampf um bestimmte
Lebensformen in der Wirklichkeit zusammenfällt».
Bei Marx hatte es geheissen, dass der Mensch nur im
Kampf auf der richtigen Seite der Barrikade richtiges
«praktisches» Wissen erwerben könne.
Für Marx wie für Horkheimer gehe die «alte Welt
an einem überholten wirtschaftlichen
Organisationsprinzip zugrunde». Das bewirke einen
kulturellen Verfall. Heute beherrsche die Wirtschaft
den Menschen, weil die Produkte nicht in den Händen
der Gesellschaft liege. Die Wirtschaft sei daher der
Hebel zur Umwälzung. Die Veränderung einer
Gesellschaft umfasse aber auch die Kultursphäre. In
der zukünftigen «vernünftigen» Gesellschaft des
Kommunismus müssten die Menschen daher nicht nur
die Herrschaft über die Wirtschaft, sondern auch über
ihre gesamten Beziehungen errungen haben. 1
(Dieser Artikel erschien im Jahre 1999 in der schweizerischen Zeitschrift "Zeit-Fragen".)
Teil 1: Max Horkheimer (1895-1973)
von J. Hoefele, M. Nestor
Wenn von der «Frankfurter Schule» oder der «Kritischen Theorie» die Rede ist, dann denkt man an Namen
wie Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuseu und Jürgen Habermas, aber auch an die
Studentenrevolte von 1968, die in Theorie und politischer Praxis von der «Kritischen Theorie» der
«Frankfurter Schule» genährt wurde. Durch die Studentenbewegung der 68er Jahre erhielt die «Kritische
Theorie» der «Frankfurter Schule» ihre spürbare Breitenwirkung; die Protagonisten haben auf ihrem langen
Marsch durch die Institutionen bis heute Politik und Gesellschaft auf allen Ebenen beeinflusst.
Frankfurter Schule?
Namhafte Exponenten der 68er Bewegung besetzen
heute Führungspositionen und Institutionen und
lenken mit ihren Entscheidungen das gesellschaftliche
und politische Leben. Themen, die damals von der
«Kritischen Theorie» vorgedacht wurden, bestimmen
heute weit gehend das Denken in Gesellschaft,
Wirtschaft und Politik.
Deshalb - um Hintergründe, Absichten und Ziele
der heutigen Meinungsmacher in Medien,
Gesellschaft, Politik und Staat verstehen und
einordnen zu können - sollen die Theorien der
«Frankfurter Schule» oder eben, soll die «Kritische
Theorie» dargestellt werden. Denn auch die junge
Generation hat ein Recht zu erfahren, was die
historischen, philosophischen, geistigen und radikalpolitischen
Hintergründe derer sind, die heute das
Ruder in Familien-, Schul- und Wissenschaftspolitik,
in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat in ihren Händen
haben.
«Kritisch» nennt sich die Theorie von Horkheimer,
Adorno, Marcuse wegen ihrer grundsätzlichen
Negation der bestehenden bürgerlich-kapitalistischen
Gesellschaftsordnung, die angeblich die Menschen
ihrer wahren Bedürfnisse entfremde und deshalb
unterdrücke. Das kapitalistische Wirtschaftssystem
zwinge die Menschen in Lohnabhängigkeit und
soziale Unterdrückung. Es müsse deshalb überwunden
werden - darin folgen sie Marx, Engels und Lenin.
Neu ist jedoch, dass sie die revolutionäre Strategie
gegen die kapitalistische Wirtschaft und Gesellschaft
auf alle gesellschaftlichen und kulturellen
Institutionen wie etwa Schule, Universität, Familie,
Kirche und Staat ausdehnten. Denn, so meinten sie,
der «subjektive Faktor», der Charakter des Menschen
sei durch Familie und andere kulturelle Institutionen
so an die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse
angepasst, dass er die revolutionäre Veränderung der
«objektiven» politisch ökonomischen Verhältnisse
hemme. Die «Kritische Theorie» verbindet
demzufolge marxistische Kritik am Kapitalismus mit
Charakterpsychologie - namentlich mit der
Triebtheorie Sigmund Freuds. Hinzu kommt
gesellschaftskritische Philosophie, vermischt mit
subversiven Strategien des Kulturkampfes, vor allem
gegen die Autoritäten in Schule und Erziehung, in
Familie, Kirche und Staat.
Biographische Notiz
Max Horkheimer (1895-1973) wurde als einziger
Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten in Stuttgart
geboren. Während des Ersten Weltkrieges war er
Juniorchef im Betrieb seines Vaters und musste
deshalb am Krieg nicht teilnehmen.` In
Tagebuchaufzeichnungen und Novellen,
veröffentlicht unter dem Titel «Aus der Pubertät»,
wird eine früh empfundene Abneigung gegen die
Welt seines Vaters, gegen die Welt der Fabrikanten,
der bürgerliche Werte und Normen deutlich. In einer
Erzählung, geschrieben im Jahr 1916, findet die
Hauptperson, der Arbeiter Steirer, seine Geliebte in
den Armen des Fabrikantensohnes, bringt diesen um
und begibt sich mit dem Mädchen auf die Flucht.
Dabei sagt er zu ihr: «Wenn Menschen wie er gut sein
können, Menschen deren Vergnügungen und Bildung
(...) mit soviel Unglück anderer erkauft sind, dann
kann auch meine Tat nicht schlecht sein. Der
Unterschied zwischen ihm und mir ist nur der, dass
ich handeln musste ( ... ), während er bequem sein
und geniessen durfte und nicht erfuhr, was der Genuss
kostet und wie blutig, er ist.
Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Pollok holt
Horkheimer das Abitur nach und beginnt 1919 das
Studium der Psychologie, Philosophie und
Nationalökonomie, zunächst in München, dann in
Frankfurt. 1920 wird er von seinem Professor zu
Husserl nach Freiburg empfohlen, wo er auch
Heidegger kennenlernt, dessen
existenzphilosophischer Ansatz nachhaltig sein
Denken beeinflusst.
1924 trifft Horkheimer mit Adorno zusammen.
Dieser schreibt seinem Freund Leo Löwenthal,
Pollock und Horkheimer seien «sehr ungewöhnliche
Menschen», beide «übrigens Kommunisten». 3 1925
habilitiert Horkheimer und wird Privatdozent. Da er
zu gehemmt ist, seine Vorlesungen ohne genauestens
ausgearbeiteten Text zu halten, begibt er sich in
Psychotherapie bei dem Mitbegründer des
«Frankfurter Psychoanalytischen Instituts», Karl
Landauer.
Das Institut für Sozialforschung
Im Jahr 1930 übernimmt Horkheimer die Leitung des
Instituts für Sozialforschung, wie sich das frühere
Institut für Marxismus inzwischen nannte. Es war der
Universität Frankfurt am Main angeschlossen und
beschäftigte vorwiegend kommunistische Mitarbeiter
und Doktoranden.` Dass Horkheimer die Leitung
übergeben wurde, überraschte. Er gehörte bis dahin
weder zum engeren Mitarbeiterkreis des Instituts,
noch hatte er sich vor 1930 akademisch besonders
hervorgetan. Ausser einer unauffälligen
Habilitationsschrift und drei oder vier Gedenkartikeln
hatte er bis dahin nichts veröffentlicht.
Horkheimers gleichzeitige Berufung auf den
Lehrstuhl für Philosophie an der Universität zu
Frankfurt war - so Adornos Freund Löwenthal- eher
das Ergebnis «strategischer Planung».` Sein Vorteil
bestand darin, dass er auf die Universitätskollegen
vertrauenswürdiger wirkte als sein Vorgänger, der
sich offen zum Marxismus bekannt und damit dem
Institut einige Unannehmlichkeiten politischer Art
eingehandelt hatte. Horkheimer hingegen eignete sich
besonders gut, weil er relativ unbekannt war und «den
Namen Marx selten in den Mund nahm».6 Damit aber
war es gelungen, einen Marxisten auf einen
ordentlichen Lehrstuhl der Philosophischen Fakultät
zu bringen, der gleichzeitig die Institutsleitung
übernahm.
Unter dem Dach des Instituts für Sozialforschung
war auch das Frankfurter Psychoanalytische Institut
untergebracht, in dem Erich Fromm lehrte, der bis
zum Bruch mit Horkheimer auch mit dem Institut für
Sozialforschung zusammenarbeitete. Fromm gehörte
neben Wilhelm Reich in den späten 20er und frühen
30er Jahren zu den radikalen Linksfreudianern, die
die Freudsche Trieblehre mit dem Marxschen
Klassenkampf verbanden. Deren Grundidee war,
Gefühle der Unzufriedenheit im Menschen
aufzuspüren und die entfesselten Triebe gegen die
herrschende Klasse in Gesellschaft und Staat zu
richten. So wurde die Triebtheorie Freuds zur
Klassenkampfstrategie instrumentalisiert.
Horkheimers theoretisches Konzept der frühen 30er
Jahre, insbesondere die «Studien über Autorität und
Familie», waren stark von diesem Gedanken
durchdrungen.
Zu den Aufgaben des Instituts gehörte die
Herausgabe der Werke von Marx und Engels sowie
die Veröffentlichung der Zeitschrift für
Sozialforschung (ZfS). Darüber hinaus ging es vor
allem um die Förderung junger kommunistischer
Akademiker. Horkheimer wollte die «Krise des
Marxismus» überwinden, indem er die marxistische
Ideologie und Strategie den Zeiterfordernissen
anzupassen versuchte.7Nach marxistischdialektischer
Geschichtsauffassung, hätte nämlich im
krisengeschüttelten Deutschland der 20er Jahre die
proletarische Revolution ausbrechen müssen. Deshalb
stellte sich nun die Frage, warum sie nicht gekommen
war und wie sie hätte herbeigeführt werden können.
Horkheimers Antwort: Die psychische Entwicklung
der Individuen habe sich der revolutionären
Umgestaltung der Gesellschaft entgegengestellt, weil
die Menschen an die bestehende Gesellschaft
angepasst waren. Deshalb müssten all jene Bereiche
des kulturellen Lebens untersucht werden, die das
Individuum an die bestehende Gesellschaftsordnung
anpassten, allen voran die Familie, die Schule, die
Kirche, Rechtsprechung und Politik.
Damit sollte der Weg für das geebnet werden, was
Michel Foucault in den 80er Jahren «kulturelle
Attacke» nennen sollte. Zunächst mussten junge,
marxistisch geschulte Intellektuelle in allen einzelnwissenschaftlichen
Bereichen herangezogen werden,
die dann den «Marsch durch die Institutionen»
antreten sollten, wie von Dutschke später explizit
`gefordert. Diese Strategie lief darauf hinaus, in einer
nichtrevolutionären Situation Institutionen wie
Familie, Schule, Universität, Wissenschaft, Kirche,
Rechtsprechung und Politik zu unterwandern, die den
verhassten Kapitalismus aufrecht erhielten. So sollte
die revolutionäre Situation vorbereitet werden, die
schliesslich zur Überwindung des kapitalistischen
Wirtschaftssystems führen sollte.
Der Angriff
auf Autorität und Familie
Horkheimers «Autorität und Familie» (1936) ist eines
der Schlüsselwerke der «Frankfurter Schule». Bereits
hier sind wesentliche Grundzüge der späteren
Theorien Horkheimers, Adornos und Marcuses
vorgezeichnet. Es greift Vorarbeiten Erich Fromms
auf, der psychoanalytische Studien über die Familie
mit der Marxschen Klassentheorie der Gesellschaft
verbunden hatte.
Horkheimer stimmt Marx zu, dass ökonomische
Gesetzmässigkeiten die gesellschaftliche
Entwicklung, bestimmten. Es liesse sich aber «die
Handlungsweise der Menschen in einem gegebenen
Zeitpunkt nicht allein aus ökonomischen Vorgängen
erklären».8 Vielmehr sei es ihr Charakter, mit dem die
Menschen auf die Entwicklungen in Wirtschaft und
Gesellschaft reagierten. Und weil der Charakter vor
allem durch Institutionen wie Familie, Schule, Kirche
geprägt werde, müsse man auch sie in die
gesellschaftskritische Betrachtung einbeziehen.
Horkheimer sieht wie Marx die gesamte bisherige
Geschichte als eine Geschichte der Herrschaft von
Menschen über Menschen an. Die bisherige
Geschichte sei «durch Über- oder Unterordnung von
Klassen gekennzeichnet». Deshalb stehe bei der
Mehrheit der Menschen das Fühlen, Denken und
Handeln im Zeichen der Unterordnung. Diese habe
nur durch Belohnung, oder Strafe durch eine Autorität
erzwungen werden können. «Autorität ist daher eine
zentrale geschichtliche Kategorie.»
Die Autoritätsgläubigkeit, die zur Aufrechterhaltung der
bestehenden gesellschaftlichen Ordnung nötig sei, werde
vor allem durch Familie, Schule, Kirche, Religion und
Philosophie in die Gemüter der Menschen eingepflanzt, sei
es als Glaube an die Autorität des Vaters, als Glaube an die
Allmacht Gottes oder als Glaube an ewig gültige
metaphysische Prinzipien, denen der Mensch und die
Gesellschaft unterworfen sei.
Die Familie ist für Horkheimer «eine der
wichtigsten erzieherischen Agenturen»," die das Kind
bereits im zartesten Alter daran gewöhne, sich der
Autorität des Vaters unterzuordnen. Das Kind habe
grundsätzlich Gehorsam zu üben und die ihm
auferlegte Pflicht zu erfüllen. «Der Eigenwille des
Kindes soll gebrochen und der ursprüngliche Wunsch
nach freier Entwicklung seiner Triebe und
Fähigkeiten durch den inneren Zwang zur
unbedingten Pflichterfüllung ersetzt werden.» So
erziehe die Familie «zum autoritären Verhalten in der
Gesellschaft», das nötig sei, um die von der
bürgerlichen Gesellschaft erzwungene Über- und
Unterordnung aufrechtzuerhalten.
Dieses Verhältnis von Über- und Unterordnung sei
in der «patriarchalischen Kleinfamilie» durch die
Rolle des Vaters gegeben. «Er ist Herr im Haus, weil
er das Geld verdient oder wenigstens besitzt»; «der
Umstand jedoch, dass in der normalen bürgerlichen
Familie der Mann das Geld, diese Macht in
substantieller Form, besitzt und über seine
Verwendung bestimmt, macht Frau, Söhne und
Töchter auch in der neueren Zeit zu den «Seinen»,
gibt ihr Leben weitgehend in seine Hand, zwingt sie
zur Unterordnung unter Leitung und Befehl». 14
Horkheimer spricht von der daraus resultierenden
«Verzweiflung, von Frauen und Kindern», dem «Raub
an ihrem Lebensglück» von der «materiellen und
psychischen Ausbeutung» infolge «der ökonomisch
begründeten Vormachtstellung des Vaters».15
Und weiter: «Die Monogamie in der bürgerlichen
Männergesellschaft setzt die Entwertung des
Genusses aus reiner Sinnlichkeit voraus.» 16 So
erzwinge die Familie - und hier knüpft Horkheimer an
Fromms triebpsychologische Studien der 20er und
30er Jahre an - die Unterdrückung der Sexualität, die
es von der patriarchalischen Struktur und Moral der
bürgerlichen Kleinfamilie zu befreien gelte.
Wir sehen bei Horkheimer bereits alle
Kampfthemen des Neomarxismus angesprochen, die
bis in unsere heutige Zeit hineinwirken: Die Rede von
der «Männergesellschaft», «Unterdrückung der Frau»,
«sexueller Ausbeutung», «patriarchalischer
Kleinfamilie» als «erzieherische Agentur» des
Kapitalismus, Unterdrückung des «Genusses aus
reiner Sinnlichkeit» usw. Daraus folgten Forderungen
wie Auflösung und Ersatz der patriarchalischen
Kleinfamilie durch andere Lebensgemeinschaften,
Emanzipation der Frau, verstärkte Erwerbstätigkeit
der Frau (zwecks Aufhebung der ökonomischen
Abhängigkeit), Recht auf ausserehelichen
Geschlechtsverkehr und sexuelle Befreiung ganz
allgemein, antiautoritäre Erziehung, Kampf gegen die
bürgerliche Moral, gegen die
abendländisch-christliche Kulturtradition, Kampf
gegen Autoritäten in Schule, Kirche, Gesellschaft und
Staat.
Der einzelne Mensch sollte so aus den Bindungen
an Familie, Tradition, Religion und kulturelle Werte
herausgelöst werden; denn die «Kritische Theorie»
sah in ihnen nur Ketten, durch die jeder an das
verderbte System gekettet sei.
Alter Wein in neuen Schläuchen:
Die «Kritische Theorie»
Nach dem gleichen Schema, mit dem Horkheimer die
Institution Familie und die trauenden Werte der
abendländisch-christlichen Kultur einer Radikalkritik
unterzieht, geht er auch gegen Wissenschaft und
philosophische Tradition vor. Sein 1937
veröffentlichter Aufsatz «Traditionelle und kritische
Theorie» 17 zielt darauf ab, Akademiker und
Intellektuelle «aus den Fesseln» ihres falschen, an die
Tradition gebundenen Denkens zu lösen. Als
«traditionelle Theorie» fasst Horkheimer alle
philosophischen Ansätze seit der Antike zusammen,
die sich auf objektive Aussagen, die (menschliche)
Natur und absolut gültige Werte berufen.
Die «Kritische Theorie», ein «Tarnbegriff» für
Marxismus, lehnt alle objektiv gültigen Werte und
Wahrheiten ab. Diese seien immer nur historisch
bedingt und relativ. In schlechten Verhältnissen
könne nur falsches Bewusstsein entstehen. Was als
ewig, gültig, ausgegeben werde, verewige nur die
schlechten Verhältnisse. Die «kritische Theorie»
entlarve dies als Lüge und mache damit den Weg frei,
aus dem falschen Bewusstsein herauszutreten, die
wahren Ursachen der schlechten Verhältnisse zu
erkennen und die «Herrschaft der Wirtschaft über den
Menschen» zu überwinden. Das ist Marxsche
Dialektik pur, getarnt als «kritische Theorie».
Ganze Studentengenerationen bekamen die
«Traditionelle und kritische Theorie» in den 60er und
70er Jahren als Pflichtlektüre vorgesetzt. Die
Marxschen Kampfbegriffe werden ersetzt:
«Revolution» heisst jetzt «Negation des
Bestehenden». «Diktatur des Proletariats» ist zu
«Vergesellschaftung» des Menschen geworden,
«Kommunismus» zu «vernünftige Gesellschaft». Als
ob nicht schon in den 30er Jahren die Greuel der
kommunistischen Diktatur deutlich gewesen wären!
Die «Kritische Theorie» tut aber geschickt so, als
stünde sie in der philosophischen Tradition seit der
Antike, obwohl sie mit allen Grundlagen gebrochen
hat. Sie behauptet - Marx folgend -, wahre Vernunft,
Freiheit und Humanität, von der die bisherigen
Philosophen nur geredet hätten, seien erst nach der
Revolution in einer klassenlosen Gesellschaft
praktisch möglich. In diesem Sinn, so Horkheimer,
«bewahrt die kritische Theorie über das Erbe des
deutschen Idealismus hinaus das der Philosophie
schlechthin».11 Die «Kritische Theorie» entspreche
dem Denken von Platon und Aristoteles, weil sie den
Menschen in der Totalität der gesellschaftlichen
Verhältnisse einordne und nicht
einzelwissenschaftlich fragmentiert betrachte. Sie
stehe in der Tradition des Deutschen Idealismus seit
Kant und habe diese weiter entwickelt.
Dabei könnte der Gegensatz nicht grösser sein:
Platon und Aristoteles gehen von der Natur des
Menschen aus. Marx und die «Kritische Theorie»
leugnen die Natur des Menschen. Der deutsche
Idealismus, Goethe, Schiller und Humboldt waren
angewidert vom Terreur der zweiten französischen
Revolution und der Diktatur Robbespierres. Marx sah
sich in der Tradition der Jakobiner.
Solche Vermischungen der Marxschen Lehre mit
völlig entgegengesetzten Geistesströmungen lagen
ganz in der Strategie der Frankfurter Schule. Liberale
kritische Akademiker begeisterten sich so für die
Ideen und revolutionäre Strategie des Marxismus,
weil sie anscheinend etwas mit Mitmenschlichkeit,
sozialer Gerechtigkeit und kritischem Denken zu tun
hatten. Die Berufung auf die besten philosophischen
Traditionen sollte die Herzen der Intellektuellen
ansprechen. Das alte Marxsche Ziel ist letztlich
geblieben: Revolution und Diktatur. Dazu bedürfe es
aber zunächst der «Aufhebung der gesellschaftlichen
Verhältnisse, welche die Entwicklung gegenwärtig
hemmen».Denn die sozialistische Revolution werde noch durch
die tragenden gesellschaftlichen und kulturellen
Institutionen gehemmt.
Die Studien über «Autorität und Familie» und der
programmatische Entwurf einer «Traditionellen und
kritischen Theorie» waren noch vor der Flucht aus
Hitler-Deutschland im Entstehen begriffen. Sie
wurden während des Exils in den USA weitergeführt
und beendet.
Nach dem Krieg
Die Tarnung der revolutionären Strategie sollte
Horkheimer nach dem Zweiten Weltkrieg konsequent
fortsetzen. 1948 reiste er mit finanzieller
Unterstützung der Rockefeller Foundation nach
Deutschland, um - wie er Marcuse anvertraute -
herauszufinden, ob es «drüben ein paar Studenten und
sonstige Intellektuelle gibt, auf die man nachhaltigen
Einfluss in unserem Sinn üben kann».20 offiziell
deklarierte er als Ziel, durch Vorlesungen über
«Sozialphilosophie» «zur Umerziehung der deutschen
Jugend beitragen zu können» und «sie mit den Ideen
des Individuums und des autonomen Subjekts vertraut
[zu] machen». Er wolle so die «Mitarbeit
Deutschlands am Aufbau eines friedlichen, geeinten
Europa» und die «Wiedereinbindung Deutschlands in
die wissenschaftlich-intellektuelle Weltgemeinschaft»
fördern.21 In Wirklichkeit war das subversiv
revolutionäre Ziel der «Kritischen Theorie» die
«Aufhebung der gesellschaftlichen Verhältnisse» in
«unserem Sinn».
Den wohl schwersten Schaden unter den
Intellektuellen dürfte die «Kritische Theorie» mit
ihrem Vorwurf angerichtet haben, im
Wissenschaftsbetrieb der heutigen Gesellschaft könne
kein Fachwissenschaftler wirklich kritisch denken, es
sei denn er sei Marxist. Hier hat das 68er
Schimpfwort seinen Ursprung, der traditionelle
Wissenschaftler sei ein «Fachidiot», der nicht
erkenne, welchen gesellschaftlichen Interessen seine
Forschung diene und wo die gesellschaftlichen
Ursachen aller Probleme lägen. Die herrschende
Wissenschaft sei die Wissenschaft der Herrschenden.
Dieser Gedanke steht im Zentrum der «Kritischen
Theorie».
Kritisch könne nach Horkheimer der
Wissenschaftler nur werden, wenn seine
Wissensproduktion «mit dem Kampf um bestimmte
Lebensformen in der Wirklichkeit zusammenfällt».
Bei Marx hatte es geheissen, dass der Mensch nur im
Kampf auf der richtigen Seite der Barrikade richtiges
«praktisches» Wissen erwerben könne.
Für Marx wie für Horkheimer gehe die «alte Welt
an einem überholten wirtschaftlichen
Organisationsprinzip zugrunde». Das bewirke einen
kulturellen Verfall. Heute beherrsche die Wirtschaft
den Menschen, weil die Produkte nicht in den Händen
der Gesellschaft liege. Die Wirtschaft sei daher der
Hebel zur Umwälzung. Die Veränderung einer
Gesellschaft umfasse aber auch die Kultursphäre. In
der zukünftigen «vernünftigen» Gesellschaft des
Kommunismus müssten die Menschen daher nicht nur
die Herrschaft über die Wirtschaft, sondern auch über
ihre gesamten Beziehungen errungen haben. 1
(Dieser Artikel erschien im Jahre 1999 in der schweizerischen Zeitschrift "Zeit-Fragen".)
Der Zeitgeist braucht keinen Vater,
das waere ein Wiederspruch.
Der Zeitgeist ist die geistige Manifestation
der gegenwaertigen Epoche.
Doch manche sind eben sehr in tune,
schnappen diesen Zeitgeist auf
und koennen ihn auswerten und rueberbringen.
Erfolge und Erfindungen etc. kommen aus diesem
Lesen des Zeitgeistes.
das waere ein Wiederspruch.
Der Zeitgeist ist die geistige Manifestation
der gegenwaertigen Epoche.
Doch manche sind eben sehr in tune,
schnappen diesen Zeitgeist auf
und koennen ihn auswerten und rueberbringen.
Erfolge und Erfindungen etc. kommen aus diesem
Lesen des Zeitgeistes.
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