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    Kath . Kirche : Europa braucht Einwanderer ! Herr Stoiber ! - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 15.02.02 11:23:03 von
    neuester Beitrag 27.02.02 18:44:01 von
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      schrieb am 15.02.02 11:23:03
      Beitrag Nr. 1 ()
      Europa braucht Einwanderer

      Stuttgart-Hohenheim
      10. April 2000 Tagungsreferat von Prof. Karl-Heinz Meier-Braun
      Tagungsreferat von Dieter Oberndörfer
      Pressemitteilung



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      Europa und Deutschland brauchen Einwanderung
      Tagungsreferat von Dieter Oberndörfer


      In meinem Vortrag sollen zunächst 1. die wichtigsten Daten unserer Bevölkerungsentwicklung rekapituliert und dann ihre Resonanz in der aktuellen Politik dargestellt werden 2. sollen dann die wirtschaftlichen und sozialen Problemen des Geburtendefizits und die Frage erörtert werden, ob oder inwieweit Einwanderung einen Beitrag zu ihrer Bewältigung leisten kann. 3. Möchte ich das Profil einer zukunftsorientierten Einwanderungspolitik skizzieren und die mit ihr verbundenen politischen Herausforderungen erörtern.

      1. Zur demografischen Entwicklung und ihrer Resonanz in der Politik:
      Für den Bestandserhalt der Bevölkerung von Industriegesellschaften mit hohem Niveau der medizinischen Versorgung ist eine statistische Geburtenhäufigkeit von 2,1 Kindern pro Frau erforderlich. Die alte Bundesrepublik hatte 1950 bis 1970 eine höhere Geburtenhäufigkeit, also Geburtenüberschüsse. Im Zeitraum 1965-1969 lagen sie mit durchschnittlich 2.4 sogar erheblich über der statistischen Bestandszahl von 2,1. Danach sank die Geburtenzahl schon bis 1982 kontinuierlich auf 1.28 und stieg bis 1990 wieder als Folge der geburtenstarken Jahrgänge der sechziger Jahre auf 1.45. Bis 1998 fiel sie wieder auf 1.34. Da der Anteil der Ausländer an den Geburten 13.3% betrug, belief sich die durchschnittliche Geburtenzahl deutscher Frauen zuletzt nur auf 1.20, also fast auf die Hälfte der für die Bestandserhaltung notwendigen statistischen Größe. Die Tendenz ist wegen der in Deutschland immer noch im Verhältnis zu anderen Industriestaaten niedrigen Beschäftigungsquote der Frauen eher weiter abnehmend . Sollte diese Tendenz anhalten, wird sich die Geburtenzahlen mit jeder nachwachsenden Generation, also im Abstand von 25-35 Jahren, halbieren. Lang anhaltende große Geburtendefizite müssen zuletzt zum biologischen Tod der Gemeinschaft - zum biologischen Tod der Deutschen- führen. Als Folge der niedrigen Geburtenraten nahm die endogene deutschstämmige Bevölkerung schon seit den siebziger Jahren um ca. 4 Millionen ab. Daß die Gesamtbevölkerung Deutschlands dennoch auf heute über 82 Millionen wuchs, hat ihre Ursachen allein in der Zuwanderung von Aussiedlern und Ausländern und ihren vorläufig noch höheren Geburtenzahlen. Das Wachstum der Wohnbevölkerung der alten Bundesländer mit 6.2 Millionen ging zu etwa zwei Dritteln auf das Konto ausländischer Zuwanderer und ihren bislang höheren Geburtenraten, das weitere Drittel auf das Konto von Aussiedlern. Die Reproduktionsraten der Zuwanderer selbst gleichen sich schnell an das deutsche Niveau an. So ist die Geburtenzahl der ausländischen Frauen inzwischen mit 1.7 ebenfalls unter die Bestandszahl von 2,1 gesunken und geht weiter in Richtung des Niveaus der Deutschen zurück. Die Geburtenzahlen in Spanien mit 1.15, Italien mit 1.22 und Griechenland mit 1.31 liegen sogar noch unter denen Deutschlands. Etwas höhere, aber ebenfalls negative Geburtenzahlen weisen Portugal mit 1.44 und die Niederlande mit 1.55 auf. Die höchsten Geburtenraten haben derzeit England und Frankreich mit jeweils 1.70 und 1.72 sowie Schweden und Dänemark mit jeweils 1.61 und 1.74 und Irland mit 1.91.
      Diese Unterschiede hinter dem Komma und jeweils noch hohe Geburtenzahlen in in den Nachkriegsdekaden bedeuten längerfristig sehr viel. So würde die Bevölkerung Frankreichs - allerdings auch auf Grund früherer hoher Geburtenraten - auch ohne Zuwanderung bis zum Jahr 2050 nur um 1,4 Millionen zurückgehen, während Deutschland dann bei einem Zuwanderungsstopp schon 17 Millionen weniger Menschen hätte.
      Der Wanderungssaldo für Deutschland war 1997 und 1998 negativ . Es sind mehr Menschen ab- als zugewandert. Mit der weiter rückläufigen Zahl der Asylbewerber, der Aussiedler aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion und der sukzessiven Abschiebung von Flüchtlingen aus Bosnien und dem Kosowo wird sich in diesem Jahr der insgesamt negative Saldo der Zuwanderung verstärken. Wegen der extrem restriktiven Praxis der Asylpolitik und der Aufenthaltsgenehmigungen für Ausländer ist derzeit auch keine Änderung dieser Stagnation oder sogar negativen Bilanz in Sicht. Selbst die Familienzusammenführung, bislang ein Hauptfaktor der Zunahme der Zahl der Ausländern, wiegt die Ab- und Rückwanderungen nicht mehr auf. So wies selbst der Wanderungssaldo der Türken, der größten ausländischen Volksgruppe in Deutschland von ca.2.3 Millionen, für die gesamte Republik 1998 nur noch einen Zuwachs von 3000 Personen auf, einer Zahl zu der auch Studenten und andere vorübergehend in Deutschland tätige Personen gehören.
      Deutschland wird also nicht von Ausländern überschwemmt. Es hat auch bislang nicht mehr Einwanderer aufgenommen als viele andere westliche Staaten. Zur USA ist im Bericht der Enquete-Kommission des Bundestages über demografischen Wandel von 1998 nachzulesen, daß der Anteil der im Ausland geborenen Bevölkerung 1995, - also einer Zeit extrem hoher Aussiedlereinwanderung - mit 9,5% nicht höher als in den USA war. Der Anteil der Ausländer an der Wohnbevölkerung ist in der BRD mit 8 % weit niedriger als in der Schweiz mit 18% (ohne Saisonarbeiter). Innerhalb Europas liegt die Bundesrepublik mit 8% Ausländern auch weit hinter den Benelux-Staaten und Luxemburg. Vergleiche mit Frankreich und Großbritannien sind wegen ihrer hohen Einbürgerungsquoten irreführend. Eine große Zahl von Ausländern verschwindet hier immer wieder durch Einbürgerung aus der Ausländerstatistik. Auch für diese Länder kann ein höherer Anteil von Ausländern an der Wohnbevölkerung angenommen werden als für Deutschland.
      Nach Innenminister Schily ist "das Boot voll", weitere Zuwanderung soll verhindert werden. Aber ist das Boot voll? Wir sollten uns daran erinnern, daß mit dieser ominösen Formulierung während des zweiten Weltkriegs in der Schweiz die Aufnahme von Asyl suchenden Flüchtlingen aus dem nationalsozialistischen Deutschland blockiert wurde.
      In den Stellungnahmen der Minister Becksteins und Schilys - letztere hatte sich in der Opposition nur ein Jahr vor der Bundestagswahl noch nachdrücklich für Zuwanderung und ein Einwanderungsgesetz ausgesprochen , - wie auch in Äußerungen vieler anderer Politiker und in Umfragen drücken sich eine tiefgreifende Änderung der Einstellung zu Ausländern und ihrer Zuwanderung im Meinungsklima der Bundesrepublik aus. Vor allem seit dem Sieg der Union bei der hessischen Landtagswahl und der m.E. falschen Analyse, daß ihr primäre Ursache die Kampagne der Unionsparteien gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gewesen sei, sind Forderungen nach Liberalisierung von Zuwanderung in beiden großen politischen Lagern zum Taboothema geworden. Die Führungen der Parteilager stehen dabei wohl auch unter dem Eindruck der politischen Erfolge rechtsradikaler Parteien und ihrer ausländerfeindlichen Polemik in verschiedenen europäischen Nachbarstaaten. Der Umschwung im Meinungsklimas wird durch Umfragen unter Jugendlichen bestätigt, nach denen zum ersten mal eine Mehrheit der Jugendlichen Ausländer als Konkurrenten wahrnimmt und sich gegen weitere Zuwanderung ausspricht. Lichterdemonstrationen gegen Übergriffe auf Ausländer finden nicht mehr statt. Sie wären heute vermutlich nicht mehr allzu populär. Am deutlichsten spiegelt sich die Änderung des Meinungsklimas in der Debatte über die Green Card. Seinerzeit 1959 nach dem Mauerbau konnten politisch relativ problemlos mehrere Millionen Gastarbeiter angeworben werden und selbst noch in den siebziger Jahren stieß die Aufnahme Tausender koreanischer Krankenschwestern auf keinen nennenswerten politischen Widerstand. Auch heute ist die Anwerbung und Einbürgerung von ausländischen Spitzensportlern im sogenannten "öffentlichen Interesse" geräuschlos und schnell möglich. Demgegenüber ist der Streit, ob 10.000 oder eventuell sogar 20.000 Informationstechniker in das 80 Mllionenvolk der Republik kommen dürfen, ob sie eine auf 3 oder sogar 5 Jahre begrenzte Arbeitserlaubnis erhalten sollen und einen Hochschulabschluß haben müssen oder wie zuletzt, daß sie vor der Einreise ein bisheriges Mindesteinkommen von 60-80000 DM aufweisen müssen gespenstisch. Dies um so mehr, da dieser Streit über mehrere Wochen zum Zentralthema unseres öffentlichen politischen Diskurses und unserer Medien wurde. Symptomatisch für den Stimmungswandel gegenüber Ausländern und ihrer Zuwanderung ist ferner, daß nunmehr im politischen Spektrum sogar die Aufhebung des längst durch Verfassungsänderung kupierten Asylrechtes im GG im Austausch für die Zuwanderung von Fachkräften gefordert wurde, obwohl die Zahl der Personen, denen Asyl gewährt wird, jährlich unserer 80 Millionenrepublik inzwischen auf die ganz erbärmliche Zahl von jährlich 8000 Personen zusammengeschrumpft ist und Deutschland trotz der Mahnung seiner Verfassungsväter und der Verpflichtungen seiner Geschichte bei der Gewährung von Asyl in Europa längst einen mittleren Platz einnimmt. Die hitzige Debatte über die zeitlich begrenze Aufnahme von 10,000 oder 20.000 Spitzenfachkräften - die neuerliche Praxis des wegen seiner die Integration hemmenden Folgen zu Recht kritisierten Gastarbeitermodells der Siebziger Jahre - ist auch deshalb so niveaulos gespenstisch, weil mit der deutschen Green Card die jetzt benötigten erstrangigen Spitzenkräfte wegen der Konkurrenz der Vereinigten Staaten und andere anglofonen Länder nicht gewonnen werden können. Ein amerikanische Green Card ist im Unterschied zur jetzt vorgeschlagenen deutschen Green Card mit dem Recht auf unbegrenzten Aufenthalt, auf Einbürgerung, auf Familienzusammenführung und jederzeitige und wiederholte Ausreisen verbunden. Dazu kommen in den USA bessere Arbeitsbedingungen, Bezahlung und Berufschancen. Sie begünstigen heute sogar eine substanzielle Abwanderung deutscher Spitzenkräfte. Im Falle der Inder kommen bei den USA, England, Kanada und Australien noch die Standortvorteile der englischen Sprache, der ungleich größeren Aufnahmebereitschaft der Gesellschaften dieser Staaten und der in ihnen bereits existierenden "Brückenköpfe" indischer Einwanderergruppen hinzu. Für jene hochrangigen Spitzenkräfte aus Indien, die wir in Deutschland benötigen, ist die Bundesrepublik nicht attraktiv genug.
      Mit den jüngsten Überlegungen Minister Riesters die für Deutschland zu gewinnenden Experten sollten schon vor der Einreise Mindesteinkommen von jährlich DM 60 - 80.000 aufweisen, wird zugleich eine Barriere für die eventuelle Anwerbung junger Experten aus Osteuropa oder Rußland aufgebaut. Wer von ihnen verfügt über ein solches Einkommen?
      Nicht nur die Flucht vor der Misere von Armut und unfähigen, korrupten Regierungen durch Auswanderung zu Gunsten besserer Lebensbedingungen, sondern auch Auswanderung per se ist ein individuelles Freiheitsrecht aller Menschen. Es wurde im 19. Und der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts von vielen Millionen Europäern wahrgenommen. Der Einwand, die Abwanderung von Experten sei "brain drain" , sie beraube arme Länder qualifizierter Experte und dürfe daher nicht geduldet werden, ist eine anmaßende Bevormundung der Menschen, die auswandern wollen. Wir verpflichten und zwingen sie, in ihren Ländern zu verbleiben und sprechen ihnen dabei moralisch das Recht auf individuelle Selbstbestimmung ihres Lebens ab. Wir rechtfertigen damit das für die meisten Diktaturen typische Auswanderungsverbot und letztlich auch im Nachhinein den Mauerbau und die Selbstschußanlagen um die DDR. Für Ulbricht und Honnecker waren Republikflüchtlinge Verräter. Die "Bürger" der DDR hatten zu bleiben, weil sie für ihre Wirtschaft gebraucht wurden..
      Machen wir uns nichts vor: Im Widerstand gegen Einwanderung, jetzt sogar gegen die zeitlich begrenzte Anwerbung einiger tausend ausländischer Fachkräfte, äußern sich bei den meisten der pure Egoismus falsch wahrgenommener wirtschaftlicher Eigeninteressen und eine durch populistische Politiker aufgehetzte oder von der Politik nicht energisch genug bekämpfte Fremdenfeindlichkeit.

      2. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Geburtendefizits- Einwanderung und Geburtenpolitik ein Mittel für eine sozialverträgliche Abfederung der Bevölkerungsschrumpfung und Alterung?
      Die Struktur der Arbeitslosigkeit in Deutschland ist komplex. Eine einfache Aufrechnung der hiesigen Arbeitslosen mit zugewanderten Fachkräften ist Unfug. Er ist ebenso unsinnig wie der Vergleich von Äpfeln und Birnen.
      Wir haben heute einen regional und sektoral gespaltenen Arbeitsmarkt. Die Bürgermeister von Konstanz und Singen wehren sich energisch gegen die Abschiebung von Bosnien und Kosowoflüchtlinge, weil letztere vor Ort im Dienstleistungs- und Gaststättengewerbe unentbehrlich sind und es für sie dort keinen Ersatz gibt.
      In vielen Sektoren der Wirtschaft, so z.B. im Ingenieurswesen und im Maschinenbau, herrscht heute ein extremer Fachkräftemangel. Er kann derzeit, nur durch Fachkräften aus dem Ausland gedeckt werden. Zugleich sind die Langzeitarbeitslosen aus alten, inzwischen vernichteter oder weitgehend mechanisierter Industrien, wie z.B. dem Berg- und Schiffbau und der Montanindustrie wegen ihres Alters und fehlender Bildungsvoraussetzungen kaum in moderne Industrien umschul- und vermittelbar. Hinzu kommt die geringe Mobilität deutscher Arbeitslosen als Konsequenz unseres sozialen Netzes von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, -ein Netz, dessen Abriß niemand wegen seiner unmenschlichen und regionalpolitischen Folgen fordern sollte. Wir verdanken ihm, daß die neuen Bundesländer nicht als Folge wirtschaftlich erzwungener Mobilität zum großen Naturschutzgebiet und Museum für veraltete Industrieanlagen und Geisterstädte wurden.
      Der jetzt schon vorhandene Fachkräftemangel wird sich wegen der sukzessiven Halbierung der nachwachsenden Jahrgänge, schon bald dramatisch verstärken. Dies gilt insbesondere für Ostdeutschland, dessen Bevölkerung seit der Wende durch extreme niedrige Geburtenzahlen und durch Abwanderung der Jüngeren in den Westen ausgedünnt wurde und immer noch weiter ausgedünnt wird.
      Auch massive Investitionen im Ausbildungsbereich können nicht den künftigen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften abdecken. Darüber hinaus wird es aber wie eine Studie des DIW veranschaulichte selbst im Bereich einfacher ungelernter Arbeit einen empfindlichen Mangel an Arbeitskräften geben. Wir sind somit allein im Hinblick auf den Arbeitskräftebedarf und die Erhaltung der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft auf Zuwanderung angewiesen.
      Hinzu kommen die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung.Bei einem Verzicht auf Zuwanderung werden sie schon innerhalb der nächsten 20 bis 30 Jahre eintreten.
      So wird beispielsweise eine schnelle und starke Schrumpfung der Bevölkerung zum Zusammenbruch des Immobilienmarktes und zu einer volkswirtschaftlich extrem negativen Schrumpfung des Binnenmarktes führen. Für die Alterssicherung vieler erworbenen Vermögenswerte werden vernichtet werden. Gigantische Vermögenswerte werden sich in Luft auflösen. Im öffentlichen Sektor und im privaten Dienstleistungsektor werden massenhaft Arbeitsplätze verloren gehen. Schulen oder andere Ausbildungseinrichtungen und andere öffentliche Einrichtungen müssen geschlossen werden. Hier wie in der Privatwirtschaft wird die Zahl der Beschäftigten stark verringert werden. Einen Zuwachs wird es primär in der Altenpflege geben.
      Das Niveau unseres Rentensystem, das in den fünfziger Jahren mit der Prämisse einer ständig wachsenden Bevölkerung konzipiert und aufgebaut wurde, ist trotz aller gegenteiligen Beteuerungen unserer Politiker ohne Zuwanderung nicht gesichert. So ist jetzt die Rede von einer Erhöhung der Lebensarbeitszeit auf 74 Jahre. Dies wäre in der Tat eine geniale Problemlösung, da die durchschnittliche Lebenserwartung der deutschen Männer derzeit 70.3 Jahre beträgt. Die derzeit in den Parteien erörterten Pläne zur Besteuerung der Renten folgen nicht nur Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes, sondern sind bereits eine Antwort auf die künftige Verringerung der Steuerzahler und der von ihr zu erwartenden Verringerung des Steueraufkommens.
      Es ist bemerkenswert, was der Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Bundestags von 1998 über die Alterssicherung in unserer alternden Gesellschaft zu vorschlägt. Wegen der Schrumpfung der Volkswirtschaft bei sich verringernder Bevölkerung empfiehlt er eine Anlage in wirtschaftlich und demografisch dynamischen Gesellschaften. Er weist dabei aber auch auf die mit einem solchen Kapitalabfluß verbundenen negativen Wirkungen für den Wohlstand und die Altersversorgung der Deutschen hin. Da sich die demografische Entwicklung in den meisten Ländern Europas wenig von der deutschen unterscheidet, legt der Bericht nahe, Vermögenswerte außerhalb Europas anzulegen, wobei dann aber mit Ausnahme der USA die Anlagen in den meisten Fällen durch mögliche politische Instabilität gefährdet werden könnten. Damit zwingt das jetzt für die Altersichetung als Allheimittel angepriesene Rezept privater Altersvorsorge durch eigene Kapitalanlagen die Menschen unserer Gesellschaft dazu, sich als Börsenexperten und Analytiker ausländischer Volkswirtschaften zu betätigen oder sich Kundigeren auszuliefern. Die Börsen, Banken und Finanzberater werden davon in erster Linie profitieren.
      Die schlimmste Konsequenz des Alterungsprozesse ist die immer neue Halbierung des Begabungs- und Innovationspotentials und die nachlassende gesellschaftspolitische Dynamik, die Alterssklerose der Gesellschaft. So wird nach den Daten der Enquetekommission des Bundestags die Zunahme des Anteils der über 60jährigen auch bei relativ starker Zuwanderung schon bis 2030 mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit auf 40% ansteigen. Ab 2040 würde sich schließlich der Anteil der über 80jährigen von derzeit 4% auf 12% erhöhen.
      Aus diesem Alterungsprozeß müssen zwangsläufig schwere verteilungspolitische Generationenkonflikte erwachsen. Da wegen der Stimmenmehrheit der Älteren in der Politik die Besitzstände nur schwer zu Gunsten der Jüngeren veränderlich sind, werden sich die Konflikte zwischen den Generationen verschärfen. Sie sind schon heute in der Politik und im Berufsleben erkennbar. Gesellschaften mit einer breiten Basis Jüngerer akzeptieren Führung durch Ältere sehr viel leichter als Gesellschaften mit einer schmalen Basis Jüngerer. Die Kandidatur des Senioren Konrad Adenauer im Jahre 1949 in einem Alter von 73 Jahren für das Amt des Bundeskanzlers und seine Wiederwahl zuletzt 1957 im Alter von 81 Jahren wäre heute nicht mehr vorstellbar. Politiker werden von den Jüngeren heute schon weggebissen, wenn sie nach dem 55. Geburtstag sich dem 6o.Lebensjahr anzunähern beginnen.
      Kann durch weitere Zuwanderung das Geburtendefizit ausgeglichen werden? Nein! Der Bevölkerungsrückgang und der Alterungsprozeß können durch Zuwanderung nur zeitweilig aufgehalten oder verzögert werden. Die Fertilitätsraten der ausländischen Zuwanderer gleichen sich schnell denen der einheimischen Bevölkerung an und auch die Zuwanderer altern. Dabei möchten wir dick unterstreichen, daß das zentrale Problem der demografischen Entwicklung weniger die Verringerung der Zahl der Bevölkerung , sondern deren künftige Altersstruktur sein wird. Statt einer Pyramide wird sie immer mehr einem Pilz mit breitkrempigem Hut gleichen.

      Der Bericht der Enquete-Kommission des Bundestages bezieht sich auf Zuwanderungsprognosen von jeweils jährlich 100000, 200.000 oder 300.000 Personen Durch sie würden der Bevölkerungsrückgang und die Alterung deutlich verringert und die Bevölkerung zeitweilig sogar noch zunehmen. Bei 300.000 Einwanderern ( Zuwanderern nach Abzug der Abwanderer), würde sie bis 2030 auf 97 Mio. und mit einem Ausländeranteil von 15.5%. anwachsen - ein Anteil, der somit aber immer noch unter dem heutigen Anteil der Ausländer an der Wohnbevölkerung der Schweiz von 18% läge. Bis 2050 würde jedoch wegen der Alterung der Zuwanderer die Gesamtbevölkerung wieder abnehmen (von 91 auf 87 Mio.).

      Bei allem bleibt aber das Faktum, daß die Wohnbevölkerung Deutschlands ab 2030 auch bei starker Zuwanderung ohne substantielle Anhebung der Geburtenraten sehr schnell altern wird und sich die schon zuvor skizzierten Folgen der Alterung in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik bemerkbar machen werden.
      Dennoch würde durch Zuwanderung wenigstens bis 2030 kostbare Zeit für eine sozialverträgliche Gestaltung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Geburtendefizite und vor allem auch für das Wirksamwerden einer energischen und innovativen Politik der Geburtenförderung gewonnen werden.
      Gerader an letzterer hat es bisher gefehlt. Hier liegt eines der schwersten Versäumnisse der Politik der Bundesregierungen der letzten Dekaden vor. Erst in der Kombination mit einer aktiven und innovativen Geburtenförderungspolitik kann die zeitliche Verzögerung der Alterung unserer Gesellschaft verlängert werden und damit der Alterungsprozeß und Bevölkerungsschwund für diese und die nächste Generation sozialverträglich abgefedert werden.
      Von einer innovativen Geburtenpolitik müßten die wichtigsten Ursachen des Geburtendefizits abgebaut werden. Zu ihnen gehören neben den hohen finanziellen Kosten von Kindern, vor allem die langen Ausbildungs- und Fortbildungszeiten und in Zukunft die noch weiter wachsende Zahl von Frauen, die ihr Recht auf berufliche Selbsterfüllung wahrnehmen wollen.
      Ein erster Schritt für eine geburtenfreundliche Politik sind die jüngst vom BVG der Bundesregierung vorgeschriebenen Steuererleichterungen für Familien mit Kindern. Eine weit wichtigere Maßnahme wäre vor allem der Aufbau eines umfassenden unentgeltlichen ganztägigen Betreuungssystems für die Kinder berufstätiger Mütter oder Väter, also ganztägige Vorkindergärten, ganztägige Kindergärten und Ganztagsschulen, sowie Ferienheime für die Kinder berufstätiger Eltern wie sie seit langem in Frankreich existieren. Viele berufstätige Frauen wünschen sich Kinder. Wegen der immer noch fehlenden ganztägigen Betreuungsinstitutionen oder wegen der hohen finanziellen Kosten der vorhandenen Einrichtungen bedeutet eine verantwortungsvolle Mutterschaft derzeit für viele Frauen die Aufgabe ihres Berufs und den Verzicht auf weiteren beruflichen Erfolg. Auch die Erleichterung partnerschaftlicher Teilzeitbeschäftigungen wäre ein weiterer wichtiger Beitrag zur Geburtenförderung. Die Erfahrungen in anderen Ländern wie etwa in Frankreich, in Schweden und der früheren DDR zeigen den möglichen Erfolg von Geburtenförderung durch Einrichtungen für Kinderbetreuung und finanzielle Anreize trotz weit höherer Raten der Frauenarbeit als in der Bundesrepublik.
      Daß mit solchen und anderen Maßnahmen die Bestandserhaltungszahl von 2,1 Kindern pro Frau wieder erreicht werden kann, ist nach Meinung der Experten unwahrscheinlich. Es ergäben sich jedoch schon überaus positive Entlastungseffekte für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Dekaden, wenn die Geburtenrate der alten Bundesländer von 1.34 (1998) auf das Niveau Frankreichs und Englands oder der nordischen Staaten von jeweils ca. 1.7 angehoben werden könnte.
      Die Entscheidung über eine erfolgreiche Bewältigung der mit Alterung und Zuwanderung erwachsenden Konflikte fallen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Gelingt dies nicht, bedeuten Zuwanderung und vermehrte Geburten sozialen und politischen Sprengstoff. Die Geschichte aller Einwanderungsländer zeigt, daß sich in Zeiten der Verknappung von Arbeit auch in ihnen Fremdenfeindlichkeit ausbreitete und dann eine weitere Zuwanderung eingeschränkt wurde. Auch bei uns wird die Zuwanderung von Ausländern derzeit durch die hohen Arbeitslosenziffern politisch blockiert. Durch sie wird möglicherweise die so verhängnisvolle jetzige Blockadepolitik auch für die Zukunft festgeschrieben.
      Gegenüber den pessimistischen Prognosen zur Entwicklung des Arbeitsangebots in industriellen Gesellschaften ist indes festzuhalten, daß sie durchwegs von Annahmen ausgehen, die die Unwägbarkeiten der weiteren technologischen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen nicht berücksichtigen können. Sie haben daher einen weitgehend hypothetischen Charakter. Sie weisen trotz aller Subtilität und des in sie investierten wissenschaftlichen Sachverstandes eine gewisse Nähe zu astrologischen Weissagungen auf. Wegen ihres die Zukunft dämonisiernden Charakters sei hier auf Stellungnahme der Enquetekommission zur Arbeitslosigkeit verwiesen: "Ein Blick über die Grenzen zeigt, daß hohe Beschäftigungsgrade erreichbar sind und zwar sowohl unter den Bedingungen des angelsächsischen Konkurrenzmodells als auch unter denen eines kontinentaleuropäischen Konsensmodells". Dieser Hinweis wird durch das robuste, seit über acht Jahren anhaltende Wachstum der amerikanischen Volkswirtschaft und des amerikanischen Arbeitsmarktes veranschaulicht. Bei hohen Zuwanderungsraten hat sich die in den USA erreichte Vollbeschäftigung mit einer Arbeitlosenquote von unter 5% gerade in jüngster Zeit weiter verfestigt und zwar keineswegs nur in der Form von Billigjobs, sondern auch in vielen hochqualifizierten und hochbezahlten Sektoren. Weitere Beispiele für beschäftigungspolitische Erfolge moderner Volkswirtschaften mit hohen Zuwanderungsquoten sind die Niederlande mit einer Arbeitslosenquote von nur 4.5%. Noch eindrucksvoller sind die Erfolge des Einwanderungslandes Israel. Hier gelang es in den letzten 8 Jahren bei stürmischen Wachstum des BSP über 800000 Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion in eine bisherige Bevölkerung von unter 5 Mio., zu integrieren. Israel rangiert gemessen am BSP, inzwischen im oberen Drittel der EU. Auch der Wiederaufbau der alten, zunächst bettelarmen Bundesrepublik erfolgte und wurde ermöglicht durch die Aufnahme von 12 Mio. Flüchtlingen. In der gegenwärtigen Misere des deutschen Arbeitsmarktes und auch in den pessimistischen Prognosen zu seiner weiteren Entwicklung äußern sich neben den Sonderproblemen und Belastungen der deutschen Vereinigung schwere Versäumnisse unserer Wirtschafts-, Sozial-, Finanz- und Bildungspolitik. Sie unverzagt und energisch zu beheben, ist die große Herausforderung für die Politiker und die Bürger unseres Gemeinwesens an der Schwelle zu einem neuen Jahrhundert und neuen Jahrtausend. Einer müden Rentnergesellschaft, die die Arbeit durch immer großzügigere Vorruhestandsregelungen und Arbeitszeitverkürzungen nur noch aufzuteilen versucht, kann die Bewältigung solcher Herausforderung nicht gelingen. Gefordert sind gesellschaftliche Dynamik, Innovationen, längere Lebensarbeitszeiten und vor allem Veränderungen des Status quo der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Dynamik ist das charakteristische Merkmal von Gesellschaften mit starker Einwanderung. Trotz der mit ihr verbundenen möglichen schweren kulturellen, sozialen und politischen Konflikte bringt die von ihr bewirkte Dynamisierung der Gesellschaft bessere Ergebnisse als anhaltende Stagnation und Sklerotisierung der Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Angesehene Ökonomen unterstreichen überdies, daß eine sozial verträglich gestaltete Einwanderung nicht nur selbst Arbeitsplätze schafft, sondern daß von ihr darüber hinaus selbst positive Impulse für die Vergrößerung des Angebots von Arbeit ausgehen.

      3. Zum Profil einer künftigen Einwanderungspolitik und ihren ideologisch-politischen Voraussetzungen.
      Wegen des des Arbeitskräftebedarfs als Folge des geringen Nachwuchses für den Arbeitsmarkt wird eine weitere starke Zuwanderung von jährlich bis zu 300000 oder sogar 5000000 unvermeidlich sein, unvermeidlich nicht zuletzt auch wegen des wachsenden Zuwanderungsdruckes auf Europa aus der Dritten Welt . Dabei können wir von der Praxis klassischer Einwanderungsländern wie den USA, Kanada oder Australien lernen. Hier wird der Zuwanderungsbedarf von Fachkommissionen in bestimmten Abständen nach bestimmten Kriterien wie z.B. Alter, Geschlecht und beruflichem Know How pragmatisch definiert. In dieser Form sollte sich auch bei uns die Einwanderung flexibel an den jeweiligen Bedürfnissen unseres Arbeitsmarktes orientieren und über ein Zuwanderungsgesetz sozialverträglich gestaltet werden. Durch letztes soll die Zuwanderung aus der bloßen Zufälligkeit bloßer Einsickerung herausgebracht und jenseits der Tagespolitik langfristig gestaltet werden. Dabei bleibt es ein moralischer Imperativ, daß solche Zuwanderung nicht auf Kosten der humanitären Verantwortung für Flüchtlinge und Asylsuchende gehen darf . Die Politik sollte langfristiger politischer Verantwortung Rechnung tragen und nicht nur dem Diktat tagespolitischer Zwänge folgen.
      Im Widerstand gegen weitere Zuwanderung und staatsbürgerliche Gleichstellung der Einwanderer drücken sich nicht nur der Kampf um Arbeit aus. Er ist auch ideologisch kulturell in unserem überlieferten nationalen Selbstverständnis verankert: der Vorstellung einer homogenen, für alle verbindlich definierbaren und vor Verunreinigung durch fremde Elemente zu schützenden deutschen Kultur, die. Typisch für dieses nationale Selbstverständnis ist die Begleitmusik der heute von allen politischen Lagern geforderten Integration der in Deutschland lebenden Ausländer . Mit ihr ist von den meisten eine Assimilation an die Deutschen und ihre Kultur gemeint. Aber was ist der Bezugspunkt der Integration, was ist das spezifisch Deutsche? Es leuchtet ein, daß Kenntnisse des Deutschen für die Teilnahme am demokratischen Diskurs wünschenswert und für den beruflichen Erfolg wichtig sind, obwohl viele Deutsche ihre eigene Sprache schlecht oder nur in Dialektform sprechen. Aber soll und darf deswegen von einbürgerungswilligen Ausländern eine schriftliche Sprachprüfung verlangt werden, bei der nach den eben von den Innenministern beschlossenen Kriterien viele Millionen Deutsche durchfallen würden . De facto wird hier eine neue Schranke gegen die Liberalisierung des Einbürgerungsrechtes errichtet. Und was ist die vom bayerischen Innenministers Backstein geforderte deutsche Leitkultur, in die sich die Ausländer integrieren sollen, bevor sie deutsche Staatsbürger werden dürfen. Ich selbst wäre glücklich, wenn mein Verständnis von Christentum in der Asylpolitik die Leitkultur der Deutschen wäre. Minister Beckstein und die Mehrheit seiner Amtskollegen der Innenpolitik haben jedoch andere Vorstellungen über die für ihre Aufnahmepolitik maßgeblich christliche Leitkultur als ich selbst und viele andere. Wer entscheidet aber über die richtige, allseits verbindliche Definition oder Interpretation der christlichen Leitkultur? . Es gibt dafür keine staatliche Instanz. Wer die Integration der Ausländer in die deutsche Gesellschaft und Kultur fordert, müßte die Frage beantworten können: was ist ein integrierter Deutscher? Sind Süd- oder Norddeutsche, Katholiken, Protestanten, säkularisierte kirchlich - konfessionell nicht gebundene Bürger, zum Islam oder Buddhismus konvertierte Deutsche, Akademiker oder Bauern, Mitglieder der SPD oder der CSU jeweils das Modell für Integration und den integrierten Deutschen? . Die Frage nach dem gut integrierten Deutschen und nach den Kriterien für Integration ist schon im Hinblick auf unsere sich in ihren kulturellen Lebensformen und Stilen ständig weiter pluralisierende Gesellschaft nicht zu beantworten. Aber noch mehr: ihre Beantwortung ist schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Sie steht im Gegensatz zu der durch das Grundgesetz geschützten individuellen Freiheit der Kultur, der Freiheit der Weltanschauung und des religiösen Bekenntnisses, dem Fundament jedes modernen freiheitlichen Verfassungsstaates. Was die deutsche Kultur für die einzelnen Bürger bedeutet und wie sie von ihnen definiert wird, dürfen sie individuell für sich selbst entscheiden. Deutsche dürfen sich ursprünglich fremden Religionen und Kulten zuwenden und diese Freiheit liegt auch im wohlverstandenen langfristigen Eigeninteresse der christlich gebundenen Bevölkerung, - nämlich des Schutzes der Freiheit ihres eigenen religiösen Bekenntnisses gegen Bevormundung durch den Staat oder gesellschaftliche Gruppen. Die Kultur Deutschlands ist die Kultur seiner Bürger. Und diese Kultur ihrer Bürger ist nichts statisches, sie wandelt und pluralisiert sich. Wenn die Zahl moslemischer Bürger weiter zunimmt, wird auch der Islam ein Bestandteil der Kultur Deutschlands werden. Zu einer wie auch immer von einzelnen, von Minderheiten oder Mehrheiten definierten Leitkultur dürfen sie sich zwar bekennen und sie propagieren. Ihre Verbindlichkeit für die Gesamtheit aber darf im modernen Verfassungsstaat nicht vom Staat und seinen Organen gefordert und erzwungen werden.
      Die von ausländischen Zuwanderern heute geforderte Integration in die deutsche Gesellschaft kann sich im Hinblick auf unsere Verfassung nur auf ihre politische Integration beziehen. Sie darf nicht mit kultureller Assimilation verwechselt werden. Letztere muß überdies in den meisten Fällen scheitern. Ein Einwanderer aus Indien, Pakistan oder Afrika kann ein gesetzestreuer Bürger sein, aber wohl kaum ein schwäbischer Pietist oder ein katholischer Schwarzwaldbauer werden.
      Kulturelle Freiheit muß allen Bürgern- ohne Ansehung ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Religion oder Weltanschauung gewährt werden. Nur dann werden sich Neubürger aus fremden Kulturen in unseren Staat politisch integrieren und gute Patrioten werden können.
      Politische Integration selbst muß auf dem Prinzip gründen, daß Einwanderern bei der Einbürgerung all das eingeräumt wird, was allen Bürgern gewährt werden muß: politische Gleichberechtigung, soziale Solidarität, kulturelle Freiheit und kultureller Pluralismus. Politische Gleichberechtigung macht die Einbürgerung notwendig, Solidarität die soziale Integration, wobei im Falle der sozialen Benachteiligung von Einwanderern die Sozialpolitik ebenso wie bei anderen benachteiligten Bürgern gefordert ist. Kulturelle Freiheit muß wiederum in dem Umfang gewährt werden, wie sie allen anderen Bürgern eingeräumt wird.
      Die Grenzen der kulturellen Freiheit müssen für Einwanderer aus fremden Kulturen die gleichen sein wie für alle anderen Bürger. Diese Grenzen werden durch die Verfassung und durch die Rechtsprechung festgelegt. Auftretende kulturelle Konflikte, die es in allen Gesellschaften und gerade auch in scheinbar kulturell homogenen Gesellschaften immer wieder gegeben hat, - wie z.B. in der Reformation und den europäischen Religionskriegen -, müssen im Rahmen der rechtlichen und politischen Ordnung des republikanischen Verfassungsstaates aufgearbeitet werden. Dies kann mit schweren politischen Konflikten verbunden sein. Ihre friedliche konsensuelle Bewältigung innerhalb des durch die Verfassung und ihre Rechtsordnung gegebenen Rahmens wird nicht immer und oft nur partiell gelingen. Der republikanische Verfassungsstaat bleibt immer Programm und ständig neue Aufgabe. Wenn es gelingt in freier Selbstbestimmung, eine halbwegs friedliche Koexistenz von Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Orientierung zu ermöglichen, ist das Beste erreicht, was man von einer politischen Ordnung erhoffen kann.
      Die politischen Konflikte, die sich aus kulturellem Pluralismus ergeben können, haben ihren Ausgangspunkt oft in vorurteilsgeladenen und von Populisten poltisch aufgehetzten Klischees von der jeweils fremden Kollektivkultur. So werden z. B. hierzulande vielfach immer noch alle muslimischen Einwanderer fundamentalistischen Gruppen des Islam zugeordnet, obwohl dieser nur eine Varianten des in viele religiöse Richtungen aufgeteilten Islams ist. Der politisch-religiöse Fundamentalismus hat im übrigen auch in christlich geprägten Kulturen eine lange und immer noch lebendige Tradition. Es sei hier nur an die jahrhundertelangen europäischen Kriege im Namen der Religion und ihre blutigen Spuren im Nordirland der Gegenwart erinnert . Die häufige Praxis "die europäische" oder gar "die deutsche Kultur" per Definition mit Humanität und Toleranz gleichzusetzen und sie mit "der" kollektiven Intoleranz "der" außereuropäischen Kulturen zu kontrastieren, offenbart Gedächtnislücken. Sie blendet neben vielem anderen die Erinnerung an den europäischen Kolonialismus, an das Gemetzel zweier von Europa ausgehender Weltkriege und den grauenhaften Holocaust aus. Der republikanische Verfassungsstaat selbst war weder in Europa noch in Deutschland das unvermeidliche und logische, quasi genetisch vorgegebene Endergebnis der europäischen Geschichte und Kultur. Er mußte hier vielmehr erst in langen Kämpfen gegen die dominanten Überlieferungen durchgesetzt werden. In Deutschland bedurfte es hierzu in jüngster Zeit sogar noch der Hilfe der Alliierten.
      Die provinzielle und holzschnittartige Gegenüberstellung kollektiver europäischer Humanität und Toleranz mit der kollektiven Inhumanität und dem kollektiven Fanatismus außereuropäischer Kulturen hat einen sehr rationalen Kern. Es werden Bedrohungsängste geweckt und die Demokratiefähigkeit der Menschen außereuropäischer Kulturen geleugnet. Damit kann wiederum die Verweigerung des Bürgerrechts an "Fremde" legitimiert werden.
      Die Integration in das Gemeinwesen, die nicht über Assimilation und ihrer Ideologie scheinbarer kultureller Homogenität angezielt wird , sondern über politische Identifikation mit dem Verfassungsstaat erfolgt, ist möglicherweise mit einer zweckrationaleren Haltung gegenüber der Politik als im klassischen Nationalstaat verbunden. Das eigene politische Gemeinwesen ist hier nicht mehr wie im Nationalstaat der mythische Leib der Nation und Endzweck der Geschichte. Politische Gemeinschaften werden nicht wie im klassischen Nationalismus als Selbstzweck, sondern als notwendiger Bedingungsrahmen für ein gutes Leben der Bürger wahrgenommen,- das gute Leben zu dem gerade auch die Freiheit der individuellen kulturellen Selbstbestimmung gehört. Angesichts der wahnhaften Emotionen des Nationalismus ist ein solches nüchternes und zweckrationales Verhältnis zur politischen Gemeinschaft ein Gebot und ein Fortschritt der Vernunft. Wegen der unvermeidlichen künftigen massiven Zuwanderung und ihrer Konzentration in den städtischen Ballungszentren wird es schon bald keine politisch realistische Alternative zur Akzeptanz der Zuwanderer als vollberechtigte Bürger geben. Wenn wir hierzu nicht bereit sind, werden sich die jetzt schon entstandenen Probleme der Ghettoisierung und Helotisierung der zweiten und dritten Generation schauerlich verschärfen und stauen. Freiwillige Gaben werden geschätzt. Für Gaben, die im politischen Kampf und durch Diktate wirtschaftlicher Imperative schließlich nur erzwungen wurden, gilt dies nicht.
      Wie schon ausgeführt wurde, muß die politische Durchsetzung der Zuwanderung durch eine erfolgreiche Wirtschafts- und Sozialpolitik, durch Aufklärung der Bevölkerung über die desaströsen wirtschaftlichen Konsequenzen des Geburtendefizits sowie durch den Appell an die wohlverstandenen wirtschaftlichen Eigeninteressen der Bürger erleichtert werden. Die politische Integration der zunehmenden Multiethnizität und ihres verstärkten kulturellen Pluralismus jedoch wird in unserer immer noch am trügerischen Leitbild einer angeblich homogenen endogenen Kultur orientierten Gesellschaft und ihren tiefsitzenden Ängsten vor kultureller Überfremdung die schwierigste Aufgabe sein. Sie verlangt weit mehr als bisher die Aneignung kultureller Toleranz, des Fundaments des modernen Verfassungsstaates und der Voraussetzung für den von ihm geschützten kulturellen Pluralismus. Umfragen deuten an, daß die Vorurteile zwischen den christlichen Konfessionen und gegen fremde Religionen und Kulturen heute im säkularisierten Teil unserer Gesellschaft weit stärker weiterleben als innerhalb und im Umfeld der christlichen Kirchen selbst. Vor allem sie sind heute die Träger und Vermittler des notwendigen interkulturellen Dialogs. Auch die jüngste Reise des Papstes und sein Schuldbekenntnis der Sünden, die im Namen des Christentums begangen wurden, haben hierfür längst notwendige zukunftsweisende Zeichen gesetzt.
      Einwanderung und schon die Einbürgerung von Ausländern sind heute politisch extrem unpopulär. In unserer 51% Demokratie wissen die Politiker der beiden großen Lager, daß kleine Wählergruppen eine Vetoposition haben können und ihre Stimmen über Sieg oder Niederlage entscheiden. Ein Ausbruch aus dieser nicht nur für die Ausländerpolitik typischen Pattsituation in der Innenpolitik Deutschlands und ihren Versuchungen populistischer Anpassung fordert wie nie zuvor politische Führung und Mut zur Durchsetzung unpopulärer Politik. Hieran hat es bisher gefehlt. Die Initiative Bundeskanzler Schröders für Green Cards zur Gewinnung ausländischer IT- spitzenkräfte war ein konzeptionell wenig durchdachter Schnellschuß aus der Hüfte zwecks Verbesserung des eigenen Modernitätsprofils. Sie hat aber eine Eigendynamik entwickelt, die wie nie zuvor eine öffentliche Debatte über die demografische Entwicklung und die Notwendigkeit von Zuwanderung auslöste. Vielleicht beendet sie den unverantwortlichen nun schon seit Jahren anhaltenden "kollektiven Verdrängungsprozess" (Ministerpräsident Kurt Biedenkopf) der Demografie und ihrer Folgen in beiden großen politischen Lagern. Vielleicht schafft sie die notwendige Einsicht in die existenzielle Notwendigkeit neuer Zuwanderung und einer neuen Geburtenpolitk. Die Daten zur Bevölkerungsentwicklung sind seit langem bekannt. Letztere war spätestens seit Anfang der 80 er Jahre erkennbar. Der dickleibige Zwischenbericht der Enquetekommission des Bundestags von 1998 verstaubt immer noch in den Regalen. Er wurde in der Presse und anderen Medien kaum kommentiert. Erst jetzt scheint sich in Verbindung mit der Initiative des Bundeskanzlers und unter dem Druck der Wirtschaft ein Ende des bisherigen kollektiven Verdrängungsprozesses abzuzeichnen




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      schrieb am 15.02.02 11:30:32
      Beitrag Nr. 2 ()
      @MBS

      bei allem Verständnis für Dein Anliegen:

      wer, um Himmels Willen, soll denn diese Bleiwüste lesen?

      Gruss
      NmA
      Avatar
      schrieb am 15.02.02 11:34:06
      Beitrag Nr. 3 ()
      print it ! ;)
      Avatar
      schrieb am 15.02.02 11:43:58
      Beitrag Nr. 4 ()
      Zitat aus #1: "Hinzu kommt die geringe Mobilität deutscher Arbeitslosen als Konsequenz unseres sozialen Netzes von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, -ein Netz, dessen Abriß niemand wegen seiner unmenschlichen und regionalpolitischen Folgen fordern sollte. "

      Also will die Kirche unsere Arbeitslosen in ihrer Hängematte lassen und dafür lieber Zuwanderung haben?

      Auf die vielen sachlichen Fehler in #1 gehe ich aus Zeitmangel nicht ein. "Zusammenbruch des Immobilienmarktes" :laugh: Wäre höchste Zeit, dass die durch extreme Überbevölkerung hervorgerufenen Wahnsinnspreise in vielen Regionen wieder zurückgehen würden. Da wo ich wohne, kosten schon ein kleines Reihenhaus mit minimalem Garten über eine Million Mark. Ist doch Wahnsinn, oder?

      Und der Blödsinn mit dem Rentensystem ist jetzt schon so oft widerlegt worden, da habe ich einfach keine Lust mehr.
      Avatar
      schrieb am 15.02.02 11:44:53
      Beitrag Nr. 5 ()
      Ach so, hatte ich ganz vergessen:

      Aufwachen, Herr Schröder! :laugh:

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      schrieb am 15.02.02 11:47:08
      Beitrag Nr. 6 ()
      Ich hab nicht mal Verständnis für sein Anliegen.

      Wir entwickeln uns nunmal von einem ehemals Agrarstaat zu einem immer höherentwickelten Industriestaat,dies hat gemäß Darwin auch Auswirkungen auf die geburtenrate, die also folgerichtig sinken muß. Da z.B. in den nächsten 25 Jahren ein Drittel der jetzt noch vorhandenen Arbeitsplätze wegrationalisiert wird.
      Wovon sollen denn (bei Zunahme der Dt. Bevölkerung) die Menschen alle leben ? Vom Sozialstaat leben jetzt schon genug und die Tendenz ist folgerichtig steigend. Der Staat wird aber in den nächsten Jahren nicht drumrumkommen die Sozialausgaben zu reduzieren, da immer mehr Arbeitsplätze/Einzahler fehlen.

      Die Schlußfolgerung mehr Menschen= mehr Einzahler = eindeutig falsch ! da sich die Zahl der Arbeitsplätze nicht erhöht sondern abnimmt.Also kann bei mehr Menschen, nur mehr Menschen die von Sozialhilfe leben die Folge sein. Wer kann dies wollen ???
      Entschuldigt meine sehr vereinfachte Darstellungsweise.
      Avatar
      schrieb am 27.02.02 12:10:07
      Beitrag Nr. 7 ()
      Auf in den Wahlkampf !

      Zuwanderung Warum ?
      Avatar
      schrieb am 27.02.02 18:44:01
      Beitrag Nr. 8 ()
      @MBS

      Warum stellst Du immer wieder die gleiche Frage wenn Du die Antworten doch nicht verstehst ? :(


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