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    Die Party ist aus - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 14.10.02 21:35:49 von
    neuester Beitrag 14.10.02 21:48:10 von
    Beiträge: 5
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      schrieb am 14.10.02 21:35:49
      Beitrag Nr. 1 ()
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      Die Party ist aus
      Nirgendwo in Deutschland tummeln sich so viele Banker und Werber wie in Frankfurt. Und nirgendwo ist die Krise plötzlich so spürbar: Immer weniger werden gebraucht - Eine Reportage aus dem Bankenviertel
      Von Roland Mischke
      Groß. Größer. XXL. Frankfurts Motto während des Börsenbooms 1999/2000. Damals öffnete im Basement des Eurotower, in dem die Europäische Zentralbank residiert, Deutschlands größtes Restaurant, das "Living": 650 Plätze und noch mal so viele Stehplätze am längsten Tresen der Stadt. Ein Ort der Sieger. Wer tagsüber Geld machte als Banker, Makler, Broker, Werber, verquirlte sich dort allnächtlich mit seinesgleichen zur Party. Tanzen im Schatten der Türme - bombig. Niemand konnte sich vorstellen, dass das einmal zu Ende ginge, vor allem nicht derart schnell.

      Letztes Wochenende im "Living". Mexikanische Party. DJs legen Salsa auf, Tequila und Tacos werden gereicht. Doch den Helden der New Economy ist nicht nach Tanzen zu Mute. Verstreut wie Krümel hocken kleine Gruppen in dem riesigen Raum und versuchen einander zu wärmen. Irgendwie. Denn es ist kalt in Frankfurt, von "freeze" ist die Rede, von "overwinter". Die meisten haben Angst um ihren Arbeitsplatz, die wenigsten geben sich weiter cool.

      Gewiss, andere sitzen noch in Banken, Agenturen und Redaktionen, aber im Gucci-Aktenmäppchen liegt schon die Kündigung. Vier Monate bleiben zwischen Entlassung und Büroauszug. Einem Kellner entringt sich ein frommer Seufzer: "Gott sei Dank ist Buchmesse. Sonst hätten wir die Party abblasen müssen!"

      Innerhalb von zwei Jahren haben sich die Banken in Frankfurt von 430 auf 329 reduziert, Kreditausfälle und ihnen folgende Wertberichtigungen sind an der Tagesordnung. Sämtliche Großbanken haben Streichlisten: 11 000 Arbeitsplätze fallen bei der Dresdner Bank weg, mehr als 9000 bei der Hypo-Vereinsbank, etwa 5000 bei der Deutschen Bank, 3400 bei der Commerzbank, 1750 bei der DZ-Bank. "Scheiße, Scheiße, Scheiße", flucht der Jungbanker in Nadelstreifen. Vor drei Jahren ist er an den Main gezogen, um bei den Gewinnern zu sein. Und nun? "Ich rechne jeden Tag mit meiner Entlassung." Sein Kollege müht sich um Humor: "Wenn mein kleiner Sohn eines Tages auf die Idee kommen sollte, Banker zu werden, werde ich ihm sagen, er soll lieber erst mal was Ordentliches lernen."

      Seit der Dax selten hoch, aber beständig nach unten geht, ist in Frankfurt nichts mehr, wie es war. Berufe, die als Inbegriff bürgerlicher Stabilität und noch vor zwei Jahren als absolut krisensicher galten, trudeln plötzlich im freien Fall. Nun rächt sich, dass Finanzkonzerne jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt und bedenkenlos mit dem ihnen anvertrauten Geld spekuliert haben. "Wir haben Monopoly gespielt, aber nun ist es aus damit", jammert der Nadelstreifen-Mann. Dem Auf und Ab der Börsenkurse, dem Schmelzen der Aktienreserven, dem Anstieg der Verluste und dem Absinken des Eigenkapitals folgt die Ernüchterung. "Alle hier warten, dass die erste Bank zumacht oder der erste Versicherer kippt, weil er seine Policen nicht mehr verzinsen kann", fasst der Jungbanker die Stimmung am zweitwichtigsten europäischen Finanzstandort nach London zusammen.

      Erst einmal wird entlassen. Betriebsbedingte Kündigungen gelten Kapitalmarktprofis als das Nonplusultra der Konsolidierung. Fachleute für "Financial Engineering", "Top Private Banking" oder "Risk Management" werden als "kostenintensiver Personalblock" abgestoßen. Ganze Abteilungen, in der Zeit des Neuen Markts aufgeblasen, platzen wie Luftballons. Die Krise trifft auch Rechtsanwälte, Unternehmensberater, Hotel- und Gebäudemanager, weitet sich aus auf Nobelboutiquen und Spesenrestaurants. 2001 zahlten die Kreditinstitute so wenig ertragsabhängige Steuern wie seit Anfang der Achtziger nicht mehr. In den Türmen des Kapitals gibt es erste Leerstände, Wolkenkratzer-Projekte stagnieren.

      Sylvia Becker, 35, hat erfahren, wie schnell man vom Nobody zum Überflieger aufsteigen und wieder zum Nobody absinken kann. Die gelernte Bürokauffrau war vor drei Jahren über eine Zeitarbeitsfirma zur Citibank gelangt und startete dort eine seinerzeit typische Learning-by-Doing-Karriere. Zunächst prüfte sie am Customer Service Desk die Handelsdifferenzen des Vortags und telefonierte mit Privatkunden. Weil sie sich dabei als clever erwies, durfte sie bald im Optionsscheinhandel mitmischen und war dabei, als am Telefon Entscheidungen gefällt wurden, die millionenschwere Gewinne oder Verluste zur Folge hatten. Und das alles in Teilzeit, denn sie hatte eine kleine Tochter und war wieder schwanger. Ihr Mann, Biologiestudent, unterstützte sie. Broker hofierten Sylvia Becker. Der Alltag war aufregend, "der Handelsraum so groß wie ein Fußballfeld".

      Das Leben war eine einzige Party. In dieser Phase treffen Sylvia Becker und ihr Mann eine fatale Entscheidung: Er soll noch ein Aufbaustudium draufsatteln, sie sorgt für den Lebensunterhalt der Familie. "Dann merkte ich, dass es im Job Atempausen gab. Sie wurden immer länger, bis so gut wie nichts mehr zu tun war." Nach dem 11. September kommt der Einbruch, im Januar 2002 folgen erste Entlassungen. Die Abteilung wird nach London verlagert, etwa 60 Händler begeben sich mit an die Themse. Am Main werden die meisten Angestellten entlassen, "und auch den Kollegen in London ist inzwischen gekündigt worden".

      Seit 1. Oktober ist Sylvia Becker arbeitslos. Die Abfindung hilft der vierköpfigen Familie über die Runden. Nach ihrer Entlassung war die Ex-Bankerin einige Zeit depressiv. "Ich hätte nie gedacht, dass mir das passieren könnte." Inzwischen hat sie sich beim Arbeitsamt gemeldet, will ins Hotelgewerbe. "Mein Vermittler sagt, er habe nichts! Wenn ich Umschulungsvorschläge mache, eine Schule mit privatem Träger anbiete, meint er, das ginge nicht." Das bürokratische Bollwerk lässt die Dynamikerin, die nie staatliche Hilfe in Anspruch nahm, auflaufen. "Ich darf nicht zu oft dort hingehen. Es ist ein elendes Gefühl, so behandelt zu werden."

      Leben ist zur Überlebensstrategie geworden. Angst vor Arbeitslosigkeit beschränkt sich nicht mehr auf Kohlekumpel und Ausbildungslose. Es kann jeden treffen. Als jüngst ein Jesuitenpater an der Frankfurter Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen geschassten Bankern einen Workshop unter dem Thema "Anders wieder anfangen" anbot, war der umgehend ausgebucht und soll wegen starker Nachfrage demnächst im Internet dokumentiert werden (). Gewerkschafter nehmen nicht ohne Genugtuung zur Kenntnis, dass "Investmentjungs", denen im Goldgräberrausch tarifvertragliche Regelungen als Zumutung galten, nach Betriebsräten fragen. Nachdem die Glaubensgewissheit der Hedonisten zusammengebrochen ist, geht es nur noch um Arbeitsplatzsicherung. Kaum ein gemütlicher Abend mit Schampus im Szenelokal "Hopper`s" im Stadtteil Sachsenhausen, bei dem nicht jemand eine Story parat hat, die allen die Laune verdirbt. "Das Frankfurter Lebensgefühl hat sich in den letzten zwei Jahren drastisch verwandelt", sagt ein über 60-jähriger Anwalt, auf Arbeitsrecht spezialisiert. "Noch nie gab es hier so viel Torschlusspanik."

      Mike Krebs, 50, Chef der Filmproduktionsfirma "Cineteam", hat Galgenhumor. "Mein Steuerberater sagt: Was jammerst du? Ihr lebt doch noch!" Einige Frankfurter Kreativfirmen haben geschlossen, nachdem die Entwicklung der Agenturen noch schlechter ausfällt als diejenige der Konjunktur insgesamt. Die Werbebranche der Rhein-Main-Region liegt mit 7,4 Milliarden Dollar Umsatz weltweit auf Platz vier, aber die Etats werden seit 2001 rigoros zurückgefahren. "Ein Vertreter von Nestlé feilscht mit mir um 2000 Euro", so Krebs. "Nicht in meinen schwärzesten Träumen hätte ich mir das ausmalen können."

      Einem unternehmerischen Instinkt folgend, hat der bei Festivals der Werbebranche in St. Tropez und anderswo mit Preisen bedachte Mike Krebs seinen Betrieb breit angelegt. Statt von Werbeagenturen abhängig zu sein, wurde 2000 "eine halbe Million" in Technik investiert, um auch DVD-Produktionen überarbeiten und Spielfilme "veredeln" zu können. Alles umsonst, die Aufträge kommen nicht. Von einst fünf Millionen Mark Umsatz kann "Cineteam" nicht einmal mehr 20 Prozent erwirtschaften, von einst zehn Angestellten sind vier geblieben, mit gekürztem Gehalt. Die Hausbank verweigert weitere Kreditziehungen. "Kein Banker weiß, was wir hier machen", empört sich Krebs. "Dennoch drehen sie uns den Hahn zu."

      Kein Geld mehr von den Banken, kein Raum mehr für neue Ideen. "Ich lebe aus der Substanz, gebe alles in die Firma. Meine Altersabsicherung ist weg." Hätte Mike Krebs nicht noch seine Zweitfirma "tvt" verkaufen können, "wäre ich schon weg vom Fenster". Sein Berliner Büro hat er geschlossen. Weil der Unternehmer nie angestellt war, hat er keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. "Wenn ich den Laden zumache, bleibt nur noch die Sozialhilfe." Mit dem Finanzamt liegt er wegen horrender Steuernachforderungen im Clinch. Jüngst wurde ihm mitgeteilt, dass es unverzüglich zur Vollstreckung kommen würde, sollte er nicht den Zahltermin einhalten. "Ich bewege mich auf verdammt dünnem Eis."

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      Channel: Wirtschaft
      Ressort: Wirtschaft
      Erscheinungsdatum: 15. 10. 2002

      :D
      Avatar
      schrieb am 14.10.02 21:40:57
      Beitrag Nr. 2 ()
      Vielleicht hat ja das Handwerk auch mal irgendwann wieder einen goldenen Boden, obwohl ich nicht dran glaube.

      Mehr möchte ich nicht dazu sagen.


      pp
      Avatar
      schrieb am 14.10.02 21:42:52
      Beitrag Nr. 3 ()


      Wir sehen mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit noch
      eine (letzte) größere Abwärtsbewegung bei den Aktien.
      Avatar
      schrieb am 14.10.02 21:44:13
      Beitrag Nr. 4 ()
      irgendwan muß jeder mal sterben!!

      ")zanker
      Avatar
      schrieb am 14.10.02 21:48:10
      Beitrag Nr. 5 ()
      wie hast Du das gemeint ?

      :cool:

      pp


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