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    Hintergründe zum Verhältnis USA Taliban - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 14.09.01 09:42:45 von
    neuester Beitrag 14.09.01 12:04:46 von
    Beiträge: 6
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      schrieb am 14.09.01 09:42:45
      Beitrag Nr. 1 ()
      Die Taliban, Pakistan und der Westen


      Lasst die Taliban gewinnen, und bestraft Afghanistan mit Isolation!
      Diese widersprüchliche Doppelparole kennzeichnet, jenseits der moralischen Proklamationen über die Menschenrechte und der Suche nach einer politischen Lösung, die Politik des Westens gegenüber Kabul. Seit 1989 die sowjetischen Truppen abzogen und 1992 die Regierung gestürzt wurde, spielt Afghanistan für die internationale Politik eine immer unwichtigere Rolle.
      Die externen Hauptakteure im Bürgerkrieg zwischen 1992 und 1996 waren regionale Mächte, nämlich Pakistan, Iran und Russland. Deren Konfrontation trug dazu bei, dass 1994 die Taliban auf die Bühne traten, eine ultrafundamentalistische Bewegung aus dem Süden des Landes. Dank massiver militärischer Unterstützung durch Pakistan, aber auch eines gewissen Rückhalts in der Bevölkerung, gelang es den Taliban, alle Städte, im September 1996 schließlich auch Kabul zu erobern.

      Die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen des Taliban-Regimes stoßen immer wieder auf heftige internationale Kritik: von der Unterdrückung der Frauen über die Zerstörung der Buddhastatuen bis hin zur jüngst angeordneten Kennzeichnungspflicht für Nichtmuslime. Dabei hatten die USA ursprünglich mit den Taliban sympathisiert. Dennoch ist die verbreitete Auffassung falsch, wonach die amerikanische Unterstützung unmittelbar mit dem Vorhaben der US-Erdölgesellschaft Unocal zusammenhing, die den Bau einer Ferngasleitung durch Afghanistan plante. Überzeugender ist die Hypothese, dass die USA sich gewohnheitsmäßig an der Haltung Pakistans orientierten und dass sie auf die Wiederherstellung der Einheit des Landes hinwirken wollten.(Die USA unterstützten - trotz allgemeiner Kritik - wie Pakistan die Hesb-i-islami, die einzige afghanische Widerstandsbewegung mit offensichtlich totalitären Tendenzen.)

      Die USA entzogen den Taliban ihre Unterstützung, nachdem der aus Saudi-Arabien stammende islamistische Milliardär Ussama Bin Laden, dem zahlreiche Attentate gegen US-Einrichtungen angelastet werden, in Afghanistan Unterschlupf gefunden hatte; die Menschenrechtsverletzungen durch das Regime in Kabul spielten bei dieser Entscheidung nur eine marginale Rolle. Diesen Kurswechsel markierte die Bombardierung der Ausbildungslager der radikalen Islamisten in Afghanistan, die als Vergeltungsmaßnahme gegen die Anschläge auf amerikanische Botschaften in Ostafrika (im August 1998) deklariert waren. Das war paradoxerweise der entscheidende Grund dafür, dass Pakistan die Auslieferung Bin Ladens ablehnte, denn gerade die Militärschläge der USA machten diesen vor allem in Pakistan und in den arabischen Golfstaaten zu einer populären Figur.

      Die USA gewährten allerdings auch der von Ahmad Masud angeführten Opposition keine nennenswerte Unterstützung, und sie verwarfen obendrein die einzige Erfolg versprechende Strategie, nämlich Druck auf Pakistan auszuüben. Die westlichen Staaten ließen Pakistan bei seiner Intervention in Afghanistan völlig freie Hand und ermöglichten dadurch den Sieg der Taliban über Ahmad Masud. Im Sommer 2000 entsandte die pakistanische Armee mehrere tausend Soldaten an die Front, mit deren Hilfe die Einnahme der Stadt Taloqan gelang, die seit 1986 von Masud kontrolliert wurde. Durch diesen Verlust war die Nachschublinie der Masud-Truppen zwischen dem Panschirtal und Tadschikistan unmittelbar bedroht.

      Diese allgemein bekannte und belegte militärische Unterstützung wurde von den westlichen Staaten nicht kritisiert, etwa vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (Die 1997 von den Nachbarstaaten gebildete Gruppe der 6 (Tadschikistan, Iran, Usbekistan, Turkmenistan, China, Pakistan) plus 2 (USA und Russland) unterzeichnete im Juli 1999 einen Vertrag, um die Interventionen in der Afghanistankrise zu unterbinden. )- obwohl die Opposition noch immer als die rechtmäßige Regierung Afghanistans gilt. Warum verzichtet man darauf? Vermutlich wollte man die krisengeschüttelte Atommacht Pakistan nicht weiter destabilisieren. Vielleicht wurde auch nach der Kaschmirkrise vom Frühjahr 1999( Die pakistanische Armee schleuste im Frühjahr 1999 Truppen nach Kargil ein (der indische Teil Kaschmirs), was zu einer schweren internationalen Krise führte.) in stillschweigendes Abkommen geschlossen, das Pakistan und Afghanistan freie Hand lässt, wenn sie dafür im Kaschmirkonflikt eine gemäßigte Position beziehen. Die USA zeigen jedenfalls kein Interesse an einer Lösung, ihnen geht es einzig um die Auslieferung Ussama Bin Ladens. Das Resultat ist - und hier offenbart sich der perverse Aspekt der westlichen Positionen -, dass die Taliban in dem Maße, wie sie geographisch an Terrain gewinnen, vom politischen Geschehen ausgeschlossen werden.

      Das Instrument, mit dem Afghanistan isoliert wird, sind die internationalen Sanktionen, die mit den über den Irak verhängten vergleichbar sind. Nach der Einnahme Kabuls wurde die internationale Anerkennung der Taliban vom Fortschritt auf drei Gebieten abhängig gemacht: Menschenrechte, Unterbindung des Drogenhandels, Kampf gegen den Terrorismus. Auf die zweite Forderung - Stopp des Opiumanbaus - gingen die Taliban ein und haben sie mit bemerkenswertem Erfolg umgesetzt. Die Erfüllung der beiden anderen Bedingungen steckt in einer Sackgasse. Die Taliban verweigern die Auslieferung Bin Ladens und schlagen im Gegenzug vor, ihn einem islamischen Gericht zu überstellen. Die Menschenrechte sind dem Verständnis der Taliban nach der Scharia - dem islamischen Recht - untergeordnet, das sie äußerst rigide auslegen.

      Autor von "La révolution afghane, des communistes aux Taliban", Paris (Karthala) 2000.
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      schrieb am 14.09.01 09:45:49
      Beitrag Nr. 2 ()
      Im Laufe des letzten Jahres sind aus den von den Taliban beherrschten Gebieten Afghanistans immer wieder Nachrichten über Hinrichtungen von Schwulen an die Öffentlichkeit gekommen. Die extrem-puritanischen sunnitischen IslamistInnen Afghanistans haben aber nicht nur in diesem Bereich jegliche Menschenrechte mit den Füßen getreten. Trotzdem können sie weitherhin mit einer gewissen Unterstützung durch die USA und deren Verbündete im Nahen Osten rechnen.

      Mit US-Hilfe an die Macht


      Die durch ihre seltsame Mischung aus paschtunischem Stammesrecht und extrem reaktionären Volks-Islam selbst von den meisten anderen islamistischen Bewegungen gehaßten Taliban, sind erst durch die Hilfe des pakistanischen Geheimdienstes SIS und des US-Geheimdienstes CIA zur stärksten Macht im afghanischen Bürgerkrieg geworden. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten wollten mit Hilfe der Taliban den Bürgerkrieg in Afghanistan befrieden, um den Bau einer Erdölleitung durch Afghanisches Territorium zu ermöglichen.

      Ursprünglich war der Bau einer Pipeline aus den zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken an den Persischen Golf durch den Iran geplant, was dem Erzfeind der USA aber zu viel Macht in die Hände gegeben hätte. Auch die proiranische Regierung Afghanistans war den USA ein Dorn im Auge und so wurden eben wieder einmal andere Fanatiker unterstützt, gegen die das iranische Regime regelrecht als Hort von Freiheit und Demokratie betrachtet werden muß.
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      schrieb am 14.09.01 09:47:59
      Beitrag Nr. 3 ()
      Bin Laden, der aus einer der reichsten Familien Saudi-Arabiens mit guten Verbindungen zum Königshaus stammt, hatte in den achtziger Jahren CIA-Lieferungen und arabische Freiwillige an afghanische Mudjahedin-Gruppen verteilt. In den neunziger Jahren gehörte er zu den Organisatoren eines Netzwerkes, das die kriegserfahrenen Freiwilligen an islamistische Gruppen in aller Welt verteilte. Diese "Afghanen" kamen in Kaschmir, Tschetschenien, Algerien, Ägypten, Sudan, Somalia und Bosnien zum Einsatz. Größere Bedeutung erlangten sie jedoch bislang nur bei den algerischen Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA).
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      schrieb am 14.09.01 09:50:07
      Beitrag Nr. 4 ()
      Ja, absolut richtig, man sollte die Afghanen auch nicht bombardieren, sondern ALLE Grenzen total sperren und auch nicht mit Flugzeugen einen raus oder rein lassen. Und zwar in ALLEN islamistisch extremen Staaten.

      Dies waeren dann FREIE Gefaengnisse und sie koennten nichts mehr anstellen und wuerden von den "boesen" westlichen Maechten in Ruhe gelassen werden.


      Mit der Hoffnung auf Ausfuehrung OC
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      schrieb am 14.09.01 09:50:38
      Beitrag Nr. 5 ()
      Die Entstehung der Taliban-Bewegung Den iranischen Truppen steht eine Bewegung gegenüber, deren Islamismus tatsächlich archaische Züge trägt. Die Taliban-Ideologie basiert auf einem vorkolonialen Fundamentalismus, dem, anders als dem in Auseinandersetzung mit dem übermächtigen Westen entstandenen modernen Islamismus, die Orientierung auf den Anschluß an die Industriegesellschaft fehlt. Extremistische Gruppen dieser Art entstehen unter den Bedingungen der Verelendung, sozialen Zerrüttung und Perspektivlosigkeit. Ihre kompromißlose Strenge fasziniert viele, aus eigener Kraft hätten die Taliban jedoch nicht ihre heutige Bedeutung erlangt. Ihren schnellen Siegeszug verdanken sie der massiven ausländischen Unterstützung.

      Mit ihrer Hilfe wollten Pakistan, Saudi-Arabien und die USA das katastrophale Ergebnis ihrer Geheimdienstintervention während des Kalten Krieges korrigieren. Die USA und Saudi-Arabien hatten jährlich schätzungsweise 500 Millionen Dollar in den Krieg gegen die sowjetische Besatzungsmacht investiert, die Verteilung von Geld und Waffen oblag dem pakistanischen Geheimdienst Inter Services Intelligence (ISI) und arabischen Islamisten wie Ussama Bin Laden. Unterstützt wurden vor allem islamistische Kaderorganisationen wie die von Hektmatyar geführte Hesb-e-Islami, und niemand störte sich daran, daß die Islamisten die gelieferten Waffen auch zum Kampf gegeneinander und gegen andere Oppositionsgruppen benutzten. Die ethnischen und religiösen Minderheiten des Nordens gruppierten sich um jeweils eine Partei: die Hesbe-e-Wahdat der schiitischen Hazaras, die tadjikische Jami`at-e-Islami und die Gruppe des usbekischen Warlords Dostom. Sie und die überwiegend paschtunische Hesb-e-Islami lieferten sich nach dem Abzug der sowjetischen Truppen und dem Sturz des von ihnen gestützten Regimes einen blutigen Bürgerkrieg.

      Der Krieg hatte zu einer Schwächung des paschtunischen Einflusses geführt. Hekmatyars städtisch-modernistischer Islamismus erwies sich als unfähig, die überwiegend ländliche paschtunische Bevölkerung zu binden. In diese Lücke stießen die Taliban. Die von Mullah Mohammed Omar geführte Bewegung entstand unter afghanischen Flüchtlingen, sie rekrutiert fast ausschließlich Paschtunen ländlicher Herkunft, seit einiger Zeit auch aus Pakistan. Keiner der Taliban-Führer gehört zur Stammesaristokratie, keiner ist ein bekannter Gelehrter. Ihre Ideologie mischt Elemente des Wahhabismus Saudi-Arabiens, das einen Teil der islamischen Bildungseinrichtungen in Afghanistan und Pakistan finanziert, mit der vergleichbaren Lehre der in der Region verwurzelten Deobandi-Bewegung und paschtunischen Traditionen.

      Erste Absprachen mit Pakistan und den USA wurden wahrscheinlich im Oktober 1994 getroffen. Die für die Erschließung der Öl- und Erdgasvorräte Mittelasiens erforderlichen Pipelines sollten Rußland und den Iran umgehen. Der Weg durch Afghanistan war jedoch durch den Bürgerkrieg blockiert, zudem hatten Hekmatyar und andere Islamistenführer nach dem zweiten Golfkrieg mit ihren ehemaligen Unterstützern gebrochen. Zum wirtschaftlichen Interesse trat das politische Ziel, den iranischen Einfluß zurückzudrängen. Saudi-Arabien teilte dieses Interesse und schloß sich der Koalition an.


      Dollars ebnen ihren Weg Für die Taliban sprach, daß sie eine Bewegung der paschtunischen Mehrheitsbevölkerung waren, angesichts der Ethnisierung der Bürgerkriegsfraktionen ein entscheidender Vorteil. Pakistan hoffte, ein paschtunisches Afghanistan zu einem Vasallenstaat machen zu können. Die politisch unerfahrene Bewegung schien leicht zu kontrollieren. Man erwartete, sie würde nach saudischem Vorbild puritanische Strenge mit einer prowestlichen Außenpolitik verbinden und hoffte, ihr Extremismus werde sich in der Konfrontation mit der Realität schon abschleifen.

      Im Vergleich zum Kampf gegen die Sowjetunion wurde der Krieg billiger, die jährlichen Kriegskosten der Taliban werden auf 200 bis 300 Millionen Dollar geschätzt. Den größten finanziellen Beitrag leistete Saudi-Arabien. Pakistan sorgte für Ausbildung und Logistik, die USA hielten ihre schützende diplomatische Hand über das Unternehmen. Zusätzliche Spenden kamen von islamistischen Großkapitalisten, möglicherweise auch vom US-Ölkonzern Unocal, der bereits Vereinbarungen mit Turkmenistan getroffen hatte. Und jeder Geländegewinn brachte die Kontrolle über weitere Opiumfelder.

      Dank ihrer guten Finanzlage konnten sich die Taliban die meisten Siege durch die Bestechung feindlicher Kommandanten erkaufen. Kabul soll drei Millionen Dollar gekostet haben. Das US-Außenministerium bewertete den Kauf Kabuls positiv, entsandte eine Delegation, die über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen verhandeln sollte, und befand, es sei noch zu früh für Friedensverhandlungen. Chris Taggart, Vizepräsident von Unocal, sprach von einer "positiven Entwicklung", die dem Pipeline-Projekt förderlich wäre. Schon zwei Jahre nach ihrer Gründung kontrollierten die Taliban mehr als die Hälfte des afghanischen Territoriums.

      Nun aber zeigte sich, daß die Unterstützer der Taliban sich in mancherlei Hinsicht verkalkuliert hatten. In der Strenge ihrer Sharia-Interpretation gingen die Taliban weit über das übliche islamistische Maß hinaus, viele Maßnahmen sind nur psychologisch erklärbar. Modernisierungsorientierten Islamisten ist die Notwendigkeit der Frauenbildung bewußt, auch die Erwerbsarbeit von Frauen wird akzeptiert, solange sie das Patriarchat nicht in Frage stellt. Den Taliban dagegen ist der Anblick gebildeter Frauen mit eigenem Einkommen unerträglich. Sie verbieten den Frauen sogar den Moscheebesuch.

      Nirgendwo in Koran, Sunna oder islamischer Rechtslehre findet sich eine Vorschrift über die Mindestlänge des Bartes, wie sie die Taliban verhängt haben. Letztlich geht es den Taliban auch gar nicht darum, daß die Afghanen dem Propheten gleichen. Sie sollen ihnen gleichen. Daß den schiitischen Hazaras, die mongolischer Herkunft sind, kein Bart in der vorgeschriebenen Länge wächst, ist ihnen nur ein Beweis für deren Gottlosigkeit. Eine Bewegung fanatisierter Dorfprediger und Bauernlümmel versucht, die afghanische Gesellschaft gewaltsam nach ihrem Bild zu formen. Ebenso wie gegen die "Verwestlichung" der Stadtbevölkerung gehen die Taliban gegen die traditionelle Religiosität vor.

      Vom gut organisierten Tugendterror abgesehen gibt es kaum Regierungsaktivitäten. Von Entwicklungspolitik kann keine Rede sein, der Vormarsch der Taliban hat allerdings den Handel zwischen den Provinzen erleichtert. Die Inflationsrate ist offenbar sehr hoch, was dem Regime erstaunlicherweise als wirtschaftspolitischer Erfolg gilt. "Der Preis für die Ernte eines Obstgartens betrug nur fünfzigtausend", verkündete Mullah Muttaqi, der Informationsminister der Taliban bei einer Versammlung in Qetta, "während der gleiche Obstgarten heute vierhunderttausend einbringt. Nun entscheidet selbst. Haben sich die ökonomischen Bedingungen unter der Regierung der Taliban verbessert oder nicht?" Auch sonst erhebt sich der entwicklungspolitische Diskurs der Taliban nicht über dieses Niveau.

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      schrieb am 14.09.01 12:04:46
      Beitrag Nr. 6 ()
      14.09 .2001 Berliner Zeitung

      An der amerikanischen Botschaft ist Tereschkowa Obeit noch nicht gewesen. "Nein", sagt sie und schüttelt den Kopf, als ob sie ihre Worte noch einmal bekräftigen wollte. "Ich kann nicht dorthin gehen und Blumen niederlegen, und morgen greifen die dann vielleicht mein Land an." Trotzdem ist die 25 Jahre alte Frau von den Geschehnissen in New York geschockt. "Dort sind unschuldige Menschen gestorben", sagt sie. Aber wenn sie die Bilder aus Manhattan im Fernsehen sieht, muss sie auch an ihre Heimatstadt Kabul denken. "Dort steht schon lange kaum ein Haus mehr."

      Schleier und Turbane

      Tereschkowa Obeit kommt aus Afghanistan. Seit vierzehn Jahren lebt sie in Berlin. Ihr Vater war Angestellter der afghanischen Botschaft in der DDR und hat seine Frau und die Kinder zurückgelassen, als er nach Afghanistan zurückbeordert wurde. Damals herrschte schon Krieg in seinem Land.

      Tereschkowa Obeit arbeitet in dem afghanischen Kulturzentrum in Neukölln. Die Räume des Vereins liegen in einer Ladenwohnung im Erdgeschoss eines Altbaus. Bunt gemusterte Teppiche liegen auf dem Boden, an den Wänden hängen Bilder aus Afghanistan. Sie zeigen verschleierte Frauen, die vor einem Zelt sitzen und Männer mit Turbanen, die große Bündel loser Wolle auf dem Rücken tragen.

      Das Zentrum ist ein Treffpunkt für die kleine afghanische Gemeinde in Berlin. Nur 842 Menschen aus diesem Land leben in der Stadt. Die meisten von ihnen sind Flüchtlinge. Viele haben Afghanistan Anfang der 80er-Jahre verlassen, nachdem die sowjetische Armee in ihr Land einmarschiert war. Eine zweite Flüchtlingswelle hatte es im Jahr 1994 gegeben, als nach einem jahrelangen Bürgerkrieg die radikal-islamische Gruppe der Taliban die Macht fast im ganze Land übernommen hatte. Die Ereignisse am Dienstag in den USA betreffen auch das Leben der Afghanen in Berlin, seitdem der saudische Terrorist Osama Bin Laden verdächtigt wird, für die Anschläge in New York und Washington verantwortlich zu sein. Bin Laden lebt in dem Staat in Mittelasien. Die Taliban haben ihm vor Jahren Zuflucht gewährt. "Jetzt hat Bush angekündigt, er mache unser Land dem Erdboden gleich", sagt Tereschkowa Obeit. Dabei könne man die Afghanen nicht mit den Taliban gleichsetzen. Und man könne auch nicht alle Afghanen als Freunde von Bin Laden ansehen, sagt Sabour Zamani, der das Zentrum leitet.


      Das Verhalten der Deutschen habe sich in den vergangenen beiden Tagen verändert. "Die Leute auf der Straße gucken einen schief an", sagt eine Kollegin von Tereschkowa Obeit. "Dabei können sie nicht einmal sehen, dass wir aus Afghanistan kommen." Wahrscheinlich hielten sie sie für Araber. "Wir werden jetzt alle in einen Topf geworfen."

      Ein ähnliches Gefühl hat die 31-jährige Iman, die ihren Nachnamen nicht sagen will. Sie ist Palästinenserin, im Libanon geboren und seit 1976 in Berlin. Sie studiert hier Arabistik und Psychologie. Am Dienstagnachmittag war Iman am Kudamm und hatte in der Menge die Berichterstattung über die Anschläge an einer Großleinwand verfolgt. "Da sind dann schon Schimpfworte wie ,Schweine’ gefallen, nachdem islamistische Terroristen als erste Verdächtige ausgemacht worden waren." Schon das habe sich unangenehm angefühlt, sagt sie. "Ich möchte jetzt kein Araber in Amerika sein."

      Gleichzeitig aber errichteten die Taliban ein rigides System im Namen ihrer reaktionären und dumpfen Islam-Auslegung - zumindest in den Gebieten, die sie über Straßen und Und in Deutschland? "Ich habe nicht das Gefühl, dass mich jemand anmachen könnte, nur weil ich arabisch aussehe." Iman erzählt mit ruhiger Stimme, dass sie seit einigen Tagen ziemlich aufgewühlt sei über das Ausmaß des Terrors in den USA, darüber, wie weit die Terroristen gegangen seien. "Es sind Wahnsinnige, die das gemacht haben", sagt sie. "Aber es ist nicht hilfreich, diese Tat auf die gesamte arabische oder islamische Welt abzuwälzen." Die erste Androhung von Vergeltungsschlägen gegen Afghanistan nennt Iman "hirnrissig". Bevor man anfange zu drohen, sagt sie, solle man erst einmal genau wissen, wem man droht. Und dies sei schließlich, "wenn man sachlich bleibt", noch gar nicht bewiesen. Doch was ist schon sachlich zurzeit?



      Am Mittwoch morgen hatte Tereschkowa Obeit eine Frau am Telefon, die sagte, sie hoffe, es würde bald die erste Bombe auf Afghanistan fallen. Doch diese Bomben, glauben die Mitarbeiter in dem Zentrum, würden nur die von 24 Jahren Krieg gezeichnete afghanische Bevölkerung treffen und nicht etwa die Führer der Taliban oder gar Bin Laden selbst. "Es muss etwas getan werden", sagen sie. "Aber ob es die Lösung ist, unser Land anzugreifen?" Sabour Zamani und Tereschkowa Obeit sagen, in der Welt werde mit zweierlei Maß gemessen. Sie haben heute Morgen in einem Interview einen Psychologen darüber sprechen hören, wie Kinder in Deutschland mit diesem Schock umgehen sollen. Für sie ist das fast ein Hohn. "Unsere Kinder kennen gar nichts anderes als Krieg. Da ist eine ganze Generation seelisch kaputt gemacht worden."

      Sie sagen: "Wenn so ein Angriff wie in den USA in einem anderen Land passiert wäre, einem weniger reichen Land zum Beispiel, dann wäre das niemals 24 Stunden am Tag Thema im Fernsehen." Und wieder kommt Sabour Zamani auf sein Heimatland zurück: Eine Millionen Menschen sind dort in den vergangenen 24 Jahren gestorben, 100 000 Kinder sind verstümmelt, fünf Millionen Menschen auf der Flucht, die Kultur ist zerstört, das Land kaputt. "Und die Welt schaut zu", sagt er. Jetzt endlich ist der Name seines Landes zwar in aller Munde, aber in einem ganz anderen Zusammenhang, als er ihn sich gewünscht hätte.


      "Wir sind nicht die Taliban"

      Das haben auch die Mitarbeiter der afghanischen Botschaft an der Wilhelmstraße in Mitte zu spüren bekommen. "Wir haben einige Anrufe bekommen, in denen wir erst einmal deutlich machen mussten, dass wir nicht die Taliban-Miliz vertreten", sagt ein Mitarbeiter. Sonst sei die Lage entspannt, heißt es. Besondere Sicherheitsvorkehrungen wurden jedenfalls nicht getroffen. Doch je länger das Gespräch dauert, desto mehr redet sich der Mitarbeiter in Rage. "Wir Afghanen schreien seit mehreren Jahren, dass die Welt mehr Druck auf die Taliban ausüben soll, und dass sich der Terrorismus ausbreiten wird." Die Wut der Menschen in den Vereinigten Staaten kann er verstehen. Dennoch hofft er, dass die Amerikaner nur diejenigen zur Verantwortung ziehen, die wirklich für den Terroranschlag verantwortlich sind. "Und nicht unschuldige Menschen."


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