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    Deutschland vor seiner Auflösung - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 18.07.06 12:24:11 von
    neuester Beitrag 31.12.06 01:32:20 von
    Beiträge: 18
    ID: 1.071.759
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      schrieb am 18.07.06 12:24:11
      Beitrag Nr. 1 ()
      DIE ZEIT, 13.07.2006

      Nationalstaat, zerfasert
      Ob Steuern, Sicherheit oder Rechtsprechung – längst entscheiden Regierungen nicht mehr souverän. Wirken sie deshalb so gelähmt? Von Gunter Hofmann


      © Max Missal für DZ

      Was gestern für Rot-Grün galt, gilt heute für die Große Koalition: Die Regierung zeigt sich verblüffend schwach und beschränkt sich konsequent auf die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Doch gilt dieser Befund nicht nur für Deutschland – in Europa sind schwache Regierungen längst die Regel, nicht die Ausnahme. Könnte es also sein, dass sich die Grundlagen für Regierungen, der Boden, auf dem sie stehen, der nationale Rahmen, in dem sie agieren, grundsätzlich wandeln? Was ist vom klassischen Nationalstaat geblieben, und was kommt danach?

      Den »Staat« gibt es weiterhin, klar. Aber die Realität beschreiben Fachleute bereits treffender mit »Staatlichkeit«, was auf einen weichen Übergang in eine neue Form hindeutet. Das Neue ähnelt noch dem vertrauten Nationalstaat, ist aber bereits etwas anderes. Als kürzlich in der Bremer Landesvertretung in Berlin ein großes Forschungsprojekt über »Staatlichkeit im Wandel« vorgestellt wurde, zeigte sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier sicher, der Staat sei wieder im Kommen. Tatsächlich war es ja während der vergangenen Jahre Mode, den Staat insgesamt für obsolet zu erklären, weil er den Marktprozessen und der Globalisierung entgegenstehe und jeden Einzelnen von uns auch noch in seinen gewachsenen Individualitätsansprüchen bevormunde. Laut klang die Klage über »zu viel Staat«.

      Aber ist der Staat nun, wie Steinmeier behauptet, wirklich wieder im Kommen? Die Sozialwissenschaftler, Juristen und Ökonomen, die die »Staatlichkeit im Wandel« erforschen, haben nun unter dem Titel Transformationen des Staates? (Suhrkamp Verlag, Edition Zweite Moderne) eine erste Bilanz gezogen. Verantwortlich für die empirische Untersuchung in diversen (westlichen) OECD-Ländern zeichnen die Bremer Politologen Stephan Leibfried und Michael Zürn.



      Das Erste, was auffällt: Sie sprechen bewusst von »Transformationen«, Plural also. Was heißen soll, dass es die eine große, eindeutige Veränderung nicht gibt. Nach wie vor, heißt es zusammenfassend in der Studie, sei der Einfluss des Staates auf die Lebensverläufe seiner Einwohner »umfassender und durchschlagender« als der jeder anderen Organisation: »Der Staat regelt die Wirtschaft, bekämpft Kriminalität, organisiert das Bildungssystem und stellt Bildungseinrichtungen bereit, unterhält und steuert die Verkehrsinfrastruktur, ermöglicht die Demokratie, führt Kriege, bekämpft Terror, gewährleistet soziale Sicherheit, garantiert die Wasser-, Strom-, usf.-versorgung – und er vereinnahmt für alle diese Zwecke etwa vierzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts.«

      Dennoch sind sich Leibfried, Zürn und ihre Kollegen über die Tendenz einig: Das »goldene Zeitalter« des Staates sei zu Ende und möglicherweise nur einer besonderen Kombination von Frieden, Stabilität und wirtschaftlichem Aufschwung in den sechziger und siebziger Jahren zu verdanken gewesen.

      Ihre Arbeitshypothese für die Gegenwart: Die Staatskonstellation des »goldenen Zeitalters« löse sich nicht einfach auf, sie treibe vielmehr in viele Richtungen, zentrifugal und asymmetrisch. Weder führten die strukturellen Veränderungen »zu einem großen europäischen Regionalstaat noch zum Zerfall in viele Kleinstaaten und auch nicht zum Siegeszug des Minimalstaates bei weitgehend unregulierten Marktbeziehungen«. Das Resultat, grob und abstrakt, in der Kategorie der Bremer, lautet: Zerfaserung.

      Zerfaserung bedeutet in dieser Interpretation zunächst einmal: Die internationale Rechtsordnung gewinnt mehr und mehr an Bedeutung und ergänzt so die alte »innere Rechtsstaatlichkeit« moderner Staaten. Über Steuern und Gewaltmonopol hingegen behält der Nationalstaat weitgehend die Kontrolle, aber seine Handlungsmöglichkeiten sind stark eingeschränkt, nicht zuletzt durch internationale »politische Einbettungen«. Die globale Steuerkonkurrenz zwischen den westlichen Staaten sowie Osteuropa und führenden Wirtschaftsnationen Asiens hat die Möglichkeit der Nationalstaaten stark begrenzt, auf höhere Ausgaben mit höheren Steuern zu reagieren. Stattdessen geht es in fast allen westlichen Staaten darum, die Arbeit billiger zu machen und sie von Lohnnebenkosten und Steuern zu entlasten.

      Der Nationalstaat kann auch aus anderem Grund weniger souverän agieren: Er muss Rücksicht auf die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die Welthandelsorganisation, den Internationalen Währungsfonds nehmen – und damit beginnt die Liste erst. Die Legitimation der Politik verharrt weitgehend im nationalen Rahmen, obwohl einige Legitimationsgrundlagen »schleichend« in eine postnationale Konstellation übergehen.

      Besonders der Staat der Daseinsvorsorge bewegt sich nach diesem Befund, wenn man Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Dänemark, Österreich, Schweiz, Finnland oder Neuseeland miteinander vergleicht, in extrem unterschiedliche Richtungen. Eindeutig ist nur, dass die Bereiche der Daseinsvorsorge in den meisten EU-Staaten seit den achtziger Jahren stark privatisiert wurden: Luftverkehr, Bahn, Post, Telekommunikation, Energieversorgung – wenig davon ist in öffentlicher Verantwortung geblieben, der »Staat schickt nicht mehr den Briefträger«, beschreibt Stephan Leibfried diese Tendenz. Wohl aber sei weiterhin »der Wohlfahrtsstaat eine Bastion des Nationalstaats«.


      Überraschend, aber eindeutig: Die Sozialausgaben sind in den meisten OECD-Ländern eher gewachsen, der sozialpolitische Korridor allerdings verengt sich. Zur Finanzierung der Alterssicherung kristallisiert sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ein Mehrsäulensystem heraus, wozu bei fast allen Modellen immer auch eine »private« Säule gehört. In der Arbeitsmarktpolitik drängt es alle Nationalstaaten zum »Aktivieren«, aber sie haben dafür immer weniger Geld zur Verfügung. Die Kostenbeteiligung der Bürger im Krankheitsfall wird – wie auch hierzulande – tendenziell ausgeweitet. Die sehr unterschiedlichen nationalen Gesundheitssysteme verschmelzen allmählich zu einem einzigen Mischtypus. Die Familienpolitik hingegen wird fast überall stärker als staatliche Aufgabe verstanden. Soziale Sicherheit wird demnach zunehmend in einem intelligenten »Systemmix« gesucht.

      Die modernen, westlichen Nationalstaaten zerfasern nicht nur, argumentieren die Autoren, »die Staaten bekommen Gesellschaft«. Schichten legen sich um sie herum. Das mag alles, zugegeben, vage klingen, dennoch beschreibt es die Realität ziemlich exakt. Vor allem das internationale Rechtssystem ergänzt, ersetzt das nationale Recht. Internationale Rechtsprechung zwischen Europäischem Gerichtshof und Schiedsstellen der WTO dienen dann als letzte Instanz. Recht anselle von Politik? Oder fließt beides bereits ineinander? Längst dient das Recht jedenfalls nicht mehr nur der innerstaatlichen Befriedung.

      Was kann der Staat? Was bleibt vom Staat? Nicht nur die Bremer führen mit ihren Vergleichsanalysen diese Debatte. Sie findet bereits in einem größeren Rahmen statt, leider meist außerhalb der Politik. Repräsentativ für die Suchbewegungen in die richtige Richtung sind Ulrich Beck und Edgar Grande, die Münchner Soziologen, die einen vorauseilenden Blick auf das »kosmopolitische Europa« geworfen haben. Sie erkennen am Horizont bereits den »Transnationalstaat« und plädieren für das wechselseitige Anerkennen der Differenzen in Europa als produktivem Faktor und Ausdruck europäischer Stärke. Auch Dieter Grimm, ehemals Verfassungsrichter, inzwischen Direktor des Berliner Wissenschaftskollegs, der den Wandel vom Staat zur Staatlichkeit, vom Regieren zur Governance, vom Nationalen zum Europäischen anerkennt, aber skeptisch nach der Legitimation internationaler (europäischer) Einrichtungen fragt. Ihn wundere, sagt Grimm, wie sehr die »Internationalisten« demokratische Anforderungen geringschätzten. Mit einer Legitimation durch das Ergebnis wolle er sich aber nicht begnügen. Das leuchtet ein. Nicht minder plausibel ist es, wenn Grimm argumentiert, die Politik habe in den vergangenen Jahren nicht hinreichend geklärt, was öffentlich bleiben und was privatisiert werden solle. Wenn die Polizei nur noch »Dienstleister« wäre, die Sozialämter nur noch »Kunden« hätten, die Universitäten sich nur noch als »Unternehmen« verstünden, wenn der Staat sich also nur noch auf eine Rolle am Markt reduzieren würde – ohne Verantwortlichkeiten –, dann würde er, Grimm, sich gegen ein solches Staatsverständnis jedenfalls »vehement wehren«.

      Schließlich Wolfgang Streeck, Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung: Der »alte« Staat, der für Sicherheit, Solidarität und Gerechtigkeit sorgte, sei »erschöpft«, argumentiert er. Ein »europäisches Sozialmodell«? Wo? Die schlechtesten Karten aus seiner Sicht hätten »die traditionelle Arbeitnehmerschaft der alten Industriegesellschaften und ihre Erben«. Sie würden, prophezeit er, zur absinkenden Klasse des globalen Neokapitalismus. Die Intensität des Wettbewerbs um Arbeitsplätze und Produktionsstätten in der Welt werde zunehmen, eine immer weitere »Aufqualifizierung« im Westen werde nicht helfen, auch wenn die westlichen Demokratien »sich und ihrer Klientel« das einredeten. Regieren ohne Regierung, wie soll das gehen?, fragt Streeck dann allerdings.

      Licht am Ende des Tunnels hingegen sieht Erhard Eppler, der langjährige Vordenker der SPD und einer der wenigen Politiker, die sich überhaupt auf diese Debatte eingelassen haben. Der Staat, sagt Eppler, »kann nur stärker werden, wenn er erst einmal schwächer wird. Stärker – in Europa«. Dabei redet er sich Europa nicht einfach als Alternative zum Nationalstaat schön. Konturen des Neuen zeichnen sich tatsächlich ab, sogar noch in der Krise über Europas Verfassung. Für diesen Disput, der trotz aller Differenzen sich einlässt auf das Neue, liefern die Bremer Stoff. Lauscht man dem Diskurs, muss man dennoch einräumen: Nicht nur die Staatlichkeit zerfasert, entsprechend zerfasert ist vorläufig auch noch das Urteil derjenigen, die den Ursachen auf die Spur kommen und über Alternativen streiten möchten.

      Was heißt das, trotz aller unterschiedlichen Sichtweisen, für die Politik? Erstens: Der Staat ist anderswo, und anders als der klassische Nationalstaat ist er auch. Er ist kein Auslaufmodell, obgleich das »goldene Zeitalter« tatsächlich zu Ende sein dürfte, er ist neu zu erfinden. Zweitens: Wenn in der »Internationalisierung« und der internationalen Rechtsetzung die Haupttendenz zu erkennen ist, sollte sich die Politik an die Spitze der Bewegung setzen – statt sich prügeln zu lassen, weil der alte Nationalstaat verschwindet. Drittens: Trotz aller Skepsis gerät das klassische Regieren nicht aus der Mode, aber stärker zählen wird die Kompetenz für ein kompliziertes Governance-System auf vielen Ebenen, vor allem auf der europäischen. Viertens: Weniger Nationalstaat? Ja, aber ein »schwächerer« Nationalstaat ist beileibe keine Entschuldigung für eine schwache Regierung.

      © DIE ZEIT, 13.07.2006

      _____________________________________

      Da stellt sich die zentrale Frage: Was sollen wir noch bei einer demokratischen Wahl?
      Avatar
      schrieb am 18.07.06 13:37:29
      Beitrag Nr. 2 ()
      Sieht die neue Entscheidungshirarchie in etwa so aus?

      FED
      IWF
      WTO
      OECD
      EUROPAPARLAMENT
      NATIONALE REGIERUNGEN
      LÄNDERPARLAMENTE
      KOMMUNEN
      FAMILIEN

      :confused:
      Avatar
      schrieb am 18.07.06 13:51:55
      Beitrag Nr. 3 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 22.695.825 von Dorfrichter am 18.07.06 13:37:29Ich glaube ganz oben steht dann eine neue Organisation gegründet aus: FED, IWF und BIZ die sogenannte FIB !:(
      Avatar
      schrieb am 18.07.06 14:54:44
      Beitrag Nr. 4 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 22.695.825 von Dorfrichter am 18.07.06 13:37:29Und die Bilderberger?
      Avatar
      schrieb am 18.07.06 15:35:36
      Beitrag Nr. 5 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 22.698.212 von cajadeahorros am 18.07.06 14:54:44Die "Bilderberger" kommen bei mir nicht vor. Diese Vereinigung ist nur eine Loge und spielt nur untergeordnet mit- oder garnicht.

      Die Realpolitik interessiert mich schon näher. Ich will wissen, wohin die "Reise geht"! Ich glaube nämlich, daß die demokratischen Parteien am Ende ihrer Weisheiten sind, da die "zwischenstaatlichen Organisationen das Ruder übernommen haben. Wenn dem so ist, spielt nationale Politik keine Rolle mehr.

      Deutschland ist im Zentrum dieses Sturmlaufs des Kapitals. Wenn dieses Land fällt, fallen alle anderen westlichen Länder ebenfalls.

      Nächstes Ziel: die Bildungspolitik!
      Die kommt künftig aus den USA.

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      schrieb am 18.07.06 15:38:15
      Beitrag Nr. 6 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 22.698.212 von cajadeahorros am 18.07.06 14:54:44Kannst ja gleich die Protokolle von Zion von Adam Weishaupt herzitieren.
      Avatar
      schrieb am 18.07.06 16:02:58
      Beitrag Nr. 7 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 22.699.637 von Dorfrichter am 18.07.06 15:38:15da sind wir nicht mehr weit weg...:D
      Avatar
      schrieb am 19.07.06 11:57:49
      Beitrag Nr. 8 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 22.699.542 von Dorfrichter am 18.07.06 15:35:36Diese Vereinigung ist nur eine Loge und spielt nur untergeordnet mit- oder garnicht

      :laugh: :keks:
      Avatar
      schrieb am 19.07.06 11:58:57
      Beitrag Nr. 9 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 22.699.637 von Dorfrichter am 18.07.06 15:38:15;)
      Avatar
      schrieb am 19.07.06 11:59:48
      Beitrag Nr. 10 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 22.700.508 von buchi1971 am 18.07.06 16:02:58anfang vorletztes kapitel . . .
      Avatar
      schrieb am 19.07.06 12:12:27
      Beitrag Nr. 11 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 22.751.959 von Lanzalover am 19.07.06 11:57:49Was gibts´n da zu Lachen? Ich sagte, die spielen nur am Rande mit. Das "operative Geschäft" halten doch der IWF und die OECD.

      Im übrigen gibt es ja noch den "Club of Rome". Ich halt nichts von Verschwörungstheorien und orientiere mich weiter an den tatsächlichen Geschehnisabläufen.

      Was der Einzelne daraus für Schlüsse zieht, ist mir dann egal.
      Avatar
      schrieb am 27.09.06 18:22:36
      Beitrag Nr. 12 ()
      26.09.2006 10:35 Uhr



      Der Professor aus Heidelberg
      Erkenntnisse einer unverletzten Seele
      Fast wäre Paul Kirchhof Bundesfinanzminister geworden, nun doziert er wieder über Bürger und Staat und freut sich mächtig daran. Seinen vierwöchigen Politikausflug sieht er inzwischen fast nur noch positiv.
      Von Ulrich Schäfer



      Paul Kirchhof könnte Bundesfinanzminister sein. Er könnte in einem prunkvollen Gebäude an der Berliner Wilhelmstraße residieren. Doch die Wähler haben es nicht so gewollt, was auch daran lag, dass Gerhard Schröder ihn als ,,Professor aus Heidelberg‘‘ beschimpft hat, als Mann ohne politischen Verstand.

      Nun sitzt dieser Paul Kirchhof in der Berliner Landesvertretung von Baden-Württemberg, in einem schwarzen Ledersessel, und freut sich darüber. Wenn die Leute ihn fragen, ob er der Professor aus Heidelberg sei, dann, erzählt Kirchhof, antworte er: ,,Jawohl, der bin ich - mit Ehre und Stolz.‘‘ Der Titel sei zu einem ,,Qualitätsmerkmal‘‘ geworden.



      Viel nachgedacht
      Etwas mehr als ein Jahr ist es her, das kurze Gastspiel des Juristen aus Heidelberg im Berliner Politbetrieb. Er hat seither viel nachgedacht. Er hat ein dickes Buch geschrieben, 384 Seiten: ,,Das Gesetz der Hydra.‘‘ Die Unterzeile sagt alles: ,,Gebt den Bürgern ihren Staat zurück!‘‘

      Es ist ein flammendes Plädoyer für einen Staat der Bürger, nicht der Politiker; der kein Geld verteilt, sondern durch gutes Recht ordnet und sich dabei zurückhält. ,,Für den Staat‘‘, sagt Kirchhof, ,,gilt das Gleiche wie für einen Sportler: Nur der Schlanke ist stark.‘‘



      Keine Generalabrechnung
      Der Herr vom Droemer-Verlag, der die Gäste im halbvollen Saal begrüßt, sagt, dieses Buch werde manche enttäuschen. Es sei nicht ,,die Generalabrechnung einer verletzten Seele, denn diese verletzte Seele gibt es nicht‘‘.

      Kirchhof sagt eingangs, es gehe ihm um eine nüchterne Analyse eines ,,vielköpfigen Ungeheuers‘‘, welches, wie die Hydra in der griechischen Sage, die Menschen nicht beschützt, sondern alles verschlingt.

      Doch später räumt Kirchhof dann ein, dass in sein Werk manches eingeflossen ist, was er im Wahlkampf erlebt und gelernt hat. Die Politik habe manchmal ,,etwas Partyhaftes‘‘, man feiere ,,Feste vor der Leistung‘‘. Auch im Sommer vorigen Jahres sei das so gewesen, als die Union sich des Sieges sicher wähnte.



      Eine Koalition, die niemand wollte
      Herausgekommen sei eine Koalition, die niemand wollte, auch er nicht. Wenn er könnte, würde der ehemalige Verfassungsrichter deshalb am liebsten das Wahlrecht ändern: Die Parteien müssten vor der Wahl verbindlich erklären, mit wem sie sich danach zusammenschließen.

      Der Block mit den meisten Stimmen bekommt, selbst wenn er nur 40 Prozent der Wähler hinter sich vereint hat, im Bundestag später die Mehrheit der Sitze, plus fünf Sitze, damit er mit verlässlicher Mehrheit regieren kann. Die große Koalition müsse die Ausnahme bleiben, fordert Kirchhof.



      "Mit dem kleinen Mikrofon"
      Irgendwann an diesem Morgen geht es dann auch um Gerhard Schröder. Er sei ihm nie begegnet, habe nie mit ihm geredet oder telefoniert, sagt Kirchhof. Er selbst habe ,,mit dem kleinen Mikrofon‘‘ gekämpft, in Sälen mit 300 oder auch mal 3000 Menschen; der andere habe das Fernsehen genutzt. Das Volk habe am Ende über eine Steuerreform abgestimmt, die so nicht zur Wahl gestanden habe.

      Kirchhof ist davon überzeugt, dass sein vierwöchiger Politikausflug ihm dennoch geholfen hat: ,,Ich habe verloren, was dieses Amt angeht, aber ich habe deutlich gewonnen, was dieses Steuerkonzept angeht‘‘, sagt er. Überall erhalte er dafür Zustimmung, beteuert er, und mag auch nicht den Einwand gelten lassen, dass sein Reformmodell in Berlin als mausetot gilt.



      "Es ist nicht hoffnungslos"
      Zum Schluss sagt Kirchhof, er werde weiterkämpfen. Er fühle sich verpflichtet und werde auch in Zukunft das ,,beschwerliche Gespräch‘‘ mit der Politik suchen. ,,Unsere Wissenschaft hat schon Einfluss‘‘, sagt der Professor aus Heidelberg: ,,Es ist nicht hoffnungslos.‘‘

      (SZ vom 27.09.06)
      Avatar
      schrieb am 28.12.06 16:42:58
      Beitrag Nr. 13 ()
      Gefunden in Finanzen.net

      Unternehmenssteuerreform - Peers prächtige Präsente (EurAmS)
      24.12.2006 11:19:00




      Eine überraschende Steueränderung bringt deutschen Firmen ein zweistelliges Milliardengeschenk: Die Gewinne steigen und die KGVs purzeln – aber nur für 2006
      von Hans Sedlmaier, Euro am Sonntag

      Verkehrte Welt: Finanzminister Peer Steinbrück, das ganze Jahr über fürs Einsammeln und Eintreiben von Steuern zuständig, scheint sich kurz vor Weihnachten in einen spendablen Weihnachtsmann zu verwandeln. Einen zweistelligen Milliardenbetrag können deutsche Kapitalgesellschaften dank einer kurzfristig am 12. Dezember in Kraft getretenen Änderung bei der Körperschaftssteuer als zusätzlichen Gewinn noch in ihre aktuellen Bilanzen einstellen (Euro am Sonntag berichtete).

      In Wirklichkeit räumt der Finanzminister einfach Altlasten auf. Es geht dabei um ältere finanzielle Ansprüche von Unternehmen gegenüber dem Bund.

      Diese Guthaben hatten sich aufgrund der früher unterschiedlichen Besteuerung von Gewinnen angesammelt. Allein Volkswagen-Finanzchef Hans Dieter Pötsch kann sein Zahlenwerk um 951 Millionen Euro aufpolieren. Der Effekt auf Unternehmenskennzahlen, die Börsianer interessiert, ist gewaltig. "Der Gewinn pro Aktie steigt bei VW so von 3,86 Euro auf 6,33 Euro, sagt HypoVereinsbank-Analyst Georg Stürzer. Das Kurs/Gewinn-Verhältnis, fällt durch den Bilanzgewinn für 2006 nachträglich von 19,8 auf 13,3 ­ die Aktie wird also deutlich billiger.

      Nicht nur bei VW in Wolfsburg hat die Finanzabteilung schon nachgerechnet. Auch andere große deutsche Konzerne haben gemeldet, wie hoch die Zusatzgewinne ausfallen werden. "Vor allem Versorger und Versicherungen profitieren von den Änderungen, sagt Aktienstratege Ralf Zimmermann von Sal. Oppenheim. Der Allianz in München werden auf diese Weise 500 Millionen Euro beschert, der Münchener Rück 400 Millionen, und RWE freut sich sogar über 600 Millionen Euro extra. Auch bei kleineren Unternehmen wie dem Krankenhaus-Betreiber Rhön-Klinikum klingeln noch mal 13 Millionen Euro kurz vor Jahresschluss in der Kasse, Heidelberger Druck meldet sogar 70 Millionen Euro Sondergewinn. Unternehmen, die ihre Gewinne immer als Dividende an Aktionäre weitergereicht haben oder auch Mitarbeiter beteiligten, betrifft die Neuregelung dagegen kaum. So heißt es bei Bayer in Leverkusen: "Aufgrund der Ausschüttungspolitik von Bayer spielt die Änderung für uns keine Rolle.³ Nicht alle Firmen geben jedoch preis, wie viel sie bis zum 31. Dezember als Sondergewinn verbuchen dürfen, auch wenn sie es schon wissen. Bei BASF etwa gibt man sich zugeknöpft. Angesichts von Marktgerüchten, auch die Ludwigshafener könnten mit einer VW-ähnlichen Summe im Milliardenbereich rechnen, spricht man nur "von einem geringen positiven Effekt, der unsere Steuerposition nicht wesentlich beeinflusst³. Genaueres will BASF bei der Bilanzpressekonferenz am 22. Februar offenlegen. Werden die zusätzlichen Milliardengewinne auch für kräftig steigende Aktienkurse sorgen? Nicht unbedingt. "Bei uns beträgt der Son- derertrag 100 Millionen Euro, aber das ist ein reiner Buchungseffekt ohne materielle Auswirkungen³, erklärt Karl-Friedrich Brenner, Leiter der Unternehmenskommunikation beim Versicherer AMB Generali. Tatsächlich bestehen die Ansprüche der Unternehmen an den Fiskus ja schon länger. Bisher kamen sie aber nur bei Dividendenzahlungen zum Tragen, nun jedoch können sie ohne Ausschüttung auf einen Schlag geltend gemacht werden.

      Zudem hat sich Finanzminister Steinbrück bei der Gesetzesänderung etwas einfallen lassen, das die Freude in den Firmenzentralen deutlich drückt. Der Bund beginnt mit der Auszahlung der fälligen Summen erst 2008 und teilt die Summe bis 2018 in zehn gleiche Teile. Außerdem dürfen die Unternehmen für ihre teilweise von Anfang der 90er-Jahre stammenden Forderungen keine Zinsen berechnen.

      Der FDP-Finanzpolitiker Volker Wissing verglich die Konstruktion Steinbrücks deswegen schon mit einem zinslosen, zehn Jahre laufenden Kredit des Bundes bei den Unternehmen. Auch Ralf Grönemeyer, Aktienstratege bei der Commerzbank, beklagt aus Sicht der Finanzmärkte, diese Trickserei Steinbrücks liefere ein falsches Signal, denn: "Den Unternehmen geht dadurch ja ein Zinsvorteil aus bestehenden Ansprüchen verloren, den sie bisher fest eingeplant hatten.³ Analyst Matthias Heck von Sal. Oppenheim sieht die Auswirkungen dennoch positiv, auch wenn die Forderungen nur abgezinst eingereicht werden dürfen: "Der Kapitalmarkt hatte diese Zuflüsse nicht eingeplant und ist nun angenehm überrascht. Diese neuen Guthaben in der Bilanz waren in der bisherigen Aktienbewertung nicht enthalten.³

      Weitere Stimulatoren. Auch wenn die grundsätzlich gute Stimmung, die die neuen Firmengewinne bringen, wegen des Einmaleffekts schnell verpuffen könnte, so stehen die nächsten positiven Stimulatoren schon bereit. Da ist zum einen die für 2008 geplante Unternehmenssteuerreform, die Firmen entlastet. Zum anderen könnte die Zulassung von börsennotierten Immobilienfonds (Reits) Fantasie bringen, da Konzerne mit ihren Immobilien dann Geld verdienen können. Peer Steinbrück ist mit seinem Steuergeschenk jedenfalls eine Überraschung gelungen. Und weil er beim Geben (der Steuermilliarden) das Nehmen (durch den Abzug der Zinsen) nicht vergessen hat, wird er auch nicht mit dem Weihnachtsmann verwechselt werden.
      Avatar
      schrieb am 28.12.06 16:51:33
      Beitrag Nr. 14 ()
      Interessanter Artikel über den Staat!

      Ich sehe das natürlich nicht so negativ wie der Herr aus der Zeit. Es ist eher so, dass die Schwächung des Staates eher das Licht am Ende des Tunnels darstellt, in welchen die Menschheit für 200 Jahre mit den Nationalstaaten hineingefahren war (Revolution in Frankreich - ?).

      Über die meiner Ansicht nach sich fast zwangsläufig sich ergebende Verbindung zwischen Nationalismus und Sozialismus hab ich auch schon geschrieben. Je schwächer der Nationalstaat, um so schwieriger wird es also auch, demokratisch legitimierte Gewalt anzuwenden (Steuern, Meinungsunterdrückung etcetc.). Das stört mich persönlich nicht.
      Avatar
      schrieb am 28.12.06 16:57:14
      Beitrag Nr. 15 ()
      Ich wollte eigentlich aktuell auf da enorme steuergeschenk aufmerksam machen, @minister.grasser.
      Avatar
      schrieb am 30.12.06 21:35:04
      Beitrag Nr. 16 ()
      es kotzt mich echt an, hier irgendwelche seitenlangen zitate zu lesen. denkt euch lieber etwas eigenes aus.
      Avatar
      schrieb am 31.12.06 01:04:35
      Beitrag Nr. 17 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.588.786 von 350000 am 30.12.06 21:35:04Es kotzt Dich an? Dein Problem.
      Avatar
      schrieb am 31.12.06 01:32:20
      Beitrag Nr. 18 ()
      ja, sicher mein problem. aber statements wie von minister.grasser begrüsse ich mehr. lange artikel zu posten ist dämlich ....


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